Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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III. Die Nervenfrage.

Unleugbar, daß, wenn man nur jene eiweißartigen Fäden, die man Nerven nennt, in den Pflanzen entdeckte, die Schwierigkeit, ihnen Seele zuzugestehen, für viele sehr vermindert erscheinen würde. Nun schließt man freilich, daß Nerven zur Seele nötig sind, selbst zum Teil erst daraus, daß die seelenlos vorausgesetzten Pflanzen keine haben; doch ist es dieser Zirkelschluß nicht allein, der hier ins Spiel kommt; hauptsächlich vielmehr folgende Betrachtung:

Wenn man das, bekanntlich aus feinsten Nervenfasern zusammengesetzte, Gehirn eines Menschen oder Tieres zerstört, so zerstört man hiermit zugleich alle äußeren Bedingungen und Erscheinungen ihres Seelenlebens; desgleichen kann man durch Zerschneidung oder Zerstörung besonderer Nervenpartien das Vermögen zu besonderen Empfindungen aufheben. Geben aber die Tiere keine Zeichen von Seele und Empfindung mehr von sich, nachdem man ihre Nerven zerstört hat, so werden die Pflanzen von vornherein keine Seele und Empfindung haben können, da sie von vornherein keine Nerven haben. Die Nerven beweisen eben hiermit, daß sie, wenigstens in unserem irdischen diesseitigen Leben, wesentliche Bedingungen zum Beseeltsein oder Werkzeuge sind, welche die Seele braucht, sich unter den Bedingungen dieses Diesseits zu äußern.

Nichts mag triftiger scheinen als dieser Schluß, und nichts kann untriftiger sein.

Ich setze ihm folgenden entgegen: Wenn ich von einem Klavier, einer Violine, einer Laute, alle Saiten herunterreiße oder sie zerstöre, so ist es aus mit den Tönen dieser Instrumente; ich mag daran hämmern, klopfen, wie ich will: es entstehen ungeregelte Geräusche; ein eigentlicher Ton, gar eine melodische oder harmonische Folge oder Verknüpfung von Tönen läßt sich absolut nicht mehr hervorbringen; desgleichen läßt sich durch Wegreißen besonderer Saiten das Vermögen zu besonderen Tönen aufheben; offenbar sind also die Saiten wesentliche Bedingungen zur Erzeugung der Töne; sie sind sozusagen die Nerven jener Instrumente. Und hieraus folgt nun ganz eben so wie vorhin, daß die Flöte, Querpfeife, Orgel von vornherein der Töne, namentlich der melodischen und harmonischen Verbindung von Tönen, unfähig sind, weil sie ja von vornherein keine Saiten haben.

Der Vergleich ist infofern recht passend, als wir hier ein Mittel, objektiv Empfindungen zu erzeugen, mit Mitteln, subjektiv Empfindungen zu erzeugen, vergleichen, wobei sich ein gewisses Entsprechen vielleicht von vornherein voraussetzen läßt. Die Violine gibt andern, der Leib sich selbst Empfindungen durch ihr Spiel. Der Leib ist sozusagen eine Violine, die das innere Spiel ihrer Saiten selbst fühlt.

Nun aber, wenn ich sehe, daß die Flöte doch wirklich, trotz meines schönen Schlusses, Töne gibt, objektiv Empfindungen erzeugt, ohne Saiten zu haben, so weiß ich nicht, warum nicht auch die Pflanze subjektiv Empfindungen soll erzeugen können, ohne Nerven zu haben. Die Tiere könnten ja eben die Saiten-Instrumente, die Pflanzen Flöten-Instrumente der Empfindung sein. Dann würden freilich auch beider Empfindungen sich eben so subjektiv unterscheiden müssen wie die Empfindungen, welche Saiten- und Blas-Instrumente hervorbringen, sich objektiv unterscheiden; aber es könnten doch in beiden gleich laute und gleich melodisch oder harmonisch zu psychischer Einheit verknüpfte Empfindungen sein.

