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VII

Der Amtsdiener des Staatsanwalts Dr. Spielvogel meldete mit seiner knarrigen Sergeantenstimme: »Herr Justizrat Hagen!« und ließ den Besucher unmittelbar eintreten, wie es ihm vorher schon befohlen worden war. Der Staatsanwalt wartete einen Augenblick, bis sich die Tür hinter dem Diener wieder geschlossen hatte, schüttelte dann dem Justizrat die Hand und rückte ihm den besten Stuhl zurecht. Die beiden Herren waren vom Juristenstammtisch und vom Jagdverein recht gut miteinander bekannt, darum hatte der Justizrat die kleine Pause vor der Begrüßung wohl bemerkt und fand das Mißtrauen, mit dem er der Aufforderung zu dieser Unterredung gefolgt war, dadurch bestätigt. Schon die ersten Worte des Staatsanwalts zeigten ihm, daß er richtig geraten hatte:

»Wir hätten uns zwar heute abend ohnehin im Blauen Schwan getroffen, aber ich mußte Sie doch hierher bitten, weil es sich ja um eine amtliche Sache handelt. – Damit ist nicht gesagt«, setzte er eilig hinzu, »daß ich nicht versuchen möchte, sie unauffällig und freundschaftlich zu behandeln – solange es geht! Sie sind hoffentlich im Bilde, lieber Kollege?«

Justizrat Hagen neigte bejahend den Kopf, er war sich völlig im klaren, um was es ging: Sybille natürlich – der Teufel mochte wissen, was sich das Mädel dachte! Da sprach es der Staatsanwalt unzweideutig aus: »Ihr Mündel, Fräulein Wohlbrink, hat einer Zeugenvorladung in der Mordsache Hanke und Genossen keine Folge geleistet und hat sich auch nicht entschuldigt – das kann ich unmöglich hingehen lassen, so leid es mir tut, lieber Kollege! Wo befindet sich Ihr Mündel gegenwärtig?«

»Auf Reisen!«

»Nun ja – aber sie wird Ihnen doch eine Adresse angegeben haben, unter der sie erreichbar ist?«

»Eben nicht!« gestand der Justizrat, es kam recht verärgert heraus. Der Staatsanwalt verhehlte sein Erstaunen nicht, er lehnte sich im Stuhl zurück und sah über die aneinandergepreßten Fingerspitzen weg seinem Gast in die Augen: »Verzeihen Sie, lieber Kollege – aber ich darf das wohl etwas ungewöhnlich nennen? Fräulein Wohlbrink ist doch minderjährig, soviel ich weiß?«

»In sechs Wochen ist sie einundzwanzig!«

»Nun, immerhin …«

»Verzeihen Sie, Herr Kollege – darf ich vertraulich sprechen?«

»Ich bitte darum – ich habe ja eingangs betont, daß ich bereit bin …« Der Justizrat beugte sich vor und sprach leise und eindringlich: »Zunächst bestand ja Aussicht, daß auf die Zeugenaussage meiner Nichte ganz verzichtet würde!«

»Ich weiß!« nickte der Staatsanwalt.

»Als ich deswegen vorsprach, ahnte ich nicht, daß das Mädel in ganz bestimmter Richtung unter Druck gesetzt worden war; man hatte versucht, sie zu einer Verlobung zu bestimmen, zur Bemäntelung des Skandals …«

»Wer außer Ihrer Nichte und Ihnen hatte ein Interesse daran?«

»Meine Nichte ist recht vermögend und könnte, sagen wir, eine wacklige Firma schnell sanieren!«

»Oh!« machte der Staatsanwalt.

»Jawohl, das könnte sie, aber sie denkt nicht daran und will sich natürlich erst recht nicht dazu zwingen lassen! Der bloße Versuch hat sie ganz kopfscheu gemacht, und sie ist davongefahren, ›um mit sich ins reine zu kommen‹, wie sie sich ausdrückte. Zuerst war ich recht böse, aber dann habe ich mir's anders überlegt: sie wollte mich aus dem Spiele lassen, ich sollte mit gutem Gewissen sagen dürfen, daß ich eben nicht weiß, wo sie ist …«

»Das würde – verzeihen Sie! – im Ernstfall wenig bessern, im Gegenteil, als Vormund kämen Sie dem Gericht gegenüber dadurch in eine schiefe Lage!«

»Na ja – noch ist es nicht soweit! Der Fall liegt doch so, daß diese gerichtliche Vorladung als Mittel zu einem sehr privaten Zweck mißbraucht wurde, und da die Aussage meiner Nichte juristisch ja wirklich völlig belanglos ist …«

»Das ist sie, zugegeben, Herr Kollege! Aber es ist nicht belanglos, daß die junge Dame auf eine Vorladung hin einfach nicht erscheint! Ich bin bereit, mich mit einer halbwegs stichhaltigen Entschuldigung zufrieden zu geben, ohne allzu genaue Prüfung – aber die Vorladung kann nicht unerledigt zu den Akten gehen!«

»Aber wie soll ich es denn machen, ich weiß doch wirklich nichts!« stöhnte der Justizrat. »Weggefahren ist sie ohne Angabe eines Reiseziels. Vierzehn Tage später bekam ich eine Nachricht aus Krummhübel, daß sie einer neuen Bekannten zuliebe eine kurze Auslandsreise machen müsse – das ist alles!«

»Das verstehe ich eben nicht – verzeihen Sie, Herr Kollege!«

»Es ist ganz einfach zu verstehen: die Mutter meiner Nichte war Deutschamerikanerin, die zwar zurück hierher geheiratet hatte, mit dem Herzen aber doch wohl drüben geblieben war, hier schien ihr immer alles ein wenig zu eng, überlebt. Doch dem letzten Wunsch des armen Wohlbrink zuliebe hielt sie nach seinem Tode hier aus und unterließ es auch, das Mädchen wissentlich zugunsten Amerikas zu beeinflussen. Sybille sollte frei entscheiden können. Nun gut, da es nun durchaus möglich ist, daß sie hinüber geht, so habe ich es für meine Pflicht gehalten, sie etwas selbständiger zu erziehen, als es sonst bei uns üblich ist … So ist das!«

»Sehr interessant zu hören«, lächelte der Staatsanwalt, »aber es bringt uns nicht weiter – was soll werden? Ich möchte die junge Dame doch nicht polizeilich vorführen lassen?«

»Nein, bitte nicht!« lächelte der Justizrat zurück, änderte aber gleich darauf Ton und Miene und erklärte sehr förmlich: »Mein Mündel, Sybille Wohlbrink, hatte in letzter Zeit unter nervöser Abspannung zu leiden, was Dr. Franke, unser alter Hausarzt, gern bestätigen wird. Sie befindet sich auf einer Erholungsreise und wird nicht vor sechs Wochen heimkehren. Ich bitte um Zustellung einer neuen Vorladung für einen Termin, der nach diesem Zeitpunkt liegt, also etwa sieben Wochen, von heute an gerechnet. Ich werde mir gestatten, diese Bitte schriftlich zu den Akten zu geben.«

»Schön – und wenn sie dann noch nicht zurück ist?«

»Dann ist sie großjährig!« grinste der Justizrat und rieb sich die Hände. »Aber das bitte ich zunächst noch nicht zu den Akten zu nehmen! Besten Dank, Herr Kollege!«


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