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Sechstes Kapitel.


Der Winter trat seinen Rückzug an. Es gab bereits Tage, an denen es ganz warm und milde war. Der Prinz Waldheim war seit sechs Wochen nach Hause gereist. Herr von Stein hatte ein paar Mal an Alberts Vater geschrieben, um sich nach dem Befinden des jungen Mannes zu erkundigen, und immer gute Nachrichten erhalten.

An einem Tage, wo die Lüfte besonders mild und frühlingsartig wehten und der Geheimerath den ganzen Morgen auf das Anstrengendste gearbeitet, schlug er am Nachmittage seiner Tochter vor, den Kaffee draußen im Freien zu trinken und zwar in einem öffentlichen Garten, der, reizend gelegen, eine halbe Stunde vor der Stadt sich befand.

Agnes war darüber erfreut und mit dem fröhlichsten Gesichte hing sie sich an ihres Vaters Arm. Wenn die Beiden so zusammen gingen, wurden sie häufig für ein Ehepaar gehalten. Agnes mit ihrer großen, vollen Gestalt konnte für eine Frau gelten, wenn man den kindlichen Ausdruck ihres Gesichtes übersah; während des Geheimenraths schlanke und zierliche Gestalt ihn hingegen bei Weitem jünger erscheinen ließ, als er war. Seine lebhaften Augen, seine dunklen Haare, seine schönen Zähne erhöhten nur diesen Eindruck, und daß er ein paar tiefe Falten auf der Stirne hatte, gab ihm das Ansehn eines Denkers, ohne ihn deshalb zum alten Manne zu machen.

Agnes war lange nicht so fröhlich gewesen und auch ihr Vater hatte allen Actenstaub von sich geschüttelt, und indem er rasch mit seinem Kinde im Frühlingssonnenschein dahin schritt, schlug sein Herz beinahe so leicht wie das ihre.

Es war ihm unangenehm, als sie in der Nähe des Stadtthores seiner Schwägerin begegneten, die eben aus einem Hause trat.

»Wo wollt Ihr so eilig und fröhlich hin, Kinder? denn so seht Ihr Beide aus mit Eurem vergnügten Lächeln,« fragte Frau von Berlep.

»Wir wollen nach dem Westenhof, Tantchen, um dort den Kaffee zu nehmen. Willst Du mit?«

»Gern, gern. Ich dachte eben daran, Dich zu einem Spaziergange abzuholen, denn es ist Sünde, bei solchem Wetter zu Hause zu bleiben.«

Agnes löste etwas widerstrebend, aber doch freundlich ihre Tante anblickend ihren Arm aus dem ihres Vaters und ließ Frau von Berlep zwischen sie Beide treten.

Der Geheimerath, so unterhaltend er immer seine Schwägerin fand, konnte doch im Anfange nicht gleich den rechten Ton mit ihr finden, er hatte sich heute ganz besonders darauf gefreut, mit seinem Kinde allein zu sein.

Als sie auf dem Westenhof ankamen, auf wen traf zuerst ihr Auge? Auf Prinz Albert Waldheim; er saß da, rosenroth, wie er immer ausgesehen, eine Cigarre im Munde, den bestellten Kaffee erwartend. Als er die Ankommenden gewahrte, sprang er fröhlich auf und ihnen entgegen.

Dem Geheimenrath schüttelte er herzlich die Hände, die Damen versicherte er der Sehnsucht, die er gehabt, sie wieder zu sehen, kurz er war ganz der Alte. Er erwähnte seines Unfalls mit keinem Worte, wofür ihm Agnes innerlich den größten Dank wußte.

Er erzählte, daß er erst den Abend vorher angekommen und nicht hätte früher eintreffen können, trotz seinem Verlangen, die letzten Winterfreuden der Re sidenz zu genießen, weil er »regieren« müssen für seinen Vater, den ein Unwohlsein ans Bett gefesselt.

Agnes lachte.

