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Titelblatt

XIV. Heft.
Franz Liszt in Berlin

Eine Komödie in drei Acten.

Mit einem colorirten Titelkupfer.

Zweite Auflage.

Leipzig, 1847.

Verlag von Ignaz Jackowitz

Im Concertsaale

Im Concertsaale

 

Personen:

Franz Liszt. Ein Virtuos.
Frischer.
Frau v. Immerkind.
Novellist Groscanon.
Literat Eva.
Maler Großbart.
Schuhmacher Steifling.
Madame Steifling.
Lieutenant v. Raubsburg.
Baron v. Kautokoff.
Jeppenbrecht.
Kuleke.
Morchel.
Paffling.
Lieutenant v. Gardewitz.
Ein Bube.
Madame Peseke.
Rezensent Luftpumpe.
Dr. Süß.
Baronin v. Sinnen.

Arzt.
Registrator.
Banquier.
Leineweber.
Seine Frau.
Sattler.
Bischelwitz.
Seine Frau.
Lemmchen.
Gutschmidt.
Brauer Schump.
Madame Schump.
Lucrezia.
Belladonna.
Frl. v. Buckelewsky.
Hegelianer.
Schellingianer.
Rath Felschen.
Ein Gensd'arme.
Diener Liszt', der Baronin und Lucrezia's.

 

Erster Act.

Bei Stehely.

Rath Felschen. Wahrhaftig, das ist nicht mehr auszuhalten! (Aergerlich mehrere Zeitungen fortschiebend.) Liszt und nichts als Liszt! Man will Politik haben und ....

Literat Eva. Politik ist ja auch List.

Rath Felschen. Wenn die Menschen verrückt sind, so sollten doch wenigstens die Zeitungen vernünftig bleiben.

Literat Eva. Deshalb werden ja eben unsere Zeitungen eigentlich vom Staate redigirt, weil die Menschen verrückt werden könnten. Denn die Redacteure sind auch Menschen mit Fleisch, also auch mit Schwächen – Sie erinnern sich, daß Fallstaff seine großen Schwächen mit der Masse seines Fleisches entschuldigt – aber der Staat ist eine moralische Person. Mein Freund Glaßbrenner meint zwar in seinen Berliner Schilderungen: eine moralische Person dürfe zum Beispiel nicht – oder nicht zum Beispiel – Schulden haben, und sich nicht vor dem freien Wort fürchten, aber .....

Maler Großbart. Nun aber? Dagegen läßt sich doch Nichts sagen.

Literat Eva. O ja! Die moralische Person ist nur der ideale Begriff eines Staates; er muß das werden, inzwischen aber immer schon dafür gelten.

Maler Großbart. Ja so! Das liegt aber auch schon in jenem Vorwurfe.

Rath Felschen. Man könnte sagen: ganz Berlin ist voll List. Hehehe! (Zu Eva.) Was meinen Sie dem Scherz?

Literat Eva (malitiös lächelnd). Ich habe mich von seiner Vortrefflichkeit schon sehr oft überzeugt. Besser wäre es aber, das listige Berlin wäre ein lustiges, sonst hat es alle Anlage, ein lästiges zu werden. Uebrigens ist der jubelnde Enthusiasmus ein sehr natürlicher, wenn wir denn doch einmal wortwitzig sein wollen. Die List war von je ein Ausdruck Berlin«, nun kommt der Liszt, und sie fliegt ihm mit offenen Armen entgegen.

Hegelianer (zu seinem Freunde). Die Ur-Formen des menschlichen Geistes ist kein Titel, der sich mit unserer abstrakten Idee verträgt. Unsere Philosophie......

Garçon. Ein Glas Eis!

Schellingianer. Garçon! Offenbaren Sie mir 'mal ein Glas Punsch. (Zum Novellisten Groscanon.) Sehen Sie, lieber Doctor, Schellings Philosophie... Novellist Groscanon (knallt mit den Fingern, worauf ihm sein Hündchen auf den Schooß springt, dem er Milch zu saufen gibt). Da, Aeffi!

Schellingianer. Fi, wie kommen Sie auf Aeffi – oder Aeffi auf Sie – wenn ich von Philosophie spreche?

Groscanon (lächelnd). Blos des Vieh's wegen, und weil wir ja doch mit aller Philosophie geäfft werden.

Schellingianer. O nein, erkennen Sie nur erst das Absolute im Endlichen, das vermöge der Triplizität Unendlichendlich oder Endlichunendlich sich wieder zur Absolutheit auflöst. Erkennen Sie nur erst das absolut Ideale durch die Selbstentzweiung im Realen, das Positive in der Negation! Also sehen Sie, Schellings Philosophie....

Groscanon (verdrießlich). Ach, hören Sie 'mal, lingen und linguiren Sie mir hier nicht so viel vor! Es gelingt Ihnen doch nicht, mich zu werben. Ich will meinen Kaffee trinken und Zeitungen lesen. Schelling ist kein Jüngling und kein Frühling in der Philosophie, sondern eher ein Bückling vor gewissen Richtungen, für die ich keinen Schilling gebe. Der Zwilling, Hegel und Schelling in Berlin wird noch so manchen Däumling und Dümmling aufblasen, bis endlich ein neuer philosophischer Illing beide, ihr Ei sehr stark bekakelnde, Hühner auffressen wird. Der System-Streit wird nachgrade langweilig. Ich producire, ich schaffe: das ist gescheidter!

Schellingianer. Wie können Sie so von Schellings Philosophie.....

Frischer. Mit Erlaubniß: Schellings Philosophie ist links, und die Hegelei ist auch was Recht's! Ich will ein Pietist werden, wenn ich mich irre, daß sich alle Philosophen irren. Ich will den chinesischen rothen Strick tragen, wenn ein Dichter nicht grade um so viel mehr werth ist, als ein Spitzfündiger, wie die Nachtigall gegen den Habicht. Ich will bei lebendigem Leibe zu Wurst gehackt werden, wenn es nicht besser ist, ein Kind in die Welt zu setzen, als eine Idee, ein Vielleicht, ein Möglich zu anatomiren. Geht mit euren Systemen, die systematisch dumm sind! Ich will eher glauben, daß Einer die Erde am Nord- und Süd-Pol gepackt und in die Tasche gesteckt hat, als daß ich glaube, es habe Einer die ganze Welt des Gedankens in einen Blasebalg aufgefangen und zische sie euch in die Ohren! Und was zischt er euch in die Ohren? Wind, gute Jungens! Und, gute Jungens, man weiß nicht, von wannen der Wind kommt, und wohin er fährt.

Rath Felschen (zu Frischer). Haben Sie schon Liszt gehört? Ich bin neugierig, was Sie zu ihm sagen.

Frischer. Ich sage zu ihm, er spielt besser Klavier als ich, und er spielt sogar besser als ein Anderer. Ich sage von ihm, daß es listig von ihm ist, Liszt zu sein, denn er spielt noch mehr mit den Zuhörern als mit den Tasten. Wäre die Schönheit seines Spiels weniger wild und wirr und mehr faßlich, man würde ihn ehren, nicht vergöttern. Aber er spielt nicht gewöhnliche Noten, sondern Banknoten, Schuldscheine an's Blaue, die schon mancher naseweise Kopf eingewechselt glaubt, wenn ihm bei dieser oder jener Stelle eine Bemerkung passirt. Was groß in der Welt bleiben will, muß immer dafür sorgen, daß es nimmer ganz verstanden werde.

