Georg Forster
Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775
Georg Forster

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3. Kapitel

Aufenthalt am Kap – Nachricht von der dortigen Kolonie

Kaum waren wir aus unseren Booten gestiegen, so machten wir dem Gouverneur Baron Joachim von Plettenberg unsere Aufwartung. Er ist ein Mann von Wissenschaft und großen Kenntnissen, dessen Höflichkeit und Mitteilsamkeit uns gleich einen guten Begriff von ihm beibrachte. Hierauf verfügten wir uns zu den anderen Ratspersonen, dann gingen wir zu dem Befehlshaber der False Bai, in dessen Haus die Kapitäne der englischen Schiffe gewöhnlich einzukehren pflegen und wo auch wir unser Quartier zu nehmen gedachten. Fast alle Bedienten der Compagnie vermieten Zimmer an die Offiziere und Reisenden der Schiffe, die auf ihrer Fahrt von und nach Indien hier anlegen.

Der Unterschied zwischen dieser Kolonie und der portugiesischen Insel S. Jago war auffallend. Dort hatten wir ein Land gesehen, das unter dem glücklichsten Himmelsstrich gelegen ist, aber es war durch seine trägen Bewohner ganz vernachlässigt. Hier fanden wir mitten in einer Wüste, die von gebrochenen Massen schwarzer, fürchterlicher Berge umgeben war, eine nette Stadt aufgebaut, mit einem Wort, wir sahen hier überall Fleiß und Arbeitsamkeit von Glück gekrönt. Die Straßen sind breit und regelmäßig, die vornehmsten mit Eichen bepflanzt, und einige haben in der Mitte einen Kanal. Da es ihnen aber an der erforderlichen Wassermenge fehlt, kann trotz der vielen Schleusen nicht verhindert werden, daß ein- zelne Teile des Kanals oft ohne Wasser sind und dann keinen ange- nehmen Geruch ausströmen. In der ganzen Stadt ist nur eine Kirche. Die Toleranz, die den Holländern in Europa so viel Nutzen ver- schafft hat, ist in ihren Kolonien nicht zu finden. Erst seit ganz kurzer Zeit haben sie den Lutheranern erlaubt, hier und in Batavia Kirchen zu bauen, und gegenwärtig haben sie noch keinen eigenen Prediger am Kap, sondern müssen sich mit den Schiffspredigern der dänischen oder schwedischen Ostindienfahrer begnügen, die gegen gute Bezahlung ein- bis zweimal im Jahr hier predigen und das Abendmahl austeilen. Die Sklaven sind noch viel übler dran, denn weder ihre Herren noch die Regierung kümmern sich um einen so geringfügigen Umstand, als ihnen die Religion der Leibeigenen zu sein dünkt, die denn auch, im ganzen gesehen, gar keine haben. Einige wenige sind dem mohammedanischen Glauben zugetan und versammeln sich wöchentlich einmal in dem Hause eines freien Mohammedaners, um einige Kapitel aus dem Koran zu lesen.

Die Anzahl der Sklaven beläuft sich auf etliche hundert, die allesamt in einem großen Hause wohnen. Ein anderes großes Haus ist zum Hospital für die Matrosen der Schiffe bestimmt, die auf ihren Ostindienreisen hier anzulegen pflegen und gewöhnlich eine Menge von Kranken an Bord haben. Ein solcher Ostindienfahrer bringt bis zu achthundert Rekruten nach Batavia, und da sie auf der langen Reise sehr eng zusammengepfercht und an Wasser sehr knapp gehalten werden, dazu nichts als Eingesalzenes zu essen bekommen, so ist es kein Wunder, daß ihrer so viele draufgehen. Es ist etwas sehr Gewöhnliches, daß ein holländisches Schiff von Europa bis hierher achtzig oder gar hundert Tote zählt und bei seiner Ankunft hier noch zwei- bis dreihundert Kranke ins Hospital schickt.

Am Tag nach unserer Ankunft richteten die Astronomen Wales und Baily ihre Instrumente am Ufer auf. An diesem Tage begannen auch wir unsere botanischen Exkursionen. Der Boden erhebt sich von der Stadt nach den drei Bergen, die hinter der Bai liegen. Die höheren Gegenden sind, so dürr und öde sie auch von der See her aussehen, mit einer Menge verschiedener Pflanzen bewachsen, jedoch zum größten Teil mit Sand bedeckt. Wir brachten Tag für Tag reiche Ernten an Kräutern und Tieren zurück und wunderten uns, daß so viele den Naturkundigen ganz unbekannt waren, da sie sich doch hart an den Mauern einer Stadt finden, von woher die Sammlungen von ganz Europa ständig versorgt worden sind.

