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22.
Im Eckfenster unten


Es giebt ein altes deutsches Sprüchwort: »Geld bringt keinen Segen!« Etwas Wahres mag auch immerhin daran sein, wie an allen derartigen Sprüchen, wenn man sie auch nicht im Allgemeinen gelten lassen darf. Im Klingenbruchschen Hause schien es aber wirklich sich bewähren zu sollen, denn seit der Erbschaft, die allerdings den Betreffenden die Aussicht auf eine sorgenfreie Existenz bot, aber sonst auch bei den jungen Mädchen jede andere Lebenshoffnung zertrümmerte, schien der Frieden aus dem Hause gewichen zu sein.«

Bis dahin regierte die Mutter unumschränkt im Hause, und der Oberstlieutenant schien in der Familie nur als Zahlmeister engagirt zu sein; jetzt dagegen hatte sich das Blatt gewendet, denn die Töchter fingen an sich zu emancipiren, sie besaßen ja – unter welchen Bedingungen blieb sich gleich – gegenwärtig ein Privatvermögen, das nicht mehr von dem Willen ihrer Eltern abhängig war, sondern ihnen nur gegen ihre eigene Quittung von dem betreffenden Testamentsvollstrecker ausgezahlt werden mußte.

Mit einer aufkeimenden Erbitterung gegen das Menschengeschlecht traten sie solcher Art schon mit dem siebzehnten und neunzehnten Jahre in den Stand der »alten Jungfern«, denn ein unbestimmtes Gefühl sagte ihnen, daß wohl ein armes Mädchen einen reichen Mann bekommen könne – und einen anderen verlangten sie nicht –, daß aber die Gewißheit des Verlustes ihrer Erbschaft, sobald sie sich verehelichten, die meisten Freier von ihnen fern halten würde.

Daß sich die Frau Oberstlieutenant allerdings einer Unterordnung unter den Willen ihrer Töchter nicht gutwillig fügte, läßt sich denken, aber ändern konnte sie nichts mehr, und täglicher Zank und Streit im Hause war davon die Folge, so daß Klingenbruch selber begann, das Joch seiner Frau ein wenig abzuschütteln und sich etwas freier zu bewegen. Die gnädige Frau von Klingenbruch fing an, den Boden unter den eigenen Füßen zu verlieren.

Es war Montag Morgen, der Morgen nach der Gesellschaft bei Noltjes und der 24. Mai. Die Einladung hatte in Folge von Bertha's Geburtstag stattgefunden, und man schien sich im Allgemeinen vortrefflich amüsirt zu haben; nur Flora und Henriette nicht, denn an dem kleinen Tanz durften sie, ihrer Trauer wegen, keinen Theil nehmen. Die Tante ärgerte sie noch mehr nach ihrem Tode, wie sie es bei Lebzeiten gethan hatte, und dann war noch allerlei anderes vorgefallen, was sie irritirt und ihnen die gute Laune genommen haben mußte.

»Nun, Kinder, wie war's?« fragte der Oberstlieutenant, als er am nächsten Tage aus dem Kriegsministerium nach Hause kam, »habt Ihr Euch recht gut amüsirt?«

»Amüsirt – auch noch,« sagte Henriette, den Kopf zurückwerfend, »ich bin nur hingegangen, damit das alberne Ding, die Bertha, nicht nachher ihre bösesten Bemerkungen machen konnte. Die kenn' ich durch und durch.«

»Welche Herren waren denn da?« fragte der Vater, der sich auf diese weiblichen Eifersüchteleien kluger Weise nicht einließ.

»Wer da war?« bemerkte, aber auch mit ziemlich wegwerfendem Tone, Flora, »fast Niemand, denn die Meisten hatten absagen lassen, nur der arme junge Mensch, der Hans von Solberg, und noch ein paar Andere scheinen als Opfer in die Falle gegangen zu sein.«

»Und Du hättest nur die Bertha gestern Abend sehen sollen, Papa!« rief Henriette. »Nein, aufgetakelt, daß es ein reiner Skandal war, und decolletirt! Es ist schon fast unanständig, es nur zu erwähnen, da kannst Du Dir etwa denken, wie sie ausgesehen hat.«

»Aber daß das die Mutter leidet!« sagte der Oberstlieutenant.

»Die ist ebenso schlimm wie ihre Tochter,« sagte Jettchen.

»Na, Hetty,« meinte Flora, »so arg war das auch nicht, so ist es mir wenigstens nicht aufgefallen. Wenn ich aber wie sie wäre, zeigte ich nicht so viel von meinem mageren Halse. Das weiß ich gewiß.«

»Waren auch Officiere dort?« fragte der Vater.

