Theophil Gautier
Die vertauschten Paare
Theophil Gautier

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XIII

Ein junges Mädchen von ungeahnter Schönheit in reicher indischer Kleidung erschien auf der Schwelle des Gemachs gleich einer Vision. Ja, Vision ist das richtige Wort; denn sie glich eher einer von Indras Thron herabgestiegenen Apsara als einem sterblichen Wesen.

Ihre für unsere Augen ungewöhnliche Hautfarbe zeigte einen satten Goldton; aber diese ambraartige Schattierung, wie sie auch die gemalten Körper Tizians mit der Zeit angenommen haben, hinderte nicht die zarteste Rosenblüte auf den Wangen des Mädchens. Scharfe, wie mit chinesischer Tusche gezogene Brauen wölbten sich über den mandelförmigen Augen, die durch einen Surmeh-Streifen, der sich um den bläulich schimmernden Wimpernkranz herum bis zu den Schläfen hinzog, noch größer erschienen. Die Iris dieser Augen leuchtete in samtenem Glanze wie ein schwarzer Stern an silbernem Himmel. Die zarte, feingeschnittene Nase zeigte an der Wurzel eine leichte Tätowierung mit Gorotschana-Farbe; die Nüstern waren rosig geschminkt und von einem Goldreif durchzogen, auf dessen glänzender, diamantenbesternter Fläche Perlen von schönstem Wasser schimmerten. Dieses Edelsteingefunkel gab der sonst vielleicht etwas stumpfen Hautfarbe einen milden Glanz. Die elfenbeinglatten Wangen verbanden sich dem zierlichen Kinn in weichen Kurven. Selbst der Pinsel des indischen Raffael, König Duschmanta, hätte kein zarteres Geschöpf ersinnen können. Hinter ihren kleinen, von Perlmutter wie eine Ceylonmuschel eingesäumten Ohren schaukelte eine Sirischa-Ranke an goldenem Faden und schmiegte ihre seidig glänzenden, duftenden Blütenkelche anmutig an das feine Gesichtchen. Das Haar, dessen Scheitel mit einem Streifen Karmin nachgezogen war, fiel zweigeteilt in den Nacken und vereinigte sich dort zu blauschwarzen, mit Goldfäden, Metallplättchen und Edelsteinen durchwundenen Flechten. Ein enges, karmoisinrotes und von Juwelen fast völlig bedecktes Jäckchen umschloß die zarten Brüste, die ein Band geflochten aus den Staubfäden der Lotosblume trennte, das gleich Silberfäden oder Mondstrahlen schimmerte. Ihre lieblich gerundeten, lianengleichen Arme waren an der oberen Hälfte mit Reifen in Schlangengestalt wie die des Gottes Mahadiwa umschlossen, und um die Handgelenke wickelte sich eine fünffache Perlenschnur. Die Nägel und Ballen ihrer kindlich kleinen Hände waren rot gefärbt, die Finger bis zu den Knöcheln mit Ringen bedeckt. Ein mit Amethysten und Granaten besetzter Gürtel schlang sich um den von den Brüsten bis zu den Hüften nackten Leib und hielt die Falten der buntfarbigen, bis zum Knöchel reichenden Hose zusammen. Ein entzückendes Gewirr von Reifen, Perlen, Schnüren und kleinen Glöckchen legte sich um die zarten Gelenke, an die sich die allerliebsten Füßchen schlossen. Die zierlichen Fersen waren poliert, und die Nägel der ringgeschmückten Zehen mit Hennah gefärbt. Um den dünnen Leib, der sich beim Gehen wie ein Palmenblatt wiegte, spielte eine Schärpe, bunt wie ein Regenbogen oder wie der Pfau, dessen Sarawati sich als Zugtier bedient. Ein plätschernder Regen von Perlenketten in allen Farben, ein Klingeln von goldenen Kugeln und Rosenkränzen aus Lotoskernen, ein silbernes Singen von köstlichen Edelsteinen – alles, was die Koketterie eines hochgeborenen indischen Mädchens ersinnen mag, spielte betörend um den schlanken Hals. Zwischen diesem phosphoreszierenden Geschmeide zeigten sich am Halsansatz geheimnisvolle Zeichen mit Sandelholzpulver aufgemalt, und damit auch das letzte indische Merkmal nicht fehle, strömte ein schwacher, süßer Usiraduft von der lieblichen Erscheinung aus.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Weder Parwati, die Gemahlin Mahadewas, noch Misrakesi und Menaka konnten an Schönheit mit diesem indischen Mädchen wetteifern, das sich dem von Bewunderung starren Volmerange mit einem leisen Geklingel der kleinen Glöckchen und Perlenketten näherte.

