Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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XIV. Näheres über die Konstitution der Pflanzenseele.

Diese Andeutungen gingen dahin, den Pflanzen ein reich entwickeltes Sinnesleben zuzuschreiben, ein entwickelteres sogar als den Tieren; mit Versagung aber höherer geistiger Befähigung.

Eine solche Auffassung des Pflanzenseelenlebens läßt von vornherein manche Einwände, im Verfolg aber manche Ausführungen zu.

Wie, kann man sagen, ist nicht das, was wir für die Stufe der Pflanze unter der des Tieres erklären, vielmehr die Stufe des Tiers unter der des Menschen? Das Tier ist gegen den Menschen um Vernunft und Verstand verkürzt; was bleibt ihm also wie Sinnlichkeit; dasselbe, was wir auch bloß der Pflanze lassen wollen. Nach uns selber aber soll die Pflanze das Tier vielmehr ergänzen als wiederholen.

Aber das Tier ist in der Tat kein so rein sinnliches Wesen, als wofür man es gern erklärt. Was den Tieren gegen uns fehlt, ist freilich Vernunft, Selbstbewußtsein, das Vermögen, allgemeine Beziehungen geistig zusammenzufassen, die Fähigkeit über sich selbst nachzudenken, bewußte Schlüsse zu machen; aber haben sie nicht noch Erinnerungen an Vergangenes, Vorblick des Zukünftigen, die, auch wo bezüglich auf Sinnliches, doch immer nicht selbst etwas Sinnliches sind; denn das Sinnliche geht bloß mit der Gegenwart. Wer glaubt nicht, daß eine Katze, zum Taubenschlage schleichend, sich schon zuvor vorstellt, was sie da tun will, und sich der Tauben erinnert, die sie da hineinfliegen sah? Kann aber Vernunft, Selbstreflexion verkümmert werden und noch Seele kraftvoll und lebendig bestehen, warum nicht auch jener Vor- und Rückblick? Dadurch erst kommen wir auf die für uns denkbare unterste Stufe des Bewußtseins. Und hat die Natur in den Tieren das Niederste mit dem Höheren ohne das Höchste mannigfaltig nach den verschiedensten Richtungen dargestellt, so liegt von selbst die Vermutung nahe, daß sie sich auch zur selbständigen Darstellung des Niedersten für sich ein besonderes Reich vorbehalten haben werde. Die Systematik der Natur scheint diese selbständige Ausbildung zu fordern; die verhältnismäßige Einfachheit der Pflanzen genügt ihr.

Aber, sagt man, das Wesen des Seelenlebens besteht doch gerade darin, zeitliche Beziehungen zu vorwärts und rückwärts in sich zu tragen und zu setzen; sie wegfallen lassen, heißt das Seelenleben selbst wegfallen lassen. Eine Seelenstufe wie die, auf welche wir die Pflanzen stellen wollen, kann nach der eigensten Natur der Seele nicht existieren.

Aber man verwechselt zweies. Zwar schließt jeder bewußte Vor- und Rückblick in die Zeit auch zeitliche Beziehungen der Seele ein, aber nicht umgekehrt bedarf es für die Seele eines solchen Vor- und Rückblicks, um sich in zeitlichen Beziehungen lebendig zu erweisen.

Gesetzt, jemand schaukelt sich, so denkt er mit Bewußtsein weder an die vergangene noch die kommende Bewegung, doch fühlt er die Bewegung des Schaukelns in einem unbewußten Bezuge zwischen vor und nach.

Eines anderen Seele wird gewiegt, getragen vom Flusse einer Melodie. Er denkt mit Bewußtsein weder an die vergangenen noch die kommenden Töne; doch spinnt sich der kontinuierliche Faden eines empfundenen Bezuges von den vergangenen Tönen durch die Gegenwart schon in der Richtung nach den folgenden fort.

Könnte also nicht auch das Pflanzenseelenleben so im Flusse sinnlicher Empfindungen dahin wogen, ohne Spiegelbilder von vor- oder rückwärts in der Zeit mitzuführen?

Bei uns freilich kann vor- oder rückgreifende Reflexion in jedem Augenblicke zu solch sinnlichem Seelenspiel hinzutreten; aber sie muß es nicht. Warum soll es nun nicht Wesen geben können, bei denen sie es auch nicht kann, nachdem es schon Wesen gibt, bei denen der noch höhere allgemeinere Umblick, durch den viele Erinnerungen auf einmal verknüpft werden, zurücktritt?

Kurz, wenn wir fragen, was für die Pflanze noch abzustreifen übrig bleibt, nachdem schon das Tier die Vernunft abgestreift hat, so liegt hier etwas vor, dessen Abstreifung sogar noch nötig ist, um die Seele in ihrer einfachsten faltenlosen Weise sich darstellen zu lassen. Und wenn wir, wie es der Fall ist, die Zeichen von Vorblick und Erinnerung an der Pflanze wirklich vermissen, so haben wir deshalb nicht, wie es gewöhnlich geschieht, die Seele bei ihr zu vermissen; sondern vermißten wir jene Zeichen nicht, so würden wir vielmehr eine mögliche Seelenstufe vermissen.

Daß wir den Pflanzen früherhin Instinkte zugesprochen, widerspricht dem nicht, daß wir ihnen jetzt den Vorblick in die Zukunft absprechen. Denn auch die Instinkte der Menschen und Tiere haben, insoweit sie reine Instinkte sind, zwar Bezug auf Zukünftiges; aber nichts von einem entwickelten Bewußtsein des Zukünftigen, auf welche sie sich richten. Oder wer glaubte wohl, daß eine Raupe sich einspönne mit Bewußtsein dessen, weshalb sie nach der Absicht der Natur es tut; daß ein neugebornes Kind, ehe es das erstemal Milch gekostet, sich die Milch schon vorstellte, die es verlangt, und die Bewegungen, die es machen muß, um dazu zu gelangen. Ein gegenwärtig gefühltes Bedürfnis ist es vielmehr, was es dazu treibt; die Natur hat über das Kind und seine Verhältnisse, innerlich und äußerlich, psychisch und physisch, so eingerichtet, daß das Kind, ohne selbst zu wissen wie, wodurch, eben zu den Handlungen dadurch getrieben wird, welche zur Erfüllung dieses Bedürfnisses führen. Erst nach einmal genossener Milch, einmal vollbrachter Handlung, wodurch es zum Zwecke gelangte, wird es sich nun derselben erinnern und diese Erinnerung auch für seine künftigen Handlungen nutzen können; weil es doch einmal das Vermögen dazu hat.

So bildet sich überhaupt, nach Maßgabe wie der Mensch erwächst, der Vor- und Rückblick und, infolgedessen, das eigentliche Vor- und Nachdenken, das Ansichselbstdenken und das verständige Wollen immer mehr aus, entfernt er sich immer mehr vom ersten Anfangszustande des reinen Aufgehens im Flusse sinnlicher Empfindungen und instinktartiger Triebe, indem jede an sich und anderen gemachte Erfahrung das Vermögen bewußter Wiederkehr und bewußter Anwendung auf ähnliche Verhältnisse hinterläßt. Doch sehen wir, daß der Mensch sich jenem Zustande des reinen Aufgehens im Flusse sinnlicher Empfindungen und Triebe zeitweise sehr wieder nähern, auf kurze Zeit wohl ganz wieder darein zurücksinken kann; sehen ferner, daß verschiedene Menschen je nach ihrem verschiedenen Bildungszustande, sich überhaupt nur in sehr verschiedene Höhe über ihn erheben, ein Botokude verhältnismäßig wenig, ein Philosoph sehr viel. Diese tatsächliche Relativität ins Auge fassend können wir dann leicht vermeiden, absolute Grenzen in der Stellung der verschiedenen Wesen zueinander zu ziehen, welche die Natur nirgends anerkennt, indem wir sagen: die Tiere sind solche Wesen, wo das Selbstbewußtsein zum Minimum, die Pflanzen solche, wo noch überdies der bewußte Vor- und Rückblick in die Zeit, und alles, was daran hängt, zum Minimum herabgekommen oder vielmehr noch nicht erwacht ist, indem die Bedingungen zur Entwickelung fehlen; es dahinstellend, ob nicht die einen und anderen Wesen auch Anklänge aus dem höheren Gebiete haben; was ich in der Tat glaube, ohne daß zunächst etwas darauf ankommt, es behaupten und durchführen zu wollen. Gewiß bleibt bloß, daß, wenn der Mensch zeitweise die höheren Vermögen auf ein Minimum herabdrücken, schlafen lassen kann, ohne daß seine Seele darum aufhört, in niederen Tätigkeiten sich zu äußern, ja wenn er als neugebornes Kind sogar damit beginnt, auch Wesen denkbar sein müssen, wo ein solcher Zustand dauernd ist, die Entwicklung gar nicht oder doch unverhältnismäßig weniger zu einer höheren Stufe gedeiht. Hiermit ist dann eine zunehmende Entwickelung innerhalb der Stufe des Sinneslebens und Treibens selbst nicht ausgeschlossen.

