Irene Forbes-Mosse
Kathinka Plüsch
Irene Forbes-Mosse

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III.

Rückschauend ist zu berichten, daß während der Jahre, welche Käthchen unfreiwillig im Schoß der streng christlichen Familie verlebt hatte, ab und zu Briefe von Bürschel an sie 44 gelangt waren, die sie immer erst nach längerem Zaudern und mit völliger Mißachtung von Orthographie und Interpunktion beantwortet hatte. Kommalos wie das Gutachten eines englischen Rechtsanwalts wanden sich ihre Ergüsse über die Seiten, nur durch Ausrufungszeichen belebt, Zypressen in der Lombardischen Ebene gleich. Dies hätte ihr in Bürschels Augen nicht geschadet; im Gegenteil. Er war damals noch der vielverbreiteten Ansicht, so ein nettes, kleines Dummerchen sei im Grund am besten zum Liebhaben. Aber mit seinem unerbittlichen musikalischen Geschmack verband sich das entsprechende Wehegefühl gegenüber allem Unechten, und so verdrossen ihn gewisse ranzige Stilblüten, die Käthchen gebrauchte; Nachklänge aus der Hagedornschen Leihbibliothek wahrscheinlich. Einmal war er auf Besuch gekommen, einen Nachmittag lang, aber es hatte eine unbehagliche Gezwungenheit zwischen ihnen geherrscht; Käthchen fühlte sich bedrückt durch ihr Dienstverhältnis, gab sich nicht natürlich und versuchte ihr Unbehagen durch schnoddriges Wesen zu verbergen, das zu ihren Moosachataugen und schmiegsamen Gebärden gar nicht paßte. Bürschel saß ihr wortkarg gegenüber, in einer trübseligen Konditorei, mit Sträußen ausgebleichter Stoffblumen auf den kleinen Marmortischen, und sah zu, wie Käthchen die Schlagsahne aus mehreren 45 Windbeuteln herauslöffelte. Ein netzartiges Halsgeschmeide aus kleinen perlmutternen Schneckenhäusern und eine rosa Schleife unter dem linken Ohr wollten ihm zu ihrem Regenmantel nicht recht gefallen. Am wenigsten aber ihre Ausdrucksweise. Sie spickte ihre Erzählungen mit Ausdrücken wie »tiptop«, »erstklassig« und »traumhaft«. Und auch was sie da über allzu karg bemessene Freizeit und die ihr vorenthaltenen Vergnügungen der Provinzstadt zusammenklönte, ging Bürschel wider den Strich. Nein, es ließ sich nicht leugnen, Käthchen hatte in der neuen Umgebung etwas Kitschiges angenommen.

