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Drittes Kapitel.


Es giebt Träume, die entscheidend für das ganze Leben sind; ein Genius zieht da den Schleier ab von Gefühlen und Neigungen, die sonst vielleicht in unserm Innern uns selbst unbewußt abgeblüht sein würden. Wilhelm träumte von Ludmillen, ihm träumte, was er nie im Leben gedacht, daß das schöne Mädchen ihn liebe! Mit glühenden Farben schilderte der Traum ihm ihre Leidenschaft, und als er am Morgen erwachte und mit immer höher klopfendem Herzen sich des Traumes der Nacht entsann – liebte er sie wirklich.

Es war wie ein Zauberschlag – er wunderte sich nur über Eines – daß diese Liebe zu dem reizenden Geschöpf nicht früher die Knospe seines Herzens gesprengt!

An der Mittagstafel pflegte er sie gewöhnlich zuerst zu sehn; wie lang wurde ihm heute der Morgen! Ihm schien es, als wollte es nie zwei Uhr werden! Endlich, endlich erschien der Bediente mit der Meldung, daß servirt sei. Die jüngere Welt mußte sich auf diesen Ruf immer sogleich in den Speisesaal verfügen, während der Fürst erst eine Viertelstunde später im Frack seine ihn erwartende Gemahlin abholte, um sie am Arme hinüber zu geleiten, wo die Anderen ihn ebenfalls in voller Toilette erwarteten.

Ein höchst einfaches Mittagsessen wurde auf silbernen Schüsseln und dem feinsten Damast servirt, leichter Tischwein dazu getrunken und zum Dessert etwas Obst und Biscuit aufgetragen. So war es einen Tag wie den andern.

Es ist jetzt Sitte, sich über alle Formen lustig zu machen, mit Verachtung davon zu sprechen, aber grade da, wo man sie zuerst über Bord warf, im häuslichen Leben, waren sie von der wohlthätigsten Wirkung. Und dann noch Eins: diese Formen, so wie jede Form, sind dem Schönheitsgedanken entsprossen. Dürfen wir deshalb über die spotten, denen eine einfache Mahlzeit, auf schönem geschmackvollem Service und feinem, leuchtendem Linnen aufgetragen, besser mundet, denn lucullische Speisen auf groben Schüsseln und rauhem Zwillich-Tischtuch?

Wilhelm, obgleich schon durch die Exclusivität seines Umgangs eine entschieden aristokratische Natur, hatte es sich aber einmal vorgenommen, diese Formen alle höchst lächerlich zu finden. Immer schwebte ein spöttisches Lächeln um seine Lippen, wenn Fürst Waldheim, nachdem er mit seiner Gemahlin am Arme eingetreten und sie an ihren Stuhl geführt, sich nie ohne eine leichte Verbeugung von ihr entfernte, was sie mit der größten Anmuth erwiederte. Er nannte das Alles Comödie, bedachte aber nicht, daß diese Comödie die Fürstin vor unendlich viel unangenehmen Dingen bewahrte. Die Förmlichkeit seines Umgangs vor Zeugen mit ihr bewirkte auch, daß der Fürst ihr eine gewisse Rücksicht überhaupt gewährte. Ein hartes Wort fand nicht den Weg über seine Lippen, wenn er sich es auch noch so fest vorgenommen, ihr etwas der Art zu sagen; nur zu sticheln und sie indirect zu quälen vermochte er, so stark wirkte das Ansehn – nicht ihrer Tugend und Vortrefflichkeit – sondern das Ansehn, das er ihr selbst verliehen, auf ihn.

Wilhelm, der in diesen ererbten Formen nicht erzogen, und der eben diese Formen als einen Vorzug hoher Geburt, als ihr nur allein »geziemend«, hier im Hause rühmen hörte, als finde man sie für ihn zu gut, wie ein zu schönes Kleid für einen unedlen Körper – wurde durch diese Auffassung der entschiedenste Feind jeder Form – aber wie gesagt, nur aus diesem Grunde, denn seine feine, exclusive, leicht reizbare, schönheitverlangende Natur neigte auch natürlich zur feinen Form und wurde gereizt und empört, wenn Andere sie ihm gegenüber nicht beachteten – nur er selbst wollte sich davon befreien – er selbst wollte sich über diesen aristokratischen »Zopf« hinwegsetzen!

