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König für einen Tag

. In Bagdad lebte einmal ein sehr reicher Kaufmann, der hatte einen Sohn und gab ihm eine vortreffliche Erziehung. Als der Kaufmann starb, fiel das unermeßliche Vermögen an den jungen Mann, der bis dahin sehr streng gehalten worden war. Oft hatte er gesehen, wie seine Altersgenossen von einem Gastmahl zum andern, von einem Vergnügen ins andere taumelten, und hatte gedacht, es wäre doch sehr übel an ihm gehandelt, daß man ihm ein solches Leben der Lust nicht auch vergönnte.

Nach dem Tode des Vaters beschloß der Erbe, er wolle sich nun für die entgangenen Freuden entschädigen. Weil ihm aber eine so gute Erziehung geworden, war er weise und vorsichtig genug, sein großes Vermögen in zwei Teile zu teilen; die Hälfte verwendete er zum Ankaufe vieler Häuser in der Hauptstadt, die ihm so viel Geld eintrugen, daß er davon bequem hätte leben können. Er gelobte sich aber, von dem Ertrage dieses Vermögens nicht einen Heller zu Lustbarkeiten zu verwenden und überhaupt nichts davon anzurühren, bis etwa der andere Teil seines Besitzes verloren sei. Mit Hilfe dieses anderen Teiles wollte er alle Freuden dieser Erde kennen lernen.

An jedem Tage lud er sich nun eine Menge Freunde ins Haus, hielt die edelsten Rosse, trank die besten Weine, und die Gastmähler Abu Hassans wurden wegen ihrer ausgesuchten Üppigkeit im ganzen Lande berühmt. Wer bei dem reichen Jüngling zu Gaste sein durfte, schätzte sich glücklich, und alle Welt redete von dem Reichtum seiner Tafel und Schlösser.

Es dauerte jedoch nicht lange, so erkannte Hassan, daß sein Vermögen von Tag zu Tag mehr zusammenschmolz; denn die Zahl seiner Freunde wuchs mit jedem Mahle; und eines schönen Tages mußte der junge Mann die schmerzliche Wahrnehmung machen, daß sein Geld bis auf den letzten Heller aufgebraucht war.

Er war weise genug, keine Schulden zu machen; und er war beharrlich genug, jene andere Hälfte seines Vermögens nicht den gleichen Weg zu schicken, aus dem er die andere verloren hatte. Er sagte also seine Gastmähler ab und lebte fortan einsam und sehr nachdenklich über die verflossene Zeit.

Nascher als vorher die Kunde von der Köstlichkeit seiner Speisen, flog nun die Nachricht von seiner vermeintlichen Verbannung durch die Stadt, und wenn es einmal geschah, daß er einem begegnete, der vordem täglich bei ihm zu Gaste gewesen war, so sah dieser zur Seite, oder er tat, als kenne er ihn nicht.

»Sollte die Freundschaft meiner fröhlichen Genossen wirklich nur so weit gereicht haben wie mein Geld?« fragte sich Abu Hassan. »Ei, das ist ja nicht möglich. Aber ich werde die Freunde von ehemals auf Herz und Nieren prüfen, ehe ich schlecht von ihnen denke.«

Am anderen Tage begab er sich zu etlichen, die ihm am nächsten gestanden hatten – aber entweder ließen sie ihn gar nicht erst eintreten, oder sie zuckten abweisend die Achseln, wenn er ihnen seine Lage geschildert hatte. Er stellte ihnen die große Not vor, in der er sich befände, und bat sie um eine Unterstützung. Auch vergaß er nicht, ihnen zu sagen, daß er wohl einst das frohe Schmausen mit ihnen wieder anfangen würde.

Aber da war keiner seiner Tafelfreunde, der sich von seinen beredten Schilderungen rühren ließ.

