Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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X. Teleologische Gegengründe.

Wir haben früher mancherlei Zweckbetrachtungen zugunsten der Pflanzenseele geltend gemacht. Aber man wird zuletzt alle diese Betrachtungen durch die einfache Gegenbetrachtung niederzuschlagen meinen, daß die Pflanze doch viel zu sehr und sichtlich anderen Zwecken diene, als daß füglich von Selbstzweck derselben die Rede sein könne.

Lassen wir den Einwand sich zuvörderst nach seinem vollen Gewichte entwickeln.

Der Bau, die Einrichtung, das Leben und Sterben der Pflanzen gehen in Zweckbeziehungen für Menschen- und Tierreich ganz und gar auf, und dies ist ganz auf sie gewiesen. Ohne Pflanzen verhungerte alles, verkäme alles in Hilflosigkeit; hätte der Mensch nicht Brot, nicht Kartoffeln, nicht Linnen, nicht Holz; und hiermit nicht Haus, nicht Schiff, nicht Faß, nicht Feuer; und hiermit nicht Wärme im Winter, nicht Hitze für den Topf, nicht Glut für die Metalle; und hiermit nicht Axt, nicht Pflug, nicht Messer, nicht Geld. Ohne die Pflanze hätte er nicht einmal Fleisch, nicht Milch, nicht Wolle, nicht Seide, nicht Feder, nicht Leder, nicht Talg, nicht Schmalz; denn woher hat denn dieses erst das Tier? Und ohne all dies hätte er auch nicht Handel, nicht Handwerk, nicht Kunst, nicht Schrift, nicht Bücher, nicht Wissenschaft; kurz, hätte er nichts als das nackte Leben, und bald auch dies nicht mehr.

Der Mensch braucht also die Pflanzen und zu diesem Gebrauche sind sie geschaffen, und was der Mensch nicht braucht, das braucht das Tier, das selbst wieder teilweise vom Menschen gebraucht wird, aber auch seine Zwecke für sich hat. Jede Pflanze, die den Menschen nicht unmittelbar dient, gewährt sicher noch einem oder auch mehreren Tieren zugleich Nahrung und Aufenthalt; und selbst noch im Zerfallen speist jede Millionen Infusorien. Die Pflanze erfüllt genug des Zwecks, indem sie alles dieses leistet; und es erklärt sich daraus zur Genüge, weshalb sie da ist. Die ganze unendliche Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt und ihrer Erzeugnisse will eben nichts anderes bedeuten als der ebenso großen Mannigfaltigkeit besonders gearteter Bedürfnisse im Menschen- und Tierreiche teils vorzuarbeiten, teils direktes Genüge zu gewähren.

Bald sehen wir einer Pflanze vielerlei, oft sich kreuzende, Nutzleistungen für Tiere und Menschen auferlegt, bald eine Pflanze ganz auf eine Hauptleistung für Mensch oder Tier berechnet. Beides aber beweist gleichermaßen, daß die Bestimmung der Pflanze eben nur in Zweckleistungen für anderes aufzugehen hat Oft an derselben Pflanze die Wurzel für den Wurm, das Blatt für die Raupe, die Blume für den Schmetterling, Duft und Farbe für den Menschen, die Frucht für seinen Gaumen und Magen, das Kraut noch für sein Vieh. Nicht weniger als 70 verschiedene Arten von Insekten sollen allein auf und von der Eiche leben. Dazu singt noch in ihren Ästen der Vogel und klettert das Eichhorn; das Schwein liest die herabfallenden Früchte auf, die Haselmaus sucht Schutz unter ihrer Wurzel, der Mensch gerbt mit ihrer Rinde, zimmert aus ihrem Stamme den Kiel seiner Schiffe wie die Balken seines Hauses, und erwärmt sich noch im Hause an ihren Ästen. So ganz zerfährt dieser eine Baum sozusagen in Zweckleistung für anderes. Andrerseits betrachte man den Flachs, den Wein, den Hopfen, so viele Arzeneipflanzen wie sie so ganz besonders für einen bestimmten Haupt-zweck, dem Menschen zugute, berechnet sind. Ja selbst das eitle Vergnügen des Menschen steht noch hoch genug, Bau und Leben besonderer Pflanzen eigens dessen Befriedigung unterzuordnen. Weil die Natur die Frauen eitel schuf, schuf sie auch eine Pflanze zum besonderen Dienste dieser Eitelkeit. So wie sie es ist, mußte die Maulbeerpflanze gemischt sein, damit sich auch Seide aus ihr Spinnen ließe; und daß es wirklich eben um diesen Zweck bei ihr zu tun, beweist der nur zu ihrer Zerstörung beigegebene und dafür mit einem Vorgeschmack von Empfindung belohnte Seidenwurm. Tee und Kaffee hätten sicher nicht so wunderlich gemischte Stoffe in sich, wenn nicht dem Menschen so wunderliche Gelüste danach eingepflanzt worden wären. Und überall, wenn die Pflanze das vorbereitet, geschafft, was sie den Menschen oder Tieren leisten soll, wird sie schonungslos zerstört, das Korn alsbald gemäht, die Kartoffeln ausgerissen, der Baum geschlagen, der Flachs geröstet. Nirgends scheint es der Natur schade um eine Pflanze, wenn es gilt, durch sie einen Zweck für Menschen und Tiere zu erfüllen.

