Theophil Gautier
Die vertauschten Paare
Theophil Gautier

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VIII

Nach einem Zeitraum, der Arundell wie die halbe Ewigkeit vorkam, und der in Wirklichkeit kaum eine Stunde dauern mochte – denn das, was wir Zeit nennen, gibt es nicht; und das verzweifelte Herz dehnt mit Leichtigkeit eine Minute zum Jahrhundert aus –, wurde der Schall von Tritten über dem Gewölbebogen laut und ein schwaches Lichtgespinst zeichnete den Umriß der Falltüre an der Decke ab.

Nicht lange, so öffnete sich der schwere Deckel, ein fahler Schein zitterte durch die feuchte Finsternis, und in der Öffnung erschienen neben einer Kerze Saunders' charakteristische Züge, von roten und gelben Lichteffekten umspielt.

Arundell erklomm eilig die übrigen Stufen; und, obgleich seiner wackeren Vorfahren gewiß nicht unwürdig, konnte er sich doch eines lebhaften Vergnügens nicht erwehren, als er des menschlichen Gesichtes gewahr wurde. Ein Cherubim auf seiner Flügelkrawatte hätte ihm nicht holdseliger erscheinen können; und doch war an Saunders nichts eigentlich Himmlisches zu bemerken. Aber sein Anblick erweckte in Arundell dieselbe Freude, wie sie ein lebendig Begrabener empfinden mag, der den Deckel seiner Gruft sich lüften sieht; und der abscheulichste Shakespearische Totengräber hätte sich für ihn in einen Engel des Lichts verwandelt.

Obwohl ein Romanheld über alle menschlichen Schwächen, die der Liebe ausgenommen, erhaben sein muß, so blieb es doch eine verteufelt unangenehme Situation, im schwarzen Anzug, in weißen Handschuhen und Lackstiefeln auf der schlammigen Treppe eines eiskalten Verlieses den Hungertod zu erwarten. Und dieses noch ausgerechnet in der Hochzeitsnacht mit der liebreizendsten Erbin von ganz London.

»Wo zum Teufel mag er sich verkrochen haben«, brummte Saunders, ehe noch das Licht seiner Kerze auf Arundell gefallen war, der bis zum Hals in der Falltür steckte. »Weiß ich doch, daß ich den Schlüssel zweimal im Schloß umgedreht habe, und diese Eisenstäbe stehen so dicht, daß der schlankste Gentleman, selbst wenn er einen Schnürleib trägt, nicht hindurchzuschlüpfen vermöchte. Er muß also in diesem Zimmer oder in dem Loch da unten stecken. Halten wir eine gründliche Haussuchung ab.«

»Sieh da, Mylord!« sagte Saunders im Ton derber Herzlichkeit und sichtlich erleichtert. »Das zweite Gemach wird Mylord wohl etwas feucht und kalt erschienen sein, und Sie werden jetzt gerne in das erste zurückkehren.«

Damit stützte er mit seiner rauhen Hand den Arm Benedicts, den er wanken sah, und ließ ihn auf die Bank beim Tische niedersitzen. Hierauf stocherte er mit dem Feuerhaken in dem Kohlenhaufen herum und entfachte ihn zu neuer Glut. Arundell, den die warme Luft des Zimmers wohlig zu durchrieseln begann, und der nun sicher war, wenigstens nicht ohne ein erläuterndes Wort in den Tod zu müssen, begann sogar dieser infamen Spelunke, mit ihrem wirren und bedeutungsvollen Ausputz, einigen Geschmack abzugewinnen. Auch hatten Saunders' derbe Züge nichts Abstoßendes für ihn; und er begann folgendes Gespräch:

»Was kann diese sinnlose Entführung bedeuten? Was hat man mit mir vor? Will man mich rauben? Soll ich falsche Wechsel unterschreiben oder ermordet werden?«

Saunders schüttelte verneinend den Kopf: »Im Gegenteil: ich glaube, wenn Eure Lordschaft Geld benötigten, so würden Sie auf der Stelle bedient werden.«

»Was aber will man dann von mir?«

»Das weiß ich nicht; sicherlich nichts, was Euer Gnaden Schaden brächte. Denn wir haben den strengsten Befehl, auf Ihr Wohlbefinden zu achten; und es soll mit Euer Gnaden so sorgfältig umgegangen werden, als wäre sie eine Kiste voll mit Pendeluhren oder böhmischem Glas.«

»Kennst du Arthur Sidney, den Mann, mit dem ich in die Gasse trat?«

»Ich habe ihn heute zum erstenmal gesehen«, entgegnete Saunders und hielt Benedicts durchdringendem Blick mit seinen stahlblauen Augen ruhig stand.

