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Sechstes Kapitel.


Es war acht Uhr. Wilhelm stand schon seit einer vollen halben Stunde an der Weiherwiese. Er horchte, ob nicht Fußtritte sich hören ließen, aber sein Herz klopfte so laut, daß er vermeinte, er könne deshalb nicht das Herankommen der Erwarteten vernehmen. Zwanzigmal war er getäuscht aus dem Walde herausgetreten – sie kam nicht – doch jetzt, ja jetzt ganz gewiß täuschte er sich nicht – eine Gestalt kam eilig durch den Baumgang daher – aber – das war Ludmille nicht!

Es war ein kleines Bauermädchen, ein Liebling Wilhelms, und in ihrer Hand hielt sie ein weißes leuchtendes Zettelchen.

»Für Sie von der Princeß,« sagte sie zu Wilhelm, der es ihr schon entrissen. Er konnte die feinen Schrift züge kaum mehr entziffern. Der Inhalt der wenigen Zeilen war:

 

»Alles ist verrathen, abscheulich verrathen! Fliehen Sie so heimlich und schnell, als wenn ich bei Ihnen wäre, mein Geliebter! Schreiben Sie mir, sobald Sie in Amerika eingetroffen, und das arme Vögelein, das man jetzt im Käfig doppelt verriegelt hält, fliegt dann über's Meer zu dem, der seine Heimath ist.«

 

Wilhelm jammerte nicht, er zerdrückte auch nicht das Unglücksbillet, er küßte es auch nicht – nein, er faltete es langsam und sorgfältig zusammen, aber sein Gesicht war entsetzlich blaß und seine Augen traten zum Erschrecken weit unter ihren Wölbungen hervor. Es war ein Gedanke, der so überwältigend sein Gehirn in Besitz nahm, daß er es beinahe zersprengte – dieser Gedanke war ein Zweifel an der, die er über Alles geliebt, und daß er diesen Zweifel hegen konnte, der merkwürdigste Zug seines jungen Characters!

Nach einer Weile sagte er zu dem Kinde, das wartend vor ihm stehen geblieben: »Bleibe noch einen Augenblick hier.« Darauf ging er zu seinem Wagen, der jenseits der Wiese hielt, und befahl dem Kutscher, nur ohne Weiteres ins nächste Oertchen zu fahren, er müsse noch einmal nach dem Schlosse und könne vor morgen nicht abreisen. Dann nahm er noch aus dem Wagen eine kleine Tasche, worin seine werthvollsten Papiere enthalten – so bedachtsam war er selbst in diesem Augenblicke – und eilte wieder zu dem Kinde. Als er diesem erklärte, er werde es nach dem Schlosse begleiten, fragte es ganz verwundert: »So reisen Sie nicht ab, die Princeß sagte mir doch, sie warteten nur auf das Zettelchen, um wegzufahren?«

»So?« fragte er bitter lächelnd, »meinte sie das? Sag' einmal, Aennchen, wie kamst Du denn heute Abend ins Schloß?«

»O, Princeß hat mich schon vorige Woche bestellt; sonst komme ich immer Sonntags Morgens, um das wöchentliche Almosen für meine Mutter von der Fürstin zu holen, aber Princeß Ludmille sagte mir, sie wolle mir, wenn ich heute Abend komme, ein warmes Kleid, das sie nicht mehr trage, für meine Mutter schenken.«

»Nun, und« –

»Nun, sie gab mir das Kleid, sagte aber, Sie hätten das Zettelchen vergessen und warteten hier darauf.«

Das klang ganz unverfänglich für Wilhelm; vielleicht war dennoch Ludmille schuldlos und Rosalie hatte ihn den Eltern verrathen. Aber das wollte er aus ihrem eigenen Munde wissen, um jeden Preis, an die Wuth des Fürsten, an den Schmerz der Fürstin, an Alberts getäuschten Stolz dachte er gar nicht, vor seinem innern Auge standen nur zwei Personen, zwei, von denen eine ihn verrathen haben mußte, Ludmille oder Rosalie! Diese Verrätherin zu kennen und zu strafen, war das einzige Verlangen seiner jungen Seele.

