Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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IX. Reizbewegungen der Pflanzen.

Berberis vulg. L

Man reize die voneinander klaffenden Lappen der Narbe (des Endteils vom Pistill) einer Martynia annua oder Bignonia radicans oder mancher Arten von Gratiola oder Mimulus (z. B. glutinosus, aurantiacus, guttatus) an der inneren Seite mit einer Nadel, einer Feder, oder lasse einen Tropfen Wasser darauf fallen; so schließt sich sogleich die Narbe und öffnet sich nach einiger Zeit von selbst wieder.

Man berühre die aus der Verwachsung von Pistill und Staubfäden gebildete, von Natur abwärts gekrümmte Genitaliensäule von Stylidium graminifolium, adnatum oder corymbosum. Bei der leisesten Berührung streckt sie den unteren Teil der Krümmung gerade und schnellt dadurch in die Höhe bis fast zur entgegengesetzten Seite, wonach sie langsam in ihre vorige Lage zurückkehrt.

Man berühre das gefiederte Blatt einer Sinnpflanze (Mimosa pudica) am verdickten Stielende, oder erschüttere das Blatt (oder die ganze Pflanze); so legt es seine Blättchen sogleich zusammen und neigt sich selbst rückwärts gegen den Stengel, (Eine empfindliche Sinnpflanze zog schon bei Erschütterung der Erde durch einen vorbeireitenden Reiter die Blätter wie erschreckt zusammen.) Allmählich kehrt auch hier die natürliche Lage von selbst zurück.

Es gibt noch mehr dergleichen Beispiele (wovon später); für jetzt genügen diese.

Wer die Seele der Pflanzen nur an groben Ähnlichkeiten mit dem Tierreiche zu fassen vermag, für den werden diese, den tierischen so ähnlichen, Reizbewegungen immer von besonderm Gewicht erscheinen. Schon die oberflächlichste Analogie läßt sie auf Empfindung deuten. Stellen wir unsrerseits das Gewicht dieser Analogie gegen das, was allgemeinere Betrachtungen für uns haben müssen, weit zurück und geben Gegnern zu, daß sie für sich allein wenig oder nichts beweisen könnten. Lassen sich doch, wenn man einmal keine Seele in den Pflanzen haben will, allerhand mechanische Erklärungsweisen auf diese Bewegungen anwenden, wie freilich ebenso gut auf die bei den Tieren analog vorkommenden, oder dieselben von einer sozusagen toten Lebenskraft abhängig machen, die freilich selbst nur ein toter Begriff ist. Wichtiger ist, daß solche Reizbewegungen im ganzen nur Ausnahmen im Pflanzenreich sind; und die Seele soll uns doch nicht bloß eine Ausnahme in diesem Reiche sein. Man muß aber die Gründe für die Pflanzenseele überhaupt nicht bloß einzeln, sondern im Zusammenhange fassen; und wenn allgemeinere Betrachtungen eine solche schon haben wahrscheinlich erscheinen lassen, so können dann an sich wenig beweisende Einzelheiten zu schlagender Unterstützung dienen. So, meine ich, verhält es sich mit jenen Reizbewegungen der Pflanzen.

Als die Gallier bei ihrem Einfalle in Rom die alten Senatoren am Markte still auf ihren Stühlen sitzen sahen (Liv. V. 41.), schienen ihnen dieselben auch gar keine lebendigen Wesen zu sein; so still saßen sie; bis einer den Papirius am Barte zupfte, da schlug dieser mit dem Stabe nach ihm. Nun zweifelte kein Gallier mehr. So, si licet magnis componere parva, ist es mit den Pflanzen. Es fehlt im Grunde nichts an den wesentlichen Zeichen der Beseelung, nur das Stillsitzen macht uns bedenklich. Wenn wir nun aber eine zupfen oder stechen, und sie schlägt plötzlich aus, so sollte uns das ebenso vollends überzeugen.

Schlägt nicht jede aus, nun so müssen wir uns erinnern, daß, auch wo es geschieht, es im Grunde schon mehr ist, als wir Verlangen können. Im allgemeinen sind die Pflanzen einmal nicht darauf eingerichtet, ihre Empfindungen in auffallenden Bewegungen kundzugeben; sie reagieren auf ihre Lebens- und Empfindungsreize in stillerer Weise durch die Art, wie sie ihr Wachstum, ihre Farbe, ihre Stoffbildung danach einrichten, wovon wir Beispiele genug kennen gelernt haben, und noch mehrere kennen lernen werden. Nun aber hat die Natur den Plan dessen, was sie dem Tier- und Pflanzenreiche zuerteilen wollen, bei allem Auseinanderhalten in der Hauptsache, ungewohnt und ungewillt, strenge Grenzen zu ziehen, auch wieder nach so mancher Beziehung verschränkt, wovon sich uns später (XII) noch viele Beispiele darbieten werden; und so finden wir hierzu im Grunde nur einen Beleg mehr in jener Weise, wie sich die Pflanze mitunter gegen Empfindungsreize benimmt. Im übrigen geben diese Bewegungen eine ganz gute Bestätigung der früheren Bemerkung, daß die Pflanze Nerven zu so manchem nicht nötig hat, wozu das Tier sie nötig hat. Denn in der Tat sind bei allen Reizbewegungen der Tiere die Nerven wesentlich und notwendig im Spiele. Bedarf aber die Pflanze der Nerven nicht zur Reizbewegung, so wird sie derselben auch nicht zur Reizempfindung bedürfen. — So sind uns diese Bewegungen doch in mehrfacher Beziehung von Bedeutung.

Freilich kann jemand sagen, der Umstand, daß diese Bewegungen ohne Nerven, wie ohne Muskeln, vor sich gehen, beweise gerade am besten, daß sie von den Reizbewegungen der Tiere ganz verschiedener Natur, mithin wenn diese, nicht auch jene auf Empfindung zu deuten sind. Und gewiß sind beide sehr verschieden in betreff der Mittel, wodurch sie zustande kommen. Aber soll ich nochmals wiederholen, was ich schon bei Erörterung der Nervenfrage gesagt, daß die Natur analoge Zwecke durch verschiedenste Mittel zu erreichen liebt? Erfolgt doch sogar die Reizbewegung der Polypen ohne überall nachweisbare Muskeln und Nerven; gibt es aber etwas dergleichen in ihnen, ist es dochvon dem, was bei höheren Tieren in der Reizbewegung tätig auftritt, sehr verschieden (vergl. Siebold, Vergl. Anat. I.31). Zuletzt sind Nerven und Muskeln ursprünglich doch auch nur aus Zellen gebildet wie die Gebilde, die bei der Reizbarkeit der Pflanzen beteiligt sind. Also so ganz verschieden sind nicht einmal die Mittel.

