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Zehntes Kapitel

Die drei Getreuen sind in die Jahre gekommen, in denen der Mensch es aufgiebt, allein in der Welt zu stehen, in denen man sich mit der Welt zu einem leidlichen Frieden abfindet. Der Mensch stellt sich in diesen Jahren in irgend eine Front. Er wird Bürger, Mitglied, Mitarbeiter; der eine so, der andre anders. Der eine erwirbt die Mitgliedschaft eines angesehenen Kegelklubs, der andere wird Mitarbeiter einer großen, ernsten Sache.

Die drei Getreuen sind in die Jahre gekommen, in denen es sich entscheidet, ob der Mensch in der zweiten Hälfte des Lebens etwas Tüchtiges erreichen wird. Was sagt in den Jugendjahren Begabung? Sie ward für manchen ein Lotterbett, auf dem er in der zweiten Hälfte seines Lebens weich und faul gelegen hat. Was sagt die Ehe? Mancher ward in ihr mißtrauisch und verdrießlich. Was sagt feurige, jugendliche Begeisterung? Sie bekam beim ersten scharfen Wind eine blaue Nase. Was sagen gute Vorsätze? Als die Zeit kam, sie auszuführen, waren sie vergessen.

Die Jahre, die um die dreißig liegen, entscheiden. Es ist von den drei Getreuen zu sagen, daß sie gute Hoffnung machen. Sie sind alle drei in dem guten Sinn des Worts moderne Menschen; sie zeigen die beiden stark ausgeprägten Eigentümlichkeiten dieser Menschen: sie haben das Bewußtsein, daß sie etwas wert sind, und die Überzeugung, daß sie mit helfen, raten und thaten müssen.

Andrees steht mit stolzem, starkem Bewußtsein in der christlichen Weltanschauung. Er hat einen Herrn, der gewaltig ist, und einen Dienst, der schön ist. Das christliche Wort des alten Heiden: »Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da,« ist ihm aus tiefster Seele gesprochen. Er ist ein ruhiger, langsam überlegender, dann aber sicher handelnder Mann. Seine Freunde bauen auf seine Worte, nicht weil sie alle an sich richtig sind, sondern weil sie wissen, daß sie das Resultat des gewissenhaftesten Nachdenkens sind.

Als an ihn die Frage herantrat, das Vermögen Maria Landts, das weder er noch Ingeborg für sich verwenden wollten, zu irgend einem guten Zweck anzulegen, haben die beiden nicht lange gezweifelt. Keiner als Andrees Strandiger weiß in dieser Landschaft besser, wo die Not der ländlichen Arbeiter liegt. Sie haben aus dem Vermögen der Entschlafenen eine »Maria Landt-Schenkung« gemacht, überzeugt, in ihrem Sinne zu handeln. An der Grenze des Strandigerhofs, nach dem Stülperkoog zu, an der Chaussee, sind mit Hilfe dieses Geldes zwei kleine Rentengüter ausgelegt, und zu Süden am Walde, am Ende von Heims Heide, wo der Boden lehmig ist, sind weitere fünf Rentengüter gebildet, auch diese von kleinem Umfange, und an jüngere, tüchtige Arbeiter verkauft. Die Geldverhältnisse dieser Besitze wurden mit Hilfe der staatlichen Rentenbank geordnet; das Kapital der Stiftung dient nur dazu, den Antritt zu erleichtern und die Zinslast, wenn es nötig erscheint, so zu verringern, daß sie erträglich ist.

Andrees Strandiger hat sich mit all dem Fleiß, den diese Arbeit fordert, und mit all seiner Gewissenhaftigkeit auf die Verwaltung seines Besitzes gelegt. Mit Hilfe der Wohnstätten, welche er in der Nähe seines Hofes schuf, war es ihm möglich, sich einen Stamm der besten Arbeiter zu erhalten. Die übrigen kommen aus den Geestdörfern, lauter tüchtige, angesessene Männer.

Die Not der Zeit, die er um sich sieht, und die Unzufriedenheit so vieler hat ihn veranlaßt, sich mit heißem Eifer und mit all seiner Gründlichkeit und Umständlichkeit in volkswirtschaftliche Studien zu versenken. Das Vertrauen seines Kirchspiels hat ihn zum Amtsvorsteher gemacht, das Vertrauen der Landschaft hat ihn an die Spitze von landwirtschaftlichen Vereinen, bald auch in den Kreistag, endlich auch in die provinzielle Vertretung der Landwirtschaft gerufen. Er arbeitet in all diesen Dingen mit einer Gewissenhaftigkeit, welche fast pedantisch ist.

Natürlich ist auch sein Himmel nicht ohne Wolken. Wo ist ein Haus, das keinen Mangel hat? Wenn er an die Vergangenheit denkt, dann hat Frau Ingeborg Mühe, ihm wieder Mut zu machen. Als er einmal in dem Werke eines großen Volksmannes das Wort las, daß ein Mensch gut thäte, sich in seiner Jugend für eine gute Sache zu begeistern, welche noch zu kämpfen hätte, um dann im Alter die Freude zu haben, daß sie durch seine Hilfe durchgedrungen sei, da war er mehrere Tage lang mißmutig, niedergedrückt; er dachte an verlorene Jugendjahre.

