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Sechstes Kapitel.

Von welchem man nicht mehr, als eben gefällig ist, zu lesen ersucht wird.


Das Wiedersehen der Geschwister blieb von beiden Seiten nicht ohne Freudenthränen; denn sie waren einander mit der innigsten Zärtlichkeit zugethan. Ihre Umarmungen gewährten indessen dem Neffen viel mehr Freude als der Tante, deren Flammen sie nur noch mehr anfachten, wozu auch Josephs neuer Anzug beitrug, dessen es aber in der That nicht bedurft hätte, um die lieblichen Farben noch mehr zu heben, mit denen die Natur Gesundheit, Kraft, Anmuth und Jugend in seiner Person geschmückt hatte. Nach Tisch unterhielt er die Gesellschaft auf deren Bitte mit der Erzählung seiner Abenteuer; doch konnte Lady Borby ihre Unzufriedenheit mit dem Fanny betreffenden Theil derselben nicht verbergen, und zwar um so weniger, da ihr Neffe in die wärmsten Lobeserhebungen der Schönheit des jungen Mädchens ausbrach. Sie sagte, sich an ihre Nichte wendend, sie wundere sich, daß ihr Neffe, der seiner eigenen Versicherung nach aus Liebe geheirathet habe, einen solchen Gegenstand zur Unterhaltung seiner Frau wähle, und fügte hinzu, sie ihrerseits würde Eifersucht gegen einen Gatten empfinden, der sich in dem Lob einer Andern so leidenschaftlich ergehe. Pamela erwiederte, sie glaube fast selbst Ursache dazu zu haben; dies sei aber ein Beweis, daß Herrn Borby geneigt sei, mehr Schönheit an den Frauen zu finden, als worauf sie wirklich Anspruch machen könnten. Bei diesen Worten hefteten beide Damen ihre Augen auf zwei Spiegel, und Lady Borby versetzte, die Männer seien im allgemeinen sehr unzuverlässige Richter über Schönheit; worauf beide, ohne von dem Anblick ihrer eigenen Gesichter abzulassen, sich ein gegenseitiges Compliment über ihre respectiven Reize machten. Als die Stunde der Ruhe nahte, welche die Frau vom Hause so lange verzögert hatte, als es die Schicklichkeit nur immer erlaubte, sagte sie Joseph (den wir in Zukunft »Herrn« Joseph nennen werden, weil er eben so gültige Ansprüche auf diesen Titel hat wie viele Andere; ich meine nämlich die unbestrittenen Ansprüche guter Kleider), daß ein Bett für ihn im Hause bereitstehe. Er sträubte sich dies anzunehmen, so sehr er nur konnte, denn sein Herz war längst bei seiner Fanny gewesen; aber die Lady bestand auf ihrem Willen, und bemerkte, das Pfarrhaus biete kein schickliches Nachtlager für einen Mann dar, wie er nunmehro sei. Da auch der Squire und dessen Gattin ihm zuredeten, so war Herr Joseph endlich gezwungen, seine Absicht, Fanny noch an jenem Abend zu besuchen, aufzugeben. Nachdem diese ihrerseits ihn bis Mitternacht sehnlichst aber vergeblich erwartet hatte, begab sie sich aus Rücksicht für Herrn Adams und dessen Familie, die zwei Stunden über ihre gewöhnliche Zeit mit ihr zugebracht hatten, zu Bett, wo sie jedoch keinen Schlaf fand; denn die Gedanken an ihren Geliebten ließen ihr keine Ruhe, und sein Außenbleiben, seinem Versprechen zuwider, erfüllte sie mit einer Besorgniß, von der sie sich keine andere Ursache anzugeben wußte, als daß sie abwesend von ihm sei.

Herr Joseph stand schon sehr früh auf, und eilte zu ihr, die sein Herz erfreute. Kaum hörte sie seine Stimme in des Pfarrers Besuchzimmer, als sie aus dem Bett sprang, und nachdem sie sich in wenigen Minuten angekleidet hatte, sich schnell hinab begab. Sie brachten zwei Stunden in unaussprechlicher Wonne zusammen zu, und als sie hierauf mit Herrn Adams Genehmigung den nächsten Montag zu ihrer Trauung angesetzt hatten, kehrte Joseph, seinem Versprechen gemäß, zum Frühstück bei der Lady Borby zurück, von deren Benehmen seit dem Abend wir jetzt den Leser unterrichten wollen.