Was wichtiger sein muß als die Vergleichbarkeit der Mittel ist, daß die pflanzlichen Reizbewegungen jedenfalls alle wesentlichen vitalen Eigentümlichkeiten der tierischen zeigen. Gilt dann überhaupt Analogie, und was soll sonst hier gelten, so muß die Empfindung, die sich an die tierischen Reizbewegungen knüpft, auch für die so analogen pflanzlichen mitbeweisen. Betrachten wir also diese Übereinstimmung jetzt etwas näher.

1) Eine besondere Eigentümlichkeit der tierischen Reizbarkeit liegt darin, daß sie durch Reize der verschiedensten Art in ähnlicher Weise angesprochen wird. Eine Maschine bewegt sich zwar auch, wenn man sie anstößt, aber nicht, wenn man sie brennt, mit Schwefelsäure betupft, ihr einen elektrischen Schlag versetzt; dagegen zuckt ein Glied eines Tieres ungefähr auf dieselbe Art, welcher Reiz auch darauf einwirke; und der Sehnerv empfindet Licht, mag wirkliches Licht darauf wirken oder ein Schlag ins Auge getan werden. Ebenso ist es mit der Pflanzenreizbarkeit. Eine Sinnpflanze wird durch mechanische Erschütterungen, Verbrennung mittelst Feuer, chemische Reize verschiedenster Art, elektrische Funken, plötzlichen Zutritt vollen Sonnenlichts nach zuvorigem Aufenthalt im Halbdunkel, schnellen Übergang sowohl zur Hitze als zur Kälte, plötzliches Zulassen freier Luft nach längerem Verschluß zu denselben Bewegungen veranlaßt, nur daß solche nach Maßgabe der Stärke des Reizes und der Empfindlichkeit der Pflanzen stärker oder schwächer ausfallen und mehr oder minder weit sich erstrecken. Ähnlich mit anderen reizbaren Pflanzen (s. unten).

2) Eine durchgehende Übereinstimmung in der Wirkungsweise und Stärke derselben Reize wird man zwar zwischen Pflanzen und Tieren nicht erwarten können, da schon im Tierreiche selbst Verschiedenheiten in dieser Beziehung vorkommen. Aber an Beispielen bedeutungsvoller partieller Übereinstimmung fehlt es nicht. In dieser Beziehung erscheint besonders wichtig, daß der Galvanismus, dieser so eigentümliche Lebensreiz für Tiere, eine ähnliche Rolle (selbst in betreff der unterschiedenen Wirkung beider Pole) auch bei den reizbaren Pflanzen zu spielen vermag, und daß starke elektrische Schläge hier wie dort die Reizbarkeit vernichten.

Die Reizung der Pflanzen durch Galvanismus wird freilich durch das schlechte Leitungsvermögen der Pflanzen erschwert; daher mit einfachen Ketten nichts auszurichten; und selbst in betreff der Säulenwirkungen widersprechen sich die Beobachter; doch hat Nasse gezeigt (Gilberts Ann. XLI. 392), wie der Versuch an Berberis sicher und mit vollkommener Ausschließung alles mechanischen Reizes gelingt, nämlich so: Man bringt eine Berberisblume durch eine in ihren Stiel gesteckte Nadel mit dem positiven Pole einer Säule von etwa 40 Paaren in Verbindung oder stellt sie mit ihrem Stiele in ein Glas Wasser, in welches der Draht vom positiven Pole der Säule hinabhängt, und schiebt dann an das Blumenblatt des der Reizung auszusetzenden Staubfadens ein Stückchen feuchtes Papier an, wobei, falls man nur jeden Stoß und Druck vermeidet, alles noch durchaus ruhig bleibt. Dann legt man auf dieses Papierstückchen den Draht des negativen Pols leise auf. Sofort springt jetzt der zugehörige Staubfaden zum Pistill über, öfters auch die benachbarten Staubfäden zugleich oder in den nächsten Augenblicken. Die direkte leise Berührung des oberen Endes des Blumenblatts selbst mit dem negativen Poldrahte (unter Schluß der Kette) ohne Zwischenwirkung des Papiers hat bei reizbaren Staubfäden denselben Erfolg; weniger konstant ist der Erfolg, wenn die Fläche des Blumenblatts direkt berührt wird. Auch das Einbringen der Blume durch Narbe und Stiel in die Kette ist gewöhnlich fruchtlos. Eine umgekehrte Anwendung der Pole, wo nämlich der negative auf den Stiel, der positive auf das Blumenblatt wirkt, ist weniger wirksam; sofern dann bei Blumen, die bereits durch Versuche oder durch langes Stehen der Stiele in Wasser angegriffen sind, zuweilen nach Schließung der Kette die Bewegung ein- oder ein paarmal ausbleibt, oder auch wohl erst ein paar Augenblicke nach der Schließung eintritt. Dies entspricht der tierischen Muskelreizbarkeit infofern, als auch bei der gewöhnlichen Reizbarkeit an Froschschenkeln die Zuckungen lebhafter und dauernder sind, wenn das negative Metall an dem sich bewegenden Teile, das positive am Nerven anliegt. Eine Bewegung bei Trennung der Kette konnte, ebenfalls analog wie bei Froschschenkeln, nicht beobachtet werden. War die Berberisblume frisch gepflückt, wenigstens nicht durch wiederholte Reizung angegriffen, so brauchten die galvanisch gereizten Staubfäden nur 2 bis 2½ Min., um sich vom Pistill wieder zu entfernen und wieder reizbar zu sein.

