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5.
Beim Direktor


Den Markt entlang schlenderte Hans von Solberg, selig in dem Gefühl, die altbekannten lieben Straßen wieder einmal zu durchwandern und die Spielplätze seiner Jugend aufzusuchen.

Da lag noch die alte Schule mit ihren hohen, dunkeln, reich durch alte Steinarbeit verzierte Pforte und der enge Hof, der ihm früher freilich weit größer und geräumiger erschien; da stand noch der alte Brunnen, aus dem sie sich ihr Wasser mit einem schweren, aufrecht stehenden Schwengel hatten heraufpumpen müssen, und die trüben, mit Blei eingefaßten Fenster schillerten noch wie damals in allen Regenbogenfarben.

Verändert hatte sich Rhodenburg überhaupt sehr wenig in den letzten zehn Jahren, trotzdem es mit in das Eisenbahnnetz hineingezogen worden. Es fehlten immer noch Schienenstränge. die es in den eigentlichen Verkehr brachten, es lag noch außerhalb der Weltstraßen und war deshalb nicht viel von Fremden aufgesucht worden, die allein ein anderes und regeres Leben hineinbringen konnten. Es ging seinen alten Schlendrian fort, aber die Leute befanden sich im Ganzen wohl dabei, weil sie eben nichts Besseres kannten – verlangten.

In den engen Straßen wurde noch manchmal ein breiter Frachtwagen ab- oder aufgeladen, so daß er den Verkehr dort auf halbe Tage hindurch völlig unterbrach. Auf dem schmalen Trottoir stieß man noch manchmal, wenn man sich nicht vorsah, an einen dort bis in Kopfsbereich niederhangenden riesigen eisernen Haken, der zum Aufwinden in die Speicher benutzt wurde. Droschken gab es nur wenig in der Stadt; die überall vorgebauten, oft noch vergoldeten und geschnitzten Giebel gaben dem ganzen Orte aber etwas eigenthümlich Heimisches, und Hans schwelgte in seinen Erinnerungen.

Gar so sonderbar kam es ihm dabei anfangs vor, daß er all' die Menschengruppen, die er hier und da in den Straßen zusammen stehen sah, Deutsch sprechen hörte. Dort drüben wurde ja nur Spanisch gesprochen, auf dem Dampfer hatte er nur Englisch gehört und die kurze Eisenbahnfahrt dann wie im Fluge zurückgelegt. Jetzt aber war er plötzlich mit beiden Füßen zugleich in das alte, liebe deutsche Leben hineingesprungen.

Er ging auch wirklich halb wie in einem Traume umher, er sah nichts, als was ihn unmittelbar umgab, und konnte Viertelstunden lang neben ein paar alten Bauerweibern stehen bleiben, die sich in dem heimischen, so lange nicht gehörten Dialekte zankten und einander alle nur erdenklichen Schlechtigkeiten nachsagten; ja, als sich ein paar Jungen auf der Straße prügelten und ein größerer einen kleinen überfiel, nahm er thatsächlich Partei für den schwächeren Theil.

Jetzt bog er in eine der Seitenstraßen ein, als ihm an der Ecke ein Officier begegnete, der ihn, wie er zufällig den Blick auf ihn warf, scharf fixirte. Hans hatte gar nicht auf ihn geachtet und wohl eben so wenig bemerkt, daß jener stehen blieb und ihm nachsah.

»Hans!« hörte er da eine Stimme rufen und drehte rasch den Kopf danach um. – »Bist Du's denn?« rief der Hauptmann, der ihn noch immer ganz erstaunt ansah – »Hans Solberg!«

»Dürrbeck, beim ewigen Gott – Bernhard!« rief Hans und sprang auf ihn zu wie er nur wenige Secunden in das erstaunt ihm zugewandte Antlitz geschaut hatte. »Alter, lieber, lieber Freund, wie geht es Dir und was treibst Du?«

»Hans – aber bist Du's denn wirklich?« rief Hauptmann von Dürrbeck noch immer im äußersten Erstaunen. »Mensch, wo kommst Du her?« – und die beiden jungen Leute schüttelten sich dabei herzlich die fest in einander geschlossenen Hände.

