Theophil Gautier
Die vertauschten Paare
Theophil Gautier

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V

Ungefähr zur selben Stunde, in der Amabel ihre Brauttoilette beendigte, schmückte sich in einem anderen Londoner Hause ein anderes junges Mädchen ebenfalls mit dem weißen Schleier; nur daß ihre Hände langsam und widerwillig den Dienst versahen.

Sie war schön, wenn auch auffallend blaß, und ihre Augen zeigten die geröteten Spuren kürzlich vergossener Tränen, die sie umsonst mit einem frisch benetzten Tuche zu tilgen bemüht war. Der zuckende Mund versuchte ein vergebliches Lächeln, die krampfhaft aufwärtsgebogenen Lippen fielen gar bald in ihre schmerzliche Lage zurück; ein stockender, mühsamer Atem hob das Brusttuch; und als die Zofe sich nun näherte, um ihr den Brautkranz aus Orangenblüten auf die Stirne zu drücken, färbte eine plötzliche Röte die bleichen Züge.

Miß Edith Harley glich weit eher einem Opfer, das zur Richtstätte geführt werden soll, als einer Jungfrau, die vor dem Altar das freie Gelübde ihrer Liebe und Treue ablegen will. Und doch wurde sie nicht etwa von fühllosen Eltern dazu gezwungen. Weder ein barbarischer Vater, noch eine Rabenmutter bestanden auf ihrer Wahl. Keine finstere Gewalt legte ihre reine, zarte Hand in die gichtgekrümmten Krallen eines lüsternen Alten. Der sie heimführen sollte, war ein schöner, reizender, junger Mann von bester Herkunft mit Namen Graf von Volmerange, der den nüchternsten Eltern und der romantischsten Tochter vollauf Genüge getan hätte.

Im Anfang wollte es scheinen, als ließe sie sich seine Huldigungen gern gefallen. Und bei den Zusammenkünften, die dem Heiratsbeschluß vorangingen, hatten ihre Augen oftmals mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Wehmut auf dem jungen Grafen geruht. Aber für gewöhnlich verursachte ihr seine Gegenwart Unbehagen und sichtliche Beklemmung, was einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen konnte und schlecht zu gewissen leidenschaftlichen Blicken paßte, die bei einem anscheinend so bescheidenen Wesen in Erstaunen setzen mochten.

Haßte oder liebte sie Herrn de Volmerange? Dies bleibt ein schwer zu lüftendes Geheimnis. Wenn sie ihn nicht liebte, warum wollte sie ihn heiraten? Wenn sie ihn liebte, warum diese blassen Wangen, warum diese Tränen, warum diese Niedergeschlagenheit?

Ein Wort von ihr, als dem einzigen von Vater und Mutter angebeteten Kind ihrer Eltern, hätte das unwillkommene Band sogleich zerrissen. Wer hindert sie an diesem Wort? Lord Harley hätte jeden von seiner Tochter selbst erwählten Freier ohne Widerspruch aufgenommen. Er kannte keinen andern Wunsch als das Glück seines Lieblings, und kein Standesvorurteil wäre ihren Neigungen entgegengetreten. Er hätte sogar einem Dichter seinen Segen gegeben.

Als die Zofen mit ihrem Dienst zu Ende waren, der sich durch die Teilnahmslosigkeit und Zerstreutheit ihrer Herrin, die der Handreichungen kaum achtete, mehr als nötig in die Länge gezogen hatte, wurden sie von Edith unter dem Vorwand entlassen, sie sei ermüdet und wünsche allein zu bleiben.

Kaum aber hatten die Mädchen sich zurückgezogen, als an einer geheimen Tapetentüre ein schwaches Klopfen vernehmbar wurde, das man für das Hämmern des Totenwurmes, der auf diese Weise sein Weibchen lockt, hätte halten können.

Bei dem Klopfen schrak Edith zusammen, als käme es ihr völlig unerwartet. Ein Ausdruck gequälter Besorgnis spiegelte sich in ihren Zügen wider, als sie von dem Lehnstuhl aufsprang, in dem sie sich kaum niedergelassen hatte.

Ein zweites, etwas deutlicheres, wenngleich noch immer gedämpftes Klopfen ließ sich nach wenigen Augenblicken hören. Das junge Mädchen wankte mit ein paar Schritten zu der Türe und preßte die Hand auf das zum Ersticken klopfende Herz.

