Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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XI. Beispiele aus der Teleologie der Pflanzenwelt.

Vergl. besonders über diesen Gegenstand: Conrad Sprengel, das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin 1793.

Bekanntlich besteht die wesentlichste Bedingung der Pflanzenbefruchtung darin, daß der Blumenstaub (Pollen) aus den Staubbeuteln (Antheren), d. i. den Endteilen der Staubfäden (Filamenten), auf die Narbe (Stigma), d. i. den Endteil des Pistills, gelange. Die Staubbeutel sind aber immer in gewisser Entfernung von der Narbe angebracht,Am meisten gilt dies von den sogenannten Monözisten (einhäusigen Pflanzen) und Diözisten (zweihäusigen Pflanzen), sofern hier die Staubfäden und Pistille in verschiedenen (respektiv männlichen und weiblichen) Blüten enthalten sind. Der Unterschied beider liegt darin, daß bei den Monözisten die männlichen und weiblichen Blüten sich auf derselben Pflanze, bei den Diözisten gar auf verschiedenen Pflanzen befinden. Zu den Monözisten gehören u. a. Mais, Melone, Kürbis, Rizinus, Lärche, Haselnuß usw. zu den Diözisten Spinat, Hanf, Bingelkraut, Wachholder usw. auch finden in manchen Pflanzen noch besondere Umstände statt, welche die Übertragung des Blumenstaubes auf die Narbe erschweren. Um solche dennoch zustande zu bringen, hat nun die Natur mannigfache und merkwürdige Veranstaltungen getroffen, worunter die Einrichtung der Instinkte und Lebensart vieler Insekten eine Hauptrolle spielt. Überall, wo das Befruchtungsgeschäft durch die Pflanze selbst vermöge des Baus und der Stellung ihrer Teile nicht gehörig vollzogen werden könnte, sind Insekten bereit, Aushilfe zu leisten, indem sie durch ihre Bewegungen in der Blume die Übertragung des Staubes von den Staubfäden auf die Narbe vermitteln. Nicht bloß Bienen und Schmetterlinge, auch viele Käfer (aus den Gattungen Cetonia, Elater, Chrysomela, Curculio u. a.), Halbkäfer und Netzflügler beteiligen sich hierbei.

Bei vielen Blumen helfen mehrere Arten Insekten zur Befruchtung, z. B. bei den Schirmblumen, den Euphorbien; bei vielen aber verrichtet bloß eine Art Insekten dies Geschäft, "weil", wie sich Conr. Sprengel ausdrückt, "die übrigen entweder zu dumm sind, um zu wissen, wo der Saft versteckt ist, und wie sie zu demselben gelangen können, oder, wenn sie es wissen, entweder zu groß sind, um in die Blume hineinkriechen zu können, oder zu klein, als daß sie beim Hineinkriechen die Antheren und das Stigma berühren sollten." So wird nach Sprengel Nigella arvensis bloß von den Bienen befruchtet, Iris xiphium hingegen bloß von Hummeln, beide auf eine sehr bestimmte Art. — In Pensylvanien leistet auch eine sehr kleine Art von Kolibri, Hummelvogel genannt, für die Befruchtung einiger Gewächse den nämlichen Dienst wie Insekten, indem er sich vom Nektar der Blumen nährt, in deren Röhren er seinen langen und spitzen Schnabel tief einsenkt, wobei er von einer Blume zur andern hin und wieder fliegt. (Kalm, Reife in d. nördl. Amerika II. 354.)

Folgende Umstände nun greifen merkwürdig in betreff dieser Zweckerfüllung ineinander ein.

Um die Insekten zu dem Besuche zu veranlassen, sind diesen die Honiggefäße (Saftbehälter, Nektarien) beigegeben; auch haben manche Insekten, wie die Bienen, den Instinkt, Blumenstaub selbst einzusammeln. Die Blumen schwitzen eben dann am meisten Honigsaft aus, wenn ihre Staubfäden und Narben zum Bestäubungsgeschäft tüchtig sind, wie Schkuhr (Handb. II. 84) bei Tropaeolum, Delphinium, Helleborus und L. Ch. Treviranus (Physiol. II. 390) bei Anemone, Chrysosplenium und Saxifraga speziell beobachtet haben. Der Honigsaft findet sich gemeiniglich am tiefsten, verstecktesten Orte der Blume, so daß die Insekten nicht zu ihm gelangen können, ohne beim Ein- und Auskriechen die Befruchtungsteile zu berühren und den Blumenstaub auf die Narbe zu bringen. Durch kleine Härchen von geeigneter Stellung sind die Nektarien gewöhnlich gegen den Regen und mithin die Verdünnung ihres Saftes geschützt, ohne daß doch die Härchen den Insekten den Zutritt versperren. Eine klebrige Beschaffenheit oder fadige Textur des Blumenstaubes begünstigt sehr dessen Anhängen am Körper der Insekten. Andrerseits findet man bei den auf Blumen lebenden Insekten überall entweder eine pelzartige Behaarung des ganzen Körpers oder bürstenartige Freßspitzen, bürstenartige oder pinselartige Haarbüschel an den Füßen, oder eine eigentümliche Organisation gewisser Teile, zum Zweck, den Blumenstaub leichter abzustreifen. Man betrachte z. B. den behaarten dicken Körper der Bienen und Hummeln und anderer bienenartigen Insekten und zugleich die Heftigkeit, womit sie sich in den Blumen bewegen. Bei den Nymphen unter den Tagschmetterlingen, die am öftersten Blumen besuchen, aber nicht lange auf ihnen verweilen, findet man statt ausgebildeter Vorderfüße pinselförmige Putzpfoten, deren tätige Bewegung, während der Schmetterling auf der Blume sitzt, leicht den Erfolg hat, den an seiner behaarten Brust hängenbleibenden Blumenstaub abzuputzen, so daß er wieder auf die Blume fällt. Nicht ohne Absicht ist auch der Umstand, den schon Aristoteles bemerkt und neuere Beobachter bestätigen (Mitteil. der k. k. schles. Gesellsch. 1823. 174), daß die Bienen bei ihren Ausflügen gemeiniglich nur eine Art Blumen besuchen; wobei der Blumenstaub leicht selbst zwischen verschiedenen, aber doch, wie es zum Zweck der Befruchtung nötig, gleichartigen Pflanzen übertragen werden kann.

Als unterstützend kann man anführen, daß durch die eigentümliche Farbe, teilweise auch den Geruch der Blumen und das entwickelte Gesichtsorgan der Insekten den letzteren das Finden der erstem erleichtert wird. Oft sind auch die Wege zu den Nektarien noch durch bestimmtere Färbungen (Saftmale) an den Blumenblättern wie durch Wegweiser besonders angezeigt. Ich glaube zwar kaum, daß dieser Umstand und manches andere so großes Gewicht hat, als ihm Conr. Sprengel in seinem entdeckten Geheimnis der Natur beilegt, doch hat dessen Darstellung dieses Gegenstandes schon wegen der Liebe, mit der er ihn auffaßt, ihr Interesse.

