Georg Forster
Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775
Georg Forster

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel

Nachricht von der Osterinsel und unserem Aufenthalt daselbst

Am 13. frühmorgens liefen wir dicht unter die südliche Spitze der Insel. Die Küste ragte hier senkrecht aus dem Meer empor und bestand aus gebrochenen Felsen, deren schwammige und schwarze, eisenfarbige Masse vulkanischen Ursprungs zu sein schien. Zwei einzelne Felsen lagen ungefähr eine Viertelmeile von dieser Spitze in der See. Einer davon hatte eine sonderbare Form, er glich nämlich einem Obelisken, und beide waren von einer ungeheuren Menge Seevögel bewohnt, deren widriges Geschrei unsere Ohren betäubte. Nicht lange darauf entdeckten wir eine andere Landspitze, ungefähr zehn Meilen von der ersten entfernt, und hier war das Land nach dem Ufer hin etwas flacher und ebener. In dieser Gegend entdeckten wir auch einige bepflanzte Felder, doch schien die Insel im ganzen genommen einen elenden, dürren Boden zu haben. Der Pflanzungen waren so wenige, daß wir uns keine Hoffnungen auf viele frische Lebensmittel machen durften, dennoch blieben unsere Augen unablässig darauf gerichtet.

Mittlerweile sahen wir viele fast nackte Leute von den Bergen herabkommen. Wenige Minuten später schoben sie ein Kanu ins Wasser, in dem sich zwei von ihnen auf den Weg zu uns machten, die in kurzer Zeit neben dem Schiffe waren. Sie riefen, man möge ihnen einen Strick zuwerfen, dessen Benennung in ihrer Sprache ebenso wie in der tahitischen lautete. Sobald wir es getan hatten, befestigten sie einen großen Klumpen reife Pisangs daran und winkten nun, daß man den Strick wieder hinaufziehen möge. Welche allgemeine Freude der Anblick dieser Früchte bei uns hervorgerufen hat, ist kaum zu beschreiben. Mehr als fünfzig Personen fingen im Übermaß der Freude auf einmal an, mit den Leuten im Kanu zu sprechen, die natürlich keinem einzigen antworten konnten. Kapitän Cook nahm einige Bänder, befestigte Medaillen und Korallen daran und ließ sie zum Geschenk herunter. Sie bewunderten die Kleinigkeiten sehr, eilten aber unverzüglich ans Land zurück. Als sie um das Hinterteil des Schiffes ruderten und daselbst eine Angelschnur herunterhängen sahen, banden sie ein Stückchen Zeug daran. Beim Heraufziehen fanden wir, daß es aus ebensolcher Baumrinde wie das tahitische gefertigt und gelb gefärbt war.

Nachmittags setzten wir ein Boot aus, in dem der Lotse die Reede sondieren sollte. Sobald die Insulaner unser Boot vom Schiff abrudern sahen, versammelten sie sich am Ufer in der Gegend, die unsere Leute ansteuerten. Der größte Teil der Insulaner war nackt, nur einige hatten sich in Zeug von schöner Orangefarbe gekleidet, die unserem Bedünken nach die Vornehmeren sein mußten. Jetzt konnten wir auch schon ihre Häuser unterscheiden. Sie waren dem Anschein nach ungemein niedrig, aber lang, in der Mitte hoch und nach beiden Seiten schräg ablaufend, so daß sie in der Form einem umgekehrten Kanu ähnelten. In der Mitte schienen sie eine kleine Öffnung oder Tür zu haben, die aber so niedrig war, daß ein Mann von gewöhnlicher Größe sich bücken mußte, um hineinzukommen. Gegen Abend gingen wir an der Südwestküste der Insel vor Anker, wo wir einen guten Kiesgrund hatten. Bald darauf kam der Lotse von seiner Erkundung zurück und brachte einen Eingeborenen mit an Bord. Dieser war dreist ins Boot gesprungen, als es am Ufer lag, und hatte sogleich sein Verlangen geäußert, ans Schiff gebracht zu werden. Er war von kastanienbrauner Farbe und mittlerer Statur, ungefähr fünf Fuß und acht Zoll groß und auf der Brust und am ganzen Leibe merklich haarig. Bart und Haupthaar waren ebenfalls stark, ersterer gestutzt und beides schwarz. Er hatte so lange Ohrlappen, daß sie ihm fast bis auf die Schultern herabhingen, und seine Schenkel waren felderweise punktiert.