In diesem Hause konnte er das freilich nicht vollständig, weil man ihn sonst nicht geduldet haben würde – das sah er wohl ein – so unterwarf er sich denn so wenig als möglich!

Ludmilla mit ihren feinen Fühlhörnern bemerkte sogleich, daß Wilhelm sie heute mit andern Augen wie gewöhnlich ansah, kurz, daß seine Seele in jener bewegten Empfänglichkeit war, die liebend aufhorcht, um muschelgleich im Meere der Alltäglichkeit nur die Perlen aufzufangen, die die Geliebte fallen läßt! daß er nur Augen und Ohren für sie hatte – daß selbst seine Ironie, die sonst nie unterdrückte, sich nicht um seinen feinen Mund blicken ließ, als der Fürst seine aristokratischen Ansichten entwickelte.

Ihre Koketterie erwachte auf das Stärkste, als sie den jungen Mann in solcher Aufregung sah, sie schürte das Feuer, statt es zu löschen – geliebt zu werden und zwar wahnsinnig, himmelstürmend geliebt zu werden, war ja der glühendste Wunsch ihres eitlen Herzens. Sie hatte nun einen Anbeter und einige Tage später war aus dem glühenden Anbeter schon ein Liebhaber geworden – sie erleichterte ihm das Geständniß seiner ersten schüchternen Liebe auf jede Weise, sie erleichterte es ihm nicht nur, sie erwiederte es auch.

Niemand bemerkte das neue Verhältniß. Der Fürst sah es nicht, weil er überhaupt immer zu sehr mit sich beschäftigt war, die Fürstin nicht, weil sie zu jenen Naturen gehörte, deren Fülle von Glauben und Vertrauen gar nicht die Eigenschaft der Beobachtung in sich hat entwickeln lassen, Rosalie nicht, weil sie nur selten im Salon erschien und man sich dann ganz besonders vor ihr in Acht nahm. Nur Einer war nicht zu täuschen und durchblickte am ersten Tage die neuen Beziehungen seiner Schwester und Wilhelms. Es war Albert. Sein eignes Herz war noch zu sehr von gleichen Gefühlen geschwellt, um nicht schon sympathetisch das ähnliche in seiner Umgebung zu errathen. Er beobachtete das Paar scharf, aber ihnen selbst unbemerkt; sie glaubten sich in voller Sicherheit.

Wilhelm hatte Ludmille, seitdem sich Beide ihre Neigung gestanden, nur dreimal und zwar ganz flüchtig ohne Zeugen gesprochen. Es war Morgens im Garten gewesen, unmittelbar unter den Fenstern der Fürstin, die auch hinter den Scheiben gestanden und auf das Paar herabgesehn. Mit gemessener Geberde und ruhigen Zügen wurden da glühende Worte, leidenschaftliche Versicherungen geflüstert, die jungen Hände zitterten, als Ludmille ihr Tuch fallen ließ und Wilhelm es ihr zurück gab, ein flüchtiger Händedruck wurde dabei gewechselt, so flüchtig, daß es die Mutter oben am Fenster nicht gewahren konnte, eben so wenig wie das Zittern der jungen Hände!

Wenn zwei Menschen sich verstehen, so vermag die Gegenwart der ganzen Welt nicht sie daran zu hindern. Sie sagen sich, was sie wollen – was bedurften sie der Worte, sie hatten Augen, vier junge feurige, sehr verständlich redende Augen.