Er sagt darüber (S. 15 seiner Schrift) folgendes: "Wenn ein Insekt, durch die Schönheit der Krone oder durch den angenehmen Geruch einer Blume gelockt, sich auf dieselbe begeben hat, so wird es entweder den Saft sogleich gewahr oder nicht, weil dieser sich an einem verborgenen Orte befindet. Im letzteren Falle kommt ihm die Natur durch das Saftmal zu Hilfe. Dieses besteht aus einem oder mehreren Flecken, Linien, Düpfeln ober Figuren von einer anderen Farbe, als die Krone überhaupt hat, und sticht folglich gegen die Farbe der Krone schwächer oder stärker ab. Es befindet sich jederzeit da, wo die Insekten hineinkriechen müssen, wenn sie zum Saft gelangen wollen. Reguläre Blumen haben ein reguläres, irreguläre ein irreguläres Saftmal. Wenn der Safthälter von der Öffnung, durch welche die Insekten hineinkriechen, entfernt ist, so zieht sich das Saftmal, welches vor der Öffnung anfängt, durch dieselbe hindurch bis zum Safthalter, dient also den Insekten zu einem sicheren Wegweiser. Hat eine Blume mehrere Eingänge zum Safthalter, so hat sie auch ebenso viele Saftmäler. Wenn eine Blume mehrere Safthalter hat, welche ringsherum um den Fruchtknoten stehen, oder zwar nur einen, welcher aber in der Gestalt eines Ringes den Fruchtknoten umgibt, und dessen Saft das Insekt nicht anders verzehren kann, als wenn es im Kreise um denselben herumläuft und seinen Saugrüssel öfters hineinsteckt; so hat das Saftmal eine ringförmige Gestalt, und führt das Insekt im Kreise herum."

"Bei Gelegenheit des Saftmals muß ich von der Verschiedenheit der Saftblumen reden, welche auf der Tageszeit, in welcher sie blühen, beruht. So wie es Insekten gibt, die bloß bei Tage umherschwärmen, und solche, die bloß des Nachts ihrer Nahrung nachgehen, ebenso gibt es auch Tagesblumen und Nachtblumen."

"Die Tagesblumen brechen des Morgens auf. Viele von denselben schließen sich des Abends, oder senken sich, da sie am Tage aufrecht standen, oder es geht eine andere Veränderungmit ihnen vor, woraus man schließen kann, daß sie nur für Tagesinsekten bestimmt sind. Manche schließen sich am ersten Abend und öffnen sich am folgenden Morgen nicht wieder, blühen also nur einen Tag; die meisten blühen mehrere Tage."

"Die Tagesblumen sind mit einem Saftmal geziert, obgleich nicht alle."

"Die Nachtblumen brechen des Abends auf. Bei Tage sind die meisten von denselben geschlossen, oder welk und unansehnlich, woraus erhellt, daß sie für Tagesinsekten nicht bestimmt sind. Manche blühen mehrere Nächte; die gemeine Nachtkerze (Oenothera biennis) blüht zwei Nächte."

"Die Nachtblumen haben eine große und hellgefärbte Krone, damit sie in der Dunkelheit der Nacht den Insekten in die Augen fallen. Ist ihre Krone unansehnlich, so wird dieser Mangel durch einen starken Geruch ersetzt. Ein Saftmal hingegen findet bei ihnen nicht statt. Denn hätte z. B. die weiße Krone einer Nachtblume ein Saftmal von einer anderen, aber auch hellen, Farbe, so würde dasselbe in der Dunkelheit der Nacht gegen die Farbe der Krone nicht abstechen, folglich ohne Nutzen sein. Hätte sie aber ein dunkel gefärbtes Saftmal, so würde dies nicht in die Augen fallen, folglich ebenso unnütz sein als jenes."

Fast komisch naiv erscheint das Examen, das der Verfasser über die Zweckeinrichtungen bei Nigella arvensis mit sich selbst anstellt (S, 285 f. Schrift), wobei er die kleinsten Kleinigkeiten teleologisch zu deuten sucht. Er fragt u. a. "Warum ist endlich die Blume gerade so groß, als sie ist, nicht größer, nicht kleiner?" Antwort: "Weil die Natur wollte, daß sie bloß von den Bienen befruchtet werden sollte, folglich gleichsam das Maß zu derselben von dem Körper der Biene nehmen mußte. Wäre die Blume im Durchmesser noch einmal so groß, so stünden auch die Antheren und die Stigmate noch einmal so hoch, und die Bienen würden unter denselben herumlaufen, ohne sie zu berühren. Wäre sie aber halb so groß, so stünden auch die Antheren und die Stigmate halb so hoch, und die Bienen würden sie nicht auf eine zweckmäßige Art berühren. In beiden Fällen würde also die Befruchtung unmöglich oder höchst mißlich sein. Gerade so groß mußte die Blume sein, daß die Bienen zwar beinahe, aber nicht ganz ungehindert unter den Antheren und den Stigmaten herumlaufen können. Daß die Natur diese Blumen bloß für die Bienen bestimmt habe und sie bloß von ihnen befruchten lasse, ist höchst wahrscheinlich. Ich habe mich oftmals auf den Acker, auf welchem die Pflanze wächst, bei schönem Wetter hinbegeben, aber niemals andere Insekten auf den Blumen gesehen als Bienen."

" Stapelia hirsuta", Sagt er S. 148, "stinkt bloß deswegen wie Luder, damit die Fleisch- und Luderfliegen, denen dieser Geruch höchst lieblich ist, dieselbe besuchen und befruchten. Bienen und Hummeln werden dieselbe gewiß nicht besuchen, weil sie einen solchen Geruch verabscheuen."

Hier noch einige spezielle Angaben über die bei der Lage der Nektarien genommenen Zweckrücksichten nach Reichenbachs Schriftchen über die Erhaltung der Welt (S. 27):

"Betrachten wir die höchst einfach gebildeten Honiggrübchen und Honigschuppen bei den Ranunkeln; die Blumen liegen offen ausgebreitet, und der Zutritt der Insekten ist leicht; allein die Grübchen selbst liegen tief an der Basis der Blätter der Blume, da, wo sich die Staubfäden über sie hinbeugen. Den Ranunkeln sind Insekten angewiesen aus der Abteilung der Käfer mit halben Flügeldecken; die kleinsten Staphylinen, Anthophagen, Omalien, ferner die kleinsten Schmetterlinge, die es gibt, aus der Familie der Motten, goldglänzende Ökophoren und im kleinen prachtvolle Adelen. Während diese kleinen Geschöpfe die Honiggrübchen aufsuchen, heben sie die Staubfäden in die Höhe, so daß deren Staubbeutel die in der Mitte ausgebreiteten Narben berühren, übrigens bleiben sie auch in der Blume, wenn sie sich schließt, und sitzen dann unmittelbar auf den Staubbeuteln und Narben, oft so häufig, daß sie die ganze Blume ausfüllen. Bei den Doldengewächsen sind die Nektarien drüsiger Natur, nicht sehr verborgen liegend, und ihre Blumen in eine Ebene gestellt, so daß von einem mäßig großen Körper viele zugleich berührt werden können, daher finden sich hier schon größere Insekten, langfüßige Lepturen, Bienen mit haarigem Körper und bienenähnlich gebildete Käfer, die, am ganzen Körper gleich einer Bürste behaart, auf einen großen Teil Blumen einer Dolde zugleich einwirken; daher sind die Blumenblättchen klein und liegen flach, die Narben und Staubbeutel aber sind lang und ragen hervor über die Fläche. Wo die Nektarien aber mehr verborgen sind, da ist auch der Bau der Blumen den Insekten angemessen, deren Körper mit ihnen in Berührung kommen soll. Die Lippenblumen sowie Röhrenblumen haben ihre Honiggefäße ebenfalls tief im Grunde, an der Basis ihrer Röhre, die Staubgefäße sitzen an der Inneren Wand derselben an, und die Staubbeutel kommen dahin zu liegen, wo sich die Röhre erweitert, und dadurch wird es möglich, daß die besonders am Vorderteil ihres Körper behaarten Insekten mit ihrer Zunge die Nektarien berühren, während ihr pelzbedecktes Bruststück den Samenstaub abstreift von den Staubbeuteln, und bei dem Herauskriechen auf das darum höher gestellte Stigma bringt. Hierdurch ist es auch möglich, daß selbst die Bombylien, die diese Arten von Blumen, die Primeln, Pulmonarien, Lamien und ähnliche besuchen, während sie vor der Blume schwebend, ohne sich auf sie zu setzen, den Honig aussaugen, die Begattung befördern."

