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Der Mann mit dem kalten Blute

. Ein Mann hatte drei Söhne, von denen er den jüngsten am meisten liebte. Dieser Jüngste hieß Dschudar und war seinem Vater und seiner Mutter in allen Dingen gehorsam.

Als der Mann alt und krank geworden war und seinen Tod herannahen fühlte, teilte er sein Gut in vier Teile und gab jedem seiner Söhne, was ihm gehörte. Der vierte Teil verblieb der Mutter.

Dann starb der Greis.

Seine Söhne aber gerieten alsbald in Streit; denn die beiden älteren behaupteten, der jüngste habe mehr erhalten.

Darüber liefen sie zu den Gerichten und stritten so lange miteinander, bis all ihr Vermögen für die Gerichtskosten verbraucht war; nun waren sie arme Leute.

Dschudar aber ging hin, lieh sich einen Betrag von seiner Mutter und kaufte sich dafür ein Fischnetz. Die anderen beiden jedoch faulenzten durch ihre Tage und verschwendeten schließlich noch alles, was die Mutter besaß, weil sie es ihnen gutwillig gab.

Dschudar dagegen verdiente an jedem Tage einige Silberlinge mit dem Fischfang und ernährte Mutter und Brüder, so gut es gehen wollte.

Aber alles Geld, das er verdiente, lief durch die liederlichen Brüder wieder davon.

So saß Dschudar eines Tages traurig am Strande des Meeres und dachte über seine üble Lage nach, als plötzlich ein Mann auf einem Maultiere geritten kam und zu ihm sagte: »Dschudar, es ist sehr brav von dir, daß du deine Mutter nicht im Stiche läßt in ihrer Not; da nun aber deine Mutter ein zu gutes Herz hat und sich nicht von deinen schlimmen Brüdern trennen will, so wird es dir mit Hilfe deines Fischnetzes nicht gelingen, aus deiner Armut zu kommen. Ich will dir aber etwas sagen: du bist ein Sonntagskind, und mit deiner Hilfe könnten wir Schamardals Schatz heben, der in der Stadt Fas verborgen ist. Wir geben deiner Mutter tausend Goldstücke, damit sie inzwischen keine Not zu leiden braucht, und begeben uns danach auf die Reise.«

Dschudar vernahm diese Botschaft gern, und obwohl er weder etwas von Schamardals Schatz gehört hatte, noch sich denken konnte, was er selbst dabei zu tun hätte, war er mit dem Vorschlag einverstanden.

Der Fremde legte der Mutter also tausend Goldstücke auf den Tisch, und alsbald setzten sich die Männer in die Sättel und ritten aus nach der Stadt Fas.

Als sie eine halbe Tagreise von Hause waren, verspürte Dschudar Hunger. Da gebot ihm der Fremde: »Nimm den Mantelsack vom Tier und sage mir, wonach du Appetit hast.«

Ein gebratenes Hühnchen, Reis und Honig wären mir nach diesem anstrengenden Ritte gerade recht!« lachte Dschudar.

»Sehr schön,« sagte der Fremde, »das werden wir gleich haben,« steckte seine Hand in den Mantelsack und holte eine goldene Schüssel mit zwei herdwarmen gebratenen Hühnchen heraus.

Beim zweiten Male langte er Reis und Honig hervor und sprach: »Wenn du nach besseren Sachen Lust hast, so brauchst du nur zu reden, und ich schaffe dir alles herbei!«

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Dschudar machte nicht gerade ein kluges Gesicht, als er das hörte, legte den Finger an die Nase und sagte: »Aha, ich weiß, du hast zuvor eine Küche und ein paar Köche in deinem Sacke verborgen!«

Da lachte der Fremde: »Dies ist ein Wundersack, und er wird von einem Diener bedient, der uns in jeder Stunde tausend Gerichte bringt, sofern wir es verlangen.«

»Aha!« sagte Dschudar, und sie setzten sich und aßen.