Die ganze Poesie Indiens umspielte das schöne Mädchen, das strahlend und düster zugleich, zart und wild, halb nackt und bemalt, an alle geistigen Kräfte und alle Sinne rührte. Die Tätowierungen und symbolischen Ornamente fesselten die Gedanken; Schönheit, Schmuck und Wohlgeruch entzückten das Gefühl. Wie ein Gestirn entsandte sie das Leuchten und Strahlen ihrer Perlen, Diamanten und edlen Metalle, und nicht zum mindesten das wunderbare Licht ihrer Augen.

Mit weichen, wiegenden Bewegungen, voll keuschen Begehrens, und sich nur leicht auf die Fersen stützend wie Sakuntala auf den Sand ihres blumensprießenden Pfades, näherte sie sich dem Diwan. Als sie bei Volmerange angelangt war, nahm sie die kniende, demütig kauernde Stellung der den Wischnu betrachtenden Lakschmi ein, der in einer Lotosblume auf seinem von Schlangen geflochtenen Thron sitzend im unendlichen Raume schwebt.

Trotz deutlicher Zeichen, die für seinen wachen Zustand zeugten, war es Volmerange bei diesem Anblick zumute, als triebe ein Zauberspuk sein Spiel mit ihm. Denn zwischen den Ereignissen der vergangenen Nacht und dem, was hier geschah, bestand nicht der geringste Zusammenhang, und ein Zweifel an dem eigenen gesunden Menschenverstand war also wohlberechtigt. Und doch gab es nichts Wirklicheres als das vor ihm kniende entzückende Geschöpf.

Der Anblick bewegte Volmerange in tiefster Seele. Seine verstorbene Mutter hatte einem indischen, von den englischen Eroberern entthronten königlichen Geschlecht angehört. Das indische Blut in seinen Adern klopfte in diesem Augenblick heftiger und riß die kühlen europäischen Tropfen mit in seinen Wirbel hinein. Eine Flut von Kindheitserinnerungen bestürmte ihn: er sah wie in einer Spiegelung die schneeigen Gipfel des Himalaja sich am Horizont erheben; er sah die getürmten Kuppeln der Pagoden; er atmete den Duft der orangefarbenen Asoka; er sah die liebestrunkenen Schwäne sich auf den blauen Fluten des Malini wiegen. Vor dem beschwörenden Wink der Vergangenheit erstand aufs neue die ganze Poesie seiner ersten Jugendjahre.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Die Bauart des Raumes, der Wohlgeruch, den die Madar ausströmte, das Gewand des alten Hindu und die reichgeschmückte Schönheit des jungen Mädchens weckten langentschlafene Erinnerung in seiner Seele: ja, selbst die Züge des wundervollen Wesens, das in der Stellung einer liebenden Anbeterin zu seinen Füßen lag, grüßten ihn vertraut, wiewohl er ihr heute zum erstenmal zu begegnen glaubte. Wo mochten sie einander schon gesehen haben? Wo waren sie sich begegnet? Im Land der Träume oder in einer früheren Inkarnation? Das wußte er nicht zu sagen. Aber ein Schwarm undeutlicher Gefühle summte ihm durch Kopf und Herz; ihm war, als hätte er längst mit ihr gelebt, die er kaum ein paar Minuten lang angeblickt hatte.

