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Zweites Kapitel.


Von diesem Tage an traf Agnes den Prinzen Waldheim oft, ja beinahe überall, wohin sie ging. Sie konnte zuletzt nicht mehr daran zweifeln, daß er absichtlich ihre Wege betrat. Er war immer derselbe; heiter, ironisch und zuweilen etwas übermüthig. Da dieser Uebermuth sich aber nur am Gefühle seiner Jugend und seiner Erwartungen vom Leben nährte, so hatte sein Ausdruck nichts Verletzendes.

Agnes bemerkte bald eine Eigenschaft des Prinzen, die sie ungemein belustigte: er war eitel. Ohne Zweifel einer der schönsten Menschen, wo er auch auftreten mochte, konnte er bei aller Unbefangenheit seines übrigen Wesens es sich doch nicht versagen, daß vortheilhafteste Erscheinen seines Aeußern zu pflegen, eben so wie er unfähig war, längere Zeit an einem Spiegel zu verweilen, ohne wenigstens einen Blick hineinzuwer fen. Man verstehe aber nicht falsch; der junge Prinz war kein Geck. Wenn ihn etwas interessirte, war er im Stande, seine schönen blonden Locken zu zerwühlen, deren anmuthiger Schwung ihn doch zu Hause so viel Mühe gekostet. Ein Geck war er nicht, aber er hatte trotz aller Liebenswürdigkeit zwei festgewurzelte Ueberzeugungen, von denen vor allen andern sein ganzes Wesen durchtränkt war: die Ueberzeugung, ein Prinz aus einem der ältesten Fürstengeschlechter Deutschlands und einer seiner schönsten Männer zu sein. Wie oft hatte man ihm auch Beides gesagt! Jung und Alt, Vornehm und nicht Vornehm hatte sich bemüht, ihn eitel zu machen; ein Wunder war es wirklich, daß er außerdem noch so vernünftig geblieben.

Aber wenn Agnes im unbewußten Gefühle ihrer Macht über ihn seine Schwächen geißelte, schämte er sich ihrer doch zuweilen. Er hatte ihr eines Tages mit seiner eigenthümlichen Naivetät erzählt, daß sein Vater in seinem Schlosse früher ein allerliebstes Hoftheater errichten lassen, und hatte dabei den Geschmack, der bei der Decorirung der fürstlichen Loge gewaltet, gerühmt.

»Wer kam denn da hinein?«

»Wer sollte denn anders hineinkommen als wir?«

»Wir? Sie allein oder mit Ihnen Ihre hohe Familie?«

»Ich habe gesagt wir; also natürlich die ganze Familie: meine Eltern, meine Schwestern, meine Brüder! warum fragen Sie so sonderbar?«

»Wenn eine fürstliche Person wir sagt, kann man nie wissen, ob es die Einzelzahl oder die Mehrzahl bedeutet; ich dachte, Sie probirten einstweilen den regierenden Herrn.«

»Wie Sie boshaft sind, gnädiges Fräulein, und Sie sehen doch so gutmüthig aus!«

»Das bin ich auch, aber ich bin auch lustig. Zuweilen wenn ich sehe, daß es meinem Vater zu viel wird, thut es mir leid, daß ich so lustig bin!«

»Ich bin es eigentlich auch – aber jetzt zuweilen –« und er seufzte tief auf, indem er die Augen niederschlug; aber wie erstaunte er, als Agnes ein so unendliches Gelächter erschallen ließ, daß sie gar nicht zu Athem kommen konnte.

»Mein Gott, gnädiges Fräulein, was habe ich denn gesagt, das Sie so außerordentlich belustigt?«

»Gesagt? Gesagt haben Sie nichts, aber Sie haben geseufzt! Bitte, Prinz, seufzen Sie nicht mehr! Das bringt den ernsthaftesten Menschen um die Fassung, Sie seufzen zu sehn! Dazu hat Gott Sie offenbar nicht bestimmt, sonst hätte er Ihnen nicht so rothe Wangen, nicht so lustige Augen und keine so heitre, strahlende Stirne verliehen! Sie sehen ja aus wie die Fröhlichkeit und der Uebermuth selbst!«

Albert lachte jetzt mit, aber er grollte ihr doch in seinem Innern, daß sie ihn mit seinem Seufzer so unbarmherzig ausgelacht.