Hernach steckte der Fremde die goldenen Schüsseln wieder in den Sack, und weil sie durstig waren, holte er einen Eimer voll Champagner hervor. Sie tranken, setzten sich wieder in ihre Sättel und ritten von dannen.

In dieser Weise reisten sie neun Tage lang, immer bis um die Mitternacht, und alles, wonach Dschudar Verlangen trug, holte der Fremde aus dem Mantelsacke heraus.

Am zehnten Tage kamen sie nach Fas und standen alsbald vor einer Tür.

An diese schlug der Fremde, und ein schönes Mädchen trat heraus und sprach: »Zu Diensten!«

»O Rahme,« sagte der Fremde, »öffne uns das Oberzimmer!«

Das geschah, und sie stiegen samt ihren Maultieren eine Stiege empor und kamen in einen großen Raum. Dort sprach der Fremde zu den Tieren: »Seid bedankt für euren Dienst und geht jetzt fressen.«

Auf einmal spaltete sich die Erde, die Tiere verschwanden, und der Boden schloß sich, wie er gewesen war.

Dann öffnete der Fremde ein Paket und nahm daraus ein sehr kostbares Gewand, das er Dschudar anzog.

Darauf ergriff er den Mantelsack und langte zwei verschlossene Büchsen heraus. Über diese sprach er eine Zauberformel, und sofort wurden in ihrem Inneren Stimmen vernehmbar, die riefen: »Was begehrst du, o Zauberer der Welt? Wir gehorchen!«

Der Zauberer aber sprach seine Sprüche immer weiter, da zerplatzten die Büchsen, und zwei gefesselte Männer kamen zum Vorschein.

»Ich will euch beide verbrennen,« rief der Fremde, »wenn ihr mir nicht versprecht, mit Hilfe dieses Fischers Dschudar uns Schamardals Schatz zu erschließen!«

»Es soll geschehen,« sagten die Männer und verneigten sich.

Darauf nahm der Zauberer ein Kohlenbecken, streute ein Pulver auf die Glut, und augenblicklich standen sie vor einem Tore, das in einen Berg führte.

Der Zauberer aber sprach: »Poch' an das Tor, Dschudar, und poch' auch an die anderen Tore, zu denen du auf deinem Wege kommst. Tu' alles, was von dir verlangt wird, und du wirst Schamardals Schatz heben. Damit leb' wohl, und so du klug bist, feiern wir ein fröhliches Wiedersehen. Am Ende kannst du noch einmal Sultan werden.«

»Das wäre nicht schlecht,« dachte Dschudar und pochte an das Tor. Der Zauberer verschwand im selben Augenblicke.

Da erklang eine wilde Stimme hinter dem Tore: »Wer pocht? Er ist verloren, wenn er keine Schätze zu lösen versteht!«

»Wenn's weiter nichts ist,« sagte Dschudar, »ich bin Omars Sohn – tu auf!«

Da tat sich das Tor auf, und es stand ein Riese mit gezücktem Schwerte dahinter, der rief: »Bücke dich; denn ich will dir den Kopf abschlagen.«

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»Das geht gut los!« dachte Dschudar. Weil er aber versprochen hatte, alles zu tun, was von ihm verlangt werde, hielt er den Hals hin und sagte: »Bitte! Ich habe nichts dagegen einzuwenden.«

Da hob der Riese das Schwert.

Ehe es aber niedersauste im Falle, stürzte er hin und war tot.

»Wenn's nicht schlimmer wird,« lachte Dschudar, »laß ich mir die Sache gefallen! Ich glaube wahrhaftig, daß ich das Zeug dazu habe, einmal Sultan zu werden.«

Nicht lange, so sah Dschudar ein zweites Tor; er pochte, und es wurden nun die gleichen Worte gesprochen wie am ersten – und so an jedem folgenden Tore; denn im ganzen hatte der Sohn Omars sechs solcher gefährlichen Türen zu durchschreiten.

