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Fünftes Kapitel.

Eine zwischen Herrn Abraham Adams und Joseph unterwegs gehaltene Disputation über Schulen, und eine Beiden nicht unwillkommene Entdeckung.


Unsere Reisenden hatten sich in dem gastfreundlichen Hause so erquickt, Joseph und Fanny durch den Schlaf, Herr Abraham Adams durch Bier und Tabak, daß sie ihren Weg sehr rüstig fortsetzen konnten, und indem sie die ihnen angewiesene Straße mehrere Stunden verfolgten, stieß ihnen weiter kein bemerkenswerthes Abenteuer auf. Diese Zwischenzeit wollen wir benutzen, unsern Lesern ein unsers Dafürhaltens merkwürdiges Gespräch über öffentliche Schulen mitzutheilen, das zwischen Joseph Andrews und Herrn Abraham Adams stattfand. Sie waren noch nicht weit gegangen, als Letzterer Joseph fragte, ob er des Hausherrn Geschichte mit angehört habe? – »Nur den ersten Theil derselben,« war die Antwort. – »Nun, meinen Sie nicht auch,« fuhr Jener fort, »daß er in seinen jüngern Jahren ein recht unglücklicher Mensch gewesen ist?« – »Ei wohl meine ich das,« versetzte Joseph. – »Ich hab's gefunden,« rief Adams, indem er mit den Fingern schnippte; »ich habe die Ursache von allem Unglück entdeckt, das ihn später verfolgte: Eine öffentliche Schule, Joseph, war der Grund aller seiner spätern Leiden. Oeffentliche Schulen sind die Treibhäuser aller Laster und aller Unsittlichkeit. Die bösen Buben, deren ich mich von der Universität her erinnere, waren alle in ihnen erzogen. Ja ich sehe sie noch vor mir, als sei es erst gestern, das ganze Pack; nannten sich königliche Studenten, ich weiß nicht mehr weßhalb – abscheuliche Bursche! Joseph, Sie können dem Himmel danken, daß Sie nicht in einer öffentlichen Schule erzogen worden sind; sie würden Ihre Tugend nicht so behauptet haben, wie sie sich dessen rühmen können. Das Erste, wofür ich jederzeit bei einem Knaben Sorge trage, ist seine Moralität; lieber mag er ein Dummkopf werden, als ein Atheist, oder ein Presbyterianer. Was hülfe einem Menschen alle Gelehrsamkeit, wenn er Schaden an seiner Seele nähme? Was kann ihm Ersatz leisten für den Verlust seines unsterblichen Theils? Aber das kümmert die Lehrer auf großen Schulen nicht. Habe ich doch einen achtzehnjährigen Bengel auf der Universität gekannt, der seinen Katechismus nicht hersagen konnte; aber ich meinerseits züchtige einen Knaben lieber deßhalb, als wenn er sonst seine Lection nicht weiß. Glaub mir, mein Sohn, alles Unglück unseres Wirths entstand daher, weil er in einer öffentlichen Schule erzogen war.« – »Es schickt sich nicht für mich,« antwortete Joseph, »mit Ihnen über irgend etwas, am wenigsten aber über einen Gegenstand dieser Art zu disputiren; da die ganze Welt zugeben muß, daß Sie der beste Schullehrer in unserer ganzen Grafschaft sind.« – »Ja,« entgegnete Adams, »ich denke, die Gerechtigkeit läßt man mir widerfahren; und ich kann wohl ohne Eitelkeit darauf Anspruch machen – vielleicht dürfte ich selbst es in der nächsten Grafschaft auch noch – aber gloriari non est meum.« – »Indeß, Sir, da Sie mich einmal auffordern, meine Meinung zu sagen,« nahm Joseph wieder das Wort, »Sie wissen, mein verstorbener Herr, Sir Thomas Borby, war auch auf einer öffentlichen Schule erzogen, und einen feinern Mann hatte doch die ganze Nachbarschaft nicht aufzuweisen. Er pflegte zu sagen, wenn er auch hundert Söhne hätte, sie müßten alle auf die nämliche Anstalt. Ich hörte ihn oft behaupten, ein Junge, den man von der öffentlichen Schule gerade in die Welt schicke, werde hier in einem Jahre mehr lernen, als ein im elterlichen Hause erzogener in fünf Jahren. Er pflegte zu sagen, die Schule selbst bringe Einen auf diesem Wege schon eine hübsche Strecke fort (ich erinnere mich, daß dies seine eigenen Worte waren), denn große Schulen seien kleine gesellige Vereine, worin ein Knabe mit einiger Beobachtungsgabe dasselbe im Auszuge sehen könne, was die Welt ihm später im Großen darbiete.« – »Hinc illae lacrimae,« erwiederte Adams, »da liegt eben der Hase im Pfeffer, deßhalb grade ziehe ich die häusliche Erziehung vor, weil sie einem Knaben Unschuld und Sitteneinfalt zu bewahren geeignet ist; denn jener schönen Stelle in dem Schauspiel Cato, der einzigen englischen Tragödie, die ich lese, zufolge. –