Er ging so rasch, daß ihm das kleine Mädchen nicht folgen konnte. Endlich blieb er stehen und wartete auf das Kind, und dann nahm er es an der Hand und riß es mit sich fort.

Er ging nicht zum großen Hofthore herein. Er stieg über eine Hecke des Schloßgartens, er schlich an der Mauer des verlassenen Fasanenhofs her und öffnete dann eine kleine Thüre, die zu einer Seitentreppe führte. Als er so endlich in einen der Gänge des weitläufigen Schlosses gelangt war, schallte ihm schon von Weitem Musik aus dem Saale, wo gewöhnlich die Familie sich versammelte, entgegen. Das änderte seinen Plan, zuerst zu Rosalien zu gehen, denn er war beinahe jetzt schon fest überzeugt, daß sie ihn nicht verrathen; denn wie wäre es möglich gewesen, in einem Hause, wo man eben die beabsichtigte heimliche Flucht der Tochter gehindert, sich mit Musik zu beschäftigen?

Kecken Schrittes, mit hochgehobenem Haupte betrat der junge Arzt den Hauptgang, der zum Saale führte. Niemand begegnete ihm, matt glimmten die Lampen, aber drinnen war laute Fröhlichkeit, man spielte einen Strauß'schen Walzer und die Kinder sprangen und tanzten.

Als Wilhelm die Hand auf die Thürklinke legte, zitterte diese Hand doch ein klein wenig, aber die Thüre sprang auf, und wie Banquo's Geist stand der Abgereiste mitten im dunklen Rahmen.

Sein Auge suchte nur Ludmillen. Sie saß am Clavier, sie spielte den Walzer, aber sie sah den Eintretenden nicht, weil ihre Augen auf das Notenblatt geheftet waren.

Die Fürstin gewahrte ihn zuerst. Mit dem freundlichsten Gesichte der Welt stand sie auf und ging ihm entgegen. »Haben Sie etwas vergessen, liebster Wilhelm?« Auch der Fürst rief ungewöhnlich zuvorkommend: »Eine charmante Ueberraschung!«

Aber Wilhelm antwortete ihnen nur durch einen flüchtigen Gruß, ging an ihnen vorüber gerade auf das Clavier zu und stellte sich da der Spielenden gegenüber. Als sie ihn auch jetzt noch nicht bemerkte, rief er mit seiner lauten, aber eigenthümlich durchdringenden Stimme: »Princessin Ludmille!«

Da sah sie auf, sie erhob sich, aber langsam, wie eine Schlafende, sie streckte abwehrend die Hände gegen ihn aus, als aber seine hellen, leuchtenden, drohenden Blicke aus dem bleichen Gesicht sich immer fester in die ihrigen bohrten, da schlug sie in unerträglicher Qual die Hände vor's Gesicht und stürzte mit einem lauten Schrei ohnmächtig hinten über.

Wilhelm eilte ihr nicht zu Hülfe, nur Albert, nachdem er Wilhelm einen fragenden Blick zugeworfen, trug sie hinaus. Die Fürstin saß zitternd in einem Sessel, der Fürst war in sein Zimmer geeilt, um Essig für die Ohnmächtige zu holen.

»Herr Doctor,« sagte endlich die Fürstin zu Wilhelm, der auch kaum seiner selbst mächtig in der Ecke lehnte – »Was soll das heißen?«

»O,« lachte Wilhelm, »ich hatte nur etwas vergessen – etwas, das mir Princessin Ludmille ›aus gnädigem Scherz‹ gestohlen. Das wollte ich mir wiederholen!« Nach diesen Worten erschallte ein höchst unangenehmes Lachen aus seinem Munde, ein Lachen, wie es die Fürstin nie von ihm gehört.

