Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

34.
Graf Rauten


Welchen Aufruhr das in den Familien von Rhodenburg gab, als man die kaum glaubliche Nachricht von den im Solberg'schen Hause stattgehabten Vorgängen erhielt! Schon das Abbestellen des Festes überraschte die Gäste. Was war da vorgefallen? Da drang das Gerücht, erst unbestimmt, und bald darauf in allen Einzelheiten durch die Stadt, daß Graf Rauten gar kein Graf, sondern ein schändlicher Verbrecher gewesen, der nur im Sinne gehabt hatte, die Mitgift zu erlangen und seine junge Frau in irgend einer fremden Stadt beraubt und elend sitzen zu lassen. Und dabei war seine eigene Frau eingetroffen, die er schon bestohlen, und den Hauptmann von Dürrbeck hatte er ebenfalls umgebracht und einen andern Menschen erschlagen und eine Familie vergiftet, und Gott weiß, was die Leute noch dazu setzten, um die Sache nur recht schrecklich und schaudererregend zu machen. Man begnügt sich bei solchen Gelegenheiten ja fast nie mit den einfachen Thatsachen, sondern setzt bei jedesmaligem Weitererzählen noch immer wieder eine Kleinigkeit zu, bis die Sache dann über Rand und Band hinausgeht.

Und da hinein kamen plötzlich wieder die erneuten Einladungen der Solberg'schen Familie für alle Gäste, nur die Familie Schaller ausgenommen: aber, wo war auch Schaller?

Noch an dem Nachmittag, als sich Niemand um ihn bekümmerte, denn die Leute hatten heute wirklich andere Dinge im Kopf, sandte er durch einen Dienstmann eine Anzahl von Koffern und Kisten auf die Bahn als Eilfracht an eine befreundete Adresse. Er selber schlenderte in seinem gewöhnlichen Anzug dann auf die Bahn hinaus und nahm ein Billet nach einer unfern davon gelegenen Stadt, wohin die Rhodenburger oft Vergnügungstouren machten. Was dort aus ihm wurde? Niemand achtete darauf; aber in Rhodenburg ließ er sich nicht wieder blicken, und seine Gläubiger mochten sich an die wenigen zurückgebliebenen Möbel halten, die nicht einmal sein Eigenthum gewesen. –

Hans hatte allerdings bei seinen Eltern einen etwas schweren Stand gehabt, um das Fest auf den nächsten Abend noch durchzusetzen; denn daß sich Beide dazu nicht in der Stimmung fühlten, läßt sich denken; aber gerade mit Fränzchen's Hülfe siegte er zuletzt. Fränzchen selber war allerdings, wie er nur die erste Aeußerung dahin gegen sie machte, außer sich über eine solche Zumuthung. Als er ihr aber vorstellte, und dazu seine ganze Beredsamkeit aufbot, daß sie dann in der ganzen Stadt nur als trostlose, verlassene Braut geschildert würde und eine Menge ihrer sogenannten Freundinnen darüber triumphiren könnten, wie sie um solch einen Bräutigam trauere, da gewann der Stolz bei ihr die Oberhand, und mit blitzenden Augen ging sie darauf ein, sich der Gesellschaft wieder heiter wie immer zu zeigen. Sie hatte ja auch keinen Bräutigam verloren, sie war nur der Gefahr entgangen, von ihm, dem schon verheiratheten Manne, beraubt und verlassen zu werden, und wie sich der Bube jetzt in den Händen der Gerichte befand, mußte sie zeigen, daß sie ihn verachte.

Und befand sich Rauten wirklich in den Händen der Gerichte? Unter polizeilicher Aufsicht allerdings, aber schon aus dem Bereich menschlicher Strafe, denn der Tod hatte den Arm nach ihm ausgestreckt, und die Aerzte, die sein Lager umstanden, schüttelten bedenklich mit dem Kopf. So furchtbar war die Wunde und so schwer verletzt hatte sie ihn im Innern, daß Rettung unmöglich schien, und um ihn nur noch in einzelnen der vorliegenden Fragen einem Verhör zu unterwerfen, so lange er noch fähig war zu sprechen, begab sich einer der Gerichts-Assessoren mit dem Actuar in das Spital an sein Bett. Aber er antwortete nicht. Mit finster zusammengezogenen Brauen, die Züge nur manchmal zuckend vor innerlichem furchtbaren Schmerz, lag er da, sah den Assessor höhnisch an und murmelte halb verbissene Flüche in den Bart. –

Indessen war Karl Handorf nach Hause gekommen und in quälender Unruhe im Zimmer auf und ab gegangen. Daß dieser Bube damals die Mordthat verübt, wegen der er unschuldig gelitten, davon war er jetzt fest überzeugt; aber wie konnte er die Welt davon überzeugen, wenn man kein wirkliches Geständniß aus ihm herausbrachte? Blieb er selber denn nicht ehrlos sein ganzes Leben lang? Was half es ihm da, wenn den Mörder doch zuletzt seine Strafe erreichte? Es litt ihn nicht zu Hause, und von Angst und Unruhe gefoltert, eilte er selber hinaus nach dem Spital, um den Elenden noch einmal zu sehen und zur Rede zu stellen. Daß man ihn wahrscheinlich gar nicht zu ihm lassen würde, daran dachte er nicht, und doch war es so. Als er die Thür des Spitals erreichte und sein Anliegen vortrug, wurde er einfach abgewiesen. Es waren jetzt schon Herren vom Gericht oben, und wenn er etwas von diesem Kranken wolle, so müsse er sich an den Herrn Assessor wenden; es sei strenger Befehl, Niemand zu dem Gefangenen zu lassen, und sie dürften davon nicht abweichen.

