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Einundzwanzigstes Kapitel

Als Heinke Boje an diesem Pfingstabend in den Kastaniengang zurückkam und, noch ganz in Sinnen, die Diele betrat und ihre Jacke auszog, hörte sie von der Giebelstube herunter einen bekannten Schritt. Die Jacke noch halb an, horchte sie erstaunt. Da ging auch schon die Tür.

»Ich bin da!« rief er fröhlich von oben herunter.

»Was wollen Sie denn schon?!« sagte sie ganz verblüfft.

»Ach,« sagte er und setzte sich oben auf die Treppe; »ich habe mich mit meinen Alten erzürnt. Sie sagten zuletzt: ›Mach, daß du wieder nach Hilligenlei kommst.‹«

Sie stand da, die Jacke noch immer halb an, merkte, daß er log, und verlangte eine Antwort »auf Ehr' und Gewissen«. Aber er blieb dabei, seine Eltern hätten ihn weggeschickt. »Ich war so kopfhängerisch und trübselig. Da sagten sie: ›Wir danken für solchen Pfingstgast; geh hin, woher du gekommen bist.‹ Da bin ich so gefahren, daß ich hier gerade zur Kaffeezeit ankam.«

Sie lachte. »Nun lassen Sie man Ihr Reden,« sagte sie. »Es ist ja alles Unsinn. Ich komme mit dem Kaffee.«

Sie zog die Jacke aus, bereitete unter leisem Singen – obwohl sie gar nicht singen konnte – den Kaffee und kam dann zu ihm in die Stube.

Als sie dann wieder neben ihm über seinen Bildern lag, da kam das köstliche, feiertägige Behagen wieder über sie, und sie dachte: ›Kai Jans ist ein lieber, stolzer Mann, ein Held, und der Beste auf der Welt; aber sein Blut ist so schwer und seine Grübeleien so todernst. Ich glaube, ich würde mich fürchten, und mich nach Erlösung sehnen, wenn ich mit ihm zusammen hausen sollte. Ich würde nie heiter lachen können; ich würde denken: was entsteht nun heute in seinem Kopf? Und ich glaube, ich würde unsere Kinder ängstlich ansehen, ob sie viel von ihm hätten ... Aber dieser ist lieb und ernst zugleich, klug und heiter in einem Atem; er ist wie ein frischer, windiger Frühlingstag und paßt zu mir ernstem, steifem Menschenkind.‹

Und sie fing an, sich mit ihm zu streiten und zu lachen, und sie fingen an, sich wieder »du« zu nennen; und sie sagte: »Wenn du dich nicht besser benimmst, wirst du auch hier hinaus geworfen.«

Dann machten sie ab, daß sie am andern Morgen, als am ersten Pfingsttag, in aller Frühe zusammen einen Spaziergang machen wollten.

»Gegen zehn Uhr muß ich wieder hier sein,« sagte sie, »und Essen kochen.«

»Wie weit wir gehen und wohin, ist gleichgültig. Wir bleiben, wo es uns gefällt, und sind um zehn wieder zu Haus.«

Als er im Eifer des Plänemachens in seiner gewohnten Weise seinen Arm in den ihren schob und seine Hand auf die ihre legte, kehrte sie, in ihrer Freude an seiner köstlichen Freundlichkeit, ihre Hand um, daß er sie ordentlich anfassen konnte und sagte: »Ich freu' mich, daß du wieder da bist, Peterlein.«

Da griff er rasch ihre Hand und schüttelte sie und sagte, wie zur Besiegelung der guten Freundschaft: »Es ist zu gemütlich, mit dir zusammen zu sein.«

Da verwirrten sich ihre Augen: »Du bist gut mit mir,« sagte sie und nahm ein Bild auf. Aber sie legte es gleich wieder hin, sah nicht auf und sagte: »Ich habe nun den ganzen Abend im Hausstand zu tun, damit Mutter morgen früh keine Mühe hat, wenn ich fort bin. Darum muß ich nun gehn.«

