Egid von Filek
Verwirrung in Magdalenenbad
Egid von Filek

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Elftes Kapitel

Angst und halsbeklemmendes Schweigen hängen wie schwarze Trauerschleier über der farbenfrohen Heiterkeit des zierlichen Magdalenenschlößchens.

Bange Fragen schwirren durch die Luft. Ist es wirklich Ereignis geworden, was hier noch nie geschah? Herbergt das fröhliche Kurhaus einen Schwerkranken? Ringt da droben, hinter langen, regungslos und kalt herabhängenden Vorhängen ein Mensch auf seinem Schmerzenslager in bitterem Kampf mit dem Tode?

Lähmender Schreck hatte alle gepackt, als Wolfgang mit zitternden Knien, atemlos vom rasenden Lauf, von dem Unglück berichtete – dann war Professor Scheidemantel, nach eiligem Studium des Abschnitts »Erste Hilfe bei Unglücksfällen« in der schwarzgerahmten Hausordnung, an die Spitze der Rettungsexpedition getreten, die aus Herrn von Döbrenday, dem allzeit getreuen Lajos und Doktor Burmester bestand und mit Leitern, Stangen, Stricken und Arzneitasche gerüstet auszog, während die Frauen, geballt zu einem dunklen Häuflein Angst, zurückblieben; erst nach und 206 nach gewannen die drei Bürofräulein wieder die Herrschaft über ihre Zungen und erzählten im Flüsterton von ähnlichen grausigen Ereignissen, die kleine Maus ging leisen Schrittes auf ihr Zimmer und warf sich vor dem silbernen Madonnenbildchen auf die Knie, Frau Elfriede drückte bleich und stumm ihr gerettetes Kind an sich, während Frau Doktor Burmester mit nassen Augen in Rhodes Zimmer das Bett richtete.

Und endlich – endlich kommen sie, tragen einen regungslosen Körper durch die schweigende Gruppe schreckensbleicher Menschen, in deren Gesichtern sich Grauen und Neugier mengen, auf einer Bahre aus Leitern und Stricken hinauf ins Zimmer, legen ihn auf das Bett, entfernen sich auf den Fußspitzen; die drei Bürofräulein auf dem Korridor sehen eben noch, wie Doktor Burmester, mit steinernem Gesicht, an das Lager tritt, dann schließt sich die weiß gestrichene Türe . . .

Und auch am nächsten Morgen weiß man noch immer nichts Bestimmtes. Das Zimmer bleibt verschlossen, niemand darf hinein – im Flüsterton verlautet, daß Frau Elfriede und die kleine braune Anni bei dem Kranken sind, und draußen auf dem Gange steht Wolfgang wie ein treuer Wachhund und schüttelt abweisend den Kopf, wenn einer der Gäste seine quälende Neugier nicht bezwingen kann und irgendeine Frage an ihn richtet.

Das bedenklichste Anzeichen aber ist, daß Doktor 207 Grädener, von dem ratlosen Anstaltsleiter telephonisch aus der Stadt heraufgerufen, in Magdalenenbad weilt. Er hat sofort eine gewissenhafte Untersuchung vorgenommen und sich sodann mit undurchdringlicher Miene in die Kurhauskanzlei zu einem Konsilium mit Doktor Burmester zurückgezogen; dort erkundigt er sich mit peinlichster Genauigkeit nach allen Einzelheiten der von Doktor Burmester geführten Voruntersuchung, und dem Chefarzt wird schwül zumute, denn der jüngere, mit allen Salben der modernen Wissenschaft geriebene Kollege bohrt an seiner medizinischen Autorität herum wie der Zahnarzt an empfindlichen Zähnen; seit seinem Rigorosum – und das ist schon recht lange her – hat er noch nie so viel Angstschweiß vergossen wie in dieser Stunde; denn es muß leider gesagt werden, daß Doktor Burmester zwar sehr gut weiß, wie ein Sanatorium geschickt und gewinnbringend zu leiten ist, daß aber seine ärztlichen Kenntnisse auf etwas altersschwachen Beinen stehen.