»Nun, gewiß,« sagte Flora schnippisch, »die werden ja immer kommandirt, als ob sie auf Wache ziehen müßten. Lieutenants die Hülle und Fülle, und was für Exemplare! Gott bewahre einen!«

»Herr von Wöhfen war auch da,« bemerkte Henriette; »er scheint sich jetzt einen Scheitel mitten über den Kopf weg zu rasiren, er war wenigstens zwei Finger breit.«

»Und der kleine Lieutenant Priesteritz!« lachte Flora; »er sah zu komisch aus, besonders wenn er um Bertha herumschwänzelte und sie »Königin des Festes« und die »Fee dieses Zauberpalastes« nannte.«

»Graf Rauten war auch eingeladen,« sagte Henriette, »hat aber abgesagt.«

»Da drüben geht er!« rief Flora, »und noch dazu mit Hauptmann von Dürrbeck. Die beiden Herren habe ich auch noch nie zusammen gesehen.«

»Wer? Rauten mit Dürrbeck?« rief der Oberstlieutenant rasch und erstaunt aus, indem er an's Fenster trat, »wo?«

»Gerade dort drüben, Papa. Die beiden Herren treten eben zusammen in's Kaffeehaus.«

»Hm, wahrhaftig!« murmelte der kleine Mann leise vor sich hin, als ob er darüber erstaunt wäre; aber das freut mich, ich hatte wirklich schon Sorge. Recht begreifen kann ich's aber doch nicht.«

»Was ist denn? Weshalb nicht, Papa?« fragte Jettchen, welche die Worte gehört haben mußte, »ist etwas vorgefallen?«

»Oh, vorgefallen eigentlich nichts,« sagte der Oberstlieutenant ausweichend, »Rauten äußerte nur, oder machte vielmehr drüben im Kaffeehaus eine Bemerkung, die sich auf etwas vom Theater bezog …«

»Auf die Blendheim drüben?«

»Bewahre, nein,« rief der Vater rasch, denn er war selber viel zu zartfühlend, um ein solches Gespräch weiter zu tragen; »nein, es war mehr eine allgemeine Bemerkung, die sich – die, sich aber tadelnd aussprach, und ich fürchtete, daß es Dürrbeck vielleicht übel genommen hätte; er ist überdies nicht besonders gut auf den Grafen Rauten zu sprechen, und soll ich aufrichtig sein, so wäre mir auch mancher andere am kleinen Finger lieber, wie der ganze Graf.«

»Aber, Papa,« rief Flora, »wie kannst Du nur so etwas sagen? Der Graf hat etwas so Nobles, Vornehmes in seinem ganzen Wesen.«

»Ja, er ist mir eigentlich ein bischen zu vornehm,« sagte der Vater, »und ich weiß nicht, es kommt mir manchmal ordentlich unnatürlich vor. Nehmt dagegen den Hans Solberg, der dem Grafen in jeder Hinsicht gleichsteht.«

»Nur nicht im Rang,« bemerkte Henriette.

»Ach was,« sagte Klingenbruch, »beim Militär habe ich nichts dagegen, da muß eben der Rang gelten, denn ohne den gäbe es keine Disziplin; aber so im bürgerlichen und gesellschaftlichen Leben gebe ich verwünscht wenig auf die Grafentitel. Ein anständiger Baron oder sonst ein braver, rechtlicher Mann ist mir ebenso lieb.«

»Ja,« sagte die Frau Oberstlieutenant, die eben in's Zimmer trat und die letzten Worte gehört hatte, »das sieht Dir gleich, Heinrich, daran erkenne ich meinen Gatten, Du gehst ebenso gern mit einem Schuster wie mit einem Baron um.«

»Kommt immer darauf an, mein Herz« sagte der Oberstlieutenant, der übrigens nicht daran dachte, den Kampf mit seiner besseren Hälfte aufzunehmen, »was für Leute eben der Schuster und der Baron sind. Aber, Kinder, ich habe etwas mit Dürrbeck zu sprechen, und da er da gerade gegenüber ist, werde ich die Gelegenheit benutzen und ihn abfangen. Ich komme gleich wieder,« und seine Mütze aufgreifend, überließ er die Damen sich selber.