»Aus Peru, Bernhard – direct. Aber wie geht es Dir – hast Du ein bestimmtes Ziel?« setzte er dann hinzu, indem er seinen Arm in den des Freundes schob. »Komm, ich begleite Dich; ich ziehe jetzt nur eben durch die verschiedenen Straßen und schwelge in alten Erinnerungen.«

»Ich hatte allerdings eine bestimmte Richtung,« sagte der Hauptmann, indem er des Freundes Arm drückte, »aber das kann auch noch bleiben. Jetzt gehen wir zusammen, suchen noch einmal unsere Tummelplätze auf und plaudern von vergangenen Zeiten. Aber dabei erzählst Du mir, welcher glückliche Umstand Dich zurückgeführt; Du glaubst nicht, Hans, wie ich mich freue, Dich zu sehen und wieder hier zu haben!«

Die beiden jungen Leute schlenderten jetzt zusammen durch die Straßen der Stadt, und Hans mußte dabei dem Freunde erzählen, wie und wo er sich in der Zeit herumgetrieben und sich so wacker draußen in der Welt ohne fremde Beihülfe eine eigene Existenz gegründet.

»Aber wie geht es Dir selber, Bernhard?« fragte Solberg endlich, als er dem Schulkameraden wenigstens die Umrisse seines bewegten und unruhigen Lebens mitgetheilt.

»Gut, recht gut, Hans,« erwiderte dieser, »wenn Du mich auch freilich hier noch als Hauptmann siehst. Unser Avancement ist verzweifelt langsam, und ehe man Oberst wird, hat man gewöhnlich graue Haare. Das sind die Schattenseiten der hiesigen Tretmühle, die wir unser Leben nennen, und man muß sich eben hineinfinden; sonst aber, Hans, bin ich jetzt der glücklichste Mensch, den es auf der Erde giebt, denn ich …«

»Bin verliebt!« lachte Hans. »Hab' ich's errathen?«

»Auf den Kopf getroffen, und meine Braut ist ein Engel.«

»Das Letztere versteht sich von selbst,« nickte Hans; »ich habe noch nie eine Braut gesehen, die nicht in den Augen ihres Bräutigams ein Engel gewesen wäre. Aber wie heißt sie? Kenn' ich sie?«

»Seit wann bist Du zurück?«

»Seit vorgestern.«

»Nein, dann kannst Du sie nicht kennen und – bist vielleicht auch nicht mit meiner Wahl einverstanden,« setzte er langsamer hinzu.

»Ich?« rief Hans erstaunt. »Und weshalb nicht?«

»Sie ist nicht von Adel …«

»Bah, so viel für Eure alten Geschlechter!« rief der junge Mann. »Einige von ihnen sind so alt, daß es Noth thut sie von Grund aus zu restauriren! Wie heißt sie?«

»Sie ist erste Sängerin am hiesigen Theater.«

»Alle Wetter! Aber ein braves Mädchen?«

»Ein tüchtiges, braves Mädchen,« bestätigte von Dürrbeck, »der es einen schweren Kampf gekostet hat, ihre Kunst aufzugeben, bis die Liebe zu mir auch ihre letzten Zweifel hob. Hans, ich kann Dir gar nicht sagen, wie glücklich ich mich fühle!«

Hans drückte ihm, ohne ein Wort weiter, herzlich die Hand und eine Zeit lang schritten die beiden jungen Leute, Jeder nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, neben einander hin. Endlich sagte Hans:

»Und ist der Tag Eurer Verbindung schon bestimmt?«

»Das ist noch eine Unannehmlichkeit,« erwiderte Dürrbeck, »die ich aber ebenfalls zu beseitigen hoffe. Sonst nämlich hebt bei allen Theatern Heirath jeden Contract; Constanze aber, damals mit keiner Ahnung einer so baldigen Verbindung, hat hier auf zwei Jahre fest abgeschlossen und sich sogar die ganz außergewöhnliche Clausel gefallen lassen, daß sie in dieser Zeit, wenn sie sich darin verheirathen sollte, den Contract bei einer sehr bedeutenden Conventionalstrafe einhalten wolle. Anderthalb Jahre kann ich aber doch nicht mehr warten!«

»Deine Geduld würde wenigstens in der Zeit auf eine arge Probe gestellt,« lachte Hans. »Doch läßt sich das nicht in Güte arrangiren? Vielleicht kann Dir mein Vater dabei nützen.«