Jetzt kündigte ein drittes, diesmal trockenes und gebieterisches Pochen den geheimnisvollen Besucher an, ganz als hätte die Ungeduld über die Furcht, von einer anderen als von der Person Ediths entdeckt zu werden, gesiegt.

Die unglückliche Edith rückte ein kleines Möbel, das die Tapetentüre zur Hälfte verdeckte, beiseite und schob mit zitternder Hand einen Riegel zurück. Ein von draußen eingesteckter Schlüssel knarrte im Schloß, und die sich öffnende und im Nu wieder schließende Türe ließ einen Mann herein, der nicht Herrn de Volmeranges Züge trug.

Dieser bei einem jungen Mädchen, das in ein paar Stunden die Frau eines anderen sein sollte, sehr seltsam und geheimnisvoll eingedrungene Besuch zeigte eine schwer zu bestimmende Physiognomie. Seine matte, leicht olivgrüne Gesichtsfarbe ließ die eigentümlich beweglichen Augen, deren Ausdruck sich absichtlich verschloß, noch mehr zur Geltung kommen. Der feingeschnittene Mund schien mit seinen schmalen zusammengepreßten Lippen ein Geheimnis zu verschließen; die zerbissene Unterlippe zeugte von unterdrückten Ausbrüchen und einer mehr durch den Willen als durch das Blut aufgezwungenen, widerwillig ertragenen Unterwerfung. Der in einer scharfen Spitze endigende, allzu schmale Nasenrücken gab, trotz seiner Fehlerlosigkeit, dem übrigen Gesicht den Ausdruck von Verschlagenheit. Es war eines jener Gesichter, denen nichts vorzuwerfen ist; ja, die man sogar für schön halten könnte, und die doch in dem Beschauer einen schwer zu begründenden Widerwillen erwecken. Dieses Gesicht wirkte durch eine Art unheimlicher Anmut und gefährlichen Reiz anziehend und abstoßend zugleich. Die auf dem Gefieder kleiner Vögel harmlos schillernden Farben nehmen auf den fleckigen Leibern der Reptilien einen bösartig-giftigen Ausdruck an. Der Mann, den Miß Edith durch die für jeden anderen verschlossene Tür eingelassen hatte, war schön wie eine Viper und faszinierend wie ein Tiger. Es war nicht leicht, ihm ein bestimmtes Alter zu geben. Seine glatte Stirne zeigte keine jener Linien oder Falten, mit denen sich die Jahre in das menschliche Gesicht eintragen. In seiner eisigen Kälte und dem völligen Mangel eines spontanen Ausdruckes – Ergebnis einer langgeübten Verstellungskunst – schien es dem Jünglingsalter kaum entwachsen und war viel weniger ein Gesicht als eine Maske zu nennen.

Seine unauffällige und mit dem Hauch puritanischer Strenge vielleicht absichtlich gewählte Kleidung lockte das Auge nicht durch etwelche Auffälligkeiten und ließ keine Spuren im Gedächtnis zurück.

Ein Augenblick peinlichen Schweigens folgte. Edith schien zu hoffen, daß der Eindringling zuerst das Wort ergreifen werde. Aber dieser zeigte keine Lust, ihr irgendeine Erleichterung zu gewähren. Seine Haltung war respektvoll, jedoch eher aus angenommener Gewohnheit als aus innerem Bedürfnis; denn er maß das junge Mädchen mit einer frechen Besitzermiene.

»Sie bestehen also darauf,« preßte jetzt Edith mit Anstrengung hervor, »daß ich Herrn de Volmerange heirate?«

»Der Zeitpunkt scheint mir für eine Sinnesänderung wenig geeignet; diese Heirat ist heute notwendiger denn je.«

»Und doch wissen Sie selbst, wie unmöglich Ihre Forderung ist.«

»So wenig unmöglich, daß sie sich in zwei Stunden erfüllt haben wird.«

»Hören Sie mich an, Xaver, noch ist es Zeit! Zwingen Sie mich nicht zu einer Lüge vor Gott und den Menschen! Ich will mich meinen Eltern zu Füßen werfen. Ich will ihnen alles gestehen und ihre Verzeihung erflehen für mich – und Sie. Meine Schuld ist groß, aber ihre Güte ist noch größer.«

»Ich rate Ihnen dringend, dergleichen zu unterlassen. Ich würde alles ableugnen.«

»Und wenn ich die ganze Schuld auf mich nähme?«

»Ich würde darauf bestehen, Sie nie gesehen zu haben.«

»Aber ich habe Beweise, die Sie vernichten werden!« rief nun Edith in wachsender Empörung. Sie lief zu einer Kassette, deren doppelten Boden sie entfernte.