Einer unserer Ausflüge war nach dem Tafelberg gerichtet. Er ist steil und wegen der vielen losen Steine schwer zu ersteigen. Auf mittlerer Höhe kamen wir an eine Schlucht, deren Seiten aus senkrechten und oft überhängenden Felsschichten bestanden, aus deren Rissen kleine Quellen sprudelten. Nach einem dreistündigen Marsch erreichten wir endlich den Gipfel des Berges, der fast eben, sehr unfruchtbar und fast ganz von Erdreich entblößt ist. An Tieren trifft man manchmal Antilopen, heulende Paviane, einsame Geier und Kröten. Die Aussicht von der Höhe ist groß und malerisch. Die Bai unter uns schien ein kleiner Fischteich zu sein. Die Stadt mit ihren Gärten und Häusern sah wie Kinderspielzeug aus. Unter allen umliegenden Gegenden zog keine unsere Aufmerksamkeit mehr auf sich als die an der südlichen Seite des Tafelberges, denn diese zeichnete sich durch die Menge der Plantagen aus. An jedem kleinen Bache sieht man eine Plantage, die aus Weinbergen, Kornfeldern und Gärten besteht.

Wir brachten von unseren botanischen Zügen immer so ansehnliche Ladungen mit, daß wir im Ernst besorgt wurden, es möchte uns beiden trotz allen Fleißes nicht möglich sein, alle Pflanzen zu beschreiben, zu zeichnen und aufzubewahren, die wir in den noch unbesuchten Ländern zu finden hofften. Wir sahen es daher als einen glücklichen Zufall an, einen Gelehrten, den Dr. Sparman, hier anzutreffen. Er hatte unter dem Vater der Kräuterkunde, dem großen Ritter Carl von Linné, studiert, darauf eine Reise nach China und eine zweite nach dem Kap unternommen, um seine Kenntnisse zu erweitern. Der Gedanke, in völlig unbekannten Ländern neue Schätze der Natur zu sammeln, nahm ihn so völlig ein, daß er sich alsbald anheischig machte, mit uns um die Welt zu reisen.

Während unseres Hierseins setzten unsere Leute neues Takelwerk auf, reinigten und besserten die Außenseite des Schiffs aus und nahmen Branntwein nebst anderen Bedürfnissen für die Mannschaft und einiges Schafvieh für die Kapitäne und Offiziere an Bord. Auch wurden einige Widder und Mutterschafe eingeschifft, die für die Einwohner in der Südsee bestimmt waren, allein die lange Dauer unserer Reise brachte diese Tiere so herunter, daß unser gutes Vorhaben gänzlich vereitelt wurde. Wir schafften uns auch einen Hühnerhund an, damit er auf der Jagd etwa ein Wildbret heranholen könne. Es kostete viel Mühe, ein solches Tier aufzutreiben, und wir mußten einen ungeheuren Preis dafür zahlen, obgleich er uns nachher wenig Dienste tat. Am 22. wurde unser Gepäck an Bord gebracht, und am gleichen Tage verließen wir die Tafelbai. Ehe ich aber nun in der Geschichte der Begebenheiten unserer Reise fortfahre, will ich versuchen, eine kurze Nachricht über den derzeitigen Zustand dieser holländischen Kolonie zu geben.

Die südlichste Spitze von Afrika wurde schon in den Zeiten des ägyptischen Königs Necho und auch später unter der Regierung von Ptolomäus Lathyrus umschifft. Dann aber vergaß man ihre Lage dergestalt, daß sie durch Bartholomäus Diaz, einen portugiesischen Seemann, im Jahre 1487 wiederentdeckt werden mußte. Vasco da Gama umschiffte dies Vorgebirge im Jahre 1497 und fand den Weg nach Indien. Indessen blieb die Entdeckung des Kaps ungenutzt, bis im Jahre 1650 der holländische Wundarzt van Riebeck den Vorteil sah, den die holländische Compagnie haben müßte, wenn an diesem zwischen Holland und Indien gelegenen Ort eine Kolonie angelegt würde. Er stiftete daher diesen Pflanzort, der seitdem immer in den Händen der Holländer geblieben ist.

Der Gouverneur hängt unmittelbar von der Kompagnie ab und hat den Vorsitz im Rat, dessen Mitglieder in je einem Zweig der Gesellschaft die Aufsicht führen. Die regulären Truppen bestehen aus 700 Mann. Die Einwohner stellen eine Miliz von viertausend Mann, die durch Signale in wenigen Stunden alarmiert werden können. Aus ihrer Zahl läßt sich ungefähr die Volksmenge der Kolonie bestimmen, die sich so weit ausgebreitet hat, daß die entferntesten Kolonisten über vier Wochen reisen müssen, ehe sie das Kap erreichen. Auf einen weißen Einwohner zählt man fünf oder mehr Sklaven, die Vornehmen am Kap halten oft zwanzig bis dreißig. Im ganzen haben es diese Leibeigenen aber gut, doch müssen alle barfuß gehen, da die Herren sich Schuhe und Strümpfe als Unterscheidungszeichen vorbehalten. Die Sklaven werden hauptsächlich von Madagaskar gebracht, doch gibt es auch eine Menge Malayen, Bengalesen und einige Neger unter ihnen. Die Kolonisten bestehen aus holländischen Familien, französischen Protestanten, hauptsächlich aber aus Deutschen. Da alle Lebensmittel recht wohlfeil sind, befinden die Leute sich durchweg in guten Umständen, doch gibt es hier keine so großen Reichtümer wie in Batavia zu erwerben. Wie man mir sagte, hat der reichste Mann am Kap nicht über 200000 Taler Vermögen.