Die Vernichtung pflanzlicher Reizbarkeit durch starke elektrische Schläge hat Humboldt an den Staubfäden von Berberis beobachtet (Verf. u. g. M. u. N. II. 195.), und Nasse einen ähnlichen Einfluß von Wasser und Weingeist auf die Reizbarkeit derselben wahrgenommen wie auf die der Froschschenkel. Die schwächende Wirkung narkotischer Gifte sollte man nach manchen Versuchen (z.B. von Miquel und von Dassen an Mimosa in Fror. Not. 1839. Mai. 207; Wiegm. Arch. 1838. II. 358; von Gärtner an Mimulus usw..) für entschieden halten, doch scheinen die Versuche von Göppert (in Pogg. Ann. XIV.) noch entschiedener dagegen zu sprechen; obwohl er einen geringen Einfluß auf Mimosa zugibt. Gewiß ist nach Versuchen von Marcet, Jäger, Göppert, Dassen, daß die Pflanzen durch Blausäure, Arsenik, Quecksilber, Kampfer u. a. (in Auflösung oder Dampfform auf verschiedentliche Weise angewendet) getötet werden. (Vergl. Treviranus, Physiol. II. 724; Bouchardat’s Versuche insbesondere, wo u. a. die große Schädlichkeit aller Quecksilber-Verbindungen selbst in kleinster Menge gezeigt wird, s. in Comptes rendus. 1843. 11. p. 112.)

3) Ein gereizter tierischer Teil kehrt bei Wegfall des Reizes allmählich von selbst zu seinem frühern Zustande zurück, doch langsamer als der Reizzustand eintritt. So schließt eine Auster gereizt ihre Schalen rasch, öffnet sie aber nur langsam; der grüne Polyp zieht sich gereizt rasch zusammen, streckt sich aber nur allmählich wieder. Dasselbe findet sich, und zwar ganz übereinstimmend, bei allen Reizbewegungen der Pflanzen. Die rasch bewegten Teile kehren von selbst, aber viel langsamer, in ihre vorige Lage zurück, als die Hinbewegung geschah.

4) Bei Tieren wird die Reizbarkeit durch öfter oder länger anhaltende Reizung abgestumpft oder erschöpft, durch Ruhe wieder hergestellt, sofern die Reizung nicht übertrieben worden. Ebenso bei allen reizbaren Pflanzen. Sogar Erscheinungen der Gewöhnung an Reize hat man bei Mimosa u. a. beobachtet.

Ein Berberisstaubfaden ist erst etwa 5 bis 8 Minuten, die Geschlechtssäule des Stylidium 12 bis 15 Minuten nach erfolgter Reizung aufs neue reizbar; durch wiederholte Reizung aber wird die Reizbarkeit ganz erschöpft. Auch bei einer Sinnpflanze erfolgen die Bewegungen um so langsamer und unvollständiger, je öfter nacheinander man dieselbe solche vollziehen ließ.

Was sich als Gewöhnung deuten läßt, sind Erscheinungen wie folgende: Desfontaines beobachtete an einer Sinnpflanze, die er mit sich im Wagen führte, daß sie durch die Erschütterung anfangs sich schloß, endlich aber, trotz der fortdauernden Bewegung des Fahrens, geöffnet blieb; als ob sie sich daran gewöhnt hätte. Nachdem der Wagen eine Zeitlang gehalten, und nun wieder fortfuhr, schlossen sich die Blätter abermals und öffneten sich dann während des Fahrens von neuem. Dassen wiederholte diesen Versuch, indem er eine Sinnpflanze ¾ Stunde lang in eine schaukelnde Bewegung brachte, wobei die Blätter sich schlossen, aber nach ½ Stunde sich wieder öffneten. Nach Beendigung dieses Versuchs waren die Blätter eine gute Stunde lang unbeweglich. Mit einem Male fingen alle Blätter an sich zu senken, und als sie sich dann wieder aufrichteten, war die Reizbarkeit in ihnen wieder hergestellt. Bei Dionaea muscipula scheint diese Gewöhnung nicht stattzufinden, da die Blattlappen sich nicht öffnen, solange das gefangene Insekt dazwischen bleibt. Morren beobachtete an dem reizbaren Griffel der Goldfussia anisophylla, daß, wenn man die Pflanze aus dem warmen Treibhause (25° R.) in ein kühles Zimmer (+2° bis 10° R.) brachte, längere Zelt die Reizbarkeit ganz verschwunden schien, nach 12 bis 48 Stunden aber hatte sich die Pflanze so an den kühlen Aufenthalt gewöhnt, daß nun dieselbe Reizbarkeit als in der Wärme stattfand.

5) Der Grad der Reizbarkeit der Tiere hängt teils vom Gesundheitszustande derselben ab, so daß er (abgesehen von manchen nervösen Krankheiten) mit der Lebenskräftigkeit derselben zunimmt, teils haben Alter, Geschlechtsverhältnisse, Jahreszeit, Witterung u. a. äußere Umstände großen Einfluß darauf. Und wieder ebenso bei den reizbaren Pflanzen.

Hegel (Naturphilosophie S. 480) sagt, um die Reizbewegungen der Pflanzen nicht auf Gefühl deuten zu müssen: "Die Äußerlichkeit der Ursachen dieser Reizbarkeit beweisen aber besonders die Beobachtungen von Medicus, daß mehrere Pflanzen der kälteren Himmelsstriche nachmittags und bei heißer trockner Witterung gar nicht, hingegen morgens nach starkem Tau und den ganzen Tag hindurch bei gelindem Regen sehr reizbar sind; daß Gewächse der wärmeren Klimate ihre Reizbarkeit nur bei heiterem Himmel äußern; und daß alle Pflanzen am reizbarsten sind, wenn der Samenstaub eben reift und das Pistill sich mit einem glänzenden Öle bedeckt." — Ich begreife inzwischen nicht wohl, wie man hierin Beweisgründe gegen eine Bedeutung der pflanzlichen Reizbewegungen für Gefühl oder Empfindung finden kann; da in all dem die pflanzliche Reizbarkeit nur der, sicher mit Empfindung in Beziehung stehenden, Reizbarkeit der Tiere (insbesondere der niedern) analog ist. Man erinnere sich z. B. an das verschiedene Verhalten der Froschpräparate je nach Jahreszeit und anderen Umständen bei galvanischen Versuchen.

