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Viertes Kapitel

Der Lehrer der Hafenschule muß ein gewissenhafter Mann sein; denn die Schulstunden richten sich nach Ebbe und Flut, damit die Kinder der Schiffer und Wattfischer ihren Eltern bei der Arbeit zur Hand gehen können. Und ein Starker muß er sein; denn die Jungen kommen barfuß oder in klappernden Pantoffeln oder in schweren Stiefeln, dazu in englisch-ledernen Büren und Hemdsärmeln, und haben rauhe und laute Stimmen und widerspenstige Köpfe.

Es war ein heißer Sommernachmittag. Die Jungen lagen in Hemdsärmeln schräg und faul auf den Tischen und taten, als wären sie mit ganzer Seele bei der Schreibarbeit; die Mädchen hoben dann und wann das Schreibheft und fächelten sich damit. Mars Wiebers, auch in Hemdsärmeln, saß breit hinterm Pult; sein starkes Haupt, von brandrotem Haarwerk ganz umgeben, lehnte gegen die schwarze Holztafel, die hinter ihm an der Wand hing. Er kam immer wieder in Versuchung, an die gemütliche Kaffeestunde zu denken, die er nach der Schulzeit mit seiner Frau in der Lindenlaube halten würde; aber er bezwang die Versuchung, indem er ihr immer wieder mit neuen Bibelworten entgegentrat. »Laßt uns wirken, so lange es Tag ist,« murmelte er und beugte den großen Kopf ein wenig und griff nach dem Rotstift und einem neuen Aufsatzheft. Nach einer Weile erschien das Gesicht seiner Frau am Ende des Ganges in der Türspalte: »Es ist so heiß,« sagte sie ... »Das Weib schweige in der Gemeinde,« sagte er rasch und leise und schüttelte die Mähne. Da ging auch diese Versuchung vorüber.

Da stand Pe Ontjes auf, der oberste auf der Jungsseite, und sagte mit seiner rauhen, männlichen Stimme: »Wir sollen die Aufsätze heute wieder bekommen.« Es war nicht so, daß Pe Ontjes neugierig war, sein Aufsatzheft wieder zu sehen; er wollte nur etwas Leben um sich sehen.

Mars Wiebers, der eine unbewußte Neigung hatte, das zu tun, was Pe Ontjes mit ruhiger Sicherheit vorschlug, griff in den großen Stapel blauer Hefte und sagte mit seiner dröhnigen Stimme: »Das Thema war: Die Geschichte eines Wassertropfens ... Die Geschichte eines Wassertropfens ... Ich hatte gesagt, daß der Wassertropfen mit der Flut hereinkommen und berichten sollte, was er in der Hilligenleier Bucht sieht, und daß er hier am Hafen verdunsten und als Nebel aufsteigen, und wie er dann wieder als Regentropfen niederfallen, und wie er zuletzt die Hafenstraße hinunter wieder ins Meer fließen sollte. Ihr Lümmel solltet in der Arbeit zeigen, daß ihr wißt, wie Wolken und Regen entstehen. So! ... Nun ist hier das Heft von Kai Jans! ... Kai Jans! ... Der Junge ist ganz merkwürdig zusammengesetzt! Zuweilen ist er der klügste in der Schule und zuweilen der allerallerdümmste ... Wenn man ihn nach dem Mond fragt, so weiß er, was für Menschen da wohnen und wer ihnen die Stiefel versohlt; aber wenn man ihn mit der Nase in einen Dornbusch stößt, weiß er nicht, was es ist ... Laß das dumme Lachen, Pe Ontjes.«

Mars Wiebers nahm mit zwei spitzen Fingern die Brille vom Pult und setzte sie auf und griff nach dem Heft, um vorzulesen. Da erhob sich Kai Jans auf der dritten Bank, ganz ängstlich, mit heißflehenden Augen.

»Was willst du?«

Er machte den Mund auf, sagte aber nichts und setzte sich wieder.

