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Fünftes Kapitel

»So!« sagte Heim zehn Wochen später: »Alles ist gehackt und gejätet; nun können wir mit unserer Arbeit nichts mehr thun, nun kommt die Zeit des Wartens! Hallo, Frau Eva! Wir spannen an und fahren nach Flackelholm!«

Sie nickte: »Ich habe es schon lange gewollt, obgleich ich mich vor der Wattfahrt fürchtete. Ich möchte Ingeborg wiedersehen.«

»Ist die Beste ... nach dir!«

»Was meinst du, wird sie Andrees' Frau?«

»Still! Wird nicht beraten; wird nicht besprochen! Auf Marias Grab blüht noch keine Rose.«

»Ich war gestern dort: sie hat Knospen.«

»Laß gut sein!«

»Hast du Aufträge für Andrees?«

»Nur einen Brief vom Pastor. Er hat mir ihn heute morgen bringen lassen, als ich vom Torfmoor kam; er soll sehr schwach sein.«

»Der Arme! Er macht es nicht mehr lange. Was hast du sonst?«

»Nichts! Ich will dich vorstellen als Frau.«

»Und dich selbst als Herrn!«

»Und dann will ich fragen, ob er den übrigen Eschenwinklern helfen kann. Sie gehen anderthalb Stunden weit nach dem Diekskooger Vorland auf Arbeit. Es ist ein Jammer.«

»Wie wohl alles enden wird, mir ist oft so bange! Ingeborg mit Andrees zusammen auf Flackelholm, das ist so peinlich, so unverständig, und Franz auf Strandigerhof, und Andrees' Mutter in ihrem stillen Zimmer ... Franz besucht sie täglich stundenlang, Heim!«

»Die Hauptsache ist, daß Andrees stark und daß Ingeborg seine Frau wird.«

»Du scheinst sehr glücklich zu sein.«

»Bilde dir nichts ein! Du!«

Er lehnte sich in den Stuhl zurück und dehnte sich. »Ich habe ein mächtig reines Gewissen,« sagte er. »Zehn Wochen stramm gearbeitet! Und das in den Flitterwochen. Andere Leute machen Hochzeitsreisen.«

»Du hast deine Hochzeitsreise zwischen den Kartoffelreihen gemacht ... Was meinst du, kommen wir vorwärts?«

»Wenn ich so brav und verständig bleibe wie bisher!«

»Darum sorge nicht, mein Lieber! Das ist meine Sache!«

Sie strich mit der Hand, an der der Ehering blitzte, über das Tischtuch und winkte ihm mit den übermütigen, dunklen Augen und nickte.

Er lachte: »Du hast Selbstbewußtsein!«

»Das bringt das schwere Amt so mit sich.«

Er streckte den langen Arm über den Tisch: »Hinaus!« rief er. Und als sie ihn lachend ansah, die vollen Arme auf den Tisch gelegt, sprang er auf.

Da lief sie rasch aus dem Saal; denn wenn er sie fing, ward sie sobald nicht wieder losgelassen.

 

Am Mittag sank draußen die Flut. Da fuhren sie in Reimer Witts Begleitung über das Watt. Es war eine Fahrt unter den günstigsten Verhältnissen: mit raschen, starken Pferden, bei hellem, klarem Wetter und leichtem Wind; aber das Herz der jungen Frau wurde doch bedrückt, und sie war sehr still, als sie das einsame Land endlich vor sich sahen. Es lag da wie ein grünes Blatt auf spiegelblankem Teich; denn schon kam die Flut; und das ganze Watt glänzte von sonnenbeschienenem Wasser.

Ingeborg kam ihnen von der Hütte her entgegen. Eva sah sie und dachte: »Wie ist sie ernst geworden und schön.«

Sie trug ihr schweres, blondes Haar einfach in Flechten gewunden im Nacken, hatte ein schwarzes, weiches Wollkleid an, fußfreien Rock und niedrige Schuhe von schwarzem Leder. Ihre Augen lagen, trotz der Fülle ihres Gesichts, tief in den Höhlen und hatten etwas Trauriges, Grübelndes. Wenn ihre glänzenden Blicke wie Pfeile ausflogen, zielten sie nicht auf die Augen der andern, sondern flogen scheu hierhin und dahin und dann, mutlos vom vergeblichen Suchen heimkehrend, sanken Bogen und Pfeile zur Erde.

Heim ging über die Düne Andrees entgegen, der auf der Ebene des Strandes sich näherte; Antje und Reimer waren fortgegangen, um im Dieksander Priel einige Krabben zum Abendbrot zu fangen.