Der voraussetzliche Mangel an Vor- und Rückblick in die Zeit bei den Pflanzen steht unstreitig in teleologischer Beziehung zu ihrer festen Stellung im Raume und ihren demgemäß beschränkten Lebensverhältnissen, worauf ich schon früher hingewiesen. Das Tier muß in die Zeit vorblicken können, weil es weit abliegende Zwecke im Raume zu verfolgen hat, soll die Bewegung nicht des Ziel verfehlen. Instinkte können nur auf ein für allemal bestimmte Lebensverhältnisse berechnet sein; — was hälfe dem Kinde der Instinkt, die Brust zu suchen, wenn nicht jedesmal eine Brust sich darböte; — sie reichen aber nicht mehr aus, wo die Verhältnisse so wechseln wie beim erwachsenen Tiere. Die Pflanze bleibt, sozusagen, immer an die Mutterbrust geheftet; ihr würde der Vor- und Umblick nur als eine zerstreuende Zugabe erteilt worden sein. Die Natur aber greift ebensowenig über das Erfordernis des Zweckes hinaus, als sie dahinter zurückbleibt.

Der organische Grund des Mangels an Vor- und Rückblick andrerseits mag bei der Pflanze mit dem Mangel eigentlicher Kreislaufsphänomene zusammenhängen, der seinerseits wieder am Mangel von Nervensystem und Gefäßsystem hängt. Es kehrt in ihr nichts in sich selbst zurück. Alles, was sie von außen aufnimmt, wird nur Grund, daß sie noch mehr von außen aufzunehmen trachtet, und daß sie es anders wie bisher aufzunehmen trachtet; und dieser Kausalbezug des Früheren zum Späteren reicht hin, einen psychischen Fortbezug des Psychischen, welches sich daran knüpft, zu unterhalten; aber von reflektierten Funktionen im Physischen ist nichts sichtbar, welche sich als Ausdruck oder Träger entsprechender psychischer darstellten.

Mit den Erinnerungen und den Vorblicken in die Zukunft muß der Pflanze freilich noch manches andere fehlen; alles namentlich fehlen, was sich selbst erst auf dem Grunde von solchen aufbaut. Hierher gehört das ganze eigentliche Vorstellungsleben, nicht allein das Denken an und über Dinge, die außer ihr wären, sondern bis zu gewissen Grenzen auch die Vorstellungen von solchen selbst.

Man kann leicht veranlaßt sein, das Gewicht hierbei auf einen falschen Punkt zu legen, den nämlich, daß die Pflanze wegen Mangels an Augen keine Bilder von Gegenständen der Außenwelt zu empfangen vermag. Aber auch mittels des Ohres, das doch keine Bilder liefert, lassen sich gegenständliche Vorstellungen von Dingen gewinnen. Der Blindgeborene weiß ja so gut von einer äußeren Welt der Dinge wie der Sehende, und hat, frisch operiert, anfangs keinen Gewinn von dem Bilde dieser Welt, das in seine Augen fällt. Statt mit objektiven Vorstellungen daraus bereichert zu werden, verwirren sich ihm nur die vorhandenen; er muß die Augen schließen, um sich noch so gut wie vorher zurechtzufinden. Die Welt erscheint seinem Auge anfangs nur wie eine marmorierte Farbentafel, worin Farbe eben nur Farbe, Linie nur Linie bedeutet, der grüne Fleck noch keinen Wald, der rote noch keine Rose vorstellt. Man kann sagen, die Bilder, die in sein Auge fallen, bilden ihm anfangs noch nichts ab. Woran hängt das nun? Daran, daß er noch nichts von Erinnerungen hat hineintragen lernen. Nicht das Grün, das ich am Walde sehe, macht ihn zum Walde oder ist mehr als ein kleiner Beitrag dazu; sondern daß er wächst, Schatten, Kühlung, Feuerung gibt, der Vogel darin singt, der Jäger darin geht; was alles nicht in dem bloßen Anblick des grünen Fleckes liegt. Erst indem sich ein Gesamteindruck von Erinnerungen an dies und dergleichen der Anschauung des grünen Fleckes zugefügt, das sinnliche Bild noch einmal mit dieser geistigen Farbe ausgemalt wird, wird aus dem sinnlichen Eindrucke des grünen Fleckes die objektive Vorstellung eines mir gegenständlichen Waldes. Hat aber ein Wesen keine Erinnerungen, so kann es auch keine an die Eindrücke knüpfen, die es empfängt. Und so ist nicht sowohl der Mangel an Augen Grund, daß die Pflanze keine objektiven Vorstellungen hat, als vielmehr die sonst begründete Unmöglichkeit, solche zu haben, unter den Gründen zählen mag, daß ihr keine Augen gegeben sind, da die Bilder der Gegenstände doch erst durch ihre Deutung mittelst Erinnerungen Bedeutung und Nutzen gewinnen können. Möchte die Welt sich immerhin auf einem Teile der Pflanze ebenso abbilden wie auf der Netzhaut unseres Auges, und die Pflanze ebenso wie wir der Farben und Zeichnungen dieses Bildes gewahren; es würde für sie ebenso unverstanden bleiben wie dem frisch operierten Blinden, und da sie es auch nicht verstehen lernen würde, so war es natürlich kürzer, das Bild und die Camera obscura dazu wegzulassen, um das Sonnenlicht frisch weg auf die nackte Pflanze scheinen zu lassen, und damit andere Vorteile zu erreichen, die sich an die größere Einfachheit knüpfen. Jede Komplikation schadet, wo sie nicht nutzt.

Nun erhebt sich leicht der Einwand, ein so aller gegenständlichen Vorstellung bares, dem Wechsel äußerer Einwirkungen dahingegebenes Seelenleben könne überhaupt gar nicht als ein individuelles selbständiges gedacht werden, sondern führe zur Vorstellung eines Aufgehens im Flusse der Allgemeinbeseelung zurück. Aber halten wir uns nur, anstatt an willkürliche Voraussetzungen, an das, was wir an uns selbst erfahren können. Ich denke, wir werden dabei sicherer fahren, als wenn wir uns auf Konstruktionen a priori im Kopfe verlassen. Freilich reine Erfahrungen lassen sich an uns selbst nicht machen, weil wir selbst nicht so rein sinnliche Wesen, als voraussetzlich die Pflanzen, sind. Aber indem wir bei uns selbst zusehen, was wächst und abnimmt oder unverändert bleibt, je nachdem die Seite der Sinnlichkeit wächst oder abnimmt, können wir wohl einen Schluß machen, was bei dem, wenn auch von uns gar nicht erreichbaren, Extrem eintreten muß.