Da ging sie am Abend, nachdem sie tüchtig gearbeitet hatte, zu Bett, und lag eine Zeitlang und kam mit ihren Gedanken zu Kai Jans. ›Nein,‹ dachte sie, ›so lieb ich ihn habe, ich möchte ihn doch nicht zum Manne. Er ist mir zu ernst, zu unruhig, und zu unheimlich.‹ Aber als sie dann dachte, daß der andere sie vielleicht morgen küssen würde, und daß es dann aus und vorbei wäre mit der alten, lieben, heimlichen Hoffnung, daß sie jemals die Frau von Kai Jans würde, warf sie sich plötzlich mit Gewalt auf die Seite und weinte im großen Jammer. »Ich habe ihn so schrecklich lieb; ich habe ihn so lieb.« So war sie eine Stunde lang in großer Not und weinte und grübelte und dachte an den andern, daß er ein lieber, feiner Junge wäre, und sie ihn sehr, sehr lieb hätte, aber er wäre noch kein rechter Mann. Und glaubte, daß sie niemals glücklich würde.

Vor Morgengrauen stand sie schon auf, kleidete sich flink und flüchtig an, und ging leise die Treppe hinauf, ihn zu wecken. Aber als sie klopfte, machte er die Tür schon auf und sagte: »Bleib einen Augenblick, du! Ich komme gleich.« Und kümmerte sich gar nicht darum, daß er in Hemdsärmeln war. Da saß sie solange auf der Tischkante und sah leise lachend zu, wie er den Verbaasten spielte, unruhig in der Stube hin und her fuhr, und dies und das suchte, während er sonst immer von einer gleichmäßigen, wachen Ruhe war.

Dann schlichen sie die Treppe hinunter, die Mutter nicht zu wecken. Und dann hinaus.

Es war noch ganz dunkel und lichtlos; die Luft war noch ganz still. Die Häuser am Burggraben standen stumm und verschlafen in Reih und Glied; davor, in ihren grünen Mänteln, mit ihren hellen Kerzen in den Händen, die hohen Kastanien. Sie standen lautlos still und ließen die beiden jungen Menschen an sich vorübergehen. Die gingen schweigend nebeneinander, mit gesenkten Köpfen, der Mann leicht und ruhig, als wie in einen schönen Tag und in ein tätiges, munteres Leben hinein; das Mädchen ein wenig schwerer nach Frauenweise. Hinter ihnen rührten sich alle Kastanien im ersten Morgenwind.

Als sie die Stadt hinter sich hatten und im schwarzgrauen Schatten der Dornhecke gingen, die an der Straße entlang lief, faßte er sie an der Hand und schlenkerte die Hand hin und her und pfiff dazu. Bald aber wurde ihm das zu eintönig, er zog seinen Arm durch den ihren und ging so wie ein jüngerer Bruder neben seiner Schwester. »Wie lange sind wir jetzt bekannt miteinander?« fragte er. »Mir ist, als kennte ich dich sieben Jahre.«

»Länger schon!« sagte sie.

»Komm, wir wollen diesen schmalen Feldweg hinauf gehen. Es ist einerlei, wo wir gehen.«

»Ganz einerlei.«

Sie gingen in lautlosem Schweigen den schmalen, dunkeln Weg. Vor ihnen fing ein kleiner Vogel an, leise zu singen, zwei, drei schüchterne Töne; nun schwieg er wieder.

»Du, Heinke,« sagte er beklommen, »sag' etwas.«

»Was soll ich sagen?«

»Etwas Liebes; ich habe dir soviel Liebes gesagt ... Du, ... Heinke.«

»Du bist neunmal klüger als ich, Peterlein. Das hast du oft behauptet. Wenn du etwas weißt, sag' du etwas.«

»Ich wollte wohl etwas sagen; aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, und ich weiß auch nicht, ob du es hören magst.«

Da gingen sie wieder in Schweigen nebeneinander, beide in bangen, unruhigen, beklommenen Wünschen. Der Morgenwind kam ihnen von der freien Höhe herab entgegen.

Da lag auf der Höhe, nicht weit vom Weg, auf dämmergrauem, hohem Feld, ein mächtiges Hünengrab.