Da faßte Ingeborg Evas Hand und sagte: »Kommen Sie mit in die Hütte! Es ist noch so warm. Wenn es Abend wird, besehen wir die Insel.«

In der Hütte, gleich am Eingang, sagte Ingeborg: »Heim ist von Kind an mein Freund gewesen; ich möchte auch Ihnen näher stehen. Darf ich ›du‹ sagen?«

Eva setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Tisch stand, und sah zu Ingeborg empor, freundlich, mit den dunklen, bittenden Augen; ihre weichen Lippen öffneten sich ein wenig, als wollten sie fragen: »Nun sage, was dich drückt?«

Ingeborg sah noch einmal durch den ärmlichen, kleinen Raum, dann glitt ihre hohe Gestalt auf die Kniee, und sie legte beide Hände in Evas Schoß: »Ich freue mich so,« sagte sie weich, »daß du gekommen bist. So lange hause ich nun hier. Hier schlafe ich, dort Antje; die Männer wohnen in der Blockhütte. Kein anderes Frauenwort als Antjes eintönige, oft wirre Rede, kein anderes Frauengesicht als ihre treuen, thörichten Augen. O, wie habe ich mich nach einem Frauengesicht gesehnt. Wie freue ich mich, daß du gekommen bist.«

»Weißt du,« sagte Eva und legte ihre Hände auf Ingeborgs Schultern, »ich bin deinetwegen gekommen; denn ich dachte: die braucht ein freundliches Wort.«

»Das brauche ich; ich muß Mut zeigen und habe keinen; ich soll hier bleiben und müßte fortgehen. Es quält mich, was die Menschen über mich denken. Das wollte ich dir klagen. Du bist meine Schwester.« So sagte sie und verbarg ihr glühendes Gesicht in Evas Schoß und fing an, genau von Marias Tod zu berichten.

»Mag sie bei Sinnen gewesen sein oder von Sinnen?«

»Von Sinnen,« sagte Ingeborg weinend. »Sie war krank.«

»So ist sie gestorben, weil sie helfen wollte. Das Licht ihres Verstandes war ausgegangen; nur die Liebe brannte noch.«

»Ja, Eva ... So ist es.«

»Also meine ich, ihr müßt vergessen, was an Schuld oder Versäumnis dahinten liegt, und müßt euch und den Eschenwinklern und sogar Franz helfen, wenn er der Hilfe bedarf. Das ist Marias Wille, der euch heilig sein muß. Und freut euch, Ingeborg, das, was Maria von euch fordert, will Gott von allen Menschen: daß wir einander helfen, nicht hassen.«

»So muß ich hier bleiben?«

»Ja! Solange er deiner Hilfe bedarf!«

»Du hast so etwas Sicheres und Ruhiges; mein Herz hört auf zu klopfen und wird still.«

»Wir müssen hilfsbedürftig sein gegenüber Gott, Ingeborg, und hilfreich gegenüber den Menschen.«

»Früher habe ich wie eine Lerche vor Gott und den Menschen gesungen. Jetzt verberge ich mein Gesicht.«

Da tröstete Eva die Weinende mit ihrer herzlichen Stimme und weichem Händestreicheln. Dann hob sie die Knieende auf und sagte: »Komm mit, wir wollen zu den Männern gehen.«

Die beiden standen auf der Düne: Heim etwas größer als Andrees, sonst ähnliche Gestalten, große, kräftige Männer, wie sie am Saume der Nordsee wachsen. Heim mit hellem Haar, Andrees dunkel; Heim sehr gerade und mit mächtigen Schultern, Andrees etwas hager und ein wenig gebeugt, sehr verändert, seit er vor einem Jahr in der Tübinger Weinstube stand. Heim sah gleich auf seine Frau, die er bereits entbehrt hatte: »Komm hier herauf, Kind!« rief er. »Hier siehst du bis England.«

»Hörst du?« sagte Eva, »Kind nennt er mich.«

»Ich glaube,«, sagte Ingeborg, »als ich klein war, hatte er mich lieb. Er war damals ein großer, langer Junge. Nachher sind wir immer Freunde gewesen. Nun bist du ihm die Nächste.«

Eva antwortete nachdenklich: »Es hat sich wunderbar gefügt, daß ich nun hier als glückliche Frau hause, so fern von meiner Heimat.«

»Ja, dein Leben ist bisher wunderlich verlaufen.«

»Aber nun wird es ruhig werden, sehr ruhig; ich kann nun bald nicht mehr weit wandern. Wenn der Winter kommt ... es wäre schön, Ingeborg, wenn du in diesem Winter auf Strandigerhof sein könntest und täglich zu uns kämst. Ich könnte dich wohl brauchen.«

»Ich will sehen, Eva. Ich will an das denken, was du mir anvertraust.« Und sie küßte rasch den Mund der jungen Frau.

 

Der Abend war mild und weich. Sie saßen auf der Bank, die oben auf der Düne stand, und sahen über das Meer, auf das der Abend sich niederließ wie der Schlaf auf den liegenden Menschen. Noch regte es sich und stieß mit den weißen Füßen gegen den Rand des Bettes, gegen den Strand von Sand; aber wie der Abend sank, verschwand da unten das Bild der Brandung, es wurde still und Nacht. Nur zuweilen, wie Murmeln im Schlaf, kam ein Rauschen und Grollen heraus. Fern, bald hier, bald da, wie das Weiße im Auge des Raubtiers, blitzte weißlicher Schein durch die Nacht.