Franz Strandiger wohnt schon seit Jahren auf Flackelholm. Er ist körperlich nicht sehr gesund. Der Überstarke ist nur noch ein Starker und beklagt sich, daß seine Füße schmerzen und anschwellen, wenn er fünf Stunden lang durch Sand und Schlick gewandert hat. Er ist noch immer Autokrat und hat keine Fähigkeit, den Menschen persönlich nahe zu kommen; sie sind seine Arbeiter oder Leute, denen er Rat und Hilfe giebt, um dasselbe in gleichem Maße von ihnen zurück zu erhalten. Doch ist er billiger, gerechter geworden. Seit er am eigenen Leibe erfahren hat, daß selbst er, der Starke, ohne Gottes- und Menschenhilfe zusammenbrechen mußte, ist er weicher geworden.

Er ist ein Getreuer. Sein Leben ist mühsam, rauh, einsam. Es ist nicht ohne Gefahren, und es kann wohl sein, daß er sein Ende einmal im Watt oder in den Wellen findet. Er gilt für einen guten Kenner von allem, was mit dem Strand der Nordsee zu thun hat, und hat allerlei Pläne. Deichbau, Seemoosfang, Hochseefischerei, Fischversand: das sind Dinge, die seinen Geist fortwährend beschäftigen. Als man ihm aber einmal den Vorschlag machte, er müsse Flackelholm zum Badeort machen, da hat er kurz aufgelacht, wie man über eine große Dummheit lacht.

Um Politik – im engeren Sinne des Worts – kümmert er sich gar nicht; er kümmert sich nur um seine Sachen. Er ist aber in allerlei Strandsachen der Vertrauensmann der Regierung und scheint es immer mehr zu werden, und hat Aussicht, den Orden zu bekommen, den Heim einst begehrte. Er hat viel Interesse für Kolonieen: dies ist der einzige Weg, den er zuweilen in Gedanken in die Welt hinein macht. Er kennt in Kiel mehrere Marineoffiziere, die auf Flackelholm Vermessungen vornahmen, und er würde, wenn er Kinder hätte, Knaben, die ihm ähnlich wären, von ihnen erwarten, daß sie in Südwestafrika Ansiedler oder in Kiautschou Kaufleute würden.

Natürlich hat auch er Mangel. Wo ist ein Mensch ohne Mangel? Sein Leid ist, daß er, Franz Strandiger, der geborene Herr, zeitlebens Verwalter, Beauftragter eines andern sein muß.

Heim Heiderieter ist Kirchenältester geworden. Damit ist gesagt, daß er eines Hauptes länger als alle vorigen Heiderieter ist. Noch nie war dies Amt in eines Heiderieters Hände gelegt. Sie haben ihm allerdings gesagt, daß sie ihn nicht zum Kirchenbaumeister brauchen könnten. Das ist aber kein Tadel, im Gegenteil; denn sie fügten hinzu: »Zum Kirchenbaumeister hast du nicht Zeit genug, Heim. Zum Kirchenbaumeister soll man einen angehenden Rentner wählen und einen Mann, der durch seine Unterhaltungsgabe die Handwerker abhalten kann, bei der Kirchenarbeit sich überanzustrengen.«

Im vorigen Jahr, im Hochsommer war es, widerfuhr Heim eine große Freude.

Er stand so gegen vier Uhr nachmittags in Hemdärmeln an der Hausthür und that, als sähe er nach den Sperlingen, die auf dem Schulplatz spielten, derweil die Kinder Ernteferien hatten. In Wirklichkeit wartete er auf den Briefträger, der eben im Schulhaus verschwunden war. Es ist auch keine geringe Sache, wenn so ein hoffnungsvoller, ein von Zweifeln gequälter, ein des Selbstbewußtseins so ganz ermangelnder Schriftsteller sein erstes, großes Manuskript auf die Reise geschickt hat.

Die Schulthür wird geöffnet, Heim sieht nach den Sperlingen und sieht doch, daß der Briefträger auf seine Thür zugeht, sieht aber nicht, daß Haller in der Schulthür steht.

Ein Brief!

Ein Brief von dem Berliner Verlag! Nicht das Manuskript!

Das Couvert fliegt in Fetzen davon. »Was steht da?« Was? .Fünfzehnhundert Mark? Wenn Sie einwilligen?' Eva! Eva! Komm her! Eva Heiderieter, wo bist du!«

Nachbar Haller eilt mit langen, schwebenden Schritten – trotz seiner Schwere – über den Weg; die Rockschöße, die nicht mitkommen können, kommen langsam nach.

Auf der Diele hat Heim seine Eva umfaßt: »Fünfzehnhundert Mark! Sag' etwas! Irgend etwas! Was wollen wir nun? Neues Haus bauen? Der Junge soll neue Stiefel haben. Jürgen! spann' an! Ein feines Tuchkleid kriegst du!« Er ließ sie los und lief hin und her, schüttelte immerfort den Kopf und stieß mit den Füßen auf die Diele. Seine Augen waren ganz blank.