Ein Ritter, hoch zu Roß, stand hinter der zweiten und rief: »Was hat dich an diesen Ort geführt, den bisher kein Mensch betrat, o Unseliger?«

»Danach hast du mich gar nicht zu fragen!«

»So will ich dich töten, du Narr!« schrie der Ritter. »Öffne das Gewand vor deiner Brust!«

»Wenn's ohne dies nicht geht,« lachte Dschudar und öffnete seinen Rock, »so stoß nur zu!«

Der Ritter hob seinen Speer; als er ihn aber in Bewegung setzte, Dschudar zu durchbohren, sank er aus dem Sattel und war tot.

»Na ja,« sagte Dschudar, »vorneweg getrommelt und hinten keine Soldaten!« und schritt zum dritten Tore.

Dahinter stand ein Ungeheuer mit Bogen und Pfeilen und drohte, den Eindringling zu erschießen.

»Tu, was dir Vergnügen bereitet,« sagte Dschudar, »aber triff gut, sonst könnte es dich dein närrisches Leben kosten!«

»Hihi,« grinste das Ungeheuer und wunderte sich über diese Kaltblütigkeit augenblicklich zu Tode.

Alsdann trat Dschudar zum vierten Tore – ein riesiger Löwe stürzte hervor und wollte ihn mit Haut und Haar auffressen.

»Halt!« rief Dschudar.

»Warum ›halt‹?« fragte der Löwe erstaunt.

»Du weißt ja nicht einmal, wie ich schmecke! Wenn dir mein Fleisch nicht bekommt, so ist es besser, du läßt mich ungefressen.«

»Auch richtig!« sprach der Löwe. »So laß mich zuerst kosten.«

»Leichter gesagt als getan! Wie denkst du denn diese Sache anzustellen?«

»Reich' mir deine rechte Hand her, damit ich sie dir abbeiße,« sagte der Löwe.

»Wenn du weiter nichts willst – das kann geschehen!«

Damit steckte ihm Dschudar die Hand ins Maul; der Löwe aber legte sich augenblicklich auf die Seite und starb.

Am fünften Tore stand ein schwarzer Sklave.

»Höre, mein Freund, ich bin Dschudar –«

»O, ich habe schon von Ihnen gehört,« versetzte der Sklave, »Sie sind der kaltblütigste Mensch, den die Sonne bescheint. Sie müßten eigentlich auf einem Königsthrone sitzen!«

»Selbstverständlich,« sagte Dschudar. »Das sind aber Dinge, die dich nichts angehen. Wenn du etwas Kluges machen willst, so öffne mir dies sechste Tor da.«

»Das wird Ihnen aber wahrscheinlich sehr übel bekommen.«

»Ach, Unsinn,« erwiderte Dschudar, »wenn ich einen Kerl wie dich sehen kann, ohne daß es mir übel wird, so kann mir überhaupt nichts geschehen.«

»Meinen Sie?« sagte der Sklave. »Nun, dann ist's gut.« Und er öffnete das letzte Tor.

Da fuhren auch schon zwei Drachen daher, die spien Rauch und Feuer ...

»Gemach, gemach, meine Herrschaften!« rief Dschudar, »ihr versperrt mir ja mit eurem Nebel die ganze Aussicht!«

Das verblüffte die Ungeheuer so, daß sie am Wege stille lagen, nicht mehr spien und etwas leise miteinander sprachen.