Literat Eva. Das hat Göthe wohl auch gedacht, als er den zweiten Theil seines »Faust« schrieb.

Frischer. Das ist der Blitzarbeiter am Tempel seines Ruhmes. Auch so zu nehmen, daß mancher Philologe seinen elektrischen Dunst aus faulen Büchern und aus seinem faulen Kopfe gegen den Blitzableiter schlägt, um uns sein Gold auf immer zu erleuchten. Es schlägt aber nicht ein, noch hat das Licht ein längeres Leben, als es gerade zum Sterben gebraucht.

Rath Felschen. Wenn man Alles erwägt, was die Weiber jetzt angeben, so .....

Eva (etwas zerstreut). Wer hat angegeben? Wer hat Etwas angegeben? Wer angibt, ist ein Schurke! Wer hat angegeben?

Rath Felschen. Ich – sagte – wenn –

Frischer. Es muß hier eine Felsgegend sein, denn ich höre das Echo rufen: wer angibt, ist ein Schurke! Aber größere Schmach, größere Schmach, wo angenommen wird! Ich denke, wir sprechen hier von Verrath im Allgemeinen, und ich sage: es ist keine Seele von zwei Zoll Größe, die den Hinterbringer nicht mehr verachtet, als den leichtsinnigen Schwätzer, Schimpfer, Verläumder oder Beurtheiler.

Rath Felschen (laut lachend). Wir sprechen ja aber gar nicht davon! Ich sprach von Liszt! Ich meinte: wenn man Alles erwägt, was die Weiber jetzt in Bezug auf diesen Klavierspieler angeben, so muß man eigentlich darüber roth werden, ein Berliner Ehemann zu sein.

Frischer. Den Teufel, Herr! Ich bin kein Ehemann, aber stolz auf meine Berlinerinnen. Sie sind so zart, wie ihre Männer keck sind; sie haben Geist und kleine Füße, Bildung und schlanken Wuchs, ein liebenswürdiges Gemüth und seine Gesichter; sie sind sittsam, aber feurig für alles Große und Schöne. In keiner Stadt der Welt gibt es so viele Frauen-Vereine für Wohlthätigkeit nach auß.en und innen; in keiner Stadt der Welt nehmen sich die hochgebildeten und hochstehenden Frauen so der Armuth des Leibes und der Seele an; in keiner Stadt der Welt ist das Weib so der süße Mittelpunkt des socialen Lebens, als hier in Berlin! Und was ist der rührende Witz der Weiber von Weinsberg gegen den unvergeßlich rührenden Enthusiasmus der Weiber von Berlin in den letzten Kriegsjahren! Nicht allein, daß sie all ihr Geschmeide auf den Altar des Vaterlandes legten, daß sie ihre Speisekammern und ihre Börsen leerten, die Hungrigen und Durstigen zu speisen und zu tränken: sie waren lauter barmherzige Schwestern, die verwundete Krieger pflegten und heilten; sie rissen ihre fünfzehn- und sechszehnjährigen Knaben von ihrem Herzen los, hingen ihnen die Waffen um, und eiferten sie zur Rettung des Vaterlandes, zur Befreiung Deutschlands an! Und wenn nun solche edle Weiber in den Zeiten des Friedens sich von dem Talente enthustasmiren, selbst zu liebenswürdigen weiblichen Narrheiten hinreißen lassen, ist das nicht natürliche Consequenz, ist das nicht eher rühmens- als verdammenswerth? Die feurige Anerkennung des Schönen ist, wie alles Erhabene, ächt weiblich; nur wo sich die Weiblichkeit selbst durch Extravaganzen schändet, dürfen Hohn und Spott ihre wohlthätige Geißel schwingen! Dixi! Ich bin Redner in der Stehely'schen Kammer, ich lasse abstimmen über meinen Antrag! Ich trage darauf an, daß die Männer oft viel voreiliger und dummer huldigen als die Weiber.

Groscanon. Ich erkläre mich mit dem Anträge des ehrenwerthen Deputirten Frischer vollkommen einverstanden.

Frischer (ihm auf die Schulter klopfend). Ich weiß «nb freue mich, ehrenwerther College, daß Ihre Liebe zur Wahrheit, wenn sie auch zuweilen welker, doch immer von Neuem aufblüht und segensreich duftet.

Rath Felschen. Aber Sie waren doch vorher gegen die Liszt'sche Apotheose gestimmt!

Frischer. Ich will mein Lebelang nichts weiter als das politische Wochenblatt lesen, das immer ein Stein des Anstoßes aller Vernünftigen war, und auf das man auch zu rechter Zeit den Stein legte: wenn Sie nicht Alles vom niebrigsten Standpunkte aus betrachten! Freilich bin ich gegen diesen, wie gegen allen Unsinn. Glauben Sie, ich könnte, wie der Rezensent Luftpumpe, meinen: Liszt, weil er nebenbei die französische Literatur kennt und schön gebildet ist, sei der gegenwärtige König des Geistes? Abgesehen bavon, daß dieser Vergleich dumm, unlogisch, (mit sehr zarter Stimme und freundlichem Blicke) bitte ich doch, mich nicht für solch ein Rindvieh zu halten. Hol' die Pest alle Luftpumpen! Ich will zusammenschrumpfen wie die Pränumerantenliste des politischen Wochenblattes, wenn ich glaube, man könne einen Shakspeare, einen Schiller, einen Göthe oder einen Jean Paul durch die Finger schwitzen und burch die Tasten in bie Welt ausströmen lassen! Man kann sich babei ruhig auf das vox populi, vox dei verlassen. Was gilt Liszt – nicht wenn er tobt – wenn er nur aus den Mauern des Enthusiasmus ist? Gilt er mehr als ein trefflicher, als der beste Klavierspieler, als ein edler, geistvoller Mann? Fühlt man Erhabene« dabei? Klingt der Name uns anders in den Kopf als Liszt, Liszt, Liszt? Tönt er uns wie das heilige Flüstern des Lorbeers, über die Jahres-Saiten der Ewigkeit rauschend? Nein, bei Gott, nein!

Rath Felschen. Nun?

Frischer. Aber er ist ein ausgezeichnetes, besiegendes Talent, und ich freue mich, daß dem Talente, dem Geiste künftighin eben so große und mehr innerliche Verehrung werden soll, als bisher nur der plumpen Geburt wurde, der unverdienten Stellung! Das wäre ein Fortschritt mit Siebenmeilen-Stiefeln. Und daß man mit einem Virtuosen auf dem Klavier anfängt, soll verziehen sein: alle neue, große Gedanken der Weltgeschichte haben über die starren Felsen des Irrthums steigen müssen, bevor sie ausgenommen wurden. Nicht lange, und man wird die ächten Geisteshelden ihrer Zeit, wenn auch nicht so närrisch, doch eben um so lauterer, öffentlich ehren und preisen, ihren Einfluß dadurch vergrößern, die Vorurtheile, die Vorrechte stürzen, alle Anmaßung auf Zufälligkeiten in den Staub werfen und verlachen!

Rath Felschen. Aber Sie werden doch nicht vertheidigen, daß die Damen Liszt's Bild auf Handschuhen, in Schmucksachen ...