Nach allem kann nur dies der Sinn des Verhältnisses zwischen Tier und Pflanze sein. Mensch und Tier waren bestimmt, Seele, Idee, Zweck in die Natur zu bringen; das verlangte nun freilich Materie zum Träger und zur Verwirklichung. Damit aber das Ideelle nicht zu sehr selbst im Materiellen befangen bliebe, davon belastet würde, ward der bei weitem größte Teil materieller Zutat und Arbeit, welche für die Zwecke des Ideellen nötig, in eine besondre Welt verlegt, in der die materielle Last und Mühe leicht getragen wird, weil sie nicht darin empfunden wird. Sollte der Mensch und das Tier all das rein Irdische, Stoffliche selbst noch mit eignen Organen durch eignes Tun und von vorn an herrichten müssen, was ihnen durch die Pflanzen schon vorgerichtet übergeben wird, so möchte ein Blick nach dem Höhern sich nimmer frei im Menschen entwickeln können, und selbst dem Tiere sein freies Schweifen über die Erde verkümmert sein. Nun aber genießen Mensch und Tier teils gleich mit Lust, was sie sonst erst mühsam schaffen müßten, teils bleibt nur noch die letzte Bearbeitung auf das aus den Händen der Pflanze schon vorbereitet Überkommene zu wenden, und hierin finden sie dann zugleich die günstigsten Bedingungen zur Betätigung ihres ideellen Faktors.

Die ganze Existenz des Menschen- und Tierreichs zeigt sich so auf die des Pflanzenreichs wie auf einen Unterbau gestützt; man kann aber nicht vom Träger verlangen, daß er das Höhere auch selbst noch in sich enthalte, was er bestimmt ist, über sich zu einem freiem, mühelosern Sein emporzuheben, d. i. hier die Seele. Soll auch der Leuchter noch leuchten, indem er das Licht trägt? Ja, hieße es nicht, nachdem sich die Pflanze den Zwecken beseelter Wesen ganz und gar untergeordnet zeigt, einen Überfluß und eine Unmöglichkeit zugleich verlangen, daß sie nun auch noch Zwecke für sich selber habe? Muß es nicht vielmehr für sie, wie für die Tier- und Menschenwelt, gerade das Günstigstmögliche sein, daß sie den Wert eines Lebens auch nicht einmal kennen, die Lust eines Lebens auch nicht einmal ahnen lerne, das doch nur bestimmt wäre, in Opfern für andere aufzugehen? So wie sie ist, gibt sie sich widerstandslos den Zwecken preis, die sie zu erfüllen bestimmt ist, dient eben hiermit am besten dieser Erfüllung, und es braucht der Natur und uns nicht leid zu sein, sie dazu zu verwenden.