Und man kann nicht behaupten, daß Doktor Grädener sich anmaßend benimmt; im Gegenteil, er behandelt die ganze Sache eigentlich nur als ein Gespräch zwischen zwei Fachmännern. Aber Doktor Burmester hat nun einmal eine Antipathie gegen ihn, und es fällt ihm ein ganzer Steinbruch vom Herzen, als der Kollege, nach einigen bescheiden vorgebrachten Ratschlägen für die weitere Behandlung des Falles, sich höflich lächelnd verabschiedet. 208

Die nächsten Tage stehen unter einem Wolkenschatten von Unsicherheit und Besorgnis. Es verlautet, daß Frau Elfriede persönlich die Pflege des Kranken übernommen hat, ohne daß eine der Damen vom Standpunkt der Moral daran etwas auszusetzen findet. Die Geschichten der drei Bürofräulein von ähnlichen Unglücksfällen, die sie teils selbst erlebt haben wollen, teils dem Bericht vertrauenswürdiger Kolleginnen verdanken, werden immer phantastischer und grausiger; aber trotzdem geht das geruhige Kurhausleben weiter seinen Gang, und nach und nach beginnt sich die Miene Doktor Burmesters, der einige Tage lang recht gedrückt und wie unter einer schweren Sorgenlast durch die Räume seiner Anstalt wandelte und bei Tische sehr einsilbig dasaß, zu klären. Obgleich ihm das ärztliche Berufsgeheimnis die Zunge bindet, sieht man doch von Tag zu Tag die Sorgenfalten auf seiner Stirne schwinden, und auch das fröhliche Glitzern der Augengläser wird als gutes Zeichen gedeutet.

Wie gewöhnlich in solchen Fällen, haben sich zwei Parteien gebildet: die Damen behaupten, daß die Wiederherstellung des Herrn Ingenieurs Rhode nur der ärztlichen Kunst des Anstaltschefs zu danken sei; die Herren dagegen sprechen mehr von der kräftigen Konstitution des Patienten und von dem glücklichen Zufall, daß ein aus der Felswand wachsender Strauch den Körper auffing und vor weiterem Sturz in die Tiefe bewahrte, und sie schreiben auch einen kleinen Anteil 209 an dem schönen Heilerfolg dem Herrn Doktor Grädener zu.

Und eines schönen Morgens beim Frühstück erzählt das steingrüne Fräulein unter allgemeiner Teilnahme der ganzen Hausgenossenschaft, daß der Herr Ingenieur schon im Lehnstuhle am offenen Fenster sitzt, mit Wolfgang plaudert und dazu eine Zigarre raucht. Und das steingrüne Fräulein muß es wissen; sie ist eine Frühaufsteherin, pflegt allmorgendlich im Kurpark zu promenieren und bezieht alle Neuigkeiten des Hauses aus erster Hand.

Wenn sie erst gesehen hätte, daß im Hintergrunde des Zimmers Frau Elfriede auf einem kleinen Tischleindeckdich für Onkel Rhode und Wolfgang den Tee bereitet!

Auf dem weißschimmernden Tischzeug gucken die glänzenden Stiele der Silberlöffel aus den Teeschalen, und vor dem Fenster hängt wie blaue Seide der prächtigste Herbsthimmel.

»Und ich hätte doch den Luftballon retten sollen«, sagt Wolfgang mit umdüsterter Miene. »Wenn ich nur ein wenig größer wäre – ich hätte ihn mit der Hand erreicht. Aber da ist oben ein Stein losgebrochen und ich bekam auf einmal Angst und . . .«

»Laß gut sein, Kind«, lächelt Onkel Rhode mit seinem guten, schmal gewordenen Gesicht, »wir wollen einen neuen Luftballon bauen – später – – wenn wir erst alle in der Stadt sind.« 210

»Also ist es wirklich wahr, Mutter, daß wir zu Onkel Rhode in die Stadt ziehen?« fragt Wolfgang und springt in ungestümer Freude mit beiden Füßen vom Fensterbrett herab. Denn obwohl ihm der Gedanke an die Stadt, wo er in ein enges Zimmer eingesperrt ist und in die Schule gehen muß und Schlangen, Krebse, Frösche, Wiesen, Bäche und Wälder und alle Herrlichkeiten der Freiheit nur auf Bildern sieht, sehr unangenehm ist, so verspricht er sich doch von der ständigen Gesellschaft Onkel Rhodes unendlich viele Anregungen.