An einem Tage hatten sie wieder eine Zusammenkunft verabredet, aber gerade als Wilhelm zu reden beginnen wollte, bog Albert um die Ecke des Gartens. Wilhelm war so aufgeregt, daß es ihm unmöglich war, jetzt gleichgültige Worte mit dem lästigen Dritten zu wechseln. Ohne Entschuldigung, nur mit einem flüchtigen Gruße entfernte er sich.

Albert sah ihm lächelnd nach, dann wandte er sich zu seiner erröthenden Schwester: »Es scheint, ich bin ihm ungelegen gekommen?«

»Du kennst ihn ja so gut wie ich, er ist ein Sonderling!«

»Er war es – aber jetzt ist er es gewiß nicht mehr; verliebte Menschen sind keine Sonderlinge mehr – denn ein Sonderling ist weiter nichts als ein in sich selbst verliebter Egoist, und wenn man in Jemand anders verliebt ist, hat man keine Zeit für sich selbst übrig.«

»In wen – in wen glaubst Du denn, daß Rose verliebt sei?«

»Das fragst Du mich?«

»Wen sonst, an wen könnte ich mich besser wenden?«

Ludmillens Züge verriethen nichts. Sie hatte jetzt die erste Ueberraschung überwunden. Ihres Bruders satyrischen Blicken begegnete sie mit kaltem Lächeln. Er sah sie verwundert an. Sein offenes Männerherz wurde von einem tiefen Zorn über diese weibliche Verstellungskunst seiner sechzehnzährigen Schwester erfüllt.

Sie antwortete noch immer nicht, sah ihm noch immer kühn und fragend in die Augen.

Uebermannt von Entrüstung rief er endlich: »Wie ist es möglich? Wie kannst Du mich so ansehn? Du, die ein erklärtes Liebesverhältniß mit Wilhelm hat!«

Ludmille erröthete nicht. Sie biß sich nur ein klein wenig auf die Lippen und fragte dann, aber doch mit etwas unsicherer Stimme:

»Soll das Ernst oder einer von Euer Durchlaucht gewöhnlichen schlechten Späßen sein?«

»Ernst, Euer Liebden, Ernst und noch einmal bitterer Ernst!«

»Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll! –«

»Das glaube ich wohl!«

»Wer hat mich so erbärmlich bei Dir verläumdet?«

»Meine eigenen Augen, Ludmille, die Eure Augensprache auch verstehen.«

»Albert, Du beleidigst mich.«

»Ich sage Dir nur Eines, Ludmille, gieb Dir keine Mühe zu leugnen.«

»Ich sage Dir auch nur Eines, Albert, wage nie mehr hiervon mit mir zu reden, oder ich sage es dem Vater!«

Albert stützte beide Hände in die Seiten und sah seiner Schwester dicht in die Augen, nicht wissend, ob er über ihr Pathos lachen oder über ihre Verstellung empört sein sollte.

Sie aber wandte sich rasch und ging ins Schloß.

»Ein schönes Frauenzimmer das! Ich wußte gar nicht, daß meine Prinzessin Schwester so durchtrieben sei. Wo sie das her hat? Aber jetzt zu Wilhelm; wir wollen sehen, ob der bürgerliche Stolz des Herrn Rose nicht doch dem aristokratischen Hochmuth der Dame vorzuziehen ist, und ich einen ehrlichen Mann finde, wo ich kein ehrlich Mädchen fand!«

Mit einem tiefen Seufzer und langsamen Schritten ging er nun auch dem Schlosse zu.

Wilhelm war in seinem Zimmer. Seine gestörte Zusammenkunft mit Ludmille hatte die übelste Laune bei ihm erzeugt; aber er war doch zu sehr Mann, um nicht bei einer interessanten Lectüre jeden Aerger vergessen zu können. So hatte er auch jetzt ein Buch zur Hand genommen, als Albert ohne anzuklopfen bei ihm eintrat.