Ich habe der Entwickelung dieses Einwands so viel Spiel gegeben, weil sich dabei eine in Wahrheit wunderbar schöne und große Seite der Natur entfaltet, die ausnehmend genaue, sorgfältige, ins einzelnste sich erstreckende zweckmäßige Einrichtung des einen organischen Reiches zu Frommen des andern, aber freilich auch eben nur eine Seite, und hierin liegt die Untriftigkeit des Einwandes und hiermit läßt er uns ein Wunder über jenes Wunder vergessen und verlieren. Denn das größte Wunder der Natur liegt doch darin, daß jedes ihrer Wesen in jedem Bezirke, indem es ganz für andere Wesen gemacht erscheint, zugleich ganz auf eigne Zwecke gestellt bleibt, eins immer dem andern dient, nach anderer Beziehung nur, als andres ihm wieder dient; und alles dabei so abgewogen ineinander greift, daß das Ganze haltbar und lebendig besteht. Lassen wir also die Pflanze noch so sorgsam gebaut, eingerichtet sein, Zwecke für Menschen und Tiere zu erfüllen, ja ganz und gar für solche Zweckerfüllung berechnet, was tut es! Die ganze Voraussetzung ist grundfalsch, als ob sich hiermit eine ebenso sorgsame, vollständig genaue Berechnung des Baues, der Einrichtung der Pflanze für eigne Zwecke nicht vertrüge. Jeder Blick auf die Kette der Naturwesen, der sich nicht absichtlich in einseitiger Betrachtung abschließt, reicht hin, diese Zweckverkettung zu zeigen.

Hund und Katze müssen dem Vergnügen oder den Vorteilen des Menschen dienen; aber haben sie deswegen weniger Lust und Trachten danach in sich? Die Katze frißt den Sperling; aber der Sperling ist deshalb nicht bloß für die Katze da; der Sperling frißt die Raupe, aber die Raupe ist deshalb nicht bloß für den Sperling da; die Raupe frißt die Pflanze; warum soll nun die Pflanze auf einmal bloß für die Raupe und was rückwärts liegt, da sein? Ich finde nichts in der Natur, was der Lust, die diese Leiter absteigt, verböte, auch noch in die blühende Pflanze hinabzusteigen; sieht denn diese aus wie eine Stufe aus Stein und Eisen? Die Pflanze dient anderen Zwecken, es ist wahr; die Gerechtigkeit fordert also, daß anderes wieder ihren Zwecken diene; und die Natur übt diese Gerechtigkeit, wie sich näher zeigen wird. Aber dann muß die Pflanze auch Zwecke haben können; und dies kann nur ein Wesen mit Seele; ich meine nicht gerade Zwecke im Sinne Hegelscher Zweck-Kategorien, sondern wenn auch nur Zwecke, wie sie nun eben ein Wesen hat, das nach etwas einen Trieb fühlt, und sich wohl hat, wenn es solches erreicht.

Kann eine Pflanze so vielen anderen so vieles zugleich leisten, wie wir am Beispiel der Eiche gesehen, so ist darin nicht sowohl ein Überschuß von Zweckerfüllung, als der sicherste Hinweis zu finden, daß man an den Hauptzweck dabei noch gar nicht gedacht hat. Denn kann sie so vielen anderen so vieles zugleich leisten, so liegt doch am nächsten zu glauben, daß sie vor allem auch sich selbst etwas wird leisten können. Weil sie sich aber selbst die nächste, wird sie sich dieses auch am besten und im besten Zusammenhange leisten können. Also eben hierin wird der Hauptzweck zu suchen sein. Alle jene Zwecke, die sie für andere erfüllt, zersplittern sich doch nur; heften sich an einzelne Äußerlichkeiten, Ausläufer ihres Lebens. Indes ist die Eiche ein in sich gebundenes Festes, Ganzes, Einiges, hat sich selber ganz beisammen. Und diesem so ganz in sich zusammenhängenden organischen Wirkungsgebiete sollte kein in sich zusammenhängendes Zweckgebiet entsprechen? Es fehlte, wenn der Eiche selbst keine Zwecke zukommen. Wer glaubt nicht, daß, wenn ein Stern Strahlen nach allen Seiten sendet, in ihm selber etwas entsprechend und gesammelt leuchte? Wir aber lassen die Eiche Strahlen aus einem dunklen Kern senden.