Der Zorn, den sie gegen ihn empfunden, als er ihr Kind auf eine ihr unbegreifliche Weise so erschreckt, legte sich augenblicklich, als ihr klar wurde, daß sie einen Unglücklichen vor sich sah.

»Hat meine Tochter eine Schuld gegen Sie, lieber Wilhelm?«

Er nickte nur mit dem Kopfe, dann ging er langsam zur Thüre hinaus, nachdem er die Fürstin, die ihn nicht weiter zu fragen wagte, traurig gegrüßt.

Er stand vor der Thüre des Saales – Wo sollte er jetzt hin! Ein Herz besaß er nur noch auf Erden, und an diesem einen Herzen hatte er eben durch den grausamsten Verdacht gesündigt, es drängte ihn, sein Unrecht ihr abzubitten. Das Kammermädchen wollte ihn nicht einlassen, aber er schob sie zurück und drang in das Cabinet.

Rosalie saß mit gekreuzten Händen, wie im Gebet versunken, auf ihrem Lehnsessel. Ein dunkler mantelartiger Ueberwurf hüllte die Kranke bis zu den Fußspitzen ein. Um das Haupt hatte sie einen weißen Schleier gewickelt, so daß man nur wenig von ihrem Gesichte sah. Es war, als solle die Welt nichts von ihr, sie nichts von der Welt sehen. Eben so wenig wie Ludmille vorhin, gewahrte sie jetzt Wilhelms Eintritt. Sie war in so grenzenlosen innern Schmerz versunken, daß sie für äußere Eindrücke ganz unempfänglich geworden. Als er sie aber rief, da traute sie wirklich ihren Ohren nicht. Nicht gleich erhob sie sich, er eilte zu ihr, er kniete neben ihren Sessel! Da im ausbrechenden Jubel ihrer Seele schlang sie beide Arme um seinen Hals, drückte sein Haupt fest an ihre Brust, und unter Lachen und Weinen rief sie ein um das andere Mal: »O Gott, er ist wieder da! O welch ein Glück, welch ein Glück!« Wilhelm war von dieser Liebe, nachdem sein Herz eben erst durch den grausamsten Verrath zerrissen worden, so tief gerührt, daß er die Fassung ganz und gar verlor und in Thränen ausbrach.

Bei diesem unerwarteten Anblick erhielt Rosalie ihre Fassung wieder. Sie holte selbst ihrem Liebling einen Sessel, sie zwang ihn förmlich, sich darauf niederzulassen, und dann setzte sie sich neben ihn und wartete geduldig, bis seine Aufregung vorüber sein werde. Das erfolgte bald, denn er war zu stolz, um sich nicht im Nothfall beherrschen zu können.

Er nahm ihre Hand und küßte sie. »Was führt Dich zurück, Wilhelm, bleibst Du nun wieder bei uns?« fragte sie endlich nach einer langen Pause.

»Bleiben? Wo kann ich noch bleiben? Ihr Herz, meine einzige Heimath, habe ich verscherzt, ich verdiene es nicht mehr, bei Ihnen zu sein!«

»Wilhelm! Lieber, guter Wilhelm!«

In diesem Augenblicke hörte man heftiges Pochen an der Thüre. Wilhelm stand auf, um nachzusehen, draußen fand er Albert.

»Ich bitte Sie, Wilhelm, gehen Sie mit mir und gewähren Sie mir die Aufklärung, deren ich bedarf, um meinen Vater Ihrethalben zu beruhigen; meine Mutter ist bei ihm und weiß nicht, was sie dem zornigen Mann sagen soll. Er ist außer sich, daß Sie Ludmillen bis zur Ohnmacht erschreckt, und wirft dabei und gewiß ungerechter Weise alle Schuld auf Sie.

Wilhelm legte mit schmerzlichem Ausdruck die Hand an die Stirne und folgte dem Prinzen in sein Zimmer.