Ein handgreifliches Beispiel mag uns führen. Denken wir uns mehrere Menschen, beispielsweise Hegelsche Philosophen, im Philosophieren, und ihnen gegenüber mehrere andere, beispielsweise Hottentotten, im Schmausen begriffen. Jene sollen sich in Betrachtungen über Anfang und Ende der ganzen Welt vertiefen, also geistig so weit rück-, vor- und um sich blicken wie nur möglich; diese ganz im sinnlichen Genusse des Essens und Trinkens aufgehen. Nun wird man allerdings sagen können, die Hottentotten geben sich ungleich mehr der Außenwelt hin als die Philosophen; denn Essen und Trinken ist gewiß etwas sehr Äußerliches gegen das Denken; aber doch nicht im geringsten mehr als aufgelöste hin wie diese. Vielmehr hat jeder Hottentott seinen sinnlichen Genuß noch ganz ebenso für sich wie jeder Hegelianer seine philosophischen Gedanken, fühlt sich noch ganz ebenso als ein Wesen für sich. Der eine Hottentott schmeckt nichts unmittelbar mit von dem, was der andere schmeckt, und der eine Hegelianer weiß nichts unmittelbar von dem, was der andere weiß. Das steht sich ganz gleich. Und auch ohne daß sich der Hottentott je selbst sagte, ich schmecke, würde etwas in ihm sein, was schmeckt, und etwas, was niemand anderes mitschmeckt. Wer zweifelt, daß es auch bei Tieren so ist? Die Scheidung der Individualitäten hängt also gar nicht an der Höhe ihres Geistigen.

Man gehe nun bei den Pflanzen auf die Grenze; lasse sie im Sinnesleben dauernd so aufgehen, wie es der sinnlichste Mensch vielleicht selbst zeitweise nicht ganz kann; so werden sie doch, da am Sinnlicherwerden überhaupt keine Einbuße der Individualität hängt, auch ihrerseits keine Einbuße daran erfahren können.

Hiergegen sagt man etwa: was den Hottentotten bei ihrem Mahle die Individualität erhält, ist doch noch nicht in ihrer bloßen Sinnlichkeit gegeben, sondern ist etwas darüber Hinaus- reichendes, zwar während des tierischen Genusses nicht actu, d. i. in wirklicher Äußerung, aber doch potentia, d. i. der Möglichkeit der Äußerung nach Vorhandenes, sofern es sich unter anderen Umständen bei ihnen äußern könnte und würde. Die Hottentotten und selbst die Tiere sind doch einmal mehr als rein sinnliche Wesen, und nur durch dies Höhere heben sie sich los vom Grunde der Allgemeinbeseelung. Nun jawohl, in diesem Sinne behaupte ich aber auch, daß die Pflanzen mehr als rein sinnliche Wesen sind; potentia kann man soviel Höheres in ihnen suchen, wie man will; es bedürfte bloß noch des Hinzutrittes der inneren und äußeren Umstände, die auch beim Hottentotten noch zutreten müssen, damit einmal das Höhere sich deutlich bei ihm äußere. Das Sinnliche läßt sich überall als Basis eines Höhern fassen, was, wenn nicht actu, doch potentia da ist. Ich meine nur, daß das actu, was schon bei Hottentotten schwach und selten, bei den Pflanzen nun so schwach und selten wie möglich auftritt. Spuren, momentanes Erwachen mag sogar da sein; die Natur schneidet nichts absolut ab; und ich behaupte also auch nicht, daß der Pflanze das Höhere glatt weggeschnitten ist, wie man einer Pflanze die Blüte glatt wegschneiden kann, sondern nur, daß diese Blüte bei ihr in noch unentfalteter, selten oder kaum sich öffnender Knospe geblieben ist, indes der Blattwuchs der Sinnlichkeit kräftig wuchert. Weil ich aber überhaupt nicht viel vom Hinterhalte der potentia halte, wenn es auf Darstellung dessen ankommt, was ist, nicht was beim denkbaren Zutritt von Bedingungen sein könnte, so erkläre ich auch die Pflanzen für so ziemlich rein sinnliche Wesen. Potentia würde zuletzt nichts hindern, selbst einem Steine noch Vernunft beizulegen.

Individualität ist im vorigen durch bestimmte Merkmale charakterisiert. Möglich, daß der Begriff manches Philosophen von Individualität damit nicht stimmt. Es kommt aber hier überhaupt nicht darauf an, eine bestimmte Definition der Individuatität aufstellen oder widerlegen, sondern nur eben die hier damit bezeichnete Sache für die Pflanze retten zu wollen, welche eben die sein dürfte, um die sich das Interesse bei dieser Frage wirklich dreht. Wer ein höheres selbstbewußtes Geistiges zur Individualität von vornherein verlangt, wird sie freilich bei der Pflanze nicht finden können; aber doch noch ein für sich empfindendes Wesen darin finden können.

Fragt man: was konnte es für Zweck und Bedeutung haben, Wesen in die Welt zu setzen, die weder über sich, noch über ihre Zukunft oder Vergangenheit nachdenken können, dem Flusse sinnlicher Empfindungen und Triebe willenlos preisgegeben sind, so stände eine ganz analoge Frage offen für die Tiere. Denn wenn auch die Vorstellungen der Tiere weiter und klarer in die Zeit vor- und rückgreifen als die der Pflanzen, so erscheint das doch auch so wenig eigentlich vernünftig und verständig, daß wir, den Wert des Geistigen bloß nach dem Vernünftigen und Verständigen bemessend, die Tiere für ebenso törichte Zugaben zur Welt halten müßten wie die Pflanzen. Die Sache gewinnt gleich eine andere Bedeutung, wenn man die Seelen der Tiere und Pflanzen nicht bloß als Individuen einander gegenüber faßt, was sie freilich auch sind, und die Welt als Sammlung solcher Individuen einem Gott außer ihnen gegenüber, sondern die ganzen Seelen der Pflanzen und Tiere als untergeordnete Momente von Gottes Seele selbst ansteht, verknüpft in seiner allgemeinen Einheit; weil dann aller Reichtum und alle Mannigfaltigkeit dieser Seelen Gott zugute kommt, nicht so aber ihre Torheit ihn trifft, die sie bloß als vereinzelte Individuen einander selber gegenüber, und abgesehen von ihrer Verknüpfung in Gott gedacht, haben. Und was könnte auch beweisen oder zwingen anzunehmen, daß, wenn wir uns so zersplittert gegeneinander fühlen, dieselbe Zersplitterung für Gott besteht, in dem alle Splitter wie Fasern eines lebendigen Baumes zusammenhängen?

Das Vorige soll eigentlich nur gegen mancherlei mäkelnde Einwürfe dartun, daß die selbständige Existenz einer Seelenstufe, wie wir sie für die der Pflanze halten, überhaupt möglich sei und in den Plan eines allgemeinen Seelenreichs passe. Daß aber diese Seelenstufe auch wirklich die der Pflanze sei, wird durch die Gesamtheit der früheren Erörterungen wahrscheinlich. Wir haben ebenso mannigfaltige und, wie uns dünkt, vollgültige Zeichen eines sinnlichen Seelenlebens bei den Pflanzen gefunden, als wir andrerseits auf kein Zeichen, das höher hinaufwiese, gestoßen sind.

Auf Näheres eingehend finden wir nach den allgemeinsten Verhältnissen, welche im Wesen der Seele selbst gegründet sind, Übereinstimmung, im übrigen aber die durchgreifendsten Verschiedenheiten zwischen dem Seelenleben der Pflanzen und dem der Tiere; Verschiedenheiten, die hauptsächlich daran hängen, daß die Pflanze auf die Sinnlichkeit ganz, das Tier nur teilweise oder in mehr untergeordnetem Grade angewiesen ist. Stellt dies nun die Pflanze im ganzen niedriger als das Tier, so stellt es doch die Sinnlichkeit der Pflanze höher als die des Tieres; weil sie eben hier die Bedeutung der vollen Lebenssphäre annimmt, beim Tiere nur die einer untergeordneten Seite. Die Sinnlichkeit des Tieres ist die dienende, oft nur zu schmutzige Magd einer höheren Herrschaft, die Sinnlichkeit der Pflanze ein freies Landmädchen, das seinen Topf hat und sich selber kocht und sich um ihren Putz dabei noch kümmert.