Und dennoch heftete er sich überall, wo sie erschien, an ihre Spur. Er tanzte mit Niemand mehr außer mit ihr, und wenn sie mit einem Andern tanzte, lehnte er an der Thüre und verfolgte jede ihrer Bewegungen und verwandte kein Auge von ihr, und wenn sie, von ihrem Tänzer geführt, an ihren Platz zurückkehrte, stand er schon da, um sie zu empfangen. Er hatte nur Augen und Ohren für sie und vernachlässigte um ihretwillen alle die »hohen Pflichten« seines Standes, als da sind: eine alte Excellenz zur Abendtafel zu führen und neben ihr Platz zu nehmen; mit einer jüngeren Excellenz zu tanzen, und sich den größten Theil des Abends in der Nähe der »höchsten Herrschaften« aufzuhalten. Der große Kreis von Agnes' früheren Anbetern zerstob vor diesem Einzigen; ein Theil, weil es ihm zu beschwerlich fiel, einen Wettstreit mit ihm zu wagen, ein anderer, weil er sich zu stolz, ein dritter, weil er sich gekränkt fühlte, und ein vierter endlich in seines Nichts durchbohrendem Gefühle dem besternten Erbprinzen gegenüber. Außer am Hofe, wo, mit Ausnahme des Tanzsaales, die Rangordnung undurchdringliche Wände zwischen dem jungen Fürsten und seiner Dame aufthürmte, wußte er sie überall ihre früheren Cavaliere nicht vermissen zu lassen. Auf allen Privatbällen führte er nur sie zu Tisch und setzte sich ihr immer gegenüber mitten unter die Lieutenants und Assessoren, und war immer nur da zu finden, wo sie war, wenn er sich auch oft stundenlang begnügte, sie nur anzusehen – kurz er trieb einen förmlichen Minnedienst, unbekümmert, was »die Leute« sagten.

Und die Leute sagten viel! »Hat man das je an einem Sprößling eines solchen Hauses gesehen! Wäre es noch ein jüngerer Sohn, aber der Erbprinz!« bemerkte eine alte Hofdame; »er macht ja die Cour wie ein Student, wie ein Gymnasiast, aber wahrhaftig nicht wie ein Prinz! Daß er dem Mädchen gegenüber so aller seiner Würde vergessen kann, spricht sehr gegen sie. Fräulein von Stein muß entsetzlich kokett sein!«

»Fräulein von Stein muß entsetzlich kokett sein!« so sagten Alle, kein Einziger sagte: »er muß sie außerordentlich liebenswürdig finden« – wenn es dieselben Leute auch noch vor wenigen Monden selbst gefunden.

Und Fräulein von Stein? Eines Tages kam ihr Vater mit feierlicher Miene in ihr Zimmer.

»Mein Kind, schließe die Thüre ab, ich habe mit Dir zu reden.«

Agnes that es und setzte sich vor ihren Vater, indem sie seine Hand ergriff und ihn ruhig anschaute.

»Man macht mich von allen Seiten darauf aufmerksam, daß Dir der junge Prinz von Waldheim so angelegentlich den Hof mache. Ich hätte es nicht bemerkt, denn ich bemerke nie, wenn man Dir den Hof macht, weil ich das ganz natürlich finde; aber die Leute sagen, der Prinz treibe es unnatürlich arg – was soll daraus werden?«

»Liebster Vater, nichts soll daraus werden, nichts kann daraus werden und nichts wird daraus werden! Siehst Du denn das nicht klar?«

»Freilich sehe ich es, liebe Agnes, aber es freut mich, daß du es auch siehst und mit so ruhigem und heitrem Auge siehst.«

»Warum sollte ich denn nicht heiter und ruhig sein? Erstens, wie Du weißt, Vater, will ich nicht heirathen, ich will immer bei Dir bleiben. Und selbst wenn das nicht wäre, wäre Albert von Waldheim nicht der Mann, dem ich mein Selbst opfern könnte. Weil er ein Prinz ist, und zwar aus einem Hause, das am meisten auf seine Ebenbürtigkeit hält, kann er mich nicht heirathen – wenn er aber kein Prinz wäre, würde er mir noch zehnmal weniger gefährlich sein, denn das ist sein einziger Zauber für mich, daß er, obgleich er ein Prinz, doch solch ein erträglicher Mensch ist.«

»Ei, mein Kind, ich wußte nicht, daß Du eine solche kleine Demagogin seist!«

»Ich bin es auch nicht. Aber gestehe selbst, Vater, ist Dir je ein junger amüsanter, ja nur ein natürlicher Prinz vorgekommen?«

