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Fünftes Kapitel.


Als am Morgen des folgenden Tages der Geheimerath in das Zimmer seiner Tochter trat, es war schon spät, schon beinahe Mittag, wurde sie bleich aus Angst vor der Botschaft, die sie aus seinem Munde vernehmen sollte.

»Beruhige Dich, mein Kind,« sagte er freundlich, »es ist nicht so schlimm, wie wir fürchteten. Der Arzt verlangt nur, daß Prinz Waldheim einige Tage in vollkommener Ruhe auf dem Jagdschlosse bleibe, dann solle ihm erlaubt sein, zu seinen Eltern zu gehen und sich vollends gesund pflegen zu lassen, was nicht sehr lange Zeit erfordern werde. Er selbst hat mir die besten Empfehlungen an Dich aufgetragen: er hoffe früh genug hierher zurückzukehren, um den Kehraus des Faschings mit Dir zu tanzen.«

»Er zürnt mir also nicht?«

»Das scheint mir durchaus nicht. Ich sprach natürlich nicht von Dir und er erwähnte Deiner nur in der eben gesagten freundlichen Weise.«

»Und ist der Doctor wirklich gar nicht besorgt?«

»Nicht im Mindesten. Er sagt, bei des Prinzen vortrefflicher Natur bedürfe es nur der Ruhe und kalten Wassers auf den hitzigen Kopf.«

»Lieber Vater!«

»Was willst Du, mein Kind?«

»Ich habe mir neue Verhaltungsregeln dem Prinzen gegenüber ausgedacht und wollte Dich um Deinen Rath fragen.«

»Nun?«

»Ich habe offenbar eine große Schuld gegen ihn gut zu machen.«

»Das mußt Du am besten wissen.«

»Ja sicher, Vater. Gestern warst Du ja doch auch derselben Meinung – wenigstens widersprachst Du mir nicht, als ich mir die Schuld seines möglichen Todes beimaß?«

»Weiter, ich will Dir später meine Meinung sagen.«

»Also, ich habe eine große Schuld gegen ihn begangen. Ich habe aus Mädchenstolz und Sprödigkeit sein Leben in Gefahr gesetzt, oder doch mindestens ein großes Unglück, das über ihm schwebte, nicht verhindert. Er hatte nichts, gar nichts gethan, als mir gehuldigt, weil er mich liebte.«

»Bist Du davon so fest überzeugt?«

»Ja, Vater. Besonders seitdem Du mir gesagt, daß er mir nicht zürnt.«

»Das fließt mehr aus seiner großen Gutmüthigkeit als aus seiner Liebe her.«

»Du wolltest mich erst ganz zu Ende hören.«

»Ich werde Dich nicht mehr unterbrechen.«

»Siehst Du, liebster Vater, wenn ich ihn nun wieder sehe, kann ich ihm nicht kalt und steif entgegen treten, ich will ihn freundschaftlich und herzlich empfangen, wie es mir zu Muthe ist. Kurz, ich will natürlich sein, denn etwas anderes gelingt mir doch nicht.«

Sie erzählte nun mit der größten Offenheit ihrem Vater die gestrige Unterhaltung im Schlitten und wie sie in ihrer anfänglichen Zurückhaltung einer Unbesonnenheit nach der andern sich schuldig gemacht, und schloß ihren Bericht mit der wiederholten Bitte, sie Waldheim gegenüber freundlich und natürlich sein zu lassen, da sie nach dem gegen ihn begangenen Unrecht ihn, ihrem Herzen nach, nicht gut anders empfangen könne.

»Das ist ganz vortrefflich, was Dich betrifft. Du liebst ihn nicht und kannst also ohne Gefahr in ein freundschaftliches Verhältniß mit ihm treten. Aber er, er liebt Dich nicht nur –«

»Du bezweifeltest es doch so eben,« sagte die Tochter neckend.