Es ist in der Tat nicht abzusehen, warum der Natur weniger mannigfaltige Mittel zu Gebote stehen sollten, selbstgefühlte Empfindungen hervorzubringen, als unserer Kunst zu Gebote stehen, von andern gefühlte Empfindungen hervorzubringen; da doch sonst die Natur in ihren Mitteln reicher und mannigfaltiger ist als wir; wir auch sonst sehen, wie die Natur denselben allgemeinen Zweck durch die größte Mannigfaltigkeit von Mitteln nach den verschiedensten Prinzipien zu erreichen liebt. Bei den Menschen, vierfüßigen Tieren, Vögeln bilden die Atemwerkzeuge einen nach einwärts, bei den Kiemen-Tieren einen nach auswärts gestülpten Baum; wir schreiten durch Fortsetzen der Beine fort; andere Geschöpfe schreiten durch Zusammenziehungen des Leibes fort, wie die Blutegel; andere haspeln sich durch Wimperbewegungen fort, wie viele Infusionstiere usw., was alles nach total verschiedenen Prinzipien erfolgt. Der ideelle Zweck, durch Ortsveränderungen zu erlangen, was zum Leben gebraucht wird, ist doch überall dabei der nämliche. Sollte nun wirklich die Natur so steif dabei stehen geblieben sein, geistige Organisation an leibliche Organisation bloß mittelst Nervenbanden zu knüpfen? Im Gegenteil, weil sie mir in diesem Falle ärmer und ratloser als gewöhnlich erschiene, erwarte ich, daß es neben den Tieren, wo sie den Plan der psychischen Organisation mit Hilfe von Nerven durchgeführt hat, noch ein anderes Gebiet geben wird, wo sie ihn in anderer Weise durchgeführt hat.

Was liegt denn überhaupt in der Eiweißmaterie der Nerven so Wundervolles, das sie allein zu Trägern oder Vermittlern von Seelentätigkeit geeignet machte? Mir scheint der Faserstoff der Pflanzen, wenn man einmal Fasern verlangt, ganz ebenso gut dazu geeignet; er wird nur eben für die Disposition der Pflanzen passender sein, und das Eiweiß für die der Tiere. Alles will in seinem Zusammenhange betrachtet sein. Auf der Sonne wird es weder Nerven von Eiweiß noch Faserstoff geben können, es würde alles verbrennen; vielleicht gibt es da solche von Platin. Vielleicht gibt es überhaupt da keine; denn die Nerven sind eben gewiß nur ein Mittel, in gegebenem Zusammenhange Empfindungen auf eine besondere Weise zu organisieren, was anderwärts durch andere Mittel vertreten werden kann. Einen rohen Klang gibt selbst der Klavierkasten ohne Saiten; ja gibt jeder Körper überhaupt beim Anstoß; so mag auch jede Bewegung in der Welt vielleicht etwas Psychisches an sich tragen; nun handelt es sich nur um die Bedingungen, dies so zu fügen, daß dieser Beitrag nicht bloß im allgemeinen göttlichen Leben aufgehe, sondern auch einem Geschöpf für sich zugute komme. Nach den Bedingungen hiervon werden wir noch besonders zu fragen haben; aber es ist von vornherein höchst unwahrscheinlich, daß bloß Nerven dazu tauglich sein sollten; ja daß überhaupt die Fadenform dazu wesentlich sei. Ist es wirklich wahr, daß die ganze Welt ein Träger, Ausdruck des göttlichen Geistes ist, so wird man ja fragen müssen, wo die Nerven Gottes laufen; und sehen wir, daß die fernen Weltkörper ohne lange Seile zwischen ihnen doch zu einem in sich einigen System durch Licht und Schwere verknüpft sind, so werden wir den unmittelbar übereinander gebauten Zellen der Pflanzen um so mehr ein zusammenhängendes Wirken, wie man es als Ausdruck des Wirkens einer Seele fordern muß, zutrauen können, da die Zeichen durch den ganzen Bau bezugsreich wirkender Kräfte ja augenfällig in der ganzen Gestaltung des Baues selbst zu Tage liegen.

Man kann der vorigen Analogie andere zur Seite stellen, die gleichen Sinnes mit ihr sind, und es mag nützlich sein, dies noch in einigen Beispielen zu tun. Wir sind nun einmal hier wesentlich an Analogien gewiesen, und läßt sich auch damit allein nichts beweisen, so läßt sich doch ein Gegenbeweis damit entkräften, und die Art, wie dieser Gegenstand zu fassen sein möchte, in verschiedener Form erläutern.

