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Der habgierige Kaufmann

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Es war einmal ein reicher Kaufmann, der zog mit achtzig Kamelen durch die Wüste.

Als er sich eines Tages gegen Sonnenuntergang in einer wasserreichen Oase gelagert hatte, nahte sich ein Eremit und sprach: »Mein Bruder, wenn du willst, kann ich dir so viel Schätze zeigen, daß du deine achtzig Kamele mit Gold und Edelsteinen beladen kannst.«

Der Kaufmann, der ein sehr habgieriger Herr war, ließ sich das nicht zweimal sagen und versprach dem Einsiedler ein goldbeladenes Kamel zum Lohne.

»Nein,« antwortete er, »vierzig Kamele mußt du mir geben.«

Der Kaufmann, welcher wußte, daß ihn die andern vierzig, mit Edelsteinen bepackt, zum reichsten Manne der Erde machen würden, sagte zu.

Darauf begaben sie sich ein Stück in die Wüste, der Eremit schlug Feuer, warf ein Pulver hinein, eine Rauchwolke stieg empor, und als sie verschwunden war, erhob sich daselbst ein Felsen mit einer offenen Tür. Dahinter lag die Schatzkammer.

Nun riefen sie die Kamele, füllten alle Säcke mit Edelsteinen und beluden die Tiere, daß sie unter der Last fast zusammenbrachen.

Zuletzt schritt der Einsiedler noch einmal in den Berg und trug eine Büchse heraus, die war mit goldgelber Salbe gefüllt.

Wieder streute er von seinem Pulver in den Brand, die Wolke schwebte herauf, und als sie vergangen war, lag weitum graue Wüste, und es war alles wie zuvor.

Darauf teilten sie die Kamele, wie der Kaufmann versprochen hatte, und jeder zog mit seiner Herde einen andern Weg.

Aber nicht lange, so bereute der Kaufmann, was er getan hatte, eilte dem Eremiten nach und schrie: »Einsiedler, gib mir noch zehn Kamele von deiner Herde! Was wolltest du mit deinen Reichtümern anfangen, da du doch in der Wüste lebst? Du würdest nur Mühe und viel Arbeit mit den Tieren haben.«

»Du hast recht,« sagte der Alte, »nimm dir zehn Kamele von den meinen und ziehe deines Weges.«

Als sie ein Stück voneinander entfernt waren, kehrte der habgierige Kaufmann abermals zurück, und kam auch noch ein drittes und viertes Mal – so lange, bis er dem Eremiten seine vierzig Kamele abgeschwätzt hatte. Zuletzt wollte er auch noch die Büchse mit der goldgelben Salbe haben.

»Die gebe ich dir gerne,« sagte der Alte. »Du mußt aber wissen, wenn du mit der Salbe das linke Auge bestreichst, so siehst du alle Schätze der Erde; bestreichst du dagegen das rechte Auge, so erblindest du, kannst nie geheilt werden und verlierst, was du besitzest.«

Der Kaufmann strich ein wenig Salbe auf das linke Auge, um die Kraft zu erproben, und als er um sich schaute, sah er verborgene Schätze in zahllosen Mengen.

Er umarmte den Eremiten, küßte ihm die Stirn, und beide zogen ihres Weges.

Der Kaufmann war aber noch nicht lange gewandert, so dachte er: »Ei, dieser kluge Alte wird ein großer Betrüger und Neider gewesen sein. Er hat mir zwar gesagt, ich werde erblinden, wenn ich die Salbe auf mein rechtes Auge streiche – – aber: wer bürgt mir denn dafür, daß dem so ist? Ich wette, er hat nur nicht gewollt, daß mir noch größere Reichtümer in den Schoß fallen, weil er mir mein Glück neidet.«

Und kaum hatte der Kaufmann den Gedanken zu Ende gedacht, so nahm er die Salbenbüchse aus dem Gewande, strich ein wenig daraus auf sein rechtes Augenlid und erhob den Blick; denn er dachte: es müßte nun ein großes leuchtendes Wunder in die Sterne seiner Augen fallen.

Aber in diesen Augen lag von Stund' an eine tiefe, tiefe Finsternis.

Und die Schritte der Kamele, die durch den Sand geklungen waren, hörte er nicht mehr; denn die Karawane war verschwunden, und der habgierige Kaufmann stand mitten in der Wüste, warf sich in den Sand und schrie zu seinem Gott, daß er ihn rette.

Aber sein Gott hörte ihn nicht.

Und er tastete sich in die Oase und baute eine Hütte aus dürren Palmblättern. Und wenn eine Karawane des Weges zog, ließ sie ihm einige Nahrung.

Die Sonne brannte ihn, und der Regen schlug ihn. Endlich aber fand sich auch der Tod in die Wüste und führte den blinden Einsiedler an die Stätte, da kein Leid ist.

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