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Zweites Kapitel.


Mit der Sorge Rosaliens, daß Albert Wilhelm freundlich behandeln möge, hatte es seine eigene Bewandtniß. Wilhelm hatte nie über Jenen bei Rosalien etwas geäußert, aber durch hundert Dinge unwillkührlich verrathen, daß Albert ihn nicht anzog. Und da Rosalie ihren ältesten Neffen wirklich liebte, sollte es Wilhelm auch thun, denn jedes Gefühl, das sie nicht mit Wilhelm theilte, verlor den Werth für sie.

Wilhelm, das einzige Kind des ehemaligen Hausarztes des Fürsten, war seit seinem vierzehnten Jahre eine Waise. Sein Vater und seine Mutter waren die einzigen Freunde der Prinzessin Rosalie gewesen. Wilhelms Mutter, die Doctorin Rose, war eine höchst liebenswürdige, durch ihre Sanftmuth anziehende Frau, während sein Vater, der Doctor, ein Original und zwar ein sehr bedeutendes in jeder Beziehung war. Er war ein Mann, der in jeder größeren Stadt ein öffentlicher Charakter geworden wäre. Als Arzt leistete er weniger, als man nach seinen Geistesgaben von ihm erwarten konnte, weil ihm die Heilkunde nur interessant war in Beziehung auf neue Entdeckungen, merkwürdige Experimente u. s. w.; vielleicht kam es auch daher, daß sein Geist zu vielseitig war, um sich einer Wissenschaft ausschließlich zuzuwenden. Es gab nichts Hervorragendes auf Erden, was ihn nicht auf eine Weise anzog, daß er oft in seiner Lebhaftigkeit Schlaf und Essen darüber vergaß.

Ein großes Glück für ihn war, daß seine Frau durchaus nichts von seiner excentrischen Natur hatte, sondern im Gegentheil schon durch den Anblick ihres gleichförmigen milden Waltens seine oft fieberhaft erregten Geister zur Ruhe brachte.

Man hatte ihm öfter vorgeschlagen, seinen Aufenthaltsort zu wechseln, aber dazu kam es nie, obgleich er es sich ewig vornahm. Immer hatte er für den Augenblick etwas vor, das einen Umzug unmöglich machte, ebenso sehr hinderte ihn auch der Zustand seiner Finanzen, die gewöhnlich etwas in Unordnung waren. Denn wenn er Geld hatte, machte er eine Reise und brachte ganze Wagen voll Curiositäten, aber einen ganz ge leerten Beutel mit. Die Doctorin mußte dann sehen, wie sie bis zur nächsten Einnahme zurecht kam. Sie machte ihm nie einen Vorwurf wegen seinen Unregelmäßigkeiten, obgleich sie beinahe allein darunter zu leiden hatte, denn selbst in seinem Betragen gegen die sanfte Frau war er der veränderlichste aller Menschen. Es gab Wochen, wo sie gar nicht für ihn existirte, er sprach nicht mit ihr, nicht mit seinem einzigen Kinde, ja es schien, als habe er ganz vergessen, daß er eine Familie besitze. Dann, wenn irgend Jemand, besonders Rosalie, ihm von seiner vortrefflichen Gattin sprach und dadurch sein eingeschlummertes Gewissen oder seine eheliche Eitelkeit weckte, machte er eine Anstrengung, ein lebenswürdiger Gatte und Vater zu sein. Er brachte Geschenke heim, er nahm seine Frau auf kleinen Ausflügen und Parthien mit. Aber lange hielt das nie an, und bald fiel er wieder in seine alte Gleichgültigkeit zurück. Er liebte seine Frau; sie war schön, aber sie war keine Merkwürdigkeit; in ihrem klaren Geiste, in ihrem weichen Herzen war kein Fältchen, das er nicht kannte; er wußte immer schon im Voraus, was sie sagen, wie sie handeln würde – wie konnte ihn Jemand in Anregung erhalten, an dem durchaus keine neue Entdeckung zu machen war!

Rosalie hingegen zog ihn immer gleichmäßig an, und gegen sie war er auch immer, seit ihrer ersten Kindheit, derselbe geblieben, denn Rosalie war, was man im gewöhnlichen Leben, wenn man Jemand liebt, originell nennt, wenn man haßt, aber launig schilt. Ihr ganzes Leben war in einem fortwährenden Umschwung begriffen, und ihre geistige Productivität so groß, daß ein und derselbe Gedanke nie zweimal hinter einander Raum bei ihr fassen konnte. Sie war immer neu, immer geistreich, immer empfänglich für das Schöne und Gute, aber – und darin hatte sie einen unermeßlichen Vorzug vor dem Doctor – sie war in ihrem Benehmen, ihren Freundschaften, ihren Liebhabereien, ihren Gesinnungen, ihren Ansichten immer dieselbe, nur ihre Phantasie war der ewig wechselnde Blüthenflor auf dem festen Stamme ihres treuen Characters.