Sie saßen alle stumm nebeneinander. Eva hatte den Arm um Ingeborg gelegt, Heim saß neben Eva. Andrees Strandiger saß auf der Salztonne, die er gestern vom Strand heraufgeholt hatte. Antje kauerte im Sand, der noch warm von der Sonne war; Reimer, der die Pferde besorgt, kam langsam die Düne herauf.

Es war etwas Erregtes, Festliches in ihren Mienen, erhöhte Feierabendstimmung. Antje hatte ein weißes Tüchlein um den braunen Hals gelegt, und Reimer hatte die lange Sonntagspfeife in der Hand. Es war das erste Mal, daß die Bewohner von Flackelholm den Abend miteinander verlebten.

Freilich das Gespräch stockte. Antje hörte auf das Klirren der Pferdeketten, das weither vom grünen Land herüberklang; Reimer Witt und Andrees sahen dem mächtigen Schiff nach, das still, langsam und stolz, eine schwimmende Stadt, die Norderelbe herunterglitt. Man sah die doppelte Reihe funkelnder Lichter; links vom Neuwerker Leuchtturm zog es dahin. Heim, der seit heute mittag keine Gelegenheit gehabt hatte, vertraulich mit Eva zu sprechen, versuchte, ihre Hand zu fassen, die ihm nach leisem Druck wieder entzogen wurde. Ingeborg atmete tief und ruhig, mit großen, sinnenden Augen. Sie lag dicht an Eva geschmiegt, fast an ihrer Brust.

Da legte Heim sich vor und sagte lebhaft: »Kinder! Ich will euch erzählen aus alten Zeiten! Antje, paß auf! Eva, sitz' ruhig! Ingeborg, spitze die Ohren! Es hat in meinem Hause gelegen, in der Eichenlade, und mein Vater hat's nicht gewußt und ich auch nicht. Aber meine Hausfrau fand es, ein altes Buch mit starken Holzdeckeln und Papier, ebenso rauh als grau. Was da drin steht, in steilen, saubern Schriftzügen, das ist vor zweihundertundsiebenzig Jahren auf dem Heidehof von einem echten Heiderieter niedergeschrieben; denn er unterzeichnet: Henni Heiderieter, cand. rev. min., seines Alters siebenunddreißig Jahr. Er hat es also als rechter Heiderieter nicht weiter als bis zum Kandidaten gebracht; er berichtet so.«

Und mit der Behaglichkeit, die dem Besitzer der weiten Wodansheide eigen ist, und in dem gemütlichen Ton, der die Hörer wie linde, weiche Luft umschmiegte, erzählte er. Die Menschen und die Möven in ihren Nestern im Sand und das stille, grüne Land und der leise schwankende Strandhafer hörten zu. Der Leuchtturm von Neuwer sah mit seinem Feuerauge herüber. Alles lauschte und freute sich über den Bericht aus vergangenen Zeiten. Nur das Meer grollte zuweilen von fern. Denn das Meer war bei der Geschichte sehr beteiligt:

»Nun ist denn also wieder der blanke Hans, das ist die wilde Nord- und Mordsee, über das Land gelaufen, hinter Häusern und fliehenden Menschen her gleich als einem Hund, der wild geworden ist und von einer Schafherde zur andern läuft und alles zerreißt. Dreimal hundert Jahre sind vergangen, seit das Meer also gewütet und gewallet, gefressen und verschlungen hat. Man kann wohl nicht ausrechnen, wie viele Jahrhunderte das her ist, daß das Wasser gegen die Düne sprang, und die Wellen den Uhlengiebel vom Heidehof naß gemacht haben. Nein! Damals hat der Heidehof noch nicht gestanden; damals war die Christenlehre noch nicht in diese Gegenden verbreitet; eo tempore sind die Heiderieter noch auf ihren Rossen über die Heide geritten, ein genus hominum vagabundum. Und nun habe ich, Henni Heiderieter, solch grausames Schauspiel und spectaculum mit meinen Augen sehen müssen. Ja mit meinen Händen, die solcher Arbeit ungewohnt sind, habe ich den Uhlengiebel mit Brettern verschlagen müssen, und habe vier Stunden lang am schrägen Hausdach gehängt, als ein nasser Pock am Grabenrand, und das wilde Wasser ist gegen mich angeschlagen und hat seine Hände nach mir ausgestreckt und ist noch nicht satt gewesen, Menschenleiber zu fressen.