Wenn manche Pflanze bloß gemacht erscheint, um kleine, wohl gar fehlerhafte Neigungen der Menschen zu befriedigen, so sollte das jedenfalls am besten beweisen, daß das, wozu sie bloß gemacht erscheint, nur das Wenigste und Unwesentlichste von dem sein kann, wozu sie wirklich gemacht ist; oder unsere Betrachtung der Natur wird eine sehr unwürdige.

Meint man aber, die Natur habe die materielle Arbeit zur größern Hälfte auf seelenleere Wesen verlegen wollen, um die seelenvollen dadurch zu erleichtern, so sollte man dagegen erwägen, daß nach allgemeiner Einrichtung der Natur überhaupt materielles Tun nur das ist, worin sich hienieden das Tun der Seelen äußern kann. Also nicht Arbeit wäre der Seele erspart, sondern Seele für die Arbeit wäre gespart, wenn der Einwand recht hätte, wenn, was noch mit Seele vonstatten gehen konnte, doch ohne solche vonstatten gehen sollte. An jede Arbeit und Mühe aber wird sich auch ein Lohn der Arbeit, eine Vergeltung der Mühe zu knüpfen wissen. Der König und Gelehrte selbst müssen noch mit Gehirn und Feder arbeiten; indes der Bauer und Handwerker mehr mit Arm und Hobel arbeitet. Aber dieser fühlt so gut und stark wie jener die Anstrengung seiner Arbeit und genießt so gut den Lohn von seiner Arbeit. Gefühl und Genuß ist nur dort feiner und entwickelter, hier gröber und einfacher, wie es die Arbeit und der Stoff der Arbeit und des Arbeitenden selbst ist. Kann aber der Bauer den König nähren und noch fühlen, was er tut, um ihn zu nähren, wird auch die Pflanze das Tier nähren und noch fühlen können, was sie tut, es zu nähren. Alle Gründe, nach welchen dem Pflanzenstande die Seele zugunsten des Standes der Menschen und Tiere abgesprochen wurde, würden in der Tat ebenso nötigen, sie dem Bauernstande zugunsten des Standes der Gelehrten und Herren abzusprechen.

Man sagt etwa dagegen, unsere Werkzeuge seien doch auch Dinge, die bloß Zwecken dienen, ohne Zwecke zu haben, warum nicht ebenso die Pflanzen? Aber gerade die Zusammenstellung mit unseren Werkzeugen kann, wie schon bei frühem Betrachtungen, am besten dienen zu zeigen, daß die Pflanzen unter anderen Gesichtspunkt fallen.

Unsre Werkzeuge leben, weben und wachsen nicht aus sich selbst wie die Pflanzen, sie haben alles, Bestand, Form und Fügung von uns, also können sie auch nichts von Zweck für sich verlangen; die Arbeit, die mit ihnen getan wird, tun nicht sie selber, wir sind es, die sie tun; also können auch nur wir den Lohn der Arbeit verlangen; die Pflanzen aber, wenn sie Werkzeuge sind, sind selbstlebendige, in und mit und an und aus sich selbst heraus arbeitende Werkzeuge, wie wir, können also auch ähnliche Ansprüche machen wie wir; sind Werkzeuge Gottes wie wir; in Gottes Werkstatt aber hat kein Werkzeug einseitig dem anderen, sondern jedes wechselseitig dem anderen zu dienen.

Hiermit nun kommen wir auf die zweite Seite unseres Gegenstandes, die der Einwand ganz übersehen oder durch die erste einseitig als verschlungen angesehen hat, während sie vielmehr aufs schönste damit verschlungen ist. Und hiermit wird das gegen die Seele der Pflanzen gewandte Argument sich vollends zu ihren Gunsten kehren.

Die Pflanzen dienen Menschen und Tieren; umgekehrt aber haben die Menschen und Tiere den Pflanzen zu dienen; und machte jenes die Pflanzen seelenlos, müßte dieses auch Menschen und Tiere seelenlos machen. Nur deshalb, weil wir, alles nach uns und unseren Bedürfnissen zu messen gewohnt, nicht in derselben Art den Pflanzen zu Diensten stehen wie sie uns, achten wir es überhaupt nicht als einen Dienst.