»Verzeihen Sie, Wilhelm, daß ich so ohne Weiteres zu Ihnen komme, aber mich treibt eine Angelegenheit zu Ihnen, die zu ernst ist, um noch Formen zu beobachten.« Er sagte dies ohne alle jene Förmlichkeit, die man sonst beim Eintritt in eines andern Menschen Zimmer beobachtet – sah aber so traurig aus, daß Wilhelm erschrocken, im Glauben, es sei Jemand ein Unfall begegnet und Albert komme seine ärztliche Hülfe in Anspruch zu nehmen, ganz eifrig fragte: »Was ist geschehen – kann ich Jemand nützlich sein?«

Albert war dies Mißverständniß unangenehm, weil Wilhelms gutmüthige Dienstfertigkeit unwillkührlich seine Dankbarkeit in Anspruch nahm, und er wollte diesem Menschen eben keine wohlwollende Empfindung gönnen, er wollte ihn hassen, weil er seine Schwester in ein unseliges Liebesverhältniß verwickelt. Er sagte kurz, indem er sich auf das Sopha warf:

»Nützen können Sie eben Niemand – ich komme im Gegentheil Ihnen Vorwürfe zu machen wegen des Schadens, den Sie angerichtet – und zwar im Herzen meiner Schwester!«

Als Albert sich setzte, hatte Wilhelm, der bei seinem Eintritt aufgestanden, sich ebenfalls wieder niedergelassen; jetzt sprang er auf wie vom Blitz gerührt. Seine Wangen glühten, aber mit fester, wenn auch leiser Stimme fragte er: »Woher wissen Sie?«

»Nicht durch meine Schwester. Sie, mit der ich natürlich zuerst sprach, leugnete hartnäckig, was ich mit eigenen Augen gesehen – seit vier Wochen ungefähr gesehen.«

»Leugnen werde ich nichts, mein Prinz, und daß Ihre Schwester Ihnen gegenüber es thut, gereicht nicht zu ihrem Ruhme!«

»Charmant! – meine Schwester leugnet, und Sie machen mir Vorwürfe, wirklich ganz charmant!«.

»Sagen Sie mir lieber, was Sie von mir wünschen, Prinz!«

»Was ich von Ihnen wünsche? Ich wünsche nichts von Ihnen, Herr Rose! Aber ich verlange etwas – und zwar, daß Sie jedes Bestreben, mit meiner Schwester Ludmille ein Liebesverhältniß fortzusetzen, aufgeben – das verlange ich.«

»Und welche verstärkende Mittel stehen im Hintergrunde Ihres Verlangens?« fragte Wilhelm in unterdrückter Wuth mit satyrischem Tone.

»Gar keine,« sagte Albert ruhig. »Ich habe nichts im Hintergrunde, nicht einmal die Drohung, es meinem Vater zu sagen – das habe ich nicht nöthig, Ihnen gegenüber.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie ein vernünftiger Mensch sind und meine guten Gründe anerkennen werden.«

Wilhelm antwortete nicht – er ging mit gesenktem Haupte und verschränkten Armen im Zimmer auf und ab.

»Sie fragen mich nicht nach meinen Gründen, dennoch will ich sie Ihnen mittheilen, auch ungefragt. Erstens haben Sie noch keine Lebensstellung, Sie können überhaupt noch an gar keine Verbindung denken. Zweitens, wenn Sie das auch könnten, paßt meine Schwester ihres Characters wegen durchaus nicht zu Ihnen. Sie sind ein ganz innerlicher Mensch – meine Schwester ist ganz äußerlich – es wird mir schwer zu gestehen, aber der Wahrheit ihre Ehre – Sie sind besser als Ludmille. Drittens« –

»Drittens aber« – fiel Wilhelm mit einem kleinen höhnischen Lachen ein, »drittens aber, ja im dritten Punkt bin ich nicht besser als Ihre Schwester, habe ich nicht Recht, mein Prinz? Drittens bin ich nur ein bürgerlicher Doctor und Ihre Schwester ist die Tochter eines der ›ältesten deutschen Fürstengeschlechter?‹«

»Ganz richtig,« sagte Albert kalt, »so würde mein Vater sich ausdrücken, und da Ludmille unglücklicher Weise auch seine Tochter ist, so kommt seine Ansicht allerdings hier in Betracht!«

