Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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I. Stellung der Aufgabe.

Aber es kann auch anders sein. Vielleicht wirkt die göttliche Seele in den Pflanzen als Teilen, Gliedern der allgemeinen Natur nur so mit, wie unsere Seele in irgend welchen einzelnen Gliedern unseres Leibes. Keins meiner Glieder fühlt doch voraussetzlich etwas für sich selber; nur ich, der Geist des Ganzen, fühle alles, was darin vorgeht. Und so gefaßt könnte auch von einer eigenen Seele der Pflanzen nicht die Rede sein, wenn nur Gott von dem wüßte, was in ihnen vorgeht, nicht sie selber.

So möchte also immerhin die Natur für allgemein und göttlich beseelt angesehen werden, und die Frage bliebe doch noch ganz unentschieden, ob auch die Pflanzen für sich selber als beseelt zu achten. Nur solche Beseelung aber meinen wir immer, wenn wir nach der Pflanzenseele fragen.

Natürlich muß die Frage, ob die Pflanzen beseelt sind, um so schärfer hervortreten, wenn man, wie es der gewöhnlichen Vorstellungsweise angemessener ist, von einer Beseelung der ganzen Natur abstrahiert oder gar sie leugnet. Dann erscheinen die beseelten Geschöpfe inmitten der übrigen Natur überhaupt nur wie Inseln im allgemeinen Ozean des seelenlos Toten; und es fragt sich noch entschiedener als vorhin: wollen wir die Pflanzen mit den Tieren und Menschen über diesen nächtlichen Ozean herausheben ins Seelenlichte oder mit Stein und Bein versenken in denselben?

Man sieht schon aus diesen flüchtigen Betrachtungen, die doch unsern Gegenstand so tief berühren, daß gleich die Vorerörterungen über denselben uns sehr weit zu führen drohen. Erörterungen über die allgemeinsten Verhältnisse von Gott und Natur, von Leib und Seele, scheinen vorausgehen zu müssen, um den Grund zu legen, genauere Bestimmungen über das, was unter Individualität, psychischer Einheit, Bewußtsein und dessen verschiedenen Stufen zu verstehen, von vorn herein sich nötig zu machen. Erst hiermit möchte die Aufgabe zum Angriff gründlich vorbereitet erscheinen. Aber wer ist nicht schon ermüdet von dergleichen Erörterungen, und wer würde zuletzt etwas damit gewonnen halten? In der Tat, wie viel Tiefsinniges bis jetzt in solchen Erörterungen gesagt worden ist, hat es doch viel mehr gedient, die Gegenstände derselben ins Dunkel zu vertiefen, als an klares Licht zu heben.

Dies in Rücksicht nehmend will ich lieber von vorn herein Verzicht auf solche Tiefe leisten und eher versuchen, zu ihr hinabzusteigen, so weit es eben gehen mag, als aus ihr hinaufzubauen. Man kann ja eine Blume auch wohl pflücken, ohne sie mit der Wurzel auszuheben, und gefällt die Blume, findet sich auch wohl noch der Spaten, der sie später aus der Tiefe hebt, zur dauernden Verpflanzung in das rechte Beet des Gartens.

Und so wird, mit Beiseitlassung des Verfolgs jener erst angeschlagenen Betrachtungen und aller weit rückgreifenden Diskussionen überhaupt, das Folgende nur ein Versuch sein, durch möglichst direkte Bezugnahme auf fachliche, an sich wenig streitige und der allgemeinen Fassung leicht zugängliche Gesichtspunkte, Antwort auf die Frage zu gewinnen, wie weit an eine ähnliche psychische Konstitution der Pflanzen wie der Tiere und unesrer selbst gedacht werden könne, ohne es überdies scharf bestimmen zu wollen und zu können, in wie weit wir die Tiere selbst uns in dieser Beziehung ähnlich zu denken haben. Ein Feld ganz klarer Betrachtungen kann überhaupt nicht da sein, wo wir es unternehmen, von dem Psychischen anderer Wesen als unserer selbst zu sprechen, außer in sofern wir sie uns ganz analog voraussetzen können, da doch niemandem etwas anderes als seine eigene Seele zu Gebote steht, um danach vorzustellen, wie es in einer fremden hergehen mag. Und wenn uns in betreff der Tiere der Umstand zustatten kommt, daß wir als auf höherer Stufe wohl glauben dürfen, das, was ihnen auf der niederen zukommt, mit einzuschließen, so ist es doch ein anderes, ob eine niedere Stufe, wie das tierisch Sinnliche, sich für sich zum Ganzen abschließt, oder als Basis einer höheren dient und in dieser erst ihren Abschluß findet.

Bescheiden wir uns also von vorn herein, mehr als annäherungsweis adäquate Vorstellungen über fremde Seelengebiete gewinnen zu können. Inzwischen kann ein Versuch von Interesse sein, es doch in solcher Annäherung so weit als möglich zu bringen.


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