Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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XV. Vergleiche, Schemate.

Manche haben wohl versucht, das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze durch ein einziges Schlagwort, einfaches Schema, oder die Identifizierung mit einem Verhältnis zwischen anderen Gegenständen auf einmal scharf und treffend zu bezeichnen. Ich halte das meinerseits für unmöglich. Allgemeine Ausdrücke, einfache Schemate, bildliche Vergleiche können überhaupt nur nützlich sein, ein komplexes Verhältnis nach gewissen Seiten oder obenhin treffend darzustellen. So können Pflanzen und Tiere einander nach gewisser Beziehung polar entgegenstehen; aber in wie vieler Beziehung stimmen sie doch überein; nach gewisser Beziehung sich wie Treppenstufen untereinander ordnen; aber nach anderen Beziehungen wird sich die Ordnung verkehren; nach gewissen Beziehungen sich die Pflanze als ein verwendetes Tier fassen lassen; aber in alle Einzelheiten durchführen kann man es nicht. Man kann die Pflanze eine Linie, das Tier eine Kugel nennen, wie man ein Gesicht mehr oval, ein anderes mehr rund nennen kann; aber hat man damit die wahre Physiognomie beider richtig gezeichnet, oder vermag man sie aus diesem allgemeinen Schema abzuleiten? Man kann Pflanze und Tier mit dem oder jenem Konkretum vergleichen, wie man einen Kopf mehr einem Apfel, einen andern mehr einer Birne ähnlich finden kann; aber in wie vieler Beziehung bleiben doch solche Vergleiche stets hinter dem Richtigen zurück, in wie vieler greifen sie darüber hinaus? Zuletzt wird das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze doch durch gar nichts treffender, schärfer und umfassender zu bezeichnen bleiben, als daß man sagt, es sei nun eben das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze. Es findet sich dies Verhältnis nach der Gesamtheit seiner Momente nirgends anders so wieder wie zwischen Tier und Pflanze. Die Natur wiederholt sich nirgends ganz.

Andererseits findet aber doch immer ein gewisses Bedürfnis statt, komplexe Verhältnisse ins Enge zu ziehen, verwandte Gebiete zu vergleichen, und unter Anwendung einer triftigen Methode sowohl bei Aufstellung als Nutzung der Schemate und Vergleiche ließe sich für den Überblick im ganzen, die Hervorhebung und den Zusammenhang des Wesentlichen, die Auffassung verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen verschiedenen Naturgebieten, großer Nutzen erwarten.

Leider finden wir eine solche Methode, welche die Aussicht auf diese Vorteile auch wirklich befriedigte, nicht vor, können sie auch hier nicht schaffen, und wäre sie geschaffen, würden wir sie schwerlich in gründlicher Weise anwenden können, da solche Anwendung auf genauem Detailerörterungen, als hier Platz finden können, und tiefer gehenden botanischen und zoologischen Kenntnissen, als uns zu Gebote stehen, fußen müßte.

Legen wir also auch den folgenden Proben vergleichender und schematischer Auffassung des Verhältnisses zwischen Tier und Pflanze kein zu großes Gewicht, ja nicht einmal zu ernste Absicht bei. Nur hier und da mag Ernst durch das Spiel durchblicken. Auch eine Seite des Spiels nämlich hat dieser Gegenstand, welche den Geist immerhin zu beschäftigen vermag, wenn es schon nicht mit dem Interesse strenger Wissenschaftlichkeit ist.

Bekannt genug, obwohl fast nur poetischem Interesse dienend, ist der Vergleich der Pflanzen, insbesondere der Blumen, bald mit Kindern, bald mit Frauen. Beides scheinen sehr verschiedene Vergleiche zu sein, inzwischen finden sie einen Verknüpfungspunkt darin, daß die Frauen selbst doch immer nur Kinder gegen die Männer bleiben. Übrigens fassen beide denselben Gegenstand von verschiedenen Seiten.