Man könnte sich veranlaßt halten, Einwürfe gegen die psychische Bedeutung der pflanzlichen Reizbewegungen daher zu entnehmen, daß sie zu offen den Charakter physischer Notwendigkeit an sich tragen, und daß sie selbst noch an abgeschnittenen Pflanzenteilen (z. B. abgeschnittenen Zweigen der Sinnpflanze, abgeschnittenen Narben von Mimulus) vor sich gehen; wenn nicht, abgesehen von dem, was schon früher zur Erledigung ersteren Einwands gesagt worden, auch hierin nur Ähnlichkeiten mit tierischen Reizbewegungen lägen, welche sicher mit Empfindung in Beziehung stehen. Ein unvorhergesehener Lichtstrahl oder Nadelstich nötigt ja selbst unsern Augen, unsern Gliedmaßen so gut eine Zuckung und Empfindung ab als die Nadelspitze dem Berberisstaubfaden. Wille, wo er in Wirkung tritt, kann freilich jene Bewegung unterdrücken, aber er macht weder sie noch die Empfindung.

Bei kleinen Kindern, wo eigentlicher Wille überhaupt noch nicht in Kraft tritt, nehmen Reizbewegungen geradezu den Charakter unfreiwilliger Bewegungen an. Und Pflanzen verhalten sich auch sonst Kindern sehr analog (vergl. XV). "Beim leichten Reiben des Handrückens strecken sich bei kleinen Kindern alsbald die Finger, beim Reiben der Rückseite des Vorderarms die Arme und beim gleichen Verfahren am Schienbein die Beine, wogegen das Kitzeln der innern Hand eine augenblickliche Krümmung der Finger bewirkt." (V. d. Kolk in Fror. und Schleidens Not. Oct. 1847. No. 75. S. 135.)

Die Reizbewegungen an abgeschnittenen Pflanzenteilen andrerseits sind nur analog den Reizbewegungen, die auch an abgeschnittenen Froschschenkeln, Salamanderschwänzen usw. beobachtet werden können. Sofern man freilich voraussetzt, daß in den abgeschnittenen tierischen Teilen selbst keine Empfindung mehr walte, könnte man dies insofern gegen uns wenden, als man sagte, daß Reizbewegungen, wenn sie doch überhaupt ohne Empfindung vorkommen können, auch überhaupt nicht auf Empfindung deuten können. Und in der Tat werden Reizbewegungen an Pflanzenstücken so wenig auf Empfindung dieser Stücke deuten, als es bei Tierstücken der Fall; aber dann doch auch sicher ebensoviel an ganzen Pflanzen auf Empfindung dieser Pflanzen, als es bei ganzen Tieren der Fall. Man muß nur nicht schief vergleichen. Wir behaupten ja nicht, daß die Reizbewegung an sich Empfindung mache, sondern nur, daß sie im Zusammenhange des Organismus der Empfindung oder einem damit in Beziehung stehenden Triebe diene. Der Mechanismus dazu kann dann freilich auch noch in den abgetrennten Teilen übrig bleiben.

Hier zusatzweise noch einige nähere Notizen über die bis jetzt bekannten Beispiele pflanzlicher Reizbewegung:

Reizbewegungen an Staubfäden.

Außer am gemeinen Berberisstrauche hat man eine Reizbarkeit der Staubfäden wahrgenommen: bei den nordamerikanischen Berberisarten mit gefiederten Blättern, Berberis humilis und canadensis (Mahonia Nutt.); aber nicht bei anderen Berberideen, wie Epimedium, Leontice, Nandina; — bei einigen Gewächsen der Cactus- und Cisten-Familie namentlich: Opuntia vulgaris, ficus indica, tuna D.C.(Cactus opuntia, ficus indica, tuna), nach Medicus auch bei Cereus grandifl. hexagon. und peruvian., was jedoch Treviranus nicht bestätigt finden konnte; ferner Cistus helianthemum, apenninum und ledifolium (Helianthemum vulg., apenn. und ledifol.); bei den Zwitterblumen einiger Centaureen, namentlich Centaurea spinosa, ragusina, cineraria, glastifolia, eriophora, salmantica. Isnardi, pulchella Led. (bei letzterer fand Treviranus den Erfolg besonders auffallend); — endlich an Sparmannia afrioana (einer Titiacee). Über manche ganz interessante Erscheinungen an Staubfäden verschiedener Gewächse, die jedoch, statt von Reizbarkeit, worauf sie wohl geschoben worden, von mechanischen oder anderen Ursachen abhängen, (an Parietaria, Chenopodium, Atriplex, Spinacia, Urtica, Humulus, Morus, Forskalea, Genista, Spartium, Indigofera, Medicago, Kalmia u. a.) Vergl. Treviranus, Physiol. II. 739. (Gegen Nasse’s Versuche an Parietaria und Urtica insbes. vergl. Wiegm. Arch. 1836. II. 100.)

Die Staubfäden des gemeinen Berberisstrauchs lassen sich noch in Bewegung setzen, wenn man ihnen auch den obern Teil abgeschnitten oder von der Blume das Pistill, die Kelch- und Blumenblätter weggenommen hat. Verhindert man sie in dem Augenblicke, wo man sie reizt, an der Äußerung ihrer Bewegung, so bleiben sie auch nachher unverändert in ihrer ersten Stellung.

Bei den Gewächsen der Cactus- und Cistenfamilie gestaltet sich die Reizbarkeit so, daß, wenn man mit einem Strohhalme oder dem Barte einer Feder quer über die Filamente streicht oder auf sie bläst, dieselben eine langsam drehende und krümmende Bewegung machen, welche immer nach der entgegengesetzten Richtung als die, welche der Stoß ihnen erteilt hat, erfolgt. Diese Bewegung ist desto lebhafter, je wärmer bis auf einen gewissen Grad die Atmosphäre ist, hat aber doch nicht dieselbe Schnelligkeit wie bei Berberis und wird auch nicht durch bloße Erschütterung hervorgebracht. — Die Reizbarkeit der Centaureen zeigt sich am lebhaftesten an Scheibenblümchen, welche eben erst aufgeblüht sind. Die Filamente ziehen sich hier bei Berührung der Antheren zusammen; nicht immer gleich, sondern erst eine oder etliche Sekunden nach erfolgter Berührung, und kehren nach einiger Zeit, aber ganz allmählich, in ihre vorige Stellung zurück, wonach sich die Reizung mit Erfolg wiederholen läßt. Auch hier begünstigt Wärme der Luft die Reizbarkeit. (Treviranus, Physiol.)

