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Viertes Kapitel.


Tag um Tag verging und noch hatte Wilhelm keine Silbe der Verständigung mit seiner Geliebten wechseln können. Jeden Tag schrieb er ihr ein anderes Briefchen und jeden Abend legte er es zerknittert auf seinen Tisch, um es ein paar Minuten später grimmig zu zerreißen. Diese ewige Spannung fing an, eine üble Wirkung auf seine Gesundheit zu äußern. Er wurde schmal und blaß und so nervenaufgeregt, daß ein fallendes Kartenblatt ihn zusammenfahren machte.

Albert hingegen wurde immer heiterer und triumphirender. Er fühlte sich Wilhelm gegenüber so sehr im Rechte, daß er gar nicht einsah, wie er eigentlich die Rolle eines bösen Menschen spielte, der das Glück zweier Liebenden störte – aber was ihn in seinen Augen entschuldigte, er hielt es eben nicht für das Glück der Beiden, wenn sie sich fanden.

Eines Abends war Wilhelm noch ziemlich spät – die Familie wollte sich gerade zur Abendtafel begeben – zu einer Kranken im Städtchen abgerufen wurden. Während seiner Abwesenheit sprach der Fürst über die Schlacht bei Waterloo, welche er als Cuirassierrittmeister mitgeschlagen, und stellte einige falsche Behauptungen auf. Alberts gutes Gedächtniß war sprichwörtlich in der Familie, aber dennoch glaubte nie Derjenige daran, welchen er eben eines Irrthums überführte. So auch jetzt sein Vater.

»Will wieder das Ei klüger sein, als die Henne?« sagte er ärgerlich, als Albert seine falschen Angaben berichtigte. »Ich bin dabei gewesen und werde es besser wissen, als Du, der erst ein Jahr nachher geboren wurde.

»Soll ich eine Encyclopädie holen, Papa?«

»Meinetwegen gewiß, ich bin meiner Angabe sicher.«

Albert stand auf und ging. Kaum war er fort, so trat Wilhelm wieder ein. Beim ersten Blick in den Salon sah er, daß Ludmille seit vierzehn Tagen zum ersten Male allein saß – daß ihr Wächter und unzertrennlicher Begleiter fort war. Sie lachte eben laut wie ein befreiter Vogel. Kaum nahm sich Wilhelm Zeit, die älteren Personen zu begrüßen, und schon ging er auf Ludmille zu und zeigte ihr verstohlen ein Briefchen. Sie ließ ihr Schnupftuch fallen. Wilhelm hob es auf und überreichte es ihr – aber in demselben Augenblicke trat auch Albert wieder ein, sein erster Blick fiel auf seine Schwester und er sah nur eben noch, wie sie ihr Battisttuch in die Tasche ihres Kleides schob – Wilhelm war aber so weit von ihr zurückgetreten, daß er keinen bestimmten Verdacht faßte – überdem hatte er ja Wilhelm erst vor einer Minute kommen hören – er glaubte also, daß seine Abwesenheit von dem Paare noch nicht benutzt worden sei.

»Nun,« fragte sein Vater, »was steht im Lexicon?«

»Ich konnte es nicht finden, liebster Vater – weiß der Himmel, wo gerade dieser Band steckt.« Er konnte natürlich nicht sagen, daß er Wilhelm zurückkommen hören und deshalb nicht länger habe wegbleiben wollen. Der Fürst wurde nun von glänzender Laune, denn er bildete sich ein, Albert habe gefunden, daß er selbst im Unrecht sei und deshalb das Buch nicht mitgebracht. Seine Triumphesfreude blühte in liebenswürdigem Benehmen gegen die ganze Gesellschaft auf; sogar gegen Wilhelm.

