Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Der Richter, der von seiner Frau belehrt wurde

Ein Richter hatte ein sehr tugendhaftes, rechtschaffenes, schönes und barmherziges Weib, und der Ruf ging durch das ganze Land, daß sie in Wahrheit eine Zierde ihres Geschlechtes sei. Auch der Richter war davon überzeugt, und weil er der Meinung war, daß alle Frauen der seinen gleich wären, so entschied er sich in allen seinen Urteilen bei Gericht gegen die Männer. Kam also einer und verklagte sein Weib, daß sie als böse Sieben sein Haus und seine Familie verderbe, so sagte der Richter: »Jedes Weib ist der Gipfel der Vollendung; es ist daher nicht möglich, daß durch eine Frau Unheil gestiftet werde.« Dann erklärte er den Mann für den schuldigen Teil, hieß ihn die Kosten bezahlen und schickte ihn heim.

Es dauerte nicht lange und die Leute murrten gegen den ungerechten Richter und wußten nicht, wie sie sich helfen sollten.

Da erschien eines Tages ein Mann vor Gericht, der war von seiner Frau blau und braun geschlagen worden, führte ein Kind an der Hand und hatte eins auf dem Arm und klagte wider sein Weib; das wolle den lieben langen Tag nichts arbeiten und kümmere sich nicht einmal um die Kinder.

Wer nun meint, der Richter hätte wenigstens diesem Armen sein Recht gegeben, der meint falsch.

In tiefer Niedergeschlagenheit verließ der Kläger den Saal; aber während er daheim am Herdfeuer stand und den Kindlein den Brei kochte, fiel ihm plötzlich ein, er wolle bei der Frau des ungerechten Richters Hilfe suchen; denn der Ruf ihrer Weisheit und Rechtschaffenheit wuchs mit jedem Tage mehr.

Er flehte sie auch nicht umsonst an; sie ließ sich seine Sache vortragen und sagte: »Geh ruhig in dein Haus und suche nicht früher wieder Hilfe bei dem Kadi, als er dich rufen läßt.«

Als der Ungerechte am Abend heimkehrte, sprach die schöne rechtschaffene Frau zu ihm: »Lieber Mann, kaufe uns morgen ein paar Gänse; denn ich habe große Sehnsucht nach Gänsebraten.«

»Gut,« antwortete der Gatte, »so will ich morgen früh auf den Basar schicken und dir die zwei fettesten holen lassen.«

Zu Mittag des andern Tages trat der Kadi in die Stube und freute sich auf das saftige Gansfleisch – aber die Frau hatte bereits eine List entdeckt, die aus dem ungerechten Richter einen gerechten machen sollte. Sie hatte nämlich zwei Sperlinge gekauft, gebraten und an Stelle der Gänse in einer verdeckten Schüssel auf den Tisch bringen lassen.

Als der Mann den Deckel abnahm, um sich schon am Anblicke des Bratens zu ergötzen, machte er ein sehr enttäuschtes Gesicht und sagte verdrießlich: »Was sollen uns diese Sperlinge?«

»Ei,« entgegnete die Frau, »was du mir vom Markte sandtest, habe ich gebraten.«

Darüber ärgerte sich der Richter sehr und ging in das Nebenzimmer, um seinen Zorn ein wenig verrauchen zu lassen.

Plötzlich sah er seinen Schwiegervater unter dem Fenster vorübergehen, rief ihn herauf und berichtete ihm den Schabernack, der ihm gespielt worden war.

Inzwischen aber hatte die Frau die Sperlinge weggenommen und die schöngebräunten Gänse unter den Deckel getan, und als der Vater ihn emporhob und die Gänse fand, sagte er zu seinem Schwiegersohne: »Du behauptest, daß dies Sperlinge sind? Ich glaube, dein Verstand hat über dem Rechtsprechen ein wenig gelitten.«

Der alte Mann ging unmutig aus dem Hause, weil er nun Zeit versäumt hatte, und der Kadi geleitete ihn bis zur Haustür, um seine Verzeihung zu erbitten.