Morren unterscheidet näher 5 Bewegungen an den Blüten der Centaureen: "l) Wenn man die Blümchen vor dem Hervorkommen der Stigmate leicht berührt, so machen sie eine Bewegung nach dem Mittelpunkte der zusammengesetzten Blüte und zurück. 2) Dann geschieht ein Herauswerfen des Pollen. 3) Die Stigmate dringen hervor. 4) Berührt man nun leicht die Blüten oder die Stigmate, so machen sie eine drehende Bewegung. 5) Reizt man endlich die Stigmate, so zieht sich die Antherenröhre nieder und steigt dann wieder aufwärts. Die erste Bewegung rührt von einer Verkürzung der inneren Fäden der Staubfäden her, die an das Blümchen angewachsen sind, und das Blümchen mit dem Pistill fortziehen. Die zweite und dritte werden durch das Nachwachsen des Griffels hervorgebracht; die vierte ist ebenfalls eine Folge der Verkürzung der angewachsenen Staubfäden, die nacheinander erfolgt, und so ist es auch die fünfte. In allen diesen Fällen sind es also die Staubfäden, welche durch ihre Reizbarkeit die Bewegungen hervorbringen." (Wiegm. Arch. 1844. II. S. 128.)

Reizbewegungen des Pistills.

An der bloßen Narbe des Pistills sind Reizbewegungen namentlich bei mehreren Gattungen der Personatenfamilie mit zweilippiger Narbe beobachtet worden, wovon oben (Martynia annua, Bignonia radicans, und die Geschlechter Gratiola und Mimulus (in ihren meisten Arten) mit kurzer Beschreibung der Erscheinungen genannt sind. Medicus will diese Reizbarkeit auch an der zweilippigen Narbe von Lobelia syphilitica, crinoides und crinus bemerkt haben, zu welcher Beobachtung jedoch, wie er selbst gesteht, eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit gehört. Außerdem sind Reizbewegungen noch an der Narbe von Goldfussia anisophylla und Goodenia, an der Genitaliensäule von S tylidium und den kappenförmigen Anhängen am Ovarium bei Pinus larix (Lärchenbaum) beobachtet worden. Überall scheint diese Reizbarkeit mit dem Befruchtungsakt in Beziehung zu stehen. Bei den zweilippigen Narben der Personaten ist dies infofern der Fall, als der Pollen, auf die Narbe gelangend, ihr Schließen bewirkt und festgehalten wird, wobei nach Dons Ansicht der Druck auf den flüssigen Inhalt des zum Schlauche auswachsenden Pollen beitragen soll, diesen Inhalt bis zum Eichen herabzutreiben (?).

Über die Reizbarkeit der Narbe von Mimulus hat Gärtner neuerdings besonders sorgfältige Versuche angestellt. (Gärtner, Versuche und Beobachtungen über die Befruchtungsorgane in den vollk. Gewächsen. Stuttgart. 1844.) Abgeschnitten und in feuchtem Sande erhalten verhielt sie sich ebenso wie unabgeschnitten. Erschütterung wirkt nicht darauf, wohl aber chemische Reize, wie Schwefelsäure. Durch Morphinöl oder Strychninöl (Gemisch aus Morphin oder Strychnin mit Öl) wird die Reizbarkeit geschwächt und endlich zerstört. Die Kastration hatte auf die Reizbarkeit keinen weitern Einfluß, als daß dadurch die Dauer der Blume und so auch der Narbe verlängert wurde. Eine Einwirkung des eigenen Pollens auf die Reizbarkeit findet nur zur Zeit der Konzeptionsfähigkeit statt; chemische Reize wirken aber auch außer dieser Zeit.

Bei Goldfussia anisophylla (sonst Ruellia anisophylla) sieht man, wenn die Blüte sich öffnet, das Ende des Griffels, der die Form eines oben zum Haken umgebogenen zugespitzten Drahtes hat, über die Staubfäden hinaus gekrümmt, so daß die Narbe, welche sich nur auf einer Seite des Griffels in einer gewissen Länge von der Spitze an forterstreckt, konvex nach dem Himmel gerichtet, und die Konkavität des Hakens gegen die Staubfäden gewendet ist. Wenn aber irgend etwas den Griffel berührt, oder man darauf bläst oder die Pflanze erschüttert, oder sie rasch aus warmer (25° R.) in kalte (-2° R.) Luft bringt, so richtet sich das gekrümmte Ende des Griffels ganz gerade auf, bald so gerade wie ein Pfeil, bald etwas gekrümmt wie ein Flamberg; zuweilen (doch selten) zeigt der Griffel auch eine seitliche Bewegung, nach rechts oder links, nach vorn oder nach hinten. Ja bei großer Wärme krümmt sich der gereizte Griffel sogar in einem Bogen nach der entgegengesetzten Seite, so daß dann der Griffel mit feiner Narbenfläche fast unmittelbar auf der Korolle liegt. Bis zur Rückkehr in die freiwillige ursprüngliche Lage vergeht wohl über ¼ Stunde. Der Versuch läßt sich oft erneuern. Die Empfindlichkeit des Griffels beginnt nicht früher als beim Öffnen der Antheren und dauert so lange, bis die Blume verblüht ist. Sie zeigt sich an abgeschnittenen Blumen, ja selbst an isolierten Griffeln, so gut, als wenn sie noch an der Pflanze sind, Helligkeit oder Dunkelheit macht keinen Unterschied im Gelingen des Versuchs. Der Zweck der Reizbewegung ist offenbar die Ausführung der Bestäubung, wie später (XI) näher zu erörtern. Eine freiwillige Bewegung konnte nicht wahrgenommen werden. (Nouv. Mém. de l'Acad. de Bruxelles. 1839.)