Alle Bitten Karl's halfen ihm nichts, und er wollte schon gerade umkehren, um den alten Notar Püster aufzusuchen und durch dessen Vermittlung vielleicht die Erlaubniß zu erhalten, als der Assessor mit seinem Begleiter unverrichteter Sache von oben herunter kam und aufs Gericht wollte.

Der Assessor kannte natürlich den aus dem Zuchthause entlassenen und nach Rhodenburg zurückgekehrten Karl Handorf. Die Polizei mußte solche Leute kennen, um sie, wenn sie auch nicht mehr ausgesprochen und officiell unter polizeilicher Aufsicht standen, doch immer im polizeilichen Auge zu behalten. Außerdem kannte er von Püster selber den ganz bestimmten Verdacht, den der Verurtheilte gegen den jetzt Gefangenen geäußert und ausgesprochen hatte, und die Möglichkeit lag ja doch immer vor, daß er die Wahrheit sprach, wenn es ihm auch nicht in den Kopf wollte, daß irgend ein deutsches Gericht einen Unschuldigen zu Zuchthausstrafe verurtheilen könne. War denn aber nicht ein Fall denkbar, daß Beide zusammen in dieser Sache gewirkt haben konnten, während jetzt vielleicht der Anblick seines früheren Genossen, der gegen ihn ausgesagt, den Verbrecher reizen konnte, selber zu gestehen?

Alle diese Gedanken zuckten ihm blitzschnell durch den Kopf, und sich gegen den jungen bleichen Mann wendend, sagte er:

»Wohin wollen Sie?«

»Ich wollte hinauf und den Verwundeten sprechen,« sagte Karl mit bebender Stimme; »er ist der Einzige in der Welt, der mir meinen ehrlichen Namen zurückgeben kann.«

Der Assessor sah ihn eine Weile still und forschend an – dann sagte er: »Kommen Sie!« – drehte sich um und schritt wieder die Treppe hinauf, dem Zimmer des Verwundeten zu. Aus diesem trat eben der Arzt.

»Ich glaube,« sagte dieser, »es wäre besser, Sie ließen ihn jetzt lieber ungestört, er hat eben wieder einen seiner Krampfanfälle gehabt, und wenn sich die wiederholen, kann er es nicht lange mehr machen. Zu heilen ist er keinenfalls.«

Der Assessor war nicht der Mann, sich durch Rücksichten abhalten zu lassen.

»Ist er jetzt bei Besinnung?«

»Vollkommen.«

»Gut. Dann werde ich ihm nur noch eine Frage vorlegen; er wäre mir angenehm, Herr Doctor, wenn Sie uns begleiten wollten.«

»Ja,« sagte der Arzt, »ich muß sogar darauf bestehen, daß ich zugegen bleibe, denn ich möchte den Kranken nicht unnöthiger Weise aufgeregt haben, und erkläre hiermit auf das Bestimmteste, daß ich Ihnen nicht mehr als zehn Minuten gestatte. Für alles Weitere übernehmen Sie selber die Verantwortung.«

Der Assessor, der sich ärgerte, daß ihm ein gewöhnlicher Arzt hier Vorschriften machen wollte, nickte nur einfach mit dem Kopfe, und betrat dann, von Karl Handorf dicht gefolgt, das Gemach.

Der Kranke lag auf dem Rücken. Er hatte seine Augen geschlossen, mit einem schmerzlichen Ausdruck in den Zügen. Als er das Geräusch der geöffneten Thür vernahm, sah er auf, und ein spöttisches Lächeln glitt über sein bleiches Antlitz, als er den Assessor wieder erkannte – aber weit öffneten sich seine Augen, als Handorf hinter ihm eintrat, und finster zogen sich seine Brauen zusammen.

»Was will der da?« zischte er durch die zusammengebissenen Zähne hindurch. »Wollten sie alle kommen, der Raum hier reicht nicht hin, sie zu fassen! Fort, ich will keinen Menschen mehr sehen, es ist vorbei!«

»Und kennen Sie den Mann da?« fragte der Assessor und hielt die kleinen, halb zusammengekniffenen Augen fest auf den Kranken gerichtet.

