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Achtes Kapitel.


Es vergingen mehrere Tage, ohne daß Agnes den Prinzen sah. Ihr Geburtstag fiel in diese Zeit. Sie feierte ihn mit ihrem Vater und ihrer Tante allein, aber sie war fröhlich dabei wie ein Kind. Ihr Vater hatte ihr ein weißes Cachemirkleid, mit blaßrother Seide und Silber gestickt, dazu einen Rosenkranz mit silbernen Blättern geschenkt.

»Aber, liebster Vater,« fragte sie ihn lächelnd, nachdem sie ihm in ihrer lebhaften Weise gedankt, »wie kommst Du dazu, mir einen so prachtvollen Anzug zu geben, das ist ja viel zu reich und kostbar für mich!«

»Ich habe die ganze Zeit in so unangenehmen Vorarbeiten für die Kammersitzungen zugebracht, verwirrte Rechnungen durchgesehen, unklare Berichte lesen müssen, daß ich mir dafür eine Belohnung gewähren, ein Ver gnügen machen wollte. Und da es nun zu meinen größten Vergnügen gehört, Dich, meine einzige Freude, schön geschmückt zu sehen, so habe ich Dir dies Kleid gekauft, das ich zufällig bei Gräfin Buchta sah, der man es zur Auswahl geschickt, die es aber seufzend bei Seite legte – weil die rosenrothe Zeit bei ihr vorüber sei! Das ist bei Dir nun, Gott sei Dank, nicht der Fall –«

»Sage nicht, Gott sei Dank, liebster Vater, das Rosenroth hat auch seine dunkle Schattirung!«

»Aber bei Dir sieht man sie nicht, glücklicherweise,« sagte Herr von Stein, indem er einen Kuß auf die glatte, unumwölkte Stirne seiner Tochter drückte.

»Immer wie ein Liebhaber,« rief Frau von Berlep, die in diesem Augenblick eintrat – »immer wie ein Liebhaber.«

»Darum will ich auch keinen andern,« sagte Agnes, indem sie neben ihren Vater kniete und seine Hand auf ihren dunkeln Kopf legte. »Das Beste an einem Liebhaber ist doch, daß er einen lieb hat, und wer könnte mich fehlerhaftes, unbesonnenes, ungezogenes Ding so lieb haben, wie dieser

»Du hast Recht, wie immer,« sagte Emma gleichgültig, indem sie ihren Hut abnahm. »Aber weißt Du schon die große Neuigkeit? Der Prinz Wilhelm von P. ist hier und der Finanzminister giebt ihm zu Ehren morgen Abend eine große Soirée.«

»Wir wissen das,« lachte Agnes, »siehst Du hier das Kleid dazu?«

»Süperb, süperb!«

 

Agnes sah wirklich in dem neuen Kleide am andern Abend besonders schön aus. Mit einer gehörigen Dosis väterlicher Eitelkeit, die überhaupt, neben allen andern vortrefflichen Eigenschaften, sich bei dem Geheimenrathe nicht ableugnen ließ, führte er seine Tochter durch die hellen Zimmer, hatte überall ehrfurchtsvolle Grüße zu erwiedern und gewahrte freudig die bewundernden Blicke, die Agnes überall hin folgten.

Ganz spät, unmittelbar vor dem fremden Prinzen, kam Waldheim im blauen Frack, das weiße Johanniterkreuz am rothen Bande um seinen schlanken Hals. Agnes stand unter den Damen, die sich zunächst an der Thüre befanden. Sie nahm sich vor, ihn heute kälter als gewöhnlich zu empfangen, weil sie des üblen Eindrucks, den ihr letzter zu freudiger Empfang auf ihn gemacht, sich noch wohl erinnerte. Aber was war das? Er ging an ihr vorüber, scheinbar ohne sie zu bemerken; obgleich er sie sehen mußte, da sie auf der Seite des Zimmers, wo sich nur Damen befanden, vorn stand und zu den größten der anwesenden Frauen gehörte. Er redete einen alten Herrn an, der ihr gegenüber stand, drüben wo die Männer sich gruppirt und nur einen schmalen Weg für die ankommenden Gäste offen gelassen hatten.

Waldheim stand so eine Weile, ihr den Rücken zukehrend, dann ging er weiter, indem er immer sorgfältig vermied, seine Augen der Stelle zuzuwenden, wo sich Agnes befand, aber mehrere andere Damen freundlich begrüßend. Er sah heiter, wie immer, aus.