Ueber die Promenade von Rhodenburg, still und allein, mit finster zusammengezogenen Brauen, schritt Hauptmann von Dürrbeck – wohin? wußte er selber nicht – er wollte nur in seinen Gedanken nicht gestört werden, und freundlicher Art waren die wahrlich nicht. Er hatte auch die ihm Begegnenden kaum beachtet und ein paar Bekannte so flüchtig und zerstreut gegrüßt, daß sie ihm, als er vorüber war, erstaunt nachsahen, denn etwas Derartiges lag ihm sonst so fern. Jetzt fiel sein Blick zufällig, denn er haftete sonst am Boden, auf eine sich ihm nähernde Gestalt – es war Rauten mit seiner steten Nonchalance, der, den Spazierstock zwischen zwei Fingern, über die Promenade schlenderte und, als er dem Hauptmann begegnete, mit einem vornehm flüchtigen Gruße an ihm vorüber wollte. Aber Dürrbeck's Auge haftete rasch und fest auf ihm, und sich halb zu ihm wendend, ohne den Gruß weiter als durch eine leichte Hebung der Hand gegen die Dienstmütze zu erwidern, sagte er: »Herr Graf, ich freue mich, Ihnen hier zu begegnen. Ich komme soeben aus Ihrer Wohnung, hatte aber nicht das Glück, Sie dort zu finden – dürfte ich Sie um zwei Worte bitten?«

»Mit Vergnügen, Herr Hauptmann,« erwiderte Graf Rauten, indem er sich dabei aber noch wo möglich ein wenig höher emporrichtete, als es sonst seine Art und Weise war – »womit kann ich Ihnen dienen?«

»Nur mit einer Antwort,« sagte Dürrbeck trocken. »Erinnern Sie sich noch, was Sie gestern Abend im Café, als ich mich selber schon in dem Lokal befand, und über eine Dame vom Theater geäußert haben?«

»Ich muß bedauern,« sagte Rauten lächelnd – »Sie werden mir zugestehen, daß ein Gespräch über das Theater oder was damit zusammenhängt viel zu unbedeutend ist, um unsere Aufmerksamkeit länger als für den Moment zu fesseln. Es würde schwer und außerdem eine sehr undankbare Arbeit sein, ein solches Gespräch noch einmal am nächsten Morgen zu recapituliren – doch was bezweckt Ihre Frage?«

»Ich will sehr deutlich sein,« sagte Dürrbeck, dem der augenscheinliche Hohn in Rauten's Worten nicht entging, und der sich jetzt wirklich Mühe geben mußte, um nur die nöthige Fassung zu bewahren. – »Sie äußerten sich über Fräulein Blendheim in einer eines Gentleman nicht würdigen Weise.

»Herr Hauptmann!« fuhr Graf Rauten auf.

»Sie wissen, daß Fräulein Blendheim meine Verlobte ist …«

Rauten hatte heftig werden wollen, gewann aber rasch seine alte, nur um so mehr provocirende Kaltblütigkeit wieder. »Ich weiß das?« sagte er ruhig. »Haben Sie mir Ihre Braut vorgestellt oder mir nur eine Karte gesandt? Woher soll ich es wissen? Aus dem Stadtklatsch etwa, der sich mit solchen Dingen befaßt? Ich leihe dem kein Ohr.«

Dürrbeck biß die Zähne fest auf einander. »Ich frage Sie denn hiermit,« sagte er mit vor innerer Aufregung zitternder Stimme, »ob Sie, als Sie jene Worte äußerten, wußten, daß ich mich im Zimmer befand oder nicht.«

»Mein Herr Hauptmann,« sagte Rauten mit der größten Ruhe, »ich weiß mich nicht mehr darauf zu erinnern. Es ist möglich, daß ich Sie gesehen oder gehört hatte, aber auch das Gegentheil kann der Fall gewesen sein.«

»Sie weichen mir aus …«

»Nicht im Geringsten; ich erkläre Ihnen nur hier einfach, daß ich, wenn ich Sie auch gesehen hätte, trotzdem keine Aeußerung über irgend eine der dem Publikum vollständig preisgegebenen Theaterdamen, so weit es nämlich ein Urtheil über sie betrifft, zurückgehalten haben würde. Zu diesen aber gehört die Blendheim …«

»Fräulein Blendheim, wenn ich Sie bitten darf!« fuhr Dürrbeck empor, denn seine Geduld lief aus.

