Georg Forster
Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775
Georg Forster

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26. Kapitel

Lauf von der Ascensions-Insel an der Insel Fernando de Noronha vorüber nach den Azoren – Aufenthalt zu Fayal – Rückkehr nach England

Nachdem wir die Insel Ascension verlassen hatten, liefen wir so weit nach Westen, daß wir am 9. Juni nachmittags die Insel Fernando de Noronha unweit der brasilianischen Küste zu Gesicht bekamen. Kapitän Cook richtete seinen Lauf dorthin, um die astronomische Länge dieser Insel, die noch ungenau war, zu bestimmen. Wir näherten uns ihr von der Ostseite, liefen um die Ratteninsel und erblickten die Bahia de Remedios, die durch fünf Kastelle geschützt wird. Die Insel war mit Waldungen bedeckt, und einige Berge hatten das Ansehen, als ob sie vulkanisch wären. Die fünf Festungen ließen ihre Flaggen wehen, und von einer wurde eine Kanone abgefeuert. Wir zeigten ebenfalls unsere Flagge und feuerten ein Stück unterm Winde ab.

Am 11. Juni passierten wir den Äquator zum zweitenmal, nachdem wir uns zwei Jahre und neun Monate auf der südlichen Halbkugel aufgehalten hatten. Die hier gewohnten Windstillen hielten vom 14. bis zum 18. an, worauf wir den Nord-Ost-Passat bekamen. Die Mannschaft hatte einige Haifische und ein Meerschwein gefangen und mit gutem Appetit verspeist. Fast die Hälfte einer Sammlung lebender Tiere, die mein Vater am Kap der Guten Hoffnung gekauft hatte, waren gestorben. Wollte er die übrigen am Leben erhalten, so mußte er sich jetzt in neue Kosten stürzen, um sie gegen die Matrosen zu schützen, die fast alle bisher gestorbenen heimtückisch umgebracht hatten.

Der Passatwind führte uns innerhalb zwölf Tagen über den heißen Erdgürtel hinaus und hielt hernach noch fünf Tage an. Am 4. Juli bekamen wir kurze Windstöße, dann zwei Tage lang eine völlige Windstille. Die Breite, wo diese Windstillen meist herrschen, nennen die Seeleute die Pferdebreiten, da sie den Pferden und anderem Vieh, das nach Amerika gebracht wird, sehr schädlich sind. Es gibt Fälle, in denen die Windstillen einen ganzen Monat angehalten haben.

Am 9. bekamen wir guten Wind, womit wir unseren Lauf nach den Azoren richteten. Am 13. nachmittags erblickten wir auch schon die Insel Fayal. Um sieben Uhr gelangten wir in die Bai, wo die Schiffe gewöhnlich ankern. Der portugiesische Oberpilot kam uns in einem Boot entgegen, um uns einen sicheren Platz im Hafen anzuweisen, wo bereits drei Schiffe vor Anker lagen. Nachdem wir den Anker hatten fallen lassen, wurde ein Offizier mit der gewöhnlichen Anfrage nach der Art der Begrüßung geschickt, nachdem er aber einige Stunden aufgehalten worden war, entließ man ihn mit der Antwort, daß das Kastell allemal zwei Kanonenschüsse weniger zurückgebe, als es bekommen hätte, weshalb wir es denn gar nicht begrüßten.

Gleich nach Mittag ging Kapitän Cook mit meinem Vater und mir unter dem südlichen Kastell ans Ufer. Wir hatten kaum den Fuß aufs Land gesetzt, da entdeckten wir schon, warum die Portugiesen nicht Schuß für Schuß auf unsere Salve antworten wollten. Die Kanonen lagen auf veralteten Lafetten, und da war es freilich nicht ratsam, sie der gewaltigen Erschütterung beim Abfeuern auszusetzen. Außerdem erklärte man uns, daß der jetzige ökonomische Minister in Portugal es für überflüssig halte, bei dergleichen Gelegenheiten Schießpulver zu verschwenden. Wir gingen durch einen Teil der Stadt, die aus einer Hauptstraße besteht, die von einigen Quergassen durchschnitten wird. Nachdem wir die Pfarrkirchen besucht hatten, die alle im gotischen Stil gebaut sind, wurden wir zum englischen Vizekonsul geführt, der uns sehr höflich empfing und den Herren Wales und Hodges, sowie meinem Vater und mir sein Haus während unseres Aufenthalts anbot. Hierauf führte er uns in die verschiedenen Klöster. Eins gehört den Franziskanern nebst verschiedenen Laien, die der hiesigen Jugend Unterricht in Beredsamkeit, Philosophie und Theologie geben. Ein anderes Kloster mit zwölf Karmelitern und ihren Laienbrüdern liegt auf einer Anhöhe. Das dritte gehört zwölf Kapuzinern und einigen Laien. Das vierte steht im besten Teil der Stadt und war bisher das Jesuitenkloster, allein es dient jetzt als Gerichtshof.