Agnes fühlte eine plötzliche Kälte durch ihr Herz gehen – in diesem Augenblicke wurde es ihr klar, daß sie diesen Mann lieb gehabt – trotz Allem, was sie dagegen gesagt; vielleicht nur wie den besten Freund, aber ein Mädchen wie Agnes würde auch diesem ihr Leben geopfert haben. Jetzt war das vorüber – sie hob ihr Haupt, ließ ihre großen Augen über die Gesellschaft streifen und dachte: »Ich gehöre nicht zu Euch – ich bin frei, ganz frei wieder!«

Es liegt im Stolze des Menschen der größte Trost für alle Kränkungen, die ihm widerfahren können, und Jemand, der sich seinen Stolz bewahrt hat, kann nie ganz unglücklich sein. In dem Augenblicke, wo Agnes einsah, daß Waldheim mit ihr kokettiren wolle, wie sie mit so großer Entrüstung es von so vielen Männern andern Frauen gegenüber gesehen – da war er ihrem Herzen so fremd, als habe sie entdeckt, daß er heimlich an eine Andere vermählt sei.

Ihr gegenüber hatte noch nie ein Mann dies erbärmliche Spiel gewagt, weil nie einer durch eine Begünstigung von ihrer Seite Sicherheit genug dazu erlangt hatte. Wenn man mit einem Herzen spielen und durch dies Spiel seine Macht vergrößern will, muß man erst Fuß in diesem Herzen gefaßt, muß man erst eine Macht darüber erhalten haben.

Die Dame des Hauses forderte Agnes auf, Theil an einigen lebenden Bildern zu nehmen, die man stellen wollte, es waren nur Frauen dabei betheiligt – die Findung Mosis von Köhler, die vier Jahreszeiten und so weiter. Agnes sagte gerne zu, war sie doch froh, auf diese Weise beschäftigt zu werden.

Sie mußte noch eine Weile im Zimmer bleiben, wohl eine halbe Stunde, weil das Zimmer, wo die Damen ihre Toilette arrangiren sollten, erst eingerichtet werden mußte.

Prinz Waldheim ließ sich nicht mehr sehen. Er blieb in dem Spielzimmer, wohin er sich im Anfang an Agnes vorbei verfügt – er, der sonst immer sie zuerst begrüßte und, sobald er die allernothwendigsten Pflichten der Höflichkeit abgethan, nie mehr von ihrer Seite wich.

Als sie nach der Damengarderobe ging, war Agnes schon wieder so ruhig und gefaßt, daß sie mit einem Lächeln zu sich selber sagte: »Er macht es zu arg, zu auffallend, er hat nicht ordentlich gelernt, wie man kokettiren, wie man ein armes Frauenherz zum Aeußersten bringen muß durch Kälte und Wärme – zu scharf schneidet nicht.« Sie war heiter und liebenswürdig mit den andern Mädchen. Als die Tableaux überstanden und der gehörige Beifall eingeerntet war, begaben sich die Actricen wieder in die Gesellschaft. Agnes aber war so vorsichtig, gleich im ersten Zimmer einen alten Freund ihres Vaters anzureden und ihn zu bitten, sie zum Spieltisch des Geheimenraths zu eskortiren. »Dort,« setzte sie hinzu, »geben Sie mir wohl einen Stuhl, denn ich bin von alle diesem Treiben und Ankleiden und Drapiren so müde und abgespannt, daß mir die geheiligte Stille eines Whisttisches sehr wohlthun wird.«

Indem sie am Arme des alten Herrn die Zimmer durchschritt, begegnete ihr der Prinz.

»Endlich, mein Fräulein, treffe ich Sie und kann Ihnen guten Abend sagen,« rief er eifrig. »Aber bewundert habe ich Sie doch von Weitem im Tableau.«

»Es war nicht gut!« sagte Agnes unbefangen. »Niemand war vorbereitet; es ist schade, daß nun alle Mühe vergebens war!«

Höflich grüßend ging sie weiter.

Als sie im Spielzimmer bei ihrem Vater saß, erschien Waldheim mehrere Male an der Thüre, er ging aber immer mit einem unglücklichen Gesicht wieder weg, denn sprechen konnte er nicht mit Agnes, weil in demselben Zimmer alle die älteren Hoheiten spielten, von denen man wußte, daß sie die unverbrüchlichste Stille bei ihrer Parthie gewohnt waren – und Waldheim war selbst zu sehr Prinz, um solche fürstliche Vorrechte nicht zu achten.