»Das fade, alltägliche Gesicht sollte ich nach sieben oder acht Jahren wieder erkennen?« lachte Rauten bitter. »Das wäre viel verlangt; aber den Stock kenn' ich, damit erschlug ich den Juden – ich – und das nicht allein: ich erschlug auch acht Tage später in dem nämlichen Walde den Müller, der mit einem vollen Geldgurt nach Hause zurückkehrte – und sind Deine Collegen, Du Actenratte, je auf die richtige Spur gekommen? Und bin ich nicht Wochen lang nachher noch unter ihrer eigenen Nase herumgegangen? Aber das nicht allein – in Amerika liegen im Walde verscharrt drei Leichen – oh, Teufel!« zuckte er zusammen – »oh, Gift, Gift! Es brennt mir im Innern! Fort mit Euch, fort! Was will die bleiche Gestalt da drüben mit dem langen, weißen Kleide! Hülfe, sie kommt wieder näher und schiebt ihre kalte Hand in meine Wunde – Hülfe!«

Er fiel erschöpft auf sein Lager zurück.

»Meine Herren,« sagte der Arzt, »ich muß Sie jetzt dringend bitten, das Zimmer zu verlassen.«

»Aber Sie haben gehört, was er sagte?« rief Karl. »Oh Du mein Gott im Himmel! Oh Du mein Gott im Himmel!«

»Ich habe es gehört,« sagte der Arzt freundlich, »und die beiden Herren hier ebenfalls. Aber jetzt gehen Sie; Sie können auch für den Augenblick nicht mehr erreichen. Sollte er sich heut Abend oder morgen früh wieder wohler befinden, werde ich es Sie selber wissen lassen, Herr Assessor.«

Der Assessor nickte. – Der Verwundete lag allerdings mit geschlossenen Augen da, und es war vor der Hand nichts weiter anzufangen. Die letzte Aussage oder vielmehr Selbstanklage desselben mußte aber jedenfalls und noch frisch im Gedächtniß gleich zu Protokoll genommen werden, und Karl Handorf wurde in einem Seitenzimmer ebenfalls dazu gezogen, um noch weitere Auskunft, und besonders genaue Ortsangabe jener Gegend in Schlesien zu liefern, damit sich das Gericht dorthin, auch des neuen Geständnisses wegen wenden konnte.


An dem Tage gab es vielleicht keinen mehr beschäftigten Menschen in ganz Rhodenburg, als Hans es war, und zwar hatte die junge Amerikanerin darin einen nicht geringen Antheil, denn er gab sich die größte Mühe, ihr alles durch Rauten Verlorene nur sobald als möglich wieder zuzustellen. Daß sie außerdem die rechtmäßige Eigenthümerin des prachtvollen Schmuckes sei, den Rauten seiner Braut geschenkt, stellte sich ebenfalls bald als unzweifelhaft heraus, und Franziska war nur zu froh, ihn zurückgeben zu geben. Traf sie doch jede Erinnerung an den Elenden wie ein Stich in's Herz!

Hans hatte aber auch nebenbei eine Menge von Einkäufen zu machen, that das aber ganz allein und mit einem außerordentlichen Geschick, und ließ auch die Sachen nicht etwa in seine Wohnung schaffen, sondern in Kisten verpacken, um sie später einem Spediteur zu übergeben.

Als er wieder durch den Brink kam, standen unten in dem Hause, in welchem Herr von Schaller wohnte, eine Anzahl von Leute und sprachen sehr heftig mit einander. Hans zögerte an der Thür, aber nur für einen Moment, denn er konnte und durfte die Wohnung eines Mannes nicht wieder betreten, von dem es fast erwiesen war, daß er bei Rauten's Betrug willig die Hand geboten. Und welchen andern Zweck konnte er dabei verfolgt haben, als nur sein eigenes Interesse, also um Geld den Verrath einer Familie, die ihm nur Freundliches erwiesen! Daß Schaller ihm selber eine doch immer nicht unbeträchtliche Summe schuldete, machte ihm keine Sorge. Er wußte doch, er bekam das Geld nie im Leben wieder, und hatte es verschmerzt.

Nur einen der Leute unten, als er vorüberging, fragte er, was es da gäbe, und erhielt auch die Bestätigung dessen, was er schon vermuthet.

»Die Leute,« sagte der Mann, »suchen den Herrn von Schaller, aber er ist nirgends zu finden, und Gott der Gerechte, so ein vornehmer Herr …«

»Arme Kathinka!« dachte Hans bei sich, und es drängte ihn fast, hinauf zu gehen und zu sehen, ob er ihr eine Hülfe leisten könne; aber er bezwang sich trotzdem. Er konnte viel besser Jemand beauftragen, sich nach den Verhältnissen zu erkundigen, und war dann nicht der Gefahr ausgesetzt, da oben der Frau von Schaller in den Wurf zu laufen, denn daß er der nicht ohne ein bedeutendes Opfer entgangen wäre, wußte er vorher.

Und da oben wohnte Käthchen, sein Käthchen, und oh wie gern wäre er die Treppen hinangesprungen und hätte sein liebes, liebes Bräutchen noch einmal in die Arme geschlossen! Aber das ging nicht, das schickte sich nicht, und er mochte ihr auch nicht weh thun, denn er wußte, wie ungern sie es gesehen, und doch hätte er noch so Vieles und Wichtiges mit ihr zu bereden gehabt.