Aber Mutter antwortet nicht auf seine Frage, sondern stellt nur fest, daß nicht genügend Zucker vorhanden ist und schickt Wolfgang in die Küche zu Frau Doktor Burmester, um noch ein paar Stückchen zu holen; und sobald sich die Türe hinter ihm geschlossen hat, tritt sie zum Fenster und legt dem alten Freunde die Hand auf die Stirn; und er nimmt die schlanken Finger und drückt sie an seine Lippen.

»Sibylle«, sagt er, und es klingt leise wie ein Hauch.

Sie aber steht schweigend und blickt durch das Fenster in die sonnige Landschaft hinaus; und langsam, ganz langsam kommt ein Begreifen über sie, daß sie alle die langen Jahre hindurch das Lebensglück dieses Einsamen in ihren Händen gehalten hat.

Und daß er ihr alles gab: die Träume seiner Jugend und die Tatkraft des Mannes – und daß er 211 zuletzt sein Leben gewagt hat für das, was ihr das Liebste und ein Teil ihres eigenen Lebens war.

Und nun weiß sie, daß auch sie ihm alles geben muß, nach dem ewigen Gesetz der Liebe . . .

Da klopft es an die Tür – aber es ist nicht Wolfgang mit dem Zucker, sondern die kleine Anni mit einem schweren Herzen; schüchtern und gedrückt tritt sie ein, nachdem sie sich draußen minutenlang die kleinen Füße an der Matte abgestreift.

Da steht sie in ihrer herben Jugendfrische wie der leibhaftige rotwangige Frühling zwischen den beiden Herbstmenschen und hält den Brief in der Hand, den ihr Rhode vor einigen Tagen gegeben hat, und bittet ihn um Verzeihung, daß sie nun doch nicht mit ihm in die große Stadt, sondern lieber mit ihrem Loisl als Wirtin in das kleine Gasthaus zum grünen Elefanten gehen will; in der Freude ihres Herzens gehen die Worte mit ihr durch, und treuherzig berichtet sie die frohe Neuigkeit, die ihr der Loisl gestern gebracht hat, daß die grüne Elefantenwirtin, das zähe alte Leder, nun endlich doch mürbe geworden ist; sie bekam es mit der Angst, daß sie das Wirtshaus am Ende gar nicht verkaufen könnte und lenkte ein, und der Onkel Franz handelte ihr noch zu guter Letzt zehn Prozent der Kaufsumme ab, so daß der Loisl jetzt ein richtiger Wirt geworden ist und den neuen Besitz antreten kann, wann es ihm beliebt.

Und Ingenieur Rhode billigt ihren Entschluß und 212 auch Frau Elfriede freut sich mit ihr, und aufatmend schlüpft sie hinaus und trällert eine Minute später fröhlich in der Küche ein Liedchen vor sich hin.

Während dieser Ereignisse lag Herr von Döbrenday in seinem Prunkzimmer mit dem falschen Eisbärenfell auf dem Sofa, rauchte eine Zigarette und zog die Bilanz seines Magdalenenbader Aufenthaltes; sie fiel nicht zu seiner Zufriedenheit aus, denn es war nicht wegzuleugnen, daß die aufregenden Geschehnisse der letzten Tage seine fein gesponnenen Eroberungspläne unbarmherzig zerrissen hatten und er sich mit der Tatsache abfinden mußte, daß Frau Elfriede trotz aller seiner Bemühungen eben dem Ingenieur zugefallen war.