Greulich hat die alte Sturmglocke geläutet, als um vier Uhr in der Morgenfrühe die ersten Wagen aus der Marsch den Sandweg heraufkamen, voll von Weibern und Kindern. Noch nie habe ich gesehen, wie Weiber Mut und Angst zugleich haben und wie kleine Kinder als Männer handeln können. Der eine da unten in der Marsch – über seinen Hof laufen jetzt die Wellen – hat seinem Jungen, so sieben Jahre alt war und nicht mehr, die Zügel in die kleinen Hände gegeben; sein Weib hat ihn nimmer verlassen wollen. Der Junge ist mit einem ganzen Wagen voll kleiner Kinder, vierzehn kleine Kinder, hin und her in sausendem Galopp, auf Schnickelwegen, eine und eine halbe Stunde lang, in dunkler Nacht durch die Marsch gefahren immer auf das Feuer zu, das wir angezündet hatten. Noch sehe ich es, und schwer enthalte ich mich der Thränen, als die Frauen die Kleinen, so fast erstarrt waren, an ihre warme Brust drückten, und wie der, so sieben Jahre alt war, den Arm nicht lösen konnte, so er um den Wagenbalken geschlagen, und die Finger nicht, die er um die harte und kalte Leine zusammengekrampft hatte.

Nämlich, Magister Johannes Jansenius, derzeit pastor an dieser Kirche, hat ein Feuer im Turm aufstellen wollen; aber fast wäre das Haus Gottes eine willkommene Beute der Flammen geworden, sintemal die Buchenscheiter, von der eisernen Platte, auf der sie gelegen, vom Sturm fortgerissen, auf die Kirche geflogen sind. Da habe ich, Henni Heiderieter, den selbiger magister so oft und so hart einen Träumer genannt hat, siehe lib. Mosis I, cap. 37, vers. 19, ein Feuer von Birkenreisern gemacht, ein gewaltig Feuer, zu Süden vom Heidehof. Wobei ich mir den schwarzen Rock verbrannt, so mir mein Vater selig hat machen lassen, hat einen Rieksdahler kost und sechs Schilling. Die Schliepen sind ganz weggebrannt; ist ein Jack daraus gemacht.

Also sind viele Wagen in dieser ersten grausigen Nacht angekommen, wo die Rosse mit weißem Schaum bedeckt waren, als wären es wahrhaftig schon die ersten weißen Wellen. Viele sind auch zu Fuß gekommen, große Weiber mit blassen, harten Gesichtern, oft nicht viel mehr an als ein grau Hemd, ihre Kindlein an Hand und Brust. Schrecklich und nicht zu sagen ist das, was sie berichtet haben. Die nach uns kommen werden, werden es lesen, und es wird ihnen sein, wie wenn sie gar wüst geträumt haben, und ist nicht wahr gewesen.

Sind nicht in den zwei Tagen, da eine einzige wilde Flut gegen das Land stürzte, vor uns in der Marsch drei Kirchen untergegangen und mehr als dreihundert Häuser und mehr als tausend Menschen? Und solches ist allein hier bei uns geschehen. Was dort oben die Inseln und Marschen der Friesen ertragen haben, das schreit zum Himmel. Daß die Menschen nicht fahren lassen die Rache gegen das wilde Meer! Daß sie sich einstmals in glücklicher Zeit wieder aufmachen und wieder gewinnen, was dort unten im grauen Meer liegt: Kirchen und Gräber, Häuser und Menschen und weites, fruchtbares Land! Daß Könige kommen, die stark Regiment führen, stark auch im Kampf gegen die Nordsee!

Also! Wenn ich früher im Heidehof aus der großen Thür schaute, sah ich da vorne in der Marsch nichts denn weites, grünes Land und niedrige Deiche und drei Türme, und manchmal habe ich gedacht, wenn ich es fertig brächte, daß ich das Examen machte – davon ich wohl in diesem Büchlein sagen darf damnatum sit –, möchte es wohl geschehen, daß ich dort einmal ein Prediger würde, denn gut sind die Stellen. Aber nun sind sie untergegangen; die wilden Wasser branden noch jetzt bis an die Düne, und keiner wagt sich hinauf; denn unsere Leute sind des Meeres ungewohnt, das nun ihr Nachbar worden ist; sie fürchten es und müssen neu lernen Wattlauf, Fischfang und Deichbau.

Nur einer, der hier wohnen geblieben ist, der sich mit seiner Tochter Grethje rettete, hat sich ein leichtes Boot gemacht und ist mit dem alten Harro Harrsen, der auch ein Geretteter gewesen, über Schlick und Watt hinausgefahren; hat aber nicht die Stätte finden können, wo sein Haus gestanden, und ist totenbleich allein zurückgekehrt. Harro Harrsen ist draußen ertrunken.

Peter Jens und seine Tochter haben aber bei uns am Herd gesessen, dieweil alle Häuser voll von Menschen waren, und haben in der Kammer gewohnt, welche zu Westen der Küche liegt. Grethje aber hat alsobald das Regiment in der Küche gehabt, nachdem sie das alte Mensch, so unsere Haushälterin gewesen, mit Schelten aus dem Hause getrieben. Sie ist aber groß und schlank wie ein Mastbaum und hat helles Haar. Und wenn mein Vater es gewährt, würde sie meine Eheliebste; denn klar sind ihre blauen Augen, und stark ist ihr Gang, und sie paßt wohl zu mir, wie magister Jansenius sagt und lächelt. Ich aber weiß, was er meint: dieweil ich ein Träumer bin und habe Josephs bunten Rock an, idest: lebe immer in allerlei Gedanken und Phantasieen, sitze und schnitze in Holz, also jetzo das modellum zu einem Kamin für serenissimum den Herzog, der im Schloß vor Husum zuweilen residiert. Sie aber führt Besen und Hacke gewaltig, fast furchterregend.