»Der Regentropfen verdunstet also im Hafenstrom und steigt auf. ›Nun wehte aber ein furchtbarer Westwind. Dieser trieb die Wolke, in welcher sich der Tropfen befand, viele tausend Meilen weit nach Osten. Als er über Petersburg kam, sah er den Kaiser von Rußland, der fuhr mit seiner Frau in einer goldenen Kutsche. Er fuhr ebenso rasch wie die Wolke und fuhr immer nach Osten zu. Da kamen sie nach Sibirien. Da sah der Regentropfen, daß der Kaiser alle Gefangenen freigab. Nun flog der Tropfen weiter und kam nach China. Und da kam ein Regenwetter und riß den Tropfen mit hinunter. Da fiel der Tropfen gerade in den Brunnen, woraus der Kaiser von China Wasser holen ließ. Da kam das Mädchen, das bei ihm diente, und hob mit dem Eimer den Tropfen aus dem Brunnen und langte mit dem Becher in den Eimer und gab den Becher dem Kaiser. Da trank der den Tropfen aus. Er war ein böser Mann gewesen; aber nun wurde er gut; denn der Tropfen war ja heilig, weil er aus der heiligen Bucht gekommen war.‹«

Die meisten lachten und prusteten. Einige Mädchen sahen mit stillen Augen zu Kai hinüber, der so wunderbare Dinge unter seinem dunkelblonden Haarschopf hatte.

»Laßt das dumme Lachen! ... Ein wunderlicher Junge der Kai Jans! Für gewöhnlich so scheu wie'n Junghase; aber plötzlich, ehe man's sich versieht, wird er groß und wild, und schlägt hinten und vorn aus und ist ein Protz und hat das ganze Paradies zu vergeben. Das ganze Paradies! Ein ander Mal bleibst du mit deinen Gedanken in Hilligenlei, verstehst du? ...«

Er legte das Heft hin und nahm ein andres ... »Kai Jans ist wenigstens doch beim Wassertropfen geblieben! Aber Pe Ontjes Lau! ... Pe Ontjes Lau! ... Ihr denkt, Pe Ontjes Lau ist der oberste in der Hafenschule von Hilligenlei? Er ist viel mehr! Er ist Hafenmeister von Hilligenlei! Viel mehr: er ist Bürgermeister von Hilligenlei! ... Sein Wassertropfen kommt also richtig mit der Flut in die Bucht hinein geschwommen. Da fängt er mit einem Mal an, grob zu werden. Er redet in Worten, die ich ja sattsam kenne. Dein Vater und du, Lümmel, ihr habt den Aufsatz zusammengeschustert ... ›Da sah der Wassertropfen, daß der Hafenstrom immer mehr verschlickte. Ein ordentlicher Kutter konnte gar nicht mehr hinein kommen. Die Johanna von Klaus Voß lag vor dem Dänensand schon zwei Tiden fest. Sie rührte sich nicht. Wenn eine Stadt ihren Hafen verschlicken läßt, das ist erschrecklich dumm, so, als wenn einer ein Schwein fettmachen will und bindet ihm Draht um die Schnauze; es wird immer magerer und zuletzt wie zwei zusammengelegte Bretter und geht zuletzt mit Tode ab. So kann man auch an Hilligenlei sehen, daß es immer ärmer und dümmer wird ... ‹ Ich habe ja nichts dagegen, daß Pe Ontjes Lau, wenn er einmal Bürgermeister von Hilligenlei ist, den Hafenstrom gerade legen läßt. Weil er das aber noch nicht ist und redet doch so klug, als wäre er es, so bekommt er nachher das Fell voll ... Jetzt wollen wir erstmal eine kleine Pause machen.«

Damit ging Mars Wiebers gemächlich und ruhevoll den Mittelsteig hinunter aus der Schule, um ein wenig mit seiner Frau zu schwatzen.

Pe Ontjes drehte sich in der Bank um und sah auf, und sah die Augen aller größeren Jungen auf sich gerichtet. »Kinder,« sagte er langsam, »mag kommen, was will: heute mache ich dem Alten nicht das Vergnügen und lasse mich verhauen. Ich rück' ihm aus. Bis vier ebbt es. Wer geht mit?«

»Junge! Junge,« sagten sie, »es gibt fürchterliche Schmiere.«

»Wer geht mit?« sagte Pe Ontjes.