Und in seinem Lebemannshirn dämmerte die Ahnung, daß man eine Frau hinnehmen muß wie jede andere Naturerscheinung, als gutes oder böses Geschick, und daß es ganz unmöglich ist, sie zu lenken.

»Sie wollen – – oder sie wollen nicht – – daran ist nichts zu ändern«, seufzte er und goß sich ein Gläschen Kognak ein.

Da es aber für das männliche Selbstgefühl in gewissen Fällen am förderlichsten ist, sich an die Philosophie der sauren Trauben zu halten, so fand Herr von Döbrenday am Ende seiner Betrachtungen, daß diese Frau Elfriede eigentlich doch nicht besonders jung und hübsch und vor allem viel zu temperamentlos war.

Und dazu kam noch, daß er heute früh wieder einen 213 schlanken, blaßvioletten Brief mit dem Poststempel Budapest erhalten hatte, und daß der getreue Lajos in der Küchenregion in anmutig gebrochenem Deutsch mit allerlei geheimnisvollen Andeutungen herumwarf, die hohe ungarische Regierung hätte seinen Herrn in wichtigen diplomatischen Angelegenheiten nach Budapest berufen.

Denn Lajos, der schwarze Raubvogel, obwohl er nun endlich bei dem sanften, rundlichen Täubchen Hanni alles erreicht hatte, was er wünschte – – und das war sehr viel, denn Lajos war einer von jenen Männern, die aufs Ganze gehen – – so empfand er doch ein leises Magendrücken, wenn er über die Geschichte nachdachte; und wäre er ein Dichter gewesen, so hätte er in sentimentalen Versen die bittere Hefe der Enttäuschung angesungen, die immer auf dem Grunde des Freudenbechers zurückbleibt.

Man kann die Menschen nach ihrem Verhalten zu jenem vielumstrittenen Gefühlskomplex, den man Liebe nennt, in zwei wesentlich verschiedene Gruppen einteilen; für die einen ist die Liebe eine durchaus ernste, nachdenkliche und unser ganzes inneres Leben entscheidende Angelegenheit; andere hingegen nehmen sie für ein hübsches, buntes Blümchen, das man am Wege pflückt, ein paar Stunden lang am Hut oder im Knopfloch spazieren trägt und dann verwelken läßt oder höchstens daheim in ein Wasserglas tut, wo es einige Tage später verwelkt. 214

Weil nun Lajos ganz entschieden zur zweiten Gruppe gehörte, so genoß er zwar in vollen Zügen, was ihm die Liebesgöttin beschieden hatte, suchte aber dabei heimlich nach einem Gelegenheitlein, um den süßen Fesseln zu entschlüpfen.

Und darum sei uns, ohne daß wir einer anderweitigen Auffassung der Sachlage, die sich vielleicht erst nach der Heimkehr Herrn von Döbrendays in seine Vaterstadt vollkommen klären wird, vorgreifen wollen – einstweilen die Vermutung gestattet, daß Lajos in dem Falle jenes schlanken, blaßvioletten und so sündhaft und süß duftenden Briefes seine Hand im Spiele hatte; denn das Schicksal ist ein genialer Schachspieler, der sich zur Ausführung seiner Meisterzüge häufig der Mitwirkung ganz unbedeutender Steine bedient.

Jedenfalls fand es Herr von Döbrenday für gut, den blaßvioletten Brief diesmal postwendend zu beantworten.

Und damit sein Schreiben desto schneller abgehe, tat er es nicht in den Briefkasten neben dem Eingangstor des Kurhauses, der nur einmal täglich ausgehoben wurde, sondern übergab es Lajos mit dem Auftrage, es am Hauptpostamt in der Stadt aufzugeben.

Und Lajos tat noch ein übriges und ließ den Brief sogar einschreiben, denn es lag ihm sehr viel daran, daß er so sicher als möglich in die Hände der Adressatin 215 kam, und er hegte trotz seiner patriotischen Hochgefühle tiefes und begründetes Mißtrauen gegen die ungarische Post.