Anfänglich kostete es uns einige Mühe, seine Sprache zu verstehen, als wir ihn aber fragten, wie er die Hauptglieder des Leibes nenne, fand sich bald, daß es die Mundart war, die auf den Gesellschafts-Inseln gesprochen wird. Bei herannahender Nacht gab er uns zu verstehen, daß er schlafen wolle und daß ihn friere. Mein Vater gab ihm also ein großes Stück tahitisches Zeug, darin wickelte er sich ein. Man brachte ihn in die Kajüte des Lotsen, wo er sich auf einen Tisch legte und die ganze Nacht ruhig schlief. Maheine, der schon ungeduldig war, weil er noch nicht an Land gehen konnte, freute sich ungemein, daß die Leute eine Sprache redeten, die der seinen sehr ähnlich war.

In der Nacht riß der Anker aus, und das Schiff trieb fort, weshalb wir die Segel setzen mußten, um unseren Ankerplatz wieder zu erreichen. Gleich nach dem Frühstück ging der Kapitän mit dem Wilden, der Maruwahai hieß, mit meinem Vater, Dr. Sparman und mir an Land. Mir waren Beine und Schenkel so dick geschwollen, daß ich fast gar nicht gehen konnte. Wir fanden eine gute Bucht, die für Boote tief genug und durch Klippen gegen die berghohen Wellen geschützt war. Ungefähr hundert bis hundertfünfzig Insulaner hatten sich in der Gegend versammelt. Sie waren fast alle nackt, einige trugen einen Gürtel um den Leib, von dem ein Stückchen Zeug oder ein kleines Netz herabhing. Einige wenige hatten Mäntel, die bis an die Kniee reichten. Die Leute ließen uns ruhig an Land steigen und machten nicht die geringste unfreundliche Bewegung, sondern fürchteten sich vielmehr vor unserem Schießgewehr, dessen tödliche Wirkung ihnen bekannt zu sein schien. Einige von ihnen trugen Lanzen aus höckerig gewachsenem Holz und mit einem Stück Glaslava als Spitze. Einer hatte einen Streitkolben, drei Fuß lang und mit Schnitzwerk verziert, andere hielten kurze, hölzerne Keulen in der Hand. Einer hatte einen europäischen Hut, andere hatten eine Mütze, ein gestreiftes Schnupftuch oder eine alte, zerrissene Jacke, alles Überbleibsel von der letzten Anwesenheit der Spanier im Jahre 1770. Sie waren mager und schmaler von Gesicht als die übrigen Bewohner der Südsee. Ihr Mangel an Kleidung und die Begierde nach unseren Waren waren hinreichende Merkmale ihrer Armseligkeit. Sie waren über den ganzen Leib punktiert, vornehmlich aber im Gesicht. Ihre Frauen, die sehr klein und zart gebaut waren, hatten auch Punkturen im Gesicht, die den Schönheitspflästerchen unserer Damen glichen. Sie hatten das ganze Gesicht mit Rötel überschmiert, darüber dann das schöne Orangenrot der Curkumawurzel gesetzt und das Gesicht noch mit weißen Kalkstreifen verziert. Die Kunst, sich anzumalen, ist also nicht nur auf die Damen beschränkt, die das Glück haben, die französischen Moden nachzuahmen. Die Weiber waren alle in Zeug gekleidet, aber so sparsam, daß es im Vergleich zu den verschwenderischen Trachten auf Tahiti recht ärmlich erschien. Die einzigen Zierate bestanden aus einem zungenförmigen Knochen, der von Männern und Weibern auf der Brust getragen wurde, dazu Halsbänder und Ohrringe aus Muschelschalen.

