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Zehntes Kapitel.

Ein Gespräch zwischen dem Dichter und dem Schauspieler; in dieser Geschichte von keinem andern Nutzen, als daß sie dem Leser zur Ergötzung dienen mag.


Bevor wir in dieser Tragödie weiter schreiten, überlassen wir die Herren Joseph und Adams sich selbst, und ahmen den weisen Theaterdirektoren nach, die mitten in einem ernsten Stücke Euch mit einem trefflichen Produkt der Satire oder des Humors, ein Tanz genannt, erfreuen, welches besagte Produkt aus dem einzigen Grunde nicht gesprochen, sondern getanzt wird, weil die Personen, die es dem Publiko darstellen, solcher Art sind, daß man von vielen Seiten glaubt, ihre Denkkraft ruhe oder bewege sich vielmehr bei ihnen in den Fersen, und denen die Natur, so wie den Helden, die mit ihren Händen denken, nur der Symmetrie wegen Köpfe verliehen hat, und weil sie im Tanz den Nutzen haben, daß sie ihre Hüte daran hängen können.

Der Dichter sprach zum Schauspieler also: »Wie ich sagte (denn die Unterredung hatte schon während der ganzen Dauer des Treffens Statt gehabt), die Ursache, weßhalb Ihr keine guten Stücke habt, liegt am Tage; Ihr benehmt den Schriftstellern den Muth. Kein Mensch wird schreiben, ja kaum eine Hand regen, wenn er nicht Ruhm oder Vortheil, oder vielleicht beides hoffen darf. Schauspiele sind gleich Bäumen, die ohne frischen Nahrungssaft nicht wachsen mögen; aber in einem fetten und fruchtbaren Boden schießen sie wie die Pilze freiwillig empor. Die Musen lassen wie der Weinstock sich beschneiden, doch nicht mit der Axt. Das Londoner Publikum ist wie ein verzärteltes Kind, es weiß nicht, was es will, und findet an nichts so sehr Gefallen, als an einer Klapper. Der Possenspielschreiber erfreut sich allerdings noch einiger Aussicht auf Erfolg; aber für das Erhabene hat man keinen Sinn mehr. Ich glaube, ein Grund dieser Verderbtheit liegt freilich darin, daß die Schauspieler nichts taugen. Ja, Sir, schriebe auch einer wie Engel, diese Bursche verstehen nicht, in ihren Vortrag Empfindung zu legen.« – »Nicht zu rasch,« fiel Jener ein, »die Schauspieler unserer Zeit sind wenigstens eben so viel werth, als unsere jetzigen Schriftsteller; ja sie kommen ihren berühmten Vorgängern näher, und eher erwarte ich wieder auf der Bühne einen Booth als einen Shakspeare oder einen Ottway, und ich könnte wahrlich Ihre Bemerkung gegen Sie selbst wenden und sagen: Wir muntern die Dichter deßhalb nicht auf, weil sie uns keine guten neuen Stücke schreiben.« – »Ich habe das Gegentheil nicht behauptet,« sagte der Dichter, »doch wundert's mich, daß Sie so warm werden; Sie können nimmermehr bei diesem Streit sich selbst betheiligt glauben, und ich hoffe, Sie haben eine zu gute Meinung von meinem Geschmack, um im geringsten zu besorgen, daß ich mir Andeutungen auf Sie selbst habe erlauben wollen. Nein, Sir, hätten wir sechs Künstler Ihres Gleichen, wir würden bald mit den Bettertons und Sandhords der frühern Zeiten wetteifern können, denn ohne Schmeichelei, mir scheint es unmöglich, daß in den meisten Ihrer Rollen irgend einer Sie übertreffen mag. Ja, es ist eine heilige Wahrheit, in der ich viele und alle großen Kenner ganz mit mir übereinstimmen hörte, und Sie müssen mir verzeihen, wenn ich Ihre Bescheidenheit kränke, indem ich Ihnen ins Gesicht sage, jedesmal, da ich Sie in der letzten Zeit auftreten sah, fand ich Sie an Trefflichkeit gewachsen, gleich einem Schneeball. Durch Sie wurde mein Maaßstab für Vollkommenheit ein ganz anderer, denn Sie haben Alles überboten, was ich nur irgend für möglich hielt.