»Es ist doch recht schade, liebster Rose,« sagte er huldreich zu diesem, »daß Sie uns verlassen wollen, und zwar für dies wüste Ungarn. Wenn Sie denn doch durchaus einmal von uns fort wollen, sollten Sie sich doch ein besseres Land aussuchen.«

»Ich habe keine Wahl, Durchlaucht,« sagte Wilhelm mit einem bittern Lächeln, »in meiner Stellung muß man nehmen, was sich, bietet.«

»In Ihrer Stellung?«

»Ja, Durchlaucht, warum es nicht aussprechen, meine Stellung ist die eines Ueberlästigen. Ich fühle recht gut, daß Sie mich nur dulden aus Rücksicht für Prinzessin Rosalie.«

»Ah bah! Sie sind unser lieber Hausarzt und dabei zählt meine Schwester für gar nichts. Aber ich machte Ihnen nur Vorwürfe, daß Sie nach Ungarn gehn wollten, weil ich eine andere Stellung für Sie weiß, und wenn Sie nicht schon Ihrem Freunde zugesagt hätten« –

»Wo ist diese Stellung, wenn ich fragen darf?«

»In Schlesien und zwar im schönsten Theile Schlesiens. Meine Tochter schreibt mir, daß in der ganzen Umgegend ihres Wohnsitzes kein Arzt sich befinde und ob Tante Rosaliens Protegé sich nicht dazu wolle bereit finden lassen. Sogar von einem festen Gehalt spricht sie.«

Albert war es nicht entgangen, daß Wilhelm mit einer gewissen Hast gefragt, aber offenbar entmuthigt sich in seinen Sessel zurückgelehnt hatte, als der Fürst den Namen seiner Tochter nannte.

»Also fest gebunden ist er noch nicht,« schloß er daraus.

 

Ludmille konnte kaum aushalten, bis ihre Mutter das Zeichen zum Aufbruch gab. Sie war so sehr in der Erwartung, das Briefchen ihres Liebsten zu lesen, versunken, daß sie gar nicht bemerkte, wie ihre Tante Rosalie sich entfernt hatte, ohne ihr gute Nacht zu sagen, was vielleicht noch nie in diesem förmlichen Hause geschehen war.

Kaum in ihrem kleinen Zimmer angekommen, schloß Ludmille die Thüre mit zwei Riegeln, sogar die Rouleaux an den Fenstern ließ sie herunter, weil ihr war, als werde ihr unerbittlicher Bruder selbst zum zwei Stock hohen Fenster hereinsehen. Dann setzte sie sich in ihrem alten Fauteuil zurecht und zog das kleine Geheimniß aus der Tasche. Als sie das Siegel öffnete, fielen mehrere Blätter dicht beschriebenes, nebelfeines Papier in ihren Schooß. Wilhelm hatte die ganze verflossene Nacht daran geschrieben. Ein Lächeln des Triumphes glitt über das blühende Gesicht seiner Geliebten beim Anblick seiner Bemühungen, ihr seine Gefühle kund zu thun. Welcher Contrast mit seinem Ge sicht, als er diese Blätter schrieb – er hatte blaß und unglücklich ausgesehn!

Je weiter Ludmille las, desto gespannter wurde ihre Aufmerksamkeit, aber auch desto tiefer die Falte des Unmuths auf ihrer schönen Stirne.

Als sie gelesen, schob sie mit hastiger Geberde die Blätter von sich. Dann stand sie auf, zog das Rouleau hinauf, öffnete beide Flügel des Fensters, legte sich kühlungdurstig hinein und gab mit einer Art Genugthuung ihre Locken dem Nachtwind preis, der sie ihr fortwährend über den Augen zusammenschlug. Wenn der Wind die Locken von ihren Augen wegwehte, sah sie nur ein Licht im ganzen Gebäude noch, das Licht in dem Thurme, wo ihre Tante Rosalie wohnte. Dies eine Licht aber wurde auch häufig durch eine davor hin und her wandelnde Gestalt verdunkelt.

»Tante Rosalie muß eine Gemüthsbewegung haben, daß sie um Mitternacht so rasch auf und ab läuft. Was kann denn so eine alte Jungfer beunruhigen? Eine öde, trostlose Existenz! Ich möchte sie nicht – so eilig bin ich aber auch nicht, wie Herr Doctor Rose es zu glauben scheint.«