Die Straße herunter kam Oberstlieutenant von Klingenbruch; aber der sonst so freundliche und eigentlich auch stets fidele alte Herr war heute in tiefen Gedanken. Hans sah ihn erstaunt an; er ging unmittelbar an ihm vorüber und bemerkte ihn gar nicht. Er hob die Augen nicht einmal vom Boden, sondern schritt so in sein Haus hinein.

Was konnte da vorgefallen sein? Aber Hans hatte den Kopf selber zu voll, um sich auch noch mit anderer Leute Angelegenheiten zu beschäftigen. Es war ihm sogar angenehm, daß ihn Klingenbruch nicht angeredet, denn um was anderes hätte sich das Gespräch drehen können, als den unglückseligen Fall in seinem eigenen Hause?

Den Abend brachte er in seiner eigenen Familie, das heißt nur in den Räumen derselben zu, denn weder Fränzchen noch seine Mutter ließen sich sehen, sondern blieben auf ihren eigenen Zimmern. Nur der Vater saß etwa eine Stunde bei ihm, aber auch still und einsilbig. Er hatte ebenfalls gehört, daß Herr von Schaller spurlos verschwunden sei, und fühlte sich tief gekränkt, aber nicht etwa durch die Schlechtigkeit der Menschen, sondern vielmehr durch den Verfall des Adels, der dadurch nur dem bürgerlichen Stande eine willkommene Waffe gegen sich in die Hand gab.

»Es ist vorbei, mein Sohn,« sagte er zu Hans, als er mit ihm später allein am Theetische saß und eine Weile vor sich nieder gestarrt hatte, »der Glanz der alten Geschlechter stirbt aus, und ich sehe überhaupt die Zeit herannahen, wo alles Capital, aller Grundbesitz in den Händen von Juden und Speculanten sein wird, während die heruntergekommenen Geschlechter unsers alten Adels in alle Winde zerstreut werden, wie jetzt der Stamm Israel's verstreut und von ihnen verachtet ist.«

»Und wer trägt die Schuld daran, Vater?«

»Ich weiß es nicht,« seufzte der alte Herr, »ich kann es mir nicht denken, kann es nicht begreifen; aber es ist so, denn wer nicht blind sein will, mag es mit eigenen Augen sehen. Nimm unsere alten und altadeligen Rittergutsbesitzer, die ländlichen Grafen und Barone des Landes, den eigentlichen Kern desselben. In früheren Zeiten hatten sie die ganze Macht, die Gerichtsbarkeit, die Frohnen – es waren lauter kleine Fürsten auf ihrem Eigenthum, aber der neue Geist der Zeiten wirft Eins nach dem Andern über den Haufen. Die Frohnen wurden abgelöst, die Gerichtsbarkeit nahm der Staat, selbst die Jagd wurde auf ihren paar Aeckern den Bauern zugestanden, aus dem Patronatsherrn machte man mit einem Worte nichts weiter als einen großen Bauer, und da dieser seinem Stande nach nicht mit dem kleineren concurriren konnte – denn sein Rang verpflichtete ihn, ein großes Haus zu machen –, so geht er nach und nach selbst da zu Grunde. Nimm zum Beispiel Hoheneckhaus, das aus zwei vollkommen gleichen Rittergütern besteht, die meinem alten Freunde, dem Grafen Nossy, gehören. Vor zehn Jahren etwa, bald nachdem Du uns verließest, war er gezwungen, eins derselben zu verkaufen, weil ihn seine beiden Söhne so in Schulden gestürzt, daß er sich nur dadurch retten konnte. Oberhoheneckhaus behielt er selber und bewirthschaftete es in der alten Weise und in herrschaftlicher Art. Er mußte in seiner Stellung ein Haus machen und zeigte sich seines alten Namens würdig. Unterhoheneckhaus kaufte ein Jude, Levy Rainer, und bewirthschaftete es ebenfalls, aber in seiner Weise. Anstatt das große, prachtvolle, herrschaftliche Gebäude zu bewohnen, machte er eine Fabrik daraus und setzte sich selber nebenan in die Verwalterwohnung. Er gab keine Gesellschaften und wurde natürlich in keine eingeladen, aber das Gut glich von da an keinem Rittersitze mehr, sondern einem Bienenschwarm, und was sind die Folgen? Vor vier Wochen hat Levy Rainer auch den Kauf über Oberhoheneckhaus mit dem Grafen abgeschlossen, der sich nicht länger halten kann, während der Jude ein steinreicher Mann geworden ist. Und das bleibt nur ein Beispiel aus Tausenden; es geht bergunter mit der Welt und langsam, aber sicher wieder dem Chaos entgegen.«

»Aber sage mir, Vater,« erwiderte Hans, »sollte da nicht der Adel selber wieder Anstrengungen machen, dem zu begegnen? Er hat dieselben geistigen Kräfte wie der Bürgerstand – warum ihm da nicht auf gleichem Gebiete begegnen?«