Der Doctor Rose hingegen war im Vergleiche mit ihr wie eine dem Winde preisgegebene Feder. Heute monarchisch, morgen demokratisch, heute nur Rubens, morgen nur Raphael, heute nur Byron, morgen nur Shakespeare, oder Goethe, oder Schiller; nur in zwei Dingen blieb er sich treu, und das bewahrte ihn vor dem sonst für ihn unvermeidlichen Schiffbruch des Lebens, er blieb sich treu in seiner Gewissenhaftigkeit für seine Verpflichtungen und in seiner Freundschaft für Rosalie.

Diese beiden Menschen schätzten einer das Andere über Alles im Leben, und doch kam nie ein wärmeres Gefühl in ihre Herzen, trotzdem daß sie sich täglich sahen – das hatte wieder eine eigene Ursache – wenigstens scheint das die einzige mögliche gewesen zu sein.

Es gab keine Menschen, die der Schönheit in ihrer edelsten Form mehr anhingen, als Rose und Rosalie, und – Beide waren auffallend häßlich!

So sehr sie sich liebten, gab es keinen Tag, wo nicht Rosalie hätte sagen mögen: »Wenn er nicht schielte und nicht den entsetzlichen, wie mit einem Messer geschlitzten Mund hätte;« und wo nicht Rose dachte: »Sie wäre ein Engel ohne diesen abscheulichen kahlen Hirnschädel und die so ins Unendliche gespitzte Nase!« Und dennoch war Jedes über seine eigene Häßlichkeit im Klaren!

Wilhelm glich äußerlich nur seiner Mutter, und sie war eine schöne Frau gewesen. Innerlich glich er beiden Eltern, und zwar mit einem Gemisch der sonderbarsten Art. Er hatte des Vaters lebhaften Geist, seine Wißbegierde und ausschließliche Tiefe im Erforschen und Ergründen, die Gabe, sich durch nichts von Dem abziehen zu lassen, was er gerade betreiben wollte, hingegen von der Mutter die Eigenschaft, immer gleich ruhig und still und verschlossen zu sein, dabei stet und fest, nicht irrlichtartig wie der Vater.

So war er mit fünfzehn Jahren, als in Einem Jahre ihm Vater und Mutter starben. Der Ertrag von dem Verkaufe des Hauses, das seine Eltern besessen, war Alles, was er nach ihrem Tode behielt – dieß und Rosaliens Zuneigung, welche die Stelle, die sein Vater in ihrem Herzen ausgefüllt hatte, ihm augenblicklich einräumte. Sie war entschieden, sich nicht zu verheirathen, und beschloß, von nun an ihr Herz nur mit dem Gedanken, Wilhelm eine zweite Mutter zu sein, auszufüllen.

Er bezog ein Gymnasium in der benachbarten Stadt. Die Ferien brachte er immer bei ihr im Schlosse zu und auch außerdem lief er oft die paar Wegstunden, um seine geliebte »Prinzeß« zu sehen. Mit siebzehn Jahren bezog er die Universität, studirte nach dem Wunsche Rosaliens Medizin und mit ein und zwanzig Jahren kam er eines Tages nach Schloß Waldheim, das Doctordiplom in der Tasche.

Rosalie war stolz und froh über ihren Pflegling. Er war nicht mehr so blendend schön, wie er als Kind gewesen, aber dafür sah er bedeutend und edel aus. Wenn er unter den jungen Fürsten Waldheim stand, war keiner, der so »fürstlich« aussah, wie er. Er wußte viel, er hatte für sein Alter einen merkwürdig ernsten und tiefen Sinn – das fand Rosalie Alles höchst erfreulich, aber – was nun beginnen mit ihm?

Sein Capital war für seine Studien ganz aufgezehrt, so sehr, daß er noch eine kleine Summe für Wohnung und Collegiengelder bei seinem Abgange hatte schuldig bleiben müssen. Rosalie deckte das ohne sein Wissen, indem sie ein paar alte Diamantohrringe verkaufte.