Die Flammen unserer Lampen und Lichter brennen mittelst Dochten, aus Fäden zusammengedreht. Unsere Seelenflammen auch. Die Sonne, eine Gasflamme, brennt ohne Docht. So wird es auch wohl Seelenflammen geben können, die ohne Dochte aus Fäden brennen. Lichter und Lampen mit Dochten haben freilich ihre Bequemlichkeit: sie lassen sich leicht allwärts hintragen, Gasflammen nicht; aber brennen diese deshalb weniger hell, und haben sie nicht auch ihrerseits Vorteile? So sind die Tiere tragbare, die Pflanzen feststehende Seelenlampen. Warum soll die Welt bloß mit tragbaren Lampen erleuchtet sein? Jeder große Saal ist sogar mehr mit festen als tragbaren Lampen erleuchtet; die Welt ist aber der größte Saal. Und in Wahrheit können wir die Seelen recht eigentlich mit Flammen vergleichen; weil ohne sie die Welt ganz dunkel wäre. Es ist eben wieder der Vergleich des Subjektiven mit dem Objektiven, wie bei den Instrumenten der Töne. Wie viele Mittel gibt es überhaupt, objektives Licht anzubringen und zu unterhalten, und nun wollen wir die Natur in der Freiheit, das subjektive Seelenlicht anzubringen und zu unterhalten, so ganz auf das enge Mittel der Nervendochte beschränken?

Die Kreuzspinne fängt ihren Raub mittelst eines Netzes aus feinen und langen Fäden; ohne das Netz weiß sie nichts zu fangen. Ähnlich mit unserer Seele. Nur mit einem Netze feiner Nervenfäden vermag sie Empfindungen zu fangen, indem sie belauscht, was aus der Außenwelt diese Fäden berührt. Aber brauchen deshalb alle Spinnen ein solches Netz, ihren Raub zu fangen? Mit nichten; es gibt solche, die ihn unmittelbar aus einem Hinterhalte ergreifen. So könnten also auch die Pflanzen ihre Empfindungen ohne Nervennetz unmittelbar zu ergreifen wissen. Wenn wir die Spinne in ihrem Loch nicht sehen, und kein Netz sehen, meinen wir freilich wohl auch, es sei bloß ein Loch und keine Spinne da. Aber das Netz macht nicht die Spinne; sondern die Spinne macht das Netz oder macht auch wohl kein Netz und kann deshalb doch noch eine Spinne sein.

Wenn Jemand im Wagen sitzt und fährt, braucht man nur die Stränge durchzuschneiden, wodurch die Pferde mit dem Wagen verbunden sind; so bleibt der Wagen stehen, die Pferde aber laufen wer weiß wohin. Ist aber deshalb eine verständige Beherrschung der Pferde, die ich hier der Beherrschung des Leibes durch eine Seele vergleiche, bloß mittelst langer Stränge möglich? Nur insofern wird es nötig sein, als der Lenker in einem abgesonderten Kasten sitzt, wie unser Geist, freilich nur sozusagen, im Gehirnkasten. Aber man lasse den Lenker sich auf das Pferd selbst setzen, so bedarf er nur der kurzen, wenig ins Auge fallenden Zügel, ja wenn er auf das Pferd recht mit Knien, Gerte und Zunge eingerichtet ist, bedarf er gar keiner Zügel. So könnten die Pflanzen nun auch Geschöpfe sein, wo der Reiter der Seele unmittelbar auf dem Gliederbaue des von ihm beherrschten Leibes säße, während er bei uns erst durch Stränge von einem abgesonderten Teile darauf wirkt.

Dergleichen Analogien ließen sich noch wie viele bringen! Und warum sollten sie, geschöpft wie sie sind aus dem allgemeinen Sachbestande der Natur, dem Gesichtspunkte beschränktester Analogie weichen müssen, nach dem man Seele in den Pflanzen vermißt, weil man Nerven, ein besonderes Mittel der Seele, in ihnen vermißt? — Man kann aber diesen Analogien noch durch eine viel direktere Betrachtung zu Hilfe kommen.

Wir sehen, daß Atmen, Säftelauf, Stoffwechsel, Ernährung in den Tieren nur mit Hilfe von Nerven, den sogenannten Ganglien-Nerven, vonstatten gehen; in den Pflanzen gibt es keine solchen Nerven; doch gehen Atmen, Säftelauf, Stoffwechsel, Ernährung noch so gut wie im Tiere vonstatten; ja es besteht, wie man meint, das ganze Leben der Pflanze eben nur darin. Kann aber die Pflanze ohne Nerven atmen und sich nähren, warum nicht auch empfinden? Man sieht eben hier auf das Deutlichste, ja unwiderleglich, daß in den Pflanzen vieles in andere Mittel gelegt ist, was bei den Tieren in Nerven-Wirksamkeit gelegt ist. Den Pflanzen gehen freilich, außer den Ganglien-Nerven, auch noch die Gehirn- und Rückenmarks-Nerven (Cerebrospinalnerven) ab, und nur an die Tätigkeit dieser pflegt man die Seelentätigkeit geknüpft zu halten; aber geht in den Pflanzen ohne Ganglien-Nerven etwas Sichtbares vor, was bei Tieren nur mit Ganglien-Nerven vor sich geht, warum sollte nicht auch ohne Cerebrospinalnerven etwas Unsichtbares in ihnen vor sich gehen können, was bei Tieren nur mit solchen vor sich geht?