Auf dem Heimwege erwartete der Geheimerath immer, daß seine Tochter ihm im Wagen etwas sagen werde, denn lebhaft, wie sie war, konnte sie, wenn sie Jemand eine Mittheilung machen wollte, nicht warten, bis Gelegenheit und Ort sich boten. Diesmal sagte sie aber nichts. Ihr Vater hatte wohl bemerkt, daß sie sich unter seinen Schutz zum Spieltische geflüchtet, wohl bemerkt, wie Waldheim so oft ungeduldig in die Thüre trat, aber auch, daß sie gar nicht nach ihm gesehen, sondern dem Spiel mit einem Eifer gefolgt war, als handle es sich dabei um ihr Erbtheil.

Er brach zuerst das Stillschweigen, als sie sich, zu Hause angekommen, bei einer Tasse Thee gegenüber saßen.

»Weißt Du es schon, mein Kind, daß morgen dem P.....schen Prinzen zu Ehren wieder Hofball ist?«

»Jetzt noch, wo Frühlingslüfte wehen, ein Ball!«

»Du hast gewiß keine Balltoilette mehr in Bereitschaft, weil Du Dich darüber entsetzest! Du brauchst ja nicht hinzugehen.«

»Doch, Vater, ich werde hingehen. Und eine Toilette habe ich auch – ich ziehe aber ein schwarzes Kleid an, als Aushängeschild, daß ich nicht tanzen will.«

»Und warum willst Du nicht tanzen?«

»Laune, Väterchen! Die Männer sprechen ja immer von Weiberlaunen; ob es nun gegründet ist oder nicht, aus einer falschen Anklage will ich die Sache zu einem wahren Privilegium machen.«

Der Geheimerath durchschaute es recht gut, wie die Scherze seiner Tochter erzwungen waren; da es aber zu seinen Grundsätzen gehörte, ihr Vertrauen nicht hervor zu locken, sondern sich von selbst entfalten zu lassen, so schwieg er.

 

Am Tage des Balles war Agnes vom frühen Morgen an beschäftigt. Sie wollte wieder in Oel malen, was sie seit mehreren Jahren unterlassen. Sie kaufte Farben, Leinwand und Pinsel, sie schnitt sich kunstgerecht einen neuen Malerkittel zu, sie fuhr in die Gallerie, um sich dort ein gutes Bild zum Copiren auszusuchen, kurz, sie benahm sich, als sollte sie von nun an durch Malen ihr Brod gewinnen. Da sie aber dabei ruhig und unbefangen war, ließ ihr Vater sie gewähren.

Als sie um halb sechs Uhr noch immer mit ihren Paletten beschäftigt war, sagte der Geheimerath: »Vergiß über der Malerei nicht Deine Balltoilette.«

»Liebster Vater, die ist heute schnell gemacht, in einer halben Stunde, und ich habe noch anderthalb Stunden Zeit.«

Der Geheimerath holte, wie gewöhnlich, seine Schwägerin mit seinem Wagen ab. Als sie neben Agnes Platz genommen, flüsterte diese ihr leise zu: »Thue mir den Gefallen und lasse Dir heute recht die Cour machen, liebste Emma, halte Dir immer einen großen Hof, Du brauchst ja nur mit den Augen zu winken –«

»Schöne Geschichten!« entgegnete Emma. »Ich soll mich compromittiren, damit irgend ein Ueberlästiger nicht zu Dir dringen kann? Ist's nicht so?«

Agnes drückte ihr die Hand.

Emma that auch wirklich nach dem Wunsch ihrer Nichte. Obgleich sie nie geradezu schön gewesen, so hatte sie doch ein gewinnendes und ausgezeichnetes Aeußere, das, was man aristokratisch nennt. Sie war schlank, groß und blaß; das schmale Gesicht zeigte regelmäßige Züge. Dazu hatte sie den Ruf einer geistreichen, gebildeten Frau und war eine noch junge Wittwe, Gründe genug in einer Residenz, um ihr immer einen Kreis von Verehrern zu sichern.

Sie war heute besonders heiter gestimmt – kam es daher, daß sie schon beim Hinaufgehen auf der Schloßtreppe bemerkt, wie Agnes heute ungewöhnlich ernst und blaß war?

Beim Eintritt fiel Agnes' erster Blick auf Albert Waldheim, der in seiner Johanniteruniform förmlich vor Vergnügen zu strahlen anfing, als er sie sah. Sie wandte den Blick nicht absichtlich weg, im Gegentheil, sie ließ ihn ruhig auf ihm haften und grüßte ihn leicht und höflich im Vorübergehen, gleich den andern Herren.