Mit demselben Rechte, wie man sagt, daß die Menschen und Tiere die Früchte des Feldes essen und fressen, kann man in der Tat sagen, daß die Früchte des Feldes die Menschen und Tiere wieder fressen; denn alles was von Menschen und Tieren abgeht, geht wieder in die Pflanzen über, und muß in sie übergehen, damit sie wachsen und gedeihen. Sie zerreißen den Menschen nur nicht so bei lebendigem Leibe, wie wir es mit ihnen tun. Sie warten auf das, was von uns abgeht, bis es zu ihnen kommt, erwarten unseren Tod, ehe sie sich ganz unserer bemächtigen. Diese Geduld wird ihnen nun als träge Unempfindlichkeit und tote Passivität ausgelegt; aber mit Unrecht, denn daß sie doch wirklich nicht unempfindlich gegen all das sind, beweisen sie ja eben dadurch, daß sie all das, wenn es an sie kommt, doch gierig annehmen und freudig dadurch wachsen. Es hängt nur diese Geduld überhaupt mit ihrem Gebanntsein an die Scholle und ihrem, sozusagen, weiblichen Charakter den Tieren gegenüber zusammen. Wartet doch auch eine Königin, daß man ihr bringe, was sie braucht; sie ist freilich sicher, daß sie nicht zu warten braucht; viel Hände sind von selbst für sie geschäftig. So wartet nun die ganze Pflanze, daß des Tieres Leib sich auflöse, ihren Leib zu bauen; die Blume wartet, bis das Insekt zu ihr komme, ihr bei der Befruchtung zu helfen; der Same wartet, daß der Säemann ihn ergreift und ins Land säet; das Insekt und der Mensch tun es ja sicher, freilich zunächst ihrentwegen; aber die Natur hat die Insekten und Menschen eben so eingerichtet, daß das Ihrentwegen zugleich zu einem Ihretwegen wird.

Sollte die Natur auch die Pflanzen noch mit den Tieren sich um das streiten lassen, was eins vom andern braucht, da es diese schon so viel unter sich tun? Sie hat es vorgezogen, in Frieden und Eintracht Geben und Nehmen hier ineinander greifen zu lassen, damit nicht alles sich in Zwietracht auflöse. So gestattete sie nun uns die Pflanzen nach Willkür zu unseren Zwecken zu gebrauchen, ohne daß die Pflanze sich auch nur wehren kann; aber selbst gegen unseren Willen müssen wir den Pflanzen wieder dienen; und können wir uns etwa mehr dagegen wehren?

Der Dünger und der verwesende Leichnam sind es nicht allein, was den Pflanzen als Nahrung von Menschen und Tieren zugute kommt. In einem geheimen, den meisten Menschen unbekannten Verkehre müssen sie vielmehr den Pflanzen das Wichtigste leisten mit dem Wichtigsten, was sie selber haben. In der Tat, woher glaubt man wohl, daß eine Pflanze, die im Topfe oder auch draußen wächst, so groß wird? Das Erdreich scheint sich ja kaum zu mindern. Auch läßt eine Pflanze beim Verbrennen wenig Asche zurück. Viel tut freilich das aufgenommene Wasser, aber wenig Erde und viel Wasser macht bei weitem noch keine Pflanze. Wie sonderbar es manchen klingen mag, ist es doch gewiß, daß es hauptsächlich der Atem der Menschen und Tiere ist, aus dem sich die Pflanze erbaut, der ihr festes Gerüste schafft. Merklich allen festen Stoff, der beim Verbrennen der Pflanzen als Kohle zurückbleibt, schöpft die Pflanze aus der Kohlensäure der Luft (und dem damit geschwängerten Wasser), demselben Wesen, das auch als Schaum des Champagners entweicht. Diese Kohlensäure wird von Menschen und Tieren ausgeatmet, von den Pflanzen aufgenommen, der Kohlenstoff daraus abgeschieden und in ihre Substanz verwandelt, der Sauerstoff aber (dessen Verbindung mit dem Kohlenstoffe eben die Kohlensäure bildet) der Atmosphäre zurückgegeben.