»Ich,« sagte Kai Jans.

»Du?« sagte Pe Ontjes.

»Er hat meinen Aufsatz vorgelesen: darum geh' ich mit.«

Da gingen fünf mit ihm. Zwei von Fischer Tams. Der eine hat bei einem großen Schiffsunglück der Marine einen frühen Seemannstod gefunden; der andere fischt heute im Ontariosee. Und zwei vom Hirten Süderloh. Sie haben nachher beide an der russischen Grenze in Garnison gestanden und sind nun Arbeiter am Watt, noch immer kraftvoll und noch immer zu Schelmenstreichen geneigt. Dazu Kai Jans. Tjark Dusenschön aber war feige hinausgelaufen, stand hinterm Stall und wartete, bis sie verschwunden waren.

Sie schlichen durch den Garten auf die Hafenstraße, gingen im Trab über den Deich und liefen bald über das grüne Land.

Weites, ganz ebenes Land, mit kurzem schönem Gras bedeckt, kein Haus und kein Baum, nur hier und da, nah oder fern, ein Trupp schwerer Rinder oder edler junger Pferde; querüber die trabende kleine Knabenschar. In der Ferne, am Rand, zuweilen ein einziges Aufblinken: das ist der Spaten des Wattarbeiters. Darüber der Himmel unendlich hoch und unendlich weit.

Nun waren sie am Rand des grünen Landes und stiegen bis über die Knöchel, ja bis zum Knie in den grauen Schlick. Es gab ein großes Stöhnen und Schelten und Prahlen. Aber bald waren sie auf festerem Erdreich. Das schien nun so weiter gehen zu wollen, bis an den fernen, fernen Himmelsrand, an dem ein schmaler Silberstreifen lag.

Sie redeten von allem, was sie um sich sahen, vom Vogel, der vorüberflog, vom Segel, das am Himmelsrand stand, vom Dänensand, in dem das Geldschiff liegt, das einst entdeckt werden wird; denn der Sand bröckelt ab.

»Dann wird Hilligenlei reich werden! So reich!«

Aber Pe Ontjes sagte: »Es ist ein Unsinn. Es ist wahr,« sagte er, »daß da ein dänisches Schiff im Sand liegt; aber es ist kein Geld darin, sondern nichts als Schiet.«

Wenn sie in der Ferne einen Gegenstand sahen, setzten sie sich alle in Trab und jeder sagte seine Meinung, was es wäre. Danach untersuchten sie, was sie gefunden hatten: ein Ende Brett, eine zerbrochene Kiste, einen Korb, den der Steward des Ozeandampfers verächtlich über Bord warf; und redeten eifrig darüber.

Zuletzt, obgleich es aussah, als nähme es kein Ende, kamen sie doch an den Hafenstrom, der jetzt, zur Ebbzeit, noch sechzig Meter breit, im grauen, schlickigen Bett langsam zum Meer fließt.

Die andern fingen an, den abschüssigen Rand des Sandes zu untersuchen, ob nicht vielleicht der Schnabel des Geldschiffes oder gar seine Reeling aus dem Sande heraussähe. Pe Ontjes und Kai Jans sahen aufmerksam nach einem kurzen, grünen Streifen, der jenseits des Stroms auf dem Watt liegt.

Nun sahen auch die andern hinüber. »Sieh,« sagten sie, »da ist eine kleine grüne Insel.«

»Die hat Kai Jans vorigen Sonntag entdeckt,« sagte Pe Ontjes. »Kai Jans hat da einen Pfahl aufgestellt und hat darauf geschrieben: ›Dies Land habe ich entdeckt‹ und dann seinen Namen. Der Pfahl steht noch. Aber das Holzstück, Kai, das du beschrieben hast, das ist weg.«

In dem Augenblick klang von drüben her eine klare Kinderfreude. Sie sahen alle starr hin. Dann fing Pe Ontjes an zu schreien: »Hoi doo, hoi doo!«

Da erhoben sich zwei helle, blonde Kinder, beide barfuß, das Mädchen in ärmellosem, wehendem Kleid, der Junge in Hemd und Hose, beide so um zehn Jahre alt.