Die Vergleichspunkte der Blumen mit Kindern liegen darin, daß sie die Erde als ihre gemeinschaftliche Mutter betrachtet, noch an ihr hängen, aus ihr die Nahrung saugen; daß sie sich alle Bedürfnisse zubringen lassen; nicht ins Weite laufen; daß sie lieblich, freundlich, unschuldig aussehen, niemand etwas zu Leibe tun; helle Kleider anhaben, und, wie wir meinen, mit ihrer Seele noch ebenso im Sinnlichen befangen sind, wie es die Kinderseele ist. Das Höchste, wozu sie es mit ihrem Kinderverstande bringen, ist, kleine Püppchen - Büschekindchen, d. s. die schon junge Pflänzchen eingewickelt enthaltenden Samen zu wiegen und zu büschen; nicht wissend, aber wohl ahnend, was das für eigentlich Erwachsene bedeutet. Jedem wird bei diesem Vergleiche Schillers Lied einfallen:

Kinder der verjüngten Sonne,
Blumen der geschmückten Flur usw.,

was freilich von unserer Seite den Kommentar herausfordert, daß viel mehr der Dichter als die Blumen in Nacht befangen war, da er sie in Nacht befangen erklärte; und es nicht erst des Berührens mit Menschenfinger bedurfte, ihnen Leben, Sprache, Seele, Herzen einzugießen, nachdem dies schon ein viel mächtigerer Finger getan.

Auch des Anfangs eines schönen Liedes von Heine, das fast wie nicht von Heine klingt, mag man gedenken, da er zu einem Kinde sagt:

"Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein" usw.

Etwas weniger poetisch freilich nimmt es sich aus, wenn Hegel (Naturphilos. S. 471) sagt: "Die Pflanze, als das erste für sich seiende Subjekt, das aus der Unmittelbarkeit noch herkommt, ist jedoch das schwache, kindische Leben, das in ihm selbst noch nicht zum Unterschiede aufgegangen ist." — Jeder in seiner Weise!

Wohl noch zahlreichere Vergleichspunkte aber bietet der Charakter der Weiblichkeit der Pflanzen dar.

Die Pflanze bleibt wie das Weib immer in ihren engen Lebenskreis gebannt, den sie nur fortgerissen verläßt, indes das Tier wie der Mann ungebunden ins Weite streift; sie weiß aber in ihrem engen Wirkungskreise alles auf das beste zu nutzen, sicher leitenden Instinkten folgend, ohne es je zu der höheren Intelligenz des Tieres zu bringen, und diesem, wie das Weib dem Manne, den weiteren Vorblick und Umblick und die umgestaltenden Eingriffe in die Außenwelt überlassend. Die Pflanze bleibt, wie das Weib dem Manne, immer dem Willen des Tieres Untertan, kommt ihm aber selbst im schönsten Verhältnis, wie es der Schmetterling zur Blume zeigt, nicht entgegen. Sie plaudert gern duftend mit ihren Nachbarinnen. Sie sorgt für die Nahrung des Tieres, bäckt Brot (in den Ähren), bereitet Gemüse für dasselbe. Ihr liebstes Geschäft aber bleibt bis zur Blütezeit ihres Lebens, sich schön zu schmücken und ihre Gestalt immer neu und schön darzustellen. Gibt es doch sogar manche Blumen, die wie die Frauen in Weißzeug aufstehen und sich erst später bunt kleiden, ja wohl mehrmals umkleiden."So z. B. hat (um nur die auffallendsten Beispiele anzuführen) der Cheiranthus Chamaeleon anfänglich eine weißliche Blume, die später zitronengelb und zuletzt rot wird, mit einem kleinen Stich ins Violette. Die Blumenblätter des Stylidium fruticosum R. Br. sind bei ihrem Entstehen blaßgelb, später aber werden sie weiß mit leicht rosenrotem Anstrich. Die Blumen der Oenothera tetraptera L. sind anfänglich weiß, alsdann rosenrot und fast rot. Tamarindus Indica L. hat, nach Fr. G. Hayne, am ersten Tage weiße Blumenblätter und am zweiten gelbe. Die Blumenkrone der Cobaea scandens Cav. ist den ersten Tag grünlich-weiß, den folgenden Tag violett. Der Hibiscus mutabilis L. bietet in dieser Beziehung eine merkwürdige und lehrreiche Erscheinung dar. Seine Blume ist nämlich des Morgens beim Aufbrechen (naitre) weiß, gegen Mittag wird sie rot oder hochrot, und zuletzt, wenn die (Sonne untergegangen, ist sie rot. Im Klima der Antillen ist jener Farbenwechsel regelmäßig. (Decand., Physiol. II. S. 724.) Aber nachdem die Zeit der jungen Liebe vorbei, wird die Pflanze zu einem neuen Beruf geweiht. Nun wirft sie den bunten Flitterstaat beiseite, und ihr erster und einziger Gedanke ist die Sorge für ihre jungen Kindlein, die sie hegt und trägt, und die, nachdem sie sich endlich von ihr losgemacht, sie noch längere Zeit umstehen.