Es erhob sich draußen ein förmlicher Sturm, Ludmille blieb aber immer im Fenster liegen – ihr that das wohl, denn in ihrem Innern war auch kein Friede! Dazwischen quälte sie wie ein Traum der Gedanke, weshalb wohl Rosalie seit einer Stunde so heftig auf- und abgehe; sie nahm ihr Glas ans Auge und meinte deutlich ihre Tante die Hände ringen zu sehn.. Eine peinigende Angst überfiel sie, wie ein Blitz kam ihr der Gedanke, daß Rosalie vielleicht gesehn habe, wie Wilhelm ihr jenen Brief in die Hände spielte. Jetzt auch fiel ihr der Umstand schwer auf die Seele, daß Rosalie ihr nicht gute Nacht gesagt. Eine fürchterliche Unruhe erfaßte das junge Mädchen – Rosalie war im Stande, aus übertriebenem Zartgefühl ihren Liebling aufzuopfern und Alles dem Fürsten zu offenbaren! Dem mußte sie vorbeugen, am besten jetzt gleich – denn diese Angst ertrug sie nicht länger. Sie schloß das Fenster, sie ordnete ihre verwüsteten Loden am Spiegel, hüllte sich in einen dunklen Ueberwurf und nahm das Licht, um zu Rosalien zu gehn. Schon hatte ihre Hand den Riegel zurückgeschoben, als ihr plötzlich Albert einfiel.

An seiner Thüre mußte sie vorüber, wenn sie zu Rosalien ging – wenn er sie hörte, wenn er sie fragte, wohin sie gehe, was ihm dann sagen? Denn es war noch nie vorgekommen, daß Ludmille ihre Tante nach dem Nachtessen aufgesucht, und jetzt würde er gewiß darunter eine Zusammenkunft mit Wilhelm vermuthen.

Was beginnen? Schlich sie vorüber und er hörte sie nicht beim Hingehen, so konnte er sie beim Rückweg entdecken und dann würde er sie auch fragen, wo sie gewesen, sie mußte die Tante zum Zeugen nehmen und dadurch konnte wieder Albert erfahren, was, wie sie befürchtete, die Tante wußte, daß Wilhelm ihr ein Briefchen zugesteckt. Entdeckte er sie schon beim Hingehen, so war er im Stande, sie zur Tante zu begleiten, um sicher zu sein, daß sie nicht mit Wilhelm zusammentreffe! Wie hatte sie nicht in den letzten vier Wochen unter seiner unerbittlichen satyrischen Freundlichkeit gelitten, wie zornig hatte ihr Herz geschlagen, wenn er sie immer versicherte, er sei so sehr um ihr Wohl besorgt, daß er sie keine Secunde außer Augen lasse. Und dann immer und immer schweigen zu müssen – sie haßte ihren eignen Bruder unversöhnlich in ihrem sechzehnjährigen Herzen!

Sie war im Begriff, ihren Gang zu Rosalien aufzugeben, ihn auf morgen früh aufzuschieben – aber wenn Rosalie schon in aller Frühe es ihrer Mutter verrieth – nein, hier durfte nichts aufgeschoben werden – zu viel stand auf dem Spiele!

Ihr kluges Köpfchen ersann endlich eine Auskunft. Ihr war eingefallen, daß um diese Zeit gewöhnlich ihr Kammermädchen sie verließ. Albert sollte das auch jetzt glauben. Das Mädchen hatte sie heute zurück geschickt, als Albert noch im Saale war, weil sie ungestört Wilhelms Brief lesen wollte.

Sie nahm den Leuchter zur Hand und ahmte, so gut es ging, den schlürfenden Gang der alten Kammerjungfer nach, nachdem sie geräuschvoll die Thüre geschlossen. Das Herz klopfte ihr doch, als sie an des gefürchteten Alberts Thüre kam; sie sah noch Licht durch die Thürspalte schimmern. Sie kam glücklich vorüber!

Die Thüre zu Rosaliens Vorzimmer war geschlossen, sie hörte sie laut schluchzen! Sie klopfte, sie mußte es noch zweimal wiederholen, ehe es Rosalie im zweiten Zimmer vernahm. Endlich hörte sie ihren Schritt. Eine zitternde Stimme fragte: »Wer ist draußen?«

»Mache auf, liebste Tante, ich bin es, Ludmille.«

Es erfolgte eine tiefe Stille, offenbar war die Tante bei Nennung dieses Namens stutzig geworden.