Dort zog er Ludmillens Brief aus der Tasche und übergab ihn ihrem Bruder, dann suchte er noch in einer andern Tasche, wo er Ludmillens Zeilen, die ihm die Zusage ihrer Flucht brachten, aufbewahrt; auch dies Papier übergab er dem Prinzen.

Alberts Auge flog rasch über die beiden kleinen Zettelchen. »Wer hätte das von dem sechzehnjährigen Mädchen gedacht!« rief er entrüstet. Sein wahres Wort an der ganzen Geschichte, Niemand hat sie verrathen – wer könnte auch anders als ich es gethan haben?«

»Ihre Tante Rosalie hatte ich zuerst im Verdacht!«

»Woher wußte Rosalie um das Geheimniß?«

»Ludmille selbst hat sie zur Vertrauten gemacht.«

»In welcher Absicht sie das wohl gethan hat?«

»Wer weiß es – o könnte ich sie ganz aus meinem Gedächtnisse verwischen!«

Albert hatte den Kopf weggewandt. Endlich überwand sein besseres Selbst und Wilhelm die Hand reichend, sagte er leise: »Ja, es ist die unerhörteste Sünde, eine Seele besitzen zu wollen, ohne selbst eine Seele einzusetzen, es ist ein Betrug, bei dem man Juwelen mit falschem Golde kaufen will, aber ich selbst habe diesen Betrug versucht, und wer weiß, ob ich nicht jetzt nur ein ehrlicher Mann geworden, weil es mir nicht gelang, ein Betrüger zu sein!«

Wilhelm drückte die Hand des jungen Prinzen und sagte weich: »Sie sind der aufrichtigste Mensch, der mir je vorgekommen! Ich ahnte nicht, daß Sie auch solch ein Schicksal gehabt!«

»So unglücklich ich bin,« sagte Albert weich, »bin ich doch noch glücklich im Vergleiche mit Ihnen, denn das Mädchen, das ich liebe, ist makellos! Sie aber, armer Mensch – wie sind Sie zu beklagen –ich sehe das ein, wenn es auch meine Schwester ist, die Sie betrog.«

Die Fürstin trat ein und sie erfuhr aus Alberts Munde die volle Wahrheit. Wilhelm vergaß seinen eigenen Schmerz beim Anblick ihres Schmerzes, der Schmerzen, als sie sah, welch unwürdig Spiel ihr Kind getrieben! In diesem Augenblicke däuchte ihr, die wirkliche Flucht Ludmillens würde sie unendlich weniger geschmerzt haben, als die Lüge dieser Flucht! Mit Wilhelm hatte sie das tiefste Mitleid, und sie beruhigte sich seinetwegen erst, als Albert vorschlug, er wolle mit ihm weggehn. Auch Wilhelm neigte sich gern diesem Plane zu, denn seitdem er entdeckt, daß auch Albert an einer unglücklichen Liebe litt, seitdem fühlte er seine Abneigung gegen ihn schwinden.

Den Fürsten wegen des Vorfalls im Saale zu beruhigen, das übernahm endlich seine Gemahlin. Gegen Ludmillen war sie trotz allen Kummers, den ihr dies so unähnliche Kind verursacht, noch zu milde gesinnt, um ihrem Vater die ganze Wahrheit zu gestehen. Sie beschloß deshalb in weiblicher Schlauheit, die ihr für Andere nie abging, ihm eine Geschichte mitzutheilen, die halb Wahrheit, halb Dichtung, das Ganze zuletzt als einen übermüthigen Scherz, den Ludmille mit dem Jugendfreund getrieben, erscheinen ließ.