»Lachen Sie nur, gnädiges Fräulein, Sie würden aber noch viel mehr gelacht haben, wenn Sie mich in meiner ernsten Amtsmiene auf dem Lehnstuhle meines Papas in Waldheim hätten sitzen sehen. Ich habe mich aber doch sehr gut aus der Affaire gezogen und der Kammerdirector war ganz entzückt von meiner Staatsweisheit.«

»Wohl dem Lande Waldheim, daß ihm die Regierung eines solchen Salomo bevorsteht,« scherzte Frau von Berlep.

Man nahm Platz, der Geheimerath mußte natürlich Albert einladen, mit ihnen zu trinken; man scherzte, nur Herr von Stein war nicht in seiner gewöhnlichen heitern Laune. Als bedächtigem Manne war ihm eingefallen, daß der Prinz mit ihnen sich nach Hause begeben werde; daß er selbst dann mit Frau von Berlep gehen müsse, während die beiden jungen Leute deshalb ebenfalls zusammen gehen würden und das war ihm höchst unangenehm. So ungestört und ungehört hatte Albert bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, sich eine volle Stunde lang mit seiner Angebeteten zu unterhalten; denn daß sie das noch immer war, blitzte dem jungen Manne aus den Augen. Dennoch konnte der Geheimerath nichts ändern – er konnte ja nicht die Lächerlichkeit begehen, den Arm seiner Tochter zu nehmen, und die beiden Fremden, die halb seine Gäste waren, zusammen gehen lassen. Was ihn noch besonders beängstigte, war, daß Agnes sich heute sehr lebhaft aufgeregt zeigte. Sie war schon durch ihre eigne Fröhlichkeit und die Freude am Sonnenschein ausgelassen, als sie hinausgingen. Daß nun Waldheim ihr mit seinem Blicke einen Vorwurf gemacht, was sie doch von ihm zu verdienen glaubte, so wie seine sich gleich gebliebene ritterliche Huldigung hatten diese Fröhlichkeit in eine Art Aufregung verwandelt, wie junge, lebhafte Menschen sie überhaupt häufig empfinden.

Waren nur wenige wohlwollende Freunde zugegen, dann konnte ihr Vater sich oft an ihrer gesteigerten Laune freuen. Er blickte dann mit väterlichem Stolze in ihr glühendes Antlitz und lauschte dem strömenden Redeschwall, der von ihrem begeisterten Munde tönte. Sie sprach dann aber immer, so wie auch heute, mehr und offener, als es ihr am andern Tage lieb war. In diese Aufregung, oder diesen Rausch, wie es ihre Tante nannte, konnte sie übrigens oft die kleinste, unbedeutendste Veranlassung versetzen.

Der Geheimerath zögerte mit dem Aufbruche, weil er immer hoffte, es werde noch Jemand kommen, irgend ein Herr seiner Bekanntschaft, in dessen Begleitung er dann um jeden Preis unter irgend einem Vorwand voraus gegangen sein würde, wodurch Frau von Berlep dem Paare als Dritte zugetheilt worden wäre.

Es kam aber Niemand, gar Niemand, nicht der bescheidenste Assessor, nicht der harmloseste Gensdarmerie-Lieutenant, und der Geheimerath trat mit einem tiefen Seufzer an der Seite der Frau von Berlep den Rückweg an.

Er bot ihr aber nicht den Arm, was er sonst immer that, damit der Prinz seiner Dame gegenüber nicht seinem Beispiel folge. Frau von Berlep bat ihn jedoch selbst darum, weil sie von der ungewohnten Frühlingsluft müde war. Er sah sich um, der Prinz hatte die Gelegenheit nicht benutzt oder – hatte Agnes ihm den Arm abgeschlagen?

Sie hatte das nicht nöthig gehabt, denn in Dingen dieser Art hatte Albert immer die größte Bescheidenheit ihr gegenüber beobachtet, so daß er beim Tanzen kaum ihre Fingerspitzen berührte. Aber es war für ihn die feinste Politik bei einem Mädchen wie Agnes, und diese Zurückhaltung nützte ihm mehr bei ihr als jede Zudringlichkeit.