Man erinnert sich hierbei an das, was Schiller sagt:

"Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen ....

Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen,
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn’ Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.

Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.

Ich bezweifle nicht, da Dichter ja immer noch etwas anderes meinen, als sie geradezu sagen, was dem Scharfsinne der Ausleger zu ermitteln überlassen bleibt, daß der Dichter hiermit wirklich nur das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze hat darstellen wollen, so gut paßt alles. Das Lehren und Wehren, das Regen der Hände und einiges andere mag manchem zwar weniger zu passen scheinen; doch kommt es, wie in allen solchen Fällen, nur auf die rechte Deutung an. Jedes Pflänzchen hat doch, da es noch im Samen an der Mutterpflanze hing, von ihr zu lernen, wie es wachsen und nicht wachsen soll; das endlose Regen der fleißigen Hände aber drückt sehr treffend das endlose Ausstrecken von Blättern aus, das Umsichwirken und Schaffen der Pflanze damit, um die Stoffe zu Diensten des Tieres vorzubereiten. Die Schätze in den duftenden Laden sind die vielen köstlichen Stoffe, welche die Pflanzen in Zellen, wie in Fächern eines Schrankes, sammelt; mit dem Drehen des Fadens um die Spindel ist das Spinnen der Spiralgefäße und sonstige Erzeugen spiraliger Bildungen gemeint, womit die Pflanze beständig beschäftigt ist. Mit der schimmernden Wolle und dem schneeigten Lein ist auf Baumwolle und Flachs gezielt, und mit dem Glanz und dem Schimmer auf die schimmernden Farben der Pflanze.

Nach dieser künstlichen Deutung wird vielleicht folgendes einfach anmutige Gedicht Rückerts um so besser gefallen, worin er die weibliche Blumenweise so schön charakterisiert:

Die Blume der Ergebung.

"Ich bin die Blum’ im Garten
Und muß in Stille warten.
Wann und in welcher Weise
Du tritst in meine Kreise.

Kommst du im Strahl der Sonne,
So wird’ ich deiner Wonne
Den Busen still entfalten,
Und deinen Blick behalten.

Kommst du als Tau und Regen,
So werd’ ich deinen Segen
In Liebesschalen fassen,
Ihn nicht versiegen lassen.

Und fährest du gelinde
Hin über mich im Winde,
So wird’ ich dir mich neigen,
Sprechend: ich bin dein eigen.

Ich bin die Blum’ im Garten
Und muß in Sille warten,
Wann und in welcher Weise
Du trittst in meine Kreise."

(Rückerts Ges. Gedichte I. S. 98.)

Als Kinder und Landmädchen zugleich sind die Blumen in folgenden Zeilen aus Rückerts Amaryllis (Ges. Gedichte, Bd. II. S. 97) charakterisiert:

Der Frühling kocht sich aus des Winters Reisen
Den Tau, den seine Kinder sollen trinken;
Er stimmt zum Morgenlied die muntern Zinken.
Und schmückt sein grünes Haus mit Blütenschleifen.
Wohlauf, mein Herz, laß deine Blicke schweifen
Nach Blumen, die auf allen Fluren winken!
Landmädchen sind’s, zur Rechten und zur Linken
Steh’n sie geputzt, nach welcher willst du greifen?"