Zwar, wie es auch sonst die Gewohnheit der Natur ist, sich nicht auf ein Mittel allein zu verlassen, und unter mehreren Mitteln zu demselben Zweck nur bald dies bald jenes vorwalten zu lassen, ist die Befruchtung bei den meisten Pflanzen auch ohne Mithilfe von Insekten nach der übrigen Einrichtung möglich; doch bleibt diese Mithilfe überall nützlich, und für manche, bei denen eben das Hauptgewicht auf dies Mittel gelegt ist, wirklich wesentlich. Manche ausländische Blumen bleiben daher bei uns unbefruchtet, weil sie aus der südlichen Hemisphäre zu uns gelangt sind, und nun ihre Zeit des Blühens, welche unsere Winterzeit ist, noch in unseren Gewächshäusern einhalten, wo es dann keine Insekten gibt, welche zu ihrer Befruchtung helfen könnten. Manche mögen auch in ihrem Vaterlande von einem Insekte befruchtet werden, welches sich in unseren Gegenden nicht aufhält. (E. Sprengel, Entd. Geh. S. 44.) Selbst bei einheimischen Gewächsen kann man hierher gehörige Beobachtungen machen. So bemerken aufmerksame Gärtner, daß in Melonen- und Gurkenbeeten, die man geschlossen hält, nicht wohl Früchte ansetzen, weil die Insekten abgehalten werden und der schwere Blumenstaub nicht für sich auf die Narbe gelangen kann. Auch bei den Irisarten, Malvazeen, dem Hollunder (Sambucus), Veilchen (Viola odor.), der Mistel (Abroma augustum), den Osterluzei-Arten (Aristol. Clem. und sipho) soll die Befruchtung nur mit Hilfe von Insekten geschehen können. (Kölreuter, Vorläuf. Nachr. 21. 32. Zweite Forts. 70.) Insbesondere aber sind hierher die Asklepiadeen und Orchideen zu rechnen.

Ich teile hierüber folgende Angabe von Schleiden mit: "Besonders in den beiden großen Pflanzenfamilien, den Asklepiadeen, denen die syrische Seidenpflanze angehört, und den Orchideen, die mit ihren prachtvollen, bunten Schmetterlingen und wunderlich gebauten Insekten gleichenden Blüten die feuchtwarmen Schatten der Tropenwälder schmücken — bei diesen beiden Pflanzengruppen besonders zeigt sich das entschiedene Eingreifen der Insekten zur Vermehrung der Pflanzen. Bei ihnen ist der Blütenstaub jedes Staubbeutels durch einen dem Vogelleim ähnlichen Stoff zu einer Masse zusammengeklebt und hängt sich den Nektar suchenden Insekten so fest an, daß sie ihn nicht abwerfen können. Die Honigbehälter sind in einer Weise in den Blumen angebracht, daß das Insekt, um zu denselben zu gelangen, notwendig eng an der Narbe vorbei streifen muß, und so wird der Pollen an seinen Ort gebracht. Oft sieht man auf der Seidenpflanze Fliegen umherkriechen, die eine große Anzahl solcher keulenförmiger Pollenmassen an den Beinen hängen haben, und in einigen Gegenden kennen die Bienenväter eine eigne Krankheit ihrer fleißigen Tierchen, die Keulenkrankheit, die in nichts anderem besteht, als daß sich so viele Blütenstaubmassen der Orchideen an die Stirne der Bienen festgeheftet haben, daß ihnen das Fliegen unmöglich wird und sie darüber zugrunde gehen. (Schleiden, Die Pflanze. S. 70.)

Bei einigen Blumen gestaltet sich der Vorgang noch in ganz besonders merkwürdiger Weise; so bei der Osterluzei (Aristolochia Clematitis). Hier ist die Blume eine unten bauchige, oberwärts anfangs engere, dann gegen den stumpf zungenförmigen Rand der Mündung zu wieder weitere Röhre, welche vor der Befruchtung inwendig mit Härchen besetzt ist, die alle abwärts gerichtet sind. Die Staubbeutel sitzen ohne Staubfäden unterhalb des Fruchtknotens, und von selbst konnte von ihnen aus kein Samenstaub auf die Narbe kommen. Nach Conr. Sprengel kriechen aber, sobald die Blume sich geöffnet hat, kleine Schnaken mit gefiederten Fühlhörnern (Tipula pennicorais) in die Blumenröhre; die abwärts gerichteten Haare versperren ihnen dabei den Rückweg. So schwärmen sie in dem bauchigen Teile der Röhre herum, bis sie dabei mit ihren gefiederten Fühlhörnern den Samenstaub von den Staubbeuteln abgestreift und auf die Narbe gebracht haben. Oft erscheinen sie davon ganz gepudert, wenn man die Blumen beizeiten aufschneidet. Kaum ist die Befruchtung geschehen, so hört der Trieb des Saftes gegen die Blumenkrone auf, die Haare vertrocknen und fallen ab, und die kleinen Fliegen sind wieder aus ihrem Gefängnisse erlöst.

Man überlege ernstlich diesen Fall; kann man wirklich glauben, daß empfindende Geschöpfe hier zugunsten von empfindungslosen eingefangen werden, um so lange eingesperrt zu bleiben, bis sie ihren Zweck für letztere erfüllt?

Bei der Gattung Eupomatia ist alle Verbindung zwischen Staubbeuteln und Narbe durch die inneren unfruchtbaren blumenartigen Staubfäden aufgehoben, sie wird aber hergestellt durch Insekten, welche jene verzehren, die vollkommenen Staubfäden aber unverletzt lassen. (R. Brown, Verm, bot. Schr. I. 140.)