Der Greis im weißen Gewand schien mit einer ähnlichen Wirkung gerechnet zu haben. Er verfolgte mit einem eigentümlichen Blitzen seiner durchdringenden Augen die Gemütsbewegungen Volmeranges. Vielleicht gab dieser seinen Gefühlen nicht rasch genug Ausdruck; denn Dakscha, so hieß der Inder, forderte mit einem Wink das Mädchen zum Sprechen auf: »Lieber Herr,« begann dieses sogleich in der an Vokalen reichen hindostanischen Sprache, »erinnert Ihr Euch nicht mehr an Prijamwada?«

Die Musik dieser Laute, die er in Indien von klein auf gehört und seit seinem Aufenthalt in Europa ganz vernachlässigt hatte, schlug zunächst nur wie ein melodisch-rhythmisches Gemurmel an sein Ohr, und er bedurfte einiger Augenblicke, um ihren Sinn zu erfassen. Er hatte die Melodie vor den Worten begriffen. »Prijamwada«, wiederholte er langsam und als folgte er einer inneren Spur; »Prijamwada? . . . nein, ich entsinne mich ihrer nicht . . . und doch ist mir . . . Ja, jetzt weiß ich: ich kannte ein Kind, ein kleines Mädchen . . .«

»Zehn lange Jahre haben aus dem Geschwisterkind Ihrer Mutter eine Jungfrau gemacht.«

»Wie, so bist du es, der ich die kleinen Elefanten aus Elfenbein, die holzgeschnitzten Tiger, die irdenen, mit bunten Farben bemalten Pfauen zum Spielzeug schenkte! Prijamwada, meine goldfarbene Kusine! Ich hatte diese etwas wilde Verwandtschaft ganz vergessen!«

»Ich aber habe Euch nicht vergessen! Ich verehre in Euch den letzten Sproß des königlichen Hauses, dessen Ahnen unter den Göttern wohnen und auf Wolken ruhten, ehe sie ihren irdischen Thron bestiegen.«

»Wenn Euer Vater auch Europäer war,« fügte Dakscha hinzu, »so genügt doch ein einziger Tropfen des göttlichen Blutes, das Ihr von Eurer Mutter empfangen habt, um Euch zum echten Sohn der Dynastie zu machen, die schon jahrhundertelang lebte und herrlich blühte, ehe Euer kaltes Europa dem Chaos entstieg, das auch die Wasser der Sintflut heraufgesprudelt hat.«

»Ihr seid die Hoffnung eines ganzen Volkes«, sagte Prijamwada mit ihrer zärtlich singenden Stimme und nicht ohne eine leise Beigabe von Schmeichelei.

»Ich die Hoffnung eines ganzen Volkes? Welch' sonderbare Verirrung!«

»Prijamwada spricht die Wahrheit«, sagte Dakscha mit einer tiefen Verbeugung, wobei er seine knochigen, affenartig dunklen Hände über der Brust kreuzte. »Der Himmel bestimmt Euch zu großen Dingen. Von Mitleid für mein geknechtetes Volk ergriffen, habe ich dreißig Jahre lang die furchtbarsten Kasteiungen auf mich genommen, die mir die Geneigtheit der Götter gewinnen halfen. Obschon im Reichtum geboren, lebte ich wie der elendeste Paria. Ich habe diesem Leib die unbarmherzigsten Härten auferlegt, bis er verdorrte wie eine jener ägyptischen Mumien, die seit vierzig Jahrhunderten in ihren Königsgräbern modern. Denn ich wollte dies elende Fleisch zerstören, auf daß die befreite Seele zu der Quelle aller Dinge zurückkehren und die Gedanken der Götter zu lesen vermöchte. Groß waren meine Leiden,« fuhr er mit wachsender Verzückung fort, »die Gabe der Hellsicht muß teuer erkauft werden. Der Regen wusch in eiskalten Strömen diesen in qualvoller Stellung regungslos verharrenden Körper, und die Gluten der Sonne dörrten ihn aus. Meine Nägel wuchsen in die zur Faust verschlossenen Hände. In brennendem Durst, in zehrendem Hunger, scheußlich und mit Staub ganz zugedeckt, blieb ich zahllose Sommer, zahllose Winter am selben Ort. Ich verlor alles Menschliche und wurde Gegenstand des Entsetzens und der Barmherzigkeit. Neben mir bauten die Termiten ihre Hügelstädte auf, und in meinen Haaren, die wie das wilde Gras wucherten, nisteten die Vögel des Himmels. Das Nilpferd rieb seinen mit Schlamm und Morast gepanzerten Körper an mir, wie an einem Baumstamm. An meinen Rippen wetzte der Tiger wie am Felsgestein seine Zähne. Kinder versuchten mir die Augen auszureißen, die sie für Kristalle in einem Klumpen Erde und Gestrüpp hielten. Donner und Blitze schlugen in meine Gebete, ohne sie zu stören. Aber Brahma, Wischnu und Schiwa haben meine Buße gnädig angenommen – und als die Zeit um war, suchte ich die verehrungswürdige Trimurti in der Höhle von Elephanta auf und empfing aus ihrem dreifachen Munde dreimal den Namen des vorherbestimmten Retters.«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Im Laufe dieser ungewöhnlichen Rede hatte sich Dakscha verwandelt: seine gebeugten Schultern waren gestreckt; seine Augen glänzten im Feuer der Begeisterung, und die Runzeln glätteten sich. Die ungebrochene Seelenkraft, die aus seinem Gesicht strahlte, tilgte alle Spuren des körperlichen Verfalls.