»Und weshalb Fräulein?« lächelte der Graf. »Bei derlei Personen setzen wir unter uns immer nur den Artikel vor.«

»Schuft,« knirschte jetzt Dürrbeck zwischen den Zähnen durch, »eigentlich gehörte Dir ein Faustschlag in's Gesicht!«

»Das genügt,« sagte der Graf lächelnd; »ich glaube, wir sind jetzt auf dem Punkte angelangt, den Sie herbeigesehnt, und es bedarf keiner weiteren pöbelhaften Beleidigungen.«

»Ich werde jetzt nach Hause gehen,« sagte Dürrbeck, der schon bereute, so weit gegangen zu sein, denn das erste Wort allein hätte den nämlichen Zweck erfüllt – »und dort so lange bleiben, bis Sie mir Jemand senden, mit dem ich mich verständigen kann. Ich erwarte aber Ihre Antwort bald,« – und damit drehte er sich ab und wollte die Allee hinuntergehen.

Rauten blieb, auf seinen kleinen Stock gestützt, den linken Arm in die Seite gestemmt, stehen und sah still und sinnend vor sich nieder. Hauptmann von Dürrbeck hatte sich aber kaum sechs oder acht Schritt von ihm entfernt, als er ihn wieder anrief: »Herr Hauptmann von Dürrbeck!«

Dürrbeck blieb stehen, ohne sich aber umzuwenden; nur den Kopf zurückdrehend, sagte er: »Ich glaube nicht, daß noch weitere Worte zwischen uns nöthig sind.«

»Doch, Herr Hauptmann,« sagte der Graf, ohne daß auch nur ein Muskel in seinem Antlitz gezuckt hatte. »Ich habe Ihnen noch einen Vorschlag zu machen.«

»Einen Vorschlag? Mir?« rief Dürrbeck heftig aus. »Schaut die Memme bei Ihnen durch?«

»Sie kennen mich zu wenig,« erwiderte sein Gegner mit der nämlichen Ruhe, »und deshalb verzeihe ich Ihnen den unwürdigen Verdacht, zu dem ich Ihnen noch keine Veranlassung gegeben habe. Wir sind Beide fest entschlossen, uns den Hals zu brechen, nicht wahr?«

»Allerdings,« sagte Dürrbeck finster.

»Schön, dann lassen Sie uns jetzt ruhig bereden – aber wir erregen hier Aufsehen,« unterbrach er sich plötzlich, »denn wir schneiden viel zu ernsthafte Gesichter, als daß die Vorübergehenden an ein freundliches Zwiegespräch glauben könnten. Lassen Sie uns – das letzte Mal in unserem Leben – hier noch ein paar Schritte ruhig zusammen hinuntergehen. Ich erkläre Ihnen dann mit wenigen Worten, was ich meine, und es liegt nachher nur an Ihnen, Ja oder Nein dazu zu sagen, Ist Ihnen das angenehm?«

»Ich begreife nicht recht, was Sie mir noch mitzutheilen haben könnten,« erwiderte Dürrbeck; »aber es sei – kommen Sie.«

Die beiden Herren gingen jetzt wie zwei auf einem friedlichen Spaziergang Begriffene neben einander her die Promenade entlang, und Rauten begann ohne Weiteres: »Sie wissen, mein Herr Hauptmann, wie wir Beide in unseren Lebensverhältnissen stehen. Sie gedenken sich in der allernächsten Zeit zu vermählen, mit mir ist das Nämliche der Fall – wenn ich nicht irre, war sogar der morgende Tag als unser beiderseitiger Hochzeitstag bestimmt.«

»Ihr Gedächtniß hat sich wesentlich gebessert, Herr Graf,« sagte Dürrbeck kalt – »doch wozu die Vorrede?«

»Es ist keine Vorrede, ich bin bei der Sache, wie Sie mir gleich selber zugestehen werden. Einer von unseren Bräuten nun – welcher, liegt noch in des Schicksals Hand – ist für morgen eine Täuschung zugedacht – aber weshalb sollen wir dieselbe beiden bereiten?«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Dürrbeck finster.

»Ich kann es Ihnen kurz erklären. Falle ich, so ist natürlich meine Braut Wittwe noch vor der Vermählung, aber die Ihrige ebenfalls um nichts gebessert, denn Sie müssen entweder flüchten oder werden verhaftet und können ein paar Jahre auf der Festung sitzen. Das Nämliche ist mit mir der Fall …«

»Und läßt sich das ändern?«

»Gewiß. Noch ist die Sache total unter uns – mißverstehen Sie mich nicht,« setzte er rasch hinzu, als Dürrbeck den Kopf trotzig emporwarf – »von einem Ausgleich kann und wird keine Rede sein, und der heutige Tag muß noch zwischen uns entscheiden; aber wir können die Sache auf eine geschickte Weise anfangen.«

»Ich verstehe noch immer nicht, was Sie meinen.«

»Also kurz das. Die Amerikaner sind, was man ihnen nicht abstreiten kann, ein äußerst praktisches Volk, und was sie angreifen, thun sie mit Geschick und dem möglichst geringsten Zeitverlust. Haben Sie nie von amerikanischen Duellen gehört?«

»Ha!« sagte Dürrbeck und sah den Grafen starr an.