Die Einrichtung der reizbaren Staubfäden von Berberis ist unstreitig darauf berechnet, daß durch Berührung von Insekten oder dergl. die Staubfäden veranlaßt werden, sich zum Pistill zu bewegen. In anderer Weise dient die, ebenfalls leicht durch Insekten zu veranlassende Reizbewegung der Genitaliensäule von Stylidium oder des Griffels von Goldfussia dem Zwecke (s.o.). Bei Stylidium entfernen sich die auf der Genitaliensäule aufsitzenden Antheren im Zustande der Reife von der Narbe, statt sich ihr zu nähern, und schütten ihren Pollen auf gewisse Haare aus, die auf dem Gipfel der Säule reichlich wachsen, aber im niedergebogenen Zustande der Säule sich unter der Narbe befinden. Schnellt nun die Säule durch Berührung eines Insekts oder dergl. in die Höhe, so kann nicht nur hierdurch der Staub leicht von den Haaren auf die Narbe geschleudert werden, sondern die Haare befinden sich auch nachher in günstiger Stellung, den Blumenstaub von oben auf die Narbe fallen zu lassen. (Morren in Mém. de l'acad. de Brux. 1838.) Bei Goldfussia dient die Bewegung des Griffels dazu, die Narbe mit gewissen Haaren der Korolle in Berührung zu bringen, auf welche der Pollen der gegen die Narbe an sich ungünstig gestellten Antheren teils von selbst fällt, teils durch Insekten gebracht wird. Morren sah oft kleine Ameisen in diese Blumen dringen, Pollen auf die Haare bringen und die Bewegung des Griffels verursachen (ebendas. 1839. S. 17). Die Beziehung der Reizbewegung zur Geschlechtsfunktion zeigt sich bei beiden Pflanzen auch namentlich darin deutlich, daß die Reizbarkeit nur während der Zeit derselben besteht.

Eine ebensolche Gleichstellung der Pflanzen mit den Tieren wie in ihren gegenseitigen teleologischen Beziehungen finden wir in den eigentümlichen zweckmäßigen Einrichtungen der Pflanzen für sich wieder. Es ist in dieser Beziehung für die Erhaltung und Vermehrung der Pflanzen ganz ebenso wie für die der Tiere gesorgt. Der Umstand selbst, daß die Tiere einerseits zwar als eine Mithilfe, andererseits aber auch nur als eine Mithilfe, die sogar unter Umständen sehr zurücktritt, beim Fortpflanzungsprozesse der Pflanzen ins Spiel treten, weist auf eine selbständige Bedeutung dieses Prozesses für die Pflanzen hin. Unter mehreren Mitteln, den genannten Zweck zu erfüllen, sind die Tiere nur eben auch eins. Und die anderen Mittel zu demselben Zweck sind zum Teil nicht minder sinnreich angeordnet als die Mithilfe der Insekten. All das aber würde den Charakter einer leeren Spielerei annehmen, wenn man der Pflanze keine andere Bedeutung beilegen wollte, als nur fremden Zwecken zu dienen.

Zwar könnte jemand sagen: bleibt es nicht doch in jedem Falle leere Spielerei? Ist nicht alles, was wir hierbei zweckmäßig nennen, doch eigentlich nur die halbe Verbesserung einer ganzen Unzweckmäßigkeit, die um so größer sein mußte, je künstlicherer Mittel es bedurfte, sie zu beseitigen? Wäre es nicht am einfachsten und hiermit zweckmäßigsten gewesen, sofern die Bestäubung der Narbe des Pistills zur Befruchtung einmal nötig, den Blumenstaub gleich auf der Narbe oder unmittelbar in ihrer Nähe wachsen zu lassen, statt ihn in abgesonderten Staubbeuteln anzubringen und oft sogar die Schwierigkeiten der Übertragung zu häufen, um dann erst besonderer Hilfsmittel benötigt zu sein, sie dennoch zustande zu bringen?

Wer so spricht, beweist, daß er überhaupt den Geist der Teleologie der Natur schlecht gefaßt hat. Ganz ebenso könnte man ja sagen: wäre es nicht am einfachsten und hiermit zweckmäßigsten gewesen, daß uns die Natur die Äpfel in den Mund wachsen ließe, statt daß sie uns erst Hände gab, sie aus der Ferne zu langen; oder uns die Häuser fertig hinsetzte, statt uns erst mit Sinnen und Verstand zu versehen, um sie uns selber zu bauen? Warum ließ sie uns überhaupt etwas übrig selber zu tun? Die Antwort ist die, weil eben im Ersehnen und Erstreben von alle dem, was uns nicht gleich fertig zugeworfen wird, sich unsre Seele fühlend und strebend äußert und äußern soll; und so vielerlei es gibt, was wir haben müssen, ohne es noch zu haben, so viele Weisen des Fühlens und Strebens der Seele werden möglich. Durch diese Betrachtung und durch sie allein erhalten die mannigfaltigen Mittel, welche die Natur angewandt hat, den Zweck der Befruchtung bei den Pflanzen in die Ferne zu rücken und doch durch Zwischenwirkungen erreichen zu lassen, eine vernünftige Deutung; werden aber auch zugleich hiermit beweisend für das Walten einer Seele in den Pflanzen; denn ist keine Seele in den Pflanzen tätig, so ist in der Tat jenes Verschieben und dann doch künstliche Erreichen der Zweckerfüllung ganz ohne Sinn und Ernst; haben sie aber Seele, so wird jede andere Art der Verschiebung und nachherigen Erreichung des Zweckes auch ein anders gefühltes Bedürfnis und ein anderes Spiet der Befriedigung für die Seele anzeigen.

Aus diesem allgemeinen Gesichtspunkte werden uns die folgenden Beispiele bedeutungsvoller werden; wobei freilich nicht verlangt werden kann, daß wir diese Bedeutung derselben für das Psychische auch im einzelnen näher angeben können.

Im allgemeinen sehen wir, daß unter Umständen die Pflanze sich bei der Zweckerfüllung mehr passiv verhält, unter anderen mehr selbsttätig mitwirkt; ähnlich wie bei Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen Glück und Geschick in verschiedenem Verhältnis Anteil haben. Glück schließt Zufall ein; aber zufällig regnet es zum Gedeihen jeder Ernte.

Wind und Schwere sind auf solche Weise in Rechnung genommen, daß sie der Narbe den Blumenstaub zuwerfen müssen. Der Erfolg kann zum Teil verfehlt werden; aber wenn auch nicht aller Blumenstaub auf die Narbe gelangt, so ist dafür dessen in solcher Genüge vorhanden, daß dies auch nicht nötig, ja wohl selbst wider den Zweck sein möchte.

Bei Hibiscus Trionum zählte Kölreuter 4863 Pollenkörner in einer Blume, von denen in der besten Jahreszeit 50 bis 60 zur Befruchtung hinreichten. Bei Mirabilis Jalappa betrug von sämtlichen 5 Antheren der Pollen 293 Körner, bei M. longiflora 321; in beiden Fällen aber waren zu einer vollkommenen Befruchtung 2 bis 3 Pollenkörner hinreichend.

Die Wirkung der Schwere findet man in folgender Weise in Anspruch genommen. Bei aufrechtstehenden Blumen ist das Pistill gewöhnlich so kurz, bei hängenden Blumen dagegen so lang im Verhältnis zu den Staubfäden, daß die Staubbeutel den Blumenstaub im einen wie im andern Falle von oben auf die (erforderlichenfalls etwas umgeschlagene) Narbe ausschütten müssen. Zwar ist es nicht überall so; doch befolgt die Natur gern dies Verhältnis. Recht schön zeigen u. a. die Aloearten, welche zu den Pflanzen gehören, wo das Pistill die Staubfäden überragt, die Benutzung dieses Mittels. Bei ihnen steht die Blume vor dem Aufblühen so wie nach dem Verblühen in die Höhe, hängt aber gerade zur Zeit der Befruchtung über. Ähnliches findet man auch bei Asperifolien, wie Cerinthe, Borago, Symphytum, Onosma, Pulmonaria, bei vielen Liliazeen, z. B. Galanthus, Erythronium, Lilium, Hemerocallis, Fritillaria, Convallaria u. a.