« – »Eben so wenig,« antwortete der Schauspieler, »können Sie glauben, in dem betheiligt zu sein, was ich von andern Dichtern sagte; denn, auf Ehre, in Ihrem letzten Trauerspiel waren viele Stellen, ja ganze Auftritte, in denen Sie Shakspeare zum wenigsten erreicht haben. Es findet sich darin eine Zartheit der Empfindung, eine Würde des Ausdrucks, denen freilich viele meiner Kollegen nicht völlig Gerechtigkeit widerfahren ließen. Die Wahrheit zu sagen, viel ist eben nicht an diesen Herren, und ich bedaure den Autor, der beim Morde seiner Werke zugegen ist.« – »Das kann nun eben nicht oft der Fall sein,« erwiederte der Poet, »die Werke der meisten neueren Autoren sind todt geborne Kinder, und können daher nicht mehr ermordet werden. Es ist so elendes, halbrohes, halbglattes, lebloses, geistloses, nichtiges, kriechendes Zeug, daß ich fast den Schauspieler bedaure, der es auswendig lernen muß, was überdem fast so schwer sein muß, als Worte einer Sprache zu lernen, die man nicht versteht.« – »So viel weiß ich,« sprach der Schauspieler, »wenn die geschriebenen Sentenzen wenig Sinn haben, so verlieren sie ihn in der Deklamation noch mehr. Ich kenne kaum einen meiner Kollegen, der den Nachdruck richtig anbrächte, viel weniger in der Darstellung seinem Charakter getreu bliebe. Ich sah einen zärtlichen Liebhaber vor seiner Schönen in der Stellung eines Fechters stehen, einen tapfern Helden mit dem Schwert in der Faust dagegen vor seinem Feinde zittern. Ich will unsern Stand nicht herabsetzen, aber so wahr der Himmel über mir ist, im Herzen halte ich's jeder Zeit noch mehr mit dem Dichter.« – »Das finde ich mehr großmüthig als gerecht,« erwiederte Jener, »und so ungern ich die Leistung irgend eines Andern tadele – ja, ich thue es nie, und werde es nie thun – gleichwohl, um den Schauspielern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, was hätten Booth oder Betterton aus solchem abscheulichen Zeuge machen sollen, wie Fintons Marianne, Frowds Philetas, Mallets Eurydice, oder aus jenen gemeinen schmutzigen Produktionen, die ein gewisser Scribler aus der City oder aus Wozzing, Euer Dillo oder Lillo, wie er heißen mag, Tragödien zu nennen sich anmaßt?« – »Sehr richtig,« entgegnete der Schauspieler, »und sagen Sie, was halten Sie von solchen Subjekten wie Quin und Delane, oder von jenem gesichterschneidenden Zierbengel, dem jungen Cibber, oder von dem Mecklin mit seiner häßlichen Fratze, oder von Mißtreß Clive, dem unverschämten Weibsbild? Wie sollten die mit Ihren Shakspeares, Otway's und Leo's umspringen? – Wie würden sich in ihrem Munde folgende harmonische Zeilen des Letztern ausnehmen?

– – Nichts mehr; denn allen Glanz
Veracht' ich neben Dir – fern sei der Kronen
Und Könige Geräusch von uns, da milder
Uns das Geschick den bessern Pfad gezeigt.
Frei wie die Vögel wollen wir uns paaren,
Vergessend, welchem Stamme wir entsprossen. –
Ihr Lauben, Grotten, Haine, nehmt uns auf
Daß dort sanft murmelnd wir die Seelen tauschen,
Vereinet trinkend den Crystall des Stroms,
Die gelbe Frucht, des Herbstes Gabe, kostend,
Und ruft der goldne Hesperus uns heim
Im Dunennest bis an den Morgen schlafen.

oder wie diese schmähende Stelle des Otway:

»Wer wäre gern das alberne Geschöpf,
Das Mensch genannt wird? –«

»Halt, halt,« schrie der Poet, »wiederholen Sie doch die zärtliche Stelle im dritten Akt meines Stücks, worin Sie sich so auszeichneten.« – »Gern wollt ich's,« sagte der Schauspieler, »aber ich hab's vergessen.« – »Ei, Sie waren schon damals nicht ganz fest darin,« rief der Dichter, »Sie wären sonst bei dieser Stelle so beklatscht worden, wie noch nie, und es that mir äußerst weh, daß Sie sich um diesen Beifall brachten.« – »Nun wahrhaftig,« entgegnete Jener, »mich müßte mein Gedächtniß sehr trügen, oder diese Stelle wurde mehr ausgezischt, als irgend eine in dem ganzen Stück.« – »Das galt ja eben Ihrer Deklamation,« sprach der Poet. – »Meiner Deklamation!« wiederholte Jener. – »Oder vielmehr, weil Sie die Stelle gar nicht deklamirten,« ergänzte der Dichter; »Sie hatten Ihre Rolle vergessen, und deßhalb wurde gezischt.« – »Nein, wenn ich mich recht entsinne, erst wurde gezischt, und dadurch gerieth ich in Stocken,« entgegnete der Schauspieler, »und das muß ich [meiner] selbst willen sagen, das ganze Publikum gab zu, daß ich meine Rolle richtig aufgefaßt hatte; legen Sie daher das Durchfallen Ihres Stücks nicht mir zur Last.« – »Ich weiß nicht was Sie mit ›Durchfallen‹ meinen,« erwiederte der Dichter. – »Nun, Sie wissen doch, Ihr Stück wurde nur einmal aufgeführt« schrie der Schauspieler. – »Ja,« sagte der Dichter, »Sie und das ganze Publikum waren gegen mein Stück; das Parterre hatte sich gegen mich verschworen, Bursche, die mir die Kehle abschneiden würden, wenn die Furcht vor dem Galgen sie nicht abhielte. Nichts als Schneider, Sir; nichts als Schneider!« – »Weßhalb sollten denn gerade die Schneider gegen Sie so aufgebracht sein?« rief der Schauspieler. »Für Ihre Garderobe können Sie doch nicht so viele brauchen.« – »Ich lasse Ihren Scherz auf sich beruhen,« antwortete der Dichter, »aber Sie erinnern sich der Sache noch so gut wie ich; Sie wissen, im Parterre und auf der obern Gallerie wollte eine Partei nicht dulden, daß das Stück zu einer zweiten Aufführung komme, so sehnlich auch viele, ja bei weitem die meisten, vor allen die in den Logen, dies wünschten, und so lebhaft auch die Damen besonders betheuerten, sonst wieder keinen Fuß ins Schauspielhaus setzen zu wollen. Aber das gebe ich selbst zu, politisch war es gehandelt; denn die Schufte wußten, eine zweite Aufführung hätte deren fünfzig nach sich gezogen. Kam je in einer Tragödie eine gewaltige Noth vor – ich bin eben nicht für mein eigenes Produkt eingenommen; wenn ich Ihnen aber sagen wollte, was die besten Kenner davon geurtheilt haben – auch waren meine Feinde nicht allein Schuld daran, daß es auf der Bühne nicht so viel Glück machte, wie seitdem bei gebildeten Lesern; denn Sie können nicht behaupten, daß die Schauspieler meinem Stück Gerechtigkeit widerfahren ließen.« – »O doch,« antwortete der Schauspieler, »der gewaltigen Noth darin ließen wir Gerechtigkeit genug widerfahren; denn in welche Noth brachten uns nicht die faulen Orangen, die im letzten Akt auf uns geschleudert wurden? – Wir alle glaubten, es würde der letzte Akt unseres Lebens sein.«

Der Dichter, der jetzt in Wuth gerieth, war im Begriff, zu antworten, als sie unterbrochen wurden und ihr Gespräch ein Ende nahm, und zwar in Folge eines Zufalls, von dem der Leser, wenn er ungeduldig danach ist, gleich Kunde erhalten mag, doch muß er dann das nächste Kapitel überschlagen, welches jedoch eine Art Gegenstück zu diesem ist, und einen der besten und lehrreichsten Gegenstände im ganzen Buch abhandelt, und zwar in einem Gespräch zwischen dem Pfarrer Abraham Adams und Herrn Joseph Andrews.


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