Da hielt der in der Thür es nicht länger aus. »Junge, Heim!«

»Nachbar, was sagen Sie?« Und er faßte den Alten an beiden Armen, und mit einem Mal, wie er das alte Gesicht sah, stieß er heraus: »Wenn Frisius das erlebt hätte!«

»Wenn er das erlebt hatte,« sagte Haller, »dann hätte er seinen Zeigefinger erhoben, wie seine Weise war« – und er steckte den Zeigefinger steif in die Luft – »und hätte gesagt: »Haller! Sie haben doch noch nicht recht. Die Heiderieter sind feine, aber faule Leute. Wenn er nun man nicht faul wird!«

Heim lachte.

Eva lief in die Küche. Da standen zwei kleine Heiderieter am Kälbertrog, und der vierjährige versuchte, seinen kleinen Bruder mit dem großen Löffel zu füttern, der voll Kleie war, und der hapste zu. Sie kniete neben den Kindern nieder und wischte dem Kleinen mit der Schürze über den Mund und dachte: »Fünfzehnhundert Mark! Wie wir sie brauchen können! Fünfzehnhundert! Andrees kann die geliehenen zweihundert wieder bekommen, und einen neuen Bauwagen können wir kaufen und zwei Hektar urbar machen, und die beiden Jährigen behalten und die Westerwand neu aufsetzen und für die Kleinen Hemden kaufen und für Mutter ein Kleid ... Ich glaube, da bin ich schon zu weit gegangen. Fällt Mutters Kleid weg ... Wie er sich freut! Wie ein Kind freut er sich! Nun wird sein Selbstbewußtsein wachsen ... nun soll er nicht hochmütig werden ...« Sie saß noch eine Weile zusammengekauert am Herd; der Feuerschein fiel auf ihre dunklen Flechten, ihre Hände waren gefaltet. »Voll Sorgen ist das Leben, aber auch voll Segen. Ich habe mich darin in ihm getäuscht; er sah so stark aus, damals in Heidelberg ... aber er ist weich. Aber seine Wille ist gut und feine Liebe treu. Ich danke dafür von ganzem Herzen.« »Weißt du, Mutting,« sagte der Kleine, »das Lied, das die Schwalben singen, das kenne ich nun schon. Sie sitzen auf dem Scheunenthor und singen. Hör doch bloß mal zu:

Nun spricht die kleine Schwalbe
Zu ihrem Mann:
Mein Heine, mein Heine, mein Heine,
Die Zeit verrann;
Im Nestlein dein,
Auf Flaumen fein,
Gelbschnäbelein!
Wer die ernähren kann!

Nun spricht der kleine Heine
Zu seiner Fraun:
Mein Liese, mein Liese, mein Liese,
Mußt um dich schau'n!

Die Luft ist lind,
Es weht der Wind,
Viel Mücken sind!
Kannst du nicht Gott vertrau'n?

Nun singen sie beide zusammen,
Die kleinen zwei:
Mein Liese, mein Heine, mein Liese,
Te-tril-bi-dei;
Die Menschen sorgen
Und sagen morgen;
Wir sagen heut'
Und sind fröhliche Leut'!
Nun stiegen wir auf: Juchhei!«

Da kam Heim in die Küche, und wie er sie da kauern sah und ihr stilles Gesicht, da mochte er fühlen, was in ihrer Seele vorging. Er hob sie zu sich empor und sagte: »Eva, du sollst immer glücklicher werden.«

»Ich bin glücklich, Heim. Ich bin immer glücklich gewesen, seit ich deine Frau bin. Du hast mich lieb, und wir hatten Brot, und wir haben die lieben Kinder.«

Dann saßen sie auf dem Herdrand bei einander. Neben ihnen flackerte das Feuer, und ihre Gesichter strahlten, und sie machten Pläne.

Dieser Tag brachte noch eine andere Überraschung. Als Heim leidlich zur Ruhe gekommen, und während Eva nach der Weide gegangen war, die Kühe zu melken, wurde die Hausthür aufgeklinkt, und es kam irgend jemand auf Pantoffeln über die Diele. Heim ging ahnungslos zur Glasthür, ein wenig ärgerlich über die Störung, da er sehr schöne Gedanken hatte. Da, wie er die Thür in der Hand hat, steht in ihrer ganzen Größe, das weiße Taschentuch sauber zusammengefaltet in den steifen Fingern, in dem bekannten schweren Umschlagetuch: die Thielsche.

»Mutter Thiel! Nein! Mutter Thiel!«

»Laß mich man erst mal sitzen,« sagte sie. »Das ist keine Kleinigkeit für eine alte Frau, eine so lange Reise.«

»Auf ledernen Pantoffeln.«

»Es sind die von Schuster Ketels. Und ich sage dir, sie sind nicht ein einziges Mal untergedüppt.«

»Aber warum kommen Sie denn wieder, Mutter Thiel?«

»Warum? ... Du meinst wohl, ich konnte nicht wieder herfinden, weil du mir das vorgeflunkert hattest, weißt du wohl, mit dem Torfkorb? Ist die Erde ein Torfkorb? Was soll so ein Gerede gegen eine alte Frau?«

»Ja, Mutter Thiel, aber warum kommen Sie wieder hierher?«

»Warum? Meinst du, daß ich ihnen das Geld schenken will, das ich wegen Heinrich und von der Altersversicherung bekomme?«

»Wurde es Ihnen nicht nachgeschickt?«

»Etwas! Aber manchmal kam es nicht, und wenn es kam, sagten die Deerns, sie müßten gerade notwendig Geld brauchen.«