»Glauben Sie?!« antwortete Xaver, und ein höhnisches Lächeln verzerrte seine Lippen.

Mit krampfhaften Fingern wühlte Edith leidenschaftlich in der Kassette und entnahm ihr ein paar in Briefform gefaltete Papiere.

Sie öffnete eines davon und warf es beiseite: es war unbeschrieben. Sie prüfte ein zweites und drittes: auf keinem zeigten sich irgendwelche Schriftzüge!

Da ließ sie das ganze Bündel auf die Erde fallen, und ihre Arme hingen schlaff am Leibe herab.

Jede Spur einer Schrift war verschwunden. Die Briefe hatten sich in gewöhnliches, weißes Papier verwandelt.

»Glücklicherweise hat Ihre Tinte sich als haltbarer erwiesen, Miß Edith. Die zierlichen Züge von Ihrer schönen Hand auf den Billetts, deren Sie mich gewürdigt haben, sind noch unversehrt.«

»Xaver, hinter alledem verbirgt sich ein Geheimnis, das ich nicht zu entziffern vermag! . . . Ich bin jung, ich bin schön; wenigstens haben Sie mich des letzteren in allen jenen Tonarten versichert, deren sich die Schlange des Paradieses bedient haben muß, als sie Eva verführte. Die einzige Schuld meines Lebens wurde für Sie begangen! Sie allein vermögen an meine Unschuld glauben. Ich besitze ein beträchtliches Vermögen; meine Familie zählt zu den würdigsten Englands und ist von keinem anderen als von mir bisher befleckt worden. Diese von niemandem geahnte Befleckung können Sie mit einem Worte reinwaschen. Sie besitzen keine anderen Vorzüge als diejenigen Ihrer hohen Bildung, die Sie zu einem höheren Rang als Ihrem jetzigen berechtigte: Heiraten Sie mich! – und es wird sich Ihnen eine neue Welt öffnen; Sie werden aus dem Schatten ins Licht treten. Ihre Erscheinung wird die verdiente Geltung erlangen; Sie werden in einer freieren Umgebung alle Ihre Talente entfalten können. Was Ihnen bisher nur ein Wunschbild war, tritt in Ihren Bereich. Kein Amt der Politik oder Diplomatie wird Ihnen künftig mehr verschlossen sein!«

Bei jedem dieser Worte Ediths hatte sich des Mannes bleiches Gesicht tiefer gefärbt; seine Augen, ihrer Verstellungskunst uneingedenk, sprühten Funken. Im Geiste folgte er dem jungen Mädchen in die Regionen, die sie vor ihm ausbreitete, wie um ihn zu versuchen und von seinem Ehrgeiz zu erlangen, was ihr die Liebe versagte. In einem unbeherrschten Augenblick sogar ergriff er ihre Hand und preßte sie leidenschaftlich. Aber dieser von der Begeisterung inspirierte Augenblick war von keiner Dauer: das Feuer seiner Blicke erlosch, und über seine Züge breiteten sich wieder jene düsteren Schleier, die sein wahres Wesen verhüllten. Er antwortete in eisigem Ton:

»Sie werden Herrn de Volmerange ohne Verzug heiraten!«

»Ihre unbegreifliche Härte kann nur einen Grund haben – dann allerdings kennt mein Unglück keine Grenzen: Sie besitzen schon eine Frau in Frankreich!«

»Nein,« antwortete Xaver mit eigentümlicher Stimme, »weder in Frankreich noch sonstwo; ich bin nicht verheiratet.«

Jetzt erhob sich Edith, die bis dahin in flehendem Tone gesprochen hatte, mit königlichem Anstand und sagte stolz:

»Nicht Liebe zu Ihnen ließ mich meine Bitten mit solcher Eindringlichkeit vorbringen. Sie haben mich wohl verführt, aber nicht gewonnen. Sie haben wie ein berauschendes Gift auf mich gewirkt, und ich stehe vor der Welt nicht schuldiger da, als wenn ein Zaubertrank mich meiner Sinne beraubt hätte. Ich habe Sie – Gott sei es gedankt – nie geliebt! Das macht mich stolz und bleibt ein Trost in meinem Elend. Meine für einen Augenblick geblendeten Augen wurden sehr bald geöffnet, als ich der echten Stimme des Herzens lauschen durfte; als mir aus einem offenen Blick die himmlische Flamme der Liebe entgegenschlug, da wurde mir klar, daß ich Spielzeug und Beute eines Dämons gewesen war, und ich liebte Herrn de Volmerange ebensosehr, wie ich Sie hasse. Ich achte ihn gerade so tief, wie ich Sie verachte. Ja, ich liebe ihn mit allen Kräften Leibes und der Seele«, wiederholte Edith Harley, als sie bemerkte, daß Xavers bleiche Züge noch fahler wurden. »Ich wollte ihm die Schande ersparen, ein von Ihnen entwürdigtes Mädchen zu heiraten. Aber nun werde ich ihm alles gestehen. Er wird mir vergeben – und mich rächen. Und nun, mein Herr, verlassen Sie mich auf der Stelle, oder ich werde Sie durch meinen Diener aus dem Fenster werfen lassen!« rief sie mit einer Stimme, aus der die ganze Empörung ihres adligen Blutes hervorloderte.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Mit jedem Wort war sie näher an Xaver herangetreten, der wie zerschmettert von dem tödlichen Strahl der Verachtung aus Ediths Augen mit wankenden Schritten bis an die Türe zurückwich, die sich nun heftig hinter ihm schloß. Der letzte Blick des Elenden war der einer Schlange, die sich von der Pranke des Löwen getroffen fühlt.

Edith schob den Riegel vor, stellte das Möbelstück an seinen Platz zurück, und ehe noch Xavers letzte Schritte auf der Treppe verklungen waren, betraten Lord und Lady Harley das Zimmer.

Die Zornesröte auf Ediths Wangen täuschte die Farben des Lebens vor; das Feuer der Entrüstung trocknete die letzte Tränenspur in ihren flammenden Augen, und die Ruhe eines äußersten Entschlusses verklärte ihre Stirne.

»Edith, mein Kind, ich bin glücklich, dich frei von der Niedergeschlagenheit der letzten Wochen zu finden. Schon fürchtete ich, diese Heirat könnte die Ursache deiner Verstimmung sein, und nur die Angst, deinem einmal gefaßten Entschluß im letzten Augenblick untreu zu werden, ließe dich darauf beharren. Aber keine gesellschaftliche Erwägung soll das Glück deines Lebens trüben. Lord Harley, obwohl er in Herrn de Volmerange alle für einen Schwiegersohn wünschenswerten Eigenschaften vereinigt findet, stimmt mit mir in dem Entschlusse überein, dich von einer Verbindung freizusprechen, die dich zu quälen und in so hohem Grade zu beunruhigen scheint. Als ich deinem würdigen Vater die Hand zu dem Bunde reichte, der uns vereint, war mein Glück durch keinen Schatten getrübt: ein unerschütterliches Vertrauen, eine himmlische Heiterkeit, ein stilles, alles durchdringendes Glück erfüllten meine Seele. Dieser Art sollten die Gefühle eines jungen Mädchens für denjenigen sein, den sie durchs ganze Leben hindurch bis ans Grab begleiten soll und in der Ewigkeit wiederzufinden hofft.«

»Meine Mutter«, entgegnete Edith, sie in die Arme schließend, »und Sie, mein teurer, verehrter Vater! Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen für die Worte, die ich von Ihnen hören durfte, und ich vermag nicht zu schildern, in welchem Grade dieser Beweis Ihrer zärtlichen Fürsorge mein Herz bewegt. Doch sind Ihre Befürchtungen unbegründet. Beruhigen Sie sich. Ihre Wahl trifft sich mit der meinigen. Wie Sie, sehe ich in Herrn von Volmerange einen Mann von untadeliger Geburt, edler und großmütiger Gesinnung, vollendeten Sitten und unfehlbarem Herzenstakt. Ich hege den festen Glauben, daß er, wie kein anderer Mann auf Erden, es versteht, eine Frau glücklich zu machen . . .« Hier vermochte Edith einen Seufzer nicht zu unterdrücken, der statt einer Bestätigung des eben Gesagten einen sonderbaren Gegensatz dazu herstellte und eher ein Bedauern als eine Hoffnung ausdrückte.