Nachdem Waldheim und Agnes eine Zeit lang über ganz gleichgültige Gegenstände gesprochen, sagte er plötzlich: »Ihr Herr Vater und Ihre Frau Tante da vor uns sind eigentlich ein sehr passendes Paar – warum heirathen sie sich nicht?«

»Wie naiv, Prinz!

»Das ist mein alter Fehler; aber antworten Sie mir, bitte!«

»Ich habe nicht gewußt, daß Sie auch zu jener entsetzlichen Classe von Menschen gehören, die immer, wenn sie Zwei zusammen sehen, fragen: Warum heirathen die sich nicht?«

»Da ich nun aber einmal zu der entsetzlichen Classe gehöre?«

»Nun denn, ich weiß es nicht. Oder vielmehr, ich weiß, daß Beide überhaupt nicht mehr heirathen wollen.«

»Wegen Ihrer Tante frage ich Sie nicht, aber was ist der Grund Ihres Herrn Vaters?«

Agnes brach in ein lautes Gelächter aus, und ohne ein Wort zu sagen, stellte sie sich vor den Prinzen und sah ihm etwas spöttisch ins Gesicht.

»Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein!«

»Sie fragen mich nach dem Grunde, warum mein Vater nicht heirathet; ich meine, der Grund wäre groß und deutlich genug, daß Sie ihn längst hätten gewahren können; da dies aber nicht der Fall zu sein scheint, so habe ich ihn vor Sie hingestellt.«

»Sie selbst?«

»Ist das nicht sehr natürlich?«

»Das ist es freilich!«

»Was sagen Sie?« fragte Agnes, die vorwärts eilte, weil sie hinter ihrem Vater etwas zurückgeblieben war, und deshalb den Prinzen nicht verstanden.

»Ich sage, daß ich diesen Grund sehr natürlich finde. Aber wenn Sie selbst sich verheirathen?«

»Bester Prinz! Sie sind mein Freund, nicht wahr?«

Waldheim, nachdem er sie einen Augenblick überrascht angesehen, neigte sein glühendes Antlitz und legte die Hand betheuernd auf seine Brust.

»Nun wohl,« fuhr Agnes fort, »so thun Sie mir den Gefallen und sprechen Sie nicht von meiner Verheirathung! Von seinen Freunden,« sie betonte besonders dies Wort, »kann man verlangen, daß sie uns widerwärtige Thema's nicht berühren. Dies Thema ist mir unangenehm – also, Sie sprechen nie mehr davon?«

Sie sah dem Prinzen freundlich, offen fragend in die Augen; sie war nicht ruhig, denn ihre Lippen zit terten und ihr Athem flog, aber sie war offenbar in freudiger und aufrichtiger Stimmung.

Albert fixirte sie nur ganz kurze Zeit, dann stieg ihm das Blut bis in die Stirne – er war verlegen, aber er faßte sich und sagte leise: »Ihre Wünsche sind mir Befehle.«

Sie sprach nun lebhaft von andern Dingen. Sie war noch immer in derselben fieberhaften Lebhaftigkeit. Sie freute sich innerlich kindisch, daß sie endlich ihrem Herzen Genüge gethan und ihm gesagt, was sie beängstigt. Sie war stolz und glücklich über ihre, wie sie meinte, vortreffliche That.

Daß er sie verstanden, das bewies ihr seine Verstimmung, sein schweigsames Wesen, welches mit seinem gewöhnlichen Benehmen so sehr im Widerspruche stand. Sie wußte jetzt, daß es ihm deutlich sei, daß sie eine Heirath mit ihm nicht wünsche und seine Huldigung nur als einen Beweis von Freundschaft aufnehme und durch Freundschaft erwiedern wolle. Sie war überzeugt, daß ihm deutlich sei, wie sie ihm nicht zürne, daß er nicht als Freier komme, ja daß sie es ihm sogar verwehre, und deshalb triumphirte sie in ihrem Mädchenstolze.