»Sagen Sie, Mutter Thiel, war es nun nicht besser bei Ihren Kindern? Sie sind hier doch ganz verlassen und allein?«

Da stützte die alte Frau ihre starken Hände auf ihre Kniee und sagte mit strengem Gesicht: »Meine Kinder haben sich gefreut, Heim, auch die Enkel. Die in Australien freuten sich sogar auf englisch; denn sie können kein Wort deutsch. Aber wenn ich mich eben hingesetzt hatte, dann hieß es: ›Mutter, willst du dies thun? Mutter, du könntest mir da helfen!‹ Manchmal sagten sie sogar: ›Mutter, fass' mal schnell den Jungen an,‹ und dann hatte ich das zappelnde Wurm schon im Arm. Und das, Heim, bin ich nicht mehr gewohnt. Als ich selbst kleine Kinder hatte, da habe ich auch rasch zugegriffen; aber jetzt mag ich das nicht mehr. Ich freue mich, daß ich sie noch einmal gesehen habe; mehr wollte ich auch nicht.«

Sie stand schwerfällig auf – sie war doch älter geworden – und ging nach der Diele. In der Hausthür kehrte sie sich noch einmal um und sagte: »Bei dem Kirchspielschreiber bin ich wegen des Geldes schon gewesen. Er sagte: ›Es wird anstandslos ausbezahlt!‹ Das sagte er, Heim, ›anstandslos ausbezahlt!‹ Er ist ein tüchtiger Mann, Heim.«

Auf dem Sandweg wandte sie sich wieder um: »Grüß deine Frau! Gehen die Kühe dies Jahr auf den Aukrug? Habt ihr gute Milch? Na ... bald vergesse ich, warum ich zu dir hereinkam! Sage zu Eva, daß sie jeden Abend einen halben Liter für mich zurückstellt.«

Der Pellwormer, der an einer invaliden Wanduhr bastelte, die man ihm zur Reparatur ins Haus geschickt hatte, sagte nichts, als sie plötzlich in der Stubenthür stand. Sie klopfte ihm auf die Schultern. »In der ersten halben Stunde schweigst du rein still! Dann geht es nachher besser.« Dann fing sie an, sich des Heldfeuers anzunehmen, das fast ausgegangen war, und in alter Weise den Kaffee zu rüsten ...

über den Schriftsteller Heiderieter etwas zu sagen, ist schwer. Ein bestimmtes Urteil zu fällen, wäre leichtfertig, da er noch in seiner Entwickelung ist. Es werde hier nur bemerkt, daß er den Plan hat, die Höhepunkte der Geschichte Schleswig-Holsteins in Romanen darzustellen, und daß der erste dieser Romane, der im zwölften Jahrhundert spielt, erschienen ist. Im übrigen wird jeder, der diese Blätter, in denen so viel von Heim Heiderieter die Rede war, aufmerksam gelesen hat, sich ein Bild von dem Schriftsteller Heiderieter machen können.

Also steht es mit den drei Getreuen.

Es war nichts mit dem Lorbeer, nichts mit dem Geldsack, nichts mit dem Orden. Das Leben hat jedem von ihnen eine Last aufgelegt. Aber, sie sind nicht mürrisch und mißtrauisch, wie viele sind. Sie stehn nicht müßig und lassen andere raten und thaten, wie viele thun. Sie nehmen nicht vom Volk, ohne etwas dafür wieder zu geben, wie viele thun. Sie maulen nicht mit der Regierung, wie viele thun; sondern sie arbeiten mit der Regierung und mit dem Volk.

Das Verhältnis der drei Getreuen untereinander ließ mehrere Jahre hindurch viel zu wünschen übrig. Andrees und Heim sahen den Flackelholmer selten. Den Strandigerhof betrat er nicht; Ingeborg sah er ein- oder zweimal, wenn sie zufällig in der Stadt zusammentrafen.

Doch kamen sie allmählich einander näher. Dazu trug vor allem eine Reise bei, zu welcher Heim den Anstoß gab. Er forderte die beiden andern auf, mit ihm nach Kiel zu fahren, wo er in eine Handschrift der Universitätsbibliothek Einsicht nehmen wollte. Da Andrees in Hamburg zu thun hatte, so wurde beschlossen, den Umweg über diese Stadt zu machen und, wenn es möglich wäre, in Friedrichsruh den alten Bismarck zu sehn. Andrees ging um so lieber nach Kiel, als er Aussicht hatte, dort einige seiner politischen Freunde zu sprechen. Die Frauen sollten mitfahren. Franz sagte nach einigem Bedenken zu, daß er mit seiner Jacht die Elbe hinauffahren und in Hamburg mit den andern zusammentreffen würde.