"Sicherlich," sagt Dumas, "enthielt das Fleckchen Boden, auf welchem die Eichel vor Jahrhunderten keimte, aus welchem der vor uns stehende gewaltige Baum entstanden ist, nicht ein Millionstel des Kohlenstoffs, den die Eiche nun besitzt. Der übrige, d. h. der sämtliche, Kohlenstoff, ist ihr aus der Luft zugegangen." (Dumas, Statik der organ. Ch.)

Boussingault fand, daß der Dünger, der auf einem Landgute für ein Hektar Boden verbraucht worden, nur 2793 Kilogr. Kohlenstoff enthielt, die davon gemachte Ernte aber 8383 Kilogr. Auf einem anderen Landgute enthielt die Ernte sogar 7600 Kilogr. Kohlenstoff mehr als der Dünger. Der Überschuß mußte also aus der Luft herrühren.

Derselbe stellte einen Versuch an, wonach in reinem Kiessand gelegte und mit destilliertem Wasser begossene Erbsen, die also ihre Nahrung lediglich aus der Luft beziehen mußten, dennoch sich entwickelten, Blätter und Samen trugen. (Ebendas.)

Wie begierig die Pflanzen den Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen, beweist folgender Versuch Boussingaults. Er fand, "daß Weinblätter, welche man in einen Ballon einführte, die sämtliche in der durch denselben geleiteten Luft enthaltene Kohlensäure aufsaugten, wenn man den Luftstrom auch noch so geschwind durchstreichen ließ. Desgleichen sah Boucherie aus den Wurzelstöcken von in vollem Saft gefällten Bäumen die Kohlensäure in gewaltiger Menge entweichen." (Ebendas.)

Im Winter erstarrt unser Atem zu Blumen am Fenster, im Sommer schießen die lebendigen Blumen der Wiese daraus an. Gott, sagt man, hauchte den Menschen die Seele ein, umgekehrt, kann man sagen, hauchen die Menschen den Pflanzen den Leib ein.

Die Menschen und Tiere müssen also atmen und leben, damit die Pflanzen wachsen und leben; ja die Lungen der Menschen und Tiere lassen sich geradezu als Organe ansehen, welche den Pflanzen dieses notwendigste Lebensbedürfnis zuzubereiten haben. Wir halten Kühe, uns die Milch in ihren Eutern zu bereiten, den Pflanzen werden von Gott Menschen und Tiere gehalten, die Kohlensäure für sie in den Lungen zu bereiten. Die Kuh selber, indem sie das Gras frißt, hilft durch ihren Atem neues Gras bauen; sie frißt nur die alten Blätter, d. h. die Produkte der früheren Lebenstätigkeit der Pflanzen, und, wie früher erinnert, hat das Fertige für die Pflanzen nicht gar viel mehr zu bedeuten; sie haucht dafür den Stoff zu neuer Lebenstätigkeit aus, denn in der Verwandlung jenes halb geistigen Stoffs in leiblichen besteht die Hauptaufgabe des Lebens der Pflanzen; das eben macht sie wachsen, grünen, leben. Könnte man nun hier nicht auch sagen: die Natur hat von der Pflanze den größten Teil der materiellen Vorarbeit, den ganzen Zermalmungs- und Verdauungsprozeß der groben Stoffe auf das Tier sozusagen abgeladen, der Pflanze ist bloß die schöne, leichte heitere Aufgabe geblieben, aus dem geisterartigen Wesen, das als letztes Produkt jenes groben Prozesses hervorgeht, den zierlichsten, lieblichsten Körper immer neu zu bauen und zu schmücken, Bildnerin und Malerin in eins, und sie hat sich dazu nicht einmal vom Platze zu mühen. Schwebt hier nicht das Ideelle ganz im Pflanzenreiche, und liegt nicht die grobe Basis ganz im Tierreiche?