Allen Zeichen nach zu schließen, hat das Sinnesleben der Pflanze mit dem des Tieres die doppelte Seite der Empfindungen und Triebe gemein, auch werden die Triebe in ähnlicher Weise hier wie dort durch Empfindungen angeregt oder ausgelöst. Wir sehen die Pflanze auf den Reiz von Nahrungsstoffen, Luft, Licht, Stützen usw. Knospen, Blätter, Blüten, Zweige treiben, sich drehen, biegen, winden, ihre Blüten sich öffnen, schließen usw. Das ganze Wechselspiel von Empfindungen und Trieben stellt sich aber als ein viel einfacheres in den Pflanzen als in den Tieren dar, womit die viel einfachere Gesetzlichkeit desselben zusammenhängt. Der teleologische Grund davon liegt in den beschränkten Lebensverhältnissen der Pflanze, der organische Grund in der größeren Einfachheit des Baues. Der Empfindungsreiz hat bei den Pflanzen nirgends so viele und mannigfaltige Mittelglieder in seiner Wirkung zu durchlaufen als bei Mensch und Tier, wo das ungeheuer verwickelte Gehirn zwischen die Einwirkung des Reizes und den Ausschlag in Bewegung eingeschoben ist. Vielmehr ist es bei den Pflanzen nur auf eine kurze Wechselwirkung abgesehen zwischen dem, was sie leidet und was sie tut; zwar nicht eine so einfache, daß die Gegenwirkung nicht durch die innere Einrichtung vielfach noch mit bedingt und abgeändert würde; aber doch im ganzen eine viel einfachere als beim Menschen und allen vollkommeneren Tieren. Wie das Licht sie rührt, so blüht sie, wie die Luft sie rührt, so treibt sie.

Zu den durch Reize ausgelösten Trieben sehen wir auch noch ebenso wie bei Tieren Instinkte treten, abhängig von besonderen Stimmungen des Gemeingefühls, die sich an innere organische Zuständlichkeiten und Vorgänge knüpfen mögen.

Ebenso wie die Seele der Menschen und Tiere, solange sie wach ist, in einem kontinuierlichen Flusse von Lebensäußerungen begriffen ist, haben wir ferner Veranlassung gefunden, dies auch bei den Pflanzen anzunehmen, nur daß sich diese kontinuierliche Tätigkeit hier in einem sinnlicheren Gebiete äußert, und vielmehr von einem der Außenwelt als Innenwelt zugewandten leiblichen Prozesse getragen wird. Das beständige Aussichtreiben der Pflanzen, Ansichgestalten, Umsichsuchen, Sichfärben, bietet Anhaltspunkte zu dieser Vorstellung. Denn ist der Leib der Pflanze einmal Träger von Seele, so können auch die selbsttätigen Veränderungen und Strebungen dieses Leibes als Zeichen oder Ausdruck von entsprechenden Tätigkeiten ihrer Seele gelten.

Die Seele des Menschen und Tieres unterliegt aber dem Schlaf, der sich äußerlich durch Aufhören aller selbsttätigen Lebensäußerungen kund gibt. Nach einem analogen Aufhören muß die Pflanzenseele einem ähnlichen Schlafe im Winter unterliegen. Es ist nur für den Wechsel zwischen Schlaf und Wachen bei der Pflanze der größere, bei dem Tiere der kleinere Kreislauf der Natur maßgebend, oder richtiger, von vorwiegender Bedeutung geworden. Auch der Wechsel zwischen Winter und Sommer nämlich ist für die ganze Existenzweise der Menschen und Tiere nicht ohne Bedeutung. Im Winter nähert sich der Mensch immer etwas dem Siebenschläfer, und ebenso wird für die Pflanze der Wechsel zwischen Tag und Nacht nicht ohne Bedeutung sein, nur von viel geringerer als der zwischen Winter und Sommer. Somit ergänzen sich auch hier Tier- und Pflanzenwelt in bemerkenswerter Weise. Man kann daran folgende Betrachtung knüpfen. Die große Periode der Natur hängt von Drehung der Erde um die Sonne ab, die kleine von Drehung der Erde um sich selbst. Das Pflanzenleben dreht sich mehr um ein Äußeres, und namentlich eben um die Sonne; das Tierleben mehr um sich selbst, und das Sonnenlicht ist für seinen Lebensprozeß von mehr untergeordneter Bedeutung.

Jedoch wiederum keine absolute Scheidung. Der Siebenschläfer und so viele andere winterschlafende Tiere beweisen, daß für das Tier die große Periode eine ähnliche Bedeutung wie für die Pflanze gewinnen kann, indem sie zugleich die Möglichkeit einer solchen Bedeutung überhaupt bestätigen; und so mag es auch manche Pflanzen geben, bei denen das Sinken der Lebenstätigkeit während der Nacht die Bedeutung eines Schlafes annehmen kann; während das, was man gewöhnlich Pflanzenschlaf während der Nacht nennt, nur einem Ausruhen vergleichbar sein dürfte, wie des Menschen Arbeiten in der Natur im Winter ruhen.

Im Zusammenhang mit dem einfachem und sinnlichern Seelenspiel in den Pflanzen wird natürlich auch nur ein einfacheres und sinnlicheres Seelen-Wechselspiel zwischen denselben bestehen können. Ja man kann bezweifeln, ob ein solches überhaupt besteht. Inzwischen ist nach früheren Erörterungen wahrscheinlich, daß im Duften der Blumen ein Mittel dazu gegeben ist, was freilich nicht, wie unsere Sprache, Übertragung von Gedanken, wohl aber von Empfindungen und instinktartigen Mitgefühlen bewirken mag, wie auch beim Tiere zur analogen Zeit des Fortpflanzungsprozesses der Geruch in dieser Beziehung bedeutungsvoll wird; obwohl er unstreitig, wie überhaupt die ganze Sinnesskala, hier eine sehr andere Bedeutung als bei der Pflanze gewinnt. Ich denke noch einiges darüber im 16. Abschnitte zu sagen.

Man kann noch an ein anderes Kommunikationsmittel denken, welches sich mit dem vorigen verbindet.

Jedes Blatt, indem es sich bewegt, erschüttert je nach seiner Gestalt und seinem Ansatz die Luft in anderer Weise, und diese Erschütterung, zu anderen Pflanzen fortgepflanzt, wird auch ihnen wieder eine demgemäß andere Erschütterung mitteilen. Es läßt sich dies sogar sichtlich an einer analogen Erscheinung erläutern. Fahren wir mit einem Stock oder einer Schaufel im Wasser umher, so werden wir die Wellen sich ausbreiten sehen, verschieden je nach Art der Bewegung und des bewegten Körpers, setzen wir statt Wasser die Luft, statt Stock und Schaufel die sich bewegenden Blätter, so haben wir wesentlich dasselbe. Es ist gewiß, daß ähnliche Wellen in Luft wie in Wasser entstehen, und jede andere Welle schlägt anders an Körper, die ihr begegnen.

Bei uns wird der Schall in der Stimme von innen heraus gezeugt, bei Pflanzen der Duft, um die inneren Zustände anderen mitzuteilen; bei uns kommt der Lichtstrahl von außen und fliegt ohne unser Zutun von einem zum anderen, um den einen sehen zu lassen, wie der andere aussieht; so bei ihnen der Wind und die Luftwelle.

Inzwischen können solche Analogien doch nur sehr entfernte Andeutungen gewähren.