Sobald sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, fragte sie die Slipslop, was diese von dem wunderbaren Geschöpf denke, das ihr Neffe geheirathet habe? – »Gnädige Frau!« sprach die Zofe, die noch nicht recht wußte, wie sie ihre Antwort zu stellen habe. – »Ich frage Dich,« nahm die Lady wieder das Wort, »was Du von der Närrin, meiner Nichte, denkst – ich muß Dir ja wohl die Sache deutlicher machen.« – Mehr als dieses Winks bedurfte es bei der Slipslop nicht, die arme Pamela der strengsten Kritik zu unterwerfen, und ihr Konterfrei so unbarmherzig zu entstellen, daß kein Mensch auf Erden sie nach dieser Schilderung hätte wieder erkennen mögen. Ihre Gebieterin unterstützte sie dabei nach ihren besten Kräften, und schloß mit dem Ausspruch: »Ich denke, Slipslop, Du hast sie richtig gezeichnet, aber so abscheulich sie auch sein mag, so ist sie doch noch ein Engel im Vergleich mit dieser Fanny.« – Jetzt ergoß die Zofe ihre Galle über das arme Mädchen, und zerhackte sie mit gleicher Unmenschlichkeit, wobei sie mit der Bemerkung schloß, an diesen Geschöpfen von niedrigem Stande sei doch immer etwas, das sie von vornehmeren Leuten extinguire. – »Nun,« sagte Lady Borby, »eine Ausnahme von dieser Regel wüßte ich doch; o Du kannst leicht errathen, wen ich meine.« – »Ich? nein, wahrhaftig nicht,« rief die Slipslop. – »Ich meine einen jungen Mann,« fuhr die Lady fort; »wie? bist Du denn ganz auf den Kopf gefallen?« – »Ja, wo muß ich nur die Gedanken gehabt haben?« erwiederte die Slipslop. »Ja, der ist gewiß eine Acception, Euer Gnaden.« – »So? habe ich nicht Recht?« nahm Jene wieder das Wort, »ist es nicht ein so hübscher anständiger junger Mann, daß kein Fürst sich schämen dürfte, ihn als seinen Sohn anzuerkennen? Sein Benehmen ist so, daß es der besten Erziehung Ehre machen würde; von seiner frühern Stellung ist ihm nichts geblieben als eine übergroße Bescheidenheit gegen Vornehmere, die jedoch niemals in jenes knechtische Wesen ausartet, das man Menschen dieser Klasse so oft anhängt. Nichts, was er thut, verräth den niedrigen Beweggrund der Furcht; Alles an ihm zeugt vielmehr von einer gewissen Achtung oder Dankbarkeit, und läßt uns einen Blick in sein menschenfreundliches Gemüth thun. Und dann seine Tugenden; so kindlich gesinnt gegen seine Eltern, so zärtlich seiner Schwester, so treu seinen Freunden ergeben, so muthig, so herzensgut, daß eine Frau, wäre er von besserer Geburt, den unschätzbarsten Segen an ihm besitzen würde.« – »Das meine ich auch, gnädige Frau,« sprach die Zofe. – »So wie er aber jetzt ist,« fuhr die Lady fort, »möchte er noch tausendmal mehr gute Eigenschaften haben, eine Frau von Stande würde sich verächtlich machen, wenn man auch nur muthmaßen könnte, er sei ihr nicht gleichgültig; ja, ich selbst würde mich wegen eines solchen Gedankens verachten.« – »Darin stimme ich mit Euer Gnaden vollkommen überein,« sagte die Slipslop. – »Unausstehlich!« rief die Dame, »mußt Du denn immer ein Echo sein? Ist er nicht mehr der Liebe werth als ein plumper Landjunker, und mag dessen Familie auch bis zur Sündfluth nachzuweisen sein? Oder wie ein liederlicher Taugenichts, oder ein lächerlicher Stutzer, wenn sie auch noch so viel Ahnen haben? Und doch müssen wir uns mit solchen Subjekten ans Joch schmieden lassen, um dem Tadel der Welt auszuweichen; müssen, um Anderer Verachtung zu meiden, mit Denen eine Verbindung eingehen, die wir selbst verachten; müssen Geburt, Rang und Vermögen dem wahren Verdienst vorziehen. Es ist eine Tyrannei der Sitte und des Brauchs, eine Tyrannei, der wir uns unterwerfen müssen; denn wir Leute von Stande sind die Sklaven der Sitte und des Brauchs.« – »Ja der Tausend!