Des Nähern halten wir das Nervensystem gewöhnlich dazu nütze, Behälter und Leiter irgend eines feinen unwägbaren materiellen Kraftsubstrats oder Agens zu sein, welches sozusagen das Mittelglied zwischen der Seele und dem gröberen Leibe bildet, mittelst dessen sich die Impulse von der Seele zum Körper forterstrecken und die Empfindungen vom Körper zurückerstrecken. Ich will diese Vorstellung hier weder verteidigen noch verwerfen; aber wollen wir sie gelten lassen, so ist gar keine Verlegenheit, das Spiel eines eben solchen Agens auch ohne Nerven in den Pflanzen wiederzufinden. Wir wissen zunächst gar nicht, wie die Pflanze das macht, mit ihrem verhältnismäßig einfachen Zellenbau Stärkemehl, Zucker, Gerbstoff, die verschiedensten Säuren, Alkaloide, Geruchstoffe, Farbstoffe, Gifte, Fette, Harze, Schleime usw. usw. aus unorganischen Stoffen zu erzeugen; jede Pflanze erzeugt etwas anderes mit einem andern Bau, ohne daß wir doch irgendwie begreifen können, wie die andere Anordnung von Zellen, Fasern, Röhren dies bewirken könne; ein sicherer Beweis, daß hier eben noch etwas mehr als bloß Fasern, Zellen, Röhren wirksam sind. Daß nun dies Mehr wirklich wenigstens mit in einem seinen unwägbaren Agens liege, dafür spricht der Umstand, daß schon bei den gewöhnlichen chemischen Erscheinungen, die außerhalb des Organismus vonstatten gehen, ein solches mit im Spiele ist; Elektrizität wird dabei teils erzeugt, teils wirkt die erzeugte auf den chemischen Prozeß zurück; und so wird es keine Schwierigkeit haben, vielmehr die größte Aufforderung vorliegen, auch bei den ungewöhnlichen chemischen Erscheinungen in den Pflanzen ein solches im Spiele vorauszusetzen, das (oder dessen Spiel) nur ebenso von dem Agens (oder Spiel), das die gewöhnlichen chemischen Erscheinungen beherrscht, sich unterscheiden mag, als beiderlei Erscheinungen selbst sich voneinander unterscheiden. Ist doch Grund zu glauben, daß auch die Erzeugung des Nerven-Agens, welcher Natur es immer sein mag, in den Tieren mit den darin vorgehenden chemischen Prozessen zusammenhängt, sowie darauf rückwirkt; so daß die Struktur und Anordnung des Nervensystems nur für die Verteilung und Verbreitung desselben von Bedeutung erscheint.

Also die Bedingungen der Erzeugung und des Spiels eines solchen feinen Agens, das der Seele als Mittelglied dienen könne, will man ein solches fordern, vermißt man im Pflanzenleibe ebenso wenig wie im Tierleibe; nur die Bedingungen einer geregelten Verbreitung oder Verteilung desselben, wie sie das geordnete Wirken einer Seele verlangt, könnten mit dem Nervensysteme zu fehlen scheinen. Aber da wir nicht im Geringsten wissen, was die Nerven selbst geeignet macht, das etwaige Nerven-Agens isoliert zu leiten, ja dies uns sogar bis jetzt schwer erklärlich scheint, so können Spiral- und andere Fasern der Pflanze ganz ebenso tauglich sein, ein ähnliches Agens isoliert zu leiten, wenn es, was wir noch sehr fraglich halten, solcher Leitung in ähnlichem Sinne wie im Tiere bedürfen sollte.

Im Grunde ist die ganze Annahme von einem unwägbaren Agens in den Nerven nur eine Hypothese, auf die wir freilich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus Erscheinungen schließen können; es hat aber hier kein Interesse, darauf zu fußen, sondern nur zu zeigen, daß, wenn man darauf fußen will, die Pflanzen die Bedingungen zu einem geordneten Spiele dieses Agens, wie man es der Seele nötig halten mag, so gut in sich haben wie die Tiere; will man aber für das Spiel eines solchen Agens das irgend andrer Kräfte substituieren, wird sich immer auch eine analoge Betrachtung darauf übertragen lassen.