Die innerliche Einfachheit des Seelenlebens der Pflanze nach den bisher erörterten Beziehungen verträgt sich sehr wohl mit einer äußeren Mannigfaltigkeit desselben nach anderen Beziehungen. Wirklich liegen in der Vielartigkeit der äußeren Anregungen, denen die Pflanze unterliegt, der Mannigfaltigkeit ihrer verschiedenen Teile und der vielgestaltigen Art, wie sie mit diesen gegen jene reagiert, hinreichende Gründe, auf eine Mannigfaltigkeit sinnlicher Empfindungen und Triebe bei ihr zu schließen. Licht, Wärme, Feuchtigkeit, Erschütterung durch die Luft, Berührung durch Insekten, Einfluß der Nahrungs- und Atmungsstoffe; alles wirkt in eigentümlicher Weise auf die Pflanze. Wurzeln, Blätter, Blüten und in den Blüten die Blumenblätter, die männlichen und weiblichen Fortpflanzungsorgane sind jedes auf verschiedene Weise gebaut und verhalten sich jedes verschieden gegen jene Agentien, so daß keins die Funktion des anderen ersetzen kann. Durch die Blüten kann sich die Pflanze nicht nähren; vielmehr wollen diese ernährt sein, und umgekehrt kann sie durch die Wurzeln seinen Befruchtungsprozeß vollbringen, keinen Samen erzeugen. Die Blätter hauchen Sauerstoff im Lichte aus und produzieren grüne Farbe, die Blüten verzehren Sauerstoff im Lichte und produzieren bunte Farben, die Befruchtungsteile mehr davon als die Blumenblätter, die männlichen Teile mehr als die weiblichen; die Unterfläche der Blätter verhält sich beim Atmen und gegen das Licht anders als die Oberfläche. Es gibt Pflanzen, deren Blätter (beim Zerreiben) stinken, während die Blumen angenehm riechen, wie z. B. die Datura-Arten und Volkamerien und die weiße Lilie (Decand. II. S. 770); auch im Geschmacke unterscheiden sich die verschiedenen Teile derselben Pflanze sehr häufig, was verschieden geartete chemische Tätigkeiten voraussetzt. Und so geht es weiter durch viele Einzelheiten.

Nach diesen Verschiedenheiten in Bau und Tätigkeit der Teile einer und derselben Pflanze läßt sich nicht allein an eine Sukzession, sondern auch an eine Gleichzeitigkeit verschiedener Empfindungen bei der Pflanze denken; denn auch von uns wird mit Hilfe verschieden gebauter und demgemäß verschieden gegen die Reize gegenwirkender Teile Verschiedenes nicht bloß nacheinander, sondern selbst zugleich empfunden.

Unstreitig wird man nicht erwarten können, daß die Pflanzen von denselben Anregungsmitteln der Empfindung auch gerade dieselbe Empfindung wie wir davon tragen; daß sie z. B. vom Duft, der zu ihnen gelangt, gerade dieselbe Geruchsempfindung, von der Erschütterung, die sie trifft, dieselbe Schallempfindung wie wir haben. Nur eine gewisse Analogie mag stattfinden, wir wissen nicht wie weit. Finden wir doch schon, daß die Tiere je nach ihrem Bau verschieden von denselben Anregungsmitteln und im allgemeinen anders als wir gerührt werden. Was dem einen gut riecht und schmeckt, widerstrebt dem andern. Denn die Weise der Empfindung hängt nicht bloß von der Beschaffenheit des Anregungsmittels, sondern auch von dem des angeregten Wesens ab; und wozu sollte auch die Natur eine Art Empfindung, die schon in einem Wesen ist, im anderen nochmals ganz so wiederholen. So mögen sich die Empfindungen der Pflanze gar sehr von den unseren unterscheiden, und es mag so wenig für uns möglich sein, uns dieser ihrer wahren Natur nach vorzustellen, wie es jemandem, der noch nie eine Rose gerochen, möglich ist, sich den eigentümlichen Geruch der Rose nach dem einer Nelke oder eines Veilchens vorzustellen. Auf der anderen Seite muß aber doch bei aller Verschiedenartigkeit im Bau der Wesen die Gemeinschaftlichkeit desselben Anregungsmittels auch etwas Gemeinschaftliches in allen davon abhängigen Empfindungen erhalten, so daß es uns immer erlaubt bleiben mag, bei der Einwirkung des Lichtes vorzugsweise an unsere eigene Lichtempfindung usw. zu denken.

Daß die Pflanze weder ähnlich gebaute künstliche Sinnesorgane noch Nerven besitzt, wie wir, hat uns nach schon früheren Bemerkungen kein Bedenken gegen das behauptete Statthaben von Sinnesempfindungen in derselben zu erwecken. Folgende Hilfs-Betrachtungen können jene früheren unterstützen. Schon innerhalb des Tierreichs variiert Form und Einrichtung der Sinnesorgane ausnehmend und zwar immer in Beziehung zur Lebensart des Tieres. Da nun die Pflanze, statt sich durch den Raum bewegen und durch ihn zurechtfinden zu müssen, bloß durch ihn zu wachsen und mehr an sich als an der Außenwelt zu gestalten hat, so konnte, wie schon bemerkt, die künstliche Einrichtung unserer höheren Sinnesorgane wegfallen, weil diese in der Tat nur darauf berechnet ist, uns durch Bilder oder Abklänge von den Verhältnissen der Außenwelt in dieser zu orientieren. Die niederen Sinnesorgane des Geruchs, Geschmackes und Getastes sind aber auch bei uns sehr einfach eingerichtet (wobei uns zugleich letzteres ein Beispiel der Verbreitung über die ganze Körperoberfläche gibt), und selbst jene höheren werden es nach Maßgabe mehr, als mit dem Absteigen in dem Tierreiche das Leben überhaupt sich vereinfacht. Sonach muß man schließen, daß ein künstlicher Bau der Sinnesorgane überall gar nicht wesentlich ist, Empfindungen zu erzeugen, sondern bloß, diese zum Dienste höherer Seelenfunktionen geeignet zu gestalten; sofern das Höhere der Seelenfunktionen eines Wesens immer mit weitergreifenden Beziehungen desselben zur Außenwelt in Konnex steht. Schon bei manchen Insekten kommen daher sehr einfache Augen vor; das Gehörorgan, bei uns ein wahres Labyrinth, ist bei manchen Tieren ein sehr simples Säckchen; ja der Polyp geht dem Lichte nach, ohne überhaupt Augen zu haben; und man bemerke, daß er auch sonst eins der pflanzenähnlichsten Tiere ist.

Als wesentlichstes der Sinnesorgane scheinen zuletzt nur noch die Nerven übrig zu bleiben; aber unsere früheren Erörterungen haben schon gezeigt, daß sie eben nur in der Einrichtung des Tieres als nötig dazu erachtet werden können, da die Pflanze auch sonst anderes, wozu das Tier der Nerven bedarf, wie Atmen, Säftelauf, Reizbewegungen usw., ohne Nerven zu verrichten vermag.

Im Grunde ist auch beim Tiere nur der Anfang und Endpunkt der Nerven das wesentliche für die Sinnes-Empfindung. Die Strecke der Nerven zwischen ihrer peripherischen Endigung im Sinnesorgane und ihrer zentralen Endigung im Gehirn oder Ganglion wirkt bloß wie Leiter und könnte ohne Nachteil der Sinnes-Empfindung beliebig verkürzt gedacht werden. Wo es nun keines Gehirns, keiner Nervenknoten für den Dienst höherer Seelenfunktionen bedarf, wird es auch solcher Zuleiter dazu nicht bedürfen. Was sich bei Mensch und Tier in zentrales und peripherisches scheidet und eben hiermit eine das Sinnliche übersteigende höhere Entwickelung des Ganzen zuläßt, ja von organischer Seite bedingt, kann da, wo das ganze Leben bloß im Sinnlichen beschlossen bleiben soll, dieser Scheidung nicht bedürfen und hiermit das Nervensystem von selbst wegfallen, was doch bloß die Verknüpfung zwischen jenem Geschiedenen wiederherstellt.