»Aha,« sagte Dschudar, »es ist euch leid, daß ich nur einer bin! So macht doch zwei Hälften aus mir – für ein Frühstück ist auch eine Hälfte genug.«

Da blinzelte ihn einer der Drachen an: »Das muß man dir lassen, Menschlein, ein kaltes Blut hast du ...«

»Wenn's bloß das wäre, meine Herrschaften! Meine Knochen sind noch viel stärker als mein Mut! Ist's gefällig, zu probieren? Was gilt die Wette, Sie werden sich daran Ihre niedlichen Zähnchen ausbeißen, und zum Überflusse werden sich diese Knochen durch Ihre Magen spießen wie eiserne Lanzen. Bitte, nur zu probieren, ich bin bereit!«

Als die Drachen das hörten, wanden sie sich am Boden, einmal hin, einmal her – das war das Vorgefühl der Schmerzen, die sie erleiden würden. Und davon rührte sie der Schlag.

»So wäre auch diese Sache erledigt,« sagte Dschudar zu sich, und er war neugierig, was weiter geschehen würde.

Nun trat er in die Schatzkammer ein. Da sah er das Gold in Haufen liegen, kümmerte sich aber gar nicht darum, wie ihm der Zauberer gesagt hatte, sondern ging auf einen Vorhang zu, der am gegenüberliegenden Ende der Kammer war, und hob ihn auf.

Dahinter lag der Zauberer Schamardal auf einem goldenen Bette.

Er hatte ein Schwert umgehängt, um seinem Finger trug er einen Siegelring und an seinem Halse eine Kette mit einer kleinen goldenen Büchse.

Diese vier Kleinode sollte Dschudar mit heimbringen: das Schwert, den Ring, die Kette und das Kollyziumbüchslein.

Und weil Scharmadal gerade in einem tiefen Schlafe lag, löste Dschudar alles mit Leichtigkeit von seinem Leibe, was er brauchte, und machte sich auf den Heimweg.

Hinter dem Vorhange aber standen sechs schwarze Sklaven mit einer Sänfte und sprachen: »O Herr, du bist der Gewaltigste unter den Menschen! Wir waren Sklaven des Schamardal, der nun tot ist, weil du ihm die Kette vom Halse löstest. Du hast die Welt dadurch von dem gefährlichsten und boshaftesten Geiste befreit. Darum laß uns dir dienen! Gefällt es dir, so setze dich in die Sänfte, und wir wollen dich zu deinem Gastfreunde nach Fas tragen.«

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»Natürlich gefällt mir das,« sagte Dschudar; »denn ich bin sehr müde von dem weiten Wandergange.«

Damit setzte er sich in die Sänfte, und augenblicklich schwebte diese mit den Sklaven dahin.

Der Gastfreund umarmte ihn vor Freude und Rührung, ließ sich die Kleinodien geben, die den Schatz Schamardals ausmachten, und holte alsdann die besten Speisen aus dem Mantelsacke, die dieser zu spenden vermochte.

Sie aßen und tranken reichlich und der Fremde sprach:

»Mein Freund Dschudar, du hast deine Heimat meinetwillen verlassen und dich in große Gefahren begeben. Sprich also einen Wunsch, damit ich ihn dir erfülle.«

»So schenke mir deinen Mantelsack,« sagte Dschudar.

»Nimm ihn hin,« versetzte der Fremde; »jedoch dieser Sack nützt dir ja zu nichts anderem, als zur Beschaffung von Essen. Darum will ich dir lieber noch einen Sack voll Gold und Edelsteine geben.«

»Das ist sehr schön von dir und fast ein zu reichlicher Dank für meine Arbeit! Aber ich nehme alles an!« entgegnete Dschudar, dann legte er die Säcke auf ein Maultier, und nach zehn Tagen ritt er durch das Tor seiner Vaterstadt Kairo.

Er fand seine Mutter sehr arm, woraus er erkannte, daß er ziemlich lange weggewesen war, und fragte nach dem Befinden seiner Brüder.

Da erfuhr er: die Brüder hatten der Mutter die tausend Goldstücke abgeschwätzt, die ihr der Fremde gegeben, und hatten sie verpraßt. Die Mutter aber mußte die Zeit her ihr Leben durch Bettel fristen.