Doctor war er freilich, aber wovon leben, bis er eine Praxis sich errungen? Rosalie besaß nichts als eine Rente von ein paar hundert Gulden, die eine alte Tante, welche sie liebte und ihres Bruders gewissenlose Verschwendung mit angesehen, ihr ausgeworfen. Diese Rente hatte sie aber auf mehrere Jahre im Voraus erhoben, um einen Gläubiger des verstorbenen Doctor Rose zu befriedigen, der Ansprüche an Wilhelms kleines Erbtheil gemacht. Sie hatte also buchstäblich nichts. Sie ersann nun einen Plan. Seit Rose's Tod war die Stelle eines fürstlichen Leibarztes unbesetzt geblieben und bei vorkommenden Krankheitsfällen immer ein Arzt aus der nächsten Stadt geholt worden, was bei der zahlreichen Familie des Fürsten mit viel Mühe und vielen Kosten verbunden war. Sie schlug also ihrer Schwägerin vor – bei ihrem Bruder wagte sie es nicht – Wilhelm als Leibarzt versuchsweise anzustellen. Sie verlangte keinen Gehalt für ihn, nur freie Existenz im Schlosse. Die Fürstin war augenblicklich für den Plan, weil auch sie an dem verlassenen, jungen Arzte einen großen Antheil nahm. Aber wie den Fürsten dazu stimmen, der schon von vornherein gegen Alles war, was man ihm vorschlug, ganz besonders wenn es seine Frau oder seine Schwester that?

Auch hier gab Rosalien ihre sorgende Liebe für den jungen Freund ein Auskunftsmittel ein. Sie sagte zu ihrer Schwägerin: »Reden wir nicht davon bei ihm. Ueberlassen wir Alles dem Zufall. Sobald Jemand krank wird im Schlosse, soll Wilhelm ihn kuriren, dann kommt die Sache von selbst, und wenn Dein Gemahl ihn erst einmal als Doctor hat fungiren sehn, und zwar mit Erfolg, wie ich hoffe, muß es ihm ja selbst angenehm sein; denn wie oft hat er gewünscht, wieder einen Arzt hier zu haben, wenn nicht der Gehalt gewesen wäre, ohne dessen feste Zusicherung kein Fremder in diesen kleinen Ort zieht.«

Der Himmel war offenbar mit ihr im Bunde, denn er schickte ihr bald einen Patienten, und zwar den Für sten selbst, der sich, den Arm bei der Jagd aus dem Gelenke fiel. Da schleunige Hülfe hier die Hauptsache war, hatte er nichts dagegen, daß Wilhelm ihm den Arm einrichtete, wobei er natürlich alle Schmerzen, die er litt, der »Grünheit« des jungen Arztes zuschob, aber sich dennoch bald mit der Kur aussöhnte, weil sie gelungen war; und als seine Frau ihm nun den Leibarzt vorschlagen wollte, kam er ihr auf halbem Wege entgegen und sah stolz die Sache als seine eigene, von ihm ausgegangene Idee an.

»Desto besser,« sagte Rosalie, als ihre Schwägerin ihr den guten Erfolg mittheilte, »so wird er eher mit ihm zufrieden sein.«

Als Albert den unglücklichen Sturz mit dem Pferd gethan, war auch er in Waldheim von Wilhelm in die Kur genommen und ebenfalls glücklich geheilt worden. Von dieser Krankheit aber datirte sich Wilhelms Antipathie gegen den Prinzen.

Wilhelm hatte von seiner frühesten Kindheit an mit den Kindern im Schlosse gespielt. Jedes Mal wenn er zu ihnen ging, hatte seine Mutter ihm anempfohlen, im Schlosse hübsch bescheiden zu sein, die jungen Prinzen immer Sie zu nennen, ihre Launen zu ertragen und wenn sie es zu arg machten, zu ihr nach Hause zu kommen: »Denn Du darfst Dich nicht rächen für jede Dir geschehene Unbill, sie sind vornehmer als Du und ihr Vater ist der Herr des Deinigen.« Nun sah Wilhelm, daß die Kinder um kein Haar besser und artiger waren, als seine Bauernjungen; dazu hörte er seinen Vater hundertmal sagen: »Wenn die Fürstin und Rosalie nicht wären, hätte ich schon längst diesen eingebildeten Thoren, diesen hochmüthigen egoistischen Fürsten im Stich gelassen.«