Frischer (lacht hell auf und umarmt Felschen). Mann, Ihr seid werth, ein Posamentier zu werden! Ich rufe von der höchsten Spitze des Berges die Zukunft an, und er antwortet mir aus dem Kellerloche: Gesegnete Mahlzeit! Mann, ich wette, Ihr wißt, daß ein Thaler dreißig Silbergroschen hat; daß die Kuhmilch von der Kuh bezogen wird, und daß die Kirschen nicht in den Körben der Hökerinnen wachsen, sondern von den Kirschbäumen gepflückt werden. Mann, Ihr seid ein gescheidter Mann, oder ich will Ratzen fressen! Ihr habt in Eurem kleinen Finger mehr Verstand als sonstwo, oder ich will die deutschen Justizministerial-Berichte gut stylisirt finden! Ich setze meine Freunde in der Noth zu Pfande, daß Ihr niemals Eure Nachtmütze auf den Fuß, und den Strumpf über den Kopf gezogen habt! Ihr wißt, daß die Nachtmütze auf Euren Kopf gehört, und daß die durch Gottes Liebe erschaffenen Füße die unanständigsten Dinger ohne Strümpfe sind. Ich will mich an dem ersten besten Galgen für kleine Spitzbuben aufhängen lassen, wenn Ihr Euch je die unsinnige Frage aufgeworfen, ob die preußischen Hofräthe noch in jenem Leben ihren Titel behalten, und ob die Inhaber des rothen Adlerordens vierter Klasse auch jenseits des Grabes ihre Würde haben werden! Mann, Ihr verdient Hochachtung, oder ich will meine alten Handschuhe verlieren! Ihr müßt Posamentier werden, oder es ist keine Gerechtigkeit mehr in der Welt! Garçon, hier ist mein Geld für den Kaffee! (Zu diesem, auf Felschen deutend.) Backt Theekuchen aus diesem Mann, er muß sehr süß schmecken, wenn er eingetaucht wird. (Im Gehen zu den Andern.) Gott zum Gruß, edle Herren! (Kehrt wieder um; zu Felschen.) Mann, wenn Ihr inländische Gegenstände besprecht, Weißbier, Verwaltung oder Kartoffeln, ich bitt' Euch, thut's in einem ruhigen, anständigen, id est in einem so trocknen und feigen Tone, daß keine Feder davon wegfliegt, geschweige Mauern umgerissen werden, Nehmt mir ja nicht Humor, Poesie, Ironie und Gefühl zu Hilfe, sonst steck' ich Euch eine Nadel durch Euren Leib, halt' Euch Schwefel unter die Nase und spann' Euch wie einen Schmetterling auf. Hol' die Pest alle ächte Schriftstellerei, hol' die Pest alle Dichtung! Ich gehe zu einem Schneider in die Lehre, oder ich will ein Zeitungsschreiber werden, so trocken und so lumpig wie sein Papier! (Geht zum Laden hinaus.)


Elegantes Zimmer.

Baronin von Sinnen (liegt auf dem Divan, den Kopf auf ein Oreiller gestützt, auf das Liszt gestickt ist, und hat ein Portrait des Virtuosen in der Hand, das sie mit schwärmerischen Augen betrachtet. Sie spricht sehr langsam und sanft).

Süßes, potenzirtes Wesen in menschlicher Hülle, blicke freundlich-huldvoll auf Deine Magd herab! (Sie küßt das Bild.) Du feinste Blüthe seelentiefer, göttlich-wilder Romantik, ich bete Dich an! (Mit lächelnder Wehmuth.) Die Thoren sagen, Du seiest nicht schön; Du wärst nichts als Sehnen! Ja, Du bist mein Sehnen, mein Hoffen, mein Glaube und meine stille Leidenschaft! Wie männlich-edel ist Dein ganzer Ausdruck; Alles an Dir, selbst Dein Frack, Dein Gilet, das Hemd, die Knöpfe: Alles an Dir ist Physiognomie! Ach, ich bin ganz matt vor Hochachtung. (Sie klingelt.)

Diener. Eure Gnaden befehlen?

Baronin von Sinnen. Ein Glas Wasser! Aber in dem Glase, worein Liszt geschliffen ist. (Diener ab.) Ach! (Tief seufzend.) Du bist nie ungeschliffen. (Seufzt noch tiefer.)

Diener (mit dem Glase). Hier, gnädige Frau!

Baronin von Sinnen. Geh' dort nach meinem Nippe-Tisch, und gieße mir etwas eau de Liszt in's Taschentuch.

Diener (verwundert). Eau? .. (Folgt dem Befehl, ballt seine Hand und spricht leise.) O!

Baronin von Sinnen. So, nun geh' und laß mich allein. (Diener ab.) Allein? Nein, nein, ich bin nicht allein: Du bist – entschuldigen Sie, ich vergaß mich! – Sie sind bei mir, Engel, herniedergestiegen in diese Ihnen ungenügende Welt. Für Ihren Seelen-Reichthum sind alle Sphären zu beschränkt. Wie Ihre Haare, die dunklen, neben der riesigen Stirn hinunterfallen, gleichsam die schönen wilden Gespenster oder Geister, welche jenen Sitz Ihres unermeßlichen Geistes umflattern und sich vergebens wieder zurücksehnen nach ihrem Geburtsorte! Und spielen diese romantisch-dunklen, die tiefste Seelentiefe durchwühlenden Augen, spielen sie nicht selbst Fortepiano wie Du, wollt' ich sagen, wie Sie? (Plötzlich heftig.) Aber warum hat man Ihre Hände nicht mitgemalt? (Mit rührendem Schmerze.) Warum hat man Ihre Hände nicht mitgemalt? Diese Alles begreifenden, Alles umfassenden Hände, die, über den Tasten schwebend, die ganze Welt des Geistes in unsere Herzen tönen lassen? (Sie stellt das Bild auf den Divan, kniet nieder und umfaßt es.) Franz Liszt, Sie sind der erhabenste Künstler, der je auf Erden wandelte! Sehen Sie mich gefälligst im Staube vor Ihnen! (Mit Enthusiasmus.) Franz – Liszt! (Wie erschrocken.) Und nur: Franz Liszt? Nur Wohlgeboren?? Du nicht adlich? Du nicht das kleinste Von zwischen Dir? Sie nicht wenigstens Baron, Graf, Fürst? Sie, der König, der Kaiser im Reiche des Genius, ohne ein paar Iumpige Ahnen?? O, es ist eine schnöde, ungerechte Welt! (Nach einer kleinen Pause.) Halt! mir kommt ein großer Gedanke. Ja, Geliebter, Angebeteter! ich schenke Dir meine 36 Ahnen! (Ausstehend, mit Pathos.) Du sollst fortan Hochwohlgeboren; – Du sollst fortan Baron von Liszt; – ich will nicht mehr von Sinnen sein!

Diener (schnell hereintretend). Um Gotteswillen, was fehlt Ihnen?

Baronin (mit Stolz). Ein Von!

Diener. Ich hörte Ew. Gnaden schreien; haben Ew. Gnaden vielleicht einen Zufall gehabt?

Baronin (wie oben). Ich bin nicht mehr gnädig, und von Zufall kann keine Rede sein: es ist Alles Bestimmung!

Diener. Herrje, sie ist von Sinnen!

Baronin (faßt ihn bei der Brust). Unsinn! Ich bin nicht mehr von Sinnen: ich bin Madame! (Auf das Portrait deutend.) Jener Große trägt mein Von! Er hat meine 36 Ahnen! (Mit Würde hinaus gehend.) Ich – habe ihm Beides verliehen!