»Sieh,« sagte er, »da oben, von dem Grab aus könnten wir das ganze Land, nach Morgen hin, übersehen. Was meinst du: wollen wir da auf die Sonne warten? Sieh, über Volkmersdorf liegt schon ein heller Schein.«

»Ich möchte lieber so weiter gehen,« sagte sie, »immerzu.«

»Nein,« sagte er. »Komm; wir wollen dahin gehn und auf die Sonne warten ... Weißt du was ... Du sollst die Herrlichkeit ganz plötzlich sehn ... Ach bitte ... Ich binde dir die Augen zu ...«

Sie wollte nicht und riß ihm das Taschentuch aus der Hand und war traurig, weil sie meinte, dies ganze köstliche Zusammensein ginge auf eine Schelmerei und Narretei hinaus. Er aber fürchtete nur ihre klaren, ruhigen Augen.

Er bat sie aber mit solchem Ernst und mit solch freundlicher Anmut, daß sie es verwirrt zugab. Er verband ihr die Augen und sie ging an seiner Hand.

»Meine Füße werden ganz naß,« sagte sie; »so lang und feucht ist das Gras.«

»Ach,« sagte er leise, »rede doch nicht davon.«

»Was hast du für eine merkwürdige Stimme, Peterlein?«

»Es ist auch keine Kleinigkeit,« sagte er.

»Was ist keine Kleinigkeit?« sagte sie leise.

»Du solltest sehen, was ich sehe: Wir sind zu früh hierher gekommen; dies Feld gehört noch ganz und gar der dunklen Nacht.«

»So ... nun sind meine Füße durchnaß.«

»Ach, Heinke Boje,« sagte er leise, »rede nicht von deinen Füßen! Sieh lieber zu, daß du deine Seele nicht erkältest.«

»Was hast du für eine merkwürdige Stimme, Peterlein?«

»Du solltest sehen, was ich sehe. Links und rechts von dem alten Heidegrab stehen viele starke Männer in altbraunem, kurzem Gewebe, die Füße in rauhem Fellwerk.«

»Geh nur ruhig weiter,« sagte sie leise lachend; »ich bin nicht bange. Es sind gewiß meine Vorfahren. Ich bin aus altem hiesigem Geschlecht.«

»Da kommt einer näher,« sagte er leise. »Ein schmucker, junger Mensch. Ich glaube ... du, Heinke ... ich glaube, der will dich küssen ... Heinke.«

Sie stand still und sagte schwerer atmend: »Wenn er jung und schmuck ist, laß ihn.«

Da fühlte sie eine Hand in ihrem Haar und frische Lippen auf ihrem Mund.

»Wir hätten warten müssen, bis es heller Tag war; ich mache mir Vorwürfe, Heinke. Nun hat ein fremder Mann dich geküßt.«

Sie gingen schweigend weiter. Als sie die Höhe erstiegen hatten, legte er den Arm um ihre Hüfte. »Nun kommt da wieder einer,« sagte er leise. »Was soll ich tun, Heinke? Soll ich ihn niederschlagen oder soll er dich küssen?«

»Ist er schmuck gebaut?« sagte sie leise lachend.

»Ein bißchen fein,« sagte er; »aber kräftig.«

»Noch ein wenig jungenhaft?« sagte sie.

»O bewahre! Ein ganzer Mann!«

»Was hat er für ein Gesicht? Noch ein wenig jungenhaft?«

»O bewahre, fein und männlich.«

»Denn kann er mich küssen.«

Da fühlte sie wieder rasche, scheue Lippen auf ihrem Mund.

»Schmeckt es gut?« sagte er leise; seine Stimme war sehr beklommen.

»Es tut mir leid, Peterlein,« sagte sie leise und traurig, »daß du duldest, daß fremde Männer mich küssen.«

Da umfaßte er sie und drückte seinen Kopf gegen ihre Schultern und sagte: »Heinke ... Heinke! ... ich habe dich so lieb.«

Da nahm sie sich die Binde ab. Und sie lösten sich voneinander und sahen schweigend über das Feld nach der fernen, schmalen Waldlinie, über der eine breite, dunkelblaue Wolkenbank stand. Und die Sonne, noch nicht sichtbar, hob ihre Hände und legte ihre Waffen auf die Bank: ein langes, blitzendes Schwert und einen Speer, noch einmal so lang. Überweltlich feierlich lagen die schimmernden Waffen auf der dunkelblauen Bank. Nun kletterte sie höher; nun erschien der Rand ihres goldenen Schildes. Machtvoll stand er über dem Wald. Licht schoß von ihm aus, goldrot durch blaues Gewölk, bis zur Himmelshöhe. Darunter lag still und weit das Land im Gottesfrieden. Sie standen und sahen hinüber.