Bei der Gattung Stylidium, deren Reizbewegungen oben s.o. kurz angeführt sind, ist die Säule, welche sich mit zwei Antheren und der Narbe endigt, als eine Verwachsung zweier Filamente zu betrachten, welche einen Griffel einschließen. Sie hat eine doppelte S förmige Krümmung und ist im natürlichen Zustande an der untern Seite des Blumenrandes herabgebogen. Morren’s Untersuchungen über Stylid. graminifolium ergaben näher folgendes: Die Bewegung des Säulchens findet bloß vermöge der Beweglichkeit der Krümmung an der Basis desselben statt. Im Knospenzustande zeigt sich die Reizbarkeit noch nicht; sie beginnt nicht vor der Öffnung der Antheren und zeigt sich mit voller Kraft erst dann, wenn sie angefangen haben, sich nach den Seiten zurückzuschlagen, was sie während der Befruchtungszeit tun. Wenn der Antherenapparat verwelkt ist, hört die Reizbarkeit auf. In der Regel erfolgt die Bewegung nur nach Reizung; doch an sehr heißen Tagen, besonders zur Mittagszeit, sah Morren auch öfters, daß sich das Säulchen von freien Stücken aufrichtete (langsam, in etwa ½ Min., während bei Reizung sehr schnell) und auch wieder von selbst in seine vorige Stellung zurückkehrte. Ist das Säulchen einmal aufgerichtet, so sucht man es vergebens in seine Tieflage zurückzuführen; es schnellt durch Elastizität von selbst wieder in die Höhe. Die Reizbarkeit besteht auch an abgeschnittenen Säulchen, ja selbst an dem aus dem Säulchen herausgeschnittenen Krümmungsstück der Basis unverändert fort. (Nouv. Mém. de l'Acad. de Brux. 1838.)

Über die Reizbarkeit der kappenförmigen Anhänge, welche an der Basis der Ovarien des Lärchenbaums (Pinus larix) sitzen (von Don, wie es scheint fälschlich, für Stigmate gehalten), berichtet Don wie folgt: "Ich nahm einen Zweig mit nicht befruchteten Blüten, schüttelte den Pollenstaub der männlichen Kätzchen eines anderen Zweiges darüber aus, fand darauf die Stigmate vollkommen mit Pollen gefüllt, und konnte nun leicht bemerken, wie die Wände des Stigma sich allmählich bis zu vollkommenem Zusammenschluß zusammenzogen; was offenbar den Zweck hat, auf den flüssigen Inhalt der Pollenbläschen zu drücken und denselben durch den engen Gang bis zum Eichen zu treiben. Nach erfolgter Befruchtung erweitern sich die Wände des Stigma wieder; bald darauf verwelkt es und zeigt sich nun mit den leeren Pollenbläschen gefüllt. Schneidet man einen Zweig mit weiblichen Blüten vor der Befruchtung ab, so erstaunt man, zu sehen, wie lange das Stigma offen und in vollkommenem Zustande bleibt." (Ann. des sc. nat. 1828. XIII. 83.)

Reizbewegungen anderer Blütenteile.

Bei der, mit Stylidium zu einer natürlichen Familie gehörenden, gleichfalls neuholländischen Gattung Leeuwenhoekia ist das, Gelenk, wodurch der fünfte Zipfel der Krone mit deren Rohr artikuliert, reizbar, so daß er, berührt oder sonst gereizt, seine natürliche gesenkte Stellung verläßt, sich schnell aufrichtet und mit seiner ausgehöhlten Platte die unbewegliche Genitaliensäule bedeckt. Auch bei der Gattung Caleya scheint die Lippe einige Reizbarkeit zu besitzen, sowie bei einigen Arten von Pterostylis und bei Megaclinium falcatum Lindl. — Bei mehreren Arten des Mesembryanthemum richten sich die Blumenblätter auf, wenn man einen Wassertropfen auf die Staubfaden bringt. — Bei Bellis perennis läßt sich ebenfalls ein plötzliches Ausrichten der Strahlenblättchen hervorbringen; aber nur nach dem stärkeren Eindruck des Äthers. Die glockenförmige Blume von Ypomoea sensitiva schließt sich nach Turpin sofort durch Einfaltung bei der geringsten Berührung ihrer Nerven. — An Oenothera tetraptera beobachtete Hedwig ein plötzliches Verwelken der ihrem Aufbrechen nahen Blumenkrone, wenn er mit einem Messerchen den Kelchteil, der sie noch einhüllte, behutsam aufgeschlitzt hatte.

Reizbewegungen an Blättern.

Von Pflanzen mit einfachen reizbaren Blättern ist bis jetzt nur Dionaea muscipula bekannt. Pflanzen mit zusammengesetzten reizbaren Blättern kommen, soviel man bis jetzt weiß, nur unter den Oxalideen und Leguminosen vor. Von 33 bis 36 hierher gehörigen Pflanzen, welche bekannt sind, hat man bisher näher nur die Bewegungserscheinungen von Oxalis sensitiva, Averrhoa carambola, und am sorgfältigsten die von Mimosa pudica oder der Sinnpflanze untersucht. Bei manchen ist die Reizbarkeit nur träge. Hier ein Verzeichnis der bis jetzt bekannten:

I. Oxalideen: Averrhoa Bilimbi L., A. carambola L., Oxalis sensitiva L., 0. stricta, 0. acetosella, 0. corniculata, 0. purpurea, 0.carnosa, 0. Deppei (letztere sechs nach Morren) . — II. Leguminosen: Aspalathus persica Burm. — Nauclea pudica Desc. — Aeschynomene sensitiva Swartz, A. indica L., A. pumila L. — Smithia sensitiva Ait. — Mimosa casta L., M. peruambucana L. (Desmauthus diffusus Willd.), M. asperata L., M. pigra L., M. quadrivalvis L, (Schrankia aculeata Willd.), M. pudica L., M. sensitiva L., M. viva L. Willd. — Desmanthus lacustris Dec., D. natans Willd., D. stolonifer Dec., D. triquetris Dec., D. plenus Willd., D. polyphyllus Willd. — Acacia acanthocarpa Willd. Hierzu noch nach Schreber zwei nicht genau bestimmte Arten von Aeschynomene und nach Decandolle eine Acacia vom Senegal. (Wiegm. Arch. 1838. I. 347. 1840. II. 162.) — Nach Mohl schließen sich auch bei Robinia pseudacacia, viscosa und hispida durch Schütteln der Äste die Blättchen einigermaßen. Er glaubt, daß diese Reizbarkeit des Pflanzengewebes allgemeiner sei, als man früher geglaubt. (Botan. Zeit. 1832. II. 497.)