Ich sage damit nicht, daß die Leitung durch die Fasern des Nervensystems etwas ganz Gleichgültiges sei. Im Gegenteil mag im Gehirn eine Wechselwirkung dessen eintreten, was in den einzelnen Nervenfasern geleitet wird, und diese Wechselwirkung mit den höheren Seelenfunktionen in Beziehung stehen. Aber wo es um diese höheren Seelenfunktionen nicht zu tun ist, wird es dann eben auch dieser wechselwirkenden Leiter nicht bedürfen. Es wäre inzwischen nicht am Orte, diese Vorstellung hier weiter begründen und ausführen zu wollen.

Will man ein kurzes, freilich nur sehr cum grano salis aufzufassendes Schema haben, so wird man sagen können: der Leib des Tieres ist wie ein Sack, dessen empfindliche Fläche inwendig ist, nun bedarf es besonderer Zugänge für das, was von außen die Empfindung rühren soll, um ins Innere zu gelangen; denn alles kann doch nicht Zugang sein; diese Zugänge werden durch die einzelnen Sinnesorgane mit ihren Nerven repräsentiert; wird aber der Sack umgewendet, bedarf es keiner besonderen Zugänge mehr; die ganze Oberfläche liegt der Empfindung frei offen; Solche umgewendete Säcke sind gewissermaßen die Pflanzen. Und es gibt Gründe, sie dafür zu erklären. Nämlich auch sonst verhält sich die Pflanze in betreff der Aufnahme von außen wie ein umgewendetes Tier und ist vielfach damit verglichen worden; das Tier nimmt nämlich durch innere Flächen, Darmkanal und Lungen, Luft und Nahrungsstoff auf, und die Bewegungen der Gliedmaßen dienen, die Nahrung eben da hineinzustülpen. Die Pflanze nimmt dies alles durch äußere Flächen auf; die nach außen gekehrten Wurzelfasern der Pflanze lassen sich mit den inneren Darmzotten des Tieres vergleichen, die nach außen gerichteten Blätter mit den eingestülpten Lungen; die Bewegungen der Gliedmaßen der Pflanze dienen, sich selbst in das Äußere auszustülpen. Findet aber dies Verhältnis hinsichtlich des grob Materiellen statt, so ist mehr als wahrscheinlich, daß es auch hinsichtlich der feinern Sinnes-Eindrücke stattfinden werde, da die Organe der Sinnes-Empfindung zum Teil sogar direkt mit den Organen der Ernährung zusammenhängen.

Ungeachtet es eben nur ein Schema ist, was wir hiermit aufstellen, kann man ihm doch vielleicht einige Bedeutung deshalb beilegen, weil auch innerhalb des Tierreichs für sich auf einen Lagengegensatz des Empfindungsorgans großes Gewicht gelegt ist; sofern in den oberen Tierklassen das Nervensystem sich mehr an der oberen oder Rückenseite, bei den unteren mehr auf der unteren oder Bauchseite zusammengedrängt zeigt. Der größere Gegensatz zwischen Tier- und Pflanzenreich scheint auf dem nur entschiedeneren Gegensatze zwischen innen und außen zu beruhen.

Wenn die Pflanzen sich durch ihr Aufgehen in bloßer Sinnlichkeit unter Mensch und Tier stellen, so stehen sie dagegen in der Ausbildung der Sinnlichkeitsstufe nach schon gegebener Andeutung wahrscheinlich über beiden.

Folgende Umstände vereinigen sich zur Begründung dieser Ansicht:

Zuvörderst finden wir schon innerhalb der Menschheit sinnliche Empfindung und sinnlichen Trieb unter sonst gleichen Umständen um so kräftiger, entwickelter, je mehr der Mensch sich ihnen ganz hingibt, je mehr Vor- und Nachdenken und Selbstreflexion dabei schweigen. Es waltet in dieser Beziehung geradezu ein gewisser Antagonismus ob. Bei den nach höheren geistigen Beziehungen unentwickelsten Völkern sind doch die Sinne und Instinkte am schärfsten entwickelt. Sie verstehen keine Musik von höherem Charakter, wissen kein Gemälde zu beurteilen; aber sie hören beinahe das Gras wachsen, streiten mit dem Adler um die Schärfe des Auges, mit dem Hunde um die Schärfe des Geruches. Unter uns selbst haben Menschen mit sinnlichster Anlage am wenigsten Anlage zu höherer Reflexion und umgekehrt. Ja selbst bei jedem einzelnen zeigt sich dieser Antagonismus bestätigt. Ein Mensch, der in tiefem Nachdenken begriffen ist, sieht und hört nicht, was um ihn her vorgeht, und ein Mensch, der sich ganz einem sinnlichen Genusse oder Triebe hingibt, kann dabei nicht nachdenken; oder wenn etwas derart unterläuft, so entgeht hiermit zugleich etwas der Stärke des Sinnlichen.

Wenn also die Natur den Pflanzen die höheren Seelenfunktionen versagt hat, so läßt sich dies füglich recht wohl so fassen, daß sie eben in ihnen das Sinnesleben für sich zu einer Entfaltung und Blüte hat bringen wollen, welche bei Mitrücksichtsnahme auf die höheren Funktionen zu erreichen nicht möglich gewesen.

Freut sich schon der Wilde des grellen Farbenschmucks oder des Tanzes nach einem rauschenden Takte, wie viel mehr wird die Pflanze Freude daran haben können, sich mit Farben im hellen Sonnenschein zu putzen und sich im rauschenden Takte des Windes hin- und herzuwiegen. Dem Wilden bedeutet doch jeder Schmuck und jede Musik noch etwas anderes als Farbe und Ton; die Pflanze weiß keine Bedeutung daran zu knüpfen, sie geht ganz im sinnlichen Gefallen darin auf; sie verliert nur immer das Genüge an dem, was sie schon davon hat, will immer mehr davon haben, und so macht sie immer mehr und immer neue grüne Flächen und tanzende Blätter; endlich wird sie auch dessen satt und bricht in Blumen aus, mit ganz neuem Farbenschmuck; nun kommt statt des Windes das Insekt, Biene und Schmetterling, und regt tiefer gehende Gefühle in ihr auf.

Freilich könnte das Fehlen der höheren Funktionen allein noch nicht für die größere und höhere Entwickelung der niederen sprechen; sofern dem Steine gar beide zugleich fehlen; allein teils läßt der Umstand, daß die Pflanzen sich mit den Tieren in das Gebiet des organischen Lebens teilen, es nicht unwahrscheinlich finden, daß jenes Gesetz des Antagonismus, das innerhalb eines Teiles dieses Gebietes durchgreift, auch auf das Verhältnis beider Teile übergreifen werde, teils weisen alle früheren teleologischen Betrachtungen auf denselben Punkt hin, teils sind die direkten Erscheinungen des Pflanzenlebens selbst in diesem Sinne.