Wir besuchten darauf die beiden Nonnenklöster, wovon eins dem heiligen Johannes gewidmet ist und von einhundertfünfzig Nonnen vom Orden St. Clara und von ebenso vielen Mädchen bewohnt wird. Sie tragen einen langen Rock von dunkelbrauner Serge über einem anderen von weißem Kattun. Im zweiten Kloster wohnen achtzig bis neunzig Nonnen vom Orden der Nossa Senhora de Conceiçao mit ebenso vielen Aufwärterinnen. Sie tragen weiße Kleider und auf der Brust eine silberne Platte mit dem Bilde der heiligen Jungfrau.

Am folgenden Morgen besuchten wir die Offiziere der im Hafen liegenden französischen Fregatte, die im Hause einer englischen Witwe, Madame Milton, wohnten. Diese Frau brach gleich in Tränen aus, als sie hörte, daß wir um die Welt gesegelt seien, denn diese Reise erinnerte sie an den Verlust eines Sohnes, der mit Kapitän Furneaux gefahren und mit dem unglücklichen Rowe von den Neuseeländern den grausamsten Tod erlitten hatte. Madame Milton hatte nach reiflicher Erwägung der vielen Widerwärtigkeiten, die sie in ihrem Leben erfahren, den Entschluß gefaßt, ihrer Tochter Ruhe und Glückseligkeit zu sichern und sie in eins der hiesigen Klöster zu schicken, ohne dabei zu bedenken, daß im vierzehnten Jahre des Lebens die Welt solche Reize und Annehmlichkeiten hat, die freilich im fünfzigsten ihre anziehende Kraft verlieren. Einer unserer Offiziere nahm sich also ihrer an und suchte Madame Milton von ihrem Vorhaben abzubringen, indem er sie in den plumpsten Ausdrücken eines groben Seefahrers versicherte, daß sie, statt ein verdienstliches Werk zu tun, den ewigen Fluch Gottes auf sich ziehen würde. Die Leser mögen entscheiden, ob die Ermahnungen eines Seemanns überhaupt und in diesem Ton großen Eindruck machen konnten.

Wir machten hernach einen Spaziergang auf die Hügel um die Stadt. Sie waren stark bebaut und alle Felder mit Mauern umgeben. Die Bewohner bauen meist Weizen an, dazu etwas Gerste und Mais, der zwischen den Kastanienbäumen gesät wird, die das Land sehr verschönern. Um die Häuser fanden wir Felder mit Gurken, Kürbisseen und Melonen. Ihre Obstgärten enthalten Zitronen, Orangen, Pflaumen, Aprikosen, Feigen, Birnen und Apfelbäume. Sie pflanzen Kohl, ihre Möhren- und Rübenarten aus, weshalb sie jährlich frischen Samen aus Europa beziehen müssen. Die Regierung hat den Anbau von Kartoffeln befohlen, sie werden auch häufig gepflanzt, aber wohlfeil verkauft, weil das Volk sie nicht gern ißt. Große Zwiebeln und Knoblauch werden als die schmackhaftesten Gewächse in großer Menge gezogen, wie auch die Liebesäpfel (Tomaten) und Erdbeeren. Man findet auch einige Weingärten, allein es wird nur wenig und schlechter Wein davon gemacht.

Die Wege sind gut gebaut, aber die Karren machen einen unerträglichen Lärm, den man ihrer schlechten Konstruktion zuschreiben muß. Die Räder bestehen aus drei großen Stücken Holz, mit Eisen beschlagen und an einer starken Achse befestigt, die sich folglich mit den Rädern in einem runden Loche dreht, das sich unter dem Karren in einem dort befestigten Balken befindet. Die Kleidung der Männer besteht aus groben linnenen Hemden und Hosen mit blauen Jacken und Stiefeln. Die Frauen tragen einen kurzen Rock und Leibchen oder Jacken. Das Haar ist hinten in einen Knoten gebunden. Wenn sie zur Stadt gehen, legen sie einen Mantel um, der den Kopf bedeckt und nur eine kleine Öffnung für die Augen läßt.