Im allgemeinen lieben alle bekannten Pflanzen mit reizbaren Blättern die feuchtesten Orte; einige, wie die Desmanthus-Arten sind geradezu Wasserpflanzen. Alle, mit Ausnahme der in den wärmern Gegenden der gemäßigten Zone vorkommenden Dionaea gehören der heißen Zone an. Die meisten sind Kräuter, wenige Sträucher und Bäume. Alle Reize bringen bei den reizbaren Blättern nur ein Schließen, nie ein Öffnen hervor. Bei zusammengesetzten reizbaren Blättern treten dieselben Richtungen, welche durch Reize verursacht werden können, auch im Schlafzustande von freien Stücken ein.

Dionaea muscipula kommt sparsam in den Sümpfen Nordamerikas vor. Die Blätter liegen in Rosenform ausgebreitet um den Blumenstengel her am Boden und haben am vordern Ende einen durch einen Einschnitt an seinem Ende in zwei halbovale Lappen geteilten rundlichen, rötlich gefärbten Anhang, der fast nur durch die Mittelrippe mit dem übrigen Blatt verbunden ist. Derselbe ist dicht mit kleinen, etwas fleischigen Drüsen besetzt; außerdem sind die Lappen nicht nur an ihrem Rande mit borstigen Wimpern versehen, sondern jeder derselben hat auch in der Mitte seiner Oberfläche drei aufrechtstehende sehr kleine Stacheln. Die Oberfläche der Lappen schwitzt aus den Drüsen einen Saft aus, welcher Insekten anlockt, deren einige sehr begierig danach zu sein scheinen. Kaum aber hat sich ein Insekt auf die gewöhnlich ausgebreiteten Blattanhänge oder Lappen der Dionaea gesetzt, so klappen diese (in wenigen Sekunden) oberwärts zusammen; die Wimpern ihrer Ränder kreuzen sich ineinander, und die Stacheln tragen bei, das Tierchen festzuhalten. Je mehr das Insekt sich sträubt, desto stärker schließen die Lappen sich aneinander; nur wenn es sich bewegungslos verhält, öffnen sie sich wieder, und es wird wieder frei, wenn es nicht indes gestorben ist. Dieselbe Wirkung, welche durch den Reiz eines Insekts hervorgebracht wird, wird aber auch ebenso durch Berührung mit dem Finger, einem Strohhalme oder den Blättern benachbarter Pflanzen erzeugt. Curtis fand zuweilen, daß die gefangene Fliege in einer schleimigen Substanz eingehüllt war, welche als ein auflösendes Mittel auf dieselbe zu wirken schien, wonach er vermutet, daß das gefangene Insekt zur Ernährung der Pflanze diene. Die Reizbarkeit der Pflanze steht mit der Temperatur der Luft in Verhältnis. Auch bei Drosera rotundifolia und longifolia will man Ähnliches wie bei Dionaea beobachtet haben; nur viel langsamere Bewegungen; doch konnten andere diese Erscheinung hier nicht bestätigt finden.

Oxalis sensitiva ist in Amboina u. a. Teilen Indiens gemein. Die abrupt gefiederten, ungefähr 12 paar eiförmige Blättchen zählenden Blätter dieser Pflanze legen sich bei Berührung oder Aufwerfen einiger Sandkörner so zusammen, daß die unteren Flächen beider Seiten aneinander stoßen, worauf sie bei aufhörender Reizung sich nach einiger Zeit wieder aufrichten. Sie schließen sich schon, wenn man sich der Pflanze nähert und den Erdboden erschüttert. Auch des Nachts und an regnerischen Tagen sind sie geschlossen. Des Morgens sind sie im Zustande der stärksten Erektion und nicht so empfindlich gegen mechanische Reize, als um Mittag, wo sie sich schon bei bloßem Anhauchen zusammenlegen.

Averrhoa carambola ist ein in Bengalen, auf den Molukken und Philippinen der Früchte wegen angepflanzter Baum. Die Reizbarkeit der gefiederten Blätter ist hier von trägerer Art, so daß sie gewöhnlich erst einige Minuten nach dem Reize erfolgt. Die Blättchen senken sich, wenn man den Blattstiel berührt, herab, so daß die von entgegengesetzten Seiten sich mit ihrer Unterfläche beinahe berühren.

Mimosa pudica, Sinnpflanze, mit doppelt gefiederten Blättern. Die Blättchen, die Blatt-rippen, der Hauptblattstiel, selbst der Zweig, haben jedes seine besondere Bewegung, die ebensowohl vermöge des gewöhnlichen Pflanzenschlafs eintritt, als infolge von Reizen entstehen kann. Die der Blättchen besteht darin, daß sie sich nach vorn dachziegelförmig übereinander legen, die der Blattrippen, daß sie sich einander nähern, die des Blattstiels, daß er sich rückwärts dem Stengel anlegt, und die der Zweige, daß sie sich mit der Spitze neigen. In diesem Zustande der Zusammenziehung befindet sich die Pflanze von selbst um Mitternacht; im Zustande der höchsten Expansion dagegen, wo alle Teile voneinander entfernt sind, an heißen Sommertagen des Vormittags bei hellem Sonnenlicht. Jede der genannten Bewegungen kann infolge von Reizen zwar auch ohne die anderen eintreten, indes gilt dies vorzugsweise von der Bewegung der Blättchen und Blattrippen, indem die Blattstiele sich selten bewegen, ohne jene mit in Tätigkeit zu ziehen. Von dem unmittelbar mechanisch gereizten Teile geht die Zusammenziehung aus und pflanzt sich auf desto mehr größere oder kleinere fort, je stärker die Reizung war. Die Zeit, deren ein Blatt bedarf, um den Zustand der Ausbreitung herzustellen, wechselt von weniger als 10 Min. bis zu ½ Stunde; dies Öffnen geht nicht mit solcher regelmäßigen Folge der Teile vonstatten als das Schließen. Die Reizbarkeit hat ihren Sitz vorzugsweise in dem Gelenke, wodurch jedes Blättchen der Blattrippe, jede der Blattrippen dem Hauptblattstiele und dieser dem Zweige verbunden ist; eine leise Berührung desselben, insonderheit eines weißen Punktes an der Artikulation jedes Blättchens mit der Blattrippe, reicht hin, die Wirkung hervorzubringen; dagegen bewirkt Berührung der Blätter nur infofern die Zusammenziehung, als sie mit einer Erschütterung verbunden ist, die sich zu den Gelenken fortpflanzt.