Nachdem wir eine Weile bei den Eingeborenen am Strande geblieben waren, gingen wir tiefer ins Land hinauf. Der ganze Boden war mit Felsen und Steinen bedeckt, die ein schwammiges, verbranntes Aussehen hatten. Ungefähr fünfzig Schritte vom Landungsplatz sahen wir eine Mauer aus viereckigen Steinen, die so kunstvoll gehauen und so genau ineinandergepaßt waren, daß sie ein ungemein dauerhaftes Stück Architektur ausmachten. Der Stein war nicht sonderlich hart, sondern nur eine schwammige, spröde Steinlava. Fünfzig Schritte weiter fanden wir einen erhabenen Platz, dessen Oberfläche mit ebensolchen Steinen gepflastert war. In der Mitte dieses Platzes stand eine steinerne Säule aus einem Stück, die eine menschliche Figur, bis zu den Hüften abgebildet, vorstellen sollte und zwanzig Fuß hoch und fünf Fuß dick war. Diese Figur war schlecht gearbeitet und bewies, daß die Bildhauerkunst hier noch in der ersten Kindheit war. Augen, Nase und Mund waren an dem plumpen Kopf kaum angedeutet, die Ohren nach der Landessitte ungeheuer lang und besser als das übrige gearbeitet. Den Hals fanden wir unförmig und kurz, Schultern und Arme nur wenig angedeutet. Auf dem Kopfe war ein sehr hoher zylindrischer Stein aufgerichtet, der über fünf Fuß in der Breite und Höhe hatte. Dieser Aufsatz, der dem Kopfputz einiger ägyptischer Gottheiten glich, bestand aus einer anderen, rötlichen Steinart. Kopf und Aufsatz machten die Hälfte der ganzen Säule aus, so weit sie über der Erde sichtbar war. Wir bemerkten übrigens nicht, daß die Insulaner diesen Statuen Verehrung erwiesen, doch mußten sie wenigstens Achtung davor haben, denn es schien ihnen manchmal unangenehm zu sein, wenn wir über das gepflasterte Fundament gingen, um die Steinart zu untersuchen.

Einige Insulaner begleiteten uns weiter ins Land hinein, der Weg ging über lauter vulkanische Steine, die unter unseren Füßen wegrollten und an die wir uns bei jedem Schritt stießen. Das Gebüsch, um dessentwillen wir die Wanderung unternommen hatten, bestand aus einer kleinen Pflanzung von Papier-Maulbeerbäumen, aus deren Rinde hier wie auf Tahiti das Zeug zur Kleidung gemacht wird. Nicht weit davon standen auch einige Hibiscus populneus L., der auf allen Südseeinseln angebaut und zum Gelbfärben gebraucht wird. Je weiter wir ins Land kamen, desto kahler und unfruchtbarer fanden wir den Boden. Das Häuflein von Einwohnern, die uns am Landeplatz entgegengekommen waren, schien der Hauptstamm des ganzen Inselvolkes zu sein, denn unterwegs hatten wir nicht einen einzigen Menschen zu Gesicht bekommen, und in der ganzen Gegend waren nicht mehr als zehn bis zwölf Hütten zu sehen. Eine der stattlichsten war auf einem kleinen Hügel erbaut, und die Neugier trieb uns hin, aber es war eine elende Wohnung. Wer hinein oder heraus wollte, mußte auf allen vieren kriechen. Das Innere war leer und kahl, und man fand nicht einmal ein Bund Stroh darin. Unsere Begleiter erzählten uns, daß sie die Nacht in diesen Hütten zubrächten, allein das muß ein elender Aufenthalt sein, zumal sie wegen der wenigen Hütten einer über dem anderen liegen müssen. Außer diesen Hütten sahen wir auch einige Steinhaufen, die an einer Seite steil waren und hier eine Öffnung hatten, die unter die Erde ging. Gern hätten wir sie genauer untersucht, die Eingeborenen wollten uns aber nicht hineinlassen.