Ludmille klopfte von Neuem. »Ich bitte Dich, Tante, mache auf, es ist höchst dringend, was ich Dir zu sagen habe.«

Noch eine kleine Zögerung und der Riegel wurde zurückgezogen. Als die Thüre sich öffnete, erschrak Ludmille vor ihrer Tante. Sie sah entsetzlich aus, blaß mit rothgeweinten Augen und einem Zug des Unglücks um die zitternden Lippen, der unbeschreiblich war.

»Was wünschest Du?« sagte sie ohne alle Freundlichkeit.

»Ich möchte gerne Dir mein Herz erschließen,« sagte Ludmille, noch immer in der Thüre stehend, mit angenommener Schüchternheit.

Rosalie nahm sie bei der Hand und zog sie hastig herein ins zweite Zimmer.

Ludmille wollte das Herz der Tante durch ein offenes Geständniß gewinnen, aber doch dies Geständniß nicht thun, wenn die Tante nicht schon ihr Geheimniß wußte. Wie sollte sie nun anscheinend zuerst davon beginnen, und doch erst die sichere Bestätigung ihrer Befürchtungen aus der Tante Mund erhalten? Sie mußte etwas wagen.

»Ahnst Du nicht, Tante, von wem ich Dir reden will?«

»Von Wilhelm!« sagte Rosalie mit brechender Stimme.

»So weißt Du?«

Die Tante hatte sich von der Nichte abgewendet und verhüllte ihr Gesicht. Sie faßte sich mit übermenschlicher Gewalt und sagte kalt:

»Ich weiß Alles denn ich sah, wie er Dir in offenbarem Einverständniß einen Brief zuschob.«

»Willst Du diesen Brief lesen, Tante?«

Rosalie schüttelte erschrocken den Kopf.

»Es ist nicht der erste. Und dennoch habe ich ihm nie ein Liebeszeichen gegeben.«

»Du nahmst aber seinen Brief eben so heimlich an, wie er ihn Dir zusteckte.«

»Er ist so ungestüm, Tante! Wenn ich ihn ganz hoffnungslos zurückstoße, ist er im Stande, irgend etwas Entsetzliches zu unternehmen.«

»So sehr liebt er Dich also?« fragte die Tante, indem sie sich plötzlich umwandte und das junge Geschöpf scharf ansah.

Ludmille antwortete nur durch eine bejahende Bewegung des Kopfes.

»Und Du, Ludmille?

»Ich bin im vollen Besitze meiner Vernunft,« sagte sie ruhig, ihre Tante wieder ansehend »Ich sehe klar die Unmöglichkeit einer glücklichen Lösung ein – und kann deshalb Wilhelm nur bedauern.«

Der erste Theil ihrer Rede war wahr, das fühlte Rosalie, und da sie nicht fähig war, einen Character wie den Ludmillens zu begreifen, glaubte sie ihr Alles.

»Du liebst ihn also nicht?«

Jetzt schüttelte Ludmille mit dem Kopfe, aber ohne Rosalien anzusehen.

Was man gerne glaubt, glaubt man leicht, und was Ludmille eben für Wilhelm empfand, wäre, wenn Rosalie es auch klar durchschaut hätte, doch in ihren Augen keine Liebe gewesen. Unter Liebe verstand sie etwas Anderes.

»Dann ist wohl das einzige Mittel ihn zu heilen, ihn möglichst schnell zu entfernen.«

»Er will gehen, Tante, aber – ich soll mit.«

»O Gott, o Gott, wie ist das möglich!« rief Rosalie erschrocken, ja sogar empört. »Wie kann er so weit gehen, ohne von Dir aufgemuntert zu werden? Wer hätte ihm solche zudringliche Leidenschaftlichkeit zugetraut – aber freilich, ich kenne die Männer wenig!«

Ludmille warf einen spöttischen Blick auf ihre unschuldige Tante.

»Also nach Ungarn sollst Du ihm folgen?«

»Ungarn? das lügt er Euch nur vor. Nein, nach Amerika will er, dort hat er einen Oheim, der ihn einladet, zu ihm zu kommen, dorthin soll ich ihn begleiten und heimlich das Schloß verlassen.«

»Das lügt er Euch nur vor,« diese Worte waren Dolchstiche für Rosalien. Also sie, die ihr Leben für den Liebling ihrer Seele aufgeopfert haben würde, sie hielt er nicht besser als ihre kalten stolzen Verwandten, sie belog er um dieses Mädchens willen!