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Mit einem Herzen voll Unwillen und tiefster Betrübnis kehrte er nach Hause zurück – anstatt Freunde hatte er Treulose, Undankbare und Schurken gefunden; denn es war sogar geschehen, daß ihm etliche die Türe hatten weisen lassen. An Stelle des leergewordenen Geldkastens stellte er von nun ab jenen, der die Einkünfte aus seinen Häusern enthielt. Doch beschloß er, für seine täglichen Ausgaben immer nur eine bestimmte Summe auszugeben, die er nie überschreiten wollte und die doch zugleich hinreichend wäre, an jedem Tag eine einzige Person an seinem Tische zu bewirten, die spätestens am folgenden Morgen sein Haus verlassen müsse. Zudem gelobte er sich, daß dieser Gast nicht aus der Stadt sein dürfe, in der er so viel Undank erfahren hatte.

So geschah es. Die Mahlzeiten, mit denen Abu Hassan seinen Gast bewirtete, waren nicht überreich, doch konnte man dabei sehr wohl zufrieden sein. Und wenn er am folgenden Morgen seinen Besuch entließ, sagte er: »Als ich dich gestern bei mir zu Tische lud, erzählte ich dir, welches Gesetz ich mir auferlegt habe. Du wirst es mir daher nicht übelnehmen, wenn ich dir sage, daß wir nie mehr miteinander essen und trinken werden. Ich habe meine guten Gründe, so zu handeln. Gott geleite dich!«

Abu Hassan hatte diese Lebensweise schon lange fortgesetzt, als er eines Tages wieder an der Brücke saß, auf der er zu warten pflegte, ob ihm ein Fremder begegne; den ersten, den er sah, lud er in der Regel zu sich. Nicht lange, so kam ein fremder Kaufmann des Weges; der war aber nur so verkleidet, in Wirklichkeit war es der Herrscher von Bagdad, der häufig seine Hauptstadt also durchstreifte, um sich über alles persönlich und unerkannt zu unterrichten, was sein Volk anging. An diesem Tage erschien der Kalif gekleidet als ein Kaufmann von Monsul, und ein großer, starker Sklave folgte ihm.

Weil der Fremde sehr ehrwürdig aussah, stand Abu Hassan von seinem Platze auf, grüßte ihn freundlich und sprach: »Herr, ich wünsch' Euch Glück zu Eurer Ankunft und bitte Euch, mir die Ehre zu erzeigen, bei mir zu Abend zu speisen und die folgende Nacht in meinem Hause zu rasten.« Er erzählte ihm, warum dies alles geschähe, und der Kalif war nicht wenig erstaunt, einem Menschen mit so merkwürdigen Grundsätzen zu begegnen.

Ohne aus seiner Rolle herauszutreten, nahm der Herrscher das Anerbieten an und folgte Abu Hassan in sein Haus. Das Mahl bestand aus Vorspeisen und einem guten Kapaun, aus Tauben mit einer Gewürzbrühe, aus Früchten und Wein. Die Unterhaltung war belehrend und fesselnd, der Kalif fand an seinem Gastgeber das höchste Wohlgefallen, und Abu Hassan berichtete schließlich, wie es gekommen sei, daß er zu einem so eigentümlichen Leben sich entschlossen habe.

»Herr,« begann der Kaufmann von Monsul, als das Mahl sich seinem Ende neigte, »ich möchte Euch meine Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme bezeigen, die Ihr mir als Fremdem gewährt habt. Es ist unmöglich, daß ein Mann wie Ihr nicht irgend einen Wunsch oder ein Bedürfnis haben sollte, öffnet mir Euer Herz und sprecht offen zu mir. Wenn ich gleich nur ein Kaufmann bin, so könnte ich Euch doch persönlich oder durch Vermittlung meiner Freunde vielleicht eine Gefälligkeit erweisen.«

»Hm,« sagte Abu Hassan, »die einzige Sache, die mich verdrießt, ohne mir aber deshalb die Ruhe zu trüben, ist diese: Der Vorsteher unseres Bezirks ist ein vollendeter Heuchler. Zu seinen Ratgebern hat er sich vier Greise gewählt, die nicht weniger durchtrieben und unehrlich sind als er selbst. An jedem Tage kommen diese fünf zusammen, und es gibt keine Verleumdung, üble Nachrede oder Bosheit, die sie nicht schon ersonnen und mit denen sie das ganze Stadtviertel nicht schon in Unruhe versetzt hätten.«