Der Kapitän war im Handel mit den Leuten nicht glücklich gewesen. Sie schienen keine Lebensmittel übrig zu haben. Ein paar Mattenkörbe mit süßen Kartoffeln, etwas Zuckerrohr, einige Klumpen Pisangs und zwei oder drei kleine, schon gargemachte Hühner, das war alles, was er eingehandelt hatte. Er hatte den Leuten Korallen geschenkt, die sie aber mit Verachtung weit von sich geworfen, was sie hingegen an anderen Sachen an und um uns sahen, verlangten sie zu haben, obschon sie nichts dafür wiederzugeben hatten. Die Zahl der Weiber war immer gering, wir sahen nie mehr als zwölf oder fünfzehn. Sie waren aber weder zurückhaltend noch keusch, für ein Stückchen tahitisches Zeug hatten unsere Matrosen von ihnen, was sie wollten. Ihre Gesichtszüge dünkten uns sanft genug, und der große gespitzte Hut gab ihnen ein leichtfertiges, buhlerisches Aussehen. Noch ehe es Mittag war, kehrten wir an Bord zurück und teilten die eingekauften Früchte und Wurzeln an die Mannschaft aus, zur großen Stärkung unserer Kranken, die nach einer Erfrischung schmachteten.

Nachmittags gingen wir wieder an Land, und in einem anderen Boot wurde eine Mannschaft an Land geschickt, um die Wasserfässer zu füllen. Unter den wenigen Leuten am Landungsplatz trafen wir einen, der ein gewisses Ansehen zu haben schien und sehr geschäftig war, den Kapitän zu führen. Er ging dreist neben ihm, während die anderen bei dem geringsten Anlaß in Schrecken gerieten. Aber bei aller Furchtsamkeit leerten sie uns die Taschen und entwendeten uns, was ihnen sonst anstand. Einer schlich hinter Maheine, riß ihm die Mütze vom Kopf und rannte so schnell über die holprigen Steine, daß ihm niemand folgen konnte. Herr Hodges, der auf einer kleinen Anhöhe saß und zeichnete, verlor auf die gleiche Weise seinen Hut. Herr Wales stand mit einer Flinte neben ihm, war aber der Meinung, daß ein so geringes Verbrechen keine Kugel verdiene.

Bei Sonnenuntergang verließen wir den Wasserplatz und kamen auf dem Weg zu unserem Boot an den ebenen Platz, auf dem die vorbeschriebene Säule aufgerichtet ist. Wir erkundigten uns bei einigen Eingeborenen, was diese Steine zu bedeuten hätten, und soviel wir aus ihrer Antwort erraten konnten, müssen es Denkmäler ihrer Erikis oder Könige sein. Also ist das gemauerte Piedestal vermutlich als der Begräbnisplatz anzusehen, und wirklich fanden wir nicht weit davon eine Menge Gebeine. An der Westseite der Bucht standen drei Säulen auf einem breiten Postament in einer Reihe aufgerichtet. Diese Reihe nannten die Insulaner Hanga-roa. In der Nähe saßen ein Dutzend Eingeborene um ein Feuer, in dem sie Kartoffeln brieten, wovon sie uns etwas anboten. Mit einem kleinen Vorrat an Kartoffeln und Pflanzen kehrten wir nun an Bord zurück.