Ehe er jedoch ins Zimmer trat, hatte die Frau die Spatzen wieder an Stelle der Gänse in die Schüssel getan – und als sie der Richter sah, sprang er auf und faßte sich an die Stirn; denn er begann nun selber an seinem Verstande zu zweifeln.

Er lief seinem Schwiegervater nach, um ihn zu überzeugen, daß er doch recht gehabt habe – der Alte kehrte in der Tat mit ihm um; als er aber die Stürze hob, da waren zwei Gänse in der Pfanne; denn die Frau hatte sie mittlerweile gegen die Sperlinge vertauscht.

Das ging dem alten Manne über die Schnur – er schalt seinen Schwiegersohn gehörig aus und verließ ergrimmt zum zweiten Male das Haus. Der Kadi hinter ihm drein! Es gelang ihm aber nicht, den Greis zu besänftigen, und als er an den Tisch trat, die Gänse zu zerlegen – richtig, da waren wieder die Sperlinge in der Brühe.

Das war mehr, als ein persischer Richter vertragen konnte. Er stürzte ans Fenster, raufte sich die Haare und schrie: »Zu Hilfe, zu Hilfe, ihr Leute!«

Während er den Kopf aus dem Fenster streckte, verwechselte die Frau den Braten abermals, so daß nun wieder die Gänse unter dem Deckel lagen, und alsbald füllte sich die Wohnung mit fremden Menschen, die wissen wollten, was dem Kadi Entsetzliches widerfahren wäre.

Da sprach der Richter: »Ich kaufte zwei Gänse für unser Mittagsmahl, und nun finde ich sie in Sperlinge verwandelt. Kommt und seht selbst!«

Sie deckten die Schüssel auf; wie sie aber zwei schöne braune Gansbraten darin fanden, verließen sie kopfschüttelnd das Haus und meinten, die Sperlinge hätten wahrscheinlich im Kopfe des armen Mannes ihr Nest gebaut.

Als er endlich zu Tische kam, denn er war sehr hungrig geworden, waren die Spatzen richtig wieder in der Pfanne.

Nun aber erhob sich die Frau und rief mit lauter Stimme zum Fenster hinaus: »Zu Hilfe, ihr Leute, zu Hilfe!«

Infolgedessen eilten ihrer viele die Stiegen herauf.

»Zu Hilfe!« schrie sie immer heftiger; »es ist ein großes Unglück geschehen; mein Gatte, der Kadi, ist verrückt geworden. Nehmt ihn und führt ihn ins Irrenhaus!«

Da packten sie ihn, banden ihm die Arme auf den Rücken und sperrten ihn ins Irrenhaus.

Nachdem er drei Tage dort gesessen hatte, besuchte ihn seine Frau, brachte ihm etwas zu essen, und als er seinen Hunger gestillt hatte, sagte sie: »Mein lieber Mann, sieh, ich bin's gewesen, die dich wegen deiner Verwechslung von zwei Gänsen mit zwei Sperlingen für verrückt erklärt hat.«

»Und warum hast du so übel an mir getan?« forschte der Kadi.

»Weil du als Richter jeder Frau recht gabst, wenn sie gleich die ärgste Sünderin war! Du hast nicht gewußt, daß Frauen ihren Männern oft die ärgste Qual antun. Kennst du den Spruch des Weisen, der da heißt: ›Wehe für die, die ungerechterweise eingesperrt sind?‹ Du hast dies Wehe nun am eigenen Leibe erfahren; denn alle Schuld in unserem Falle trug ich! – Nun laß aber jenen Mann kommen, den du vor ein paar Tagen für schuldig erklärt hast, und verhilf ihm gegen sein böses Weib zu seinem Rechte!«

Danach gingen sie beide in ihr Haus und liebten und ehrten sich wie zuvor.

Aus dem ungerechten Richter aber war ein gerechter geworden. Und sein Ruhm erscholl im ganzen Lande.

.


 << zurück weiter >>