Bürschel hatte unter reichlicher Fleischpolsterung allerempfindlichstes Nervengeflecht. Nicht nur seine langen, rundlichen Cellofinger hatten sensitive Spitzen. Während Käthchen sich erging, war ihm zumute, als müsse er dem Vortrag des »Gebets einer Jungfrau« lauschen, noch dazu mit falschen Bässen. Aber was war da zu machen! Sie tat ihm leid. Wie sie so dasaß, träge und dennoch gewichtlos, paßte sie so gar nicht in ihre Umgebung. Man konnte sie sich barfuß denken, mit einer roten Beerenkette um den Hals, in einem Graben kauernd an der Landstraße, oder hervorlugend aus dem Zeltwagen fahrender Leute; man konnte sie sich auch vorstellen auf seidenen Kissen gelagert, oder sich wiegend in exotischen Tänzen, in 46 einem Rahmen übertriebener, vielleicht nicht dauerhafter Eleganz. Aber dieses hier, diese spießige Armseligkeit, dieses Rechnen mit Pfennigen, verfälschte sie, zerstörte ihren Reiz. Er durfte sich freilich diesen Gedanken nicht hingeben, sie Käthchen nicht ahnen lassen. Und doch, gerade wie er zu Korpulenz und leichter Kurzatmigkeit neigte, gerade so war er mitleidig veranlagt. Ja, sein zweites, kritisches Ich erkannte darin sogar einen Hang zur Selbstverzärtelung; denn das Gefühl der Sympathie, des Erbarmens war so manches Mal, und nun auch hier, ganz plötzlich, wie ein angenehm warmes, lösendes Bad an ihm emporgestiegen. Also – er gab sich einen Ruck – heute sollte sie nun, was an ihm lag, einen vergnügten Nachmittag haben. Er war wieder ganz bei der Sache, traktierte sie ausgiebig und führte sie dann ins Kino, wo berückende Cowboys Milliardärstöchter auf ungesattelten Pferden in ihre Zelte entführten, wo die jungen glutäugigen Damen in überirdischen Spitzennegligés auf Ruhebetten lagen und mit jungen Panthern spielten. Wozu sie alle Sekt tranken und ungezählte Zigaretten rauchten, während die Musik Griegs »An den Frühling« oder »Aases Tod« intonierte. Kurz, es war in allerhöchstem Grad tiptop und traumhaft, und Käthchen saß von süßer Lethargie überwältigt mit weit offenen Augen. Ja, es war seltsam, wie sie, von 47 Seligkeit beschwert, nachdem sie vorher scheu, ja fluchtbereit gewesen, nun die Wange an Bürschels Schulter lehnte und leise rieb. Er konnte sie nicht abwehren, ein Gemisch von Rührung und Widerwillen ließ ihn erstarren; zum Glück war es dunkel. Kaum aber, daß das Licht aufflammte, saß sie wieder mit gekreuzten Händen, steif und ehrbar neben ihm. Dann gingen sie in ein anderes Erfrischungslokal, wo Käthchen Ölsardinen und Vanilleeis bestellte und Bürschel, der bei dieser Zusammenstellung schauderte, sich an kompakteren Genüssen stärkte, denn er reiste am selben Abend zurück. Käthchen, dank der Wärme, dem rotverschleierten Licht und ein paar Gläsern Ungarweins zu neuer Redseligkeit angeregt, erzählte weinerlich von ihrem Pflichtenkreis. Kleine Kinder waren ihr nun einmal gräßlich, und gar das froschartige Produkt der streng christlichen Familie, ein Kind namens Siegfried, strohblond, dickköpfig, kurzfingerig, mit abstehenden Ohren, das fortwährend an einem Gummipfropfen schnullte, der ihm die Mutterbrust vorgaukeln sollte, und das Wutausbrüche bekam, wenn Käthchen seine Wünsche nicht sofort erriet, ließ sie nachsichtig über Herodes und den von ihm angeordneten Massenmord urteilen. Bürschel konnte vieles begreifen, und pharisäerhaftes Aburteilen lag ihm fern; aber in seiner ärztlichen Tätigkeit hatte ihm das 48 Kinderelend, das er täglich ansehen mußte, wie auch die unerschütterliche Geduld der barmherzigen Schwestern auf der Kinderstation andere Normen gegeben, und da er Siegfried in seiner Abscheulichkeit nicht erlebt hatte und Käthchens Ausdrucksweise ihm reichlich auf die Nerven ging, fand er ihre Klagen übertrieben, unweiblich, ja eigentlich roh. Und wieder stieg eine kühle Luftschicht zwischen ihm und der kleinen Kindheitsgefährtin auf. Der Abschied an der Bahnsperre war kurz, von erzwungener Herzlichkeit, und sowohl er an seinem Fensterplatz, an dem nun die freudlosen Offenbarungen der Hinterhäuser vorbeizogen, wie sie in ihrem Stübchen, das durch Siegfrieds an einer Leine trocknende Leibwäsche verunziert wurde, behielten ein Gefühl des Verpatzten in der Brust, das für die Zurückbleibende schwerer zu überwinden war als für ihn, der nun heimfuhr in die große, lebendige Stadt, seiner Arbeit, seiner Musik, seinen Freunden entgegen.

Als dann Käthchen, nachdem sie, achtzehnjährig, die christliche Familie, den fetten Siegfried und ein unter den üblichen Warnungszeichen sich ankündendes Brüderchen desselben fluchtartig verlassen hatte, und nach halbjähriger Tätigkeit als Masseuse in der Heilanstalt des Königlich Sächsischen Hofrats Möhnlein und ein paar anderen kurzlebigen Intermezzi, als Verkäuferin und Arbeiterin in der 49 Kürschnerei Flecklmayer und Hasenbalg in der großen Stadt landete, hatte Bürschel soeben eine Assistentenstelle in einem Krankenhaus der Provinz angetreten und wußte nicht, daß sie ihm ziemlich nahegerückt war. Bis es März wurde, hatte Käthchen dann in der Flecklmayerschen Atmosphäre von Staub und Pelzteilchen einen vielversprechenden Husten erworben, und nun trat ja Frau von Rosendorp so recht im gegebenen Moment auf ihren Lebensplan.