Früh am folgenden Morgen beorderte Kapitän Cook die Leutnants Pickersgill und Edgecumbe mit einigen Seesoldaten und Matrosen, das Innere des Landes zu untersuchen. Die Herren Wales und Hodges, Dr. Sparman und mein Vater machten sich mit auf den Weg, so daß das ganze Detachement aus siebenundzwanzig Mann bestand. Ich hingegen ging mit Kapitän Cook und einigen Offizieren ans Ufer, wo wir ungefähr zweihundert Einwohner und unter diesen vierzehn oder fünfzehn Weiber mit einigen Kindern fanden. Wir konnten uns die Ungleichheit in der Zahl der Geschlechter nicht erklären, da aber alle Weibsleute, die wir gesehen, ungemein freigebig in ihren Gunstbezeugungen waren, so vermutete ich, daß die Verheirateten durch die Eifersucht der Männer gezwungen würden, in entfernteren Teilen der Insel zu bleiben. Die wenigen, deren wir ansichtig wurden, waren die ausschweifendsten Kreaturen, die wir je gesehen haben. Sie schienen über alle Scham und Schande völlig weg zu sein, und unsere Matrosen taten auch, als wenn sie nie von so etwas gehört hätten, denn der Schatten der kolossalischen Monumente war ihnen in Hinsicht auf ihre Ausschweifungen schon Obdachs genug.

Herr Patton, Leutnant Clerke und ich machten uns von der Küste auf und gingen tiefer ins Land. Die Sonne stach unbeschreiblich, und es gab keinen Baum, der uns einigen Schatten hätte geben können. Wir folgten einem Fußsteig, bis wir an ein bebautes Feld kamen, das mit Kartoffeln, Yams, Arumwurzeln und einer Art von Nachtschatten besetzt war. Letzteres wird auf diesen Inseln als ein Wundmittel gebraucht. Das Gras war hier sorgfältig ausgejätet und statt des Düngers auf das ganze Feld gestreut. Daraus ergibt sich, daß die Eingeborenen nicht ganz unwissend im Ackerbau sind.

Bei unserer Rückkehr fanden wir Kapitän Cook am Landungsplatz noch mit dem Handel beschäftigt. Die Insulaner brachten ihm Hühner und einige Mattenkörbe mit süßen Kartoffeln, zuweilen aber betrogen sie ihn, indem sie die Körbe unten mit Steinen gefüllt und obenauf nur mit wenigen Kartoffeln bedeckt hatten. Schätzbare Artikel waren leere Kokosschalen, die wir auf den Gesellschafts- und Freundschafts-Inseln bekommen hatten, allerdings nur, wenn sie ein kleines Loch oder einen Deckel hatten. Eisenwaren hatten hier den geringsten Preis. Zu Mittag gingen wir an Bord und verspeisten einige Hühner mit Kartoffeln. Wir trafen mehrere Insulaner auf dem Schiff, die es gewagt hatten, vom Lande herzuschwimmen. Sie schienen über alles erstaunt und maßen die Länge des Schiffes mit ausgebreiteten Armen. Einem Volke, dessen Kanus aus lauter kleinen Stückchen zusammengeflickt sind, mußte natürlich eine solche Menge Zimmerholz unbegreiflich sein. Die Begierde hatte auch eine Weibsperson so beherzt gemacht, sich durch Schwimmen an unser Schiff zu begeben. Sie besuchte erst einige Unteroffiziere und wandte sich darauf an die Matrosen. Ihre Begierde war unersättlicher als die einer Messalina. Ein paar englische Lumpen und einige Stücke tahitisches Zeug waren alles, was sie für ihre Dienste davontrug. Sie wurde in dem zusammengeflickten Kanu abgeholt, welches das einzige auf der Insel zu sein schien. Wir wußten wahrlich nicht, worüber wir uns mehr wundern sollten, über ihr Glück bei unseren kränklichen, ausgehungerten Seeleuten oder über ihre unbegrenzte Liederlichkeit.