Dieselbe Bedeutung hat es, wenn, wie häufig bei einhäusigen Pflanzen, die männlichen Blumen an dem obern Ende der Ähre stehen, wie z. B. bei der Gattung Arum, oder die männlichen Ähren (Kätzchen) sich oberhalb der weiblichen befinden, wie beim Seggen (Carex), Rohrkolben (Typha) u. a.

Daß der Wind am Befruchtungsgeschäft Anteil nimmt, wird man nicht bezweifeln, wenn man sich erinnert, wie er oft in ungeheurer Menge Blütenstaub fortführt, der sich bei plötzlichem Regen dann im sogenannten Schwefelregen niederschlägt. Bei vielen Pflanzen wird die Übertragung durch Wind oder Insekten noch dadurch erleichtert, daß die Blumen zu einem Blütenkopfe, einer Ähre oder Dolde nachbarlich zusammengestellt sind. So wird unterwegs nicht zu viel Blütenstaub verloren.

Blühende Kornfelder sieht man bei Sonnenaufgang, wenn ein gelinder Wind weht, in einen dünnen Nebel gehüllt, d. i. den Blütenstaub der aufgebrochenen Blumen, welcher, durch das Zusammenschlagen der Ähren aus seinen Behältnissen getrieben, diese Erscheinung verursacht. Auch wollen aufmerksame Landwirte wahrgenommen haben, daß das Getreide nicht reichlicher Frucht ansetzt, nicht vollere Körner bildet, als wenn zur Blütezeit ein lebhafter Wind weht. Kiefern, Taxbäume, Wachholder- und Haselsträucher, Pappeln, Weiden, wenn sie, mit stäubenden Kätzchen beladen, geschüttelt oder durch den Wind bewegt werden, erfüllen die Luft mit einer Staubwolke, welche der leiseste Wind fortführt. Besonders wichtig wird die Hilfe des Windes bei Monözisten und (noch mehr bei) Diözisten, bei deren ersteren erwähntermaßen die männlichen Teile von den weiblichen getrennt auf derselben Pflanze, bei letzteren gar auf verschiedenen Pflanzen sich befinden. In einem von Treviranus mit Mercurialis perennis angestellten Versuche bildete sich keine Frucht, wenn die weiblichen Individuen 220 Schritt von den männlichen entfernt und überdies durch Gebäude und Gebüsch von ihnen getrennt waren; hingegen erfolgte sie, wenn die Entfernung nur 30 Fuß betrug. (Ähnliches beobachtete Jussieu an zwei Pistazienbäumen.) In den Versuchen Von Spallanzani wurden sämtliche Ovarien der Mercurialis annua befruchtet, wenn die weibliche Pflanze sich dicht neben der männlichen befand, weniger, wenn sie etwas von ihr entfernt war, und gar nicht in beträchtlicher Entfernung (Treviranus, Phys. II. 391. 393).

Da sich der Wind als hilfreiches Element bei der Befruchtung erwiesen, ließ sich daran denken, ob nicht auch das Wasser von der Natur dazu benutzt worden. Und in der Tat, obwohl die Anwendung des Wassers besondere Schwierigkeiten mitführt, wovon wir später sprechen werden, hat doch die Natur sie in einigen Fällen zu überwinden gewußt; und so sehen wir bei Ambrosinia den Regen der Befruchtung dienen, indem er, die Blütenscheide füllend, den unterhalb der Narbe erzeugten Blumenstaub zur rechten Höhe hebt; bei Vallisneria aber das Gewässer, worin die Pflanze wächst, die männlichen Organe den weiblichen zuführen. Man sieht, die Wirkung des Wassers ist von oben und von unten, in vertikaler und horizontaler Richtung in Anspruch genommen worden. Der Vorgang bei der Vallisnerie bietet auch sonst interessante Verhältnisse dar, welche es der Mühe wert ist, kennen zu lernen.

"Die Spatha von Ambrosinia ist kahnförmig gestaltet und schwimmt so auf dem Wasser. Durch den Kolben, dessen flügelförmige Anhänge mit der Spatha bis auf ein kleines Loch verwachsen sind, wird die Spatha in einen obern und untern Raum geteilt; im untern befinden sich ausschließlich die Antheren, im obern ein einziger Fruchtknoten. Der Pollen kann nun nicht anders zur Narbe gelangen, als daß Regen die untere und die halbe obere Kammer anfüllt, wodurch der schwimmende Pollen zum Niveau der Narbe gehoben wird und hier Schläuche treiben kann." (Schleiden, Grundz. II. 450.)

Die Vallisnerie ist eine in den Buchten und Kanälen des südlichen Europa wachsende Wasserpflanze mit getrenntem Geschlecht (Diözist), welche am Grunde der Gewässer lebt und mittelst zahlreicher Wurzeln an den Boden befestigt ist. Bei den weiblichen Individuen sitzt die Blumenknospe auf einem langen, in der Jugend schraubenförmig gewundenen Stiele, der sich aber nachmals streckt, so daß die Blume sich an der Oberfläche des Wassers entfalten, und so die Befruchtung über dem Wasser vor sich gehen kann. Nach der geschehenen Befruchtung verkürzt sich ihr Stiel wieder, indem er seine Schraubenwindungen von neuem aneinander legt. Hierdurch wird die junge Frucht auf den Grund des Wassers zurückgebracht und bringt den Samen daselbst zur Reife.

Das Verhalten der männlichen Pflanze bei der Befruchtung der Vallisneria ist früher etwas märchenhaft ausgeschmückt worden, und man findet solche Darstellungen selbst in neuern Schriften wiederholt. "Die Blumen der männlichen Pflanze, heißt es, werden, so lange sie wachsen, auf kurzen Stielen im Grunde des Wassers zurückgehalten; zur Zeit der Reife sondern sie sich aber selbst von ihren Stielen ab, schwimmen auf die Oberfläche des Wassers herauf, treiben auf ihr sich öffnend umher, und bestäuben die weiblichen Blüten, die sie daselbst treffen," (Autenrieths Ans. S. 254.) Es wird sogar behauptet, daß diese Absonderung der männlichen Blumen von den Stielen durch eine heftige Bewegung erfolge (Goethes Ges. Werke. Bd. 55. S. 129). Nach den neueren Untersuchungen des Kustoden am botanischen Garten zu Mantua, Paolo Barbieri, ist aber das wirkliche Verhalten folgendes: das männliche Individuum hat einen gerade ausstrebenden Schaft, welcher, sobald er die Oberfläche des Wassers erreicht, an seiner Spitze eine vierblätterige (vielleicht dreiblätterige) Blütenscheide bildet, worin die männlichen Befruchtungsorgane (Staubfäden) an einem kegelförmigen Kolben angeheftet sitzen. Indem Kolben und Befruchtungsorgane wachsen, wird die Scheide unzureichend sie zu umhüllen; sie teilt sich daher in vier Teile, und die Befruchtungsorgane, sich von dem Kolben zu tausenden ablösend, verbreiten sich schwimmend auf dem Wasser, anzusehen wie silberweiße Flocken, "welche sich nach dem weiblichen Individuum gleichsam bemühen und bestreben". Dieses aber steigt aus dem Grunde des Wassers, indem die Federkraft seines spiralen Stengels nachläßt, und eröffnet sodann auf der Oberfläche eine dreigeteilte Krone, worin man drei Narben bemerkt. Die auf dem Wasser schwimmenden Flocken streuen ihren Staminalstaub gegen jene Stigmen und befruchten sie; ist dieses geleistet, so zieht sich der Spiralstengel des Weibchens unter das Wasser zurück, wo nun die Samen, in einer zylindrischen Kapsel enthalten, zur endlichen Reife gelangen. (Goethes Ges. Werke. Bd. 55, S, 127.) Das Sichtliche "Bemühen und Bestreben" der männlichen Teile nach der weiblichen Blume hin möchte übrigens wohl auch nur in der Phantasie des Beobachters gelegen haben. Ich glaube nicht, daß man zu den natürlichen Lebensäußerungen der Pflanze noch etwas zuzudichten braucht, um Seelenäußerungen an ihr anzuerkennen.