Abgeschnittene Zweige, zumal mit der Schnittfläche in Wasser gesetzt, behalten ihre Reizbarkeit. Auch im nächtlichen Schlafe ist die Pflanze noch reizbar; selbst unter Wasser öffnet und schließt sie sich noch, obwohl langsamer. In der Luft und des Tages aber bewegt sie sich am lebhaftesten und zwar um so mehr, je kräftiger sie ist und je höher die Lufttemperatur ist.

Daß (wie Decandolle behauptet) bereits die Samenlappen der keimenden M. pud. reizbar seien, fand Dassen nicht bestätigt; auch besitzen junge Blätter, bevor sie die dunkelgrüne Farbe der älteren angenommen, wenig Beweglichkeit. Gelbgewordene Blätter sind nicht sehr reizbar, was aber weniger bei Anwendung mechanischer als chemischer Reize bemerkbar wird (Dassen). Bei Entwickelung neuer Blätter und beim Blühen vermindert sich die Beweglichkeit in den nächststehenden Blättern merklich; beim Reifen der Früchte hören die Bewegungen auf.

Angewandte Reize erstrecken ihre Wirkung oft weit über den Ort ihrer Anwendung, was besonders deutlich ist, wenn man ein Blättchen sacht brennt; denn viel weiter, als die Wärme reicht, legen sich die Blätter zusammen. Diese Fortpflanzung der Wirkung erfordert Zeit, indem sich die vom Reize entfernten Blätter später zusammenlegen als die nähern. Nach Dutrochet beträgt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Blattstielen 8 bis 15 mm in l Sek., im Stengel höchstens 2 bis 3 mm; nach Dassen jedoch ist keine so genaue Bestimmung möglich.

Über die mannigfachen Reize, auf welche die Sinnpflanze reagiert, s. oben. Der Einfluß eines und desselben Reizes ist aber im Grade verschieden nach dem verschiedenen Zustande der Sinnpflanze, daher die oft abweichenden Angaben der Beobachter. Mechanische Reize durch Verwundung haben (nach Dassen) keine Bewegung zur Folge, es sei denn, daß sie mit Saftverlust oder Erschütterung verbunden sind, wie man denn beim Einschneiden in ein Blatt oft Bewegung entstehen sieht, nicht aber, wenn dies mit einer scharfen Schere vorsichtig geschieht Als wirksame chemische Reize hat man u. a. erkannt: Chlor, Ammoniakflüssigkeit, salpetrige Säure, schweflige Säure, Schwefeläther, ätherische Öle, als Dampf oder Flüssigkeit mit den Blättern der Mimosa pudica in Berührung gebracht. Sie können ihre Einwirkung sehr weit erstrecken. So kann man dadurch, daß man eine starke Säure vorsichtig auf ein Blättchen bringt, ohne damit eine Erschütterung zu verbinden, bewirken, daß alle nahestehenden Blätter sich schließen. Kampfer vernichtet die Empfindlichkeit und tötet die Pflanze, ohne daß die Blätter sich schließen. — Verbrennung durch Feuer ist einer der kräftigsten Reize. Dassen bediente sich dazu, als besonders zweckmäßig, dünner, mit Wachs getränkter Baumwollenfäden. Mit der sehr kleinen Flamme derselben konnte er junge Blätter zur Bewegung bringen, welche auf keine andere Weise zu bewegen waren. Nach dem plötzlichen Zutritt einer Kälte, die unter dem Gefrierpunkte war, zu einem Zweige einer Sinnpflanze sahen du Fay und Duhamel diesen sich mit seinen Blättchen erst stärker als vorhin öffnen, dann sich sehr schnell schließen und wieder öffnen. — Galvanismus scheint, wegen schlechter Leitung der Pflanze, nur schwierig einzuwirken, daher die Beobachter sich in diesem Bezuge widersprechen.

Verbrennt man die Wurzeln mit konzentrierter Schwefelsäure oder einer Flamme, so entsteht nicht die geringste Bewegung in den Blättern (Dassen), wohl aber, wenn man verdünnte Schwefelsäure anwendet (Dutrochet), wo noch Aufsaugung möglich ist.

Alles, was dem Leben der Pflanze nachteilig ist, z. B. das Untertauchen derselben unter Wasser, das Bestreichen der Blätter mit Öl oder Weingeist, die verdünnte Luft einer Luftpumpe, eine zu kalte wie zu warme Atmosphäre, längere Entziehung von Luft, Gifte verschiedener Art, das kohlensaure, salpetersaure und Stickgas, schwächen oder zerstören auch die Reizbarkeit. Durch Gifte wird die Mimosa getötet, bevor die Blätter durch das Gift erreicht werden, und "so kann man (sagt Dassen) dessen Wirkung nur aus seiner Wirkung auf die ganze Pflanze erklären, die verschieden nach den Giften ist, da bei narkotischen die Glieder schlaff, bei korrosiven Giften steif werden". Überall bemerkt man dabei, daß die natürlichen Bewegungen (durch Schlafen und Wachen) erst später als die Reizbewegungen verschwinden. (Vergl. von neueren Versuchen über Mim. pudica: Meyen in S. Physiologie III. 473; Dassen in Wiegm. Arch. 1838.1. 349; Miquel in Fror, N. Not. no. 9 des X. Bandes. Göppert in Pogg. Ann. 1828. XIV. 252.)


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