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Funfzehntes Kapitel.

Gaffer und Gammer Andrews erscheinen mit einer andern wenig erwarteten Person; und die durch die Hausirer veranlaßten Bedenklichkeiten werden vollkommen beseitigt.


Sobald Joseph vermuthen konnte, Fanny angekleidet zu finden, kehrte er in ihre Kammer zurück, und hatte eine lange Unterredung mit ihr, deren Ergebniß war, daß im Fall es sich bestätigen sollte, sie seien wirklich Bruder und Schwester, beide zeitlebens ledig bleiben, sich nie von einander trennen, und einer platonischen Freundschaft hingeben wollten.

Die Gesellschaft war beim Frühstück sehr munter, und auch Joseph und Fanny zeigten sich etwas heiterer, als am vorigen Abend. Lady Borby brachte die diamantenen Hemdeknöpfchen zum Vorschein, und der Stutzer erkannte sie ohne Umstände als die seinigen an, mit dem Zusatz, er sei leider sehr zum Nachtwandeln geneigt. Die Wahrheit zu sagen, er schämte sich des Liebesabenteuers nicht im mindesten, und suchte vielmehr zu verstehen zu geben, es sei zwischen ihm und der Slipslop mehr vorgefallen, als wirklich vorgefallen war.

Kaum hatten sie den Thee zu sich genommen, als die Ankunft des alten Herrn Andrews und seiner Frau gemeldet ward. Sie wurden sofort vorgelassen, und freundlich von der Lady Borby empfangen, deren Herz nicht weniger pochte, als Josephs und Fanny's. Alle drei waren jetzt vielleicht in derselben Spannung, wie Oedipus selbst, als sein Geschick ihm offenbart werden sollte.