»Wohl schwerlich,« sagte der Hauptmann kopfschüttelnd; »der alte Herr hängt so hartnäckig an seinem Vorurtheile von unvermischten altadeligen Geschlechtern und hat mir selber schon so ernste Vorstellungen darüber gemacht und mich abgemahnt von einem solchen Verbrechen an meinen Ahnen, wie er es nennt, daß ich auf seine Unterstützung dabei wohl schwerlich rechnen könnte. Ich würde nicht einmal wagen, in darum zu bitten.«

»Das wäre das Wenigste,« sagte Hans; »aber wer hat hier beim Theater die entscheidende Stimme in dieser Angelegenheit?«

»Der hiesige Director.«

»Und hast Du ihn schon darüber gesprochen?«

»Aufrichtig gesagt, war ich eben auf dem Wege, ihn aufzusuchen, als ich Dich traf.«

»Dann begleite ich Dich!« rief Hans rasch. »Wir machen wenigstens den Versuch und sehen, wie die Sache steht! Wo wohnt er?«

»Hier gleich vor uns im Brink, Nr. 29; es soll übrigens ein höchst origineller Kauz sein – Einige behaupten sogar, halb verrückt, der nur eben im Theater lebt und webt und keine Welt anerkennt, die nicht einen hölzernen Erdboden und auf Leinwand gemalte Bäume und Häuser hat. In der Stadt werden sogar die tollsten Geschichten von ihm erzählt – jedenfalls Uebertreibungen –, sonst gilt er aber für einen Ehrenmann.«

»Das ist die Hauptsache, das Andere findet sich alles. Vamonos compañero – ich will Dein Secundant sein, und wir wollen doch einmal sehen, ob wir den alten Herrn nicht herumkriegen können.«

»Und Deine Schwester hat sich kürzlich auch verlobt,« sagte Dürrbeck nach einer Pause, in welcher sie von der Promenade ab der Richtung zubogen, in welcher der Brink lag.

»Ja,« sagte Hans; »kennst Du meinen künftigen Schwager?«

»Ich – war einige Male mit ihm zusammen.«

»Wie gefällt er Dir? Was ist er für ein Mann?«

»Kennst Du ihn denn noch nicht?«

»Ich kenne ihn allerdings seit den wenigen Tagen, möchte aber auch Deine Meinung über ihn hören.«

»Oh, er soll aus einer sehr angesehenen Familie sein und hat etwas außerordentlich Nobles, eigentlich vornehm Aristokratisches in seinem ganzen Wesen, was Deinen Eltern besonders an ihm gefällt!«

»Das ist kein Fehler – und sonst?«

»Und sonst? Ja, lieber Hans, ich bin doch zu wenige Male mit ihm zusammengetroffen, um darüber ein wirkliches Urtheil fällen zu können, und das war noch dazu meist in Gegenwart Deiner Schwester. Du weißt aber, Brautleute zeigen sich in diesem Stadium für andere Leute ungenießbar – aber da sind wir; sollen wir wirklich hinaufgehen?«

»Fürchtest Du Dich?«

»Wenn ich aufrichtig sein will, ja. Ich erbitte nicht gern von irgend wem etwas, noch dazu, da sich hier doch eigentlich nur das Ganze um eine Geldsache, die Conventionalstrafe, dreht.«

»Und ist die so bedeutend?«

»Es würde mich wenigstens doch geniren, sie auf Einem Brette auszuzahlen. Es sind zweitausend Thaler.«

»Alle Wetter, dem Preise nach muß ja Dein Bräutchen eine Nachtigallenstimme besitzen!«

»Das thut sie auch, Hans!« rief Dürrbeck bewegt. »Du sollst sie nur einmal hören! Es packt Dir die Nerven und hebt Dich zu wahrhaft himmlischer Seligkeit oder zwingt Dir, Du magst wollen oder nicht, die Thränen in die Augen.«