Wir fanden sie alle entweder auf dem Felde oder im Hause bei der Arbeit, und nicht ein einziger müßiger Bettler war zu sehen. Wir gingen in einige Wäldchen und Gebüsche auf den Hügeln, wo wir unter hohen Espen viele wilde Myrthen und auch Myrica (Gagel) fanden. Stadt und Reede lagen zu unseren Füßen und die Insel Pico in einer Entfernung von zwei bis drei Seemeilen gerade gegenüber. Auf allen Seiten ließen sich unzählige Kanarienvögel, Drosseln und andere Singvögel hören, deren Konzert um so lieblicher klang, als es uns an europäische Szenen erinnerte, die wir so lange nicht gesehen hatten.

Die Hitze nötigte uns gegen Mittag, zur Stadt zurückzukehren. Die Gegend war mir jedoch zu reizend, als daß ich den ganzen Tag in der Stadt geblieben wäre. Ich unternahm also mit einigen Herren noch einen Spaziergang, und weil wir einen Bach oder ein Flüßchen zu sehen wünschten, nahmen wir einige kleine Burschen als Wegweiser mit. Wir wurden anfänglich ziemlich in unserer Erwartung betrogen, weil wir nur das breite, tiefe Bett eines Stromes erblickten, worin an einer Seite ein kleiner Bach zwischen den Klippen und Kieseln hinabrieselte. Auf Zureden der kleinen Burschen gingen wir aber hinunter und kamen bald an eine Quelle, wo mehrere Mädchen Wasser schöpften. Wir folgten nun dem Bett dieses Regenbaches, das, wie man uns versicherte, im Winter ganz mit Wasser gefüllt ist. Die Einwohner erwarteten eben jetzt den Regen und hatten daher viele Flachsbündel in das trockene Flußbett gelegt, um sie hier einweichen zu lassen. Unterwegs hielten wir bei einer Bauernhütte an, wo wir den gewöhnlichen Landwein probierten, der zwar etwas herbe, aber gesund und gut war. Der Regen, den die Leute erwartet hatten, fiel wirklich gleich nach unserer Rückkehr, und man sagte, er sei gerade zu dieser Jahreszeit unschätzbar, weil er die Trauben fülle, die sonst nicht größer als Johannisbeeren würden.

Am Sonntag begleiteten wir den Kapitän zu den Klöstern. Jedes hat eine eigene Kirche, wo wir gewöhnlich zwei einander gegenüberstehende Kanzeln gewahr wurden. Es ist hier zu gewissen Zeiten üblich, daß man dem Teufel gestattet, sich zu verteidigen. Er besteigt also die eine Kanzel, während er von der anderen herab verklagt und verdammt wird, denn man kann sich wohl vorstellen, daß der arme Teufel immer den kürzeren ziehen muß. Abends sahen wir eine große Prozession, bei der alle Priester der Stadt und die vornehmsten Einwohner in schwarzen Mänteln zugegen waren.

Am folgenden Morgen gingen wir nach den nordwärts liegenden Bergen. Wir konnten eine weite Ebene und jenseits derselben eine Reihe von Bergen überschauen, die den höchsten Teil der Insel ausmachen. Nach Aussage der Einwohner liegt oben auf einem Berge ein großes Tal, in dessen Mitte ein kreisförmiger See zu finden ist, auf dem sich unzählige wilde Enten aufhalten. Die Mulde, die wegen ihrer Figur la Caldeira, der Kessel, genannt wird, scheint der Krater eines erloschenen Vulkans zu sein, was um so wahrscheinlicher ist, weil auf den Azoren bekanntlich verschiedene Vulkane existiert haben. Auch Erdbeben sind nicht ungewöhnlich auf den Azoren, und drei Wochen vor unserer Ankunft hatte man auf Fayal noch drei Erdstöße erlebt.

Wir kamen in die Stadt zurück, und obgleich wir den heißen Erdgürtel verlassen hatten, war uns die Hitze doch recht beschwerlich. Am folgenden Tag nahmen wir Abschied von allen unseren Bekannten und fuhren zu Mittag mit dem Konsul und verschiedenen portugiesischen Herren ans Schiff. Der Nachmittag verstrich recht angenehm, da unsere Gäste ungezwungen und aufgeräumt waren. Abends gingen sie ans Land zurück, und um vier Uhr am folgenden Morgen lichteten wir die Anker und segelten mit günstigem Winde ab.