Um neun Uhr hörten wir am Ufer einen Schuß fallen, und da dies das Signal war, daß man ein Boot verlangte, schickten wir unsere Pinasse hin, und unser Detachement kam wieder an Bord. Mein Vater mußte wegen seiner rheumatischen Schmerzen gleich zu Bett gehen, die anderen Herren aber speisten mit uns und erzählten von ihren Verrichtungen. Da man aber vielleicht lieber etwas Zusammenhängendes darüber hören möchte, will ich einen Auszug aus den Tagebüchern meines Vaters folgen lassen: »Sobald wir gelandet waren, gingen wir sogleich ins Land hinein und nahmen unseren Weg längs des höchsten Berges, bis wir die andere Seite der Insel erreichten. Ungefähr einhundert Eingeborene begleiteten uns, darunter fünf Frauen. Auf der Ostseite der Insel kamen wir zu einer Reihe von sieben Bildsäulen, wovon noch vier aufrecht standen, eine hatte aber schon die Mütze verloren. Sie standen auf einem Piedestal, und die Steine im Postament waren behauen und paßten gut ineinander. Obgleich der Stein, aus dem die Bildsäulen verfertigt waren, aus weichem roten Tuff besteht, der die ganze Insel bedeckt, so ist doch schwer zu begreifen, wie ein Volk, das kein Handwerkszeug kennt, so große Massen habe bearbeiten und aufrichten können.

Wir kamen nun rechter Hand an einem tiefen Abgrund vorüber. Der Boden bestand eine weitere Strecke lang aus demselben eisenhaltigen Tuff, woraus die Bildsäulen gemacht sind. Wohin wir auch kamen, wurden uns gargemachte Kartoffeln angeboten, und bei einer Hütte, wo wir haltmachten, verkaufte man uns einige Fische. Bald darauf sagten uns die Leute, ihr Eri oder Hariki oder König käme uns entgegen. Einige Eingeborene gingen vor ihm her und gaben uns als Freundschaftszeichen Zuckerrohr. Dann sahen wir den König auf einer Anhöhe stehen und begaben uns zu ihm. Herr Pickersgill und ich machten ihm einige Geschenke und fragten ihn nach seinem Namen. Er sagte uns, er heiße Ko-Tohitai, und er sei Eri von Waihu. Wir bemerkten aber nicht, daß ihm das Volk besondere Ehre erwiesen hätte, und wahrlich, in einem so armseligen Lande konnte er sich auch keine großen Vorrechte anmaßen. Er bat uns umzukehren, da aber unser Offizier entschlossen war weiterzugehen, ließ er es sich gefallen und ging mit uns. Wir gingen auf eine Anhöhe zu, wo wir haltmachten, um Herrn Hodges Zeit zu lassen, einige Monumente zu zeichnen. Bei einem derselben fanden wir ein vollständiges Menschenskelett.

Ein Matrose, der meinen Pflanzensack tragen mußte, gab nicht genug darauf acht. Einer von den Wilden nahm ihn an sich und lief damit weg. Leutnant Edgecumbe schoß gleich mit einem Schrotschuß hinterher. Der arme Schelm warf den Beutel hin und fiel zu Boden. Seine Landsleute nahmen ihn auf und entfernten sich, bis wir ihnen zurückzukommen bedeuteten, was sie auch fast alle taten. Obschon dies der einzige Fall war, daß auf die Insulaner während unseres Hierseins gefeuert wurde, so ist darum nicht weniger zu bedauern, daß Europäer sich ein Strafrecht über Menschen anmaßen, die mit ihren Gesetzen so ganz unbekannt sind.

In der Nähe war eine Anhöhe, von der wir die See auf beiden Seiten der Insel überschauen konnten. Wir übersahen zugleich die ganze östliche Küste und die daselbst befindlichen zahlreichen Bildsäulen und überzeugten uns, daß auf der dortigen Seite der Insel kein Hafen anzutreffen sei. Mit dieser Entdeckung begaben wir uns zurück und kamen zu einer großen Statue, die von den Bewohnern Mangototo genannt wird. Nahe dabei zeigte sich uns eine andere, noch größere Statue, aber umgeworfen. Sie hatte 27 Fuß Länge und 9 Fuß im Querschnitt und übertraf an Größe alle anderen, die wir bis dahin gesehen hatten.