Der alte Baron schüttelte mit dem Kopfe, »Das geht nicht, mein Sohn,« sagte er ruhig; »es wäre ein Unding, denn der Adel selber müßte dann vollständig aufhören.«

»Und wäre das ein Unglück, Vater?« lächelte Hans. »Sieh Dir das weite, mächtige Reich der nordamerikanischen Union an, dort giebt es gar keinen Adel …«

»Ja, ja,« erwiderte der Baron, mit der Hand wehrend, »ich weiß schon, was Du sagen willst; dort ist aber auch eine Republik, und ehe ich in einer Republik leben möchte, sollte man mich zu meinen Vätern in die stille Gruft legen – Gott bewahre mich davor.«

»Und doch, was für brave und tüchtige Menschen giebt es im Bürgerstande, Vater!« sagte Hans. »Nimm zum Beispiel einmal die Frau von Schaller oder die Frau Oberstlieutenant Klingenbruch, und setze denen unser kleines Käthchen gegenüber, das zuerst diesen adeligen Herrn von Tröben, der sich Graf Rauten nannte, durchschaute – und trotzdem, ja gerade deshalb mußte sie unser Haus verlassen.«

»Das war nicht meine Schuld, Hans,« sagte der alte Herr rasch. »Ich gebe Dir mein Wort, mir hat es damals weh genug gethan, als das Kind unser Haus verließ; aber sie wollte es selber nicht anders, und wir konnten sie doch nicht bitten, bei uns zu bleiben – das wirst Du einsehen.«

»Dir hat es leid gethan, Vater?«

»Gewiß, mein Sohn; ich war gewohnt, das Käthchen als mein eigenes Kind zu betrachten, und habe es noch nicht vergessen; doch wer konnte ahnen, daß wir in unserem Hause einen Teufel beherbergten wie ihn die höllischen Regionen nicht schlimmer senden könnten – oh, womit habe ich das verdient, womit habe ich das verdient!«

»Vater,« sagte Hans mit leiser gedrückter Stimme, indem er dem alten Herrn aber fest ins Auge sah, »es giebt Fälle, die unser Verstand nicht ergründen kann; Du fragst, womit Du das verdient – andere Menschen können nicht in Dein Inneres sehen, das mußt Du selber thun – findest Du da nichts? Du sollst mir die Frage nicht beantworten, Vater,« setzte er rasch hinzu, als er bemerkte, daß ihn der alte Herr fast erschreckt ansah, »nur an Dich selber sollst Du sie richten – ist da gar nichts, was sie Dir vielleicht beantworten? – Doch wir kommen da auf ein ganz anderes Capitel,« brach er kurz ab, denn es entging ihm nicht, daß sich der alte Herr entfärbte – »über ganz etwas Anderes wollte ich mit Dir reden: es ist nämlich nicht allein möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß ich noch im Laufe dieses Jahres zurück nach Peru muß …«

»Du willst wieder fort?« rief der Vater erschreckt.

»Ich habe Briefe bekommen, die es wenigstens in Aussicht stellen,« sagte Hans, »wenn auch jetzt noch gar nichts darüber bestimmt ist, und dann wäre es immer nur noch auf wenige Jahre, denn sterben möchte ich da drüben selber nicht. Aber vorher habe ich noch hier ein Geschäft zu ordnen, das Dich vielleicht sogar beruhigt, Papa, indem ich von da an kein so wildes Leben mehr führen werde.«

»Und was ist das?« sagte sein Vater und sah erwartungsvoll zu ihm auf.

»Ich will heirathen, Vater.«

»Dich vermählen?« rief der Baron erstaunt aus.

»Wenn Dir das besser klingt – ja.«

»Und mit wem? Ich habe gar keine Ahnung, welcher Familie Du Dich zugewandt!«

»Keiner, Papa,« sagte Hans ruhig; »ich heirathe ein alleinstehendes armes, aber braves Mädchen.«

»Hans!« rief der Baron erschreckt.

»Wolltest Du lieber, daß ich mich um eine adelige Dame beworben hätte,« sagte Hans bitter – »zum Beispiel Kathinka von Schaller, so brav und ehrenwerth sie sonst sein mag, aber mit ihr einen Betrüger und Schwindler zum Schwiegervater bekäme?«

Der alte Baron seufzte tief auf.

»Oder eine der leichtfertigen jungen Damen Klingenbruch, die mir die Heimath zu einer Hölle machen würden …«

»Aber, Hans, es giebt auch noch Andere!« rief Herr von Solberg.