« sagte die Slipslop, die nun wohl sah, von welcher Seite der Wind blies, »wenn ich an Eurer Gnaden Stelle wäre, so reich und so vornehm, ich ließe mir keine solche Tyrannei gefallen.« – »Wer spricht von mir?« fuhr die Lady auf, »ich meinte, wenn etwa ein junges Frauenzimmer von Stande, das noch nichts von dem Brauch der Welt wüßte, eine Neigung zu solch einem Menschen fühlen sollte. – Ja ich! – ich will hoffen, Du bildest Dir nicht etwa ein.« – »Nein Euer Gnaden, gewiß nicht,« rief die Slipslop. – »Nicht? was nicht?« schrie die Lady, »Du bist immer mit der Antwort da, ehe Du mich angehört hast. Wenn ich nun auch zugebe, daß er ein liebenswürdiger junger Mann ist – was habe ich mit ihm zu schaffen? Nein, Slipslop, für mich ist's mit den Männern vorbei. Ich habe einen verloren, der – doch, wenn ich daran denke, könnte ich wahnsinnig werden. Die Ruhe meines künftigen Lebens kann ich nur im Vergessen finden. Slipslop, plaudre mir doch noch etwas von Deinem Unsinn vor, damit meine Gedanken eine andere Richtung nehmen. Was meinst Du zu Herrn Andrews?« – »Nun, ich meine,« rief die Slipslop, »daß er der schönste netteste Mensch ist, den ich je gesehen habe; und wäre ich die vornehmste Dame auf der Welt, es sollte nicht zum Schaden eines gewissen jungen Mannes sein. Euer Gnaden mögen von Sitte und Brauch sagen was Sie wollen; so viel bin ich konfiszirt, zwischen Herrn Andrews und den meisten jungen Herrn, die Euer Gnaden in London die Aufwartung machen, – die Spindelbeine die – ist gar keine Paralaxe anzustellen. – Da wollte ich noch lieber unsern alten Pfarrer Adams heirathen. Was geht einem das Geschwätz der Leute an, wenn man glücklich in den Armen dessen ist, den man liebt? Manche Leute ziehen auf manche Leute los, weil andere Leute haben, was andere Leute selber gern hätten.« – »Also,« entgegnete die Lady, »wenn du eine Frau von Stande wärst, würdest Du wirklich Herrn Andrews heirathen?« – »Ja, das kann ich Euer Gnaden versichern,« versetzte die Slipslop, »wenn er mich sonst haben wollte.« – »Einfältige Närrin!« schrie die Lady; »wenn er eine Frau von Stande haben wollte! Ist das eine Frage?« – »Nein wahrhaftig, gnädige Frau,« sagte die Slipslop, »ich glaube es würde keine sein, wenn nur diese Fanny aus dem Wege wäre; und das kann ich sagen, wäre ich an Euer Gnaden Stelle, und fände an Herrn Joseph Andrews Gefallen, die Dirne müßte mir noch heute aus dem Dorfe. Ich bin konfiszirt, Advokat Scout schriebe ihr gleich den Laufpaß, wenn Euer Gnaden nur ein Wort sagen wollten.« – Diese letztern Worte erregten in der Lady Busen einen gewaltigen Sturm. Sie fürchtete, Scout habe sie verrathen oder vielmehr sie selbst sei nicht vorsichtig genug gewesen. Nach einem kurzen Stillschweigen und einer zweimaligen Veränderung ihrer Gesichtsfarbe, indem sie erst bleich, dann glühend roth wurde, sprach sie also: »Ich erstaune über die Freiheit, die Du Deiner Zunge giebst. Willst Du etwa zu verstehen geben, daß ich Scout gegen das Mädchen des jungen Menschen wegen habe auftreten lassen?« – »Um des Himmels willen, Euer Gnaden,« schrie die erschrockene Slipslop, »ich sollte mich so was unterfangen!« – »Ich hoffe, Du nimmst Dir dergleichen nicht heraus,« antwortete die Lady. »Mein Benehmen, dünkt mich, könnte der Bosheit selbst Trotz bieten, wenn eine solche abscheuliche Verleumdung vorgebracht werden sollte. Hätte ich mich je leichtfertig, ja auch nur leichtsinnig gezeigt, hätte ich mir wie so viele, die Dir nicht unbekannt sein können, unanständige Freiheiten erlaubt, und wäre es auch nur mit meinem Manne gewesen – aber dieser theure Gatte selbst, der ach, dahin ist – (hier begann sie zu schluchzen) – käme er wieder ins Leben – (hier brachte sie Thränen zum