Mit Insekten haben Pflanzen eine augenfällige Ähnlichkeit teils nach einzelnen Teilen, teils nach den Verhältnissen ihrer Metamorphose im ganzen,Vergl. hierüber u. a. Linné in s. Metamorphosis plantarum sub praes. D. O. Car. Linnaei proposita a Nic. a Dalberg. Upsaliac, 1755, in Amoenitat. acad. IV. p. 368. die uns schon früher zu manchen Bemerkungen Anlaß gegeben.

Schon in Gestalt und Farbe zeigt sich große Ähnlichkeit zwischen Blüten und Schmetterlingen; so daß man nicht selten die Schmetterlinge geradezu mit losen lebendig gewordenen Blüten verglichen hat. Äffen doch manche Orchideenblüten Schmetterlingen ganz nach; und der Name Schmetterlingsblumen, den eine große Pflanzenklasse (wohin Wicken, Bohnen usw. gehören) führt, beweist ebenfalls für eine hier vorwaltende Ähnlichkeit. Das Interesse dieser äußeren Ähnlichkeit steigert sich aber sehr durch Betrachtung des schon mehrfach berührten lebendigen Wechselverhältnisses zwischen beiden; wobei der weibliche Charakter der Blumen besonders auffallend zutage tritt. Die Blume ist wie ein still sitzender Schmetterling, der den Besuch des schwärmenden erwartet; ein ähnliches Verhältnis, wie wir es auch im Insektenreiche selbst, z. B. zwischen Weiblein und Männlein des Johanniskäfers, bemerken. Jenes, der Flugkraft ermangelnd, muß auf dem Erdboden bleiben; im Grün sitzt es still und lockt nur durch hellen Glanz das Männlein an. Dieses hat ähnlichen Glanz, aber wohl hellere Augen als das Weiblein und sucht dasselbe im Grünen auf. So leuchtet der Farbenglanz der Blume aus dem Grün hervor, und mit gleichem Farbenglanz geschmückt, aber hellerblickenden Augen, sucht der Schmetterling sie auf, sie, die an den Boden geheftet, sich nur suchen lassen kann.

Wie Schmetterling und Blume einander unmittelbar ähnlich sind, entfalten sich auch beide in gar ähnlicher Weise aus einem ähnlichen Gebilde, worin sie auf früherer Entwicklungsstufe erst längere Zeit verschlossen und zusammengefaltet geschlummert. Wer mochte nicht wirklich zwischen der Knospe, aus der die Blume, und der Puppe, aus der der Schmetterling bricht, beide um in das gemeinschaftliche Reich des Lichts überzugehen, auch eine äußere Ähnlichkeit finden? Ja selbst der Stengel, indem er, langsam aufwärts wachsend, ein Blatt um das andere hervorschiebt, mag der Raupe nicht ganz unvergleichbar sein, die aufwärts kriechend, ein Bein um das andere vorwärts schiebt. Es behält nur die Pflanze, wie schon früher bemerkt, ihre frühere Entwicklungsstufe immer sichtbar unter sich, indes das Insekt sie in sich aufhebt.

Die luftführenden Spiralgefäße, welche den ganzen Bau der Pflanze durchsetzen, und die, freilich verzweigten, Luftkanäle, welche den ganzen Leib des Insekts durchsetzen, begründen auch einige Verwandtschaft der inneren Organisation zwischen beiden.

Wer Gefallen an ähnlichen Vergleichen findet, kann das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze auch im Tier selbst für sich in dem Verhältnis des mehr geklumpten Nervensystems zu dem mehr verzweigten Gefäßsystem, oder in der Pflanze für sich in dem Verhältnis der sich mehr zentral abschließenden Blüte zu dem frei und allseitig verzweigten Stengel wiederfinden. Aber mit was ließen sich zuletzt nicht Vergleichspunkte finden! Es wäre ermüdend und nutzlos zugleich, ihnen allenthalben nachzugehen. Zwar gab es eine Zeit, wo in dem Verfolg solcher Ähnlichkeiten fast die ganze Aufgabe der Naturphilosophie gesucht wurde. Ich werde der letzte sein, sie wieder heraufbeschwören zu wollen.