»Ja,« lachte Hans, »von den ›Anderen‹ habe ich mir eben eine ausgesucht, und ich glaube, Du wirst mit ihr zufrieden sein.«

»Und darf ich ihren Namen nicht wissen? Schämst Du Dich ihrer?«

»Bei Gott nicht, Vater!« rief Hans bewegt aus. »Aber Mutter hat ihr Herz daran gesetzt, daß die Verbindung ihrer Kinder auch an ihrem eigenen Hochzeitstage geschlossen werde, und wenn das nun auch morgen mit unserer Trauung nicht möglich ist, so wollen wir doch wenigstens morgen Abend im Freundeskreise unsere Verlobung feiern.«

»Und darf ich nicht wissen, wen Du mir als Tochter zuführen willst?«

Hans schüttelte lächelnd den Kopf. »Heute noch nicht, Papa,« sagte er, »es verdürbe mir ja sonst die ganze Ueberraschung; aber sei versichert, daß ich eine gute Wahl getroffen, und nach den Erfahrungen, die wir in der nächsten Zeit gemacht, glaube ich, daß ich Dir auch ein braves Bürgermädchen als Schwiegertochter zuführen darf.«

»Hans!« rief der alte Baron bestürzt.

»Ueberdies,« setzte Hans hinzu, »möchte ich keine unserer stolzen, hochadeligen Damen da hinüber in jene fremde Welt führen, denn welchen Umgang könnte ich ihr dort bieten – die Mischlingsrace von Cholus und Creolen höchstens, und meist dazu rohes, ungebildetes Volk. Nein, Papa, ich glaube, ich habe mit ihr mein Glück begründet, und möglicher Weise hast Du selber Freude daran.«

Der alte Baron seufzte recht aus tiefer Brust auf, aber die letzten Ereignisse hatten doch seinen alten Stolz gebrochen; er wagte keine Erwiderung dem überhaupt vollkommen selbstständigen Sohne gegenüber, und als sich Hans bald darauf in sein eigenes Zimmer zurückzog, saß er wohl noch eine Stunde allein am Tische und grübelte über den Verfall der alten Adelsvorrechte nach, die jetzt sogar von den Söhnen und Enkeln selber unterwühlt würden.

So kam der nächste Tag, und im Solberg'schen Hause wurden die Festesvorbereitungen erneut; aber es war doch dazu nicht das rechte Leben, denn selbst die Dienerschaft fühlte, es sei nur eine erzwungene, gewaltsam fast hervorgerufene Feier, um eben das alles zu betäuben, was noch auf dem Herzen der Familie lag. Es schien wenigstens zu unnatürlich, daß Franziska, das gnädige Fräulein, sich so leicht über den Verlust eines Mannes hätte hinwegsetzen können, den sie sich doch bis dahin als den Führer durch ihr ganzes übriges Leben gedacht.

Hans vielleicht war der Einzige, der dieses drückende und unbehagliche Gefühl nicht theilte, denn in dem Bewußtsein, die Schwester vor einem furchtbaren Unheil bewahrt zu haben, wie in dem seines eigenen Glückes, kümmerte es ihn verwünscht wenig, was sich die Stadt darüber denken könne. Er ging seinen eigenen Weg, und Rhodenburg mochte dann sehen, wie es hinterher kam.

Uebrigens durchlief schon in aller Frühe das Gerücht die Stadt, daß »Graf Rauten«, wie er natürlich noch allgemein genannt wurde, mit Tagesanbruch heute verschieden sei. Er hatte gestern Abend und die Nacht hindurch noch die furchtbarsten Qualen ausgestanden, in freien Momenten aber dann so schreckliche Enthüllungen über seine verbrecherische Laufbahn gemacht, daß selbst die Wärter scheu von ihm zurückwichen. Es war das Ende eines Verzweifelten gewesen, der sich im Geiste fortwährend von seinen Opfern umgeben und gepeinigt sah. Seine Seele war nicht geschieden, sondern wie gewaltsam aus seinem Körper gerissen worden, und wenn ein Mensch schon auf Erden Höllenqualen erdulden mußte, so hatte sie Rauten, der gewissenlose Verbrecher, erdulden müssen.

Als Hans Kunde davon bekam, ging er hinaus in das Spital; aber der Todeskampf des Verbrechers war schon vorüber. Der Körper lag starr und kalt im Todtensaale auf seinem Stroh, und alles, was mit ihm noch geschehen konnte, war, ihm seine Stelle an der Kirchhofsmauer anzuweisen.

Auch die Solberg'sche Familie erhielt die Nachricht, denn wo hätte je eine Unglücksbotschaft geheim gehalten werden können! Aber auf Franziska selber übte es weit eher einen ermuthigenden als niederdrückenden Einfluß aus. Jetzt war sie frei – dem Verbrecher selber konnte sie keine Thräne nachweinen, und mit dem Todten war die Schuld begraben.

Und der Nachmittag rückte vor. Hans hatte Käthchen den ganzen Tag noch nicht gesehen, aber es ließ ihm endlich keine Ruhe mehr. Konnte er denn wissen, ob sie nicht noch etwas brauchte, und es wäre ja selbst unfreundlich gewesen, sich nicht danach zu erkundigen!