»Begreifen Sie jetzt, welchen Vorschlag ich Ihnen machen wollte? Bis jetzt weiß, wie gesagt, noch kein Mensch um unsern tödtlichen Zwist, und das Beste ist, es braucht Niemand eine Silbe davon zu erfahren. Sterben Sie zum Beispiel plötzlich, so kann ich unmöglich dafür zur Verantwortung gezogen werden; sterbe ich, wessen Verdacht kann dann auf Sie fallen? Nicht einmal mein Blut klebt an Ihren Händen, doch auch immer eine unangenehme Sache. Der Ueberlebende hält am nächsten Tage mit vollkommen reinem Gewissen seine Hochzeit, und der Todte – bah, der wird einfach begraben!«

Dürrbeck schwieg eine Weile; es war ein eigenes, beängstigendes Gefühl, das ihm durch's Herz zog, denn wenn er auch mit vollem Muthe jedem andern Manne im Kampfe auf Tod und Leben entgegengetreten wäre, dieses drohende Ungewisse machte ihn für einen Moment schwanken – aber auch nur für einen Moment, dann wich der Schatten. »Und welche Entscheidung schlagen Sie da vor?«

»Die einfachste die beste,« erwiderte Rauten, die Sache vollkommen geschäftsmäßig betreibend. »Wir gehen in das erste beste Hotel, wo wir Würfel finden – im Eckfenster sind deren zum Beispiel –, und thun gegenseitig einen einzigen Wurf. Um etwaige Gäste nicht aufmerksam zu machen, würfeln wir eine Flasche Champagner aus. Wer die meisten Augen bekommt, ist Sieger und muß den Champagner bezahlen – der Andere schießt sich einfach noch heute bis spätestens vor Mitternacht eine Kugel durch den Kopf.«

Dürrbeck fühlte, wie ihm das Herz fast hörbar in der Brust klopfte, und ohne gleich zu erwidern, schritt er schweigend neben dem Grafen hin. Es war ein furchtbarer Ausweg – aber es war ein Ausweg, Rauten hatte Recht. Der Ueberlebende blieb dem Gesetze eine lange Zeit verfallen, und welche Qualen stand dann Constanze seinetwegen aus, selbst wenn er der Ueberlebende blieb – und ihr Duell – er war fest entschlossen gewesen, den Kampf über das Taschentuch mit nur einer geladenen Pistole zu bestimmen, so daß also einer von ihnen unfehlbar bleiben mußte. Und welchen Unterschied bot diese Entscheidung – keinen im Resultat und nur noch dem Sieger den Vortheil, daß er von Niemand behelligt werden konnte. Außerdem lag für ihn gerade noch der nicht gering anzuschlagende Umstand vor, daß Constanzens Name bei der ganzen Sache nicht genannt wurde und ihr Ruf darunter litt. Wurde die Sache öffentlich betrieben, was sich mit Secundanten nun einmal nicht ändern ließ, was für Gerüchte streute dann die Welt aus, und die tollsten Dinge wären jedenfalls erfunden worden, denn eine Künstlerin glaubt ja Jeder schmähen zu dürfen!

»Topp,« rief er aus, »ich nehme Ihren Vorschlag an! Er ist teuflisch erdacht, aber Sie haben Recht, er erfüllt seinen Zweck – und wann soll es geschehen?«

»Wann? Jetzt gleich!« sagte Rauten. »Wir dürfen schon deshalb nicht so lange zögern, weil der Verlierende alle Hände voll zu thun haben wird, um seine Geschäfte auf dieser Welt noch zu regeln. Ich weiß wirklich nicht einmal, ob ich mit allem genügend fertig würde, was aber auch wieder in sofern seinen Vortheil hat, daß man sich dann keinem nutzlosen und peinlichen Grübeln überläßt.«

»Und Ihr Ehrenwort, daß Sie die Bedingung erfüllen, wenn der Wurf Sie trifft, wie ich Ihnen hiermit ebenfalls das meine verpfände?«

»Selbstverständlich,« sagte Rauten – »mein Ehrenwort, und das noch bis vor Mitternacht.«

»Vor Mitternacht!« wiederholte der Hauptmann dumpf – aber die Männer reichten sich dabei nicht die Hände – Dürrbeck verlangte es auch gar nicht, denn er wußte, daß das Wort genügte, und schweigend verfolgten sie von jetzt ab ihre Bahn, wobei Rauten – denn Dürrbeck folgte ihm willenlos – die Führung übernahm.