Dann gingen sie in Schweigen nach dem stillen Weg zurück und verließen auf ihm die Höhen und kamen in ein ebenes, grünes Feld, das in der Morgensonne lag.

In Sinnen, die Augen hier und da, nur nicht in des andern Augen, gingen sie dahin, sie schweigend, er leise vor sich hinsummend. So gelangten sie nach einer guten Viertelstunde auf eine kleine Erhöhung, die in das niedrige grüne Feld vorsprang. Auf dieser Erhöhung hatte vor Jahrhunderten, als das niedrige grüne Feld noch eine sumpfige Meerbucht gewesen war, ein fürstliches Blockhaus gestanden, die Bauern zu zwingen. Die hatten es im wilden Kampf erstürmt und verbrannt. Nun war von der ganzen Festung nichts mehr da, als die grüne, sanfte Höhe, von jungen Eichen bestanden. Am grünen Abhang, wo eine leichte Mulde im Boden den Festungsgraben bezeichnete, standen Frühlingsblumen.

Da setzten sie sich am Abhang in die Sonne ins bunte Gras.

Und Heinke Boje legte die Hand um das eine Knie und sah unbeweglich mit ruhevollen Augen über die grüne Ebene zu den sanften Höhen, von denen sie gekommen waren, und nach dem dicken Turm von Hilligenlei, der eben darüber wegragte. Peter Volquardsen aber pflückte die Blumen, soweit er sie im Sitzen ergreifen konnte, und warf sie ihr in den Schoß und sah jedesmal, wenn er eine Blume hineinwarf, fragend nach ihrem Gesicht. Sie aber rührte sich nicht. Das dauerte eine ziemliche Weile.

Da meinte sie, das Schweigen hätte lange genug gewährt, und nahm wie in Gedanken eine von den Blumen und drückte sie gegen ihren Mund und sah in den weiten Himmel hinein und sagte: »Ist mein Mund gelb geworden?«

»Ganz gelb,« sagte er.

»Macht nichts,« sagte sie und warf sich längelang ins Gras und schloß die Augen.

Da nahm er sich ein Herz und kam herangekrochen und küßte sie.

Sie dachte erst: ›So will ich lange liegen bleiben.‹ Aber dann schlug die Liebe über sie zusammen und sie machte die Augen auf und legte mit einer rührenden Gebärde beide Hände um seinen Kopf.

Nun sahen sie sich in die ernsten Augen.

»Wie bist du schön,« sagte er erschüttert.

»Ich kann mich nicht satt sehn,« sagte sie.

»Lieg ganz still und sag' nichts.«

»Du lieber Mensch! Wie lieb bist du.«

So lagen sie lange, und staunten sich an und küßten sich zuweilen vorsichtig und fast feierlich.

Dann standen sie auf und gingen Hand in Hand auf den Heimweg, meistens stumm; aber sie sahen sich nun an beim Gehen, schweigend, mit klaren Augen; und hatten sich an den Händen.

Als sie wieder in dem engen Heckenweg waren, umfaßte er sie und küßte sie. Ihre Wangen waren rot und ihre dunkelgrauen Augen leuchteten. »Du bist doch ein Mann,« sagte sie glücklich lächelnd. »Sei nicht böse; ich habe es ja immer gewußt. – So, nun laß mich los. Du meinst, die Welt gehört heute morgen dir ganz allein; es kommen leicht andre Leute auf die Höhen.«

Da machten sie im Weitergehen ab, daß sie es ganz geheim halten wollten bis zum Herbst, damit sie wie bisher ungestört beieinander wohnen bleiben könnten. Nur der Mutter und seinen Eltern wollten sie es ganz heimlich sagen.