Mit klopfendem Herzen betrat er das Haus, hatte aber noch nicht ganz die erste Etage erreicht, als ihm oben der alte Oberstlieutenant begegnete und, ihm beide Hände entgegenstreckend, herzlich ausrief:

»Das ist freundlich von Ihnen, lieber Solberg, daß Sie uns auch einmal wieder aufsuchen – treten Sie näher! Wir haben so viel von Ihnen gesprochen und so innigen Antheil an dem Unglück genommen …«

Hans gerieth gewissermaßen in Verlegenheit; er hatte an nichts weniger als einen Besuch bei Klingenbruchs gedacht, und mochte es doch jetzt dem kleinen, gutmüthigen Manne nicht zu Leide thun, umzukehren. Ihn selber hatte er ja wirklich lieb gewonnen, aber in der Gesellschaft seiner Damen fühlte er sich nicht wohl und heimisch und vermied sie deshalb lieber, wo das anging. Hier ging es freilich nicht mehr an, und wohl oder übel mußte er mit in die Etage treten, wobei er nur zu gut wußte, daß er jetzt den Tagesklatsch auf's neue mit durchzukneten hatte.

»Herr von Solberg,« rief ihm, wie er nur das Zimmer betrat, die Frau Oberstlieutenant entgegen, »das ist ja in der That eine sehr seltene Ehre, die uns da zu Theil wird! Wir glaubten schon, Sie wären wieder nach Peru hinübergefahren, wenn wir Sie nicht manchmal da gegenüber hätten aus- und eingehen sehen!«

»Gnädige Frau, ich habe in der letzten Zeit ein sehr bewegtes Leben geführt – meine Damen, ich freue mich, Sie so wohl zu sehen.«

»Ach Gott, ja,« fuhr die Frau Oberstlieutenant fort, »wir haben es ja erfahren! Aber sollte man es denn für möglich halten, daß ein Mann, wie dieser Graf Rauten …«

»Lassen wir das,« unterbrach sie Hans, »das Unglück ist einmal geschehen und der Verbrecher hat seine Strafe erhalten.«

»Geschieht ihm recht,« nickte der Oberstlieutenant, »der Canaille! Aber was sagen Sie denn zu unserem Herrn Nachbar, zu Schaller? Sehen Sie einmal da hinüber, die Gläubiger haben schon Besitz ergriffen.«

»Das arme Fräulein Kathinka!« sagte Hans.

»Fräulein Kathinka,« bemerkte Flora, den Kopf etwas zurückgeworfen, »hat es vorgezogen, Frau Doctor Potter zu werden.«

»In der That?« rief Hans rasch, »das freut mich wirklich von Herzen.«

»Es blieb ihr nichts anderes übrig,« bemerkte die junge Dame.

»Wenn ich mich nicht sehr irre,« sagte Hans, »so hat sie schon lange eine stille Neigung zu dem Doctor gehabt. Ich glaube wenigstens so etwas bemerkt zu haben.«

»Wohl schwerlich,« meinte Henriette, die sich aber heute merkwürdig zurückhaltend zeigte und besonders sich gegen Hans so benahm, als ob sie sich wegen irgend etwas beleidigt fühle, wovon Hans natürlich keine Ahnung hatte. »Es ist eine reine »Vernunft-Heirath«, und Kathinka hat, meiner Meinung nach, in der That ganz recht gehandelt.«

»Schaller ist fort,« sagte der Oberstlieutenant, der genau wußte, was Henriette mit der Bemerkung meinte, »und Frau von Schaller hat anfangs einige Ohnmachten bekommen, zankt sich aber jetzt wacker mit dem unverschämten Volk herum, das Besitz von der Etage ergriffen.«

»Ist Kathinka noch drüben?«

»Nein; zu einer Freundin gezogen, bis ihre Verbindung mit Potter geschlossen werden kann, worüber immer noch ein paar Wochen hingehen möchten.«

Hans nickte leise und langsam vor sich hin mit dem Kopfe, aber der Gegenstand war ihm peinlich, und er sprang zu etwas anderem über.

»Sie kommen doch gewiß heut Abend, meine Damen, nicht wahr? Die Einladungen sind etwas spät ergangen, werden aber gewiß durch die eingetretenen Verhältnisse entschuldigt, und Ihre Toiletten hatten Sie doch wohl schon für gestern in den Stand gesetzt.«

»Sie werden uns trotzdem entschuldigen müssen, Herr von Solberg,« sagte die Frau Oberstlieutenant mit Würde, »da es ein ausgesprochener Tanz ist und wir noch um meine selige Schwägerin trauern.«

»Aber die jungen Damen brauchen ja nicht zu tanzen!«

»Die schwarze Kleidung würde unter den geputzten Gästen zu sehr auffallen,« bemerkte die Mutter, »und Henriette ist ja schon an und für sich entschuldigt.«

Hans begriff nicht recht, weshalb, machte aber eine stumme Verbeugung gegen die junge Dame, was diese als eine neue Beleidigung zu nehmen schien, denn sie warf den Kopf wieder, wie gekränkt, in die Höhe und dabei einen Blick auf ihre Mutter, als ob sie hätte sagen wollen: »Ist Dir in Deinem ganzen Leben schon so etwas vorgekommen?« Hans aber hatte andere Dinge im Kopfe, als darauf zu achten, der Boden brannte ihm hier unter den Füßen, denn er wollte hinauf zu seinem Käthchen.