Volmerange hörte ihm mit einem Gemisch von Furcht und Achtung zu. Prijamwada aber, von Bewunderung hingerissen, faßte den Saum seines Gewandes und küßte ihn demütig. Für sie war Dakscha ein Guru, ein geheiligtes Wesen; und als sie sich wiederaufrichtete, waren ihre Augen mit Tränen gefüllt wie Lotoskelche, in denen der Morgentau perlt.

Sie boten einen fesselnden Anblick: das junge, zarte Geschöpf mit den schmiegsamen Gliedern, in seinem prunkvollen Gewand, und der vertrocknete, eckige, dunkelfarbige Greis. Es war, als hätte man mit Vorbedacht die Sinnbilder der Poesie und der fanatischen Begeisterung nebeneinander gestellt.

Die eindrucksvolle Szene hatte die Gedanken des Grafen von den Ereignissen der vergangenen Nacht wohltätig abgelenkt. Was sich in dem bräutlichen Schlafgemach und auf der Blackfriars-Bridge zugetragen hatte, kam ihm jetzt wie ein wüster nächtlicher Spuk vor, der vor dem milden Licht des Tages verweht. Er fragte sich allen Ernstes, ob wirklich er, Volmerange, es war, der tags zuvor geheiratet und sein schuldiges Weib in die Themse hinabgestürzt hatte. Die Enthüllungen, die Briefe, der ganze Zusammenbruch seines Glückes und die darauf folgende, schreckliche Katastrophe blieben ihm zweifelhaft, und wie träumend blickte er auf Dakscha und Prijamwada.

Dakscha kehrte nach und nach aus seiner Verzückung in die reale Welt zurück, und der ekstatische Ausdruck verlor sich allmählich aus seinen Zügen. Er wurde wieder der dürre Greis, wie wir ihn schon beschrieben haben. Der Prophet verschwand, und es blieb der zielbewußte Mann zurück, der sich jetzt mit unterwürfigem Lächeln an den Grafen wandte:

»Nun, da Seine Herrlichkeit weiß, daß sie sich unter dem elenden Dache des Brahmanen befindet, kann Ihr Diener sich zurückziehen, um in den heiligen Waschungen die in dieser Stadt der Ungläubigen unvermeidliche Befleckung zu tilgen. Prijamwada bleibt bei Euch zurück, und ihre Unterhaltung wird Euch zweifellos angenehmer sein als die Gegenwart eines durch Bußübungen erschöpften Brahmanen.«

Mit diesen Worten ließ Dakscha den schweren Vorhang, den er schon erhoben hatte, hinter sich zurückfallen und war verschwunden.

Prijamwada schmiegte sich wie eine vertraute Gazelle zu Volmeranges Füßen. Sie nahm seine Hand, hob die mit Surmeh untermalten Augen zu ihm empor und sprach mit melodischem Gurren:

»Was fehlt meinem gnädigen Gebieter? Er sieht gedankenschwer und trübe aus. Sollte er sich nicht glücklich fühlen?«

Volmerange antwortete nur mit einem Seufzer.