Herr von Döbrenday aber erklärte bei der Abendtafel mit einem Unterton von leiser Wehmut in der Stimme, der ihm sehr gut stand, daß ihn seine Pflichten als Gutsbesitzer und Klubmitglied zu seinem großen Bedauern wieder in die Heimat zurückriefen, und daß er schon übermorgen abreisen müsse.

Es war die allgemeine Ansicht der Herren, daß er noch nie so forsch und leutselig gewesen war wie an jenem Abend, während die Damen ihn noch nie so liebenswürdig und schön und seine Gesichtsnarbe noch nie so interessant gefunden hatten.

Und Doktor Burmester brachte das »Goldene Buch« herbei, in welches jeder Besucher von Magdalenenbad ein paar Zeilen zur Erinnerung schreiben mußte; es war vom Kurhauschef selbst mit allerlei buntem Geschnörkel geschmückt und randgefüllt mit gut gemeinten und schlecht gereimten Entzückungsphrasen über die Schönheit von Magdalenenbad. Herr von Döbrenday gab ein paar ungarische Verszeilen von sich, die von den umstehenden Kurgästen ehrfurchtsvoll gelesen wurden, um so ehrfurchtsvoller, als niemand sie übersetzen konnte; es war ein Spruch von Petöfi, der irgendwie vom Schmerz des Scheidens und Meidens handelte. 216

Aber am nächsten Tage stand die runde Hanni mit rotgeweinten Augen in ihrer Küche, obwohl es dort weder Zwiebel zu schneiden noch Meerrettich zu reißen gab, und Lajos ging in den Automobilstall und sprang um das mächtige gelbbraune Ungetüm herum wie der Teufel um den großen Rost, wenn für einen besonders argen Sünder angeheizt werden soll; er ging ihm mit Wassereimern, Bürsten, Ölkännchen, Scheuerlappen und einem großen Schwamm zu Leibe und trieb gewaltige Wasserverschwendung.

Und Frau Dorothea wandelte im Hausgärtchen von Strauch zu Strauch und schnitt die allerschönsten Blumen ab, gesprenkelte Dahlien und violette Astern und weiße und rote Immortellen und Reseda und purpurbraunes Löwenmaul und was sonst noch bunt und leichtsinnig in den Herbst hineinblühte – – das alles sollte sich zu einem imposanten Abschiedsstrauß für Herrn von Döbrenday vereinigen.

Ach, die gute Frau Dora! Ihre unerschöpfliche Phantasie hatte sich den Abschied des glänzendsten ihrer Gäste anders vorgestellt. Intime Feier im Konversationszimmer unter Beteiligung aller Gäste; Fräulein Aura am Flügel, mit gewohnter Meisterschaft die »Ungarischen Tänze« von Brahms spielend; Professor Scheidemantel als Rezitator einiger passender und schwungvoller Gedichte . . . Aber Professor Scheidemantel war seit dem Fest auf Kronstein für nichts dergleichen zu haben und der Name Aura durfte in den 217 Räumen dieses Hauses überhaupt nicht mehr genannt werden. Da blieb nun leider nur noch der Abschiedsbuschen übrig und Frau Dora schonte ihren Blumengarten wahrlich nicht, um den Strauß so bunt und reich als nur möglich zu gestalten.

Lajos aber, der im dämmerigen Automobilstall eben den Kotflügel des linken Hinterrades abspülte und dabei den Rakoczymarsch pfiff, bekam plötzlich einen Schreck; denn ehe er sich's versah, legten sich zwei runde, weiche, dicke Arme um seinen Hals und zwei traurige Augen blickten ihn an; das war die Hannerl, sie hatte sich aus der Küche fortgestohlen und weinte jetzt an seiner Brust so bitterlich, wie nur ein dummes, unerfahrenes Mädel weinen kann, das noch keine Ahnung von der Schlechtigkeit der Welt im allgemeinen und der männlichen im besonderen hat.