 

Zweiter Act.


Eine ärmliche Stube.

Schuhmacher Steifling (steht vor seinem Arbeitstisch, Leder schneidend, zu seiner Frau). Soll mir der Deibel holen, Karline, wenn Du jetzt nu nich bald mit Deine Liszt-Jeschichten ufhörst, so verjeß ick mir. Ick wer' Dir beliszten! Plagt mir ooch der Deibel, det ick den wohlthät'gen Mann neulich, wie ick ihn Maaß nahm, um zwee Billets bitte zu sein Concert, un er se mir mit Lachen jibt. Seitdem ist det Weib wie doll! Is det nich 'ne Schande un 'ne Sünde, det de Kinder unjewaschen rumloofen, Allens entzweeschmeißen, un de Rieke draußen wer weeß wie viel Holz in de Küche verbrennt, un Du daweile uf det alte Klavier rumromorst, als ob Dir de Tarantel gestochen hätte! Wat?

Madame Steifling (vor dem Klavier). Wenn ich man erst die eene Passage raushätte!

Steifling. Die Passage in 't Dollhaus, die wirste bald raushaben!

Madame Steifling. Was der jettliche Mann vor Hände haben muß, des is mir unbejreiflich! Der kann mit seine Hände Allens machen, wat en andrer Mensch jar nich rauskriegt.

Steifling. Ick wünschte, er hätte Dir, statt Dir wat vorzuspielen, en paar Maulschellen mit seine kunstfertige Hände jejeben, det Du de Engel im Himmel »Heil Dir im Siejerkranz« hätt'st pfeifen hören.

Madame Steifling. Na nu, werde nich ordinär, hörste. Nu biste ruhig un störst mir nich länger in meine Kunst, oder ich setze meinen Kopp uf, un denn weeßte, wat de Glocke jeschlagen hat! Ich muß mir hier man noch uf den ewijen rauschenden Triller mit de linke Hand üben, denn wer' ick de Kinder waschen.

Steifling. Na Du! Ick sage Dir, wenn ick Dir den ewijen rauschenden Triller mit de rechte Hand vorspiele, denn springen Dir mehrere Saiten, darauf kannste Dir verlassen.

Madame Steifling. Apropos: ich habe nur eene jesprungene Darmsaite von Liszten verschafft, die mußte mir in en Armband machen lasten, hörste? Det tragen jetz alle Damen, die von de Kunst bejeistert stnd.

Steifling. Ne hör' mal, nanu wird et mir doch zu arg! Wenn den Liszten Saiten jesprungen find, denn wer' ick als Ehemann andere ufziehen!

Madame Steifling (für sich, auf das Klavier blickend). Was der Mann vor'n herrlichen Anschlag hat!

Steifling (die Hand ausstreckend). Na Du: meiner is ooch nich übel.

Madame Steifling. Erinnerst Du Dir woll, Willem, wie er die beeden ufjejebenen Thema's: des Meermädchen von Oberangs un den alten Dessauer zusammenbrachte un mengelirte? Ne un wie unsterblich er da in de Fugen kam und phantafirte! Ne, hör' mal, Willem, ich muß diesen jroßen Mann, ich muß Liszten haben.....

Steifling. Ick wer' Dir die Listen von Deine Dummheiten überreichen.

Madame Steifling. Un wenn De mir weiter nischt schenken willst, so koofste mir ihn, wo er so rund is, von Jips, vor zwee Silberjroschen, hörste? denn häng' ick 'n hier übers Klavier uf.

Steifling. Na jut, bet will ick thun, damit ick endlich 'mal Ruhe im Hause habe. Des sind jetzt Weiber, deß sich Jott erbarme! Lauter Liszt bringen se in de Wirthschaft, statt Ordnung un Frömmigkeit! Des kommt noch so weit, deß se sich Schüsseln koofen, wo nich mehr, wie früher, jeschrieben steht: »Wer nur den lieben Jott läßt walten,« sondern: »So leben wir, so leben wir alle Dage,« um sich an den Liszt'schen Dessauer Marsch zu erinnern. Na wenn det so fort jeht, denn könne det recht jut passen! Denn des kann man bloß lesen, wenn die Schüsseln leer sind, un des is sehr möglich, deß wir bald alle Dage so leben werden.


Zimmer der Baronin.

Dr. Süß. Wie gesagt, meine Gnädige, er soll Triumphe erleben, wie sie noch keinem Sterblichen wurden.

Baronin. Ich bitte, reden Sie nicht von sterblich. Er ist nicht sterblich. Wohl kann die liebenswürdige Schaale welken, aber der Kern, sein himmelstürmender und erdedurchwühlender Geist wird den zukünftigsten Nationen noch was vorspielen.

Dr. Süß. Mir ist es genug, daß er berühmt ist, um mich, gleichsam ein grüner Epheu, um das Monument seiner Größe zu schmiegen.

Baronin (wehmüthig). O Sie Grausamer! wollen Sie mich nicht das Epheuchen sein lassen, das ihn umschmiegt? Grausamer!

Dr. Süß. Wollen Sie nicht lieber der Engel im Postamente sein?

Baronin. Ja, verzeihen Sie, daß ich Ihnen so hart begegnete. Ich will sein Engel im Postamente sein. Aber wird mir die Coquette Lucrezia dieses stille Plätzchen gönnen? Ich höre, er soll sich ihr sehr nähern? Aber nein! Sie, die sich an alle Notabilitäten hängt, um Andenken von ihnen zu empfangen, und um immer mehr von sich sprechen zu machen, sie hat das Goldfischchen in ihr Netz gezogen. O wären meine Worte Dolche: sie lebte nicht mehr!

Dr. Süß. Lucrezia wird verkannt: sie ist eine Heilige.

Baronin (freudig). Ist sie eine Heilige? O dann ist sie meine Schwester! Aber sagen Sie mir, liebes Doctorchen, (ihm die Wangen streichend) haben Sie denn auch für Gedichte gesorgt? Gedichte muß er empfangen!

Dr. Süß (fast erzürnt). Welche Frage! Sie wissen, daß ich jede Gelegenheit, jedes Essen über vierzig Personen ergreife, um meine Muse über demselben schweben zu lassen, und Sie können fragen, ob ich ihn besingen werde, ihn, der ein nie erhörtes Aufsehen macht! Grausame! Fünf Stück sind fertig.

Baronin (in höchster Freude). Fünf Stück! Herrlicher Mann, würdiger Epheu eines Liszt! Aber erfüllen Sie meine Bitte, und machen Sie das halbe Dutzend voll, – ja? Ich besitze eine Idee für Ihren Genius, die nicht ohne Realisation bleiben darf! Lassen Sie Liszt durch die Stadt reiten! ihm überall huldigen und – scheu säuselt das Wort über meine Lippen – mir in der Nacht ein Ständchen bringen!

Dr. Süß. Ja, meine Gnädige, wenn ich ihn reiten lasse, so kann er doch kein Fortepiano bei sich haben?

Baronin (bestürzt). Ach ja, daran habe ich nicht gedacht! (Nachsinnend.) Wie ist da zu helfen? wie retten wir uns aus dieser großen Verlegenheit? (Nach einer kurzen Pause.) Ha! ich ha ... ja, so geht's! Ich habe einen Gedanken gefaßt! Wie? Besitze ich nicht seit vierzehn Tagen fünf Flügel in meinem Saale; habe ich mir dieselben nicht mit schweren Kosten angeschafft? Einen von diesen Flügeln lasse ich nach eilf Uhr vor die Thür setzen. (Schwärmerisch.) Dann springt er vom Pferde und rauscht seinen süßen Schmerz in die Saiten! Er springt meinetwegen herunter, das ist noch romantischer!