Ludmille genoß eben einen Triumph, wie er die grausamste Genugthuung der Boshaftesten ihres Geschlechts ist, ja sie verrieth den Mann, den sie nach ihrer Weise doch liebte – das heißt, so wie sie lieben konnte – um hier ein Herz zu brechen, gegen welches das ihrige nicht das Gewicht eines Sandkorns in der Schaale des Ewigen hatte.

»Ich werde ihm einen langen Brief schreiben müssen, um ihn auf die Tollheit und Unausführbarkeit seines Gedankens aufmerksam zu machen.«

Rosalie entgegnete nichts.

»Willst Du diesen Brief vielleicht auf sein Zimmer besorgen, aber ohne daß er erfährt, daß ich Dir Alles vertraut, denn das würde ihn zu tief kränken. Ich will Dir den Brief offen schicken, wenn Du es wünschest.«

»Schließe ihn selbst,« sagte Rosalie mit tonloser Stimme.

Ludmille hatte diese Antwort im Voraus gewußt und deshalb nur den Vorschlag gemacht, ebenso wie sie früher wußte, daß ihre Tante Wilhelms Brief an sie nicht würde lesen wollen.

Sie erhob sich. »Gute Nacht, Tante,« sagte sie, indem sie Rosaliens Hand ergriff und einen Kuß darauf drückte; die Hand war eiskalt.

»Gute Nacht, Ludmille.« Weiter sagte sie nichts, sondern nahm ihr Licht und ging in ihr Schlafzimmer, riegelte die Thüre zu und fiel dann auf ihr Bett, angekleidet wie sie war – am andern Morgen lag sie noch so da, und doch war kein Schlaf in ihre Augen gekommen und ohnmächtig war ihr kräftiger Körper auch nicht geworden!

Ludmille stand noch eine Weile still; als sie die Tante ihr Zimmer schließen hörte, lächelte sie wie mitleidig, aber es war kein Mitleid, was eben ihre Seele erfüllte! Dann nahm auch sie ihr Licht und ging leise, leise wie eine Katze über den Gang nach ihrem Zimmer, dessen Thüre sie offen gelassen. Albert mußte wohl schon schlafen, denn sein Licht war erloschen.

Sie schrieb die ganze Nacht, sie schlug Wilhelms Bitte ab, aber in einer Weise, daß er doch die Hoffnung nicht verlieren, die Liebe nicht besiegen konnte. Sie schrieb, wie es eine Frau von den mannigfaltigsten Erfahrungen nicht gekonnt hätte!

Wie es Kinder giebt mit alten Gesichtern, so giebt es auch Kinder mit alten Herzen!

Als Rosalie am andern Morgen den Brief Ludmillens erhielt, sagte sie zu ihrem Mädchen: »Hier habe ich durch Einschluß einen Brief an Doctor Rose bekommen – er ist jetzt zu seinen Kranken, lege ihn aber nur auf sein Zimmer.«

Da Rosalie selbst am Morgen Briefe bekommen, so konnte das Mädchen auch natürlich bei dem mütterlichen Verhältniß der Prinzeß zu Wilhelm nichts Auffallendes bei der Sache finden. Wilhelm aber wußte es sich natürlich nicht zu erklären, als er bei seiner Nachhausekunft Ludmillens Brief auf seinem Tische fand.

Mit welchem Beben las er ihn! Er war blaß vor Bewegung, als er ihn hinlegte, aber befriedigt leuchteten seine großen blauen Augen!