Die ganze Reise verlief nach Wunsch, wenn auch Franz, zumal in Gegenwart Ingeborgs, sich ziemlich zurückhielt. In Hamburg besahen sie bei schönstem Wetter, von Franz geführt, die gewaltigen neuen Hafenanlagen. Es war wie ein Blick in die weite Welt, in der die Völker zu friedlichen Kaufleuten geworden sind. In Friedrichsruh hatten sie die Freude, den Fürsten nicht allein zu sehen, sondern sogar zu sprechen. Als er nämlich den Hohlweg, der jenseits der Bahn in den Wald hinaufführt, entlang fuhr, mochten ihm die drei starken, frischen Männer gefallen, neben denen die beiden stattlichen Frauen standen. Der Wagen hielt, und er fragte freundlich nach dem »Woher« und »Wohin«. Zuletzt fragte er: »Noch in der Landwehr?« Da sagte Heim, sich aufrichtend, mit Bedeutung: »Solange wir leben, Durchlaucht!« Da nickte der Alte, sah sie mit seinen mächtigen Augen an und fuhr weiter.

In Kiel wurden die beiden Frauen zu einer bekannten Familie geladen; die Männer gingen ein jeder seinen Weg, und es ist bezeichnend, wohin sie ihre Schritte wandten. Andrees ging in eine große Volksversammlung, in der die Arbeiter aufgefordert wurden, die unfruchtbare Opposition gegen die Regierung aufzugeben und, gleich ihren Kameraden in England, mit Mut und Vertrauen an der Entwickelung des Vaterlandes mitzuarbeiten. Nachher, als er mit den Rednern des Abends und einigen andern politischen Freunden beisammen saß, baten sie ihn, er möchte sich mit dem Gedanken befreunden, für seinen heimatlichen Wahlkreis, der zur Zeit vakant war, Reichstagskandidat zu werden. Es ist anzunehmen, daß er dieser Aufgabe mit schwerem Herzen näher tritt; aber er wird sich dem Wunsch seiner Freunde und dem Vertrauen vieler einsichtiger Männer nicht entziehen.

Franz verbrachte an diesem Abend einige fröhliche Stunden in einem Kreis von bekannten Marineoffizieren, wo der König von Flackelholm mit Jubel empfangen wurde. Der Schluß des Beisammenseins war, daß sie ihn baten, sich baldigst zu verheiraten; denn da er selbst verhindert sei, ein Kolonist zu werden, wäre es seine Pflicht, Sorge zu tragen, daß er einst seine Knaben diesen Weg gehen lasse. Er ließ diese Rede lachend über sich ergehen, und sein Lachen war so heiter, wie es lange nicht gewesen war.

Heim aber saß in dem gemüthlichen Arbeitszimmer eines Professors, der, ein hervorragender Kenner der schleswigholsteinischen Geschichte, von Anfang her an Heims Arbeiten ein lebhaftes Interesse bethätigt hatte.

In guter Stimmung und mit dem Gefühl, durch die Reise einander näher gekommen zu sein, fuhren die fünf in die Heimat zurück.


Einige Tage später, im Anfang September, stand Franz Strandiger, die Büchse über der Schulter und einige geschossene Enten in der Hand, auf der höchsten Düne von Flackelholm und schaute nach Büsen hinüber, dessen Häuser im hellen Sonnenlicht deutlich zu sehen waren.

Stattlich und stolz stand er da und sah wohl aus, als ob er befehlen könnte, hatte auch einen scharfen, raschfliegenden Blick; aber die Augen waren ruhiger geworden, und der ganze Mann hatte etwas Bedächtiges, Überlegendes. Das hatte jener Tag gethan, da er mehr als einmal Schiffbruch litt, und die große, mächtige Einsamkeit seiner Insel und die saure Arbeit, die er auf ihr gethan hatte.

Das Maifeld der Insel war von natürlichen Wasserläufen und künstlichen Gräben durchzogen; weit hinaus, soweit ein Schimmer von grünem Grase da war, dehnten sich Gräben und Erdwälle, und noch weiter, Hunderte von Metern ins Watt hinein, streckten starke Buschdämme ihre geraden Arme aus, den Schlick festzuhalten, der schon lag, und den andern zu fangen, der noch mit dem flutenden Wasser trieb. Die lange Dünenkette, der Insel Bollwerk, war durch Draht eingefriedigt, daß kein Tier darüber lief, den Strandhafer wegfraß und die Buhnen zertrat, welche den wehenden Sand aufhielten. Auf dem Maifeld aber, zwischen all den Gräben, über welche hier und da hölzerne Brücken liefen, weideten sechshundert Schafe, über tausend Gänse, zehn Stück Jungvieh, einige Kühe und zwei starke Pferde. Unten am Fuß des Deichs ließen kleine Kinder schräg über den Wasserlauf Segelboote laufen, Kinder des Schäfers und des Arbeiters, die in dem steinernen Nebenhause wohnten. Der Rotkopf aber hatte seine Sommerhütte im Westen, am äußersten Ende der Düne, aus Strandholz gebaut; sein Boot lag im Dieksander Gatt.

Das alles war in vier Sommern gebaut, gearbeitet worden, in vier einsamen Wintern, umringt von der stürmenden See, behütet, befestigt, verbessert worden. Franz Strandiger hat immer fest angefaßt. Früher griff er nach seines Herzens Lust; jetzt greift er nach Arbeit, nach großen, ernsten Plänen. Seine Natur hat er nicht geändert; seine Ziele hat er geändert. Dadurch scheint er den Menschen als ein anderer.

Von Büsen her kommt ein flotter Segler. Sein neues Segel liegt schräge auf dem Wasser. Der segelt gut.

Gleich hat er es gesehen.