Dr. Süß. Aber, meine Gnädige, Sie vergessen ganz, daß Sie Wirklichkeit sind! Sie halten sich in diesem Augenblicke für Stoff, für Thema, für Idee! Ich kann doch nicht annehmen, daß Sie von dem Ständchen des Virtuosen gewußt, und ihm Ihr Instrument vor die Thür gestellt haben!

Baronin (enttäuscht). Wahr, wahr, o schrecklich wahr! O warum bin ich Wirklichkeit! Warum bin ich nicht Stoff für ihn! Warum bin ich kein Thema für seine himmlischen Variationen! Warum bin ich nicht bloße Idee, daß ich, gleich Minerva, seinem Jupiterkopfe entspringen könnte! (Wirft sich auf den Divan.) Verlassen Sie mich, mein Freund! Verlassen Sie mich, Sie grausamer Förster, der meine elfensüße Waldeinsamkeit stört! Der mit seinem Hornruf gemeiner Wirklichkeit meine schüchternen Reh-Gedanken aufscheucht und die süßen Traumlieder meiner flüsternden Wipfel verstummen macht! Im nächsten Concerte sehen wir uns wieder.

Dr. Süß (sich verbeugend). Ich habe die Ehre, mich ganz gehorsamst zu empfehlen. (Ab.)


Im Concertsaale.

Lieutenant von Raubsburg. Aber auf Ehre, meine Gnädige, ich begreife nicht, wie Sie von 4 Uhr an haben im Korridor stehen können! Drei Stunden, um vorn zu sitzen: enorm, auf Ehre!

Fräulein von Buckelewsky. Um Liszt zu hören, thu' ich Alles.

Brauer Schump (zu seiner Frau). Lenore, kannste nich noch en bisken rücken? Ick kann nich orndtlich sitzen, un des Dritthalbstunden-Stehen hat mir janz caput jemacht. Ick kann nich mehr jabsen.

Madame Schump. Du bist aber auch so dick!

Brauer Schump. Na, wie kommsten uf meine Dicke? Det weeßte doch schon seit dreizehn Jahren, det wir verheiraht sind. Ick soll mir woll ooch noch um Liszten dünner machen, als meine Natur is? Det fehlte ooch noch, det jetzt de Weiber verlangten, det man sich um Liszten de Abzehrung anschafft, damit mehr Platz in de Concerte is. Du mußt Dir eng machen; Du mußt Dir mehr zusammennehmen, denn ick bin doch blos Deinentwegen hier. Denn wat mir betrifft, ick mache lieber meine Parthie Boston. Du weeßt doch, wat langweilijer is, als en Klavierconcert? Zwee! Na, un hier muß man jar Sechse hinternander hören, damit man ja keene Zeit mit Erholung verliert! Na aber, wenn wieder Eener neben mir, wie 't vorje Mal, da capo verlangt, den wer' ick nich de Spur piano, sondern sehr forte uf de Nase dacapoen, det er mir nich vor List, sondern vor janz jradezu halten soll!

Lucrezia (zum Baron von Kautokoff). Wissen Sie, wie wir uns kennen lernten? Ich ging an ihn heran und fragte, ob er mit vergönnen möchte, die Hand zu küssen, ...

von Kautokoff. Derr Hand zu kussen, als Damme?

Lucrezia. Die Hand zu küssen, die alle Welt bezaubert. Nein, antwortete er, vergönnen Sie mir lieber die Lippen zu küssen, die alle Welt bezaubern! Tausend Mal! rief ich und flog an seinen Hals und küßte ihn tausend Mal.

von Kautokoff. Das sind serr genial, dieser Bäkanntschaft. Ich will machen ännlich!

Lucrezia (seufzend). Ach, gestern habe ich einen himmlischen Brillantschmuck bei Humbert auf der Schloßfreiheit gesehen!

Baronin von Sinnen. Wie lange läßt sich der Hohe erwarten! Es ist bereits ein Viertel auf Acht. Ah, da ist er! Schnell Applaus, Empfang!

Franz Liszt (verbeugt sich unter schallendem Beifall. Während seiner genialen Spiels wirft er halbfreundliche Blicke über das Auditorium, die da oder dort in einen stilllächelnden Gruß übergehen. Das ganze Publikum ist entzückt, hingerissen, und überschüttet ihn mit enthusiastischem Beifall, als er aufsteht. Die Männer rufen unaufhörlich Bravo, die glänzend geputzten Damen werfen ihm Blumen zu. Der Künstler geht wie ein König während der Cour, bald zu dieser, bald zu jener Dame, bald zu diesem berühmten, bald zu jenem vornehmen Herrn, immer bewußt, daß ihm Aller Blicke folgen, daß die Angeredrteu beneidet sind. Zu Frau von Immerkind). Sie waren nicht in meinem letzten Concert, gnädige Frau?

Frau von Immerkind. Ein Jahr meines Lebens verlor ich durch heftige Migräne an jenem Tage. Sie schenken mir ein halbes Jahr wieder, da Sie mich vermißten.

Frischer (einem Freunde in's Ohr). Wie kann der geistreiche Liszt solch unartiges Cadeau machen!

Franz Liszt. Daß so geniale Geister auch an ihre Hüllen erinnert werden, es ist traurig! (Verbeugt sich leicht und geht zu Lucrezia). Ich sah Sie gestern, ich hörte Sie, ich war entzückt.

Lucrezia. O, Sie ... ich ...

Belladonna (ihr schnell und heimlich zuflüsternd). Ich müßre trivial wiederholen, wollte ich erwiedern.

Lucrezia. Ich müßte trivial wiederholen, wollte ich erwiedern.

Franz Liszt (lächelnd). Aber Sie hörten mich doch nicht gestern?

Lucrezia. Ich sehe, ich höre Sie in jeder Sekunde! Ich kann Sie nie wieder loswerden.

Franz Liszt (lächelnd). Bin ich ein Uebel?

Lucrezia. O – nein! Sie – sind ein Tyrann, der Alles gefangen hält!

Franz Liszt. Bittere Ironie des Schicksals: ich, der die Freiheit über Alles liebt, muß selbst Tyrann sein!

Lieutenant von Gardewitz. Herr Liszt, Sie haben auf Ehre meisterhaft gespielt!

Franz Liszt (ihn mitleidig betrachtend). Sie irren: ich spiele niemals auf Ehre, sondern auf dem Klaviere, für Ehre!

von Gardewitz (lachend). Aber Sie nehmen auch Geld!

Franz Liszt (mit einem ernsten Blicke). Von solchen Leuten, wie Sie, ja! Etwas muß ich doch für meine Mühe haben. (Geht weiter.)

Dr. Süß (zum Rezensenten Luftpumpe). Wo haben Sie denn den Lorbeerkranz?

Rezensent Luftpumpe. Hier in meinem Hute. Wo soll ich ihn sonst tragen? Ich konnte ihm auf der Straße keinen würdigem Platz geben, als meinen Kopf.

Frischer. Und das ist zugleich ein sehr verborgener Platz.

Luftpumpe (ihn zweifelhaft anschauend). Wünschen Sie was?