Zwar der Atem macht’s nicht allein; viel zur Kohlensäure der Luft trägt auch das Verbrennen des Holzes bei; denn was die Pflanze aus den Geistern der Natur im Leben schöpfte, geht im Tode der Pflanze als feuriger Hauch darein zurück; doch nur zum Wachstum neuer Pflanzen, zur Verjüngung der Pflanzenwelt. Die ganze Pflanze muß doch einmal sterben. In dieser Beziehung können wir den Menschen die Bedeutung von Todesengeln für die Pflanzen beilegen. Wir malen den Tod mit der Sense; für sie geht er leibhaftig mit Sense und Art einher, ein höheres Wesen, zerstörend für das einzelne, doch der Erneuerung des Ganzen dienend.

Indem die Pflanze aus dem Atem und den Produkten des Feuers Nahrung schöpft, hat sie freilich gleich eine Gegenleistung dafür zu machen. Nähme sie die Kohlensäure aus der Luft nicht an sich, würde diese immer mehr verderben, weil die Kohlensäure als Produkt des Atmens oder Verbrennens selbst nicht mehr dienen kann, das Atmen oder Feuer anzufachen und zu unterhalten, vielmehr erstickt beides, wo die Luft sich mit zuviel Kohlensäure beladet. Nun aber stellt die Pflanze, indem sie diesem Gase seinen Kohlenstoff entzieht, daraus wieder die Lebensluft (den Sauerstoff) her, welche ursprünglich für Atmen und Verbrennen diente, und erhält durch Rückgabe derselben an die Atmosphäre diese immer frisch und munter für Unterhaltung von Leben und Feuer. So ergänzen sich Pflanzen- und Tierwelt in ihren Zweckleistungen. Die Pflanze atmet die Kohlensäure ein, welche das Tier ausatmet, und das Tier atmet den Sauerstoff ein, welchen die Pflanze ausatmet; die Pflanze zersetzt die Kohlensäure und nimmt den festen Stoff, den Kohlenstoff daraus an sich, um ihren Leib zu bauen; das Tier verbindet den Sauerstoff mit Kohlenstoff des eignen Leibes und gibt diese Verbindung in Gasgestalt von sich, um sich eines verbrauchten Stoffes zu entledigen. Beides aber ist zur Unterhaltung des Lebens beider nötig.

Nach allem wird es freilich immer möglich bleiben zu sagen: ja, damit der Mensch Holz haben könne, mußte der Baum erst wachsen und sich fortpflanzen, und damit der Mensch Brot haben könne, mußte das Korn blühen und Früchte tragen, und damit der Mensch die Luft immer rein zum Atmen fände, mußte das Kraut darin ergrünen. Aber es wird immer ebenso möglich bleiben, es umzukehren und zu sagen, damit der Baum, das Getreide, das Kraut wachsen, grünen, blühen, Früchte tragen konnten, mußte der Mensch und das Tier erst den Dünger und die Kohlensäure der Luft produzieren, mußte der Mensch immer wieder das alte Holz verbrennen; mußten Mensch und Tier so wachsen und sich nähren, daß sie dies alles im Leben tun, und noch im Tode so geeignete Verwesungsprodukte für die Pflanzen liefern konnten. Nun würde es freilich jeder höchst töricht finden, im Ernst zu glauben, daß die schöne und kunstvolle Einrichtung des Menschen und Tieres nur dazu da sei, daß ihre Abfälle, Neben- und Zerstörungsprodukte den Pflanzen zugute kommen; aber sieht man denn nicht, daß es ganz ebenso töricht ist zu glauben, daß die Pflanzen so schön und kunstvoll eingerichtet und gebaut sind bloß deshalb, damit die Abfälle, Neben- und Zerstörungsprodukte dieses schönen Baues umgekehrt den Tieren zugute kommen, zumal da weit der meiste Nutzen derselben in Zerstörungsprodukten liegt. In der Tat aber ist dies die Betrachtungsweise, mit der wir uns gewöhnlich zufriedengestellt halten. Der Weinstock ist dazu da, damit wir seine Trauben zerquetschen; der Baum dazu da, daß wir ihn in Scheite zerhacken und in den Ofen stecken, der Kohl dazu da, daß ihn die Raupe frißt und wir ihn kochen. Oder wollen wir auf den ästhetischen Eindruck, den uns die Pflanzen doch lebend machen, noch viel Gewicht legen? Die Pflanzen erfreuen ja doch auch lebendig durch ihr Grünen und Blühen das Auge des Menschen. Aber wie viele Pflanzen vergehen, ohne überhaupt einen Eindruck auf ein menschliches Auge zu machen; und bevor der Mensch auf der Erde entstand, waren schon viele Jahrtausende durch Pflanzen auf der Erde gewachsen, deren Grün sicher kein ästhetisches Gefühl in den Mammuts und Höhlenbären erweckte. Und für was anderes erklärt man hiermit die Pflanzen als für geputzte Leichen oder übertünchte Gräber, indem man ihrer lebendigen äußern Erscheinung noch den Zweck beilegt, uns durch äußeren Putz zu erfreuen, indes ihr ganzer Inhalt nur der Zerstörung geweiht sei? Diese Betrachtungsweise erscheint mir so sinnlos, daß ich um ihrerwillen allein die Pflanze für nicht seelenlos halten möchte; auch ist unser natürliches Gefühl weit entfernt, darin einzustimmen, wie schon mehrfach erörtert.