»Nun gut,« antwortete der Kalif. »Ihr wünschtet also wohl einen Weg zu finden, um diesen Übelständen ein Ziel zu setzen?«

»Jawohl,« entgegnete Abu Hassan, »und ich wünschte, ich könnte einen einzigen Tag an Stelle unseres Herrn Arun al Raschid Kalif sein.«

»Und was würdet Ihr dann tun?«

»O, ich würde ein Beispiel aufstellen, daß alle ehrlichen Leute zufrieden sein sollten. Ich würde jedem der vier Alten hundert Stockschläge auf die Fußsohlen geben lassen; dem heuchlerischen Bezirksvorsteher aber vierhundert, damit sie erkennen, wie boshaft es ist, die Bewohner unseres Stadtteils fortwährend zu beunruhigen und zu ärgern.«

Der Kalif fand diesen Einfall nicht schlecht, und weil er ein Freund artiger Abenteuer war, so sagte er: »Junger Mann, Euer Wunsch gefällt mir sehr. Und weil ich sehe, daß er aus dem Herzen eines klugen Menschen kommt, so könnte ich die Erfüllung vielleicht ermöglichen. Ich bin überzeugt, daß der Kalif recht gern seine Herrschaft auf einen Tag in Eure Hände legen würde, und was von mir aus geschehen kann, soll geschehen.«

Nicht lange danach ergriff der Gast die Weingläser, warf in das Abu Hassans heimlich ein Pulver und kredenzte das Glas, von neuem mit goldenem Weine gefüllt, dem Jüngling.

Sie tranken die Gläser auf einen Zug leer, und kaum hatte Abu Hassan das seine wieder auf den Tisch gesetzt, so äußerte das Pulver seine Wirkung. Er fiel in einen so tiefen Schlaf, daß ihm das Haupt fast bis auf die Knie herabsank.

Der Herrscher aber wandte sich an seinen Sklaven und sprach: »Lade diesen jungen Mann auf deine Schultern; aber merke dir sein Haus genau, damit du ihn hierher zurückbringen kannst, wenn ich es dir befehle.«

Da es schon lange nach Mitternacht war, lagen die Straßen still und dunkel. Der Kalif ging in sein Schloß, und der Sklave folgte mit seiner Bürde. Sie gingen in das Schlafgemach des Herrschers, der von seinen Dienern erwartet wurde, und Arun al Raschid sprach: »Kleidet diesen Mann aus und legt ihn in mein Bett; das übrige werde ich euch sagen, sobald es Zeit ist.«

Es geschah alles, wie der Kalif befohlen hatte: die Sklaven entkleideten Abu Hassan, legten ihm das Nachtgewand ihres Herrn an und brachten ihn zu Bett.

Der Kalif aber ließ alle seine Frauen und Diener kommen und sagte zu ihnen: »Ich will, daß ihr morgen dem Manne, der auf meinem Lager schläft, alle Dienste und alle Ehrerbietung erweist, die ihr mir selbst schuldig seid – genau als ob er das wäre, was ich bin. Und du, mein Großwesir, sollst dich nicht wundern, wenn er morgen statt meiner auf dem Thron sitzt. Alles, was er dir befiehlt, höre an und vollziehe es so pünktlich, als ob ich es dir befohlen hätte.«

Ehe der Morgen graute, ließ der Kalif sich wecken, ging sofort in das Zimmer, in welchem Abu Hassan schlief, und trat da in ein kleines, erhöhtes Seitengemach, von wo er durch eine Vergitterung alles beobachten konnte, was vorging, ohne jedoch selbst bemerkt zu werden. Zu gleicher Zeit kamen auch alle Frauen und Diener herein, die beim Aufstehen Abu Hassans zugegen sein sollten, und stellten sich in tiefstem Schweigen jeder an seinen Ort.