So erreichten sie das Café auf dem Brink und fanden es auch jetzt gerade noch von wenigen Gästen, und von diesen die meisten Fremde, besetzt – nicht ein einziger Officier war da.

»Mademoiselle,« rief Rauten, wie sie nur den Raum betreten hatten, »eine Flasche Champagner und zwei Gläser – und die Würfel, wenn ich bitten darf – wir wollen sehen, wer zu bezahlen hat!«

Die junge Dame im Café, ein dralles Mädchen und sehr elegant gekleidet – denn nur die haute volée besuchte vorzugsweise dieses Local, – brachte bald das Verlangte. Geschah es doch sehr häufig, daß Herren hier ihre Getränke, ihren Kaffee selbst, oder eine Flasche Wein, ausspielten, und die Würfel standen deshalb auch stets in einem mit rothem Sammet gefütterten Lederbecher auf dem Buffet.

»Nur hierher in's Eckfenster, mein Schatz,« rief ihr der Graf zu, als sie das Brett auf einen der nächsten Tische setzen wollte – »hier ist doch der beste Platz, und die beiden Fauteuils sind wie zu einer traulichen Flasche gemacht.« Dabei nahm er die Flasche und öffnete sie, daß der Pfropfen gegen die Decke knallte.

»So, Herr Hauptmann,« fuhr er dann fort, indem er beide Gläser vollschenkte, »der Schaumwein wird uns gerade in die rechte Stimmung zu einem Sprung in's Freie bringen. Wir brauchen nicht mit einander anzustoßen,« fügte er mit einem bittern Lächeln hinzu, als er sah, daß Dürrbeck zögerte das Glas zu nehmen – »die Wahrscheinlichkeit ist außerdem vorhanden, daß Sie den Champagner bezahlen werden, denn mein Glück hat mich in der letzten Zeit verlassen, und, aufrichtig gesagt, wär' ich's ganz zufrieden, es ist doch immer nur wieder die nämliche Quälerei, und wer's überstanden hat, am besten dran – also: was wir lieben!« – und er setzte das Glas an und leerte es auf einen Zug.

Dürrbeck hatte gezögert. Jetzt, da er der Entscheidung gegenüberstand, überkam ihn ein eigenes, fast erdrückendes Gefühl, und wäre er jetzt noch einmal gefragt worden, welche Kampfart er wählen wolle, er würde sich nie mehr zu dieser entschieden haben. Aber sollte er jetzt noch zurücktreten? – – Der Graf schien fast zu errathen, was in seiner Seele vorging, denn ein eigenes spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen. – Nein, es war Nicht mehr möglich – zu spät! tönte es ihm durch's Herz, und das Glas aufgreifend, stürzte er den Inhalt mit einem Zuge hinab.

»Also wer von uns die Zeche bezahlt!« rief Rauten jetzt. »Hier, Kamerad, Sie haben den ersten Wurf – zittern Sie?« sagte er scharf, aber leise, und sein Blick haftete fest und brennend auf ihm.

Dürrbeck erwiderte nichts, nur ein verächtlicher Zug kräuselte seine Lippen. Mit fester Hand nahm er den Becher, schüttelte ihn, und die Würfel rollten auf den Tisch – es waren zwei Sechsen und eine Zwei.

»Alle Wetter,« rief Rauten, »vierzehn! Das ginge nahe genug an der höchsten Zahl vorüber und ist immer noch ein vortrefflicher Wurf! Ich hab' es vorher gewußt – so viel werf' ich nicht – nun denn zur Entscheidung!«

Er hatte die Würfel vom Tische genommen und wieder in den Becher gethan. Dürrbeck starrte noch immer auf die Marmorplatte, die schon im nächsten Augenblick über Leben und Tod bestimmen sollte. Auch Rauten schüttelte die Würfel und ließ sie dann mit einem langen Wurf über den Tisch rollen – die Augen lagen. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Von den Gästen hatte außerdem Niemand auf dieses hier so häufig getriebene Spiel geachtet – was kümmerte es sie, wer von den beiden Fremden die Flasche Champagner bezahlen mußte!