»Das sind Anna und Piet Boje,« sagte Kai Jans.

»Naa?« schrie Pe Ontjes, »was macht ihr da? Macht daß ihr weg kommt, ja? Kai Jans hat die Insel entdeckt.«

Da rief der kleine Piet Boje mit heller, klarer Stimme herüber: »Und ich habe sie in Besitz genommen.«

»Donnerwetter!« sagte Pe Ontjes, riß sich Hemd und Hose vom Leib und ging ins Wasser. Der große Tams stand auch schon im wehenden Hemd.

»O,« sagte Kai Jans, »tu's nicht, Pe Ontjes! Es ist ja doch die Freestedter Seite.«

»Komm mit,« sagte Pe Ontjes.

»Ich kann nicht. Der Strom ist zu stark.«

Piet Boje stand drüben breitbeinig am Pfahl und redete auf seine Schwester ein; er wünschte wohl, daß sie weglaufen sollte. Aber sie blieb neben ihm stehen.

Die beiden großen Jungen schwammen hinüber, kamen an Land und stürmten auf die beiden los. Kai Jans sah, wie Piet Boje in den Schlick griff und auf die anstürmenden nackten Jungen warf und wie auch der große Tams hineingriff und warf, und das Ohr und Haar des kleinen Mädchens traf ... Die Wucht des Wurfes bog ihre ganze Gestalt.

Da schrie er laut auf und rief über den Strom: »Pe Ontjes, lieber Pe Ontjes, komm mir entgegen!« und lief, so wie er ging und stand, ins Wasser und begann zu schwimmen.

Pe Ontjes hatte sich umgedreht, als wenn eine harte Hand ihn hingerissen hätte. Es fuhr ihm heiß durch die Seele ... so als: ›der liebe, wunderliche Junge‹, und er lief ins Wasser und kam ihm entgegen, so wie seine Weise war zu schwimmen: mit weitaufgerissenen Augen und immerfort spuckend. Mitten im Strom drehte er und schwamm schräg vor Kai Jans her, daß der die Wucht der Strömung nicht hätte. Der atmete mühsam und schwamm tapfer, die Augenbrauen zusammengezogen, den Mund stramm geschlossen und kam glücklich hinüber.

Der große Tams hatte den kleinen Piet Boje an der Brust gepackt und schüttelte ihn derb. Der Kleine sah stumm und trotzig zu ihm auf, als wollte er sagen: Wehren kann ich mich ja nicht, aber ich kann zeigen, daß ich mich nicht fürchte.

»Halt ihn fest,« sagte Pe Ontjes.

»Wie kannst du die kleine Deern so schmeißen?« sagte Kai Jans und stand mit geballter Faust und mit sprühenden Augen vor dem langen Tams. »Komm,« sagte er zu ihr, »ich will dich rein waschen.«

Aber sie war trotzig wie ihr Bruder, stieß seine Hand zurück und sah ihn zornig an. Sie hatte einen ganz finstern Ausdruck, obgleich ihr Haar so schön hell war und ihre Augen lichtgrau.

»Ich bin bloß herübergeschwommen, um euch zu helfen; ich wäre beinah ertrunken.«

»Bist du der Junge, der bei uns war, als Heinke geboren wurde?«

»Ja,« sagte er, »der bin ich. Kennst du mich wieder?« Und er griff ins Wasser und spülte ihr mit scheuer Hand ihr Haar und Ohr und sagte: »Das ist doch man gut, daß ich herüber gekommen bin.«

Sie sah sich nach ihrem Bruder um und sagte: »Sag' dem großen Lau, daß er meinen Bruder nicht stößt.«

»Mensch!« sagte Pe Ontjes, »kommt mal her! Sie haben einen großen Aal gefangen ... Seht mal, der wiegt wenigstens ein Pfund!«

Piet Boje sah patzig auf den Aal, der schwerfällig im nassen Sand spielte. »Ihr könnt ihn gar nicht festhalten,« sagte er, »so glitschig ist er.«

»Was nicht?« sagte Pe Ontje, machte aus seinen Fingern eine Kneifzange, ergriff den Aal am Halse, sah sich wild um ... und biß dem Aal den Kopf ab und spuckte ihn aus.

