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Siebentes Kapitel.


Als die Sonne am andern Tage hell und fröhlich in ihr Zimmer schien, konnte Agnes gar nicht begreifen, wie sie gestern Abend hatte so »tragisch« sein können. Mit Thränen des gekränkten Stolzes war sie zu Bette gegangen – so daß ihr Vater ganz beängstigt um sie gewesen und Emma sie mit mißtrauischen Blicken von der Seite angesehen und gedacht hatte: »Sollte sie doch in ihn verliebt sein?«

Aber jetzt würde selbst ihre kluge Tante nicht den leisesten Grund zum Verdacht einer unglücklichen Liebe bei ihr gefunden haben. Sie sang laut und ganz unbewußt, indem sie ihre langen dunklen Haare in Flechten legte und um ihr rosenrothes, fröhliches Gesicht schlang. Dann neckte sie das Hündchen ihres Vaters und lachte dabei so herzlich, als gebe es gar keinen Liebhaber auf der Welt.

Kaum war sie angekleidet und in ihrem kleinen Schreibzimmer beschäftigt, als ein Brief von Frau von Berlep eintraf. Er lautete:

»Ich habe einen guten Namen für Jemand gefunden. Ich werde ihn den verwunschenen Prinzen nennen. Ich verwünsche ihn, weil er Dir Deine sonst so unvergleichliche Laune stört, Dein Vater verwünscht ihn, weil er ihn beunruhigt, und Du – ja Du verwünschest ihn freilich nicht, aber er ist verwünscht, Dich, Grausame, zu lieben, also dreimal verwunschen! Nebenbei die Ursache dieses Zettels. Der Verwunschene hat sich in einem blumenumränderten Billet auf heute Abend bei mir angesagt, er will mir das Lustspiel eines Freundes vorlesen – auch eines »hohen Herrn«. Dies Vergnügen mußt Du und Dein Vater mir tragen helfen – sagt nicht ab – das geht nicht.

Die Deine.«

Sie sagten denn auch Beide zu, weil sie fanden, es ginge nicht anders, und fügten sich thöricht einer solchen vorgeblichen Nothwendigkeit, diesem thörichtesten aller Tyrannen, den man nur abzuschütteln braucht, um zu sehen, wie nichtig er ist.

Prinz Waldheim war heute stiller als gewöhnlich. Als er einmal Agnes unbemerkt sprechen konnte, sagte er ziemlich leise:

»Aus dem Schiffbruch von gestern habe ich ein Kleinod gerettet, für welches ich Ihnen unaussprechlich dankbar bin – es ist jetzt mein ganzes Glück, mein ganzer Reichthum.«

Agnes wurde dunkelroth – nicht aus Mitgefühl, sondern aus mädchenhafter Verlegenheit. Sie schwieg.

»Sie fragen mich nicht einmal nach dem Kleinod – liegt Ihnen denn gar nichts daran, daß mir noch Etwas geblieben ist?«

»Ich fragte nicht, weil ich Sie nicht verstanden habe.«

»Das ist sonst eine Ursache zu Fragen.«

»Bei mir nicht.«

»Nun wohl, so will ich es Ihnen denn ungefragt sagen – ich wollte Ihnen danken, daß Sie mich Ihren Freund genannt, daß Sie mir erlaubt, mich dafür zu halten; lassen Sie mir diesen Stolz immer, ewig?«

»Gewiß, recht gern. Was ich freiwillig gegeben, nehme ich nicht zurück. Aber Sie selbst werden bald auf dies Geschenk keinen Werth mehr legen.«

»Wie abscheulich! Warum denn?«

»Weil,« sagte Agnes mit erhöhter Stimme, indem sie sich nach ihrer Tante wandte, weil es überhaupt keine treuen Freundschaften mehr giebt.«

»»Was sagst Du da?« fragte Emma.