»Sieh, sieh, sieh, sieh, – das Schwärmen habe ich Dir gar nicht zugetraut. Aber hier an der Hausthür können wir nicht stehen bleiben, Kamerad. Also Muth gefaßt, ich feuere jetzt den ersten Schuß« – und damit zog er ohne Weiteres an der Klingel, erschrak aber dann selber über die Wirkung. Es war in der That, als ob im Innern des Hauses eine Legion von Glocken losgelassen wäre, einen solchen Spectakel machte es in den unteren Räumen, und die beiden jungen Leute sahen sich ganz verwundert an. In dem Moment schon öffnete sich aber auch die durch eine Feder geschlossene Thür, und sie betraten das kleine Wohnhaus, das sich nur durch seine Tapete auszeichnete. Es war nämlich einzig und allein mit Theaterzetteln beklebt, und zwar von solchen Stücken, in welchen der Herr Director, der auch das erste Heldenfach und überhaupt alle guten Rollen spielte, mitgewirkt hatte oder noch mitwirkte. Dabei hatte sich der betreffende Herr die Mühe nicht verdrießen lassen, auf jedem Zettel seinen Namen mit Rothstift zu unterstreichen, so daß man in sehr kurzer Zeit einen Ueberblick über sein sehr ausgedehntes Rollenfach bekommen konnte.

Es wurde ihnen aber nicht langer Raum zu Betrachtungen gegeben; ein sehr dürftig aussehendes Subject in einem abgetragenen schwarzen Frack, der ihm aber nur oben auf den Schultern paßte und einen viel größeren Mann, vielleicht einmal früher dem Director selber, angehört haben mußte, ebenfalls zu langen, aber aufgekrempelten Hosen, kam die Treppe herunter und fragte, was die Herren wollten. Er war dabei augenscheinlich erstaunt, einen Officier hier zu sehen, denn seinen Begleiter taxirte er augenblicklich für einen ersten Liebhaber, der Engagement suchte.

»Wir wünschen den Herrn Director in einer Privatangelegenheit zu sprechen,« nahm Hans das Wort. »Ist er zu Hause?«

»Nun ja,« sagte der Mann und zuckte dabei mit den Achseln, »zu Hause wäre er schon, aber – er studirt.«

»Und läßt sich da wohl nicht gern stören?«

»Ne …«

»Dann wollen wir lieber einen günstigeren Moment abwarten,« sagte Dürrbeck halblaut zu dem Freunde; »ich möchte ihm nicht gerade ungelegen kommen.«

»Ja, er studirt immer,« warf der Mann ein, der die Worte gehört haben mußte.

»In dem Falle, mein lieber Freund,« nahm Hans das Wort, ersuche ich Sie, dem Herrn Director meine Karte mit hinauf zu nehmen und ihm zu sagen, daß wir ihn nicht lange stören würden. – Hast Du eine Karte bei Dir, Dürrbeck?«

»Schick' nur die Deinige hinauf, das genügt ja.«

»Na, dann kommen Sie man mit in die erste Etage, in's Wartezimmer,« sagte der dienstbare Geist – wie sich später herausstellte, der Theaterdiener –, »es wird nicht so lange dauern. Der Herr Director sind noch weiter oben.« – Damit nickte er den beiden Freunden zu und stieg ihnen die schmale Treppe voran.

Das kleine Eckzimmer in der ersten Etage stellte sich als Empfangssalon heraus; es war wenigstens die »gute Stube« des Directors, mit Mahagoni und plüschüberzogenen Möbeln. Die Wände aber ließen gar keine Tapete sehen, sondern hingen dicht gedrängt voll großer Oelgemälde, die jedoch wieder niemand Andern vorstellten, als den Director selber, und zwar viermal allein in Lebensgröße in seinen Hauptrollen.

Da hing er als Wetter von Strahl und als König Lear; da hing er als Sohn der Wildniß und als Karl Moor, außerdem aber noch in kleinen Oelgemälden, Photographien, Lithographien, Stahlstichen und Kreidezeichnungen in so viel verschiedenen Costüms und kühnen Stellungen, daß Einem ganz schwindelig wurde, wenn man bedachte, daß alle diese zahlreichen Personen mit den verschiedensten Gesichtern doch nur einen und denselben Menschen vorstellen sollten.

Es blieb den beiden Freunden übrigens völlig Zeit, die Gemälde mit Muße zu betrachten. Ob sie der Director absichtlich so lange in der »Vorhalle seines Genies« ließ, ist schwer zu sagen, aber es dauerte eine reichliche Viertelstunde, bis der Theaterdiener wieder bei ihnen erschien und die Herren ersuchte, noch mehr nach oben zu kommen.