Die Pflanze ist der Einwirkung aller Sinnesreize viel mehr nackt und bloß gestellt und reagiert mit kräftigem Lebenstätigkeiten dagegen als wir. Man erinnere sich, wie viel kräftiger das Licht in ihren Lebensprozeß eingreift als in unseren, wie viel mehr sie in allen Teilen Erschütterungen unterliegt, wie viel empfänglicher sie für die Einflüsse von Luft und Feuchtigkeit ist, wie viel größere Bedeutung der Duft für sie als für uns zu haben scheint, wie sie selbst das Unorganische assimilierend zu bewältigen vermag, was wir nicht vermögen, und das unter beständiger Wandlung ihrer eignen Gestalt. Man könnte einwenden, der Mangel so künstlicher Sinnesorgane, wie sie das Tier hat, stelle die Pflanze, wenn sie auch deshalb der Sinnes-Empfindung nicht ermangele, doch immer in betreff derselben tiefer als das Tier. Allein so ist es nicht; sofern sie doch ihrem ganzen Baue nach viel mehr als Sinnesorgan erscheint wie das Tier, und jene Künsteleien eben nicht zum Dienste des sinnlichen, sondern eines höheren Lebens bei den Tieren nötig sind. Es ist schön, bei Kindern Schulbücher zu finden, aber doch nur, sofern sie auch mehr als Kinder sein oder werden wollen. Der reinen Kindesnatur tut das vielmehr Abbruch. Solche Schulbücher sind Augen und Ohren für Menschen und Tiere; die Pflanze braucht sie nicht, weil sie nichts zu lernen hat. Ihre Kindesnatur bleibt darum um so schöner und reiner entwickelt. Statt aus dem Kinde zum Manne zu werden, wird sie im Erblühen gleich aus dem Kinde zum Engel, das nur in einem höheren Lichte seine Kindesnatur betätigt.

Was ist schöner, eine Landkarte oder ein rein und einfach bemalter Papierbogen? An sich gewiß der letztere, auch freut sich das Kind mehr daran, aber indem es die Landkarte verstehen lernt, kommt es über die Freude am Papierbogen hinaus. Nun, unser Auge malt uns die Welt als Landkarte und unser Verstand lehrt sie uns verstehen; damit aber ist’s auch aus mit der reinen Farbenfreude. Die Pflanze braucht keine Landkarte, da sie nicht zu reisen hat, sie hat also statt ihrer bloß die bunten Papierbogen empfangen; aber nun auch die volle Freude daran empfangen, die so lange widerhält, als die Farbe widerhält; denn wenn die Lust an den Farben nicht mehr widerhält, wirft die Pflanze auch die bunten Bogen selber weg. Daß in der Tat die Pflanze etwas von ihrer eignen Färbung empfindet, werden wir nach der ins Innere greifenden und für jede Farbe eigentümlichen Wirkung, die das Licht bei Erzeugung der Färbung äußert, nicht zu bezweifeln haben (vergl. XVI).

Auch darin beweist sich die höhere Bedeutung, die das Sinnesleben im Pflanzenreiche als im Tierreiche hat, daß das Tier seine Sinne, sozusagen, gleich fertig, als Basis für seine höheren Entwickelungen, mitbekommt, während das Leben der Pflanze selbst sich dazu bestimmt zeigt, seine Sinnesbasis quantitativ immer weiter und qualitativ immer höher auszubauen. Dem Tiere ist die Sinnlichkeit als eine abgemachte Sache vorgegeben, der Pflanze als eine erst abzumachende aufgegeben. Jedes neue Blatt kann als ein Organ mehr angesehen werden, womit es sich den Sinnesreizen darbietet, und in der Blüte schließt sich zuletzt noch ein ganz neues und höheres Reich der Sinnlichkeit auf. Hiermit gewinnt die Sinnlichkeit einen immanenten Zweck, den sie im Tiere nicht hat, gewinnt ein inneres Leben, das dem Tiere abgeht. Die Sinnlichkeit ist beim Tiere bloß die Tür, bei der Pflanze das Zimmer selbst, worin gelebt wird.

Auch hier zwar kein absoluter Unterschied. Ganz fertig bekommt doch auch das Tier seine Sinnlichkeit nicht mit; die geschlechtliche Empfindung entwickelt sich erst später; ganz mag andererseits, wie schon mehrfach zugestanden, auch die Pflanze nicht auf die Sinnlichkeit beschränkt bleiben, und namentlich im Blühen die Ahnung eines Höheren die Sinnlichkeit übersteigen. So berühren sich die Blütezeiten in beiden Reichen.

In dieser bedeutungsvollen, doch leisen Berührung hat man nun freilich nichts als die gröbste Ähnlichkeit finden wollen. Es erwache eine geschlechtliche Empfindung in der Pflanze zur Blütezeit; und das sei alles, was je in ihr erwache. Aber im Grunde wäre das verkehrte Welt. Denn wenn im Tiere der Eintritt der Geschlechtsempfindung den Gipfel in der Entwickelung der Sinnlichkeit bildet, kann er in der Pflanze nicht einen Anfang derselben bilden, dem nichts vorausginge. Das Tier sah, hörte, roch, schmeckte, fühlte doch schon vor der Geschlechtsreife. Der Blüte der Empfindung ging ein Unterwuchs von Empfindungen vorher, sich anlehnend an die Prozesse der Ernährung, des Atmens, und die Einwirkung so mancher Sinnesreize. Wie kann man nun in der Pflanze jene Blüte der Empfindungen wiederfinden, und doch jenen Unterwuchs derselben leugnen wollen, während Ernährung, Atmen, Sinnesreize ihr Spiel in der Pflanze vorher sogar noch viel mächtiger als im Tiere treiben. Man verwechselt die Spur von höherem Seelenlicht, die unstreitig mit der Blüte der Pflanze erwacht, mit einer Spur von Seelenlicht überhaupt. Unser blödes Auge vermag sich dem Glanze, der auf den Gipfel des Pflanzenseelenlebens fällt, nicht ganz zu verschließen; nun sieht man aber nichts als diesen obersten Glanz, abgeschwächt noch dazu zum unscheinbaren Pünktchen; die ganze schöne Gestaltung des Pflanzenseelenlebens aber bleibt uns in Nacht versenkt.

Meines Erachtens ist in der Pflanze der geschlechtliche Prozeß nur höher erhoben und mehr in eine besondere Entwickelungsstufe verlegt als beim Tiere. Bei diesem bricht die Sinnesentwickelung mit der Geschlechtsreife ab, dort bricht ein neuer Kranz schönerer Sinnestätigkeiten hervor; das ganze Sinnesleben steigt auf eine höhere und über sich selbst hinausweisende Stufe. Man möchte sagen, die Pflanze bringt es schon hiernieden zu dem dritten höheren himmlischen Leben, was wir erst in einem Jenseits erwarten, und von dem wir die Seligkeit der Liebe als einen Vorschmack halten. Und eben darum gibt auch die Blüte so manche Andeutungen für unser künftiges Leben, ein ebenso schönes Symbol wie der Schmetterling, wie ich schon früher erinnert; nur daß sie freilich bloß ein sinnliches Bild davon gibt. So ist die Pflanze in ihrer Niedrigkeit doch gewissermaßen wieder viel mehr erhöht als wir selbst. Ihr widerfährt schon hier ein Heil, das wir erst erwarten. Schon hiernieden kommen diese Kindlein in ihr Himmelreich.

Im Grunde ebenso gedankenlos ist es, ein Seelenleben der Pflanzen überhaupt zwar anzuerkennen, aber auf einen schlaf- oder traumartigen Zustand reduziert finden zu wollen. Sehen wir die Pflanzen nur scharf an, werden wir alles nur gegen eine solche Annahme sprechend finden. Wie hat der Zustand der kontinuierlich aus sich heraus wirkenden und schaffenden, mit allen Sinnesreizen im lebendigsten Konflikt stehenden Pflanze auch so gar keine Ähnlichkeit mit unserem Schlafe, wo die Wechselwirkungen mit der Außenwelt vielmehr ruhen oder auf ein Minimum reduziert sind, nichts Neues entsteht, sondern nur das Alte fortgeleiert wird. Nur der Zustand der Pflanze im Winter kann nach früheren Bemerkungen mit unserem Schlafzustande einigermaßen verglichen werden; aber da es dieser kann, kann es nicht zugleich auch der im Sommer. Nichts davon zu sagen, daß im Grunde die ganze Natur selbst als eine Träumerin wie mit halbzugemachten Augen erschiene; sollte man sich vorstellen, daß sie die Halbschied ihrer Geschöpfe den langen, hellen lichten Tag verschlafen ließe, sie früh die Augen öffnen und doch noch fortschlafen ließe, so viel Lebenskraft an eine Eiche setzte, bloß um sie ein halb Jahrtausend schlafen zu lassen? Und diese Eiche schafft währenddessen so gewaltige Werke an sich selbst, aus sich selbst. Tut dergleichen auch der Mensch im Schlafe?