»Ich sage, was wahr ist; heutzutage schließt man nur Freundschaft mit den Menschen, die man unumgänglich nöthig braucht, und selbst diese Bündnisse sind sehr selten, da die meisten Leute Niemand nöthig zu haben meinen – Jeder denkt, er kann allein fertig werden. Freundschaften aber, wie sie in den Correspondenzen leben, die in unserer Literatur aufbewahrt sind, zum glorreichen Zeugniß jener besseren, selbstloseren Zeit, solche Freundschaften existiren jetzt gar nicht mehr.«

»Mein Fräulein,« sagte Waldheim pathetisch, »ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Lassen Sie uns eine solche freundschaftliche Correspondenz anknüpfen, die gleich von Anfang an für den Druck bestimmt ist; wir haben dann einen offenbaren Vortheil vor unsern Voreltern, denn wir können schon während des Schreibens besonders rührend auf die Leser wirken; später verehren wir ein gebundenes Exemplar in Goldschnitt der hiesigen Bibliothek als bleibendes Zeugniß ›ausnahmsweiser‹ Gefühle in dieser verderbten, egoistischen Zeit.«

Man lachte, aber ein altes Stiftsfräulein zischelte leise ihrer Nachbarin ins Ohr: »Wenn die Beiden sich einmal schreiben sollten, lassen sie's gewiß nicht drucken.«

Emma ging in den Scherz ein, offenbar aus Gefälligkeit gegen Waldheim. Sie fragte: »Wie werden Sie aber Ihre beiderseitigen schönen Briefe nennen – was soll der Titel des Buches sein? Etwa Briefwechsel zweier Ausnahmen?«

»Nein,« sagte Waldheim, »es muß etwas Frappanteres sein: Briefwechsel eines Frosches und einer Nachtigall.«

»Lieber Himmel, Prinz,« sagte Agnes, »wollen Sie wieder ein Compliment und von allen Seiten die Versicherung haben, daß Sie nicht einem Frosch gleichen?«

»Das glaube ich auch ohne Versicherung,« sagte ernsthaft der Prinz.

»Kommen wir auf den Büchertitel zurück,« sagte Agnes; »das Buch kann nur heißen: Das Mittelalter und die Neuzeit. Personifizirt durch einen deutschen Prinzen und ein –«

»Deutsches Fräulein,« fügte Albert lachend hinzu. »Aber um Vergebung, was stelle ich denn vor?

»Das Mittelalter, natürlich. Das Mittelalter mit seinen Thürmchen und Ecken, mit seinen Kämpfen und Narben, seinen Vorurtheilen und seinem Despotismus.«

»Erlauben Sie, wo sind denn meine Thürmchen und Ecken, meine Kämpfe und meine Narben, und mein Despotismus? «

»Warum haben Sie die Hauptsache ausgelassen?« rief Emma.

»Was denn?«

»Die Vorurtheile.«

Der Prinz nahm eine neben ihm liegende Echarpe Emma's von weißem Flor und hing sie ernsthaft doppelt über sein Gesicht.

Diese ihm sehr gewöhnliche Weise, einen Streit, wo er sich nicht mit einem Witz zu helfen wußte, mit einem Spaße zu beendigen, überraschte Niemand, nur Agnes' Vater sagte leise zu seiner Tochter: »So machen es alle Leute dieser Art. Wenn man sie zu fassen wähnt, entschlüpfen sie einem mit einem Spaß und wissen noch dabei einen liebenswürdigen Eindruck zu hinterlassen.«

 

Seit diesem Abend war das Verhältniß der beiden jungen Leute wieder in ein gutes, natürliches Gleis gekommen. Sie scherzten und lachten mit einander, er benahm sich nach wie vor mit der größten Zurückhaltung, die mit der hingebendsten Huldigung gepaart war. Wie oft berief er sich aber bei ihr auf ihre ihm lebenslänglich zugesicherte Freundschaft und konnte, so muthwillig und heiter er außerdem war, bei diesem Punkte zuweilen so sentimental werden, daß sich Agnes nicht anders zu helfen wußte, als indem sie ihn auslachte.

Er wurde ihr aber nun nach und nach wirklich ein lieber Freund. Sie fing jetzt zuweilen an, mit ihm über ernstere Dinge zu sprechen, und gelangte nach einiger Zeit dahin, ganz zu vergessen, daß er einst ihr Courmacher gewesen. Die Welt aber war nicht so liebenswürdig. Sie fand, daß Fräulein Stein höchst unrecht thue, mit einem jungen Manne, der sie »so sehr compromittirt«, halbe Stunden lang ernsthaft sich zu unterhalten. Daß Frau von Berlep immer die Dritte bei diesen Unterhaltungen war, davon sprach Niemand, wohl aber, daß Agnes nicht mehr so spöttisch und schnippisch, wie früher, den Prinzen behandle, also doch am Ende von seinen exaltirten Demonstrationen gerührt worden sei; was nun daraus werden solle &c.

Frau von Berlep hörte das zuweilen mit an, war auch zuweilen grausam genug, es Agnes mitzutheilen, aber diese ließ sich davon nicht mehr anfechten.