»Ich liebe Herrn de Volmerange, und ich kann es Ihnen, liebe Eltern, im Augenblick, da ich vor den Altar treten soll, bekennen, daß die vergossenen Tränen, die Wehmut, der ich mich hingab, nichts anderes zu bedeuten hatten, als die melancholischen Stimmungen eines erregten kleinen Mädchens, und das eigentlich Wirkliche darin nur der Kummer ist, Sie verlassen zu müssen.«

»Um so besser, meine geliebte Edith; ich befürchtete schon, der Wunsch, unserem Willen zu gehorchen, möchte eine geheime Abneigung verbergen.«

»Umarmen Sie mich, mein Vater«, sagte das junge Mädchen und bot ihre Stirn Lord Harley zum Kusse dar, der sie an seine Brust zog. Dann beugte sie sich tief bewegt über die Hand ihrer Mutter. Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper; aber als sie sich wieder aufrichtete, hatten ihre Züge die frühere Ruhe zurückgewonnen.

Man meldete Herrn von Volmerange.

Es erschien ein junger Mann zwischen sechsundzwanzig und siebenundzwanzig Jahren, dessen sympathische Züge sofort durch einen fremdartigen Liebreiz fesselten. Aus der Verbindung eines französischen Vaters und einer indischen Mutter war er in Chandarnagar zur Welt gekommen und vereinigte in sich die Vorzüge zweier Rassen. Lange und sehr dunkle Wimpern umrahmten ein Paar Augen von reinstem Blau, die von ebenholzschwarzen, scharfgezogenen Brauen auf einer mattweißen Stirne beschattet wurden. Dieser Gegensatz verlieh ihm einen besonderen Reiz. Eine sanfte Trauer lag in dem dunkel umrahmten, schwimmenden hellen Blick, den nur die entschiedenen Züge vor einer fast zu weiblichen Weichheit bewahrten. In Augenblicken heftiger Erregung belebte sich dieser Blick durch ungewöhnlich große Pupillen, und dann verwandelte sich die Farbe der Augen vom Türkis zum Saphir. Diese Wirkungen, die einen farbenfreudigen Maler gewiß zu liebevollem Studium verlockt hätten, waren bei allem Reiz dennoch der Grund, warum diesem ebenmäßigen Gesicht, trotz allem, der Ausdruck des Schicksalhaften, Geheimnisvollen und sozusagen Übernatürlichen anhaftete. Bei Albrecht Dürer sind diese träumerischen, düsteren Engel zu finden, deren Blick sich weit wie das Firmament und tief wie das Meer öffnet und das Leid der ganzen Welt in ihrem Tropfen Ätherblau gesammelt zu haben scheint. Obschon seelisches Gleichmaß, Wahrheit und Güte aus diesen Zügen atmeten, so hätte doch ein Künstler, der das Glück abzubilden versuchte, sich dieses Antlitz nicht als Vorbild gewählt.

Herr de Volmerange war hochgewachsen und ließ bei aller Schlankheit außergewöhnliche Körperkräfte ahnen. Ungeachtet seines eleganten Ebenmaßes zeugten die Breite der Brust, die selbst unter dem Rock sichtbaren Muskeln von der Stärke eines Athleten. Seine robuste, von der vollendeten Haltung und Eleganz des Edelmannes geschmeidig beherrschte Erscheinung besaß eine unbeschreibliche Anmut: die Grazie der Kraft.

Man brach zum Kirchgang auf.

Es traf sich, daß es dieselbe Sankt-Margarethen-Kirche war, in deren Torbogen Miß Amabel Vivian auf ihren Bräutigam wartete, blaß wie eine Alabasterstatue auf einem Grab. Ediths bräutlicher Schleier streifte im Vorübergehen Amabels Schultern.

Volmerange aber, ganz in sein Glück versenkt, hatte kein Auge für das geängstigte Mädchen am Eingang des Gotteshauses, das mit seinen Blicken den dichten Nebel zu durchdringen suchte.