»Doch, doch, denke nur an meinen Freund, den Prinzen Ernst.«

»Das ist aber kein junger Prinz; ältere Fürsten giebt es genug, die höchst liebenswürdig sind. Aber die jungen leiden alle an der Unverdaulichkeit ihrer Würde. Und es ist auch ganz natürlich, denn wie kann ein achtzehnjähriges Haupt mit gutem Gewissen die Ehrfurcht und unterthänige Ergebenheit des ältesten, bedeutendsten Menschen annehmen, ohne davon schwindlig zu werden und aus dem Tacte zu kommen?«

»Was soll aber geschehen? Sollen die Prinzen bis zum vierzigsten Jahre incognito bleiben?«

Agnes lachte und schüttelte den Kopf. »Man soll sie nur etwas anders behandeln, höflich, aber nicht ehrerbietig, dann ist Alles gut.«

»Die Unbefangenheit, mit welcher Du im Allgemei nen von den Prinzen sprichst, beweist mir besser als Alles, wie unbefangen Du dem Einzelnen, den ich zuerst nannte, gegenüber sein mußt!«

»Wahrhaftig! das bin ich, er ist mir völlig gefahrlos.«

»Was hast Du eigentlich an ihm auszusetzen, da Du zugiebst, daß er die gewöhnlichen Prinzen-Fehler nicht hat?«

»Er hat keinen Ernst.«

»Und das vermissest Du an ihm? liebes Kind, welch glorreicher Triumph für die Verfechter der Ergänzungstheorie in der Liebe!«

»Nicht doch, lieber Vater, ich kann sehr ernst sein,« versetzte Agnes, und der Ausdruck ihrer veränderten Züge bekräftigte die Wahrheit ihrer Worte. »Ich kann sehr ernste Gedanken haben, wenn ich allein bin.«

»Das kann Waldheim vielleicht auch, wenn er allein ist.«

»Nein, das kann er nicht. Denn nicht nur daß ich sehr ernste Augenblicke habe, es giebt auch Dinge für mich, die so ernst sind, daß ich sie nie im leichten Gespräch berühren könnte. Waldheim aber scherzt über Alles.«

Als ihr Vater nachdenkend schwieg, sagte sie nach einer Pause: »Aber warum nimmst Du seine Parthie? Wünschest Du, daß ich ein günstigeres Urtheil über ihn fälle?«

»Da sei Gott vor,« rief der Geheimerath lebhaft, »das könnte zu Unglück führen, denn aus der Sache kann nichts werden! Sein Vater würde Dich eher tödten lassen, als Dein freifräuliches Wappen unter seine Fürstenkronen in den Stammbaum aufnehmen. Seit dem Verlust aller Reichthümer ist die Makellosigkeit dieses Stammbaums das einzige Kleinod der Familie. Wenn Du sehr, sehr reich wärest, wenn Du durch mehrere Millionen die Schulden der fürstlichen Familie tilgen könntest, dann würdest Du vielleicht geduldet, aber auf jeden Fall wegen der ›Mesalliance‹ im Schlosse eine Hölle haben. Und selbst wenn alles Andere sich fügte und erträglich gestaltete, so glaube ich doch nicht an die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs. Ich kenne Albert seit lange, habe ich doch mehrere Jahre wochenlang mich bei seinem Vater aufgehalten, um im Auftrage der Regierung die Ablösungsangelegenheiten der Gemeinden seiner Standesherrschaft ordnen zu helfen. Den Prinzen Albert, der freilich noch sehr jung war, habe ich damals täglich gesehen, und da mich sein frisches, gutmüthiges, natürliches Wesen anzog, auch beobachtet. Nach diesen Beobachtungen glaube ich nun, daß Albert selbst nicht aufgeklärt genug ist, um sich von Vorurtheilen, die seiner Familie die höchsten Gesetze des Lebens sind, befreien zu können.«

»Das glaube ich auch nicht, lieber Vater, und lasse mich ganz ehrlich Dir mein Herz ausschütten; eben weil ich glaube, weil ich fest überzeugt bin, daß Waldheim, so sehr er sich über sein Erbsenprinzenthum lustig macht, dennoch nicht eine Andere heimführen möchte, als eine Prinzessin, und wo möglich eine Erzherzogin – eben deshalb lasse ich mir von ihm den Hof machen!«

»Was heißt das?«

»Ist er so wenig gewissenhaft, mir durch seine tollen Huldigungen leichtsinnig den Kopf verdrehen zu wollen, so mache ich mir auch kein Gewissen daraus, diese Huldigungen anzunehmen. Ich muntere ihn nicht dazu auf, aber ich lasse sie mir gefallen.«