»Es ist mir einerlei, was die Leute reden –nächstens wird ja wohl eine Andere statt meiner sich ihrem Gerede bieten, und wenn sie sehen, daß Alles beim Alten bleibt, Waldheim so wie ich, werden sie sich wohl beruhigen.«

Leider aber blieb keineswegs Alles beim Alten. Der Prinz wurde durch eine leichte Unpäßlichkeit abgehalten, in ein paar Häusern zu erscheinen, wo Agnes immer gewohnt war, ihn zu treffen, und wo er ihr und ihrer Tante die einzige Unterhaltung bot. Sie war ihrem Grundsatze treu geblieben, ihn nicht in ihrem Hause zu empfangen – er hatte weiter keinen Versuch gemacht, Zutritt bei ihr zu erlangen, wofür sie ihm im Herzen dankbar war. Sie hatte ihn jetzt längere Zeit nicht gesehen und förmlich vermißt, denn sie gab nun ihrer Tante Recht, die einst behauptet hatte, es liege noch das Meiste und Beste unentwickelt in seiner Brust. Sie glaubte nämlich hie und da bei ihm die Entwickelung eines höheren Gefühls zu gewahren. Er war zuweilen nachdenklich und gemessen, er bekam in ihren Augen mehr das Ansehn eines zuverlässigen männlichen Freundes, statt eines galanten jungen Herrn. Selbst seine Liebe zu ihr, über die sie bisher immer gespottet, erschien ihr tiefer und achtungswürdiger, als sie anfangs angenommen, kurz, sie gerieth in den Lieblingsglauben aller schwärmerischen Frauen – den Glauben, auf irgend Jemand einen guten veredelnden Einfluß gehabt und Gefühle geweckt zu haben, die dem gewöhnlichen Getriebe der Welt fremd sind.

Eines Abends vermißte sie Waldheim besonders schmerzlich, denn selbst Emma, ihr bisheriger einziger Trost in solchen Kreisen, war nicht erschienen. Sie saß neben einer alten tauben Dame, war überhaupt die einzige jüngere in der Gesellschaft und ihr Vater befand sich am Spieltisch. »Wäre doch Waldheim da,« seufzte sie innerlich.

In diesem Augenblick – es war schon sehr spät – öffnete sich die Thüre und er trat ein.

Sie saß gerade dem Eingang gegenüber. Von allen Anwesenden sah sie ihn zuerst. Aber auch er sah sie zuerst von allen Anwesenden! Er sah, wie sie plötzlich den Ausdruck ihrer Züge wechselte, wie ihr offenes Antlitz von tiefem Mißmuth in die höchste Freundlichkeit überging – wie sie roth wurde, wie ihr Auge glänzte – Alles das sah er, und er zog daraus auf der Stelle die inhaltreichsten Schlüsse.

Bei dem überaus lebhaften Mädchen war es aber nur die reine und natürliche Freude, ihn zum Trost in dieser langweiligen Soirée zu sehen; sie verbarg es auch gar nicht, sondern rief ihm fröhlich entgegen: »Wie schön, Prinz, daß Sie kommen!«

Er verbeugte sich tief, tiefer als gewöhnlich, vor ihr – aber nur, um den triumphirenden Ausdruck seines Gesichts zu verbergen. Dann ging er rasch zur Hausfrau, die ihm schon erwartend entgegen sah.

Jetzt erst bemerkte Agnes, daß mit ihm ein älterer Herr in die Gesellschaft gekommen war. Es war ein Mann mittlerer Größe mit schönen, feinen Zügen.

Albert trat mit dem Fremden zu ihr.

»Erlauben Sie mir, gnädiges Fräulein, Ihnen meinen Vater vorzustellen.«

Agnes stand auf, was sie bei der Begrüßung des jungen Mannes natürlich nicht gethan.

Fürst Waldheim maß mit Bewunderung ihre große, gut gebaute Gestalt und lächelte seinem Sohne mit einer Miene zu, die deutlich sagte: »Du hast einen guten Geschmack.«

Agnes sah diesen Blick nicht, da sie vor dem Blicke des Fürsten die Augen erröthend niedergeschlagen hatte – glücklicherweise – denn Agnes war zu klug und zu klar, als daß sie nicht den Blick des Vaters verstanden und daraus ersehen hätte, wie er des Sohnes Courmacherei durchaus en bagatelle behandele, und wie völlig » sans consequence« ihm ein einfaches Fräulein sei.

Dies würde sie tödtlich beleidigt und gekränkt haben, aber wie gesagt, sie sah es glücklicherweise nicht.