Der Tag kam, Abu Hassan schlug die Augen auf und sah sich in dem prächtigen Gemache um. Da meinte er, es sei ein Traum, und lehnte sich in die Kissen zurück. Aber ein Sklave trat herein und rief: »Beherrscher aller Gläubigen, ich bitte Eure Majestät, nicht wieder einzuschlafen; die Morgenröte beginnt schon zu erlöschen.«

»Ich täusche mich also nicht,« dachte Abu Hassan in großem Erstaunen, »ich schlafe nicht, sondern ich wache; denn ich höre, daß man redet.«

Und mit der lächelnden Miene des Weisen setzte er sich im Bette auf, in der Freude, sich über Nacht so erhöht zu sehen.

Alsbald erhoben die jungen Frauen des Palastes ihre Instrumente zu einer Morgenmusik und begannen sich im Tanze zu wiegen.

Mit entzückten Sinnen sah und hörte Abu Hassan, was sich ereignete. Und dennoch hielt er sich die Hände wieder vor die Augen, senkte den Kopf und sagte zu sich: »Was hat das alles zu bedeuten? Wo bin ich? Was ist das für ein Raum? Habe ich meinen Verstand verloren?«

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In diesem Augenblick verstummte die Musik, und der Obersklave trat hinzu und sprach: »Beherrscher der Gläubigen, wenn Eure Majestät nicht unpäßlich sind, so ist es höchste Zeit, auf den Thron zu steigen, die Ratsversammlung zu halten und Euch dem Volke zu zeigen. Die Befehlshaber Eurer Heere, die Statthalter, die übrigen hohen Beamten Eures Reiches warten!«

Diese Worte erschreckten Abu Hassan, und er fragte in großer Verwirrung: »Zu wem redest du? Und wer bin ich, den du Beherrscher aller Gläubigen nennst? Ich glaube, du verkennst mich.«

»Ihr seid Arun al Raschid, der Beherrscher dieses Reiches.«

Abu Hassan lachte bei diesen Worten hellauf und fragte einen kleinen schwarzen Sklaven: »Höre, so sage du mir, wer ich bin!«

»Eure Majestät sind der Beherrscher aller Gläubigen!« antwortete der kleine Schwarze. Und Abu Hassan winkte eins der schönen Mädchen heran: »Tritt näher und beiße mich in diese Fingerspitze, damit ich fühle, ob ich wache oder träume!«

Das Mädchen gehorchte dem Befehle.

»Au!« schrie Abu Hassan, »nein, ich schlafe nicht, ich schlafe gewiß nicht! Aber durch welches Wunder bin ich denn in der Nacht zum Kalifen geworden? Hm, hm – das ist doch etwas höchst Merkwürdiges und Erstaunliches.«

Als der Obersklave merkte, daß er aus dem Bett steigen wollte, reichte er ihm die Hand, das Zimmer hallte von dem Morgengruße der Dienenden wider und Sklaven kleideten ihn an.

Danach tat sich die Tür zum Thronsaal auf, der Obersklave ging voran bis zu den Stufen des goldenen Stuhles und leitete Abu Hassan empor. Der Großwesir trat ein und warf sich vor dem Throne nieder.

Nun konnte Abu Hassan nicht mehr zweifeln, er war wahrhaftig Kalif geworden. Darum faßte er auf der Stelle den Entschluß, von seiner Würde und Macht Gebrauch zu machen und fragte den Großwesir: »Was hast du vorzubringen? Rede!«

»Die Minister warten vor dem Saale, befehlet, daß sie eintreten, und die Ratsversammlung ist eröffnet.«