»Nichtig, sie kommen! In einer kleinen Stunde können sie landen.«

Er ließ sich ruhig Zeit, ging über den Deich und lieferte die Enten ab und bat Antje, die am Herd stand, sie zu braten. »Es kommen Gäste, Antje! Erinnerst du dich der Leute, die im vorigen Sommer in Büsen badeten und viermal zu uns heraussegelten?«

»Das Fräulein aus Hamburg, das so gern auf Flackelholm sein mag?«

»Gerade die! Ich habe sie vor vierzehn Tagen in Hamburg wieder gesehen. Aber diesmal bringt sie den Alten mit.«

»Na ...« sagte Antje kurz, »dann weiß ich schon.«

»Was weißt du?«

»Stellen Sie sich nicht an!... Sie wollen eine Frau nehmen.«

»Du mußt aber hier bleiben, Antje! Auf jeden Fall!«

»Nun! Mit der thäte ich's! Sie ist einfach, und sie. sagt, ihre Eltern sind einfache Leute.«

Er lachte kurz auf und ging hinaus. Als er über die Höhe des Deiches kam, waren sie schon gelandet. Richtig, da gingen die beiden: das blonde Mädchen, eine echte friesische Figur, hoch und schlank, und daneben der Vater, in Schiffermütze und seemännischer Kleidung, nicht größer als seine Tochter, obgleich er kein kleiner Mann ist. Franz Strandiger ging ihnen rasch entgegen, und von weitem schon winkte der Alte, ein wenig verlegen, launig und laut rufend: »König von Flackelholm! Ich grüße Sie ... Na ... Sie nehmen's nicht übel, ein alter Seemann!«

Sie schüttelten sich die Hände und verstanden sich gleich.

»Wie macht sich das neue Boot, Fräulein Elsa?«

Sie antwortete nicht auf seine Frage, sondern sagte, zu ihm aufsehend: »Sie sind den ganzen Winter nicht an Land gewesen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Aber in diesem Sommer,« sagte sie, »sind viele Badegäste herübergekommen, den König von Flackelholm zu sehen. Ich kenne das ... diese Menschen kommen aus dem Binnenland, haben nie eine ordentliche Welle gesehen, und dann sind sie für alles begeistert, was blaue Tuchmützen trägt.«

Er lächelte. »Aber Sie, Fräulein Elsa, wissen, daß ich ein sehr gewöhnlicher Mensch bin, sogar ein wenig feige.«

»Wie das?«

»Wenn Sie heute Flackelholm und alles, was darauf ist, inspizieren.«

Sie wurde verlegen: »Ich will nur Sie inspizieren,« sagte sie dann ehrlich. »Ob Sie gutes Muts sind, das wollte ich wissen; das ist doch nicht unrecht.«

Er wandte sich lebhaft zu ihr und schüttelte ihr kräftig die Hand. »Nein, Fräulein Elsa, das ist nicht unrecht; denn es fragen verzweifelt wenig Menschen nach mir.«

Sie sah jäh zu ihm auf; eine große Freude strahlte in ihrem ganzen Gesicht.

Sie kamen an den Deich und gingen hinauf. Elsa ging, Antje zu begrüßen; der Kapitän aber blieb oben stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn, sah ringsum und sagte: »Elsa hat in diesem Winter viel von Ihnen und Ihrer Insel gesprochen, Herr Strandiger. Elsa ... sollen Sie wissen ... ist drüben irgendwo im Stillen Ocean geboren, nicht weit von Neuseeland. Ich fuhr damals ein Apenrader Schiff von St. Franzisko nach Melbourne. Bin von Haus aus ein Sylter; Apenrader Blut kommt dazu. Starke Leute da! Daher hat sie die blauen Augen und die Größe. Sie hat dann lange mit uns gefahren. Nun ist es ihr hier in Hamburg zu eng; sie muß einen weiten Blick haben. Ich habe mir das Boot bauen lassen müssen, und wir sind die Elbe hinunter- gefahren; in der vertrackten Süderpiep hätten wir fast Havarie gehabt, weil wir beide nach Flackelholm sahen und nach dem Flaggenmast, der über den Deich ragt. Die Jungen, die ich habe, sind alle gut versorgt, zwei sind Kapitäne und zwei sind Kaufleute, einer in Transvaal, einer in China; aber das einzige Mädchen macht mehr Sorgen als vier Jungen.«

»Sie muß heiraten, Kapitän.«

»Muß sie!«

»Nun erklären Sie mir mal diese Gegend. Die Insel ist Eigentum Ihres Vetters? Wie groß ist der Wert?«

»Das ist schwer zu sagen. Auch wächst das Land an.«

»Sie haben einen festen Kontrakt mit Ihrem Vetter gemacht?«

»Ja, ich bin so eine Art Bevollmächtigter und angestellter Plänemacher. Es ist ein teurer Besitz. Es sind bisher schon über dreißigtausend Mark hier verdeicht und verbaut; die Herden haben einen Wert von über zwanzigtausend Mark, und es werden dort drüben, wo das Land anwächst – Sie sehen die neuen geraden Gräben – jährlich dreitausend Mark verarbeitet.«

»Was Sie sagen!« Er wandte sich mit lebhafter Bewegung zu Strandiger: »Hören Sie, Sie müssen aber eine reiche Frau haben?«

Strandiger mußte lachen, so deutlich zeigte der Alte seine Verlegenheit und Not.