»Aber Sie kommen doch gewiß, lieber Oberstlieutenant,« wandte er sich an den alten Herrn, »Papa hat ganz auf Sie gerechnet, und Sie wissen ja, Sie finden bestimmt Ihre Partie.«

»Ich weiß nicht, mein lieber Solberg,« sagte der alte Herr mit einem verlegenen Blick nach seiner Gattin hinüber, deren Züge aber in diesem Augenblick gar keinen Ausdruck hatten, »wenn ich es irgend möglich machen kann.«

»Und was sollte Sie hindern?« sagte Hans und bemerkte dabei nicht das spöttische Lächeln, das sich in diesem Moment um die Lippen der Frau Oberstlieutenant legte. »Kommen Sie nur, Sie werden uns eine große Freude machen, Sie können sich denken, wie öde es seit gestern in unserem Hause geworden. Aber von heut ab soll das wieder anders werden,« setzte er mit leuchtenden Augen hinzu, »und um dabei ein wenig mitzuhelfen, muß ich mich jetzt Ihnen empfehlen. Auch ich habe mein Geheimniß, meine Damen, und Ihr Herr Papa wird Ihnen heute Nacht die Lösung desselben mit nach Hause bringen.«

»Ein Geheimniß?« fragte die Frau Oberstlieutenant gespannt.

»Bis auf später,« lächelte Hans, mit einer Verbeugung ringsum, und dem Oberstlieutenant dann noch herzlich die Hand drückend, verbat er sich jede Begleitung und eilte rasch der Vorsaalthür zu, die er wieder hinter sich in's Schloß drückte; aber das half ihm nichts. Flora war eben so rasch hinter ihm her, und durch das kleine Schiebfensterchen sehend, bemerkte sie eben noch zeitig genug, daß Herr von Solberg nicht – genau so, wie sie vermuthet – die Treppe wieder hinab-, sondern im Gegentheil noch hinaufstieg. Und wem anders konnte dort sein Besuch gelten, als der jungen Näherin, der Mamsell Peters?

»Das find' ich doch ein bischen stark,« sagte sie, als sie in's Zimmer zurückkehrte und zu ihrer Schwester an's Fenster trat, »am hellen Tag entblödet sich Herr von Solberg nicht, zu der Mamsell hinauf zu laufen und dann auch uns vorher noch einen Besuch zu machen! Wie gefällt Dir das, Henriette?«

Die junge Dame zuckte mit den Achseln. »Er legt es darauf an, unartig zu sein,« sagte sie, »denn nicht ein Wort hatte er für mich, weil es ihm vielleicht nicht in seinen hochadeligen Kram paßt; aber die Sippschaft sollte ich wohl erst noch um ihre Zustimmung fragen, weiter fehlte mir nichts!«

»Aber zu der bürgerlichen Mamsell kann er laufen!« bemerkte Flora.

»Kinder,« sagte der Oberstlieutenant gutmüthig, »müßt Ihr denn immer gleich das Schlimmste denken? Kann er dort nicht eben so gut, wie Ihr früher, Bestellungen für heute Abend haben?«

»So, und dann schickt es sich wohl, daß er da selber geht?« fuhr Flora auf den Vater ein. »Da kann er nicht etwa die Kammerfrau schicken, wie?«

»Ja wohl,« sagte die Frau Oberstlieutenant, bedeutsam mit dem Kopfe nickend, »bei solchen Dingen lassen die Männer einander nicht im Stich.«

»Aber, liebes Herz!«

»Sei Du nur ruhig, Du bist genau so schlimm, wie Einer von den Anderen, wenn Du Dich auch immer weiß brennen willst. – Aber was das für ein Geheimniß ist, von dem er sprach, möcht' ich wissen.«

»Jedenfalls seine Verlobung,« rief Flora rasch. »Sprach er nicht von einem freudigen Ereigniß?«

»Wenn er glaubt, daß wir davon Notiz nehmen sollen,« bemerkte Henriette scharf, »so irrt er sich.«

»Und wie passend, das jetzt gerade zu betreiben,« setzte Flora hinzu, »wo sein künftiger Schwager eben durch Polizei abgeführt wurde!«

»Ich finde überhaupt die ganze Gesellschaft an dem heutigen Tage sehr unpassend,« bemerkte die Mutter, »unpassend und tactlos, und möchte es schon deshalb nicht haben, daß sich meine Töchter dabei betheiligten.«

»Ich bin nur neugierig, wie lange er noch oben bleiben wird,« sagte Flora und verließ das Zimmer wieder.

Der Oberstlieutenant hätte seiner Frau gern etwas erwidert; er hielt es aber doch für nützlicher, das zu unterlassen. Er war ja auch eben im Begriff gewesen auszugehen, nahm deshalb seine Mütze wieder und verließ das Haus.



 << zurück weiter >>