Zu mancherlei interessanten Betrachtungen kann die früher bemerkte Eigentümlichkeit der Pflanzen Anlaß geben, zu spiraligen Bildungen und Stellungen ihrer Teile zu neigen. Will man zuvörderst einer symbolischen Spielerei noch einige Augenblicke Aufmerksamkeit schenken, so denke man an den spiralförmig von den Blättern umlaufenden Stengel und die durch die ganze Länge der Pflanze bis in die Blüte (Pistill, Staubfäden und Blumenblätter) sich forterstreckenden Spiralgefäße; außerdem an den Nektar, den die Blume enthält, den Schmetterling, der den Nektar sucht, und die Heilkräfte, die, meist in giftigen und bitteren Stoffen, der Pflanze inwohnen. Dann mag sich die Blume nicht übel mit der vom schlangen- umwundenen Stiele getragenen Schale der Hygiea vergleichen lassen, in welche die ihre giftigen Stoffe zu Diensten der Heilgöttin stellende Schlange oben mit dem Kopfe hineinzüngelt; der Schmetterling aber, der auf der Blume sitzt, mit der Seele, die den Nektar der Gesundheit darin sucht, aber, um dazu zu gelangen, erst an dem züngelnden Kopfe der Giftschlange vorbeistreichen muß; d. h. nur durch Zwischenwirkung an sich gefährlicher Heilstoffe führt die Heilkunst zur Gesundheit.

Weiter: Man halte die so allgemeine Spiraltendenz der Pflanze gegen die im Tiere mehr vorwaltende Tendenz zu in sich zurücklaufender Form und Kreislaufsbewegung. Dann kann man sagen, die Pflanze richte sich im Gestaltungs- und innern Bewegungsprozesse mehr nach der Form der jährlichen (scheinbaren) Bewegung der Sonne am Himmel, welche bekanntlich eine spiralige ist, das Tier mehr nach der täglichen Bewegung derselben, welche merklich eine kreisförmige ist, oder strenger genommen, nur eine einzige Windung der jährlichen Spiralbahn der Sonne darstellt; und man kann sich dabei daran erinnern, daß auch in Schlaf und Wachen die Pflanze mehr der jährlichen, das Tier mehr der täglichen Periode folgt. Mit anderm Hinblick könnte man auch sagen, die Pflanze richte sich mehr nach der Bewegung, die ein Punkt an der Oberfläche der Erde, das Tier nach der, welche der Mittelpunkt der Erde bei der Bewegung um die Sonne macht, sofern die Bewegung der Punkte an der Oberfläche der Erde als zusammengesetzt aus der Rotation der Erde um ihre Achse und ihrem Laufe um die Sonne, ebenfalls eine spiralige ist. Inzwischen sind das immer nur Beziehungen, die erst durch Erkenntnis eines kausalen Zusammenhanges für die Wissenschaft Bedeutung gewinnen könnten, wozu für jetzt keine Aussicht ist.

Auch von einer ganz wissenschaftlichen Seite läßt sich die Spiraltendenz der Pflanzen fassen und die Darstellung eines Pflanzentypus nach gewisser Beziehung darauf gründen. Teilen wir hier ganz kurz die Hauptresultate der Schimperschen Untersuchungen darüber mit:

Das Schema aller vollkommenen Pflanzen ist hiernach unter der Form einer senkrecht im Boden stehenden Achse darstellbar, von welcher nach bestimmten mathematischen Gesetzen seitlich Radien (Blätter) ausgehen. Das Gesetz ihrer Stellung an der Achse gibt die wesentlichen Formenunterschiede der Pflanzen an, erscheint aber immer unter der Form einer Spirallinie, welche um die Achse sich windet und in bestimmten Absätzen die peripherischen Radien aussendet. Nennen wir Zyklus der Spirale einen solchen Teil derselben, welcher von irgend einem Radius (Blatt) an gerechnet so weit verläuft, bis er wieder zu einem Radius in derselben, der Achse parallelen Linie, worin der erste liegt, gelangt ist, so fragt sich: l) wieviel Radien (Blätter) hat die Spirale im Umfang der Achse zu durchlaufen, um vom unteren Grenzradius des Zyklus zum oberen zu gelangen, in wieviel Abschnitte wird der Zyklus mithin dadurch geteilt,Steht ein Radius im Intervall zwischen beiden Grenzradien des Zyklus, so wird dieser natürlich in zwei Abschnitte dadurch geteilt; stehen zwei darin, so wird er in drei Abschnitte geteilt usf., überhaupt in l Abschnitt mehr als die Zahl der Zwischenradien beträgt. So viel Abschnitte die Zyklen einer Pflanze haben, so viel der Achse parallele Linien gibt es, in welchen überhaupt Blätter im Umfange der Pflanze stehen. 2) wieviel Umläufe hat die Spirale innerhalb eines Zyklus zu machen, um durch die Zwischenradien vom unteren Grenzradius zum oberen zu gelangen. Sowohl die Anzahl der Abschnitte als der Umläufe der Spirale innerhalb eines Zyklus sind nun für jede Pflanzenart konstant, für verschiedene Pflanzenarten aber verschieden, gehören mithin zur wesentlichen Charakteristik der Arten. Nicht jede Zahl Abschnitte und Umläufe ist aber möglich; sondern die Zahlwerte können nur aus folgender Reihe genommen sein:

l,  2,  3,  5,  8,  13,  21,  34,  55,  89,  144,  233,

deren Gesetz leicht zu finden ist. Die beiden ersten Zahlen derselben sind nämlich die ersten natürlichen Zahlen, die dritte Zahl ist gleich der Summe der beiden ersten, und so überhaupt jede spätere Zahl die Summe der beiden ihr vorangehenden. Es kann also die Zahl der Abschnitte eines Zyklus z. B. 2 oder 3 oder 5 oder 8, aber nicht 4 oder 6 oder 7 betragen, und dasselbe gilt von der Zahl der Umläufe. Dabei ist die Zahl der Abschnitte mit der Zahl der Umläufe der Spirale innerhalb desselben Zyklus noch durch ein bestimmtes Gesetz verknüpft. Ist z. B. die Zahl der Abschnitte 2, so ist die der Umläufe stets l (was man ausdrückt 1/ 2), ist die Zahl der Abschnitte 3, so ist die der Umläufe auch l (also 1/ 3) ; ist die Zahl der Abschnitte 5, so ist die der Umläufe 2 (also 2/ 5), und überhaupt sind die möglichen Verhältnisse folgende:

                                1/ 2,  1/ 3,  2/ 5,  3/ 8,  5/ 13,  8/ 21,   13/ 34,  21/ 55,  34/ 89,  55/ 144,  89/ 233, ...

wovon das Gesetz wieder leicht zu finden ist. Der Zähler jedes Bruches ist nämlich dem Nenner des zweit vorhergehenden Bruches gleich.

Die Richtigkeit der hier vorgetragenen Schimperschen Ansicht wird freilich nicht allgemein zugegeben; indem namentlich die konstanten Zahlwerte der vorigen Brüche als allgemeine Norm von mehreren Forschern bestritten werden. Auch haben die Gebrüder Bravais einen ganz anderen Weg eingeschlagen, die Spiraltendenz der Blattstellung gesetzlich zu repräsentieren. Naumann betrachtet den Quincunx als Grundgesetz der Blattstellung. Mathematisch genaue Stellungsverhältnisse gibt es überhaupt nicht an der Pflanze, und nur durch ein Zurechtrücken der Beobachtungen, Beiseitlassung der Ausnahmefälle, Annahme von Fehlschlagen u. dergl. kommt der Anschein einer so vollständigen Gesetzmäßigkeit heraus, wie nach manchen Darstellungen die Pflanze zeigen soll. Jedenfalls gibt die Annäherung der Blattstellung zu einer Gesetzlichkeit faktisch, welche sich auf den Spiraltypus zurückführen läßt, ohne daß aber die organische Freiheit dadurch völlig aufgehoben ist.