Die Schuldige sollte aber das Schloß verlassen, und zwar morgen schon wollte ihre Mutter sie zu einer ihrer Schwestern schicken, einer stolzen, verwittweten, kinderlosen Dame, die in der Nähe wohnte und durch ihr strenges, übertrieben ceremonielles Wesen der Schrecken der Waldheim'schen Kinder war. Dahin beschloß die Fürstin sie zu senden, halb zur Strafe und halb, damit sie aus dem Schlosse entfernt sei, so lange Wilhelm jetzt noch darin blieb, um Alberts Reisevorbereitungen abzuwarten.

Bei Wilhelm trat jetzt ein Seelenzustand ein, der seiner Neigung jeden Raum nahm. Keine Faser seines Herzens hing mehr an Ludmillen! Es war, als habe er sie nie geliebt; die Erfahrung, die er durch sie gemacht, hatte er aber in sich aufgenommen, als sei sie einem Freunde widerfahren, er grollte mitleidslos mit ihr, ja er haßte sie beinahe. Aber eine sehr üble Folge war, daß er das Frauen-Geschlecht, welches er früher seiner Mutter und Rosaliens wegen hatte verehren lernen, von nun an unendlich tiefer stellte und die beiden Genannten, wie die, welche ihnen ähnlich waren, in seinem Sinne nur noch als Ausnahmen gelten ließ, während er diejenigen, die ihm früher als Ausnahmen erschienen, jetzt als Regel betrachtete.

Er haßte nicht die Frauen, aber er that das unendlich Schlimmere, er achtete sie gering. Endlose Unterhaltungen hatte er darüber mit Albert, der ihn zum Vertrauten seiner Herzensangelegenheiten gemacht. Albert, der sich nur die Mühe gegeben, in seinem Leben zwei Frauencharactere zu studiren, den seiner Mutter und Agnes, die gewiß zu den allerdurchsichtigsten ihres Geschlechts gehörten, hatte kein Verständniß für Wilhelms traurige Ansichten. Und Wilhelms Behauptungen in diesem Punkte imponirten ihm auch glücklicherweise nicht, da dieser noch jünger war, als er, und noch weniger die Welt und die Frauen gesehn.

Mit Rosalien spielte Wilhelm noch eine förmliche Herzensgeschichte durch. Sie war über seine Rückkehr so überaus glücklich, daß sie im Alleinsein mit ihm es auch gar nicht mehr verbarg und er daher jetzt entdeckte, was er schon längst hätte entdecken können, daß nämlich Rosalie ihn über alle Maaßen liebte. Da entstand denn in ihm der Plan, er wolle trotz der Verhältnisse, trotz Rosaliens vorgerücktem Alter, trotz ihrer Häßlichkeit ihr seine Hand antragen und mit ihr in irgend einen stillen Erdenwinkel sich zurückziehen. Es war weniger das Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden, denn dies Bedürfniß empfand eigentlich Wilhelm bei Weitem nicht in dem Grade wie andere Menschen – als vielmehr das Bedürfniß, eine Seele zu haben, die für ihn dachte, ordnete, waltete, wenn es seiner träumerischen Natur gerade beschwerlich fiel, in das Räderwerk des gewöhnlichen Lebens einzugreifen. Rosalie aber, zu seiner unendlichen Verwunderung, wies ihn ab, und zwar mit einer Entschiedenheit, die ihm keine Hoffnung ließ.

»Ludmille wollte nicht die Deine werden, weil sie Dich nicht liebte, ich nicht, weil ich Dich über alle Maaßen liebe, so wie ich nie Jemand geliebt und nie Jemand lieben werde. Du willst jetzt Dein Schicksal an das meine ketten, weil Ludmillens Falschheit Dich für Schönheit und Jugendreiz augenblicklich unempfindlich gemacht hat. Aber Schönheit und Jugend werden wieder ihre Rechte bei Dir geltend machen und dann sollst Du frei sein. Mich macht es glücklich, daß Du mich so hoch gestellt, daß meine Mängel Dir unsichtbar geworden, mich macht es glücklich, daß es in meine Hand gegeben ist, Dein Schicksal zu lenken.«