Herr Borby eröffnete zuerst die Verhandlungen, indem er dem alten Herrn sagte, er habe unter den Anwesenden ein Kind mehr, als ihm bekannt sein möge, und indem er jetzt Fanny ihm zuführte, fügte er hinzu, dies sei die in ihrer Kindheit ihm von Zigeunern gestohlene Tochter. Der alte Herr versicherte dagegen, nicht ohne etwas betroffen zu sein, daß er nie eine Tochter auf diese Weise verloren, noch außer Joseph und Pamela je ein Kind gehabt habe. Diese Worte waren für das liebende Paar eine Herzstärkung, für Lady Borby aber nicht viel besser als Gift. Sie ließ sogleich den Hausirer rufen, der seine Geschichte genau wieder so erzählte, als es das Erstemal geschehen war. Am Schluß derselben lief die alte Mutter Andrews auf Fanny zu, schloß sie in ihre Arme, und rief: »Ja, sie ist, sie ist mein Kind!« – Die Anwesenden waren über diesen Widerspruch zwischen dem Ehepaar vor Erstaunen außer sich, und schon standen die beiden Liebenden leichenblaß da, als die alte Alte sich zu ihrem, mehr als sonst Jemand befremdeter scheinenden Manne wendete, und, nachdem sie sich ein wenig gesammelt hatte, also anhub: »Du erinnerst Dich vielleicht, mein Lieber, daß Du mich bei Deiner Abreise nach Gibraltar wohin du als Sergent der Truppen folgtest, gesegneten Leibes verließest; Du kehrtest, wie Du weißt, erst nach drei Jahren zurück. Während Deiner Abwesenheit kam ich nieder, und zwar, wie ich mich überzeugt hatte, mit dieser Tochter, deren ich gewißlich mich zu erinnern Ursache habe, da ich sie bis zu dem Tage, an welchem sie mir gestohlen wurde, an dieser meiner eigenen Brust säugte. Eines Nachmittags – das Kind mochte ein oder anderthalb Jahr alt sein oder ungefähr, – kamen zwei Zigeunerinnen an meine Thür, und erboten sich, mir wahrzusagen. Die eine trug ein Kind im Arm. Ich reichte ihnen meine Hand dar, und verlangte zu wissen, ob Du je wieder heimkehren würdest, was sie denn, – ich weiß es noch so genau, als wär's erst gestern geschehen, – mir bestimmt zusicherten. Hierauf ging ich in den Keller, um den Weibern einen Krug von meinem besten Getränk zu holen, und ließ das Kind in der Wiege. Als ich zurückkam – (ich kann darauf schwören, daß ich nicht länger blieb, als so lange ich jetzt gesprochen habe) – waren die Weiber fort. Ich befürchtete, sie hätten mir etwas gestohlen, sah mich in allen Ecken und Winkeln um, konnte aber nichts vermissen, und der Himmel weiß, es war auch damals wenig bei mir zu holen. Endlich, da ich das Kind in der Wiege schreien hörte, wollte ich's auf den Arm nehmen – aber mein Gott, wie erschrak ich, als ich statt meines Mädchens, das so dick und fett war, als man nur an einem Sommertage eins sehen kann, einen elenden abgezehrten Knaben fand, der für keine Stunde mehr Leben in sich zu haben schien. Ich lief aus dem Hause, raufte mir das Haar und schrie wie eine Besessene nach den Weibern, aber sie waren verschwunden und blieben es. Als ich wieder in die Stube trat, hob das arme Knäbchen (eben unser Joseph da, so ein derber Bursche er jetzt auch ist) seine Augen so flehend zu mir auf, daß ich trotz meiner Wuth es nicht übers Herz bringen konnte, ihm etwas zu leide zu thun. Meine Nachbarin, die eben zu mir kam, und die Sache erfuhr, redete mir zu, mich des armen Kindes anzunehmen, da denn Gott zum Lohne mir vielleicht dereinst mein eigenes wiederschenken würde. Hierauf nahm ich den Kleinen und säugte ihn, das muß wahr sein, so gut, als hätte ich ihn selbst geboren, und so gewiß ich hier stehe, in Kurzem war mir der Junge so lieb, als wäre er mein eigen gewesen. Nun, was ich sagte, es kamen schwere Zeiten, und da ich zwei Kinder und nichts zu leben hatte, außer was ich mir selbst verdiente, was Gott weiß wenig genug war, so mußte ich zu der Gemeinde meine Zuflucht nehmen, aber statt mich von den Armengeldern zu unterstützen, ließen mich die Gerichte sechs Stunden forttransportiren und zwar an den Ort, wo wir noch diese Stunde wohnen. Dies geschah kurz vor Deiner Heimkehr. – Joseph – diesen Namen gab ich ihm (denn der Himmel weiß, ob er getauft ist oder nicht, und wie sie ihn früher genannt haben mögen) Joseph, sage ich, mochte etwa fünf Jahr alt sein, als Du wiederkamst; denn ich glaube, er ist zwei oder drei Jahr älter, als unsere Tochter hier – (ich bin vollkommen überzeugt, daß sie es ist) und als Du ihn zu Gesichte bekamst, sagtest Du nur, es sei ein derber Junge, ohne weiter nach seinem Alter zu fragen. Da ich nun bemerkte, daß Du kein Arg dabei hattest, dachte ich, ich könnte die Sache eben so gut für mich behalten, besonders da ich fürchtete, Du würdest das arme Kind nicht so lieb haben wie ich, wenn Du die Wahrheit erführest. Das Alles ist nun Wort für Wort wahr, und ich will vor jedem Friedensrichter im Königreich einen Eid darauf ablegen.« – Der Hausirer, der auf Befehl der Lady Borby gerufen worden war, hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit der Erzählung der Alten zu, und als sie dieselbe beendigt hatte, fragte er, ob das untergeschobene Kind nicht ein Mahl auf der Brust gehabt habe? worauf sie erwiederte: »Ja wohl, es war eine Erdbeere, so schön sie nur immer im Garten wachsen mag.« – Dies bestätigte auch Joseph, und knöpfte auf der Gesellschaft Verlangen die Weste auf, um allen das sonderbare Mahl zu zeigen. – »Wohl,« sagte der alte Andrews, ein drolliger alter Schlaukopf, der wahrscheinlich nicht mehr Kinder zu haben wünschte, als er ernähren konnte; »Du hast, dünkt mich, überzeugend genug bewiesen, daß uns der Joseph nicht angehört; aber wie willst Du gewiß sein, daß das Mädchen da unser ist?« – Der Pfarrer forderte jetzt den Hausirer auf, die Geschichte zu wiederholen, die er ihm, als sie sich auf der Reise kennen lernten, in jenem Wirthshause mitgetheilt habe. Dieser erfüllte sein Begehren, indem er berichtete, was der Leser so wie Herr Adams schon früher vernommen haben. Er bekräftigte nach seiner Frau Erzählung alle Umstände des Austausches und erwähnte auch der Erdbeere auf Josephs Brust. Bei Wiederholung des Worts »Erdbeere« fuhr Adams, der doch das Mahl ohne besondere Bewegung noch vor kurzem selbst in Augenschein genommen, plötzlich zusammen, und rief: »O du mein Himmel, da fällt mir etwas ein!« – Doch bevor er sich bestimmter erklären konnte, wurde er durch einen Bedienten hinausgerufen. Als er fort war, wendete sich der Hausirer an Joseph und versicherte ihn, er habe viel angesehenere Leute zu Eltern, als er bisher irriger Weise geglaubt, denn er sei von den Zigeunern aus einem vornehmen Hause gestohlen worden, und jene hätten ihn etwa ein Jahr bei sich behalten, dann aber, weil sie ihn seines schwächlichen und abgezehrten Zustandes wegen dem Tode nahe geglaubt in der bereits vernommenen Art gegen das andere gesundere Kind ausgetauscht. »Den Namen Deines Vaters,« fuhr der Hausirer fort, »hat meine verstorbene Frau entweder nie gewußt oder doch wieder vergessen; ich erfuhr nur so viel von ihr, daß Dein Vater ungefähr zwanzig Stunden von dem Ort gewohnt hat, wo der Umtausch stattfand, auch nannte sie mir die Grafschaft, und ich werde mich nach allen Kräften bemühen, den Wohnort selbst zu entdecken.«