Eine übersichtliche Darstellung der Resultate der Schimperschen Untersuchungen, welche dem vorigen zugrunde liegt, findet sich in Burmeisters Geschichte der Schöpfung (2. Aufl. S. 340). Näheres über diesen Gegenstand s. in folgenden Schriften: Dr. Schimper, Beschreibung des Symphytum Zeyheri usw. in Geigers Mag. S. Pharmacie. Bd. XXIX. S. l ff. — Dr. A. Braun, Vergleichende Untersuchung über die Ordnung der Schuppen an den Tannenzapfen usw. Nov. Act. Acad. C. L. N. C. T. XIV. Vol. I. p. 195—402. — Dr. Schimper, Vorträge über die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Verständnisses der Blattstellung usw., mitgeteilt von Dr. A. Braun. Flora Jahrg. XVIII. no. 10. 11. 12. (1835). — L. et A. Bravais, Mémoires sur la disposition géométrique des feuilles et des inflorescences, précédés d'un résumé des travaux des MM. Schimper et Braun sur le même sujet, par Ch. Martius et A. Bravais. Paris 1838. Deutsch von Walpers. Breslau. 1839. — Bravais in Ann. des sc. nat. 1837. Part. bot. I. 42. 1839. Part. bot. II. l. - Naumann in Pogg. Ann. 1842. (2. Reihe). Bd. 26. S. l. (Ausz. in Wiegm. Arch. 1844. II. S. 49.)

Nächst der Stellung der Seitenteile an der Achse hat besonders die Verwandlung, welche dieselben oft ineinander erfahren, die Aufmerksamkeit der neueren Naturforscher auf sich gezogen. Geben wir zur Charakteristik der neueren Pflanzen-Morphologie gleich folgende kurze Darstellung eines Botanikers von Fach (Link in Wiegm. Arch. 1842.II. S. 164).

"Die Aufgabe der neueren Morphologie ist, die mannigfaltigen Verschiedenheiten, unter welchen die Pflanze sich darstellt, auf eine Grundform zurückzuführen oder sie vielmehr davon abzuleiten. Es ist ein Verfahren in der Botanik, wie es der Kristallograph in der Mineralogie anwendet, indem er von mehr oder weniger genau bestimmten Grundgestalten die verschiedenen Nebengestalten ableitet, welche in der Natur vorkommen. Die Pflanzen haben aber statt der Kristallflächen wirkliche Glieder, woraus zuerst die Achsenteile bestehen, und auf welchen die Seitenteile als Glieder sich befinden. Die Mittel, deren man sich bedient, um jene Ableitung hervorzubringen, sind nun, daß man die Teile in Gedanken sich vergrößern, verringern und ganz fehlen (avorter) läßt; ferner sich zusammenziehen und ausdehnen, entfernen und nähern, verwachsen und sondern, zarter und gröber werden usw., wie man sie in der Natur nach Beobachtungen gefunden hat. Besonders hat man gefunden, daß sich die Seitenteile ineinander verwandeln, und daß man die Blätter als die Grundform ansehen kann, woraus alle anderen Seitenteile bis zu den Umhüllungen des Embryo stammen. Dieses ist die Metamorphose der Pflanzen, die man jetzt in Frankreich, einer neuen Mode zufolge, die Goethesche nennt, wie man sie zuweilen auch in Deutschland genannt hat. Sie sollte eigentlich die Linnésche genannt werden, da sie Linné schon vollständig vortrug."

Man wird leicht erachten, daß die obige Methode, die Ableitungen hervorzubringen, ihrer Natur nach gestattet, alles aus allem zu machen. Und in diesem Betreff ist auch Willkür zur Genüge geübt worden. Die Verwandlung der Seitenteile ineinander aber bleibt ein sehr merkwürdiges und bedeutsames Phänomen, worüber man in Goethes Schrift über die Pflanzen-Metamorphose das Nähere nachlesen mag.