Auch bei Serpicula verticillata L., einem in den Gewässern von Ostindien vorkommenden Pflänzchen mit getrennten Geschlechtern, lösen die männlichen Blüten, wenn sie dem Aufbrechen nahe sind, aus den geöffneten Blütenscheiden sich ab und schwimmen zu den weiblichen, wobei sie auf den Spitzen der zurückgeschlagenen Kelche und Kronenblätter ruhen. (Roxb. Corom. II. 34. t, 164.)

Ein selbsttätiges Mitwirken der Pflanze zum Befruchtungsgeschäft erfolgt teils mittelst einer besondern Weise, wie der Wachstumsprozeß vonstatten geht, teils mittelst freiwilliger Bewegungen der Befruchtungsorgane.

Bei manchen aufrechtstehenden Blumen, wo die Narbe auf langem Griffel so hoch über den (oft trägerlosen) Antheren steht, daß die Befruchtung unmöglich scheint, öffnen sich die Antheren schon, wenn die Blume noch Knospe, aber dem Aufbrechen nahe ist. Dann liegen die geöffneten Antheren unmittelbar an der völlig entwickelten Narbe. Erst nach dem Aufbrechen verlängert sich der Griffel. So bei Proteazeen, Kampanulazeen, vielen Papilionazeen, den hermaphroditischen Blümchen der Syngenesisten, bei Nymphaea, Hypericum, Argemone, Papaver, Paeonia, Oenothera, Impatiens, Ocymum, Canna usw. (Treviranus, Phys. II. 378.)

Bei anderen Pflanzen rücken die anfangs voneinander entfernten Befruchtungsorgane durch das Wachstum der Blütenteile allmählich so zusammen, daß die Befruchtung möglich wird.

Die freiwillige Bewegung der Befruchtungsorgane anlangend, so sind es am häufigsten die Staubfäden, welche sich zur Zeit der Befruchtung allmählich zum Pistill bewegen, auf die Narbe des Pistills ihren Blumenstaub ausschütten und dann in ihre Lage zurückkehren. In andern Fällen wandert das Pistill zu den Staubfäden; in noch andern suchen sich beide wechselseitig auf. (Vergl .darüber Treviranus,Biol. IlI. 349. V. 204. Treviranus, Physiol. d. Gewächse II. 379.)

Zur ersten Klasse, wo sich die Staubfäden nach dem Pistill hinbewegen, gehören: Cactus opuntia, Fritillaria peraica, Hyoscyamus aureus, Polygonum Orientale, Tamarix gallica, Ruta graveolens und chalepensis, Zygophyllum Fabago, Sedum telephium und reflexum, Tropaeolum, Lilium superbum, Amaryllis formosissima, Pancratium maritimum, Parnassia palustris, Geum urbanum, Agrimonia eupatoria, verschiedene Arten des Ranunculus und der Scrofularia, Rhus coriaria, Saxifraga tridactylites, Sax. muscoides, Sax. Aizoon, Sax. granulata, Sax. Cotyledon usw. Zur zweiten Klasse, wo sich das Pistill zu den Staubfäden bewegt, gehören: Nigella sativa, Sida americana, Passiflora, Candollea, Hypericum, Oenothera, Hibiscus, Turnera ulmifolia usw. Zur dritten, wo wechselseitiges Aufsuchen stattfindet: Boerhavia diandra, sämtliche Arten der Malva, Lavatera, Althaea und Alcea (Treviranus).

Die Staubfäden einiger Pflanzen beobachten bei ihrem Hinbewegen zum Pistill eine regelmäßige Folge: Bei Lilium superbum, Amaryllis formosissima und Pancratium maritimum nähern sich die Staubbeutel nacheinander der Narbe. Bei Fritillaria persica biegen sie sich wechselweise nach dem Griffel hin. Bei Rhus coriaria heben sich zwei oder drei Staubfäden zugleich hervor, beschreiben einen Viertelkreis und bringen ihre Staubbeutel ganz nahe an die Narbe. Bei Saxifraga trydactylites, muscoides, Aizoon, granulata und Cotyledon neigen sich zwei Staubfäden von entgegengesetzten Seiten über der Narbe gegeneinander, und breiten sich, nachdem sie ihren Staub ausgestreut haben, wieder aus, um anderen Platz machen. Bei Parnassia palustris bewegen sich die männlichen Teile zu den weiblichen in der nämlichen Ordnung, in welcher der Samenstaub reift, und zwar, wenn sie sich der Narbe nähern, schnell und auf einmal, wenn sie sich nach der Befruchtung von derselben wieder entfernen, in drei Absätzen. Bei Tropaeolum richtet sich von den anfänglich abwärts gebogenen Staubfäden bei völligem Aufblühen einer nach dem andern in die Höhe und beugt sich, nachdem die Anthere ihren Staub aus die Narbe hat fallen lassen, wieder hinab, um einer anderen Platz zu machen.

Zuletzt ist die Natur klüger als wir. "Welches immer die Schwierigkeiten bei der Befruchtung sein mögen (sagt Treviranus), die Natur, wenn sie nur in der Anwendung ihrer Mittel unbeschränkt ist, was z. B. von kultivierten Gewächsen nicht gilt, weiß solche zu überwinden, entweder indem sie eines derselben in Anwendung setzt, oder indem sie mehrere verbindet. Und so sehen wir oft den Blütenstaub, der sich durch seine Form und Farbe verrät, auf der Narbe, ohne das Mittel angeben zu können, wodurch die Natur ihn dahin gebracht hat"

"Link sah bei Valeriana dioica alle Narben mit Pollen bedeckt, der nur durch den Wind oder durch Insekten hergebracht sein konnte. Bei Lilium Martagon erlangen Staubfäden und Griffel erst nach dem Öffnen der Blume ihre Ausbildung und Reife. Die seitwärts gebogene Narbe ist dann von den Staubbeuteln entfernt, und dennoch," sagt Treviranus, "sah ich sie bei 12 Blumen, die nach und nach unter meinen Augen sich entwickelten, reichlich mit dem rötlichen Pollen bedeckt, ohne daß ich das Verfahren der Natur dabei hätte angeben können, indem ich niemals Insekten geschäftig sah, und die Pflanze durch ihren Stand vor dem Winde geschützt war. Ähnliche Beobachtungen finden sich bei Kölreuter und Sprengel."