Auf dem Lande sind die Leute schlicht und gastfrei. In den entferntesten Gegenden sollen sie unwissend sein, weil sie oft etliche Tagereisen weit auseinander wohnen und keine andere Gesellschaft als Hottentotten haben. Weinbau wird nur in den Plantagen betrieben, die wenige Tagereisen von der Stadt entfernt liegen. Sie wurden bereits von den ersten Kolonisten angelegt, deren Familien sie auch erblich gehören. Jetzt aber gibt die Kompagnie nichts mehr auf Erbe, sondern verpachtet die Ländereien nur jahrweise, und dies hindert die Anlage neuer Weinberge. In den entfernteren Plantagen wird daher auch nur Korn und Vieh gezogen. Wir hörten von zwei Pächtern, die je 15000 Schafe und entsprechende Herden von Hornvieh halten. Es gibt viele, die große Herden zur Stadt treiben, aber Löwen, Büffel und die Beschwerlichkeiten einer so weiten Reise vermindern die Trift oft, ehe sie auf den Marktplatz gelangen. Sie nehmen bei solchen Gelegenheiten ihre Familien mit und bedienen sich hierzu großer Wagen, die mit Leinwand oder Leder bespannt sind und von acht, zehn oder gar zwölf Ochsen gezogen werden. Außer dem Schlachtvieh bringen sie auch Butter und Schaftalg, das Fleisch und die Haut vom Flußpferd nebst Löwen- und Rhinozerosfellen auf den Markt. Für ihre Feld- und Viehwirtschaft halten sie sich Sklaven, mieten aber auch ärmere Hottentotten dazu, die kein eigenes Zuchtvieh haben.

Das Land versieht die Schiffe aller Nationen, die hierherkommen, mit Lebensmitteln. Das Klima ist so gesund, daß die Einwohner selten erkranken und daß Fremde sich vom Skorbut und anderen Leiden schnell erholen. Die Einwohner holländischer Herkunft haben ihre angeborene Gestalt behalten. Sie sind durchgehends dick und fett, wozu ihr gutes Leben nicht wenig beitragen mag. Die ursprünglichen Landesbewohner, die Hottentotten, haben sich in das Landesinnere zurückgezogen, so daß der nächste Kraal fast hundert englische Meilen von der Stadt am Kap entfernt ist. Dennoch kommen sie bisweilen hierher, um ihr Vieh zum Kauf anzubieten oder um den Holländern beim Viehtreiben zu helfen.

Im Pflanzenreich herrscht hier eine bewunderungswürdige Mannigfaltigkeit. Obschon wir uns gar nicht lange aufhielten, fanden wir dennoch verschiedene neue Arten, und zwar nahe bei der Stadt, wo wir sie am wenigsten vermuteten. So beträchtlich auch die Sammlungen schon waren, haben wir doch mehr als tausend neue Arten angetroffen. Das Tierreich ist ebenso reich. Die größten vierfüßigen Tiere, der Elefant, das Rhinozeros und die Giraffe, sind an der Spitze von Afrika zu Haus. Sie sind aber so häufig gejagt worden, daß sie nur noch selten vorkommen. Das Nashorn ist so rar geworden, daß der Gouverneur eine Verordnung hat ergehen lassen müssen, um die gänzliche Ausrottung zu verhindern. Das Flußpferd wird hier Seekuh genannt und war ehedem unweit der Stadt schon in der Saldanha-Bai anzutreffen, jetzt aber ist es so selten geworden, daß es innerhalb einer großen Entfernung vom Kap nicht mehr geschossen werden darf. Das Fleisch wird hierzulande für einen Leckerbissen gehalten, jedoch schmeckte es mir nicht besser als festes Rindfleisch. Zu den großen Tieren gehört auch der Büffel. Er hält sich ebenfalls nur in den entlegeneren Gegenden auf und soll von ausnehmender Stärke und Wildheit sein. Außer diesen Büffeln gibt es noch eine andere Art, von den Eingeborenen Gnu genannt, sie scheinen wegen ihres feineren Baues aber eher zum Antilopengeschlecht zu gehören.

Am Kap fehlt es auch nicht an reißenden Raubtieren, und die Kolonisten können sich nicht Mühe genug geben, sie auszurotten. Löwen, Leoparden, Tigerkatzen, gestreifte und fleckige Hyänen, Schakale und andere nähren sich hauptsächlich von Antilopen und kleinen vierfüßigen Tieren, wovon das Land voll ist. Die Zahl der Vogelarten ist sehr groß, und viele sind mit den schönsten Farben gezeichnet. Von Schlangen, darunter einige, deren Biß tödlich ist, von Insekten und anderem Gewürm wimmelt es gleichsam am Kap. Die Küsten sind reich an wohlschmeckenden Fischen. Mit einem Wort, so große Reichtümer auch jetzt schon aus Afrika gebracht worden sind, so gibt es im Pflanzen- und Tierreich Afrikas doch noch große Schätze für die Naturwissenschaft.


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