Ludmillens Weigerung kränkte ihn nicht, er hatte nichts anderes erwartet – wie konnte ein sechzehnjähriges Mädchen auf den ersten Vorschlag eines Mannes hin sich gleich entschließen, das Elternhaus heimlich zu verlassen! Er war nur froh, daß sie nicht zornig, nicht entrüstet, nein im Gegentheil liebend und sehnend und trauernd zu ihm sprach, trauernd, daß sie seinen Wunsch nicht gewähren könne. Nur Eines machte ihn stutzig, sie bedauerte nicht, daß er allein gehen werde, sie wünschte nicht, daß er bleiben solle; von seinem Bleiben und Gehen sprach sie überhaupt nicht – und ihr mußte dieser Gedanke doch so nahe liegen. Dies Eine in ihrem Briefe schmerzte ihn tief, wie überhaupt eine Zurückhaltung, eine Verstellung bei denen, die man liebt wie sich selbst, mehr schmerzt, als geradezu eine Härte, eine offene Ungerechtigkeit.

So sehr ihn dies aber im Augenblick verletzte, so geneigt war er auch es zu vergessen, da er es entschuldigend als eine Vergeßlichkeit der Aufregung ihres Herzens zuschrieb.

Als er seinen gewöhnlichen Morgenbesuch bei Rosalien abstatten wollte, wurde er abgewiesen. Sie habe die Nacht nicht geschlafen und schlummre jetzt etwas. Dies beunruhigte ihn, nicht daß er, wie Ludmille, sogleich an das Billet von gestern gedacht hätte, sondern weil er um Rosaliens Gesundheit besorgt war.

Später ließ ihn das Mädchen auch nicht vor: »die Fürstin schreibe.« Wilhelm drang aber beinahe mit Gewalt in das Zimmer. Als Rosalie ihn erblickte erhob sie sich und trat mit zornigem Antlitz ein paar Schritte zurück.

Wilhelm aber, nachdem er gesehen, daß das Mädchen das Zimmer verlassen, ging auf seine treueste Freundin zu und wollte ihre Hand ergreifen, aber sie bebte vor seiner Berührung wie vor der einer Viper zurück.

»Um Gotteswillen, was ist Ihnen, meine theuerste, beste, geliebteste Freundin?«

»Geliebteste! Spotten Sie? – das fehlte noch!«

Sie nannte ihn Sie, während sie immer sonst, wenn sie allein waren, das Du seiner Kindheit beibehalten. Das schmerzte ihn tief. Ihm ahnete, was sie erfahren, er wandte sich und ging ans Fenster und drückte seine falte Stirne an die glühenden, von der Nachmittagssonne bestrahlten Scheiben.

»Weißt Du es jetzt,« rief sie, nun wieder in den alten Ton ausbrechend, denn der furchtbare Zorn, der sich ihrer plötzlich bemächtigte, duldete keinen Zwang. »Weißt Du es nun, was mir ist? Ich habe erfahren, daß Du mich belogen und betrogen, mißbraucht und beschimpft hast!«

»Beschimpft!«

»Ja – ist denn das kein Schimpf, wenn Du meine Freundschaft für Dich zum Deckmantel und Schirm gebrauchst, um die Tochter des Hauses zu verführen?«

Er konnte zwischen ihrem Zornesausbruch wieder nur das einzige Wort »verführen« einschalten.

»Willst Du sie denn nicht verlocken, Dir nach Amerika zu folgen?«

Also der Inhalt seines Briefes an Ludmille war verrathen! Wer hatte das gethan, und war Rosalie die Einzige, die ihn kannte? Diese Frage war seinem verliebten Herzen wichtiger als aller Zorn der armen Rosalie; er konnte aber nur eine Antwort erlangen, wenn dieser Zorn gedämpft war.

Er kniete vor sie hin, er faltete die Hände und sagte ein Mal über das andere dringend und flehend: »Verzeihen Sie mir!« Seine großen blauen Augen hatten nie rührender sie angeblickt – und sie war großmüthig und er war ihrem Herzen das Liebste!

»Was kannst Du zu Deiner Vertheidigung anführen?«

»Nichts, meine zweite Mutter, nichts. Ich habe schändlich, unverantwortlich, abscheulich gegen Sie gehandelt – aber nur gegen Sie!«

»Und womit habe ich das verdient?« fragte Rosalie mit zitternder Stimme, indem zwei große Thränen aus ihren Augen fielen.