»Sidney hat also kein Teil an dieser teuflischen Unternehmung«, sagte sich Benedict, glücklich, des Verdachtes ledig zu sein, der seine Seele bedrückte. Aber sogleich hob der Zweifel von neuem das Haupt, und Benedict fuhr in seinem Selbstgespräch fort: »Wie aber kommt es, daß er, der so nahe war, mir nicht Beistand leistete, daß er nicht um Hilfe rief!«

Und laut fuhr Arundell fort: »Was hat euch zu dieser Gewalttat bestimmt, die euch teuer zu stehen kommen wird, wenn der Magistrat erst Kenntnis davon erhält?«

»Ich habe die Befehle derer ausgeführt, denen ich zum Gehorsam verpflichtet bin – und was den Herrn Bürgermeister anbelangt . . .« Hier zuckte Saunders mit einer nicht mißzuverstehenden Skepsis, die dem Scharfsinn der hohen Obrigkeit gelten mochte, die Schultern.

»Wer aber sind die Leute, denen du bei diesen halsbrecherischen Unternehmungen Gehorsam schuldest?«

»Ihre Namen würden Eurer Lordschaft keinerlei Aufschlüsse vermitteln; denn zwischen jenen und Eurer Lordschaft gibt es keine Beziehungen.«

»Aber sag mir doch, ob du weißt, wer ich bin?«

»Ich kenne weder den Namen Ihrer Lordschaft noch Ihren Rang, doch lese ich aus Ihren edlen Zügen und an Ihren kleinen Händen, am kostbaren Tuch Ihres Rockes und Ihrer Wäsche, daß Sie zu den Hochwohlgeborenen dieser Welt gehören.«

»Wenn du mir diese Türe öffnest und mich auf die Straße zurückführst,« sagte Arundell, »so werde ich dir ein kleines Vermögen schenken, das dir ein ruhiges Leben in jedem Land der Erde sichern wird.«

Bei diesem Vorschlag färbte sich Saunders' verbranntes Gesicht ziegelrot, und seine hellen, meerblauen Augen begannen in der dunkleren Umrahmung seltsam zu sprühen; aber er faßte sich schnell und antwortete ruhig: »Mein Beruf zeichnet sich nicht durch allzu große Feinfühligkeit aus, ich weiß; trotzdem liegt es nicht in meiner Gewohnheit, diejenigen zu verraten, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben; selbst in einem nicht ganz sauberen Handel. Im übrigen liegt es nicht in meiner Macht, selbst um all Euer Gold, Euch die Freiheit zu schenken. Diese Türe da ist von außen verschlossen, und ich bin ebensogut wie Ihr ein Gefangener.«

Ein Augenblick gegenseitigen Schweigens folgte dieser Antwort. Dann öffnete Saunders einen in die Wand eingelassenen Schrank und entnahm ihm ein großes Stück gesalzenes Ochsenfleisch, ein Brot und einen mit Bier gefüllten Zinnkrug. Alles dies stellte er vor Arundell auf den Tisch und sagte in respektvoll jovialem Ton:

»Mylord, Ihr werdet heute schon zeitig gefrühstückt haben; zu einem Luncheon seid Ihr schwerlich gelangt, und Dinerzeit ist längst vorüber. Ungeachtet Eurer mißlichen Lage wird auch bei Euch Natur ihr Recht fordern; und trotz aller Herzensnöte wird Euer Magen an einem Stück Fleisch kein Ärgernis nehmen.«

Und wirklich, trotz Wut und Verzweiflung mußte Arundell oder wenigstens sein schlechteres Teil: »das Tier« – wie de Maistre es nennt – die Richtigkeit solcher Überlegung anerkennen. Er zog das von Saunders servierte Diner näher zu sich heran und begann es mit betrübtem, aber nichtsdestoweniger lebhaftem Appetit zu verzehren.

»Das Fleisch ist nicht sehr zart,« kommentierte Saunders, »aber es stammt aus einem Oberschenkel von reinster Lancashire-Zucht; und dieses pechschwarze Bier, das ein goldblonder Schaum anmutig krönt, ist ein echter Doppel-Porter, aus Gerste und Hopfen in Dublin gebrannt. Das berühmteste Gasthaus Londons vermöchte Eurer Lordschaft keinen besseren vorzusetzen.«

Benedict gab seine wortlose Zustimmung zu erkennen, indem er kräftige Stücke von dem also gelobten Ochsenfleisch hieb und seinen Zinnkrug bis auf den letzten Tropfen leerte.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

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