An seinen Mannesstolz dachte sie nicht, sie dachte nicht, daß dieser Mannesstolz ihn erinnern werde an die Fabel vom Fuchs, dem »die Trauben zu sauer sind«, sie dachte nicht an das französische Sprichwort: Qui s'excuse s'accuse; kurz sie dachte nur daran, daß er eben ihr stolzes Wort verstanden und empfindlich davon berührt worden, aber nicht, daß morgen auch ein Tag des Stolzes für ihn kommen konnte.

Als man am Hause des Geheimenraths angekommen, war es schon dunkel; Frau von Berlep ging mit hinauf, um den Thee zu trinken, der Prinz wurde ohne Einladung an der Thüre entlassen. Er grüßte aber freundlich wie immer, nur zuletzt hing sein Blick traurig und vorwurfsvoll an Agnes' Auge.

Oben im Zimmer sagte Emma: »Was hast Du dem armen Jungen gethan?«

»Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn recht gern als Freund betrachten will, weil er nicht die Thorheit oder Herablassung hat, wie andere Männer Heirathsgedanken zu hegen!« sagte sie ganz stolz und siegestrunken.

»Agnes, Agnes, ich fürchte, Du führst diesen Operationsplan nicht durch, Deine Offenheit und Ehrlichkeit machen, wie einmal die Gesellschaft beschaffen ist, entschieden Fiasco, und wer nicht mit den Wölfen heulen oder falsch sein will, wie es Alle und Alle sind, muß eine andere große Kunst erlernen, die Kunst zu schweigen – besonders wir Frauen!«

»Das kann ich nicht, und werde es nie und nimmer lernen. Ich werde immer reden wie es mir um's Herz ist!«

Und dabei hing sie sich an den Hals ihres Vaters und sang leise:

Was kümmert mich der Menschen eitles Treiben,
Die fremd mir waren und die fremd mir sind;
Ich will das Eine nur auf Erden bleiben,
Dein einziges, Dein dankbar treues Kind.

Der Geheimerath küßte sie auf die Stirne, Frau von Berlep ging ans Fenster und sah in die Nacht hinaus.

»Da drüben steht er wahrhaftig!« rief sie mit einem Male.

»Wer?«

»Waldheim! Ist das nun nicht rührend? Während Ihr ihn nicht einmal zu einer Tasse Thee gebeten, hält er auf der Straße nächtliche Wacht!«

»Das thut er öfter,« sagte Agnes' Vater mit finsterer Miene, »ich habe ihn früher nur zu oft da drüben an der Mauer gewahrt!«

»Wußtest Du es, Agnes?« fragte Emma.

Agnes lachte. »Das ist ja gar nichts, an einem schönen Abend, wenn man nichts Besseres zu thun hat, auf und ab gehen unter den Fenstern eines jungen Mädchens, dem man um jeden Preis glauben machen möchte, daß man es sterblich liebt, sterblich bis zum letzten; denn beim Stammbaum geht die Unsterblichkeit an.«

»Du bist bitter, Agnes!«

»Nein, das bin ich nicht. Und wenn ich es werde, so seid ihr daran schuld, weil Ihr mich quält! Ja, Du und der Vater, Ihr gebt mir immer zu verstehen, es könne aus diesen leichtsinnigen Huldigungen Wunder was für ein Unglück für mich entstehen; was meint Ihr denn, was geschehen könnte?«

Als Beide schwiegen, stand sie auf. Ihre Wangen glühten, ihr Mund zuckte und ihre Stimme war tief und vibrirend. »O, ich weiß es wohl, was Ihr meint! Ihr meint, ich werde wie ein einfältiges Kind mich in den schmucken Prinzen verlieben und mich grämen und sehnen! Das aber« – und sie wurde wieder blaß wie der Tod und ihre Stimme war ruhig – »das aber werdet Ihr nicht erleben, so wahr ich Agnes heiße und meiner Mutter Tochter bin – das – um keinen Mann in der Welt!«



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