»Nun erlauben Sie mir aber, mein Prinz, Ihnen zu sagen, daß ich gar keinen Respect vor Ihren Gründen habe. Eine Lebensstellung kann ich mir jeden Augenblick erringen – ich habe sogar schon bestimmte Aussichten. Was den Character Ludmillens und den meinigen betrifft – so überlassen Sie dies unserm Ermessen. Und was Ihren dritten Grund anbelangt, so kann ich Sie da in diesem Augenblick nicht widerlegen, ohne Sie zu beleidigen, und das möchte ich nicht gerne. Ich bin jetzt zu aufgeregt, um eine unpartheiische Würdigung ›der Standesunterschiede‹ zu geben.«

Albert schwieg auch eine Weile. Dann fragte er kurz: »Und was gedenken Sie zu thun?«

»Ungestört mich um Ihre Schwester zu bewerben, als sei diese Unterredung gar nicht vorgefallen.«

Einen Augenblick wollte Albert sein Zorn übermannen, er war aufgesprungen, seine Lippen zitterten, aber er beherrschte sich und sagte mit einem zornigen Lachen: »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Aufrichtigkeit, Herr Doctor!«

»Ich hoffe, Sie werden Gleiches mit Gleichem vergelten, mein Prinz, weniger kann doch ein Sohn aus einem der ältesten –«

»Keinen Spott, Herr Doctor!«

Der Ton, in welchem Albert diese vier Worte sprach, mußte etwas Absonderliches gehabt haben, denn Wilhelm hielt in seiner Zimmerpromenade plötzlich inne und blieb vor Albert stehn, um ihn anzusehn. Der Prinz war todtenblaß. Zwischen seinen klaren Augen hatte sich eine tiefe Zornesfalte gelagert.

»Wissen Sie, daß Ihnen der Zorn sehr gut steht?« versetzte Wilhelm ganz ruhig, als sei nichts vorgefallen.

Diese harmlose Bemerkung in diesem Augenblicke aus dem Munde seines Gegners frappirte den Prinzen dermaßen, daß er in ein helles Gelächter ausbrach – wie so oft Kinder aus heftigem Weinen in helles Lachen übergehe.

Und Wilhelm lachte auch!

Der junge Doctor faßte sich aber zuerst wieder. »Nun wohl, Prinz Albert, sagen Sie mir, was Sie gegen mich zu unternehmen denken?«

»O,« sagte Albert aufstehend, »offenen Krieg! Ich werde meine Schwester bewachen, Sie verläumden und lächerlich machen, und kurz und gut, ich werde Ihnen zu schaffen machen, so viel ich kann – ich ganz allein! «

»Gut, aber Eines versprechen Sie mir, daß Ihre Tante Rosalie nichts davon erfährt. Ihre Eltern mögen Sie meinetwegen zu Bundesgenossen nehmen, wenn Sie sich zu schwach fühlen sollten – aber sie – sie soll keinen Kummer, keinen Aerger durch mich haben, bei Gott, das verdient sie nicht um mich!«

»Rosalie soll es nicht erfahren und eben deshalb auch nicht mein Vater, da ich für dessen Discretion ihr gegenüber nicht einstehen kann. Meine Mutter hingegen wird schweigen, und an sie wende ich mich auch nur als letztes Mittel.«

Er grüßte leicht mit dem Kopf und verließ dann das Zimmer; Wilhelm geleitete ihn bis zum Corridor.

 

Am Nachmittage desselben Tages erhielt Wilhelm einen Brief und zwar aus New-York. Sein einziger Verwandter, der Bruder seiner Mutter, schrieb ihm eine Aufforderung, zu ihm nach Amerika zu kommen, da gerade junge Aerzte eines guten Fortkommens dort gewiß seien. Für den Fall, daß es Wilhelm an Reisegeld mangle, schickte er ihm einen Wechsel auf ein Bremer Haus, mit dessen Chef er befreundet war.