»Das soll nun gleich anders werden,« sagte Dschudar, »sprich, was du zu essen willst, und wie du gebietest, so steht es da!«

»Aber mein Sohn, ich sehe ja nichts bei dir!« versetzte die Mutter Da steckte Dschudar die Hand in den Sack, holte gebratene Hühner, feine Würste, gefüllten Kürbis, Pasteten und gebrochene Mandeln, Bienenhonig und Nußkonfekt hervor; und die alte Frau geriet ganz außer sich vor Staunen.

Weil sie ihr Glück mit dem Sack auch versuchen wollte, tat sie die Hand hinein, und siehe, sie hob einen goldenen Teller mit Kraut und gefüllten Schweinsrippchen heraus; denn das war ihre Lieblingsspeise.

Während die Mutter noch ganz sprachlos vor dem Wunder stand, traten auf einmal die zerlumpten Brüder in die Stube; denn sie hatten gehört, daß Dschudar auf einem Maultiere zurückgekehrt sei.

Er bewirtete sie reichlich, und sie ließen es sich schmecken wie die Könige.

Als sie aber fortgegangen waren, sprach der eine zum andern: »Du, unser Bruder setzte uns ein großes Gastmahl vor und verteilte alles, was übrigblieb, unter die Armen. Aber wir sahen nicht, daß er etwas kaufte, oder daß er ein Feuer anzündete oder überhaupt eine Küche und einen Koch hat. Kannst du dir das erklären?«

Da beschlossen sie, die Mutter zu fragen. Und als Dschudar eines Tages ausgegangen war, betraten sie heißhungrig das Haus.

Sie erfuhren alles, ärgerten sich, daß sie ihrem jüngsten Bruder immer nachstehen sollten, und sprachen: »Wir wollen ihm den Mantelsack wegnehmen und uns damit über alle Berge machen. Wie sollen wir dies aber anstellen?«

»Ach,« sagte der eine, »wir wollen unsern Bruder an einen Kapitän verkaufen, der mit seinem Schiff im Meere von Suez liegt.«

Und der andere fragte: »Wie könnte dies geschehen?«

»Nun, ich und du, wir wollen zu jenem Kapitän gehen und ihn mit zweien von seinen Leuten einladen. Am Ende der Nacht will ich dir schon zeigen, was ich tun werde.«

Sie begaben sich auch unverzüglich auf den Weg, fanden den Kapitän und erzählten ihm eine lügenhafte Geschichte: ihr Bruder wäre ein Tunichtgut und hätte sich an den Bettelstab gebracht, darum wären sie seiner überdrüssig geworden und wollten ihn für dreißig Silberlinge losschlagen.

Der Kapitän antwortete: »Gut, so kommt morgen abend mit ihm in das und das Gasthaus!«

Alles nahm nun seinen Gang: sie trafen an der verabredeten Stelle zusammen, aßen und tranken und legten sich schlafen. Um Mitternacht aber knebelten sie Dschudar und schleppten ihn auf das Schiff des Kapitäns. Das stach im Morgengrauen in See.

Die schlimmen Brüder aber eilten nach Hause und forderten den Zaubersack von der Mutter.

Die weigerte sich jedoch, ihn zu geben; und es brach ein lauter Streit zwischen ihnen aus, in dem sie sich alle ihre Fehler und Vergehen vorwarfen.

Draußen unter dem Fenster aber stand um diese Zeit ein Polizeimann des Königs; der hörte alles mit an und erstattete dem Herrscher Bericht.

Da wurden die bösen Brüder gefangengenommen, erhielten fünfzig Schläge auf die Fußsohlen und wurden zuletzt in das Gefängnis geworfen.

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Dschudar aber fuhr ein ganzes Jahr lang auf dem Meere und konnte seiner Mutter keine Botschaft senden, auch konnte er seiner Gefangenschaft nicht entwischen, wenn das Schiff einmal vor Anker lag; denn er hatte kein Geld.