»Oh, niemand ist glücklich in diesem unwirklichen Lande,« fuhr Prijamwada fort, »auf diesem undankbaren Boden, wo die Blumen sich nur unter Glas entfalten können und, statt der gütigen Sonne, ein Ofen Wärme spenden muß. Wo die Frauen weiß sind wie der Schnee auf den Gipfeln der Berge und nicht wissen, was Liebe ist.«

Diese letzten Worte, die an seine Wunde rührten, ließen Volmerange schmerzlich zusammenzucken, und seine Augen flammten auf.

Die junge Inderin, die den vorüberfliehenden Zornesblitz wohl bemerkt hatte und sich auf der richtigen Spur sah, fuhr mit süßester Stimme fort:

»Wie, sollte eine europäische Frau den königlichen Sproß der Mond-Dynastie beleidigt haben?«

Volmerange antwortete nicht. Aber ein schmerzliches Schluchzen erschütterte seine Brust.

Mit schmelzender Stimme fuhr Prijamwada in ihrer Forschung weiter: »Wäre es möglich, daß mein Gebieter, dessen Schönheit diejenige Schandras noch überstrahlt, wenn er auf seinem silbernen Wagen die Himmel durcheilt, nicht liebenden Dank fände, wenn seine Blicke gnädig auf ein einfaches Mädchen fallen – er, dem die Apsaras kniend zu dienen sich glücklich preisen würden!«

Bei diesen Worten schlang das Mädchen seine Arme, wie die blühende Malica, wenn sie sich an den Stamm der Amra schmiegt, um Volmerange. Ihr liebliches Gesicht war dem seinigen ganz nahe, und ihre feuchtschimmernden Augen und das schmeichelnde Lächeln schienen zu sagen, daß ihr schöner europäischer Vetter in ihren Armen ein ähnliches Unglück nicht zu befürchten hätte.

Statt aller Antwort legte Volmerange seinen Kopf an Prijamwadas Schultern und netzte sie mit seinen Tränen.

»Wie!« rief Prijamwada aus, indem sie mit einem keuschen Kuß seine Augen trocknete, »sollte eine dieser nordischen, launischen Frauen, die unbeständiger sind als ein Opal oder das ewig wechselnde Chamäleon, meinen gnädigen Gebieter betrogen haben? Ihn, der seinesgleichen nicht hat! Denn ein Mann aus dem Geschlecht der Götter weint nur über einen Verrat!«

»Ja, Prijamwada, ich wurde auf die schmählichste Art hintergangen,« rief jetzt Volmerange, unfähig, sein schmachvolles Geheimnis länger zu wahren!

»Ich hoffe,« antwortete darauf Prijamwada mit ruhiger, melodischer Stimme, »daß mein Gebieter die Verbrecherin sogleich getötet hat.«

»Die Themse hat ihr Vergehen aufgenommen und fortgeschwemmt.«

»Die Züchtigung war allzu milde! In meiner Heimat hätten Elefanten ihre Hufe auf die lügnerische Brust gesetzt und das verräterische Herz langsam zerquetscht. Oder der Tiger würde den durch eine gemeine Liebe befleckten Leib gleich einem Schleier zerrissen haben – es sei denn, daß mein Herr nicht vorgezogen hätte, die Verruchte in einen Sack zu stecken, in dem die Cobra nistet. Möge diese Erinnerung wie ein kleines Wölkchen, das der Wind verweht, wie eine Schaumflocke, die im Ozean vergeht, aus Eurem Gedächtnis entschwinden! Vergeßt dieses herzlose Europa und folgt mir nach Indien, wo Anbetung und Liebe Euer warten. Dort, unter dem feurigen Himmel, atmet die Brust duftgesättigte, schmeichelnde Lüfte; Riesenblumen öffnen ihre Kelche gleich Urnen, und schmachtend breitet die Lotosblume ihre Blätter auf den heiligen Teichen aus. In den Wiesen und Wäldern wachsen die fünf Blumen: Tschampaka, Amra, Kessara, Ketaka und Bilwa, mit denen Kamah, der Gott der Liebe, seine Pfeile bekränzt. Eine jede von ihnen entzündet ein anders geartetes Liebesfeuer; aber die Glut eines jeden ist gleichgroß. Die klagenden Rufe der Kobilas und Tschawatkas locken und antworten sich von Ufer zu Ufer. Dort bindet ein Blick fürs ganze Leben. Dort liebt die Frau über den Tod hinaus, und ihre Glut kann nur von der Asche des Scheiterhaufens gelöscht werden. Dort liebt, dort stirbt man für eine einzige Liebe. Oh, folge mir dorthin, mein geliebter Herr, und in den Armen und am Herzen Prijamwadas wirst du vergessen, was du bisher für dein Leben hieltest und was noch nichts anderes war als der böse Traum einer nordischen Winternacht!«