Wir fuhren an San George und Graciosa vorüber und erblickten Terceira gegen Mittag. Um drei Uhr nachmittags liefen wir an der nördlichen Küste hin, wo wir die reichsten Kornfelder und verschiedene mit Bäumen umgebene Dörfer sahen. Gegen Abend richteten wir unseren Lauf nach dem englischen Kanal. Am 29. Juli nachmittags entdeckten wir Start-Point und den Leuchtturm auf Eddystone, die Gegenden der englischen Küste, die wir zu Beginn der Reise zuletzt gesehen hatten. Am folgenden Morgen liefen wir bei den Nadelklippen (needles) vorbei, zwischen der Insel Wight und den fruchtbaren Ufern von Hampshire, bis wir kurz vor Mittag zu Spithead die Anker fallen ließen.

So vollendeten wir nach unzähligen Gefahren und Mühseligkeiten eine Reise, die drei Jahre und achtzehn Tage gedauert hatte. Wir hatten in diesem Zeitraum eine größere Anzahl Meilen zurückgelegt als je ein anderes Schiff vor uns, indem alle unsere Kurslinien zusammengerechnet mehr als dreimal den Umkreis der Erde ausmachten. Auch waren wir glücklich genug gewesen, nicht mehr als vier Mann zu verlieren, wovon drei zufälligerweise ums Leben gekommen und der vierte an einer Krankheit gestorben war, die ihn, wäre er in England geblieben, vermutlich weit eher ins Grab gebracht hätte.

Der Hauptzweck unserer Reise war erfüllt, wir hatten nämlich entschieden, daß in der südlichen Halbkugel innerhalb des gemäßigten Erdgürtels kein festes Land liege. Wir hatten sogar das Eismeer jenseits des antarktischen Zirkels durchsucht, ohne so beträchtliche Länder anzutreffen, wie man dort vermutet hatte. Zu gleicher Zeit hatten wir die für die Wissenschaft wichtige Entdeckung gemacht, daß die Natur mitten im großen Weltmeer Eisschollen bildet, die kein Salz enthalten, sondern alle Eigenschaften des reinen und gesunden Wassers haben. In anderen Jahreszeiten hatten wir das Stille Meer innerhalb der Wendezirkel befahren und dort den Erdbeschreibern neue Inseln, den Naturkundigen neue Pflanzen und Vögel und den Menschenfreunden insbesonders verschiedene unbekannte Abänderungen der menschlichen Natur aufgesucht. In einem Winkel der Erde hatten wir nicht ohne Mitleid die armseligen Wilden von Tierra del Fuego gesehen, halbverhungert, stumpf und gedankenlos, unfähig sich gegen die Rauheit der Witterung zu schützen und zur niedrigsten Stufe der menschlichen Natur bis an die Grenzen der unvernünftigen Tiere herabgewürdigt. In einer anderen Gegend hatten wir die glücklichen Völker der Sozietätsinseln gefunden, schön von Gestalt und in einem vortrefflichen Klima lebend, das alle ihre Wünsche und Bedürfnisse befriedigt. Ihnen waren schon die Vorteile des geselligen Lebens bekannt, bei ihnen fanden wir Menschenliebe und Freundschaft, ihnen war es aber auch zur Gewohnheit geworden, der Sinnlichkeit bis zur Ausschweifung Raum zu geben.

Durch die Betrachtung dieser verschiedenen Völker müssen jedem Unparteiischen die Vorteile und Wohltaten, die Sittlichkeit und Religion über unseren Weltteil verbreitet haben, immer deutlicher und einleuchtender werden. Übrigens ist wohl nichts augenscheinlicher und gewisser, als daß die Zusätze, die auf dieser Reise zum Ganzen der menschlichen Kenntnisse gemacht wurden, obschon nicht ganz unbeträchtlich, dennoch von geringem Wert sind, sobald wir sie mit dem vergleichen, was uns noch verborgen bleibt. Unzählig sind die unbekannten Gegenstände, die wir noch immer erreichen können. Jahrhunderte hindurch werden sie noch neue Aussichten eröffnen, wobei wir Gelegenheit finden werden, unsere Geisteskräfte in ihrer ganzen Größe und in ihrem herrlichsten Glänze anzuwenden.


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