»Und morgen mußt du wirklich fort, Lajos? O Gott, o Gott!«

»Muß ich fort, Täubchen meines, igen, igen«, erwiderte er und fuhr mit dem Rockärmel über die Augen, eine nicht vorhandene Träne wegzuwischen.

»Und wirst du mich auch nicht vergessen, du?«

»Werd ich dir nie vergessen, niemals«, krächzte der Raubvogel, indem er die um Liebe bettelnden Mädchenhände sanft von seinen Schultern nahm.

»Und wirst du mir auch gleich schreiben, wenn du heimkommst, ja?« 218

»Werd ich dir schreiben, hat werd ich schreiben«, beteuerte Lajos und füllte aus einer großen Blechkanne den Benzinbehälter.

»Und du wirst wiederkommen, nächstes Jahr im Sommer, gelt Lajos?« fragte das Täubchen mit nassen Augen.

Darauf gab der Lajos gar keine Antwort mehr, sondern begnügte sich mit einer stürmischen und wortlosen Umarmung.

Dann sprachen sie noch einiges, während er mit einem bisher an ihm noch nie beobachteten Eifer das Automobil weiter behandelte; aber merkwürdig, je länger das Gespräch dauerte, desto mehr ungarische Wörter mengte er hinein, als hätte er alles wieder vergessen, was ihm die kleine Hanni an deutschem Sprachgut so mühsam und gewissenhaft beigebracht; und endlich schlich sie schweren Herzens in ihre Küche zurück, während Lajos seinen unterbrochenen Rakoczymarsch zu Ende pfiff.

Und in der Frühe des nächsten Tages, während der letzte von den silbernen Schleiern, welche die Herbstnächte hinter sich herziehen, im Morgensonnenschein zerfließt, steht das Auto abfahrtbereit im Hof des Kurhauses.

Lajos, im Glanze seines nationalverschnürten Rockes mit den Silberknöpfen, öffnet die schwarzen Gitterflügel des Parktores und schleppt dann unter Mithilfe 219 der Annerl und der blonden Fanni die Koffer seines Herrn die Treppe hinab, um sie auf dem Auto zu verstauen – die Hanni kann nicht mittun, sie steht hinter der Küchentüre und schluchzt, als ob ihr das Herz brechen wollte.

Und Herr von Döbrenday tritt aus der Eingangstür wie ein Triumphator, nachdem er im Musikzimmer Abschiedscercle gehalten, das leutselige Lächeln des großen Herrn auf den Lippen und im Knopfloch eine weiße Aster; er beglückt alle Gäste mit einem Händedruck und neigt sich ritterlich vor jeder Dame, am ritterlichsten vor Frau Elfriede, die ihm die kühlen Finger zum Kuß hinreicht.

Hinter ihm aber bringt die braune Anni den »Abschiedsbuschen« geschleppt, so gewaltig groß, daß er den ganzen Sitzplatz neben Herrn von Döbrenday einnimmt, und Lajos grinst, wenn er daran denkt, daß er ihn nach ein paar Fahrstunden erbarmungslos in irgendeinen Fluß werfen wird.

Und dann werden die letzten Abschiedsgrüße getauscht, Lajos schwingt sich auf den Chauffeursitz und greift in das Lenkrad, leise knirschen die Gummireifen auf dem feuchten Sand – Doktor Burmester ruft »Eljen« und Herr von Döbrenday »Auf Wiedersehen« . . . und die drei Fräulein in Safrangelb, Braun und Steingrün wedeln mit den Taschentüchern und recken die mageren Hälse wie Schildkröten. 220

Von seinem Platz am Fenster sieht Heinrich Rhode das gelbbraune Auto dahinrollen, immer ferner, immer kleiner, bis es in einer Staubwolke verschwindet. Und mit stiller Freude denkt er daran, daß er bald dieselbe Straße ziehen wird, in das Land seiner gestaltungsfrohen Berufsarbeit und seines späten Glücks. 221

 


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