Frischer. Einen Wunsch hätt' ich: daß Sie keine Rezensionen mehr schnarchten. Ehrenwerther Mann, Ihr seid so langweilig wie ein Knaul Baumwolle. Ihr, plumpe Luftpumpe, schreibt immer drauf los, und schreibt immer drauf los, und habt doch nicht so viel Geist wie eine Bouteille Halbbier. Ich will es selber sein, wenn Ihr einen langweiligeren Kerl auf Gottes Erdboden findet, als Ihr seid! Und, ehrenwerther Mann, Ihr seid sehr im Irrthum, wenn Ihr glauben möchtet, es sei grob, wie ich gegen Euch spreche, obschon ich die Grobheit als ein letztes Gegenmittel hochachte. Ich schwör's bei Euren Verdiensten um den Schlaf, daß Ihr mir selbst gestehen müßtet, ich hätte die zarteste Ausdrucksweise gegen Euch ergriffen, wenn ihr meine Gefühle für Euch kennen lerntet.

Lucrezia (zu v. Kautokoff). Wollen Sie mir wohl ein Glas Eis besorgen?

von Kautokoff. Frucht odder Vanille?

Lucrezia. Erst Vanille, nachher Frucht.

Frischer. So viel Eis! Morgen wird ein Gewisser Schlittschuh laufen.

(Franz Liszt spielt wieder. Ungeheurer Beifall.)

Belladonna (leise zu Lucrezia). Jetzt ist es Zeit; das macht Aufsehen! Ich werde es nicht gleich bemerken.

von Kautokoff (aufschreiend). Mein Herr Gott!

Mehrere Stimmen. Was ist denn?

von Kautokoff. Hier liegt ein Mensch in Onnmächtig! Gäschwind eau de ...

Franz Liszt (hinzuspringend). Wie, Lucrezia ohnmächtig? (Er nimmt sein Flacon und näßt ihre Stirn.) Um Himmelswillen! Das hätte ich dieser kräftigen Natur nicht zugetraut.

Belladonna. Sie ist sicher von der Schönheit Ihres Spiels so ergriffen, überreizt.

Lucrezia. (schlägt die Augen auf; mit sehr matter Stimme). Wo – bin –ich?

Frischer (im tiefsten, kräftigen Baß). Im Hôtel de Russie!

Lucrezia. Ist – es – Tag?

Frischer. Künstlicher, denn es brennen viel Lichter. Sonst neigt es sich schon sehr gegen Abend. Nacht ist übrigens auch eine verwendbare Tageszeit: da sind alle Katzen grau.

Franz Liszt. Dem Himmel Dank, daß Sie wieder zu sich gekommen sind.

Lucrezia (immer noch sehr matt). Gewiß – kam ich – erst wieder zu mir, als – Sie – zu mir – kamen.

Franz Liszt. Ich bin selbst durch die Theilnahme angegriffen. (Zu einem Diener.) Ein Glas Wasser! (Er trinkt das Glas halb leer und stellt es auf das Pianoforte.)

Mehrere Damen (stehen auf, drängen sich und strecken sehnsüchtig die Hand nach dem Glase). O einen Tropfen! Ein paar Tropfen!

Baronin von Sinnen (hat sich mit aller Anstrengung Platz bis zum Pianoforte gemacht, ergreift das Glas und leert es in einem Zuge). Mein ist der Rest, und mir gehört er zu!

( Franz Liszt spielt unter jubelndem Applause weiter; als er am Schlusse des Concerts den Saal verlassen will, bilden Damen und Herren einen Kreis um ihn. Dr. Süß vertheilt bunte Gedichte zu Hunderten; Rezensent Luftpumpe drückt dem Künstler einen großen Lorbeerkranz auf den Kopf. Da ihm sogleich noch einer aufgesetzt wird, und der bedrängte Virtuos gern allen kunstsinnigen Damen gefällig sein möchte, so befiehlt er, den einen der Kränze zu lösen und die einzelnen Zweige unter die Damen zu vertheilen.)

Frischer (ergreift den Kranz, zerschneidet ihn und wirft den die Hände vorstreckenden Damen das Verlangte zu). Wünschen Sie auch ein Sträußchen? – Ah, Sie haben noch kein Sträußchen? – Es ist gar kein Mangel an Lorbeer! Hier ist gleich noch ein Sträußchen! – Und hier ist gleich noch ein Sträußchen! – Und da ist noch ein Sträußchen! – Und hier – ja nun ist kein – aber Sie haben noch kein Sträußchen?? Ja, da muß ich doch sogleich ... und hier haben Sie gleich noch ein Sträußchen, und Sie werden noch manches Sträußchen mit Ihren Eheherren haben, und da ist noch ein Sträußchen, und hier haben Sie gleich noch ein Sträußchen! – Aber nun ist kein Sträußchen mehr da! (Seinen Hut nehmend.) Indessen wenn die Sträußchen auch herunter sind, so habe ich doch noch die Ruthen zu Hause! Wenn Ihnen davon Etwas zu Verlangen steht, so haben Sie die Güte, mich morgen in der Frühe vor Sieben Uhr zu besuchen. Ich wohne in der Jungfernhaide No. 9, vorn heraus, Belleetage.

 

Dritter Act.

Lucrezia's Wohnung.

Lucrezia. Stürmischer Freund, meine Liebe ist höher als die Ihre. Ich weiß, daß ich verkannt werde. Man sagt mir nach, ich sei eine Coquette im unangenehmsten Sinne des Worts; mein Inneres sei leer an Wahrheit und Gemüth und an allem Edlen. Mein ganzes Thun sei Wucher. Mein scheinbarer Leichtsinn sei nicht einmal Leichtsinn; bei mir sei Alles Spekulation. Von Weiblichkeit könne nicht mehr die Rede sein, und jede süße Einfalt und Natürlichkeit wären durch meine Künste und durch meinen Schacher so weit vertrieben, daß ich nicht für mich allein im Zimmer natürlich husten könnte. (Lächelnd.) Ich bin erhaben über solche Vorwürfe. Nur ein Mal könnten sie mich schmerzen (ihn zärtlich anblickend): wenn sie auch bei Ihnen, edler Freund, wenn sie auch bei Ihnen den leisesten Glauben gefunden hätten.

Ein Virtuos. Ich glaube Ihnen, aber ...

Lucrezia (die Hand auf ihr Herz legend). Lassen Sie mir meine Unschuld, lassen Sie mir mein ruhiges, stolzes Bewußtsein: die einzige Waffe, welche ein Weib der verläumderischen Welt gegenüber führen darf. Ja, ich verehre, ich liebe Sie als einen Freund im höchsten Sinne! Aber sobald Sie über diese Schranken treten, haben Sie mich verloren.

Virtuos. Was glauben Sie von mir? Nur Ihre reine Seele hat mich an Sie gezogen.

Lucrezia. Greifen Sie in die Saiten, Freund! Lassen Sie diese aussprechen, was unsere ungetrübten Herzen empfinden. Spielen Sie!

Virtuos. Mit Vergnügen! (Er thut's.)


Im Entrée.

Virtuos (zum Diener Lucrezia's; der ihm Mantel und Hut reicht). Hier, mein Lieber! (Er gibt ihm einen Louisd'or.)

Diener. Der gnädige Herr sind zu generös! Womit habe ich das verdient?