Von da gingen wir auf die Berge zu, die quer über die Insel laufen, fanden aber den Fußsteig rauh und beschwerlich. Hier fühlte ich, wie sehr ich durch den lange anhaltenden Rheumatismus geschwächt worden war. Alle meine Glieder waren sozusagen verkrüppelt. Die Insulaner waren zurückgeblieben, nur ein alter Mann und ein Knabe blieben bei uns. Da unsere Offiziere den nächsten Weg zum Schiff verfehlt hatten, so trennte ich mich von ihnen und nahm mit Dr. Sparman, einem Matrosen und den beiden Insulanern den nächsten Weg, den letztere uns gezeigt hatten. Die Sonne war schon im Untergehen, so daß wir fast zwei Stunden im Dunkeln den Berg hinuntergingen. Ich wartete auf Leutnant Pickersgill und sein Kommando, denn ich war ihnen fast drei Meilen zuvorgekommen. Wenigstens fünfundzwanzig Meilen aber hatten wir auf den beschwerlichsten Wegen gemacht, ohne auch nur ein Bäumchen anzutreffen, das uns gegen die brennende Sonne hätte schützen können. Meinem freundlichen Führer gab ich zur Belohnung alles tahitische Zeug und alle Nägel, die ich noch bei mir hatte, und kam endlich mit dem ganzen Kommando glücklich wieder an Bord.«

Man sieht aus dieser Nachricht, daß selbst die sorgfältigsten Nachforschungen noch nicht hinreichten, Licht über die bewunderungswürdigen Gegenstände zu verbreiten, die wir auf dieser Insel fanden. Was besonders die riesenhaften Monumente anlangt, die hier so häufig sind und doch die Kräfte der gegenwärtigen Bewohner gar weit zu übertreffen scheinen, so muß man wohl annehmen, daß sie Überbleibsel vormaliger Zeiten sind, denn die Zahl der Bewohner haben wir niemals höher als auf siebenhundert ansetzen können, und diese alle haben fast keinen Augenblick ihres Lebens zu etwas anderem übrig, als sich den notdürftigsten Unterhalt für ihr Dasein zu beschaffen. Es fehlt ihnen an Handwerkszeug, sie haben kaum ein nötiges Obdach, die Kleider fehlen ihnen, Hunger und Mangel verfolgen sie immer und überall zu sehr, als daß sie an die Anfertigung solcher Bildsäulen denken könnten, zu deren Vollendung ihr ganzes Leben und zu deren Aufrichtung die vereinten Kräfte des ganzen Volkes nötig sein würden. Wir sahen auch kein einziges Instrument, das zur Bildhauerei hätte dienen können, ebensowenig wie wir etwa neue Steinbrüche oder unvollendete Statuen fanden. Wahrscheinlich ist also, daß die Inselbewohner ehemals weit zahlreicher, wohlhabender und glücklicher gewesen sein müssen, als sie heute sind, und Zeit genug gehabt haben, der Eitelkeit ihrer Fürsten durch Errichtung verewigender Denkmäler schmeicheln zu können.

Allerdings läßt sich schwer bestimmen, durch was für Zufälle dies Volk sowohl hinsichtlich der Zahl als auch des Wohlstandes soweit heruntergekommen ist, doch können mancherlei Ursachen angeführt werden. So wäre die Verwüstung durch einen Vulkan völlig hinreichend, hundertfaches Elend über ein Volk zu bringen, das in einen so kleinen Erdraum eingeschlossen war. Wer weiß, ob diese Insel nicht ehemals gerade durch einen Vulkan hervorgebracht wurde, denn alle hiesigen Steinarten sind vulkanisch. Alle Bäume und Pflanzen, alle Tiere und ein großer Teil der Bewohner können in dieser fürchterlichen Revolution vernichtet worden sein, und Hunger und Elend mußten nur allzu mächtige Verfolger derer werden, die dem Erdbrande entgingen. Die kleinen geschnitzten Menschenfiguren, die wir entdeckten, und die Hand einer Tänzerin, die Maheine fand, können wir nicht erklären, denn sie sind aus einem Holz gemacht, das nicht mehr auf der Insel zu finden ist. Sie sind in weit früheren Zeiten verfertigt worden und bei der allgemeinen Katstrophe durch Zufall erhalten geblieben.