Nach diesem excursus, und nachdem ich nachgesehen, ob der Schlüssel zur Eichenlade gut schließet, auf daß sie nicht über das Buch komme, sehe, was ich hier leichtfertig hingeschrieben, und werde mir gram – kehre ich zu meiner Sache zurück. Also am zweiten Abend, als das Wasser sank und stiller ward, als da weit draußen im brausenden Meer die letzten Häuser verschwanden, da geht Peter Jens Tochter die Düne hinunter und strandet allerlei Gerät, Bretter und Balken, da sie im Werk hatten, sich ein Haus aus der Heide zu bauen, was mein Vater ihnen gewährt hatte. Ich aber, der sie hingehen sah, ging ihr nach; denn ich mochte wohl zuschauen, wie sie so stolz und hoch und im geschürzten Fischerkleid ins Wasser trat. Da mit einem Mal sah ich, daß sie beide Hände über die Augen hielt und über das schäumende, mit Wrackstücken bedeckte Wasser sah. Die Wrackstücke stießen und trieben wild durcheinander, sie aber schaute immer nach einer Stelle, wo etwas Rundes trieb, als wäre es ein großes Faß, wie man es für die Milch braucht, oder eine Tonne mit niedrigem Rand. Da aber ging es durch die Glieder der Jungfrau, wie wenn ein edles Roß die Peitsche fühlt. Sie riß mit einem Ruck den Gürtel auf, das Gewand fiel nieder, und wohl hätte ich meine Augen nun wenden müssen – aber ich meinte, daß ich ein Künstler wäre, und ich wollte schon lange eine Eva schnitzen für die Kirche, wie sie den Adam verleitet, den Apfel zu essen, und habe es nicht gekonnt, weil ich nimmer wußte, wie der Frauen Körper gestaltet ist, denn gar zu stark tragen die Frauen Wolle und Tuch um die Hüften, unschön dem strahlenden Auge des Künstlers – also, dieweil ich daran dachte, trotzte ich, daß ich stehen blieb und auf sie sah. Gleich ging sie ins Wasser und schwamm durch alle Wrackstücke, mit langen Stößen, von den Wellen gehoben und wieder überflutet, und ich lief die Düne hinunter und schrie laut auf, wenn ihre Schultern dem Stoß der treibenden Balken kaum entgingen. Dann hatte sie das runde Holz mit beiden Händen erfaßt und, an einen mächtigen Balken geschmiegt, trieb sie langsam gegen den Strand. Ich aber stand und sah sie näher und näher kommen und sah, was das ist, das da treibt – und meine Augen wurden voll Staunens, und ich vergaß die Brust, die sich in den Wellen hob, und vergaß das Blut, das ihr von der Schulter rann.

Da liegt ein kleines, hemdbekleidetes Kind, sechs oder acht Wochen alt, auf dem Rücken, in wollenen Tüchern, ganz umschnürt mit Streifen Leinen und festgebunden, und ist auf dem Schalldeckel einer Kanzel wohl stundenweit durch das wilde Wasser an den Strand getrieben und hat seine beiden roten Hände um die eiserne Stange gelegt, an der die Taube befestigt ist, und ist tot oder schläft.

Ich sprang in das Wasser, so wie ich ging und stand; da hatte sie schon festen Fuß gefaßt, und wir trugen den schweren Deckel mit dem Kind an den Strand. Dann warf sie ihr Gewand über, kniete hin, und während ich die Leinenstreifen löste, achtete sie mein nicht, sondern herzte und küßte und wärmte das Kind und riß Heidekraut los und rieb seine Glieder, bis das graue Gesichtlein sich rötete und die Kälte des Todes wich und das Kindlein anfing zu weinen.

Da sah sie mich zum erstenmal an, acriter et male, und zeigte auf den Strand und sagte, als wäre ich ein Diener und sie serenissima die Herzogin: ›Dort die Stämme will ich für unsere Hütte.‹ Dann ging sie mit dem Kind im Arm die Düne hinauf.

In der Nacht habe ich in Lindenholz geschnitzt bis gegen Morgen, mit heißem Kopf und zitternden Gliedern; denn ich war noch kalt von dem Wasser; aber ich habe es wohl getroffen, und als serenissimus der Herzog, da er durch das Dorf kam, die Eva in der Kirche sah, hat er mich in meinem Hause nach dem modell gefragt, das ist nach der Gestalt, nach der ich die figura gebildet. Und fast hätte ich es gesagt; aber Grethje stand am Herd, an dem er saß, und hatte die Feuerzange in der Hand und funkelte mit den Augen. Da schwieg ich. Denn obwohl sie sonst gut und weich ist, hat sie doch das, was die Lateiner impetus nennen, was man bei den jungen Pferden ›Nücken‹ nennt.