Rauten nahm die Würfel langsam wieder auf und ging damit zum Buffet hinüber. »Nun, mein schönes Kind,« lachte er dabei, »ich habe es Ihnen vorhergesagt – mein gewöhnliches Pech – ich muß den Champagner bezahlen, und je eher das geschieht, desto besser!« – Damit griff er in die Tasche, nahm einen Doppelthaler heraus und warf ihn auf die Zahlbank.

Dürrbeck schaute ihm nach, aber er sah die Gestalt kaum – wie ein Nebel füllte es den Raum, und die Umrisse der verschiedenen Körper zeigten Regenbogenfarben. Rauten stand schon wieder ihm gegenüber und schenkte die Gläser auf's Neue voll.

»Noch ein Glas, Herr Hauptmann – unsere Sache ist ja jetzt erledigt und kein Groll weiter zwischen uns.«

»Meiner Seel',« rief da der eben eintretende Oberstlieutenant, »da finde ich die beiden Herren richtig beisammen und schon beim Champagner!«

»Alle Wetter, Klingenbruch,« lachte ihm Rauten entgegen, »Sie kommen wie gerufen, alter Freund – noch ein Glas, Fräulein –, wir feiern gerade ein Versöhnungsfest, und da dürfen Sie nicht fehlen, Oberstlieutenant. Wo kommen Sie her?«

»Eben von drüben. Wir sahen Sie Beide hier in das Café gehen, und ich dachte, ich wollte Ihnen guten Morgen sagen.«

»Dürrbeck hatte sich gewaltsam gesammelt. Er fühlte, daß er jetzt dem Grafen gegenüber keine Schwäche zeigen dürfe, und auch Klingenbruch sollte nicht merken, daß hier etwas Außerordentliches vorgegangen sei; aber das Lächeln, womit er ihn begrüßte, war trotzdem ein mühsam erzwungenes, und dem kleinen Manne konnte es nicht entgehen, daß er sich in einem ungewöhnlichen Zustand der Aufregung befand. Alles Blut war ihm wenigstens zu Kopf gestiegen, sein Gesicht glühte, und selbst die Augen schienen roth unterlaufen. Er mochte dies auch wohl fühlen; er faßte sich mit der Hand an die Stirn und sagte: »Ich habe heute schon ein wenig zu viel getrunken, ich vertrage morgens den Wein nicht, Sie müssen mich entschuldigen.« Er nahm seine Mütze und wandte sich zum Gehen.

»Also es bleibt bei unserer Verabredung, mein lieber Herr Hauptmann, nicht wahr?« sagte Graf Rauten.

»Gewiß!« erwiderte Dürrbeck. »Guten Morgen, meine Herren!«

»Guten Morgen, lieber Hauptmann, guten Morgen!« sagte Klingenbruch freundlich, sah ihm aber doch erstaunt nach, so lange er ihm mit den Augen folgen konnte. »Was hat denn Dürrbeck heute Morgen?« wandte er sich dann an Rauten. »Er schien so erhitzt und aufgeregt, und seine Augen hatten auch einen so merkwürdigen Glanz.«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Rauten achselzuckend, »aber es ist mir auch aufgefallen und er machte auch einige so merkwürdige Andeutungen. Sie kennen ihn ja näher, Herr Oberstlieutenant, sollte ihn doch vielleicht die Verbindung gereuen, die er im Begriffe steht mit jener Theaterdame einzugehen? Einer Bemerkung nach, die er machte, möchte ich fast etwas Aehnliches vermuthen.«

»Es ist nicht denkbar,« erwiderte Klingenbruch rasch, »denn nichts wäre ihm leichter geworden, als sie hinaus zu schieben, aber er hat mit wahrer Zähigkeit und dem größten Eifer jedes Hinderniß hinweg zu räumen gewußt. Nein, das kann ich nicht glauben.«

»Dann muß er vielleicht eine unangenehme Nachricht erhalten haben, denn schon wie ich ihn fand, heute Morgen, schien er mir bald gedrückt und niedergeschlagen, bald glitt sein Auge unruhig umher, als ob er irgend Jemand suche. Er war heute Morgen bei mir.«

»Dürrbeck?«

»Ja, fand mich aber nicht zu Hause, und wir trafen uns nachher auf der Promenade. Er klagte mir da schon, daß er sich nicht wohl fühle, und ich schlug ihm vor, hier eine Flasche Champagner mit mir zu leeren, was er auch annahm.«

»Merkwürdig,« sagte Klingenbruch, der an den gestrigen Abend und die Aufregung dachte, in der sich Dürrbeck befunden, und daß er da jetzt schon wieder so freundschaftlich mit dem Grafen, mit dem er nie intim gewesen, verkehren solle, kam ihm ganz eigenthümlich vor.