Es kam der Frühling, der Mai kam und der Juni, die Holunderbüsche bei jeder kleinen Gartenwirtschaft und auch sonst – ganz einsam an den Landstraßen – blühten so überreich, dufteten so stark; Schwalben schossen selig durch die Bläue und alle Gräben waren weiß und golden von wildem Kümmel und Löwenzahn. Ja, später blitzte es den Menschen durchs Erinnern, und sie fragten sich schaudernd, warum genossen wir's nicht tiefer, nicht besser, warum waren wir blind gegen all die friedliche Schönheit und oft unzufrieden wegen so unerheblicher Dinge? So wie sich Menschen an Sterbelagern fragen: warum liebten wir nicht besser? Denn bald sah es ganz anders aus in der Welt, und ob es auch noch Schwalben, fruchtbeladene Bäume und kornbeladene Erntewagen gab – die Freude daran war nun wirklich dahin, die Freude der Unschuld und 50 Gedankenlosigkeit, die von sich selber nicht weiß und auf die ein jeder ohne zu prüfen oder zu wägen Anspruch erhebt, obgleich ihn eigentlich nichts dazu berechtigt.

Dies gehört einer späteren Zeit an; aber so kam's, daß Bürschel und Käthchen ein paar Jahre nicht voneinander hörten; denn Bürschel übte nun seine neu erworbene Weisheit und Handfertigkeit in Feldlazaretten aus, und außer zu kurzen Feldpostkarten an Maria Reichert nahm er keine Feder mehr zur Hand. Auch die anderen freundlichen jungen Herren aus Käthchens Bekanntschaft waren gleich hinausgezogen, an Orte mit teilweise unaussprechlichen Namen, taten Männerarbeit, grausig und schmerzhaft, doch zur Zeit unerläßlich, wenn auch von höherer Warte aus die Notwendigkeit des ganzen höllischen Verfahrens fraglich erscheinen konnte. Unter dem Spiegel auf Käthchens Kommode aufgestellt, blickten sie die Bilder dieser in alle Erdteile zerstreuten, zum Teil nicht mehr Erdenluft atmenden Freunde, seltsam fremd geworden an: nicht nur Bürschel, im Gehrock etwas philisterhaft behäbig, sondern da waren auch die Möhnleinschen Assistenten, Doktor Werner Ottokarl mit dem unentwegten Lächeln des deutschen Mannes, den so leicht nichts aus der Fassung bringt und der da weiß, »was den kleinen Mädchen not tut«; und der andere, Doktor Benno Tauffkirchner, im 51 Stephan-George-Rock, einreihig, beinahe klerikal, mit mageren, stark geäderten Händen und dem Profil eines sinnenden Raubvogels. Auch ein junger Bildhauer war da, der Käthchens Hand in Gips geformt hatte. Knabenhaft, mit wehendem Schopf und jenem unirdischen Leuchten, das man damals an jungen Leuten gewahrte, die Charons Nachen bald besteigen sollten.

Wenn Käthchen dann am Abend ihr knisterndes Haar gelöst hatte, konnte es vorkommen, daß sie mit Bürsten innehielt und, angelockt, zur Kommode trat und nun wie bei einem Geduldspiel die Bilder hin und her zu schieben begann. Starr, mit weit offenen, hellgewordenen Augen. Und manchmal stand der eine, dann wieder der andere in der Mitte, die übrigen in allen Ecken wie in dem kindlichen Spiel, das sich »Kämmerchen vermieten« nennt. Bis sie, plötzlich erschauernd, alles zusammenwarf, mit einem Satz in ihr Bett sprang, die Decke bis zur Nase zog und sich einschnuckelte in ihrem Kuhlchen, wozu sie kleine gurrende Töne von sich gab, die Sehnsucht, Lockung oder auch nur Wohlbehagen ausdrücken mochten; denn Käthchen liebte doch eigentlich ihr Bett über alles andere, und das Bett erwiderte diese Liebe, indem es warm und tröstend und schützend sie umfing. 52

 


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