Das überwältigte Wilhelm wirklich und er war jetzt ganz aufrichtig in Reue aufgelöst, als er ein Ende ihres Gewandes erfaßte und es mit bebenden Lippen küßte, indem er flüsterte: »Weil Sie zu gut gegen mich waren!«

Rosaliens edler Zorn wurde von diesem einen Worte entwaffnet. Sie warf sich in ihren Sessel und sagte schmerzlich lächelnd: »Nun vertheidige Dich doch, ich will Dich ruhig ausreden lassen – Du mußt doch etwas zu Deinen Gunsten zu sagen wissen!«

»Nichts, als daß ich nicht den Muth hatte, ehrlich zu sein, was mein Herz betraf, wie ich es außerdem in allen Dingen mit Ihnen war.«

»Bin ich Deinem Herzen so fremd?«

Er antwortete nicht – er sah sie nur bittend und wehmüthig an, dann sagte er: »Ich bin noch nie verliebt gewesen, und ich glaube, ein Männerherz ist mehr erschrocken, wenn die Liebe in ihm einzieht, es staunt mehr über den neuen Gast, als das Herz einer Frau, weil er ihm fremder ist. So ein Weib steht mit ihrem schönen zarten Innern und ihrem schönen Aeußern ja der Liebe viel näher, ja sie ist nur dafür geschaffen; wir Männer sind in der Liebe wie die Bäume, wenn sie blühen, hartes Holz und weicher Duft; – es fehlt da das zarte, schützende Blatt, das die Knospe im Schooße empfängt, und das die Frauen, die Blumenbüsche im Lebensgarten, darüber breiten, weil die Blume ihr Höchstes ist. Bei uns erschrickt die Blüthe über die harte Rinde und die Rinde über die Blüthe, und keines weiß sich ins Andere zu finden.«

Wilhelm liebte die Gleichnisse und verlor sich leicht darin. Rosalie hatte ihm aufmerksam, wie immer, zugehört, ihr poetischer Sinn folgte selbst jetzt den Grübeleien ihres Lieblings.

»Ich hatte wirklich nicht den Muth, Ihnen von mei ner Liebe zu reden,« sagte er nun ruhiger durch seine Abschweifung – »hat es Ihre Nichte für mich gethan?«

Rosalie empfand, wie jede Frau, die Delicatesse seines Benehmens, die ihn statt »Ludmille« »Ihre Nichte« sagen ließ, und war ihm so dankbar, als habe er etwas Großes gethan. Sie sagte ohne Groll: »Ich habe gesehen, wie Du Ludmillen den Brief zustecktest.«

Wilhelm, der, wie leicht erklärlich ist, sich einbildete, Rosalie habe Ludmillen den Brief abverlangt und sei auf diese Weise zur Kenntniß des Inhalts gekommen, fragte nun nicht weiter, um seine Freundin nicht zu beschämen, und erfuhr so nicht, daß Ludmille ihn – zum Theil obendrein freiwillig – verrathen. Dadurch, daß er seine Freundin einer unedlen Handlung in seinem Inneren beschuldigte, wurde seine Geliebte frei von Fehl; welcher Mann würde nicht eben so denken?

»Wissen es – der Fürst und die Fürstin?«

»Niemand als ich!«

Wilhelm athmete auf. Rosalie aber fragte ernsthaft: »Willst Du sie aufgeben? – sie liebt Dich nicht.«

»Wenn ich dessen gewiß bin, will ich jeden Gedanken an sie begraben,« sagte aufrichtig der junge Mann.

»Hat sie Dir das heute nicht geschrieben in der Antwort, die ich zu Dir besorgte?«

Wilhelm besann sich einen Augenblick, dann sagte er zögernd: »Sie läßt mich das freilich errathen, aber ihr Brief ist so milde, daß ich noch nicht alle Hoffnung aufgeben kann.«

»Ich werde Dich überzeugen!«

»Thun Sie das,« sagte Wilhelm, und eben war er zum ersten Male in seinem Leben seiner Wohlthäterin gegenüber entschieden falsch. Rosalie ahnte etwas davon, denn es durchzuckte sie schmerzlich.

Sie bat ihn jetzt, sie zu verlassen.

Er stand auf, aber sie gab ihm nicht die Hand, wie gewöhnlich, und als er draußen war, fühlte sie sich kälter und einsamer als je.



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