Alle Weibsleute, die wir auf der Insel gesehen haben, machten zusammen keine dreißig aus, und doch hatten unsere Leute die ganze Insel durchstreift und nicht die geringste Wahrscheinlichkeit dafür gefunden, daß sich die übrigen etwa in abgelegenen Distrikten versteckt hätten. Waren ihrer aber wirklich nicht mehr als dreißig oder vierzig gegen sechs- oder siebenhundert Männer, so muß dies Volk bald aussterben. Die meisten Frauen, die uns zu Gesicht kamen, gaben uns allerdings keinen Anlaß zu der Vermutung, daß sie nur einen einzigen Mann gewohnt wären, sondern sie schienen ganz des Geistes der Kleopatra oder der Messalina zu sein. Bei alledem bleibt doch das ungleiche Verhältnis ein so sonderbares Phänomen, daß wir jedes Argument, daß dafür oder dagegen spricht, annehmen wollen. Zwar hat niemand von uns ein entferntes oder abgesondertes Tal gefunden, in dem sich vielleicht die anderen Weiber verborgen haben können, aber wir müssen den Leser an die Höhlen erinnern, wozu uns die Einwohner niemals den Zugang gestatten wollten. Wir sahen aber nicht ein, warum die Bewohner der Osterinsel auf ihre Weiber eifersüchtiger sein sollten als die Tahitier, wir wissen jedoch, wie ausschweifend und zügellos das Seevolk ist, besonders wenn es über die Eingeborenen eine solche Überlegenheit hat, wie die Holländer und Spanier über die Leute von der Osterinsel gehabt haben müssen. Wir müssen die Sache unentschieden lassen. Sollte die Zahl der Weiber wirklich so gering sein, so muß sie durch einen außerordentlichen Zufall vermindert worden sein, und dazu wären die Insulaner allein imstande gewesen, uns einiges mitzuteilen. Aber bei allen Nachfragen konnten wir wegen der Sprachschwierigkeiten nichts erfahren.

Am folgenden Morgen wurde ein Boot an Land geschickt, um Wasser einzunehmen, und da es gerade windstill war, ging ein zweites ab, um unseren Vorrat an Kartoffeln durch Handel zu vermehren. Ein Eingeborener kam in dem geflickten Kanu, um Kartoffeln und Pisangs ans Schiff zu bringen. Ein starker Regenguß gab unseren Leuten Gelegenheit, mit Hilfe von Segeln und Decken einen guten Vorrat Wasser aufzufangen. Nachmittags ging noch einmal ein Boot an Land, da sich aber gegen Abend ein Wind erhob, wurde eine Kanone abgefeuert, worauf es an Bord zurückkam, und hierauf segelten wir nach Westen ab.

Wir hatten geglaubt, daß wir hier einen guten Handelsplatz finden würden, aber unsere Hoffnung war fehlgeschlagen. Die einzigen Artikel von Belang waren die süßen Kartoffeln, aber der Vorrat reichte nur für ein paar Mahlzeiten. Pisangs, Yams und Zuckerrohr gab es so wenig, daß es kaum des Handels wert war. Die Zahl der Hühner, die von sehr kleiner Art waren, belief sich nicht auf fünfzig Stück. Selbst an Wasser gab es hier wenig, das außerdem einen schlechten Geschmack hatte. So unbeträchtlich aber auch diese Erfrischungen waren, so bekamen wir sie doch zur rechten Zeit.

Wenn wir voraussetzen, daß die Osterinsel einmal durch vulkanisches Feuer zerstört worden ist, so sind die Bewohner weit mehr zu bedauern als jedes andere wenig zivilisierte Volk. Maheine bejammerte ihre Armseligkeit sehr oft, er schien mit ihnen mehr Mitleid zu haben als mit den Neuseeländern, und er erinnerte sich Ostereilands immer mit den Worten: »Tata maitai whennua ino«, d. h. das Volk sei gut, aber die Insel sehr elend.


 << zurück weiter >>