Virtuos. Das Instrument ihrer Herrin ist schon sehr verbraucht. Ich werde ihr morgen ein neues schicken, ganz früh. Sorgen Sie dafür, daß es der Ueberraschung wegen aufgestellt werde, bevor sie aufsteht. Adieu!


Elegantes Zimmer im Hôtel de Russie.

Franz Liszt (sitzt vor einem Schreibtische, Briefe lesend). Bittschriften, nichts als Bittschriften! Beim Himmel, ich bin wohlthätig genug; kein König gibt so viel! Aber in diesem Berlin scheint bittere Armuth zu herrschen. Ja, ja!

Diener. Madame Peseke wünscht ihre Aufwartung zu machen.

Franz Liszt. Madame Peseke? – O, ich habe gar keine Zeit! Ich bin so ...

Diener. Es scheint eine Bittende zu sein.

Franz Liszt. Eine Bittende? Lass' sie herein. (Der Diener ab; Mad. Peseke tritt mit einer leichten Verbeugung ins Zimmer.)

Mad. Peseke. Ich habe das Verjnüjen, mit Herrn Liszt zu sprechen. Sie sollen so jut Klavier spielen, deß sich Allens nach Ihnen drängt, un Sie zwei Dhaler vor's Entrée nehmen können. Ich bin Madame Peseke; mein Mann war Horndrechsler, un starb vor anderthalb Jahren an ein nervöses Nervenfieber, welches er sich durch Erkältung zujezogen hatte. Es war nämlich – entschuldjen Sie, daß ich mich setze, ich bin sehr müde – es war nämlich in der Nacht vom 17ten Februar auf den 18ten, und wir schlafen janz...

Franz Liszt. O, Madame, ich bin sehr beschäftigt!

Mad. Peseke. Janz kurz! Wir schlafen janz ruhig, so is es mich mit ein Mal, als entsteht ein Jepolter in unsre Vorderstube neben der Werkstelle. Richtig: Mein Mann is auch ufjewacht un sagt zu mir: Christine – Christine is mein Vorname – Christine, sagt er, es is mir .....

Franz Liszt. Madame, Ihre Geschichte mag sehr interessant sein, aber ich bin außer Stande, sie anzuhören. Wenn Sie mir jetzt nicht sagen, was Sie wünschen, so muß ich dieß Zimmer verlassen.

Mad. Peseke. Ich wünschte, deß Sie so jut sind, ein Concert vor mich zu jeben. Denn so wie mein Mann starb, legte sich mein Schwager hin, ein Wittwer, – denn meine Schwester ist schon im Jahre 26 jestorben – un stirbt, un uf mich fallen seine fünf Kinder,.....

Franz Liszt. Es thut mir leid, aufrichtig leid, Ihrem Wunsche nicht Folge geben zu können. Allein wollte ich für alle Armen, die mich ansprechen, Concerte geben, so .......

Mad. Peseke. Ich bitte Ihnen sehr, es nur für mich zu thun. Sie können es ja alle Andern abschlagen, aber ich bin wirklich in die jrößte Noth, mein Herr! Sie werden doch nich wollen, deß sieben Kinder – meine zwei un die fünfe von meinen Schwager – verhungern sollen, un ich in's Schuldjefängniß ...

Franz Liszt. Mein Gott, mein Gott! Madame: ich kann, ich darf kein Concert für Sie geben. (Zur Chatulle gehend.) Aber erlauben Sie mir, Ihnen hier zwanzig Louisd'or zu überreichen, doch mit der Bitte, daß Sie nun, ohne Weiteres, Brod für Ihre Kinder kaufen.

Mad. Peseke (streicht das Geld ein). Ich danke Ihnen janz jehorsamst. Aber des müssen Sie doch sagen, es is Unrecht, daß Sie kein Concert für mich jejeben haben. Dadurch komme ich doch um viel Jeld. Denn ich will nur wenig sagen, so wären 400 Personen jekommen, un die Person zu zwei Dhaler jerechnet, das macht ...

Franz Liszt (die Thür öffnend). Madame, ich empfehle mich Ihnen!

Mad. Peseke. Es is mir sehr angenehm gewesen! Empfehl' mich Ihnen janz jehorsamst! (Ab.)


Vor dem Hôtel de Russie.

(Am 3ten März 1842, an welchem Tage Liszt Berlin verließ. Die Straßen sind mit neugierigen und theilnehmenden Menschen übersäet; Hunderte von Equipagen halten, um dem vergötterten Virtuosen das Geleit bis Friedrichsfelde zu geben. Liszt's Wagen, mit sechs Schimmeln bespannt, hält vor dem Hôtel de Russie.)

Leineweber (zum Sattler). Herr Jott, det is ja heute en Jedränge, als wie nach den Befreiungskrieg. Dazumal war et.......

Seine Frau. Jeeses, wat vor kleene Umwege Du aber noch immer nimmst, um uf Deine Medaille zu kommen! Wir wissen ja längst, det Du Deutschland befreit hast, det Du de Medaille hast!

Leineweber (sie auf die Schulter klopfend). O ick habe ooch 't Kreuz! Un überjens bin ick ooch wirklich stolz daruf. Det is doch besser, als alles das andere dumme Zeug.

Sattler. Sage mal, Bruder, wo liegten det freie Deutschland, wat Du jemacht hast?

Baronin von Sinnen (zum Kutscher). Hier halt' an, Friedrich! Von hier aus kann ich den Herrlichen in den Wagen steigen sehen – (sich die Augen trocknend) um uns auf ewig zu verlassen.

Gensd'arme (zum Kutscher). Sie müssen dahinten halten! Die Wagen dürfen nich aus de Reihe!

Baronin von Sinnen. O gemeine Wirklichkeit: Dein Name ist Gensd'arme!

Jeppenbrecht. Hör' mal, Kuleke, wat is 'n mit dem Liszt eejentlich los? Wat macht 'n der Mann?

Kuleke. Er kann 'ne Viertelmeile hoch fliegen un bläst de Flöte von oben runter! Det Außerordentlichste is aber, det er immer zwee Melodieen mangenander bläst, z. B. Heil Dich im Siejerkranz un Mach' mir keene Wipkens vor.

Bube (mit einem Kasten vor sich). Bester Herr Baron, koofen Sir mir eenen Liszten voir Jips ab! Herr Jraf, haben Se de Jüte! Zwee Silberjroschen, Exlenz! Sehen Se, Exlenz, ick will mir blos mit Liszten en paar Jroschen verdienen, weil meine Frau um ihn verrückt jeworden is.

Lemmchen. Bursche, Du bist ja kaum zwölf Jahre alt!

Bube. Bester Herr, was schadet dieses? Jugend is eine sehr schöne Jahreszeit. (Zu einem andern Herrn.) Herr Jraf, koofen Sie mir eenen Liszt ab!

Kuleke. Na nu muß doch aber Liszt bald raus kommen! Et is ja schon halb Zwee, un die Studenten, die ihn bejleiten, sind schon lange da!

Morchel. Du, Paffling, Du kannst ja en bisken lateinisch: wat heeßten det, wat die Studenten neulich jesungen haben, wie Liszt in de Aulala in de Universität vor de armen Studenten jespielt hat, un wie se ihm de Pferde ausspannen wollten, un er lieber zu Fuß mit ihnen jing?

Paffling. Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus. Das heeßt uf deutsch: Wir freuen uns, deß wir Jünglinge nich dumm sind; denn mit Liszten fangen wir öffentlich an, un mit Politik hören wir uf.