Wilhelm mochte Amerika nicht, seine träumerische Natur schauderte vor der nackten Wirklichkeit eines rein materiellen Lebens. Amerika erschien seinem Geiste wie ein neuangelegter Park ohne Bäume, ohne Schatten. Deutschland mit seinen Wäldern, seinen Burgen, seiner Geschichte war ihm ein Paradies im Vergleich mit diesem wohleingerichteten Staate, obgleich er mit feinen politischen Grundsätzen viel besser dahin paßte, als nach Deutschland, dem Land der Vorurtheile par préférence.

Aber wenn Ludmille mitging, ja mit Ludmillen konnte er auch nach Amerika gehen! Dann aber mußten ihre Eltern getäuscht werden. Schon am Abend, als er in den Salon trat, wo die fürstliche Familie versammelt saß, verkündigte er deßhalb, er habe einen Brief von einem Studiengenossen aus Pesth erhalten, der ihm dort eine vortheilhafte Stellung zu verschaffen wisse.

»Und was denken Sie zu thun,« fragte Rosalie und ihre Stimme zitterte sehr merklich, dennoch gewahrte es Niemand als Albert.

»Was ich zu thun gedenke? Mit der gütigen Erlaubniß der Anwesenden gedenke ich es anzunehmen.«

»Da haben Sie ganz Recht,« sagte Ludmille rasch.

Albert lächelte sehr spöttisch, das sah aber wiederum Niemand als Wilhelm.

Der Fürst sagte nachlässig: »Ein junger Mann muß die Welt kennen lernen. Ungarn ist interessant und für einen Doctor vortrefflich; mit diesen halbwilden Pustabewohnern kann er Pferdecuren machen und experimentiren wie mit den Katzen.«

Wilhelm wollte in jugendlicher Entrüstung eine Phrase über die »Würde der Menschheit« dem alten Mann entgegenschleudern, sah aber noch zu rechter Zeit ein, daß es hier nur ein spöttisches Lächeln hervorrufen würde.

Er wandte sich zu Rosalien. Große Thränentropfen standen in ihren klugen Augen ob des Verlusts ihres Lieblings. Die Fürstin drückte ihr die Hand, vielleicht das erste Zeichen eines Einverständnisses zwischen diesen beiden Frauen. Dieses kleine Zeichen der Theilnahme rührte aber Rosalien so sehr, daß ihre Thränen nun nicht mehr zurückzuhalten waren.

Wilhelm war, wie allen verschlossenen stolzen Men schen, diese Kundgebung ihres Gefühls höchst unangenehm, und er vermochte deshalb auch gar nicht, ihr dankbar dafür zu sein.

In der größten Verlegenheit setzte er sich neben sie, er wußte nicht, was er sagen sollte. Sie faßte sich aber schnell und trocknete ihre Augen und sagte dann mit muthiger Stimme: »Es ist recht einfältig von mir, daß ich mich so überwältigen ließ! Ich mußte ja längst darauf gefaßt sein, mein Pflegkind zu verlieren. Müssen ja die meisten Mütter sogar den eignen Sohn verlieren, wenn sie gerade einen Freund in ihm gefunden haben!«

»O, und es ist ja nicht auf immer,« sagte Ludmille, »Doctor Rose kehrt doch wieder nach Deutschland zurück.«

Die Fürstin war die Einzige, die in diesem Augenblick natürlich blieb.

Der Fürst war verdrießlich, daß Wilhelm ging. Seitdem dieser Ludmillen liebte, hatte er sich natürlich auch dem Vater liebenswürdig erwiesen. Der Fürst wußte wohl, daß ein solcher »Leibarzt« ihm nicht wieder zu Theil wurde. Aber er war zu stolz, das zu zeigen, und affectirte eine vollständige Gleichgültigkeit über den Abgang des jungen Mannes.

Rosalie war vollkommen unglücklich und wagte dies aus Angst vor dem Spotte ihres Bruders ebenfalls nicht zu zeigen.