Bald danach habe ich den Auftrag bekommen wegen der Kamine in serenissimi Schloß vor Husum.

Am andern Tag hat Grethje Jens kein Wort zu mir gesagt und hat nicht geantwortet, als ich fragte: ›Jungfrau, wie geht es dem Knaben, so wir gestern im Wasser fanden?‹ Sie hat den Kopf in den Nacken geworfen und ist in die Kammer gegangen, und ich habe auf des Knaben Schreien gelauschet, und sie ist also ein stolzer, stummer und unfreundlicher Gast gewesen. Ich habe gemeinet, daß sie freundlich gegen mich sein würde, da ich ihr doch half und mit niemand über die Strandung redete; sie aber ist unfreundlich geblieben, bis mein Vater gestorben ist. Das war einen Monat nach dem Sturm.

Da habe ich eines Tags auf sie gewartet, bis sie aus dem Pesel trat, was Vater Luther nennt einen ›Saal‹ – da sagte ich: ›Jungfrau, weiß sie, daß das Knäblein getauft werden muß?‹

Und zum erstenmal antwortete sie und sagte: ›Ich will es heute zum magister tragen. Geht Er mit?‹

Da gingen wir zusammen hin.

Der magister sagte: ›Moses muß er heißen; denn er ist aus dem Wasser gezogen, aber wie weiter? Jens?‹

Da richtete sie sich hochmütig auf und sagte: ›Das zu bestimmen, mag meine Sache sein! Er soll nach meinem Vater heißen: Peter! Und weil er gestrandet ist, wie man Wrackholz strandet, so soll er heißen: Strandiger! Peter Strandiger soll er heißen; denn wir kennen seine Eltern nicht, die bei Gott sind.‹

Der magister sah zu ihr auf. Er war kein kleiner Mann und hat manchmal vor mir gerühmt, daß er sich vor nichts fürchtete, aber er hat kein Wort dagegen gesagt und hat das Kind getauft, auf das sie mit dem ausgestreckten Finger zeigte. Ich aber, magister Johannes Jansenius habe mich über dein Gesicht gefreut, quod erat perplexum.

Still sind wir nach Haus gegangen. Der alte Peter Jens stand vor der Thür und erwartete uns. Und als wir kamen, sagte er: ›Ihr seht aus wie Mann und Frau, die mit dem Erstgeborenen von der Taufe kommen.‹ Solche Rede fiel mir auf, da er sonst ein schweigsamer Mann war und ein Grübler.

Also nahm ich mir ein Herz und ging ihr nach in die Küche und sagte in geziemender Bescheidenheit und mit vorangeschickter Verbeugung: ›Will die Jungfrau Jens meine Eheliebste werden, so soll sie allzeit einen ehrerbietigen, nüchternen Ehemann an mir haben.‹

Sie wandte sich um, sah mich zum erstenmal an, seit sie das Kindlein aus dem Wasser rettete, und sagte hart und kurz und brach die Worte wie dürres Astholz: ›Ich muß wohl!‹ War aber nicht freundlich mit mir, wie sich für eine verlobte Braut schickt.

Nach einigen Monaten ist der alte Peter Jens schwer krank geworden, und in seiner Krankheit redete er – er war aber schon halb irre – von seiner letzten Fahrt ins Watt, bei der Harro Harrsen umkam. Ich habe das, was er sagte, in Reime gebracht, nicht nach der Weise, wie da unten in Deutschland in diesen Zeiten gedichtet wird, sentimentaliter, sondern simpliciter, nur, was er gesagt hat und in der Sprache, in der er es gesagt hat:

›Nu fahr man too! Graad uut den Weg.‹
›Süggst du een Gröw? Süggst du een Steg?‹
›Too Kark willt wi den Weg inslahn!‹
›Keen Klock röpt mehr too Kartengahn
Int doode Land!‹

›‹Weg sünd de Hüüs, weg ist de Diek,
Dat wille Waater hett sien Riek.
Heff sömptig Jahr hier wirkt und streevt,
Heff sömptig Jahr so glückli leevt
Int schöne Land!‹

›Watt süggst du denn? Watt steihst du op?
De Well speelt mit den Doodenkopp.
De Dooden, de sind operstahn,
De Lebenden sünd unnergahn.
Dat arme Land!‹

›Wo sünd wi nu? Mi will dat schien,
Da ... da ... da mutt dee Grasweg sien ..
Kiek da, min Wurt! De gröne Soot!
Min Jung sin Laad! – Min Jung ist dood,
Min smucke Jung!‹

›Torügg dat Boot! Unn sett di hin!
Dat Waater laakt und ritt uns rinn!‹
›Min stolze Jung! Min Wurt soo groot!
Min Haar so witt! Bün leewer dood
Bi Jung un Wurt!‹

›Nu fahr alleen ick öwert Watt,
Min Haar ook witt, min Hart ook satt.
Doch will ick tööwen, bitt hee mi röppt:
Min Fahrtüch denn von sülven löppt
Int schöne Land!‹

In der Nacht starb er.