Er sah ihr verwundert nach, ihr schwarzes Kleid schien ihm unangenehme Gedanken zu erwecken. Also sie wollte nicht tanzen?

Den ersten Augenblick, wo es ihm die Etiquette erlaubte, eilte er zu ihr. Sie stand gerade unter einem Lorbeerbaume, ihr stilles, ruhiges Gesicht an seinen Stamm gelehnt. In nächster Nähe befand sich Nie mand; Emma war in eine tiefe Unterhaltung mit dem Prinzen Ernst verwickelt.

»Mein gnädiges Fräulein, warum in Schwarz und so ernst?« fragte er theilnehmend im alten herzlichen und ehrerbietigen Tone.

»Ich bin in Trauer, Prinz.«

»In Trauer? Um wen?«

Sie schwieg und blickte nieder, indem sie ein Blatt zerriß, dann hob sie plötzlich ihr Gesicht, das noch blässer geworden war, und sagte mit leiser Stimme, indem sie Waldheim fest, aber sanft und traurig ansah: »Mir ist ein lieber Freund gestorben.«

Er verstand sie auf der Stelle und sagte beklommen: »Um Gottes Willen, mein Fräulein, begraben Sie keinen Lebendigen!«

»Er ist schon begraben und so tief versenkt, daß Niemand und Nichts ihn wieder zur Oberfläche bringen kann.«

»Ich schwöre es Ihnen bei meiner Ehre, er ist nicht todt – o gnädiges Fräulein –«

Da trat Emma hinzu und Waldheim verstummend zurück. Wie oft hatte er vor dieser Zeugin der armen Agnes die feinsten Anspielungen auf seine Neigung zu ihr gesagt – jetzt konnte er es nicht. Er war selbst zu sehr bewegt, sein Antlitz glühte.

Agnes legte ruhig ihren Arm in den ihrer Verwandten und indem sie den Prinzen leicht grüßte, ging sie nach dem Tanzsaal. Er sah ihr erschüttert nach.

Ein paar unbedeutende Kleinigkeiten, so unbedeutend, daß sie kein Dritter gesehen und bemerkt – ein weggewandter Blick und ein paar ruhige Worte hatten hier zwei gute, natürliche Menschen, die sich in ungeschminkter Neigung zu begegnen anfingen, auf ewig getrennt. Doch das dachte Waldheim in diesem Augenblick noch nicht. Er folgte ihr jetzt in den Tanzsaal, wo er sie aber schon förmlich verschanzt in einer Ecke sitzen sah, auf der einen Seite ihre Tante, auf der andern ein altes Fräulein, mit dem sie auch entfernt verwandt war. Er tanzte auch nicht, er stellte sich ihr gegenüber und machte übermäßig melancholische Gesichter, so daß es bald ein großer Theil der Gesellschaft gewahr wurde. Agnes allein schien es nicht zu bemerken. Sie sprach wenig, zuweilen mit ihrer Tante, der ein Paar Herren neben ihr die Unterhaltung machten. Unglücklicherweise erschien Agnes dem Prinzen in dieser ernsten Trauer doppelt anziehend, denn ihre laute Lustigkeit, ihre ungebundene Lebhaftigkeit waren ihm früher oft störend gewesen, weil sie ihm bewiesen, daß sie noch nicht aus Liebe zu ihm unglücklich sei. Aber daß sie zu natürlich und zu stolz war, um sich, wie jedes andere Mädchen an ihrer Stelle, lustig zu stellen, was er natürlich durchschaut haben würde – daß sie um ihn trauerte, offen, ehrlich, aber unerbittlich – das ließ ihn bald nicht mehr ruhen, und er trat vor sie hin.

»Ich bitte Sie nochmals, Fräulein, begraben Sie keinen Lebendigen!« sagte er und faltete flehend die Hände.

Sie sagte nichts, aber sie machte eine bedeutungsvolle Bewegung mit der Hand, die man nur auf eine Weise übersetzen konnte, nämlich: er ist unwiderbringlich verloren! Emma sah sie verwundert und fragend an, erhielt aber nur ein melancholisches Lächeln zur Antwort.

Den ganzen Abend schloß sie beharrlich den Prinzen aus ihrem Kreise aus, aber als sie in den Wagen stieg, flüsterte ihr noch etwas ins Ohr: »Um Gottes Willen, begraben Sie keinen Lebendigen!«



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