Abu Hassan erteilte auch diesen Befehl, und die höchsten Beamten des Reiches traten in prächtigen Staatskleidern in den Saal. Viele Angelegenheiten alltäglicher Art wurden verhandelt, und Abu Hassan benahm sich dabei, als hätte er diese Versammlung schon Jahre hindurch geleitet. Er stockte beim Rechtsprechen nicht ein einziges Mal und geriet nicht in die mindeste Verlegenheit. Als er den Polizeiminister bemerkte, winkte er ihn heran und sprach: »Gehe augenblicklich in das und das Viertel der Stadt, fasse den Vorsteher und seine Räte und laß jedem der Räte hundert, dem Vorsteher aber vierhundert Schläge auf die Sohlen geben. Sodann laß sie alle fünf auf Kamele setzen, in Lumpen gekleidet und mit den Gesichtern nach rückwärts gewendet. So sollen sie durch die Stadt reiten, und ein Ausrufer wird vor ihnen herschreiten und verkünden: ›Das ist die Strafe der Lästerer und Verleumder!‹ Sie sollen in ein anderes Stadtviertel verwiesen werden, und es ist ihnen bei Todesstrafe verboten, jemals einen Fuß zurückzusetzen an die Stätte ihrer seitherigen Wirksamkeit.«

Der Polizeiminister legte die Hand auf den Kopf zum Zeichen, daß er den Befehl sofort vollziehen werde, und ging.

Darauf wandte sich Abu Hassan an den Großwesir und sagte zu ihm: »Latz dir vom Oberschatzmeister einen Beutel mit tausend Goldstücken geben, geh damit in das Stadtviertel, in das ich soeben den Polizeiminister gesandt habe, und übergib ihn der Mutter eines gewissen Abu Hassan, welcher den Beinamen ›Der Liederliche‹ führt.«

Der Großwesir gehorchte, und die Mutter Hassans wunderte sich sehr, vom Kalifen ein so reiches Geschenk zu erhalten.

Nachdem die Versammlung beendet war, stieg Abu Hassan vom Throne und äußerte den Wunsch, ein Bad zu nehmen. Die Diener geleiteten ihn zu diesem Zwecke in das Gemach, aus dem er in den Saal getreten war, und einer reichte ihm vor dem Betreten des Baderaumes ein Paar seidene, mit Gold gestickte Pantoffel, wie sie der Kalif anzog, ehe er das Marmorgelaß des Bades betrat. Er nahm sie; da er aber den Gebrauch nicht kannte, steckte er sie in einen seiner Ärmel, die außerordentlich weit waren.

Wenig fehlte, und die Diener wären in ein respektloses Lachen verfallen. Indes, sie unterdrückten diese Anwandlung, und der Großwesir, der unterdes zurückgekehrt war, erklärte ihm, daß er die Pantoffel vor dem Eintritt in den Baderaum anziehen möchte.

Danach geleitete man ihn in einen herrlichen Saal, wo sieben Chöre von Sängerinnen seiner warteten. In der Mitte stand eine Tafel mit goldenen Schüsseln, welche den Saal mit dem Dufte von Gewürz und Ambra erfüllten, mit denen die Speisen bereitet waren. Und während Hassan bei Tische saß, fächelten schöne Sklavinnen ihm mit kostbaren Fächern die Schwüle vom Antlitz.

Noch durch viele Säle wurde Abu Hassan nach dem Mahle geleitet, einer immer reicher als der andere, und jeder voll neuer Überraschungen. Da es Abend werden wollte, tat sich die Tür zum Trinkgemach auf. Dort standen goldene Weine in strahlenden Karaffen und bei jeder Karaffe ein wunderschönes Mädchen.

Abu Hassan trank von jedem Weine einen Schluck, um zu prüfen; zuletzt aber trat ein Mädchen zu ihm und sagte: »Mächtiger Herrscher der Gläubigen, gestattet mir in Gnaden, daß ich Euch zu meiner Laute das Lied singe, das ich heute gedichtet habe.«

Abu Hassan hörte sich den Gesang an, belobte das Mädchen und ließ sich darauf von ihr den Wein reichen. Dahinein hatte sie heimlicherweise von jenem Pulver gestreut, das der Kalif am Abend zuvor angewendet hatte.

Sogleich schlossen sich Hassans Augen, er ließ den Kopf wie ein Schlaftrunkener auf die Tafel sinken, und das Mädchen fing sorgfältig das Glas auf, das er aus der Hand fallen ließ.