Jeppenbrecht (schreit). Da is Liszt, da is er! (Allgemeines Gewirr, und der Ruf: Wo denn? Wo denn?)

Kuleke. Du bist woll nich klug: Det is ja en Briefträger!

Jeppenbrecht (auf den Gipskasten des Buben deutend). Hier is er ja! Den meen' ick. (Zu einem Kutscher.) Na, na, fahre mir man nich über, uniformirter Pferdedreiber! Ick wer' mir hier ooch noch vor meine Talent-Anerkennung überfahren lassen! Wenn Er blind is, denn kann Er den Zügel nich führen, versteht Er?

Kuleke. Sage mal, Jeppenbrecht, hast Du die Concerte von Liszten besucht?

Jeppenbrecht. Ne: zwee Dhaler, det stört bei mir! Wenn ick zwee Dhaler hätte, denn säh' ick nich so schlimm aus. Aber er hat vor mir mal jespielt.

Kuleke. Vor Dir? Wo so?

Jeppenbrecht. Na ja: er spielte vor den Kölner Dom, und da hab' ick Aussicht, Arbeit zu kriejen. In de Betstunde, die ick besuche, da hab' ick Vorsprache.

Kuleke. Jott, wat wollte ick vor zwee Dhaler spielen! Seh' mal, ick spiele doch ooch, wie Liszt, jeden Abend von Achte bis Zehne Solo, aber bei mir stürzen de Leute nich hin und reißen sich drum, zwee Dhaler los zu werden!

Jeppenbrecht. Wer weeß? Du mußt et mal bekannt machen. Die schöne Zeiten, wo eenen de jebratene Dauben in den Mund flogen, sind seit Erfindung der Herrscher vorüber. Sage mal: wo reist'n nu Liszt eejentlich hin?

Kuleke. Nach Sibirien.

Bischelwitz (zu seiner Frau). Na, Aujuste, nu dächt' ick, drängelten wir uns nich länger. Halte Dir an 't Jelänter fest, aber nimm Dir 'n Acht, det de nich in de Spree fällst, denn sonst wirste naß.

Seine Frau. Ob ich ertränke, des rührt Dir also nich?

Bischelwitz. Det kann nich vorkommen: davor sind de Rettungs-Medaillen.

Gutschmidt. Sagen Se mal, Bischelwitz, is Ihre Frau Jemahlin ooch so nach Liszten? Meine, die is wie nich klug. Die hat nich mehr de Nacht Ruhe, un mir läßt se ooch keene. Lauter Fortepjano! Een Fortepjano nach det andere! Die Frau, sag' ick Ihnen, jreift de janze Nacht umher, un wirthschaft im Traum uf de Bettdecke rum, det ick keen Ooge zumachen kann.

Banquier (sehr laut zu seinem Kutscher). Johann! Halte! (Zu seinen Damen.) Bei Jott, das Jedränge is jroß! das kann dauern seine runde Fünf Stunden, bis wir kommen retour von Friedrichsfelde. Und ich versäume de Börse! Wenn er jespielt hätte bei mir in de Soarée, wollt' ich nischt sagen, aber so ihm ßu folgen, ohne weiter was jehabt ßu haben, als jejen Vierßig Thaler ausjejeben ßu haben vor Billets: Des is meine Frau! Bei Jott, des is meine Frau! Ich nicht!

Registrator. Haben Sie gehört, Herr Doctor: Liszt soll der Lucrezia einen neuen Flügel geschenkt haben.

Arzt. Und wenn er ihr noch einen schenkte, sie würde sich nie zur Kunst emporschwingen können. Sie ist immer unwahr, coquett, manierirt!

Jeppenbrecht. Sage mal, Kuleke, weeßt Du, wie die Wagen folgen? Wer mag 'n jleich hinter Liszt kommen?

Kuleke. Een Pollizist kommt hinter Liszt.

Jeppenbrecht. Man nich!

Kuleke. Na ja, wat wunderschten Dir! Pollezei is Hinterlist.

Madame Steifling (zieht ihren Mann durch das Gedränge). Man immer zu, immer zu, Steifling! Ich muß bis uf de Treppe! Er muß mir ansehen, wenn er insteigt: eenen Blick, un ich bin uf Zeitlebens zufrieden.

Jeppenbrecht. Seh' mal: Liszt un Phlegma!

Steifling. Herrjees, Du reißt mir mein Bruststück von den Rock um den eenen Blick von Liszten ab! Sei doch vernünftig! Die Leute laaßen mir ja nich durch! Ick bin ja keen Windzug! Ick habe ja meine Ausdehnung, meine Periefrie!

Madame Steifling. Man immer zu!

Mehrere Stimmen. Na na, na na, hier wird nick mehr weiter vorjejangen! Wer erst kommt, mahlt erst! Da is er, da is er! Franz Liszt, vivat hoch!

Allgemeines Geschrei: Franz Liszt, vivat hoch!

(Franz Liszt reißt sich aus einer Umarmung nach der andern und steigt endlich, bleichen Angesichts und tief erschüttert, in den Wagen. Die Senioren der Studenten setzen sich zu ihm. Das Comitat der Universität bestehet aus 30 vierspännigen Wagen und 50 reitenden Studenten in akademischer Festtracht. Diesen folgen unzählige Privat-Equipagen. Eine bunte, jubelnde Menschenmasse bedeckt alle Straßen bis zu dem entfernten Thore.)

Frischer (mit Thränen in den Augen, zu einem Freunde). Ich will von lauter Motten aufgefressen werden, wenn das nicht rührend ist! Talent und Geist, und eine Auszeichnung wie einem König! und eine größere, denn hier kam das Meiste aus ächter Verehrung. Wenn sie jetzt nur nicht stehen bleiben, und kein Katzenjammer documentirt, daß es ein Rausch war! Wenn sie nur auch die höhere Verehrung den bedeutungsvolleren Künsten, den Helden des Geistes werden lassen: dann wohl uns! (Sich umschauend.) Da fährt er hin, in lautem, öffentlichem, jubelndem Triumphe, und hat doch nur Klavier gespielt und seinen Ueberfluß edel mit den Armen getheilt! Ist es nicht schön, daß das Talent die Kraft hat, die Politik, die wichtigsten Sorgen des Landes, seine unruhige Gegenwart und seine dunkle Zukunft vergessen zu machen! (Mit einem Blick gen Himmel.) Es ist etwas Hohes um die Kunst! (Den Hut abnehmend.) Dank Dir, erhabener Gott! Sie soll uns retten. (Nimmt den Arm des Freundes.) Kommt, Freund, kommt hier die Linden hinunter! Ich will zu Spargnapani und die hannövrische Zeitung lesen: Abwechslung ergötzt! Der Mensch ist Geist und Fleisch; ich will Fleisch sein; ich will die hannövrische Zeitung lesen! Wenn ich einst am jüngsten Tage von dem Richter unser Aller um meine Sünden gefragt werde, so will ich antworten: Herr, verzeih' mir, ich habe die hannövrische Zeitung gelesen! (Sich noch einmal umblickend.) Leb' wohl, Piano und Forte dieser Tage! (Die Hände ausbreitend.) Berlin, Dein Jubel und Deine Narrheiten seien Dir vergeben! Besser solcher Jubel als ein anderer; besser solche Narrheiten als andere!


Druck von Bernh. Tauchnitzjun.


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