Vorschein) – er könnte mir wahrlich kein übermäßig zärtliches oder leidenschaftliches Benehmen zum Vorwurf machen. Nein, Slipslop, so lange ich mit ihm lebte, erhielt er ohne Sträuben nie auch nur einen Kuß von mir; und ich bin gewiß, er selbst ließ sich's nie in den Sinn kommen, wie sehr ich ihn liebte. Seit seinem Tode, Du weißt es, obgleich es fast schon sechs Wochen sind (es fehlt nur ein einziger Tag daran) habe ich, außer jetzt meinen albernen Neffen, keinen männlichen Besuch angenommen, habe mich ganz auf weibliche Gesellschaft beschränkt. Könnte ein solches Benehmen mir nun wohl Tadel zuziehen? Könnte mich irgend jemand einer Leidenschaft beschuldigen, die ich immer verachtet habe, nach dazu einer solchen, deren Gegenstand so tief unter mir wäre?« – »Meiner Treu, gnädige Frau,« sagte die Slipslop, »ich verstehe Euer Gnaden nicht, weiß nichts von der ganzen Sache.« – »Das glaube ich wirklich,« erwiederte die Lady, »daß Du mich nicht verstehst. Gefühle dieser Art sind nur feiner organisirte Seelen fähig; Du kannst sie mit Deinen Ideen nicht fassen. Du bist ein niedriges Wesen, so vom Schlage des Andrews, ein Wurm von der untersten Klasse, ein Unkraut, das im gemeinen Garten der Schöpfung aufschießt.« – »Ich versichere Euer Gnaden,« rief hier die Slipslop, deren Leidenschaften von einer fast eben so hohen Klasse sein mochten, als die ihrer Gebieterin, »mit dem Gemeinheitsgarten habe ich so wenig zu schaffen als andere Leute. Wahrhaftig, Euer Gnaden reden von Dienstboten, als wären's nicht auch Christen. Dienstboten haben Fleisch und Blut, so gut wie ihre Herrschaften; und Herr Andrews selbst ist ein Beweis, daß sie es eben so gut, wo nicht noch besser haben. Und was mich betrifft, so wüßte ich nicht, daß meine Items Sie meinte wahrscheinlich Ideen. so tief unter anderer Leute ihren stehen sollten oder daß ich gröber organisirt wäre; und das kann ich sagen, läge mir Herr Andrews sonst am Herzen, ich würde mich seiner vor den vornehmsten Herren nicht schämen; denn wer ihn in seinen neuen Kleidern gesehen hat, muß gestehen, daß er einen vornehmen Herrn so gut vorstellen könnte wie irgend ein Anderer. Also aus gröberm Material sollen wir sein, ei, seht doch! Auch kann ich's nicht anhören, daß man den armen jungen Menschen so ganz zurücksetzen will, denn so viel weiß ich, er hat nie einem Menschen etwas Böses nachgesagt. Ich bin konfiszirt, sein grobes Material liegt gewiß nicht in seinem Herzen, denn er ist der gutmüthigste Mensch von der Welt; und seine Haut ist, denke ich, auch nicht gröber als die von anderen Leuten. Schon als kleiner Junge hatte er eine Brust, so weiß wie frisch gefallener Schnee, und wo sie nicht mit Haaren bewachsen ist, wird sie wohl noch jetzt so sein. Der Tausend! wäre ich seine Frau, und er hätte jährlich nur seine hundert Pfund Sterling einzunehmen, ich wollte keine Andere beneiden. Eine Frau, die mit einem solchen Manne nicht glücklich sein könnte, verdiente es nie zu sein; denn wenn er keine glücklich machen kann, so wüßte ich nicht wer sonst? – Ich sag's noch einmal, um seinetwillen wünschte ich, daß ich eine vornehme Dame wäre. Hätte ich ihn denn zum Manne gemacht, so würde er sich schon so benehmen, daß niemand mir's verdenken sollte; ich meine, keiner würde sich das Paroli geben, ihm oder auch nur mir ins Gesicht zu sagen, wir hätten keinen pon ton.« – Mit diesen Worten nahm sie die Leuchter, und fragte ihre Gebieterin, die jetzt schon einige Zeit im Bett gelegen hatte, ob sie noch etwas zu befehlen habe. Diese aber antwortete in mildem Ton, es sei schon alles gut, nannte die Zofe ein drolliges Geschöpf, und rief ihr eine gute Nacht nach.


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