Lächelnd wies sie ihn von sich – sie war so ruhig, so würdevoll, daß Wilhelm des Glaubens wurde, sie habe nie eine wirkliche Leidenschaft für ihn empfunden. Er sah nicht ihre Thränen, wenn sie allein war, er ahnte nicht, wie groß ihr Edelmuth und ihre aufopfernde Liebe für ihn gewesen. An ihre fürstliche Geburt hatte sie dem Lieblinge gegenüber keinen Augenblick gedacht, obgleich es der einzige äußerliche Vorzug war, den ihr das Schicksal verliehen.

 

Wir müssen noch Einiges über die Waldheim'schen Familienmitglieder nachtragen. Das Haupt, der Fürst, war durch seiner Gemahlin Bemühungen vollkommen über Wilhelm und Ludmillen beruhigt. Ihre Falschheit, deren ganzen Umfang ihm natürlich die Fürstin nicht mitgetheilt, erschien ihm als »geistreiche Malice«, ihre Gefallsucht als »weibliche Finesse«, wie er sich ausdrückte. Eines nur fand er nicht passend: daß sie ihr »gracieuses Spiel« an einem Roturier geübt, aber – freilich in dem einsamen Waldheim war kein anderer Gegenstand zu finden.

Die Fürstin hatte ihrer Tochter nicht verziehen, selbst als sie abreiste und das weinende Antlitz noch aus dem Wagen streckte, hatte sie ihr keinen Blick gegönnt.

Auch keinen Brief erhielt Ludmille in der Verbannung von ihrer Mutter, und so herzlos sie eigentlich war, so war ihr dies doch beinahe unerträglich, weil die milde Erziehung ihrer Mutter ihr solche Strenge als etwas Unerhörtes erscheinen ließ.

Albert fand endlich Klarheit genug in sich, um einen Plan für seine Zukunft zu entwerfen. Daß seinem Vater keine Einwilligung zu einer Verbindung mit Agnes abzugewinnen war, sah er ein, daß Agnes ohne diese Einwilligung nicht die Seine würde, darüber war er eben so klar. Nichts weiter aber in Aussicht zu haben als die Lebensaufgabe, Erbprinz von Waldheim auf Waldheim zu sein, dünkte ihm zu trostlos; er be schloß deshalb, Kriegsdienste zu nehmen, und zwar in demselben Land, das Agnes bewohnte. Er wußte freilich, daß er sie nicht sehen werde, denn er hatte in Erfahrung gebracht, daß ihr Vater eine einsame Pusta in Ungarn angekauft und bezogen, die meilenweit von jeder Stadt entfernt lag; aber er hatte doch die Genugthuung, ihr näher zu sein, und überdem war Oesterreich das einzige Land, das seinem aristokratischen Sinne hoch genug stand, um dort Dienste zu nehmen.

Gegen diesen Plan konnte sein Vater nichts einzuwenden haben und wendete auch nichts dagegen ein. Wilhelm sollte ihn begleiten. Albert wollte ihm durch seine Connexionen irgend eine ärztliche Stellung auswirken und Wilhelm ging auf diesen Vorschlag ein, weil auch er um jeden Preis fort wollte.

So war denn Alles geordnet. Der Fürst schrieb nach Wien um eine Offizierstelle für seinen Sohn und erhielt auch sogleich die Zusage einer solchen in einem nach der Ankunft seines Sohnes in Wien noch zu bestimmenden Regimente.

Wilhelm studirte Nacht und Tag, um noch so viel Wissen als möglich mitzunehmen. Rosalie schleppte ihm Bücher herbei, schrieb Notizen für ihn aus, verbesserte seine Reise-Ausrüstung, kurz, vergaß sich selber bis er abreiste, um dann ganz und gar sich dem Bewußtsein ihrer Existenz hinzugeben – dem Bewußtsein, was ihr nun noch das Leben zu bieten hatte!



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