Statt hierbei Voraussetzungen von etwas zugrunde zu legen, wovon wir gar nichts wissen, wäre es jedenfalls am besten, von Erfolgen rückzuschließen, die deutlich vor Augen liegen. Wir sehen doch ganz geordnete Erfolge in den Pflanzen. Die Säfte laufen in bestimmter Richtung, die Blüte steigt nach gewissen Regeln über der Pflanze auf, die Blätter setzen sich nach gewisser Regel im Umfang an; gewisse Zellenreihen füllen sich ordnungsmäßig mit diesen, andere mit jenen Stoffen; man betrachte auf manchem bunten Blütenblatte die ganz regelmäßigen Zeichnungen, welche beweisen, daß die farbigen Säfte ganz bestimmte Wege nehmen, oder die Farbenprozesse sich in ganz bestimmter Weise spezialisieren. Alles das spricht doch jedenfalls für ein geordnetes Spiel von Kräften, mögen diese Kräfte und ihre Träger heißen wie sie wollen; die Pflanze gibt darin dem Tier nichts nach; auch befolgt jede Pflanze eine andere Ordnung als die andere, wie jedes Tier mit anderm Nervensysteme, ungeachtet die Pflanze überhaupt keins hat. Also anstatt von Abwesenheit der Nerven auf Mangel an Ordnung der in der Pflanze waltenden Kräfte, wie sie auch heißen mögen, zu schließen, sollte man umgekehrt von dem Dasein der Ordnung auf ordnende Bedingungen dieser Kräfte schließen, und es sich dann nicht anfechten lassen, daß man diese doch noch nicht des Nähern kennt. Nur einen Beweis unserer Unwissenheit, nicht ihrer Abwesenheit kann man darin sehen.

Ich will nicht in Anschlag bringen, daß in manchen niedern Tieren, insbesondere den Polypen, denen Empfindung und willkürliche Bewegung beizulegen bisher noch niemand Anstand genommen, bisher auch noch keine Nerven haben entdeckt werden können. Unstreitig würde man entgegnen: sie werden schon noch einmal entdeckt werden; sie sind nur zu fein, durchsichtig, vereinzelt, als daß es bis jetzt gelungen wäre. Es mag wirklich so sein. Ich habe weder Grund noch Interesse, es zu bezweifeln. Dieselbe Ausflucht stände dann auch bei den Pflanzen offen; aber ich bin weit entfernt, sie zu gebrauchen; es bedarf ihrer nicht; die Ansicht, daß bloß mittelst Nerven Empfindung möglich sei, beruht überhaupt nur auf einer willkürlichen Hypothese oder dem Fehlschlusse: weil Nerven bei Tieren zur Empfindung nötig sind, sind sie überall dazu nötig. Was kann man dagegen haben, wenn ich den andern Schluß entgegensetze, weil die Pflanzen keine Nerven zur Empfindung haben, werden sie etwas anderes dazu haben. Ein Schluß ist so viel wert als der andere, d. h. keiner taugt für sich etwas; es kommt darauf an, wie man ihn ferner stützen kann.

Man könnte daran denken, und hat wirklich, besonders früherhin, viel daran gedacht, die Spiralfasern (Spiralgefäße) der Pflanzen zu Vertretern der Nerven zu machen. Oken sagt in seiner Naturphilosophie II. S. 112 geradezu: "Die Spiralfasern sind für die Pflanzen das, was die Nerven für das Tier sind. Sie können mit vollem Rechte Pflanzennerven heißen, und ich freue mich, sie in dieses Recht einsetzen zu dürfen. Sie bedingen die Bewegung und Erregung der organischen Prozesse" usw . — Ich meinerseits glaube nicht, daß bei dem ganz anders gearteten, ja, wie sich später herausstellen dürfte, in gewisser Hinsicht gerade entgegengesetzten Organisationsplane der Pflanzen gegen den der Tiere von wahrer Vertretung der Nerven durch irgend welche Organe die Rede sein kann; jede Analogie wird nur sehr unvollständig bleiben. Da es inzwischen bei aller Verschiedenheit doch auch eine Seite der Einstimmung zwischen beiden Organisationsplänen geben wird, so mag sich immer sagen lassen, die Spiralfasern seien das in den Pflanzen, was den Nervenfasern im Tiere noch am meisten entspricht; sei es auch, daß dies Entsprechen noch in geringerm Maße stattfinden mag, als zwischen den Pfeifen einer Orgel und den Saiten eines Klaviers, die sich in gewisser Hinsicht als tongebende Körper allerdings ganz in beiden Instrumenten zu entsprechen scheinen, von anderer Seite aber wieder gar nicht entsprechen, da der feste Körper der Pfeife gar nicht das Selbsttönende in der Orgel ist, während es doch die festen Saiten in dem Klavier sind; jene tönen nämlich bloß von der inwendigen Luft angestoßen etwas mit, während umgekehrt im Saiteninstrument die Luft von den Saiten angestoßen mittönt. Diese Unmöglichkeit einer reinen Durchführung der Analogie in Rücksicht genommen, kann es dann immer von Interesse sein, dieselbe doch so weit zu verfolgen wie tunlich, d. h. als die Data dazu in der Erfahrung selbst liegen. Und so findet man namentlich folgende Vergleichspunkte zwischen Spiralfasern und Nerven.