Der Kalif hatte auch diese letzte Szene beobachtet und an dem Scherze mehr Vergnügen gefunden, als er gehofft hatte. Er trat aus seinem Verstecke hervor und befahl, dem Abu Hassan sein Gewand wieder anzulegen und ihn in sein Haus auf das Sofa zu tragen.

Dort schlief er bis tief in den nächsten Tag hinein und war nicht wenig überrascht, sich in dem alten Zimmer zu befinden. Er rief die Sklaven und Sklavinnen, aber es war niemand da. Da trat seine Mutter herein, wunderte sich und fragte: »Was ist dir denn geschehen, mein Sohn?«

Bei diesen Worten erhob Hassan den Kopf und sagte verächtlich: »Gute Frau, wen nennst du denn deinen Sohn?«

»Dich!« sprach die Frau, in großem Erstaunen über das fremde Gebaren ihres klugen Sohnes. »Bist du nicht Abu Hassan, der mich Mutter nennt?«

»Oho,« schrie er und sprang auf, »Abu Hassan? Wer ist der, von dem du sprichst? Wisse, ich bin Arun al Raschid, der Beherrscher der Gläubigen.«

»Sei still, mein Kind,« mahnte die besorgte Mutter; »denn man wird dich für einen Narren halten, wenn das jemand hört.«

»Ach, vielleicht bist du eine Närrin! Ich aber wiederhole, ich bin Arun al Raschid, der Kalif von Bagdad!«

Ganz langsam kam dem Abu Hassan die Erinnerung an die Dinge, die vor gestern gewesen waren, und die Mutter zweifelte nicht, daß er vollends zur Erkenntnis gelangen und von seinem Wahne geheilt würde. Und weil sie dachte, sie könne ihm eine Freude damit bereiten, erzählte sie, was sich mit dem Bezirksvorsteher und seinen Räten auf Befehl des Sultans ereignet habe. Sobald er jedoch diese Erzählung angehört, sprang er von neuem auf, sein Blick verstörte sich, und er rief: »Ich bin also weder dein Sohn, noch ein gewisser Abu Hassan, sondern ich bin in Wahrheit der Beherrscher der Gläubigen; denn ich bin es gewesen, den jene Strafe über die Verleumder kommen ließ.«

Darüber wurde der Frau das Herz erst recht bang, und in ihrer Angst dachte sie des Geschenks, das ihr der Kalif gesandt hatte. Sie berichtete auch davon, in der Absicht, ihn zu beruhigen; aber immer fester bestand er auf der Idee, der Kalif zu sein, und rief: »Siehst du, daß ich der Herrscher bin? Ich selber habe meinen Wesir gesandt, dir tausend Goldstücke zu überbringen. Indes, du glaubst mir nicht und suchst mich durch die Lüge zu verwirren, ich sei dein Sohn. Aber warte, ich will deine Bosheit nicht länger unbestraft lassen!«

Schon erhob er den Stock, um auf die Ärmste einzuschlagen, als zum Glücke die Nachbarn in das Zimmer eilten; der Mutigste entwand ihm den Stock und sagte: »Was tust du, Abu Hassan? Hast du deine Vernunft und alle Furcht vor Gott verloren, daß du deine eigene Mutter schlagen willst?«

Aber zornvollen Blickes richtete sich Hassan auf und schrie: »Wer ist dieser Abu Hassan, von dem ihr sprecht? Meint ihr mich mit diesem Namen?«

Die Frage brachte die Nachbarn ganz außer Fassung, und weil sie sahen, daß sie ihn nicht überzeugen konnten, lief einer zum Aufseher des Narrenhauses; dieser kam mit zahlreicher Begleitung, kam mit Ketten und Handschellen und führte Abu Hassan davon. Er wurde in einen eisernen Käfig gesperrt, und so oft er tobte und behauptete, er sei der Kalif von Bagdad, bekam er eine Tracht Prügel. »Ich bin kein Narr,« schrie er; »wenn ich es aber werde, so seid ihr daran schuld, die ihr mich in dieses Haus geführt habt!«