»Nein . ..« antwortete er ... »Nicht eine reiche Frau; aber eine Frau, die Mut hat und gern auf Flackelholm ist! Sehen Sie,« sagte er, »dort liegt Büsen. Die alten Schiffer, die dort den ganzen Tag am Strand stehen, kennen mein Flaggenzeichen; aber wie lange dauert's, bis sie hier sind, wenn hier Not und Krankheit ist? Es ist nicht leicht für eine junge Frau, auf Flackelholm zu wohnen. Und im Winter ...«

»Im Winter? Ich denke, Sie haben hier nur Sommerresidenz?«

Strandiger schüttelte den Kopf. »Vier Winter habe ich hier verlebt und habe keine andern Gesichter gesehen als die meiner Leute. Freilich, das ließe sich von jetzt an wohl machen, daß man im Winter zwei oder drei Monate in Büsen wohnte; denn ich weih ja jetzt zur Genüge, wie es im Winter auf Flackelholm aussieht. Nun einerlei ... ich halte es hier aus, und ich wünsche mir keine bessere Wohnstatt. Ich habe mir immer ein großes Reich gewünscht und hab's bekommen; aber eine Frau soll sich das überlegen.«

Elsa kam den Deich herauf und trat zu ihnen.

Strandiger fuhr fort. »Ich weiß ja, man muß auf eine Frau Rücksicht nehmen; aber ich könnte es nicht ertragen, wenn sie launte oder weinte und nach dem Festland zurückbegehrte. Ich bleibe Zeit meines Lebens auf Flackelholm; darum sage ich: sie muß stark an Leib und Seele sein. Dann ist das Leben hier auch nicht ohne Wert und ohne Freude!

»Sehen Sie, Kapitän, dort am Horizont das flache Land? Von dorther kann man zur Ebbzeit zu Fuß und zu Pferde und zu Wagen hierher kommen. Wenn's not thut und die Pferde gut sind, kann man den Weg in einer Ebbzeit hin und zurück machen. Von dorther wächst das Land von hierher und von hierher nach dorthin, und überall auf dem Weg liegt tiefer, weicher Schlick zu beiden Seiten. Von dort arbeitet die Regierung mit Macht und Umsicht; von hier arbeiten wir. Zwischen hier und dort liegen viele tausend Hektar schönsten Landes im Wasser. Das aber ist es, was wir brauchen: Land! Denn da drüben an den Deichen sind die Häuser voll von Kindern. Wenn ich lebe und Kraft behalte – ich werde es nicht vollendet sehen, ein Menschenleben ist zu kurz –; nach mir aber, und nicht allzulange nach mir, wird dort ein Weizenfeld neben dem andern, ein Hof neben dem andern liegen, und die Bewohner dieses Ringdeichs werden am Sonntagmorgen auf weißer Straße nach dem Turm, den Sie dort sehen, zur Kirche fahren. Dann, wenn das so ist, dann sollen die Kinder noch reden von dem König von Flackelholm, der die Arbeit angefangen hat.«

Der Kapitän nickte bedächtig mit dem eisgrauen Kopf. »Gut ist das!« sagte er ernst. »Und ich verstehe meine Tochter; und ich wünsche Ihnen Glück zu dem allen ... in Ihrem ganzen Leben.« Dann setzte er die Mütze wieder auf und meinte: »Ich will mir dies Haus ansehen, wenn Sie erlauben, und mich Ihrer Haushälterin ein wenig anvertrauen; ich bin müde geworden.« Er ging den Deich hinunter nach dem Hause zu und stand bald mit Antje im eifrigen Gespräch am Herd, auf dem die Enten brieten.

»Und wir?« fragte Franz Strandiger.

»Wenn Sie wollen, gehen wir nach der Düne und setzen uns auf die Bank, auf der wir im vorigen Sommer saßen, und plaudern ein wenig.«

Aber sie kamen nicht so weit; etwas Kleines, Geringes kam dazwischen.

Wie sie nebeneinander am Fuß der Düne durch das lange Gras gingen, beide tief bewegt, saß da im Nestlein, zwischen den Halmen, eine Lerche und flog nicht aus, saß und bog den Kopf und sah die beiden an. Das Männchen stand daneben. Die beiden standen still. Und das kleine, niedliche Bild brachte die Menschen einander nahe. Der Mann dachte: »Sieh da, Natur!« Das Mädchen dachte: »Wie lieb und traut,« und senkte den Kopf.

Da konnte er es nicht länger ertragen, daß sie so neben ihm stand. Altes Ungestüm kam über ihn, und er zog sie an sich. Sie unterdrückte das Weinen: »Ich will ja. Aber du sollst mich lieb haben. Selig werde ich sein.«

Die Lerchen rührten sich nicht, sie sahen zu.