»Lasse mich jetzt auch ausreden. Also, er liebt Dich nicht nur, sondern er sieht auch an Deinem Benehmen von gestern, daß Du von seiner Liebe überzeugt bist. Unterbrich mich nicht. Wenn Du ihn nun warm und herzlich empfängst, so denkt er natürlich, Dein Stolz sei durch Dein Mitleid mit ihm gebrochen und das größte Hinderniß also aus dem Wege geräumt. Wenn Du ihn aber gemessen und gezwungen behandelst, wird er eine Zeit lang Dir zürnen, Dich vielleicht verkennen, um dann endlich die Eroberung Deines Herzens aufzugeben – eine Absicht, die, streng genommen, doch überhaupt ein großes Unrecht von ihm ist. Kein Mann hat das Recht, um das Herz eines edlen Mädchens zu werben, wenn er seine Hand ihr nicht zu bieten vermag.«

»Nun, liebster Papa, sei auch nicht zu strenge. Das Herz verlangt ein Herz – und wozu auch das ewige Heirathen. Die Ehe ist am Ende ja doch nur das Grab der Liebe, und warum immer bei einem Lebenden an das Grab denken?«

»Agnes, Agnes! Ich kenne Dich nicht mehr! Du thust mir mit solchen Reden im innersten Herzen wehe. Du kannst unvermählt bleiben, wenn Du willst, aber Du sollst mir nicht die Ehe schmähen! Ich wiederhole es Dir, das thut mir bitter wehe aus Deinem Munde, denn es ziemt nicht einem unschuldigen weiblichen Wesen, die Ehe zu verspotten; überlasse das solchen, die bittere Erfahrungen darin gemacht!«

Agnes warf sich, reuevoll an seinen Hals. »Verzeihe mir, liebster Vater, verzeihe! Ich sagte das nur, weil Du – ja, es ist recht lächerlich von mir – davon sprachst, der Prinz wolle mir seine Hand nicht geben. Das kränkte, das reizte mich, selbst von Dir. Es war sehr unrecht – doppelt unrecht, da ich ihn nicht liebe! Aber gerade deshalb will ich ihm die Wahrheit sagen.«

»Und die heißt?«

»Daß wir Freunde sein wollen und weiter nichts.«

»Das kannst Du keinem jungen Manne sagen.«

»Das überlasse mir, Väterchen. Ich bin nicht umsonst Deine Tochter und Waldheim ist auch nicht vergebens in einem Kreise aufgewachsen, wo man halbe Worte versteht.«

»Was hast Du aber eigentlich dabei?«

»Erstens will ich ihm jede Hoffnung nehmen, zweitens mich selbst aus einer falschen Stellung bringen und drittens meinem reuigen Herzen Gelegenheit geben, durch Freundlichkeit gut zu machen, was ich durch Härte verbrochen.«

»Agnes, ich habe Dir schon einmal, aber auch vergebens, gesagt, spiele nicht mit dem Feuer. Der Prinz liebt Dich, und Du willst mit ihm ein freundschaftliches Verhältniß anknüpfen. Das ist gerade, als wenn ich mich in einen brennenden Wald begebe, um die Quelle zu finden, die meinen Durst löschen soll – die Flammen würden mich verzehren, ehe mein Mund die kühle Fluth berührt hätte.«

Agnes brach ab, aber nur, um am Abende dasselbe Thema wieder aufzunehmen. Sie hatte den rastlosen Drang, ihres Vaters Einwilligung zu erlangen, wie sie bisher jedes Wunsches Befriedigung erlangt und, um gerecht zu sein, auch weil sie wirklich sich Vorwürfe machte des Prinzen wegen. Sie versprach ihrem Vater, Albert solle nie ins Haus geladen werden, nie sie besuchen dürfen und die Freundschaft solle nur für den kurzen Augenblick gelten, wo sie mit ihm in Gesellschaft zusammen traf.

Als sie nun ihren Vater mit der Lebhaftigkeit bestürmte, die ihr eigen war, und womit sie jeden Gegenstand zu einer Lebensfrage machte, was sollte er da thun? Zum ersten Male ihr mit einer Weigerung ent gegen treten, dazu dünkte es ihm jetzt zu spät, nachdem ihr Character einer von denen geworden, die durch Widerstand entflammt und weit über die Grenze dessen, was sie anfänglich gewollt, hinausgerissen werden die häufige Folge einer zu milden oder zu strengen Erziehung. Verweigerte er ihr ein freundschaftliches Vernehmen mit dem Prinzen, so war sie in Gefahr, nur dadurch daß sich an diese Weigerung ihre Gedanken fortwährend anklammerten, sich ernstlich in ihn zu verlieben – und welch größeres Unglück konnte ihr widerfahren? Die einzige Rettung wäre in seinen Augen eine Reise mit seinem Kinde gewesen; das hätte Alles sanft und spurlos gelöst, aber – der Landtag war vor der Thüre, das Ministerium hatte ihm ein wichtiges Referat übertragen, er konnte also keinen Urlaub bekommen, und seinen Abschied zu nehmen, das fiel dem thätigen Geschäftsmanne so wenig ein, wie es seiner Tochter einfiel, daß sie unklug handle, und so ging denn Jedes den Weg, den sein Character ihm anwies.