Die Inderin schien sich schon in die Heimat entrückt zu glauben; denn sie zog Volmerange an ihre Brust, auf der die Ketten und Steine bei jedem ihrer Atemzüge leise klirrten. Also eingehüllt und von den jungfräulich kühnen Zärtlichkeiten dieses in seiner Leidenschaft kindlich keuschen Wesens umkost, das sich rein wie die Natur am ersten Schöpfungstage an ihn schmiegte, fühlte sich Volmerange von der heftigsten Bewegung ergriffen. Flammen schlugen in sein Gesicht, und ohne zu wissen, was er tat, preßte er die Arme um Prijamwadas schlanken Leib.

Eine Falte des Vorhangs verschob sich, und die metallisch glänzenden Augen des Brahmanen wurden sichtbar. Aber Volmerange und Prijamwada waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um seiner gewahr zu werden.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Recht so,« sagte Dakscha zu sich selber bei dem Anblick, der sich ihm bot, »es scheint, daß Europa und Indien sich versöhnen, und daß Prijamwada und Volmerange sich nach der Weise Gandarwas verbinden. Eine sehr respektable und von den Gesetzen des Manu anerkannte Art! Nichts könnte mir gelegener sein,« – und er verschwand so lautlos, wie er erschienen war.

»Werdet Ihr mir nach Pendjab folgen?« fragte Prijamwada den Grafen, der ihre Stirn mit seinen Lippen berührte.

»Ja – aber noch bleibt mir die Rache an dem Schuldigen zu vollziehen«, sagte Volmerange mit zornbebender Stimme.

»Das ist wahr; und verzeiht, wenn Eure Dienerin sich wundert, daß der Elende, der Euch beleidigt hat, nicht schon längst von Eurer Rache ausgetilgt wurde.«

»Ich kenne ihn nicht. Ich halte die Beweise des Verbrechens; aber der Verbrecher ist mir unbekannt. Eine teuflische Kunst hat diesen Knoten geschürzt, und mir fehlt jeder Fingerzeig.«

»Hört mich an!« sagte Prijamwada gedankenvoll, »ihr europäischen Menschen, die ihr euch so willig den künstlichen Wissenschaften von heute anvertraut, ihr lebt nicht mehr im Zusammenhang mit der Natur; ihr habt die Fäden zerrissen, die den Menschen mit den dunkeln Urmächten verbinden. Indien ist das Land der Geheimnisse und Überlieferungen. Wir besitzen manches wunderbare Wissen, das wir einstens von den Göttern selbst empfingen, und das eure ungläubigsten Gelehrten mit Ratlosigkeit schlüge! Prijamwada ist nur ein einfaches Mädchen, das eure hochmütigen Ladies wie eine Wilde betrachten würden, gerade gut genug, um ihnen zu einer Abendunterhaltung zu dienen. Aber ich hörte mehr als einmal die Brahmanen, die auf der Gazellenhaut zwischen den vier mystischen Räucherbecken sitzen, davon sprechen, was alles hienieden möglich ist und was die Götter verwehren. Nun wohl, ich werde Euch den Schuldigen zeigen, und sollte er sich auch am äußersten Ende der Welt verbergen.«


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