Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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XVII. Resumé.

1) Die ursprüngliche Natur-Ansicht der Völker, sowie der charakteristische und ästhetische Eindruck, den uns die Pflanzen unmittelbar machen, spricht viel mehr für die Seele der Pflanzen, als die unter uns herrschende, auf anerzogenen Vorstellungen beruhende Volksansicht gegen dieselbe (11. V.).

2) Die Pflanzen sind uns zwar im ganzen unähnlicher als die Tiere, Stimmen doch aber gerade in den Hauptgrundzügen des Lebens noch mit uns und den Tieren so überein, daß wir, wenn auch auf einen großen Unterschied in der Art der Beseelung zwischen ihnen und uns, doch nicht auf den Grundunterschied von Beseelung und Nichtbeseelung selbst zu schließen berechtigt sind (II.). Im Allgemeinen findet ein solches Verhältnis der Ergänzung beiderseits statt, daß das Seelenleben der Pflanzen Lücken ausfüllt, welche das der Menschen und Tiere lassen würde (vgl. vorh. Kapitel).

3) Daß die Pflanzen weder Nerven noch ähnliche Sinnesorgane zur Empfindung haben wie die Tiere, beweist doch nichts gegen ihr Empfinden, da sie auch anderes, wozu das Tier der Nerven und besonders gearteter Organe bedarf, ohne Nerven und ähnliche Organe nur in anderer Form zu leisten vermögen; überhaupt aber der Schluß, daß die besondere Form der tierischen Nerven und Sinnesorgane zur Empfindung nötig sei, auf unhaltbaren Gründen beruht (III. XIV.).

4) Die gesamte teleologische Betrachtung der Natur gestaltet sich viel befriedigender, wenn man den Pflanzen Seele beimißt, als wenn man sie ihnen abspricht, indem eine große Menge Verhältnisse und Einrichtungen in der Natur hierdurch eine lebendige und inhaltsvolle Bedeutung gewinnen, die sonst tot und müßig liegen oder als leere Spielerei erscheinen (IV. XI.).

5) Daß das Pflanzenreich den Zwecken des Menschen- und Tierreichs dient, kann doch nicht gegen darin waltende Selbstzwecke sprechen, da in der Natur sich der Dienst für andere und für eigene Zwecke überhaupt nicht unverträglich zeigt, auch das Tierreich ebensowohl den Zwecken des Pflanzenreichs zu dienen hat wie umgekehrt (X. XL).

6) Wenn die Pflanzen als beseelte Wesen schlimm gestellt scheinen, indem sie sich viel Unbill von Menschen und Tieren gefallen lassen müssen, ohne sich dagegen wehren zu können, so erscheint dies doch bloß so schlimm, wenn wir uns auf unseren menschlichen Standpunkt stellen, ganz anders dagegen, wenn wir das Pflanzenleben nach seinem eigenen inneren Zusammenhange auffassen. Auch legen wir diesem Einwande überhaupt mehr Gewicht bei, als er verdient (VI.).

7) Wenn man behauptet, daß die Pflanzen keine Seele haben, weil sie keine Freiheit und willkürliche Bewegung haben, so achtet man entweder nicht recht auf die Tatsachen, welche eine solche Freiheit in der Pflanze doch in ähnlichem Sinne wie im Tiere erkennen lassen, oder verlangt von der Pflanze etwas, was man bei Tieren auch nicht findet, indem von eigentlicher Freiheit doch auch bei Tieren nicht wohl die Rede sein kann (VII.).

8) Sofern Pflanzenreich und Tierreich durch ein Zwischenreich aneinander grenzen, wo die Unterschiede beider zweideutig werden, dieses Zwischenreich aber sowohl die unvollkommensten Pflanzen als Tiere enthält, kann man das Pflanzenreich dem Tierreiche nicht schlechthin als ein tiefer stehendes unterordnen; da es sich vielmehr von dem Zwischenreiche durch die höheren Pflanzen wieder zu erheben anfängt. Dies und der Umstand, daß das Pflanzenreich und Tierreich in der Schöpfungsgeschichte gleiches Datum der Entstehung haben, spricht dafür, daß das eine dem anderen auch in betreff der Beseelung nicht schlechthin untergeordnet sein wird (XII).

9) Vermißt man die Zeichen der Zentralisation, verknüpfenden Einheit oder des selbständigen Abschlusses im Pflanzen-Organismus als Bedingung oder Ausdruck der Einheit und Individualität der Seele, so sieht man wieder nicht auf die rechten Punkte, oder verlangt Dinge von den Pflanzen, die man bei den Tieren auch nicht findet (XIII.).

10) Es ist wahrscheinlich, daß das Seelenleben der Pflanzen noch viel mehr ein rein sinnliches ist als das der Tiere, welche, wenn auch nicht Vernunft und Selbstbewußtsein, doch noch Erinnerung des Vergangenen und Voraussicht des Zukünftigen haben, während das Pflanzenleben wahrscheinlich im Fortleben mit der Gegenwart aufgeht, ohne deshalb in der Allgemeinbeseelung aufzugehen. Statt daß aber das Sinnesleben der Pflanzen minder entwickelt als das der Tiere wäre, mag es noch mehr entwickelt sein (XIV.).


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