Das machte schon böses Blut bei dem nachdenklichen Jungen. Als seine Eltern starben und er sich öfter im Schlosse aufhielt, wurde es nicht besser. Er fühlte, daß er hier nicht nur der Geringere, sondern auch der Abhängige war. Wenn die Kinder oft etwas ganz unabsichtlich sagten, legte er es sich als Beleidigung aus. Dann waren sie aber auch oft wirklich insolent und hochmüthig gegen ihn, wie es Kinder überhaupt leicht sind. Das weckte seinen Hochmuth. Er war sich bewußt, viel klüger, vernünftiger und unterrichteter zu sein, als diese kleinen Prinzen und Prinzessinnen, und sollte doch sich ihnen beugen? Rosalien konnte er das nicht klagen, also verschloß er es in sich; so wurde er verschlossen, hochmüthig und mißtrauisch, denn von Jedem der fürstlichen Familie, der ihn anredete, glaubte er eine Beleidigung gewärtigen zu müssen; er war also immer auf seiner Hut, eine solche abzuwehren, gab sich endlich nie mehr hin und war schon, als er die Universität bezog, ein fertiger, abgeschlossener, aber kein glücklicher Character!

Bulwer sagt einmal: »Hütet euch vor den Menschen, die als Kinder eine zu strenge Erziehung erhalten.« Er hat Recht, aber ein eben so großes Unglück ist es, als Kind in Verhältnisse zu gerathen, wo man sich selbst bewacht und nicht gehen lassen kann in sorgloser Unbefangenheit. Nicht umsonst sagt der Holländer: »Jugend muß austoben.«

Alle Eigenschaften Wilhelms, die in einem glücklichen Familienleben, im Kreise liebender Verwandten, wo ihm das süße Recht sich zu freuen und zu genießen unverkümmert zu Theil geworden wäre, sich auf das Herrlichste entfaltet hätten, bogen sich jetzt zurück, wurden unterdrückt, weil er, bevor noch der Stamm seines Lebens sich kräftig entwickelt, in eine falsche Stellung gerieth. Rosalie hatte eine Ahnung, daß ihre Pflegemutterschaft ihm kein Glück brachte, aber mit welcher andern sie vertauschen?


Er kam heute ungewöhnlich spät nach Hause. Vielleicht nur, weil Albert ihn gebeten, früh zu kommen. Sein stolzes, mißtrauisches Herz sah darin einen Befehl des jungen Prinzen.

Albert empfing ihn freundlicher, als je, im Hinblick auf seine Tante. Wilhelm ging aber auf diese Freundlichkeit so wenig ein, daß Alberts Zartgefühl sich erkältet zurückziehen mußte.

Außer dem Schachspiel war es des Fürsten Lieblingsunterhaltung, seine Umgebung zu necken und aufzuziehen, nur Albert war davon ausgenommen; warum? wußte eigentlich Niemand; vielleicht kam es nur daher, weil es durchaus unempfindlich für Neckereien war und er deshalb keinen Genuß bot. Seine heitere Unbefangenheit war durch einen Scherz nicht zu trüben, im Gegentheil, er ging auf den derbsten ein.

Der Fürstin, Rosaliens und Wilhelms reizbare Naturen hingegen boten dem fürstlichen Roué einen größeren Reiz.

Die große fürstliche Familie war für den Augenblick sehr zusammengeschmolzen. Alberts jüngere Brüder waren in Militairdienste gegangen, zwei seiner Schwestern verheirathet, die eine nach Oesterreich, die zweite nach Schlesien; nur ein zwölfjähriger Knabe, Rudolph, und eine sechzehnjährige Prinzessin, Ludmille, befanden sich noch im elterlichen Schlosse.

Ludmille war außer Rosalien die einzige Person, mit welcher Wilhelm sich gerne unterhielt. Die sanfte Fürstin selbst zog ihn nicht an, denn er sah in ihr zu sehr die Gemahlin seines Herrn, des Fürsten.

Ludmille und Rosalie hingegen lebten in offener Opposition gegen den Fürsten, unter einander waren sie sich übrigens auch fremd.

Ludmille war schön und klug – der kluge und schöne Wilhelm war natürlich für sie die anziehendste Person der Gesellschaft, und sie fand hundert Vorwände, sich ihm zuzugesellen. Heute Abend musicirten sie zusammen. Er spielte sehr mittelmäßig Klavier, aber sie behauptete: Niemand verstehe zu accompagniren, wie er.