Meint der Mensch, indem er sich kultiviert, die ganze Welt habe nichts weiter zu tun gehabt, als hierzu mitzuwirken, so hat er freilich in gewisser Beziehung recht. Aber die Rose, Georgine, die im Laufe dieser Kultur-Entwickelung aus einem rohen, einfachen Gewächs zu einer herrlichen prangenden Blume in tausend Varietäten erwachsen ist, hat wohl ebenso recht, wenn sie meint, alles und der Mensch selbst habe sich hierbei nur um ihre Kultur-Entwickelung gedreht; ohne den Menschen hätte es doch nie zu so schöner Fülle, so reicher Abwechselung bei ihr kommen können; der Mensch mußte sich kultivieren, um sie zu kultivieren. Auch das Korn des Feldes mag recht haben, wenn es meint, es sei alles nur darauf abgesehen gewesen, es zu seiner schön geordneten Gesellschaft Ähren zu bringen; der Mensch nur ein von der Natur hergerichtetes Werkzeug, den Pflug zu führen und den Acker zu seinen Gunsten zu bestellen, damit auf kleinstem Raum sich die größte Zahl Ähren unbeirrt von fremden Eindringlingen erhalten könne. Ja wird nicht vielleicht auch der Mensch selbst wieder von höheren Geistern so gesäet und gezogen wie die Georgine und das Ährenfeld; ist nicht der Tod das Abbrechen einer Blume, eine Schlacht das Mähen eines Feldes?

Ich denke, es ist mit Mensch und Tier und Pflanze nichts anders als mit Sonne, Erde und Mond. Der Mond erscheint als das der Bedeutung nach Untergeordnetste im Planetensysteme, wie die Pflanze im Systeme unserer irdischen organischen Welt. Aber wer auf dem Monde sieht, sieht doch die Erde und die Sonne sich um den Mond drehen, erblickt sich selber im Mittelpunkt des Ganzen. Wer auf der Sonne steht, sagt: du irrst; du, samt der Erde, drehst dich um mich. Aber sie irren beide, oder haben beide recht, wie man will. Im Grunde dreht sich jedes um das andere, je nachdem man den Standpunkt auf dem einen oder dem anderen nimmt; auf absolutem Standpunkte aber dreht sich eins so wenig um das andere wie das andere, sondern alles um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt, der die Totalität des ganzen Systems repräsentiert. So dreht sich alles Leben um Gott; aber Gott selbst repräsentiert in seiner Einheit das Leben und Weben all seiner Geschöpfe. Ein Schwerpunkt ist eben nichts ohne die Kraft, die alle Teile des Schweren gegeneinander zieht.

Mancher gründet seinen Glauben an der einstige Fortdauer der Menschenseele darauf, daß Gott doch wohl den Menschenleib nicht mit so außerordentlicher Kunst gebaut und mit solcher ins Kleinste gehenden Zweckmäßigkeit eingerichtet haben würde, wenn nicht zugunsten einer ewigen Seele; sonderbar, wenn man meinen kann, er habe den Pflanzenleib mit so großer Sorgfalt und Zweckmäßigkeit zugunsten sogar von gar keiner Seele eingerichtet.


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