Zwar wird es immer in gewisser Hinsicht möglich bleiben, den Ausdruck von einem Schlaf- oder Traumleben zu verteidigen, sofern die höheren Seelenvermögen in einem Schlafe oder Traume liegen. Aber dies ist doch kein eigentlicher Ausdruck. Denn in unserem Schlafe und Traume liegen nicht bloß die höheren, sondern auch die sinnlichen Vermögen brach, ja vielleicht noch bracher als die höhern. Denn Erinnerungen, die den Ausgang des höheren Seelenvermögens bilden, laufen doch auch noch im Traume fort, indes die Sinne ganz geschlossen sind. Aber in der Pflanze sind die Sinne ganz offen, und Erinnerungen laufen gar nicht. Wie kann man zuletzt von einem Traume sprechen, wo kein Wachen ist, aus dem der Traum den Stoff der Erinnerungen nimmt? Wachen ist wohl ohne Traum, nicht Traum ohne Wachen denkbar. Sagt man also, die Pflanzen führen ein Traumleben und nichts weiter, so sagt man dasselbe wie, es gibt einen Schatten und nichts, was ihn wirft. Es ist ein Unsinn; und hiermit sollen die Pflanzen um ihren Sinn gebracht sein.

Wir haben das Leben der Pflanze bis jetzt immer nur bis zum Blütestande verfolgt, ja wohl so davon gesprochen, als ob es über den Blütestand hinaus nichts gäbe; und in der Tat mag hier der Gipfelpunkt dieses Lebens, der Abschluß desselben nach der aufsteigenden Seite liegen und es weniger Interesse haben, dasselbe auch auf der absteigenden Seite zu verfolgen. Doch ist eine solche Seite vorhanden, und bedeutungslos können wir dieselbe doch für die Pflanze nicht halten, sei es, daß wir an die große Fülle von Stoff und Lebenskraft denken, welche von jetzt an noch zur Entwickelung der Früchte verwandt wird, sei es an den großen Aufwand zweckmäßiger Einrichtungen, die hierbei eben wie beim Befruchtungsprozesse Platz greifen. Wer freilich schon die Blume blind gegen das Licht hält, wird auch in allen Früchten nur taube Nüsse erblicken; für uns aber, welche in der Blütezeit der Pflanze nur die lichteste Zeit ihres Seelenlebens erkennen, muß die Sache anders liegen.

Der Mensch, wenn er über die Blütezeit des Lebens hinaus ist, wird damit noch nicht tot; sein Leben gewinnt bloß von jetzt an eine andere Richtung und Bedeutung. Bis dahin mehr auf die Sorge für sich und die nächste Gegenwart gestellt, doch niemals sehr über sich nachdenkend, für jeden Antrieb von außen empfänglich und dagegen lebendig reagierend, fängt er von jetzt an, Zukünftiges und Vergangenes mehr zu bedenken, mehr in sich selbst einzukehren, für eine Nachkommenschaft zu sorgen, für eine Nachwelt zu wirken. Der Glanz des Lebens erlischt, die Bedeutung nimmt zu, die Empfänglichkeit für bloße Sinnesgenüsse tritt zurück, die Organe dazu welken allmählich; dafür reift er um so mehr innerlich.

Eine analoge Wendung werden wir nach analogen äußeren Erscheinungen auch in der Pflanze anzunehmen haben, nur daß alles das, was beim Menschen in helles Selbstbewußtsein fällt, hier mehr in Gefühl und Instinkt fallen wird, die aber doch bestimmt und lebendig genug sein können. Es mag eine Art Einkehr des Gefühls der Pflanze in sich selbst beginnen, indes ihre Empfänglichkeit für äußere Reize abnimmt, wie wir denn die Organe dazu wirklich allmählich welken sehen und eine Art Instinkt sich entwickeln, die sie drängt, ihr eignes Leben in der Bildung des jungen Pflänzchens im Samen rück- und vorweisend abzuspiegeln oder zu reproduzieren. (Man erinnere sich, daß das Pflänzchen wirklich schon seiner ganzen Anlage nach in Würzelchen und Blattfederchen im Samen vorgebildet wird.) Man möchte sagen, die Bildung des jungen Pflänzchens im Samen stellt den ersten und einzigen wirklichen Gedanken in ihrem Haupte dar, in dem sich die Erinnerung an ihr ganzes bisheriges Leben dunkel zusammenfaßt und zugleich die Sorge um die Zukunft eines anderen, ihr gleichen Wesens ausdrückt. Auch unsere Gedanken heften sich ja an leibliche Vorgänge im Kopfe, die etwas geändert darin hinterlassen. So undeutlich aber das Pflänzchen im Samen gegen die ganze Pflanze erscheint, so undeutlich mag die Erinnerung an das frühere Leben, die nun die Seele der Schöpfung des neuen Pflänzchens wird, gegen das ganze frühere Leben der Pflanze selbst sein. Aber sind doch auch unsere Erinnerungen nur blasse Bilder der Wirklichkeit.

Man wende nicht ein, daß der analoge Prozeß der Bildung neuer Wesen im Menschen nicht von Bewußtsein begleitet ist. Es ist eben wie mit dem Wachstum. Für die Pflanze hat dieser Prozeß eine ganz andere Bedeutung als für den Menschen; was in diesem zu unterst liegt, liegt dort zu oberst, ist ins Haupt der Pflanze übergegangen. Wie das Blühen nur der Gipfel des Wachstumsprozesses in der nach außen gehenden Richtung ist, ist die Frucht- und Samenbildung nur der Rückweg in einer nach einwärts gehenden Richtung, eine Einkehr der wachsenden Pflanze in sich selbst. Ist nun das Wachstum überhaupt Träger von Seelenbewegung in der Pflanze, wird es dies ebensowohl in der einwärts als auswärts gehenden Richtung sein.

Schon die Einleitung des Fruchtbildungsprozesses selber zeigt übrigens den höchst wesentlichen Unterschied zwischen Pflanze und Tier, daß es dort ein in einem und demselben Wesen vollzogener Selbstreflexionsprozeß ist, hier ein zwischen zweien geteilter Prozeß. Dies kann für das Psychische sehr wichtig sein. Pflanzen- und Tierreich sollen sich eben auch hierbei nicht wiederholen, sondern ergänzen; was beim Tiere im dunkelsten Unbewußtsein vorgeht und nur spurenweise in den Phänomenen des Versehens an das erinnert, was im Pflanzenreiche immer stattfindet, das bildet bei der Pflanze gerade den Hauptpunkt ihres bewußten Lebens. Extreme berühren sich auch sonst häufig genug. Hier wird diese Berührung noch überdies in der äußern Erscheinung merkwürdig genug angedeutet.

In der Tat, mag man es nur für ein Spiel äußerer Ähnlichkeit halten, aber immer ist es eigen, wie die Frucht, ebenso wie das Haupt des Menschen, im allgemeinen oben steht, oft von einer Art harten Hirnschale eingeschlossen ist, der Same darin in der Form dem Hirn oft täuschend ähnelt,Ich erinnere an die wälsche Nuß; aber die Ähnlichkeit greift weiter, wenn man sich erinnert, daß niedere Tiere auch glatte Gehirne haben. und in den oberen Pflanzenklassen zwei Samenlappen, eben wie das Hirn in den oberen Tierklassen zwei Hirnhälften hat; ja wie selbst die Substanz bei beiden eiweißartig ist.


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