Seitdem sind nun zwanzig Jahre vergangen; ich bin jung gewesen und fast alt geworden. Ich bin in der Fremde gewesen und wieder in die Heimat gekommen. Das Land, das da unten in Sturm und Graus untergegangen ist, hebt sich wieder aus dem Wasser. Zu Norden von unserer Landschaft reden die Menschen wieder von Deichbau. Nur bei uns, wo der Ansturm des Wassers am größten war, und wo der tiefe Wehl gerissen ward, will das Land nicht wachsen. Aber Peter Strandiger, unser Pflegesohn, arbeitet da unten, zieht Gräben und baut Dämme und beobachtet mit seinen scharfen Augen den Lauf des Wassers und sagt: ›Meine Eltern liegen draußen im Watt. Ich will den Anfang machen, daß wir das Land wieder gewinnen. Wenn ich siebenzig Jahr alt werde, will ich noch hinterm Deich in einem Hause wohnen, das ich selbst aus Wrackholz gezimmert habe, und das Haus soll Strandigerhof heißen.‹ Wenn er abends mit seiner Herde Schafe heimkommt, springt unser Sohn ihm entgegen, den Grethje mir geboren hat, unser einziges Kind.

Solches und mehr, darüber man billig staunen mag – das ich aber nicht beschreibe, sintemal Frau Grethje jedesmal, so ich schreibe, gar ernst dareinsieht – habe ich erlebt in den Tagen meiner Erdenwallfahrt, wie Lutherus sagt, ich, Henni Heiderieter, der ich candidatus bin und ein Figurenmacher in Holz und Stein.«

Still war die Nacht. Im blauen Mantel, unzählige Sterne hineingewirkt, stand sie über Meer und Land. Fern über Neuwerk hin bewegte sie zuweilen den Saum, als wollten sie ihn heben; dann gab es raschen, hellen Schein wie Wetterleuchten. Die Menschen auf der Düne, am Rand der Erde, erhoben sich, sahen in die Nacht hinaus, redeten leise miteinander und gingen in die Hütte.


Am andern Morgen, als Heim und Eva aufbrechen wollten, dachte Heim an den Brief, den er aus dem Pastorat erhalten hatte. Er kam, über seine Vergeßlichkeit den Kopf schüttelnd, zu Andrees: »Du, ich vergaß, hier ist ein Brief vom Pastor!«

Andrees öffnete ihn hastig. Da stand nichts weiter darin als: »Wenn Du deinen alten Freund noch einmal sehen und sprechen willst, so komme bald: es geht zu Ende.«

Da fuhr Andrees Strandiger mit Heim ans Land. Reimer Witt blieb bei den Frauen zurück.


Pastor Frisius lag im Sterben. An seinem Bett standen Haller und der Pellwormer. Der Pellwormer trat von einem Fuß auf den andern, wollte etwas sagen; aber er konnte nicht. Haller wischte dem Kranken die Schweißtropfen von der Stirne und sagte immer: »Mein lieber Freund.« Der Pellwormer schoß gegen das Bett, aber was er sagen wollte, fing mit einem schwierigen Wort an: »Ich komme bald nach.«

Die Haushälterin saß im Lehnstuhl am Fenster, hatte ihren weißen Kopf gegen die Lehne gelegt und war, vom Nachtwachen ermüdet, eingeschlafen.

Da kamen Heim und Andrees. Heim wurde weich, als er das veränderte Gesicht seines alten Lehrers sah, und legte seine warmen Hände über die kalten, magern Finger. Der Pastor sah ihn an; es war noch derselbe Blick, mit dem er früher zu dem Knaben vom Heidehof gesagt hatte: »Geh' nach dem Garten, Heim, und stecke dir die Taschen voll Äpfel. Dann gehe hintenum, daß Liese dich nicht sieht.« Das war die damalige Haushälterin.

Als er Andrees sah, versuchte er sich ein wenig aufzurichten. Da er es aber nicht vermochte, legte er sich wieder hin und sagte leise in Absätzen, während sie horchten: »Als Maria starb, wurde ich krank. Und als sie auswandern wollten ... an der Kirchenthür zog der Wind ... und Schütt, daß er fortging, so verbittert ... und die andern haben doch keine Schuld, ihre Spaten waren immer blank, sie hatten alle schwielige Hände ... und mußten doch fort ... war kein Platz mehr für sie ... Andrees, da haben wir alle schuld ... ich auch ... das hat mir die letzten Monate so schwer gemacht ...

Sie sagten alle zu mir: ›Predige! Predige! Rede vom Reiche Gottes! Das andere ist nicht deine Sache ...‹ Petrus aber hat am Sonntag gepredigt und getauft, am Montag Brot verteilt, am Dienstag auch ... die ganze Woche ... dann konnte er am Sonntag predigen voll heiligen Geistes ...