Lernt man die Welt nur auf der Tugend Kosten kennen.
Unwissend mag sich dann nur immer Jube nennen.

Wer möchte nicht lieber sein Kind sittlich rein erhalten, als es im Besitze aller erdenklichen Künste und Wissenschaften sehen? – Die sich jedoch, beiläufig gesagt, auch wohl in den Klassen einer Privatschule beibringen lassen. Ich möchte nicht eitel scheinen, aber ich achte auch nulli secundum, was den Unterricht in diesen Dingen betrifft; und ich denke, daß ein Knabe wohl eben so viel Gelehrsamkeit in einer Privat- wie in einer öffentlichen Erziehungsanstalt erwerben kann.« – »Und mit Erlaubniß,« antwortete Joseph, »auch eben so lasterhaft werden, wie mehrere Landjunker beweisen, die unter der Aufsicht ihrer Eltern erzogen wurden, und deßhalb doch nicht unverdorben sind, als hätten sie die Welt von ihrer Kindheit an kennen gelernt. Ich erinnere mich, als ich noch die Pferde zu besorgen hatte, wenn ein Fohlen von Natur fehlerhaft war, so blieb es so trotz aller Mühe, die man sich damit gab; und so, denke ich, wird es auch mit dem Menschen sein. Ist ein Junge einmal boshafter, schadenfroher Art, da wird keine Zucht im Hause oder außer dem Hause anschlagen; hat er aber gute Anlagen, so mögen sie ihn nach London schicken, oder wohin sie sonst wollen, und er wird unverdorben bleiben. Ueberdem hörte ich meinen Herrn oft sagen, die auf öffentlichen Schulen übliche Zucht sei der häuslichen bei weitem vorzuziehen.« – »Sie verstehn so wenig davon wie Ihr Herr,« erwiederte Adams etwas aufgeregt. »Mit Eurer Zucht! Versteht sich Einer deshalb besser darauf, weil er an einem Vormittag zwanzig oder dreißig Buben mehr geißelt, als ein Anderer? Ich getraue mich, es hierin mit allen Lehrmeistern von Chirons Zeiten bis zum heutigen Tage aufzunehmen; und hätte ich auch nur ein halbes Dutzend Knaben unter meiner Aufsicht, ich wollte sie eben so gut in der Zucht halten, als es in der größten Schulanstalt in der Welt geschehen kann. Ich sage nichts, junger Mann; wohl gemerkt, ich will mir keine Andeutungen erlauben; aber wäre Sir Thomas selbst näher beim väterlichen Hause und unter der Aufsicht eines gewissen Jemand – wohlverstanden, ich nenne keinen Menschen – auferzogen worden, so möchte es vielleicht besser für ihn gewesen sein – aber gut, sein Vater wollte ihm frühzeitig Weltkenntniß beibringen. Nemo mortalium omnibus horis sapit.« – Als Joseph merkte, daß sein Gönner immer heftiger wurde, bat er ihn tausendmal um Verzeihung, und betheuerte, er habe keineswegs die Absicht gehabt, zu beleidigen. – »Das weiß ich, Kind, das weiß ich,« versetzte der Pfarrer, »ich bin auch weiter nicht böse auf Sie; was aber die gute Zucht auf einer Schule betrifft, ja darin« – und nun gerieth er von neuem in Eifer, machte alle Lehrmeister namhaft, deren in alten Büchern gedacht wird, und stellte sich über sie alle. In der That, wenn der brave Mann in irgend etwas schwärmen konnte, oder, wie es Manche nennen, eine schwache Seite hatte, so war es, daß er einen Schulmeister für den