Als sie im Hause ankamen, brachte sie ihn bis zur Treppe. Als er ihr da die Hand reichte – er stand schon auf der Stufe – fragte sie ihn mit einem schweren Ernst in Wort und Gebärde: »Hast du mich nun lieb?«

Er sagte nichts weiter als »Ja ... du! ...« aber er sah sie mit so heißer und treuer Liebe an, daß sie wie mit Segen und Glück überschüttet zurücktrat. Ihre Hände trennten sich schwer.

Dann ging sie in die Küche und bereitete das Mittagessen und dachte bei der Arbeit: ›Wenn ich es nun bloß erst gesagt hätte!‹ und hoffte, daß die Mutter einmal herauskäme, da es in der Küche so schön dunkel war. Aber die kam nicht. ›Na,‹ dachte sie, ›er sitzt da oben auch in Not. Nun schreibt er an seine Eltern.‹

Da mußte sie zuletzt mit dem Tischzeug in die Stube gehen und decken.

Die Mutter saß und strickte Winterstrümpfe für Hett und sah nicht auf. Wenn sie doch wenigstens fragen wollte, wie der Spaziergang verlaufen war ...

Da fing sie an mit mehr Geräusch zu decken.

Nun sah die Mutter auf. »Was machst du denn, Kind? Du deckst ja für drei? Wer ist denn da?«

»Ja ...« sagte sie, »er hat so gebettelt: er will heute gern mit uns essen.«

»So? Hast du denn was Rechtes?«

»Er wird sich schon nichts merken lassen ... er ... er will immer mit mir essen.«

»Kind ...«

»Ja, Mutter, wir ... er hat es mir gesagt ... Was weinst du nun, Mutter?«

»Ach, Kind ... laß mich weinen ... ich weiß nicht.«

»Wir wollen aber mit der Hochzeit noch warten. Wenigstens noch zwei Jahre ... Das ist mir auch recht.«

»Wissen denn seine Eltern es?«

»Sie wissen es nicht; aber sie ahnen es. Sie haben nichts dagegen.«

»Geht es denn, daß er bei uns bleibt?«

»Bis zum Herbst wenigstens ... Und das bitte ich dich, Mutter, daß kein Mensch es erfährt, nicht einmal Anna, und daß du nichts dagegen hast, daß ich in alter Weise zu ihm hinaufgehe, jeden Tag die halbe Stunde. Wir sind beide verständige Menschen und wissen selbst, was wir tun und lassen wollen. Sonst kann ich es nicht aushalten ...«

So brachte sie ihm nun in alter Weise den Kaffee hinauf.

Aber es war nun doch eine andere Sache. Eine ganz andere Sache.

Der Kaffee blieb ungetrunken und die Bilder unbesehen. Sie hatten das schönste Bild einer am andern. Er saß vor seinem Arbeitstisch und beugte sich zu ihr nieder, die vor ihm kniete, und strich ihr das Haar und küßte sie, und sagte ihr wieder und wieder, wie lieb er sie hätte; und sie sah aufmerksam mit ihren klaren Augen zu ihm auf und hörte zu. Dann zog er sie zu sich empor und sie saß auf seinem Schoß. Und wenn sie da saß, wehrte sie ihm nicht, wenn er sich an ihren jungen Gliedern freute. Sie wehrte ihm nicht. Sie bat nur leise: »Du mußt verständig sein.«

Da freute er sich, daß er sich ein so schönes und auch sinnliches Weib gewonnen, und neckte sie: »Deine Schwester und du ... Ihr seid wahrhaftig großartige, hochmütige Mädchen. Es wagte sich keiner an euch heran. Als der gewaltige Lau um deine Schwester warb, zitterte er an allen Gliedern ... Wahrhaftig ... das hat er mir selbst erzählt! Aber ich ... ich ... ach ... spielend!! Und ich bin ein Junge ..., Peterlein, du bist ein Junge!«

Da warf sie sich gegen ihn: »Du bist kein Junge; du bist mein lieber Mann.«

Sie kümmerte sich in diesem Sommer um nichts.