Ludmille, ja Ludmille wußte selbst nicht, was sie denken sollte. Daß Albert bei ihrem Geliebten gewesen war, hatte sie bemerkt – war seine Abreise die Folge davon? Aber dann hätte er ja müssen traurig sein, und das war er nicht. Im Gegentheile, er sah befriedigter aus, als je. Hatte er sie freiwillig und gerne aufgegeben – warum sah er sie dann so oft und innig an? Sie war wie im Fieber und redete in ihrem Verlangen, ihre Spannung zu verbergen, tolles Zeug durch einander.

Auch Albert, der sonst so ruhige, klare Albert war gespannt und neugierig. Daß Wilhelm einen Brief erhalten, wußte er wohl – daß dieser Brief einen Antrag enthielt, konnte möglich sein, aber daß Wilhelm ihn annahm, nachdem er noch heute versichert, er werde Ludmillen um keinen Preis aufgeben, war unerklärlich! Sollte er so kühn sein, sich einzubilden, sie werde mit ihm gehen?

Daß das Liebespaar sich seit seiner Unterredung mit Wilhelm nicht gesprochen, wußte Albert sicher, denn Ludmille war vom Spaziergange mit ihrer Mutter eben erst nach Hause zurückgekehrt. Auch sah er wohl, daß Ludmille selbst auf's Höchste überrascht worden war von Wilhelms Erklärung. Nun galt es aufzumerken. Die Schachparthie, welche er jeden Abend mit seinem Vater spielte, konnte er auch heute nicht umgehn, aber er ließ den Tisch anders placiren als gewöhnlich, so daß er fortwährend den ganzen Saal mit allen Personen im Auge hatte. Seines Vaters Laune wurde dadurch gebessert, daß Albert sich durch seine Aufmerksamkeit auf das Liebespaar dermaßen von der Parthie abziehen ließ, daß er einmal über das andere matt wurde.

Wilhelm hatte ein Briefchen für Ludmille im Handschuh stecken, aber keine Möglichkeit, es ihr zu übergeben! Alberts klare Augen waren wie gebannt auf sie.

Es war im Grunde beinahe einerlei, ob er ihr heute oder morgen das Billet übergab, aber sein Ehrgeiz war angestachelt durch den Wettstreit gegen Albert; ihm kam es beinahe schimpflich vor, zu verlieren. Und dennoch mußte er es für heute aufgeben, denn als er wie gewöhnlich Ludmillen den Arm bieten wollte, um sie zur Abendtafel zu führen – der Fürst führte immer seine Frau, Albert Rosalien – trat Albert auch vor ihn und sagte so laut, daß Alle es hören konnten: »Bitte, lieber Rose, führen Sie die Tante und machen Sie Ihren Frieden mit ihr, daß Sie ihr so unvorbereitet Ihren Weggang mitgetheilt haben.«

Wilhelm mußte sich hier fügen, jede Zögerung würde eine Beleidigung für Rosalien gewesen sein. Er entschuldigte sich jetzt auch bei ihr und versicherte, er habe es ihr vorher sagen wollen, sie aber nicht auf ihrem Zimmer gefunden.

»Ich war einen Augenblick in den Garten gegangen,« sagte sie mit einem tiefen Seufzer, der ihrem Liebling aber kaum in das verliebte Herz drang.

Seinen gewöhnlichen Platz neben Ludmille bei Tisch verlor Wilhelm auch am folgenden Tage durch Alberts diplomatische Bemühungen. Dieser behauptete nämlich plötzlich an den Augen zu leiden und bat deshalb Wilhelm, der auf seinem Platz den Fenstern den Rücken zukehrte, mit ihm zu wechseln, weil ihn das Licht zu sehr blende. Der Fürst und die Fürstin bemerkten nichts, Rosalie auch nicht, weil ihre ganze Seele mit dem Gedanken der Trennung von Wilhelm erfüllt war und dieser selbst sich zudem vor ihr am meisten hütete!



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