Anna Boje schrie laut und hell auf und schüttelte sich, daß das lose, kurze Kleid hin und wieder glitt. »Du Schweinigel!« rief sie und sprang vor Entsetzen steil auf. »Gittegitt, du Schweinigel! ... Was bist du für ein greulicher Mensch.«

Er tat, als wenn er nun sie fressen wollte, sprang um sie herum und fletschte die Zähne.

Sie wich zurück und hielt den Arm ausgestreckt vor dem Gesicht und schalt heftig: »Du bist der widerlichste Mensch auf der ganzen Welt. Du ... Aalfreter, du.«

»Wenn du sie anpackst,« sagte Piet, »schlag' ich zu. Wenn ich auch kleiner bin als du: so leicht wirst du nicht mit mir fertig.«

»Komm, Pe Ontjes,« sagte Kai Jans, »du nimmst den Aal und dann gehen wir wieder hinüber.«

»Ein paar Patzköpfe sind es,« sagte Pe Ontjes und sah die beiden mit Wohlgefallen an und wandte sich ab.

Dann warfen sie sich wieder ins Wasser, links Tams, in der Mitte Kai Jans, rechts, die Strömung abhaltend, Pe Ontjes, der den Aal quer im Mund hatte und gewaltig den Kopf schüttelte und schrecklich schnaufte.

Als sie drüben bei den andern ans Ufer stiegen und sich umsahen, standen die beiden Kinder nebeneinander, ganz allein in der weiten, leeren, grauen Ebene, auf der hier und da blendende Sonnenspiegel lagen, und ihr Haar lohte. Das Mädchen hob drohend die Hand und ihre kleine, tapfere Stimme klang hell und zornig herüber: »Aalfreter, Aalfreter.«

»Die Deern ist eben so wild wie der Junge,« sagte Pe Ontjes und machte die Hand hohl und schrie hinüber: »Du sollst meine Frau werden. Freust dich darauf?«

Aber es kam nichts wieder herüber, als von fernher klar und scharf wie rascher, zorniger Vogelflug, dasselbe Scheltwort.

Als Pe Ontjes am andern Morgen die Straße hinauf zur Schule ging, da standen seine Mitsünder hier und da an den Türen und in den Hauswinkeln und schlossen sich ihm an. Sie waren alle still und mieden es, sich anzusehen. Auch Pe Ontjes Lau war nicht auf der Höhe. Als sie auf den Schulhof gingen, wandte er sich um und sagte ernst: »Kinder, heute machen wir unsern Todesritt.« Sie hatten in der Schule den Ritt von Mars la Tour besprochen. Dann riß er die Tür auf und ging hinein.

Mars Wiebers griff ins Pult, legte den Stock quer vor sich und betete still ein Vaterunser. Das tat er immer, bevor er zuschlug; denn er hatte einst als Junge einem Spielkameraden im Jähzorn einen Arm entzwei geschlagen.

Dann bekamen sie der Reihe nach tüchtig das Fell voll. Als er als Letzten Kai Jans schlagen wollte, fragte er: »Warum standst du gestern auf? Was wolltest du?«

Er sagte leise und mit flehenden Augen: »Ich wollte Sie bitten, meinen Aufsatz nicht vorzulesen; es ist mir so schrecklich, daß sie über mich lachen. Sie lachen oft über mich.«

Er zögerte einen Augenblick; dann schlug er ihn.

Dann aber erhob er den Stock gegen die ganze Hafenstraße von Hilligenlei und sagte grimmig: »Wehe euch, wenn ihr noch einmal über Kai Jans lacht! Und wenn er das ganze Paradies in sich hat und den Engel Gabriel dazu, was geht es euch an? Sollt ihr ihn aus dem Paradies vertreiben, ihr Lümmel? Das wird Gott tun.«


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