Tjark Dusenschön war im höchsten Flor. Er kaufte das Grundstück neben dem Schuppen und ließ zu einem großen, massiven Fabrikgebäude Riß und Kostenanschlag machen. Anna klagte ihr, daß Pe Ontjes immer mehr in das Fahrwasser von Dusenschön käme, der behaupte, die Gradlegung des Hafenstroms werde in spätestens drei Jahren in Angriff genommen; das wisse er. Anna sah still und fast vergrämt vor sich hin. »Pe Ontjes läßt sich beschwatzen,« sagte sie; »das ist schlimm für unsere und unseres Kindes Zukunft; aber am schlimmsten ist es für mich.«

»Wie meinst du das?«

Da sah Anna Boje mit großen, starren Augen vor sich hin: »Weil ich ihn nicht mehr achten kann.«

Kai Jans schrieb aus Berlin, daß er zwar angefangen hätte, an seinem Buch zu arbeiten. Aber die viele Einzelnot, die er täglich so dicht bei sich und rund um sich sähe, hielte ihn zurück, daß er fröhlich und frei ins Weite sehen und denken könnte. Es würde nie etwas aus ihm; er wüßte nicht, wo es mit ihm hinausliefe. Zuweilen habe er Neigung, mit seinem Freunde eine Studienreise zu machen, die nach Südafrika gehen sollte. Vielleicht daß er in dem weiten, sonnigen, fremden Land, auf dieser jahrelangen, mühseligen Reise ein Reifer und Ruhiger werde.

Sie brachte den Brief in die Giebelstube hinauf und zeigte ihn, wie sie auch all die andern Briefe gezeigt hatte. »Der arme, liebe Mensch,« sagte sie, und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Er ist immer so gut mit mir gewesen, von meiner Kindheit an; ich habe ihm soviel zu danken. Daß er doch gar keine Freude am Leben hat, und daß ich ihm gar nicht helfen kann.«

»Hast du ihm geschrieben, daß du verlobt bist?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein ... ich will es ihm lieber sagen ... Ich weiß nicht, wie er es aufnehmen wird. Früher ... ach, ich glaube, von meiner Kindheit an, habe ich oft heimlich gedacht, daß ich einmal seine Frau würde ... Der liebe, gute Mensch! Wenn er doch eine Liebe fände; vielleicht würde das ihm helfen! Aber was muß das für ein feines, kluges, schönes und starkes Menschenkind sein!«

»Nun ... sei nicht traurig ... es wird wohl noch alles gut werden ... komm her, Heinke Boje ... Sei lieb.«

Im Juli wurde Annas Kleiner ein wenig krank und Mutter Boje blieb einige Abende dort und saß bei dem Kind. Da aßen die beiden heimlich oben in der Giebelstube. Sie saßen an einem viereckigen Tisch einander gegenüber und er sagte: »Meine Frau,« und tat, als wenn an den beiden andern Seiten des Tisches je ein Kind saß. Sie schalt und lachte, und saß dann wieder auf seinem Schoß und wehrte ihm nicht.

An einem solchen Abend war es, daß er ihr Haar losgemacht hatte und sie lange in süßer Bewunderung ansah. Da faßte er sie fest an beiden Armen und hatte heiße, ernste Augen und sagte mit gepreßter Stimme: »Es ist nicht gut für uns beide, Heinke ..., daß wir noch jahrelang mit der Hochzeit warten.«

Sie sah ihn aus dunklen Augen an. »Ich glaube auch, Peterlein ... es ist nicht gut.«

»Wenn du ganz sparsam sein willst, und ganz einfach und still mit mir leben willst, dann könnten wir wohl im Frühjahr Hochzeit machen.«

Sie spielte mit seiner Uhrkette und sah nieder. »Schrecklich gern wollte ich das ... Sieh ... du! ... Alt genug bin ich ja. Ich bin zweiundzwanzig ... Du bist an allem schuld, Peterlein. Ich war ein so ruhiges, kluges Mädchen.«

Da machten sie ab, daß sie um Frühjahrsanfang Hochzeit machen wollten.

Da wurden sie ein wenig ruhiger, sprachen viel von der kleinen Aussteuer und wie sie sich einrichten wollten; und wurden auch einig, wie die ersten beiden Kinder heißen sollten.

So wurde Heinke Boje in diesen drei Sommermonaten ein Weib und vergaß Kai Jans.


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