Das zerriß mir das Herz und nahm mir den Mut, Gottes Sonne zu sehen. Maria hat zugegriffen, wir haben zugesehen. Die Arbeit war für das Kind zu schwer, keiner half ihr ... da sank sie in die Tiefe. Dann zogen sie fort, und wir standen an der Straße und ließen sie ziehen und thaten den Mund nicht auf und nicht die Hände ... Es war Mangel an Erkenntnis und an Willen ... Ich war nicht stark genug für das Amt, das er mir gegeben hatte ... Sie sagten: Predige ... Sie sagten Friede! Friede ... und ist kein Friede ... ist Not ...

Ich bin nicht Judas ... ich habe Ihn über die Maßen lieb ... aber ich bin der, von dem es heißt: er ließ seinen Mantel in ihren Händen und floh nackend davon ... Ich bin Petrus: Ich beschwöre euch, ich kenne Ihn ... nicht genau ...

Andrees ... Mein Andrees ... Heim ... habt Ihn auch lieb!

Und wenn von seinen goldenen Verheißungen kein Wort an meiner armen Seele wahr geworden ist, morgen früh, wenn der Tag graut: so will ich doch froh sein, zu Ihm gehalten zu haben; denn er hat meinem Leben Halt und Kraft, meinen Händen warmen Druck und meinen Augen frohen Glanz gegeben. Ihr seid noch jung: Helft ihnen, daß sie Land haben ... Eine Schar Sperlinge sah ich, vom Oststurm gejagt, ins Meer nach Westen treiben; sie schrieen. So ist das Volk, das kein Land hat.

Im Evangelium steht: es geschah schnell ein Brausen ... das ist der Jammer ... es geschieht nichts. Sie sagen: Predige!«

Danach, während sie sich über das Bett beugten, fing er an, für die Gemeinde zu beten: »Segne die Heide und die Marsch, den Weizen und die Kartoffelfelder. Laß die Heide abnehmen und die Marsch wachsen. Laß das Pflugland sich dehnen und die Weiden abnehmen. Segne den Pflug und den Spaten, das ist das deutsche Schwert ... Segne die Kinder, die zu Hause sind, und die Weihnachten nach Hause kommen, und die nicht wiederkommen. Segne die Kinder, die im Dienste sind, und die des Kaisers Rock tragen, und die in Iowa ... Schütt ... vergieb ihm, daß er auf die Heimat schalt; er wußte nicht, was er that. Seine Kinder mache stark gegen die Sünde; du weißt, es ist das vierte Geschlecht ... Nun hilf aller Not, nun hilf auch mir ...«

Die Stimme, der Atem versagte. Der Pellwormer sprach ein Vaterunser. Er war jeden Sonntag in der Kirche; so kam es, daß er in dem Ton und der Weise des Sterbenden betete. Der schien zuzuhören ... Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen!

Lehrer Haller trat nach einer Weile näher, beugte sich nieder und sah in brechende Augen.

»Ich bin so neugierig ...« sagte der Sterbende.

Ja, neugierig, mit großen, fragenden Augen hatte Johannes Frisius in das Leben, in die Natur und in die Bücher geschaut. Und neugierig schaute er auch in das neue Land. –

Am anderen Vormittag stand Andrees am Bett seiner Mutter. Sie war noch nicht aufgestanden, saß aber schon aufrecht und hatte die weiße Morgenhaube schon auf, eine von jenen großen, welche das ganze Haar bedecken und so gemütlich aussehen, so recht großmütterlich. Anna Haller, von jeher eine Freundin der alten Frau, in großer, heller Wirtschaftsschürze, waltete mit der Wichtigkeit einer jungen Mutter in den beiden freundlichen Stuben, in welche die Morgensonne schien.

Er sagte ihr, daß er vorläufig wieder nach Flackelholm ginge. Sie schien nicht zu erschrecken. »Gehe nur!« sagte sie. »Ich habe ja auch Zeit genug, für dich die Hände zu falten. Ich habe es immer gefürchtet, daß das Geld, das dein Vater in Flackelholm verarbeitet hat, dich nicht ruhen lassen, und daß deines Vaters Ende deinen Trotz aufwecken würde, Flackelholm doch zu zwingen. Die Strandiger sind hart; ich bin zu weich für sie.«

Über Maria sagte sie nichts, von Franz, daß er oft zu ihr käme und ihr erzählte, wie er den Hof verwaltete: »Er ist ein tüchtiger Landwirt, Andrees. Es war ein guter Gedanke von dir, ihn während deiner Abwesenheit zum Verwalter zu machen. Sieh nur zu, daß du die Arbeiten auf Flackelholm beschleunigst, damit du zum Herbst hierher kommen kannst. Dann kannst du im nächsten Frühling, wenn das Trauerjahr um ist, mit Ingeborg Hochzeit machen. Grüße Ingeborg!«

Dann ging er, nachdem er ihren weißen Kopf gegen seine Brust gedrückt hatte.

Vom Heidehof aus machte er sich nach Flackelholm auf den Weg. Als Heim ihn fragte: »Wie denkst du nun über die Zukunft?« sagte er: »Du wirst es bald erfahren.«

 


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