»Der Herr Director,« erklärte dabei der kleine Mann, »sind nämlich noch im Schlafrock, wie immer beim Studiren, und betreten dieses Zimmer nur im schwarzen Frack.«

Hans warf dem Freunde einen lächelnden Blick zu und zeigte auf seinen grauen, joppenähnlichen Rock, aber er sagte nichts, und eine Art von Wendeltreppe hinauf, denn der Weg schien wie bei einem Thurm nach oben zu immer enger zu werden, erreichten sie endlich den Punkt, wo sie den Director finden sollten.

Aber auch hier mußten sie noch warten, der Director war noch mitten im Studiren, und da er jetzt plötzlich mit gehobener Stimme laut und heftig sprach, konnten sie da draußen deutlich die einzelnen Worte hören:

»Oh, nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,
Nehmt ihn hinweg, er sengt mir meine Locken;
Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß
Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft
Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze
Bewegt mein Blut – Verzeiht, es ist zu viel!«

»Tasso«, flüsterte Dürrbeck leise dem Freunde zu, während der Theaterdiener, der genau das Stichwort kannte, jetzt dreimal stark an die Thür pochte. Drin war in einem Moment alles ruhig, dann rief eine von den vorherigen Tönen sehr verschiedene Baßstimme ein gebieterisches Herein! und im nächsten Augenblick öffnete der Mann die Thür und bedeutete die beiden Herren einzutreten.

Hans mußte sich wirklich Mühe geben, nicht ein sehr verblüfftes Gesicht zu machen, denn eben erst wieder in die alte Welt zurückgekehrt, fand er sich hier einer Gestalt gegenüber, die er in seinen wunderlichsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. Director Sußmeyer gehörte allerdings einem etwas extravaganten Geschlecht an, dem der richtigen Komödianten, die ihr Streben weniger in der Kunst, als dem Erfolg suchen und dabei so entzückt von ihren eigenen Leistungen sind und sich für so groß und unentbehrlich halten, daß sie sich die um das Theater herumliegende Welt nur als ein nothwendiges Anhängsel zu dem Centraltheil, um eben das Publikum zu liefern, denken. Wer das Theater nicht besucht, gehört in ihren Augen zu dem ungebildeten Theil der Menschheit und kommt nicht in Betracht; man weiß überhaupt gar nicht, weshalb er auf der Welt ist. Aber selbst zwischen den Theatergängern werden noch feine Unterschiede gemacht und diese wieder in gebildete und rohe geschieden. Das hängt aber einzig und allein vom Applaudiren ab.

Director Sußmeyer stand über allen; er war der Dirigent eines Kunstinstituts, wie die Theater in der Neuzeit genannt werden (und eigentlich gäbe es einen andern Namen dafür, besonders wenn sie in einer Intendanz stehen), und lebte und webte nur in dieser Sphäre, aber er studirte auch seine eigenen Rollen in diesem Geiste und erwartete natürlich, daß das auch von der Mitwelt anerkannt würde.

Wie er jetzt freilich dastand, bot er für Jemand, der gerade nicht in diesen Kreisen lebte und eigentlich aus dem wirklichen praktischen Leben direct in dieselben hineinsprang, ein etwas wunderliches, jedenfalls auffallendes Bild.

Er trug seinen gewöhnlichen, rothseidenen Schlafrock, aus Gardinenstoff gemacht, der aber in der Ferne, wie sich nicht leugnen ließ, mehr Effect machte, als in unmittelbarer Nähe. Die Unterkleider ließen sich nur an ein paar dicht über den Knöcheln zusammengebundenen weißleinenen Bändern errathen, mit den Füßen stak er in einem Paar vorn zu einer Spitze aufgebogenen türkischen Pantoffeln, in der Hand hielt er eine ziemlich abgegriffene sogenannte Rolle, das Manuscript, das seinen Text enthielt, aber das Merkwürdigste war an ihm unstreitig der Kopf.

Jeden Abend wickelte er sich nämlich auf das Sorgfältigste die Haare in eine Anzahl von Papilloten, mit denen er herumging, bis Nachmittags vor dem Theater der Theaterfriseur kam und ihn »adonisirte,« wie dieser es nannte. In seinem Studium konnte er natürlich darauf keine Rücksicht nehmen, er war auch schon so daran gewöhnt, daß er es selber kaum mehr wußte, und nur heute gewannen diese Papilloten einen eigenthümlichen Charakter, da er, ganz in den Geist seiner Rolle des Tasso vertieft, sich den Lorbeerkranz, den ihm eigentlich die Prinzessin Leonore von Este hätte aufsetzen sollen, selber nicht in die Locken, sondern auf die Papilloten gedrückt hatte.