 

Woche nach Woche war vergangen, Waldheim war noch nicht zurückgekehrt und Agnes hatte beinahe ihr Abenteuer auf dem Jagdschlosse vergessen. Sie war zu lebhaft, um sich längere Zeit mit ein und demselben Gegenstande zu beschäftigen, ohne daß dies der Treue ihres Characters geradezu Abbruch gethan hätte. Denn sobald man an ihre früheren Gefühle appellirte, traten dieselben wieder aus dem Hintergrunde ihres Herzens hervor und hatten wieder die alte Geltung bei ihr. Sie war nicht, was man unter dem Worte veränderlich versteht, sie liebte auch den Wechsel nicht; aber sie konnte sich ihm eben so wenig entziehen, weil sie zu anregbaren Wesens war, um nicht die Macht der Gegenwart auf sich einwirken zu lassen. Wäre Albert ihr Geliebter gewesen, sie würde sich nun und nimmer und unter keinen Verhältnissen während seiner Abwesenheit einem andern Manne zugeneigt haben, aber wohl hätte ein anderer Gegenstand jeden Gedanken an ihn tagelang entfernt halten können: eine neue Musik, ein anziehendes Buch oder das Geschick einer Freundin. Kurz sie gehörte nicht zu den schmachtenden und sehnenden Naturen, die sich abnutzen und verdünnen und aufzehren, wenn sie nicht von Außen genährt werden, sondern zu denen, die von Innen ihren Reichthum schöpfen, zu denen, die sind, als ob sie sich die Natur selbst zum Vorbild genommen, und die sich ewig frisch ergänzen und vervollständigen, wie der Strom, wie das Meer.

»Käme der Prinz doch nie wieder,« dachte manchmal in banger Ahnung der Geheimerath, wenn er sie so harmlos und unbefangen fröhlich sah. Doch beschäftigte er sich gerade um diese Zeit weniger mit seiner Tochter, als sonst.

Die Aufgabe, womit ihn die Regierung für den Landtag betraut und die keine andere war als die, den Finanzetat des laufenden Rechnungsjahres vor den Ständen zu vertreten, machte ihm um so mehr Arbeit, als er in der letzten Zeit, das heißt, seitdem das jetzige Ministerium am Ruder war, nur im Departement des Auswärtigen beschäftigt gewesen. Man sah in ihm einen künftigen Minister, denn kein anderer Beamter vereinigte so viele für den Hof wünschenswerthe Eigenschaften in sich wie er, da es sich um eine Zeit handelt, wo noch der Hof und die Regierung identische Begriffe waren, trotz Kammer und Constitution. Freiherr von Stein war von vortrefflicher Familie und Erziehung, ein gewandter und talentvoller Beamter und stand in gutem Ansehen bei »den Leuten« (denn der Begriff und der Ausdruck »Volk« lag damals ganz außer dem Gesichtskreise der Regierung), wozu wohl seine freundlichen, gegen Jedermann gleich höflichen Manieren, sowie die allgemeine Ueberzeugung, daß er ein Ehrenmann sei, das Meiste beitrugen. Von seinen politischen Grundsätzen, seiner amtlichen Thätigkeit wußte eigentlich die große Menge wenig, da er noch nie bisher eine selbstständige, einflußreiche Stellung ein genommen hatte, sondern einmal hier, einmal dort von der Regierung verwendet worden war, wo sie Jemand gebraucht, auf den sie sich in jeder Beziehung verlassen konnte. Uebrigens war er auch noch, was man damals für einen Staatsdiener jung nannte: er zählte fünf und vierzig Jahre. Seine Ernennung zum wirklichen Geheimenrath, womit die Excellenz verbunden war, stammte von einer diplomatischen Mission an einen anspruchsvollen Hof her, dem man durchaus nur einen Mann senden konnte, welcher eine hohe Stellung einnahm.

Solche Missionen hatten auch seine Brust mit Orden bedeckt, deren Werth er aber nach den Umständen ihrer Ertheilung vollkommen richtig bemaß; denn wenn man ihn wegen ihrer Menge beglückwünschte, sagte er lächelnd: »Ja, zählen Sie nur, dann können Sie genau wissen, wie oft ich mein Vaterland gerettet!« – es waren nämlich lauter ausländische Orden, bis auf den heimathlichen Stern, den man in der Residenz, weil ihn gewöhnlich nur ganz alte Herren erhielten, den Abendstern zu nennen pflegte.



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