Am andern Abend brachten Heim und Eva die Nachricht von der Flackelholmer Verlobung, die Antje gebracht hatte, nach Strandigerhof: Die Blinde saß aufrecht in ihrem weißen Bett, nach ihrer Gewohnheit. Auf dem Bettrand sitzend, erzählte Heim in überquellender Freude von der Verlobung. Sie weinte vor Freude. Als er ihr aber die zarten Hände streichelte und sie bat, zu lachen, da lächelte sie. Dann, als sie im Wohnzimmer, das neben dem Schlafzimmer der Blinden liegt, bei einander saßen, zog Andrees einen Brief hervor. »Ich habe auch etwas,« sagte er, »einen Brief von Hinnerk Elsen. Hört zu:

Lieber Herr Strandiger! Ich habe den Brief, den Heim an mich geschrieben hat, erhalten. Ich freue mich, daß da neue Häuser gebaut werden, bei welchen auch Land ist, und daß der Pellwormer noch lebt, obgleich er man schwach und staakig ist. Uns geht es hier gut; denn wir haben hier Land und zu essen, aber kein Bargeld; und einer ist der Glücklichste, das ist Schütt. Mit Schütt ist das so! Als er wegging, war er voller Gottlob und sagte: Der Eschenwinkel und ganz Schleswig-Holstein könnten in der Nordsee liegen; er pfeif' darauf. Er war immer so unordentlich mit seinem Mundwerk. So war er auf der ganzen Reise und auch noch das erste halbe Jahr hier. Dann hatte er keine Ruhe mehr auf dem Land, das er gepachtet hatte. Er fing an, mit Hökerwaren von Farm zu Farm zu ziehen, und weil er ein lebhaftes Mundwerk hatte, kauften die Leute, besonders die Engländer, seine Sachen, denn er schimpfte auf Deutschland. Er erzählte ihnen ganz genau, wie es da in der Heimat aussah. Heide, Teich, Deich, krumme Wege, Dorf und Kirche, und dann sagte er: ›Seht, so ein krummes Land! Hier aber, in Iowa, ist alles rechtwinkelig!‹ So sagte er. Er hat ja gut lernen können in der Schule. Aber wie kommt schließlich der Fuchs aus dem Loch? Einmal hat er sich einen Rausch angetrunken und schimpft wieder über Schleswig-Holstein. Da heben die Engelsmann an, ein Spottlied auf die Deutschen zu singen. Da fängt er mit einem Male an zu weinen und schlägt um sich und schreit: Sie sollen nichts über Schleswig-Holstein sagen! Das wäre das beste Land der ganzen Welt. Und hat angefangen zu erzählen: von der Heide, vom Deich und von dem Mehl. Und so kommt es raus, daß er vor Heimweh verrückt geworden ist. Ist noch verrückt. Thut wohl seine Arbeit, ist auch nüchtern; aber abends sitzt er vor seinem Hause und macht einen kleinen Deich und den Rand der Heide und die Kirche und das Dorf aus Erde und kleinen Steinen und macht das so fein, daß wir Sonntags zuweilen hinfahren und da alle rund um ihn stehen. Und dann redet er in einem fort von dem alten krummen Land. Er meint aber, er kann gar nicht wieder hinkommen und thut, als wenn es im Mond liegt, und hat es ganz gut. Und wir auch, und von Anna soll ich grüßen, ist eine tüchtige Frau. Der Mais kostet nichts, Schweine vier Dollars, haben selbst geschlachtet.

Hinnerk Elsen, Farmer.«

Aus dem Schlafzimmer der alten Mutter kam der leise Schrei einer Kinderstimme. Ingeborg stand auf und ging in das Schlafzimmer, nahm ihre Kleine auf und setzte sich neben das Bett der alten Frau; die saß noch aufrecht. Mit leiser Stimme erzählte Ingeborg von dem Brief. »Es ist nur gut, Mutter,« sagte sie weich, »daß sie dort vorwärts kommen. Es thut Andrees gut, das zu hören. Er ist immer so bange um sie.«

Die alte Frau nickt. »Und gut ist alles geworden ... bis auf Marias Grab ... daß die drei alle in der Heimat wohnen, nicht weit voneinander. Andrees und Heim, und Franz auf Flackelholm. Wer hätte das gedacht!«

Ingeborg beugte den blonden Kopf auf das helle Haar ihres Kindes, das an ihrer Brust lag. »Ja,« sagte sie leise, »es ist schön in der Heimat.«

Ein glucksender Ton klang durch das Zimmer.

»Was thust du, Ingeborg?«

»Ich nähre das Kind.«

Die Blinde nickte. »Das habe ich gethan auf derselben Stelle, wo du es jetzt thust.«


In dem kleinen Haus im Eschenwinkel, dem letzten, das noch stand, lag in dieser Nacht der Pellwormer im Sterben. Die Thielsche saß neben seinem Bett. Am Tisch saß Antje. Sie hatte die Brille aufgesetzt – sie muß jetzt eine Brille tragen – und las: »Jesus meine Zuversicht«, und das Lied, das der grohe Klopstock gesungen hat: »Auferstehn, ja auferstehn wirst du.« Als der Morgen mit leisen Füßen über die Heide kam und in die kleinen niedrigen Fenster lugte, bat der Alte, daß man ihm den Kopf nach dem Fenster wendete. So lag er lange. Seine Lippen bewegten sich; Antje und die Thielsche wußten, was seine Seele sang:

»De Klock hett veer flahn,
Beer hett de Klock.
Der Tag vertreibt die finstere Nacht,
Ihr lieben Christen, seid munter und wacht,
Und lobet Gott den Herrn.«


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