So, mit etwas rothem, aufgedunsenem Gesicht und einem geringen Ansatz zu einer Stülpnase, stand er da, die Rolle in der Hand, den Lorbeerkranz auf dem Kopf, und erwartete seinen Besuch.

Der Anblick war auch wirklich so absonderlicher Art, daß selbst der sonst nicht so leicht außer Fassung zu bringende Hans Solberg einen Moment nach Worten zu einer Einführung suchte. Director Sußmeyer dagegen, die Rolle gesenkt, den rechten Fuß vorgesetzt, daß der rothe Pantoffel und der untere Theil seiner Unterbeinkleider deutlich sichtbar wurde, den Oberkörper noch im Geiste des überschwänglichen Tasso zurückgebogen, sagte: »Mit was kann ich Ihnen dienen, meine Herren? – Pichler!« wandte er sich dabei mit einer Bewegung der Hand, in der er die Rolle hielt, gegen den Theaterdiener – »ab!«

Pichler verschwand spurlos durch die Thür, und Dürrbeck, der doch wohl fühlte, daß er hier das Wort ergreifen müsse, auch den etwas excentrischen Charakter des Herrn schon von früher kannte, um nicht mehr davon verblüfft zu werden, sagte freundlich: »Herr Director, wir müssen Sie vorher dringend um Entschuldigung bitten, daß wir Sie hier in Ihrer, ich könnte sagen, geistigen Fechtschule stören; aber ich selber komme mit einem Anliegen an Sie, bei dem mich nur mein Freund hier, Baron von Solberg begleitet hat.« Der Director neigte leise den Lorbeerkranz gegen den Vorgestellten, ohne jedoch seine Haltung im Geringsten zu verändern.

»Ich weiß nicht, ob ich selber Ihnen bekannt bin?« fuhr Dürrbeck fort.

»Wer kennt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen,« citirte der Director.

»Hauptmann von Dürrbeck,« stellte sich der Offizier vor; »Sie haben gewiß von mir gehört?«

Um des Directors lorbeergekrönte Stirn zogen sich düstere Wolken; leise neigte er sein Haupt und sagte: »Sie sind der Bräutigam von Constanze Blendheim.«

»Allerdings, Herr Director,« erwiderte Dürrbeck, jetzt einmal im Zuge, »und der Zweck meines Besuches ist eben, Sie dringend zu bitten, jene Clausel, die das besagte Fräulein in ihrem Contract aufgenommen hat, diesmal mit freundlicher Nachsicht zu behandeln. Familienverhältnisse machen es dringend wünschenswerth, daß Fräulein Blendheim bald die Meine wird.«

»Und was hindert Sie,« sagte der Director huldvoll, »das schon in dieser Woche in's Werk zu setzen? Ich würde Ihrem Glück wahrlich nichts in den Weg legen wollen, denn ich weiß, daß Sie eine Perle an ihr gewinnen.«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Director,« sagte Dürrbeck, doch etwas verlegen, denn er wußte nicht recht, wie er diesen Ausgleich umgehen solle, »es ist nur das einzig Unangenehme bei der Sache, daß – daß meine Familie nicht wünscht – Sie wissen, ich bin Officier, es würde, allen unseren gesellschaftlichen Rücksichten nach, nicht gut ausführbar sein, daß meine Frau noch öffentlich aufträte.«

» Das ist des Pudels Kern,« sagte der Director, die Augenbrauen mit einem eigenen Muskelspiel so hoch hinaufziehend, daß sie ihm fast unter die Papilloten geriethen, »krasse Vorurtheile der sogenannten haute volée gegen die Kunst und die Künstler. Oeffentlich auftreten nennen Sie das Sanctuarium der Bühne, der Bretter, die die Welt bedeuten, der einzigen Culturschule unserer in Verderbniß begriffenen Zeit. Oeffentlich auftreten, als ob es etwas nutzen würde, wenn sie ihre gottvolle Stimme im stillen Kämmerlein, von Niemandem gehört, ertönen ließe!«