Sie sang ein Lied von Schubert. Albert hörte in tiefen Gedanken versunken ihr zu, und sein Auge hing mit ungewöhnlicher Theilnahme an ihrem schönen, sprechenden Gesichte.

Als sie geendigt, fragte sie ihn: »Warum sahst Du mich beim Singen so sonderbar an?

»Weil Deine Stimme eine merkwürdige Aehnlichkeit mit einer andern Stimme hat.«

»Hast Du die andere Stimme oft gehört?«

»Beinahe jeden Abend.«

»Wo war das?«

»Ich stand auf der Straße. Sie sang im Zimmer.«

»Wirst Du die Stimme bald wieder hören?«

»Nie mehr – sie ist verklungen!«

Als er das sagte, sah er so ernst aus, daß Wilhelm, der in einiger Entfernung von ihm stand und seine Worte nicht verstanden, ihn überrascht anblickte, weil er dem »oberflächlichen Menschen« einen solchen Ausdruck gar nicht zugetraut.

Ludmille aber nahm sanft die Hand ihres Bruders und sagte: »Willst Du mir etwas anvertrauen?

»Nein, Schwesterchen, das ist nichts für Dich.«

»Warum nicht?«

»Weil Du meine Geschichte langweilig finden würdest – und ich will dies Urtheil nicht hören über Das, was mir das Liebste auf Erden war.«

»War? Also ist es schon vorbei?«

Albert zuckte statt aller Antwort die Achseln. Dann ging er zu seiner Mutter und vertiefte sich mit ihr in ein langes Gespräch über seine beiden Schwäger.

Ludmille aber sah ihm mit einem eigenthümlichen Blick nach und dachte: »Er ist verändert, das sah ich beim ersten Blick. Hat die Liebe ihm den Ernst gebracht, oder hat der Ernst bei ihm die Liebe verscheucht?« Zu Wilhelm aber sagte sie: »Finden Sie nicht auch meinen Bruder verändert?

Mit einem ironischen Lächeln fragte er: »Wie wünschen Sie, daß ich ihn finden soll – besser oder schlimmer?«

»Beides, besser für die Frauen und schlimmer für die Männer.«

»Das heißt?«

»Das heißt, daß er ernsthaft geworden ist.«

»Warum ist das besser für die Frauen?«

»O, es giebt für uns nichts Unangenehmeres, als einen sogenannten lustigen Bruder – wenigstens ich denke so – mir kann nur ein ernster Mann gefallen! Denn Ernst gehört zum Manne, wie Anmuth zur Frau.«

»Ich möchte Beides bestreiten, denn wir haben zwei lebende Beispiele, daß das Gegentheil auch anziehend sein kann, hier im Schlosse.«

»Das wäre?

»Der Fürst und Prinzessin Rosalie.«

»Was meinen Vater betrifft, so lasse ich mich darauf nicht ein – Kinder haben kein Geschick und keinen Beruf, Beobachtungen an ihren Eltern anzustellen – aber mit der Tante ist es etwas Anderes – doch da darf ich freilich Ihnen gegenüber auch nichts sagen, denn bei Tante Rosalie sind Sie auf der Stelle des Sohnes.«

»Nicht doch, nicht doch! Prinzessin Rosalie kann mir nie als Mutter erscheinen, weil ich das Bild mei ner eignen Mutter noch zu lebendig in mir trage, sie ist mir nur eine ältere Freundin, und ich kann sie wohl unbefangen genug beobachten, um zu sagen, daß bei ihr der gänzliche Mangel an Anmuth nicht so störend ist, um nicht durch ihre übrigen ausgezeichneten Eigenschaften ganz und gar aufgewogen zu werden – sie ist nicht anmuthig und doch vollkommen.«

Ludmille lächelte, aber sie schwieg.

Man weiß nicht, soll man es ein Verdienst oder einen Fehler der Frauen nennen, daß sie so oft schweigen, wenn sie fühlen, daß ein Aussprechen ihrer Meinung der Ansicht einer Person, die sie lieben, widerspricht. Kein Mann thut das, er verficht seine Ansicht bis zum letzten, weiß er auch, daß jedes Wort ihm einen Zoll breit Terrain im Herzensgrund seiner Liebsten kostet. Ist es, weil den Frauen ihre Neigung höher als ihre Ueberzeugung steht, während bei dem Manne es umgekehrt der Fall ist, oder kommt es blos daher, daß die Frauen gutmüthiger sind und deshalb lieber schweigen als Jemanden, dem sie wohl wollen, durch eine Behauptung zu verletzen?



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