Eines Tages traf er aber in einem großen Hafenorte zu seiner Freude den Gastfreund aus Fas.

»Das ist ein sehr glücklicher Zufall,« sagte er, »denn es geht mir miserabel.« Dann erzählte er seine Geschichte, und der Mann, der den Schatz Schamardals besaß, sann augenblicklich auf Hilfe. Er kaufte Dschudar dem Kapitän für hundert Goldstücke ab, ging mit ihm nach Hause und forschte in seinen Zauberbüchern nach dem, was er wissen wollte.

»Höre,« sagte er, »deine Brüder hat der König von Ägypten zum Glück ins Gefängnis werfen lassen; ich selber aber kann dir nicht anders helfen, als daß ich dir den Ring aus meinem Schatze schenke. Du hast dir ihn redlich verdient, und es wäre sehr undankbar von mir, wenn ich dich in dieser Klemme sitzen lassen wollte. Nimm also diesen Reif, du weißt ja, wie du ihn zu behandeln hast, damit er dir seine Gaben zuteil werden läßt.«

»Natürlich,« sagte Dschudar, verabschiedete sich mit vielem Danke von seinem Gastfreund, und der versprach ihm seine Hilfe, so oft die nötig sein würde; dann machte sich Dschudar auf und davon.

Er ging aber nur bis an das Stadttor; dort rieb er den Ring, und schon erschien ein Sklave, der sprach: »Hier bin ich, mein Herr! Ich höre und gehorche! Willst du eine wüste Stadt bevölkern, oder eine bevölkerte Stadt verwüsten? Willst du einen König besiegen? Oder ein Heer zersprengen?«

»Nichts von alledem! Bringe mich heute nur nach Ägypten.«

»Sehr schön! Die Sache kann sofort vor sich gehen. Bist du bereit?«

»Wie immer!« sagte Dschudar.

Die Reise ging also los: er fühlte den Wind ein wenig um die Ohren sausen, setzte seinen Turban darum etwas fester, und siehe – da war er auch schon auf dem Sofa in der Stube seiner Mutter.

Die weinte vor Freude und wollte gleich mit einer langen Geschichte beginnen, allein Dschudar sagte: »Ich weiß alles! Ich will dir aber auch zeigen, was ich vermag, und will meine Brüder sofort hierherbringen.«

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Er rieb den Ring, der Sklave vernahm seinen Befehl, und nach einer Minute standen die beiden Brüder welk und ausgehungert vor ihm.

Als sie einander sahen, schlugen sie die Augen nieder, und sie weinten vor Scham und Reue.

Dschudar aber sprach: »Weinet nicht; denn ich will nicht übel mit euch verfahren, sondern will mich mit Joseph trösten, mit dem seine Brüder noch viel schlimmer umgingen. Bittet Gott, daß er euch eure Sünden vergebe. Ich selbst habe euch verziehen und heiße euch willkommen! – Wo habt ihr denn meinen Mantelsack hingetan?«

»O Bruder,« flehten die beiden, »zürne uns nicht: der König hat ihn uns abgenommen und bewahrt ihn auf!«

»Das ist nicht schlimm; in einer Minute wird er ihn wieder hergeben müssen!« sagte Dschudar.

Er rieb den Ring, der Sklave erschien und mußte nun aus der Schatzkammer des Königs den Sack holen und alle Edelsteine, die der König für die goldenen Teller eingetauscht hatte, welche er aus dem Wundersacke genommen.

Darauf sprach Dschudar zu dem Geiste: »Baue mir in dieser Nacht ein Schloß ...«

»Aus Marmor?« fragte der Sklave.

»Unsinn! Natürlich aus Gold! Richte es aufs prächtigste ein und laß nicht den Tag anbrechen, ehe du mit allem fertig bist!«

Darauf aßen sie, legten sich schlafen, und am nächsten Morgen erschien der Diener: der Palast stand fix und fertig da!