Doch Fortuna, die selten nur zur Hälfte Glück oder Unglück bringt, hatte beschlossen, dem Hausirer diese Mühe zu ersparen. Der Leser beliebe sich zu erinnern, daß Herr Wilson eine Reise nach der Westküste beabsichtigte, und da Herrn Adams Wohnort nicht weit aus dem Wege lag, diesen zu besuchen versprochen hatte. Er war jetzt in dieser Absicht vor der Lady Borby Haus angekommen, indem man ihn von jenem des Pfarrers dorthin bewiesen, und hatte den Bedienten gesendet, welcher, wie mir vorhin berichteten, Herrn Adams hinausrief. Dieser hatte kaum der Entdeckung eines gestohlenen Kindes erwähnt, und das Wort »Erdbeere« ausgesprochen, als Herr Wilson mit wilden Blicken und dem größten Ungestüm in das Gesellschaftszimmer geführt zu werden verlangte, wo er, ohne einen andern der Anwesenden zu beachten, auf Joseph zustürzte, und, ihn bleich und zitternd an sein Herz drückend, das Zeichen auf dessen Brust zu sehen dringend begehrte. Der Pfarrer folgte ihm hüpfend und springend und rief mit den Fingern schnippend: »Hic est quem quaeris; inventus est!« – Da Joseph nun auch Herrn Wilsons Wunsch erfüllte, so überließ sich dieser, sobald er das Mahl gesehen, dem ausschweifendsten Entzücken, umarmte den jungen Mann in höchster Wonne, und rief unter Freudenthränen: »Ich habe meinen Sohn, ich schließe ihn wieder an meine Brust!« – Joseph war noch nicht genugsam unterrichtet, um schon ganz dasselbe Entzücken zu empfinden wie sein Vater (denn das war Herr Wilson wirklich) erwiederte jedoch dessen Umarmungen mit einiger Wärme; sobald er aber aus seinem Bericht das Zusammentreffen jedes Umstandes, der Personen, der Zeit, des Ortes entnahm, warf er sich ihm zu Füßen, umschloss seine Kniee, und bat ihn um seinen Segen. Dieser ward mit solcher Zärtlichkeit ertheilt und empfangen, daß alle Anwesende dadurch tief ergriffen wurden, obschon niemand so sehr, als Lady Borby, welche das Zimmer in einer nur zu gut bemerkten, und von Mehreren in der Gesellschaft nicht allzu nachsichtig gedeuteten Herzensangst verließ.


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