»Nehmen Sie Ihr Glas, Herr Oberstlieutenant,« rief Rauten, »der Frühling soll leben!«

Klingenbruch warf einen Blick nach Dürrbeck's Glas hinüber, der es nicht berührt zu haben schien; aber er wollte auch nicht unhöflich gegen den Grafen sein und that ihm deshalb Bescheid. Rauten schien aber dafür der Wein desto besser zu munden, und er war auch heute gesprächiger, wie ihn Klingenbruch noch je gesehen. Ha, er zeigte sich fast ausgelassen mit dem »Fräulein«, mit dem er sich sonst nur sehr reservirt unterhalten, und erst als er die Flasche vollständig geleert und Klingenbruch dringend erklärte, er müsse nach Hause, stand er ebenfalls auf und begleitete ihn bis auf die Straße, wo sich dann ihre Wege trennten.

Klingenbruch schritt quer hinüber und in sein eigenes Haus hinein, aber er konnte den Gedanken an Hauptmann Dürrbeck nicht los werden, den er seit langen Jahren kannte und gern hatte. Sein Betragen dem Grafen gegenüber kam ihm nämlich gar zu räthselhaft vor; er wußte dabei genau, daß der Hauptmann noch nie eine gute Meinung von Rauten gehabt, und war es da denkbar, daß er sich schon heute Morgen, mit der Scene von gestern Abend noch frisch im Gedächtniß, hätte auf solche Weise mit ihm befreunden sollen? Und doch konnte er sich das nicht wegleugnen, da er es mit eigenen Augen gesehen. Was also war inzwischen vorgefallen, um solch' eine Aenderung bei ihm hervor zu rufen?

Klingenbruch war auf seiner eigenen Treppe in Gedanken stehen geblieben, wer in aller Welt konnte ihm darüber Auskunft geben? Vielleicht drüben im Café? Aber er hatte dort keinen einzigen seiner Bekannten gesehen, und je mehr er darüber nachgrübelte, desto mehr verlangte ihn nach einer Erklärung. Selbst Rauten war so auffallend lebendig gewesen, was sonst gar nicht in seiner Natur lag. Sollte ihn nur der Champagner so aufgeregt haben? Das ließ sich doch nicht gut denken.

Er drehte sich noch einmal auf der Treppe um und schritt in das Café zurück; wenn Niemand weiter, konnte er wenigstens das Buffetmädchen fragen, ob sie etwas Auffälliges an den beiden Herren bemerkt habe oder irgend eine Scene im Café selber stattgefunden. Es ging ihn eigentlich nichts an, aber er war doch selber neugierig geworden.

Drüben im »Eckfenster« war das Local fast leer. Nur zwei Herren spielten Domino und ein Dritter las in einer der Ecken die Zeitung.

Das Fräulein war beschäftigt, das gebrauchte Geschirr wieder zu reinigen und wegzustellen. Klingenbruch, um nicht direct mit der Thür in's Haus zu fallen, ließ sich ein Glas Liqueur einschenken, und als es ihm die junge Dame hinschob, sagte er freundlich: »Apropos, liebes Fräulein, hatten die beiden Herren vorher, mit denen ich sprach …«

»Graf Rauten und Hauptmann von Dürrbeck?«

»Oh, Sie kennen die Herren?«

»Soll ich die Herren nicht kennen! Graf Rauten besucht uns fast jeden Tag, und im Hinterstübchen machen sie dann fast stets ihr Spiel. Sie wissen ja wohl …«

»So? in der That; aber die beiden Herren vorher hatten hier keinen Streit zusammen, wie?«

»Streit? Gott soll mich bewahren!« sagte das Fräulein; »sie kamen ganz vergnügt hier herein und haben nur eine Flasche Champagner ausgewürfelt, weiter nichts.«

»Ausgewürfelt?«

»Ja, gewiß. Das geschieht ja hier oft genug.«

»Und wer hat verloren?«

»Der Herr Graf.«

»Graf Rauten? Hm,« sagte Klingenbruch – er war jetzt erst recht confus geworden –, trank seinen Liqueur aus, zahlte und ging dann langsam und nachdenkend wieder in seine eigene Wohnung hinüber.



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