Irene Forbes-Mosse
Kathinka Plüsch
Irene Forbes-Mosse

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VII.

Es wird behauptet, Leid sei der Menschenseele zuträglich; erst im Leiden lösten sich – ähnlich aromatischen Kräutern im Mörser des Apothekers – ihre wertvollsten Essenzen. Mag sein, daß besonders kostbare Naturen auch durch die Pferdekuren des Schicksals ihre Süßigkeit nicht verlieren; uns will bedünken, die Sonne – also das Glück – sei ein feinerer Chemiker. Denn sie destilliert den Wohlgeruch heraus, ganz unvermischt mit schärferen Tropfen, und wenn im Glück Tränen geweint werden, sind sie wie Frühlingsregen, der das Leben fördert.

Oft verfährt das Glück dabei auf heimlichste Weise; ähnlich einem Wohltäter, dessen Zartgefühl ihn anleitet, seine Gaben in aller Stille an den Mann zu bringen. Nach außen ist nicht viel zu merken. Ist doch das Glück eine sehr persönliche Sache und von äußeren Dingen, wie zum Beispiel schönem Wetter, irdischem Gut, ja sogar von Gesundheit nicht abhängig. Ach, in der wonnigsten Natur, beim Anblick göttlich unbewegter Berge, bei Abendröten, die sich auftun wie Torflügel Edens, gerade da kann das Leid so unabwehrbar einstürmen, daß die Augen die unmenschliche Schönheit wie Verwundung empfinden, und das Herz sein Ticktack nur noch ausführt wie ein Verurteilter sein Auf und Ab. Aber irgendwo, in Regen und Wind, an ödesten 122 Straßen entlang, geht das Glück, geleitend und betörend, neben Menschen her die es kaum noch erhofften; deren Füße nun plötzlich beflügelt über Steine gehen an denen sie sonst stießen.

Es gibt ein Bild aus der französischen Impressionistenschule, einen Arbeiter und sein Mädchen darstellend die sich auf einer öden Baustelle getroffen haben; hinter ihnen eine Bretterwand, ein paar zusammengenagelte Planken, an denen, halb schon zerrissen, Reklamebilder und Zettel kleben; andere haben sich gelöst und ihre Fetzen liegen im Schmutz. Der Himmel rauchig, fahl. Aber was wissen die beiden von ihrer Umgebung, von häßlich oder schön? Sie küssen sich, sie sind einander hingegeben . . .

Doch es braucht ja keine heiße selige Vollendung zu sein, die keinem Wunsch mehr Raum gibt; es kann ein zitterndes Glück sein wie allererste Frühlingsstunden, die überraschend – und nur flüchtig – mitten im Winter kommen, wunderlich bewegend in ihrer Ungewißheit, ihrem Zagen. Solches Glück, solches Glücksgefühl aber wird nach außen hin etwas angstvoll Abwehrendes haben, denn es ahnt, daß Erfüllung ein Schlußpunkt ist, es wagt nicht den Kelch zu heben – er könnte ja auch zur Erde fallen, in Scherben gehen. Und vielleicht fände sich in einem solchen Herzen, unter aller schmerzlichen Bescheidenheit versteckt, das Selbstgefühl der Einsamen, denen es ungewohnt 123 ist, anders als allein zu gehen, das gezwungen sein möchte und schließlich auch erliegen, aber nur einer Forderung, die stärker noch, bestimmter sei als das eigene, stumme Verlangen.

 


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