»Agnes, Agnes! das sind Sophistereien! Täusche Dich nicht selbst, mein Kind.«

Agnes stützte den Kopf in die Hand, sie war roth vom vielen Reden, jetzt wurde sie bleich vom tiefen, ernsten Nachdenken. Ihr Vater beobachtete sie mit steigender Theilnahme; endlich legte sie sich zurück, schloß die Augen und sagte mit leiser Stimme:

»Ja, ja, Vater, Du hast Recht, ich täuschte mich selbst. Ich habe mich eben tief innerlich gefragt! Nicht weil ich Vergeltung üben will, nehme ich die Huldigungen Waldheims an, sondern weil es meiner Eitelkeit schmeichelt, von dem schönsten, vornehmsten und liebenswürdigsten Manne der Gesellschaft so übermäßig ausgezeichnet zu werden. Ich habe nicht geglaubt, daß ich eitel wäre – ich sehe aber ein, ich bin am Ende eitler als alle die Andern.«

»Jetzt thust Du Dir wieder Unrecht, mein Kind, das bist Du darum nicht.«

»Aber ich will mich bessern, ich will einlenken, ich will ihn nach und nach von mir zu entfernen suchen, weniger ausgehen, oder wenn ich es thue, mich fester an ältere Frauen anschließen; es ist der Tochter meines Vaters unwürdig, in dieser Comödie länger eine Rolle zu spielen.«

»Comödie? Also glaubst Du nicht, daß er Dich wirklich liebt?«

»Doch, doch; so viel er lieben kann. Du weißt aber, Vater, wie ich Dir oft gesagt, es giebt gar zu wenig Menschen, die die Fähigkeit besitzen, gründlich zu lieben. Auch Waldheim kann gewiß nur lieben, wenn diese Liebe weder ihn noch überhaupt irgend etwas stört, das zu ihm gehört. Er liebt mich als etwas, das ihn unterhält und ihm den Winter in un serer ziemlich langweiligen Residenz vertreiben hilft. Du weißt, unsere Bekannten finden, daß ich, ein verzogenes Kind, eine widerspenstige Natur bin; das macht mich ihm vielleicht gerade piquant!«

»Du bist bitter und ungerecht, Agnes, wie so oft!«

»Anstatt mich zu schelten, Väterchen, stehe mir in meinen guten Vorsätzen bei. Du wolltest ihn auf morgen Abend zu unserer Gesellschaft einladen – streiche ihn von der Liste.«

»Aber er hat mich schon dreimal besucht –«

»Und wie oft hat er mir gesagt, wie sehr er wünsche, mich einmal in unserm Hause zu sehen; und mir Vorwürfe gemacht, daß ich so unnahbar sei und keine Herrenbesuche annehme, was ja doch so natürlich ist, da ich fast immer allein bin. Streiche ihn aber dennoch von der Liste.«

Der Geheimerath umarmte seine Tochter, und sie lehnte in schmerzlichen Gedanken ihr Haupt an seine treue Brust. Sie dachte: So lange mir diese Zuflucht bleibt, kümmern mich die Gesinnungen der übrigen Welt nicht. Aber wenn dies Herz mir verloren ginge – der Gedanke nahm ihr den Athem und trieb die Thränen in ihre Augen. Der Geheimerath hob ihren Kopf auf, sah diese Thränen und sagte erschrocken: »Du weinst? Du weinst – um was?«

»Um Dich, mein Vater, nur um Dich! Weil Du mein Eins und Alles bist, mein Hort und mein Trost, mein Schutz und mein Schirm – daran dachte ich und deshalb weinte ich.«

Ihr Vater sah in ihr leuchtendes Auge; er fühlte es, kein anderer Gedanke als der an ihn hatte eben in dem Herzen seines Kindes Platz, und indem er sie gerührt auf die Stirne küßte, verließ er sie mit dem Gebet, daß sie einander bleiben möchten.

Agnes ging traurig zu Bette. Jede Einkehr in uns selbst ist Trauer erregend. Aber sie war nicht unglücklich und fühlte das auch. Niemand ist unglücklich zu nennen, der ein Herz besitzt, das ihm allein gehört, ein Herz, an dem er immer und zu jeder Zeit sich ausweinen kann!

Das erkannte Agnes und betete unter Thränen innig und warm zu Gott: Erhalte mir meinen Vater!



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