Seine Mutter besuchte ihn an jedem Tage und redete freundlich mit ihm. Da begann er wieder ruhig zu denken und sagte: »Wenn ich wirklich der Herrscher über die Gläubigen wäre – warum lassen mich meine Minister und Diener an diesem Orte? Und wenn ich es wäre, warum befand ich mich beim Erwachen in dieser Kleidung auf einem Zimmer und nicht in den Prunksälen der Paläste? Zwar – ich habe dem Großwesir und dem Polizeiminister Befehle gegeben, die sie ausgeführt haben; das hätten sie nicht getan, wenn ich Abu Hassan hieße ...«

Und so sann er sich immer wieder in seine große Verwirrung; aber die sanften Worte seiner Mutter machten ihn mit jedem Tage stiller, und endlich öffnete der Aufseher das Gitter und entließ Abu Hassan, der mit seiner Mutter in das Haus im Osten der Stadt zurückkehrte.

Als er wieder zu Kräften gekommen war, nahm er seine früheren Lebensgewohnheiten wieder auf, ging auch an die Brücke und erwartete einen Fremden, den er zu Gaste bitten könnte. Und wieder erschien der Kalif, als Kaufmann von Monsul gekleidet. »Gott behüte mich,« rief Abu Hassan, »da kommt ja der Zauberer, der mich vor kurzem so arg behexte!«

Der Kalif, der den Scherz noch weiter treiben wollte, trat ihm freundlich entgegen und sagte: »Bist du es, mein Bruder Hassan? Sei mir gegrüßt und erlaube mir, daß ich dich umarme!«

»Ich aber grüße dich nicht!« rief Hassan, »geh deines Wegs!«

Der Kalif ließ sich jedoch nicht abschrecken. »Ei wie?« sagte er erstaunt, »was ist dir begegnet, daß du so unfreundlich bist? Habe ich nicht die besten Wünsche für dich gehegt?«

»Deine Wünsche kümmern mich nicht. Ich bitte dich um Gottes willen, ziehe deine Straße und ärgere mich nicht weiter.«

»Ach, mein Hassan,« sagte der Kalif, »ich möchte nicht gern auf diese Weise von dir scheiden! Da das Glück uns wieder zusammenführte, so mußt du mir schon noch einmal die gleiche Gastfreundschaft erweisen wie vor einem Monat, und mir gewähren, daß ich noch eine Flasche Wein mit dir trinke!«

»Davor werde ich mich schön hüten,« rief Abu Hassan. »Du hast Unheil genug gestiftet; ich mag mich dergleichen Gefahren nicht noch einmal aussetzen.«

Aber der Kalif umarmte ihn wie einen alten Freund, und Abu Hassan bat ihn, sich neben ihn zu setzen, und erzählte ihm die Abenteuer, die er seit jener Nacht durchlebt hatte. Da gab sich der Kalif ihm zu erkennen und sagte: »Mein lieber Bruder Abu Hassan, ich habe in dir den weisesten meiner Untertanen kennen gelernt, und ich selber trage die Schuld an deinem Leiden; denn ich habe dir deinen Trank mit einem Schlafmittel gemischt, das dich nach jenem Tage, an dem du König warst, mit Verwirrung schlug. Aber heute bin ich gekommen, dir meine Schuld zu bezahlen. Deine Beharrlichkeit und deine Klugheit sind würdig, belohnt zu werden; und da in der vorigen Nacht mein Großwesir seinem Leiden erlegen ist, ernenne ich dich zu seinem Nachfolger.«

Abu Hassan, der seinen Ohren nicht traute, fürchtete, er sei in seine alte Krankheit verfallen. Da schlang der Kalif seinen Arm um Hassans Hüfte, führte ihn in sein Haus und wiederholte seinen Antrag im Beisein der Mutter Hassans. Nicht lange, so kam ein goldener Wagen mit vier schneeweißen Hengsten angerollt, die trugen blaue Stutze auf den Stirnen; und in dem goldenen Wagen fuhr der Kalif mit seinem neuen Großwesir in den Palast. Und beide regierten das Land in Güte und Weisheit viele, viele Jahre.

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