»Aber, bester Herr Director …«

»Oh, ich weiß schon!« fuhr aber dieser mit erhöhtem Pathos und die Rolle hebend fort, »man hält eine der begabtesten Jüngerinnen Polyhymnia's nicht für würdig, in den Kreis einer hochadeligen Familie zu treten und doch dabei noch dem Beruf zu folgen, zu dem sie eine Gottheit selbst begeisterte; man nennt das öffentlich auftreten, und einem solchen Vorurtheil verlangen Sie, daß ich meinen Contract opfern soll?«

»Aber wenn es selbst Fräulein Blendheim's innigster Wunsch wäre?«

»Es ist nicht denkbar,« sagte der Director, und die Augenbrauen kamen wieder herunter und zogen sich so fest zusammen, daß sie nur einen einzigen dunkeln Strich über seiner Nase bildeten, »es wäre unnatürlich, und was gegen die Natur ist, läßt sich nicht denken.«

»Aber wenn Sie sie selber fragen wollten?«

»Und alle die Opfer, die ich gebracht habe,« sagte der Director tragisch, »ja, die Verpflichtung, die ich selber gegen das Publikum eingegangen bin? Es wäre Selbstmord. Kain, wo ist Dein Bruder Abel? würde mich der Herr fragen, wenn ich ein solches Licht mit eigener Hand unter den Scheffel stellte; entschuldigen Sie den Vergleich, aber die heilige Schrift führt ihn selber an.«

»Und ließe sich da kein Ausweg treffen, kein Vergleich schließen?« sagte von Dürrbeck. »Sie citiren mir eben die Bibel, lieber Herr, aber einer ächt christlichen Gesinnung wäre es doch angemessen, dem Glück eines jungen Mädchens nicht im Wege zu stehen.«

»Glück,« sagte der Director achselzuckend, »was ist Glück? Glück ist eine solche Stimme, wie sie Fräulein Blendheim hat, denn in ihrer Kehle trägt sie ein Capital, und wenn sie das in den Kasten legt und nicht mehr verzinst, so hat sie das Glück von sich gestoßen.«

»Aber, verehrter Herr,« sagte von Dürrbeck, dem das Gespräch unangenehm wurde, denn er kam dadurch zu keinem Ziele, »wir sind ganz von dem Punkte, über den ich eigentlich mit Ihnen sprechen wollte, abgekommen, ich meine den Contract des Fräuleins. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich die Verbindung mit der jungen Dame wünsche, und daß es uns beiden furchtbar sein würde, unsere Vereinigung noch auf zwei Jahre hinausgeschoben zu sehen.«

Der Director zuckte hoch hinauf mit den Achseln, und der Lorbeerkranz nahm sich dazu etwas sonderbar aus.

»Meine Frage« fuhr Dürrbeck bestimmt fort, »richtet sich deshalb auch nur direct an Sie, verehrter Herr, ob Sie nicht doch vielleicht darauf eingehen würden, Fräulein Blendheim wenigstens im Laufe des nächsten Monats, wo doch die stille Zeit für das Theater beginnt, ihres Contracts und dessen Verpflichtungen zu entbinden.«

Director Sußmeyer streckte den Arm pathetisch vor. »Raum für Alle hat die Erde, was verfolgst Du meine Heerde?« sagte er. »Wie komme ich dazu, aus reiner Gefälligkeit einer Dame den mit vollem Bewußtsein geschlossenen Contract zu lösen, und noch dazu einen Contract, bei dem ich einmal keinen Schaden habe? Sehen Sie, Herr Hauptmann,« fuhr er lebhafter fort, »da ist der Contract unseres zweiten Liebhabers oder der der Soubrette, die noch auf zwei Jahre laufen, wenn Sie die gelöst haben wollen und mir die Einwilligung der Betheiligten bringen, mit dem größten Vergnügen.«

»Dann entschuldigen Sie, daß wir Sie umsonst bemüht haben,« sagte Dürrbeck, ungeduldig werdend, indem er Solberg's Arm nahm.