Der Fürst nahm in einem Fauteuil neben ihr Platz, erzählte ihr, wie er aus Besorgniß um das Befinden seines Sohnes hieher gekommen, wie er diesen aber zu seiner Freude wieder hergestellt gefunden und ihn dann beredet, die Einladung der Dame des Hauses, die eine alte Bekannte von ihm sei, anzunehmen und mit ihm herzukommen. Er fügte hinzu, daß er jedoch nur ganz incognito hier sei und morgen in aller Frühe wieder abzureisen gedenke, um seiner besorgten Gemahlin die gute Nachricht vom genesenen Sohne mitzubringen.

Er blieb den ganzen Abend neben Agnes sitzen, was eben nicht auffiel, da die Gesellschaft so klein war, daß nur wenige der Anwesenden die Plätze wechselten. Er machte ihr auf das liebenswürdigste die Unterhaltung und Agnes begriff nicht, daß man ihr diesen Mann allgemein als so stolz und hochmüthig geschildert. Sie dachte in ihrer Unschuld nicht daran, daß selbst der älteste Mann einem jungen, hübschen, höflichen Mädchen gegenüber nicht den Hochmüthigen zu spielen pflegt.

Mit dem Sohne sprach sie an diesem Abend ungewöhnlich wenig, sein Vater nahm sie zu sehr in Anspruch. Albert stellte sich nur ein paar Mal hinter ihren Sessel und sagte ihr einige Worte. Er begnügte sich mit dem Vergnügen, sie anzusehen und dabei an ihre offenbare Freude bei seinem unerwarteten Eintritt denken zu können. Er jubelte innerlich – das leuchtete aus seinen Augen – auch Agnes mußte seine Siegestrunkenheit sehen und sah sie, aber ohne sie im Augenblick zu begreifen. Es fiel ihr nur auf, daß er in den seltenen Berührungen mit ihr an diesem Abende eine Sicherheit und einen Uebermuth entwickelte, der gegen die bisherige unterthänige Ritterlichkeit in seinem Wesen gewaltig abstach.

Als die Parthie ihres Vaters, der im andern Zimmer gespielt, aufgehoben war und dieser zu ihr kam, begrüßte ihn der Fürst auf das Wärmste und Freundschaftlichste. Dies und seine Aufmerksamkeit für die Tochter während des ganzen Abends gab den übrigen Personen zu denken.

»Sollte der alte hochmüthige Fürst wirklich mit dieser Schwiegertochter zufrieden sein?« flüsterten sie; ein alter Kammerherr aber, der aus der Jugendzeit des Fürsten stammte, sagte lächelnd: »Dummes Zeug – der will noch auf eigne Rechnung den Aimablen machen und er wird der Stein zeigen wollen, daß er seinen Sohn noch überall aus dem Sattel heben könnte.« Wir müssen leider gestehen, daß wir die Meinung des alten Kammerherrn theilen.

Agnes war aber ungewöhnlich wortkarg, als sie mit ihrem Vater nach Hause fuhr; sie grübelte darüber nach, was wohl in ihrem Benehmen bei Albert eine solche Sicherheit hervorgerufen, denn noch beim Abschiede – er hatte sie die Treppe herabgeführt und in den Wagen gehoben – sagten ihr seine leuchtenden Augen deutlich: »Nun weiß ich, daß Du mich liebst!« Hatte sie vielleicht seinem Vater zu viel zuvorkommende Höflichkeit bewiesen und er daraus geschlossen, sie wollte sich bei diesem beliebt machen? Gewiß nicht, denn sie hatte sich davor sorglich gehütet, schon aus Stolz den übrigen Zeugen gegenüber. Was war es also? Plötzlich fiel ihr ihre wirkliche Freude bei seinem Eintritt ein – das war es! Das hatte er gesehen und sich auf das Schmeichelhafteste ausgelegt. Sie sah ein, daß sie dagegen gar nichts anderes thun konnte, als von der Zeit erwarten, daß sie den Prinzen eines Besseren überführe.

»Wie gefällt Dir der Fürst?« fragte ihr Vater.

»Ein höchst angenehmer Mann.«

»Er ist geistreicher als sein Sohn.«

»Aber weniger natürlich und darum in meinen Augen auch weniger liebenswürdig!«

»Warte, bis Albert so alt ist wie sein Vater – dann ist er auch nicht mehr so natürlich.«.

»Ich will warten,« sagte Agnes lächelnd.



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