Er ließ nun noch viele schöne Gewänder bringen, ließ Sklaven dingen und zog in das Schloß ein.

Der Schatzmeister des Königs aber merkte am Morgen, daß alle Edelsteine und der Wundersack aus den Kammern verschwunden waren, und erstattete seinem Herrn Bericht. Der ließ sofort seine Minister zu einer Beratung rufen, und weil es auch bekannt wurde, daß die beiden Brüder aus dem Gefängnis entkommen seien, so sprach der König:

»Wer diese beiden durch die eisernen Türen gehen ließ, und wer jenen schönen Palast in einer Nacht erbaute, der hat auch meine Edelsteine genommen. Auf, Wesire, und holt mir den Herrn des neuen Palastes herbei!«

»O weh,« sagte der oberste der Wesire, »das würde uns übel bekommen! Aber lade ihn ein zu dir; denn er ist ein sehr vornehmer Mann. Hat er hohen Mut, so müssen wir ihn überlisten; ist er aber schwach, so kannst du mit ihm nach deinem Belieben verfahren.«

Einer der Wesire begab sich also zu Dschudar und sagte: »Mein Herr, der König, ist dein Freund. Er entbietet dir seinen Gruß und läßt dich für heute zu einem Mahle laden.«

»So, so,« sprach Dschudar. »Ich habe aber keinen Appetit; wenn er mein Freund ist, so sag' ihm, er möchte doch zu mir kommen.«

Der König ließ sofort seine Garden rüsten und ritt vor diesem kleinen Heere gegen das Schloß Dschudars.

Als der ihn kommen sah, rieb er den Ring und sprach zu dem Sklaven: »Schaffe mir sofort dreitausend rüstige Streiter, wohl gewappnet und von mächtigem Körperbau. Setze sie auf weiße Araberrosse und heiße sie im Schloßhof Aufstellung nehmen.«

Das geschah, und der König konnte sich nicht genug wundern über den Empfang durch dreitausend wohlbewaffnete Reiter von so stolzem Aussehen.

Darüber wandelte sich sein Herz, und er sprach zu Dschudar: »Wisse, ich habe eine Tochter, die ist schön wie der Frühling. Ich weiß keinen, der würdiger wäre, ihr Gemahl zu sein, und keinen, der mir auf dem Throne folgen könnte, als dich.«

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»Die Sache läßt sich hören!« sagte Dschudar, »und da ein König immer die Wahrheit spricht, wenn er ein guter König ist, so laß dein Kind holen, auf daß ich es sehe.«

Nicht lange, so erschien die Tochter des Herrschers, und sie war schön wie der Frühling.

Da nahm sie Dschudar zum Weibe; und es wäre alles ein Glück und eine Seligkeit gewesen, wenn nur die Habgier nicht wieder in den Herzen der Brüder erwacht wäre: der eine stahl Dschudar den Mantelsack und der andere den Ring.

Dschudar, der Mann mit dem kalten Blute, überlistete sie aber beide. Freilich brauchte er dazu ein ganzes Jahr und hatte viel von ihnen zu leiden. Als er sie aber mit Hilfe seines Freundes aus Fas gefangen hatte, nahm er ihnen das gestohlene Gut wieder ab und ließ jeden von ihnen auf ein Schiff bringen. Dort mußten sie Sklavendienste verrichten, und sie grämten sich in ihrer Habgier zu Tode.

Dschudar aber trat nach drei Jahren die Regierung an; und die Bücher wissen viel von seiner Gerechtigkeit und seinem Mut im Kriege zu erzählen. Er ritt stets an der Spitze seines Heeres in die Schlacht, und er ist der einzige König von Ägypten gewesen, der stets siegreich aus allen Kämpfen hervorging; denn ein ruhig Herz und kaltes Blut sind zwei unbezahlbare Güter und sind wertvoller als ein Wundersack, der goldene Teller mit gebratenen Hühnchen zaubert.

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