bedeutendsten Mann auf Erden, und sich selbst für den ausgezeichnetsten aller Schulmeister hielt; in welchen beiden Punkten er selbst Alexander dem Großen an der Spitze seines Heeres nicht nachgegeben haben würde. Adams fuhr in seinen Betrachtungen über diesen Gegenstand fort, bis die Wanderer in eine der anmuthigsten Gegenden kamen, die auf dem weiten Erdenrund zu finden sein mag. Es war eine Art natürlichen Amphitheaters, gebildet durch die Krümmung eines kleinen Bachs, dessen Ufer mit dichtem Gehölz bedeckt waren. Die Bäume erhoben sich allmälig über einander an dem Abhange, dessen Rasen sie mit ihren Zweigen verbargen, so daß sie nach der Zeichnung des geschicktesten Meisters angepflanzt zu sein schienen. Der Boden prangte in frischem Grün, wie kein Maler es nachahmen könnte; und das Ganze hätte wohl selbst in einem reiferen Alter, als worin Joseph und Fanny standen, und auch ohne der Liebe Zuthun, romantische Ideen erwecken können. Hier kamen sie ungefähr zur Mittagszeit an, und Joseph schlug Adams vor, an diesem entzückenden Ort etwas zu verweilen, und sich mit den Lebensmitteln zu erquicken, welche die gastfreundliche Mistreß Wilson ihnen mit auf den Weg gegeben hatte. Adams hatte nichts dagegen einzuwenden; sie setzten sich nieder, und thaten sich bei einem gebratenen Huhn und einer Flasche Wein so gütlich, daß sie den Neid vieler der üppigsten Gelage gewohnten Feinschmecker hätten erregen können. Ich darf nicht vergessen, daß sie unter ihrem Vorrath ein Papierchen mit einem Goldstück fanden, welches Adams, der hier ein Versehen vermuthete, sogleich den Eigenthümern zurückbringen wollte, bis es endlich Joseph gelang, ihn zu überzeugen, daß Herr Wilson, welcher nach der Schilderung ihrer Bedrängniß, aus der sie durch die Gefälligkeit des Hausirers erlöst wurden, keinen Zweifel mehr über ihre Finanzen hatte hegen können, sie auf diese zarte Weise mit Reisegeld habe versehen wollen. Adams sagte, er freue sich über diesen neuen Beweis von Herzensgüte, weniger um des dadurch erlangten eigenen Vortheils, als um des Gebers willen, dessen Lohn im Himmel groß sein werde. Ueberdem tröstete er sich auch mit dem Gedanken, daß er bald zur Wiedererstattung Gelegenheit finden werde; denn Herr Wilson, der in etwa acht Tagen nach Sommersetshire zu reisen beabsichtigte, und den sein Weg dann durch des Pfarrers Kirchspiel führte, hatte diesem zugesagt, bei ihm einzukehren, ein Umstand, den wir für zu wenig wesentlich hielten, um dessen früher erwähnt zu haben; der aber Diejenigen, die jenem Herrn eben so zugeneigt sind, als wir selbst, erfreuen dürfte, da er ihnen die Hoffnung gewährt, ihn wieder in dieser unserer Geschichte auftreten zu sehen. Hierauf hielt Joseph eine Rede über die Mildthätigkeit, an der sich unser Leser, wenn er sonst dazu geneigt ist, im folgenden Kapitel erbauen kann; denn wir halten es unter unserer Würde, ihn zu einer solchen Lectüre zu verlocken, ohne ihn zuvor gewarnt zu haben.


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