»Nicht zu hitzig, junger Mann,« sagte der Director, indem er den Arm hob und die Augenbrauen wieder in die Höhe zog. »Sie wissen nicht und können nicht wissen, welche Leiden der Dirigent einer Bühne, eines Kunsttempels durchzumachen hat, wie schwer es ist, in jetziger Zeit wirklich tüchtige und, was in der Neuzeit fast eben so viel sagen will, jugendliche Kräfte zu gewinnen und zu halten. Die Hoftheater schnappen uns mit ihren enormen Gagen außerdem alles wirklich Gute fort, was nicht niet- und nagelfest ist, und selbst Contracte schützen dagegen nicht immer, denn die Herrschaften brennen zuweilen selbst mit diesen durch.«

»Was wollen Sie also machen,« sagte hier Hans, der sich über den excentrischen Menschen zu ärgern anfing, »wenn Ihnen Fräulein Blendheim einfach durchgeht?«

»Dafür bürgt mir ihr Bräutigam,« sagte der Director pathetisch.

»Oder heiser wird,« fiel Solberg ein, »ein ganzes Jahr lang als krank auf dem Zettel steht, nur regelmäßig ihre Gage bezieht und keinen Ton dafür singt?«

Dem Director wurde das Gespräch, da es diese Wendung nahm, wie es schien, nicht angenehm. Er trat nicht weit von da, wo er stand, auf einen kleinen Knopf, den Hans, als er den Fuß wieder davon nahm, am Boden bemerkte, und es kam ihm fast vor, als ob er im untern Geschoß eine feine Glocke hätte an schlagen hören, dann streckte er die Hand, in der er noch immer die Rolle hielt, pathetisch aus und sagte mit hohler, theatralischer Stimme in der Rolle des Tasso weiter:

»Hältst Du mich für so schwach, für so ein Kind,
Daß solch ein Fall mich gleich zerrütten könne?«

»Uebrigens,« setzte er dann mit seiner natürlichen Stimme und in seine gewöhnliche Weise fallend, d. h. grob werdend, hinzu, »haben wir hier im Ort auch noch Polizei und einen Theaterarzt und Strafen und Abzug, um Theaterdamen, die absolut chicaniren wollen, ihren Standpunkt klar zu machen. Ha,« fuhr er dann, wieder in Pathos fallend, fort:

»Ich will den Schein, ich will nicht reden hören,
Ich will den Schein, und darum sprich nicht mehr.
Ich will kein sanfter Narr – kein Schwärmer sein,
Der's Haupt verdreht und jammert, und sich doch
Ergiebt den christlichen Vermittlern. Fort, sag' ich,
Ich will kein Reden – meinen Schein will ich!«

Er hatte bei den letzten Worten eine wahrhaft imponirende Stellung angenommen; ehe ihm aber Einer der beiden jungen Leute auch nur ein Wort erwidern konnte, löste sich plötzlich der Boden in einem regelrechten Viereck um ihn her und sank ein.

Solberg erschrak im ersten Moment und wollte zuspringen, aber mit großer Geschwindigkeit ging die ganze Gestalt in dem rothen Schlafrock in die Tiefe nieder, nur der Kopf mit den Papilloten und dem Lorbeerkranz war noch einen Moment sichtbar, dann verschwand auch er, und in demselben Moment auch schlug eine Klappe vor und füllte den eben geöffneten Raum wieder vollständig aus.

»Bei Gott!« rief Hans, »durch eine richtige Versenkung abgegangen. Hahahaha, Dürrbeck, das ist zu göttlich! Der Kerl ist himmlisch!«

»Er ist verrückt,« sagte der Hauptmann, in diesem Augenblick gar nicht in der Stimmung, das Komische der Situation zu fassen, »rein verrückt, und mit einem solchen Menschen ist natürlich nichts anzufangen. Was jetzt? Ich fürchte, Du hast ihn durch Deine Drohung nur noch mehr gereizt.«

»Der Knauser hielte doch an dem Contract,« sagte Hans kopfschüttelnd, »den Burschen hat er ja gleich von Anfang an hinunter geschickt, um im entscheidenden Moment die Maschinerie arbeiten zu lassen. Aber die Idee ist wirklich prachtvoll, geht durch eine Versenkung ab, wie Hamlet's Geist.«

»Komm,« sagte Dürrbeck, »mir wird es unheimlich in diesen Räumen, das ist keine Kunst mehr, das ist Komödiantenspiel, und je eher ich Constanze diesem Treiben entziehen kann, desto besser – komm!« und des Freundes Arm ergreifend, verließ er mit ihm das Haus.



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