Außer dem Hauptzweck, die Berührung des Blumenstaubes mit der Narbe zu vermitteln, finden sich auch Nebenrücksichten, welche bei der Befruchtung in Betracht kommen können, auf oft sehr merkwürdige Art durch besondre Einrichtungen im Bau und Lebensprozeß der Pflanzen befriedigt.

Der Blumenstaub oder Pollen besteht eigentlich aus kleinen, mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen, welche, auf die Narbe des Pistills gelangend, zu einem langen fadenförmigen Schlauche auswachsen, der durch die Länge des Pistills durch bis in dessen Höhle (Fruchtknotenhöhle) hineinwächst und durch seinen flüssigen Inhalt die Samenknospe, die in jener Höhle innerlich ansitzt, befruchtet. Natürlich kann dies nicht erfolgen, wenn die Pollenbläschen schon vorher geplatzt sind und sich ihres flüssigen Inhalts entledigt haben. Die Gefahr dazu wird durch die Berührung mit Feuchtigkeit gegeben, indem die Pollenkörnchen geneigt sind, solche einzusaugen, davon anzuschwellen und zu platzen; und sowohl Tau und Regen, als insbesondere die natürliche Stellung vieler Wasserpflanzen bringen solche Gefahr mit sich. Hiergegen mag vielleicht der Pollen mancher Pflanzen durch einen wasserabhaltenden, wachsartigen Überzug geschützt sein; da wir ja in gewissen Fallen das Wasser selbst beim Befruchtungsgeschäfte haben hilfreich mitwirken sehen; allein dies ist höchstens eins der Mittel, die Gefahr zu beseitigen. In anderen Fällen kann die Gefahr gar nicht bis zum Pollen gelangen, indem sich die Blume auf eine geeignete Weise gegen das Wasser oder die Feuchtigkeit benimmt, oder ihr Wachstum demgemäß einrichtet.

So schließen viele Pflanzen ihre Blumenkrone, wenn es regnen will; viele tun es auch nachts, um dem Nachttau zu entgehen, andere beugen bei einbrechender Nacht die Blumenstielchen um, so daß die Mündung der Krone abwärts gekehrt ist. Das gemeine Springkraut (Impatiens noli me tangere) verbirgt gar nachts seine Blumen unter den Blättern. Bei vielen Blumen erfolgt die Befruchtung unter dem Schutze besonderer Decken, so beim Weinstock und den Rapunzelarten, den Schmetterlingsblumen, Lippenblumen, Katyptranthes-ArtenBeim Weinstocke und den Rapunzelarten (Phyteuma) bilden die mit ihren Spitzen verbundenen Blumenblätter diese Decke; bei den Schmetterlingsblumen (Leguminosae) bildet sie die Fahne (vexillum); bei den Labiaten (Labiatae) die Oberlippe der Blumenkrone, bei den Kalyptranthes-Arten der deckelförmige Kelch usw. (Decandolle, Phys. 11. S. 82.) usw.; bei manchen Pflanzengattungen findet die Befruchtung schon in der noch nicht ausgebrochenen Blumenknospe statt, z. B. den Glockenblumen und Schmetterlingsblumen, oder geschieht im Augenblicke des Aufbrechens selbst, und dieses erfolgt nur bei trockner Witterung. Nicht selten auch macht die Veränderung der Lage der Blumen durch den Wind, der gemeiniglich den Regen begleitet, daß dieser nicht einzudringen vermag, wovon C. C. Sprengel im S. 165 angezeigten Buche eine anschauliche Vorstellung gegeben. Dringt dessen ungeachtet viele Feuchtigkeit zu den innern Blütenteilen, so schlägt die Befruchtung meist fehl; daher regnerischte Witterung von den Landwirten beim Blühen des Obstes und Korns so ungern gesehen wird.

Besonders interessant aber sind die Mittel, welche bei manchen Wasserpflanzen angewendet werden, um die Befruchtung bei Ausschluß des Wassers zu vollziehen.

Die Wassernuß, Trapa natans L., keimt am Boden des Wassers und entwickelt sich in der Jugend unter diesem; sobald aber die Blütezeit herannaht, so schwillt der Blattstiel zu einer zelligen, mit Luft angefüllten Blase an. Diese blasenförmigen Blattstiele stehen zu einer Art Blattrose genähert nebeneinander und heben die Pflanze an die Oberfläche des Wassers; das Blühen findet an der Luft statt, und sowie die Blütezeit vorüber ist, füllen sich die Blasen (unter Aufsaugung der Luft) wieder mit Wasser und sinkt die Pflanze wieder auf den Grund des Wassers, woselbst, sie ihren Samen zur Reife bringt. (Decand. 11. 87.)

Die Utrikularia-Arten bieten eine noch zusammengesetztere Einrichtung dar. Die Wurzeln oder vielmehr die untergetauchten Blätter dieser Pflanzen sind außerordentlich stark verzweigt und mit einer Menge kleiner rundlicher Schläuche (utriculi) besetzt, die mit einer Art beweglichen Deckels versehen sind. Bei den jungen Utrikularien sind diese Schläuche mit einem Schleime angefüllt, der schwerer ist als das Wasser, und die Pflanze bleibt, durch diesen Ballast zurückgehalten, am Grunde des Wassers. Wenn nun die Blütezeit herannaht, sondert die Pflanze Luft ab, welche in die Schläuche hineindringt und den Schleim hinaustreibt, indem der Deckel aufgehoben wird; wenn die Pflanze auf diese Weise mit einer Menge von Blasen ausgerüstet ist, die mit Luft gefüllt sind, so hebt sie sich langsam empor und schwimmt zuletzt an der Oberfläche des Wassers, so daß das Blühen an der freien Luft vollzogen werden kann. Ist die Blütezeit abgelaufen, so fängt die Wurzel wieder an, Schleim abzusondern, und dieser nimmt in den Schläuchen die Stelle der Luft ein: hierdurch wird die Pflanze schwerer, sinkt auf den Boden des Wassers und bringt ihre Samen an der nämlichen Stelle zur Reife, an welcher dieselben wieder ausgestreut werden sollen. (Decand. II. 87.)

Bei andern Wasserpflanzen wird der Zweck einfacher dadurch erreicht, daß sie nicht eher blühen, als bis ihre Stengel die Oberfläche des Wassers erreicht haben; so z. B. die meisten Potamogeton -Arten, die Minzen (Menthae), Wasserseggen (Carices aquaticae), Igelsköpfe (Sparganium) u. a.

Sogar unter Wasser vermag bei manchen Pflanzen die Befruchtung doch geschützt gegen das Wasser vor sich zu gehen.

Das Meergras (Zostera marina) z. B. ist durch seine Wurzeln am Grunde des Meeres befestigt und kann sich nicht hinreichend verlängern, um an die Oberfläche des Wassers zu gelangen; dafür blüht es aber auch in einer Blattfalte (duplicature de feuille), die zwar seitlich offen ist, aber eine gewisse Menge von der Pflanze selbst ausgesonderter Luft zurückhält, so daß die in dieser Höhle mit den weiblichen Blumen eingeschlossenen männlichen Blumen unmittelbar nur von Luft, nicht von Wasser umgeben sind.