Und doch hatten sich in diesem selben Augenblicke zwei Schicksale gekreuzt.

Auch Amabel schenkte der Begegnung nicht die geringste Aufmerksamkeit. Ihre Gedanken gehörten völlig der Sorge um Benedict und einer ratlosen Verlegenheit über die unmögliche Lage. Sie sah weder Edith noch Volmerange. Keine innere Stimme ließ sie aufmerken. Das Paar hatte die finstere Kirche betreten, und die Zeremonie nahm ihren Verlauf unter dem Brausen eines Sturmes, der die Türen schlug und in den schattentiefen Schiffen seufzte. Der Nebel löste sich in Regenschauern auf, die der Wind in schweren Tropfen an die gelben Scheiben des großen, protestantisch nüchternen Fensters warf.

Ein bleiches, vor dem Luftzug immer wieder fast verlöschendes Licht warf sein düsteres Geflacker auf Brautpaar, Priester und Ministranten. Es verwandelte die Chorhemden in Leichentücher und die Priester in Gespenster oder Nekromanten bei einer nächtlichen Beschwörungsszene. Die frommen Ritualien wurden zu kabbalistischen Zauberformeln. Das kniende Paar schien auf einer Grabstätte zu beten, anstatt sich beglückt und hingegeben unter dem hochzeitlichen Segen zu neigen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Neben dem Portal zeichnete sich von ferne eine von schwarzen Gestalten umringte weiße Erscheinung ab, die eine satanische Gewalt auf der Schwelle aufzuhalten schien: eine arme Seele, der ein Engel den Eintritt ins Paradies verwehrt.

Eine unbezwingliche Traurigkeit hatte sich der Versammlung bemächtigt: eine dunkle Ahnung von nahendem Unglück streifte mit Fledermausflügeln jede Stirne. Eine eisige, durchdringende Kälte, die das Mark in den Knochen gefrieren ließ, senkte sich auf die Gäste und vermehrte den Eindruck des Schaurigen. Selbst die nicht Abergläubischen unter ihnen mußten bekennen, daß diese Heirat sich nicht gut anließ, und sollte sie dennoch glücklich ausfallen, so war zu sagen, daß Fortuna sich öfters merkwürdiger Auspizien bedient.

Der einzige, der gegen jeglichen äußeren Eindruck unempfindlich blieb, war Volmerange. Er betete Edith an, und der Tag, der ihm ihre Hand auf immer schenkte, wäre ihm trotz Blitz und Donner, Sturm und Wolkenbruch als der reinste und friedlichste aller Tage erschienen. Was sind Wolken am Himmel und Nebel auf der Erde für den, der sein eigenes Licht im Herzen, seinen Äther in der Seele trägt.

Als das Paar aus der Kirche trat, streckte ein Mann in zerlumpter Kleidung und demütiger Miene – vielleicht ein verschämter Armer oder Bittsteller, der damit rechnen mochte, daß das Glück den Menschen verlockt, weiter Glück zu stiften – Herrn de Volmerange ein versiegeltes Kuvert entgegen, das einige Papiere, wahrscheinlich eine Bittschrift oder einen Beglaubigungsschein, zu enthalten schien.

Volmerange, ohne auf den Übergeber zu achten, nahm es mit zerstreuter Hand entgegen. Edith aber schrak beim Anblick des Menschen zusammen, unterdrückte aber jegliche Äußerung.

Es mußte in den Sternen geschrieben stehen, daß die Sankt-Margarethen-Kirche an diesem Tage keine glückliche Ehe stiften sollte.

Benedict Arundell blieb verschwunden.

Und gegen Mitternacht hallte aus Volmeranges und Ediths Brautgemach ein tiefes und schmerzliches Stöhnen durch das stille Haus. Einige Dienstboten hatten es vernommen; aber keiner von ihnen wagte, ungerufen in die Geheimnisse des Brautgemachs einzudringen. War es der Klageruf der geängstigten Scham oder der letzte Widerstand der Jungfrau gegen den Gatten? Niemand kann das wissen!

Aber als am folgenden Morgen kein Geräusch aus dem Zimmer drang, kein Klingelzeichen sich hören ließ und die Mittagsstunde schon vorrückte, wagte man, das Zimmer zu betreten: Das Zimmer war leer.


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