Die Spiralfasern, Spiralgefäße, der Pflanzen bilden sich gleich den Nervenfasern aus einer Verschmelzung aneinander gereihter Zellen und stellen, wie diese, eigentlich feine Röhrchen dar, nur daß sie im ausgebildeten Zustande bloß Luft führen, während die Nervenfasern oder Nervenröhrchen ein flüssiges Wesen zu enthalten scheinen. Die Spiralfasern erstrecken sich in einem kontinuierlichen Zusammenhange durch die Pflanze, verzweigen sich nie, sondern die größern Bündel geben bloß kleinere Bündel durch Abbeugen der Fasern von sich ab. Ihre Stellung ist zentral gegen die andern Arten Fasern und Zellen der Pflanze, indem jedes Spiralfaserbündel von solchen umschlossen wird, und zwar vorzugsweise von langgestreckten Zellen (Fasern), wie im Tiere es vorzugsweise Gefäße sind, die in der Nachbarschaft der Nerven laufen. Die Zahl und Anordnung der Spiralgefäßbündel ist charakteristisch und bedeutungsvoll für jede Pflanze, indem der Bau des Ganzen damit im Zusammenhange steht; sie treten im Ganzen um so mächtiger auf und schließen sich um so mehr zusammen, je höher die Stufe ist, auf der die Pflanze steht, während man in den niedersten Pflanzen nichts davon hat entdecken können. Eine wichtige Funktion muß ihnen nach ihrem eigentümlichen Bau und ihrer Stellung in der Pflanze wohl beigelegt werden; aber wie bei den Nerven der Tiere spricht sich diese in keiner materiellen Leistung unmittelbar deutlich aus. Die Pflanzenphysiologen von Fach sind höchst verschiedener Meinung darüber, und die Besonnensten geben zu, daß wir nichts darüber wissen.

Goethe sagt von den Spiralgefäßen in seiner Anzeige der Recherches sur la structure intime etc. par Dutrochet (Ges. Werke Bd. 55. S. II): "Die Spiralgefäße betrachten wir als die kleinsten Teile, welche dem Ganzen, dem sie angehören, vollkommen gleich sind und, als Homöomerien angesehen, ihm ihre Eigenheiten mitteilen und von demselben wieder Eigenschaft und Bestimmung erhalten. Es wird ihnen ein Selbstleben zugeschrieben, die Kraft, sich an und für sich einzeln zu bewegen und eine gewisse Richtung anzunehmen. Der vortreffliche Dutrochet nennt sie eine vitale Inkurvation. Diesen Geheimnissen näher zu treten, finden wir uns hier weiter nicht aufgefordert."

Auch wir finden uns diesen Geheimnissen näher zu treten hier weiter nicht aufgefordert. Man sieht jedenfalls, daß das hier vorliegende Naturgeheimnis, wie alle Naturgeheimnisse, auch der wunderlichen Auslegungen nicht ermangelt.

Stellen wir jetzt in den beiden folgenden Abschnitten dem anatomischen Gesichtspunkte einige teleologische und ästhetische Gesichtspunkte gegenüber, die, wenn auch in den allgemeinen Vorerörterungen (unter II.) schon flüchtig berührt, doch dort ihre volle Entwicklung nicht finden konnten. Mag man auch zuletzt wenig Beweisendes in Betrachtungen der Art finden, so scheint mir desto mehr Überzeugendes darin zu liegen. Jedenfalls war es in folgender Weise, daß sich mir selbst zuerst die Überzeugung entwickelte und entschied.


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