Am Wasserhahnenfuß (Ranunculus aquaticus), welcher zwar eigentlich an der Luft blüht, aber dessen Blüte bei hohem Wasser leicht der Gefahr ausgesetzt ist, untergetaucht zu werden, ist auch für diesen Fall Vorsorge getroffen. Ramond und Batard fanden in plötzlich anwachsenden Seen die Blumen dieser Pflanze durch das Steigen des Wassers untergetaucht, ohne Nachteil für die Befruchtung. Dies hängt daran, daß der Blumenstaub frühzeitig zu den Staubbeuteln heraustritt, während die Blume noch als geschlossene und kugelförmige, Luft enthaltende Knospe erscheint. August de St. Hilaire und Choulant haben am schwimmenden Wasserwegerich (Alisma natans) und am Knorpelkraute (Illecebrum verticillatum) ähnliche Erscheinungen wahrgenommen. (Decand. II. 84.)

Nicht weniger teleologisches Interesse als der Befruchtungsprozeß der Pflanzen bietet auch die Aussaat derselben dar, indem die Sorge der Natur, sich ihren Bestand an Pflanzenseelen fortgehends zu sichern, ebenso deutlich darin hervortritt; obschon die in dieser Beziehung getroffenen Maßregeln großenteils nicht so direkt mit Empfindungen der Pflanze selbst in Beziehung gesetzt werden können, als die, welche den Befruchtungsprozeß betreffen.

"Nicht berechneter", sagt Autenrieth (Ansichten von Natur- und Seelenleben S. 257), "kann die Sorge vieler Säugetiere und Vögel, die Jungen, sobald sie ihrer Hilfe nicht mehr bedürfen, von sich wegzutreiben, erscheinen, damit nicht, wenn alle an einem Orte versammelt blieben, die sparsame Nahrung zuletzt, an was das kultivierte Menschengeschlecht durch seine Schuld so oft leidet, für alle fehle, als die aufspringende Kapsel der europäischen gelben Balsamine, der Impatiens noli me tangere L., berechnet zu sein scheint, mittelst welcher die Samen weit weggeschleudert werden, oder als die mechanische Form der Häkchen, womit manche Samen versehen sind, um an vorübergehende Tiere sich zu hängen und durch diese in die Entfernung getragen zu werden, oder die mannigfache Bildung der Federkronen vieler Samen, um vom Winde weggeführt und zerstreut werden zu können, jenen Zweck augenscheinlich haben."

Diese Bemerkung gewinnt an Interesse, wenn wir sehen, wie unter Umständen, wo das mögliche Gedeihen des Samens auf einen sehr bestimmten Standort beschränkt ist, auch Vorrichtungen vorkommen können, welche das Vertragen des Samens vielmehr hindern, und dahin wirken, daß derselbe gleich in der Nähe des Mutterstammes fixiert werde. Ein hierher gehöriges Beispiel gewährt der Manglebaum.

Der Manglebaum, Rizophora L., wächst an den Mündungen der Flüsse des heißen Erdstrichs und an flachen Meeresufern, aber nur im Schlamme und so weit, als abwechselnd derselbe mit der Flut durch Salzwasser überdeckt wird. Die Samen könnten weder tiefer in das Meer hinaus, noch weiter landeinwärts gedeihen; so werden sie nun schon durch ihr Wachstum dafür eingerichtet, sogleich da festen Fuß zu fassen, wo sie vom Mutterbaume abfallen, mithin auch ebenso günstigen Boden, als für diesen stattfindet, erwarten können. Auf dem Fruchtboden der Blüte dieses Baumes erzeugt sich nämlich allmählich ein fleischiges hohles Gewächs, ein dem Samen gleichsam ins Freie hinaushaltendes Grundstück, auf welchem dieser nach und nach mit Hilfe eines Stieles weiter hervortritt. Der fast zylindrische, zuletzt ungefähr 1½ Zoll lange Stiel entfernt den Samen immer mehr von diesem Grundstücke. Der Same selbst ist länglichrund und zuletzt 10 Zoll lang, gegen sein freies Ende hin immer dicker und schwerer, endigt sich aber daselbst mit einer pfriemenförmigen Spitze. Reif hängt er senkrecht vom Baume herab; zugleich aber wird seine Verbindung mit dem Stiele immer lockerer, und zuletzt fällt er von diesem ab. Durch seine Schwere dringt er nun mit Hilfe seiner pfriemenförmigen Spitze bis ein Zoll tief von selbst in den sumpfigen Boden ein und bleibt aufrecht in demselben stecken. Er hatte aber beinahe ein ganzes Jahr zu seiner Ausbildung am Baume gebraucht, innerhalb seiner Hülle gekeimt und eine bedeutende Wurzel bereits entwickelt. Er kann also fast sogleich sich auch festhalten. Jacquin sah solche Samen selbst 3 bis 4 Fuß tief durch Wasser auf den Boden desselben fallen und in diesem dann noch aufrecht stehen, und er fand in solcher Tiefe welche, die eingewurzelt wieder zu Bäumchen aufgeschossen waren. (Dict. des sc. nat. T. XIV. art. Rizophora, 387.)

Nach Schüblers Bemerkung sind die Samenkörner von Wasserpflanzen gewöhnlich schwerer als das Wasser, kommen also, indem sie aus dem Gehäuse fallen, unmittelbar auf den Boden, wo sie keimen können, während die Samen der meisten hohen Bäume leichter sind, also, wenn sie auf Wasserflächen fallen, schwimmen und durch Wind und Strömung dem benachbarten Ufer zugeführt werden. (Kastners Arch. X. 426.)

Das Getreide wächst sicherer mit Erde bedeckt als bloß auf die Oberfläche gestreut. In Rücksicht hierauf gab die Natur den Samen des wilden oder Flughabers (Avena fatua L.) folgende Vorrichtung. Die Grannen desselben sind in der Mitte gleichsam unter einem Winkel eingeknickt, halb wie ein Strick gedreht, halb gerade. Ist der Same völlig reif und trocken geworden, so ist der untere Teil dieser Granne sehr hygroskopisch. Benetzt dreht er sich auf, und abwechselnd steht dadurch das Samenkorn auf der Spitze seines unteren Endes und der der Granne, um hierauf wieder sich mehr zu legen, weil die letztere durch ihre Aufdrehung sich wieder gerade streckt. So macht das Korn notwendig einen Schritt nach dem andern weiter, weil die Richtung der Härchen am Korn und der feinen Stacheln an der Granne ein Fortschieben immer nur nach einer Richtung, gegen das nicht mit der Granne versehene Ende hin, gestattet, aber nicht ein Rückwärtsgehen. Bei abwechselndem Regen und Wiedereintreten von Trockenheit kriecht auf diese Art der Flughaber auf den Ackern herum, bis er unter eine Stoppel oder Erdscholle gelangt, wo er nicht weiter kommen kann, aber nun auch durch dies Hindernis zum Keimen bedeckt ist. (Pflanzensystem von Linné XII. 43.)

Man vergesse nicht, daß alles, was hier mitgeteilt ist, nur einzelne Beispiele aus einzelnen Gebieten des Pflanzenlebens sind, wo das Walten des Zweckprinzips gerade für unsere Auffassungsweise besonders frappant erscheint. Wollten und könnten wir das Pflanzenleben allseitig und nach allen seinen Einzelheiten verfolgen, würden wir unstreitig dasselbe zweckmäßige Walten überall entdecken und die Zusammenstimmung aller Zweckrücksichten noch viel wunderbarer finden, als uns irgendwelche Einzelheiten für sich erscheinen können.


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