Die allgemeinste und wichtigste Bedeutung für das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze scheint mir der schon mehrfach berührte Gegensatz ihrer Entwickelungsrichtung nach innen und außen zu haben.

Kurz wird sich sagen lassen: das Tier wächst mehr in sich hinein, die Pflanze mehr aus sich heraus; jenes gliedert, faltet sich mehr nach innen, diese mehr nach außen. Dieser Unterschied ist zwar nicht absolut, aber so, daß man sieht, im Entwickelungsgange vom zweideutigen Zwischenreiche an ist doch das Übergewicht im Tierreiche im ganzen mehr auf die erste, im Pflanzenreiche auf die zweite Seite gefallen.

In der Tat, stellen wir Tier und Pflanze auf ihren vollkommenern Stufen einander gegenüber:

Das Tier äußerlich mehr kompakt abgeschlossen, in ziemlich fest bestimmter Gestalt, mit wenigen ein für allemal bestimmten äußeren Ansätzen und ebenso bestimmten stumpfen Eindrücken an einförmigen Klumpen des Leibes, dagegen sich innerlich gliedernd in eine von den unteren zu den höheren Tieren immer steigende Mannigfaltigkeit von Organen, die sich wieder in immer feinere und feinere Unterabteilungen gliedern und deren letzte innerlichste Modifikationen endlich der Freiheit der Seelenbewegungen selbst folgen, sofern im Zusammenhange mit der Ausbildung der geistigen und Gefühlsanlagen im Laufe des bewußten Seelenlebens auch die innersten Organisationsverhältnisse sich ins feinste fortbilden. Im Gehirn die letzten Fasern gar durcheinander schießend wie Kette und Einschlag eines Gewebes, da bei dem immerfort nach innen Wachsen und sich Zerfällen zuletzt nichts übrig bleibt, als durch sich selber durchzuwachsen, oder das schon Zerfällte nach noch neuer Richtung zu zerfällen. An die Tätigkeit und Fortbildung dieser inneren Kreuzungen ist dann das höhere Seelenleben geknüpft.

Die Pflanze dagegen bis zum Gipfel ihres Lebens innerlich immer und immer wieder nur ihr einförmiges Gemeng von Fasern, Zellen, Röhren darbietend, ohne deutliche Gliederung zu inneren Organen, dagegen in eine unerschöpfliche und von den niederen nach den höheren Pflanzen, vom Stamm nach den Ästen, von diesen nach den Zweigen, von diesen nach den Blättern, von diesen noch nach den Blattrippen immer zunehmende Fülle äußerlich divergierender Formteile auswachsend, deren letzte Austriebe nach außen voraussetzlich mit der Freiheit ihrer Seelentriebe zusammenhängen. Auch dies bis zur endlichen Verschränkung, obwohl in anderem Sinne als vorhin, gedeihend; indem die Zweige, dann die Blätter zwischeneinander durchwachsen und so die Laubeskrone bilden; die Blätter selber dadurch entstanden, daß die Blattrippen, sich immer feiner abzweigend, sich endlich begegnen, verfließen.

Diese Vorstellung gewinnt ein vermehrtes Interesse, wenn wir sie mit jener schematischen in Beziehung setzen, wonach der Leib des Tieres sich wie ein Sack verhält, dessen empfindende Fläche inwendig ist, der der Pflanze wie ein solcher, wo sie auswendig ist, indem dann das ganze Verhältnis auf den Gegensatz von Einstülpung und Ausstülpung dieses Sackes zurückführbar ist. Wirklich lassen sich die inneren und äußeren Verzweigungen der Tier- und Pflanzen-Organisation recht wohl als Ein- und Ausstülpungen fassen, die sich fortgehends immer weiter ein- und ausstülpen. Und man kann bemerken, daß überhaupt die Natur eingestülpten Formen ausgestülpte Formen von teils paralleler, teils sich ergänzender Bedeutung gegenüberzustellen liebt; wie z. B. Lungen und Kiemen; genitalia masculiua und feminina. Hier nun haben wir diesen Gegensatz im ganzen und großen zwischen zwei Reichen durchgeführt. Die stülpende Hand hat in jedem Falle ihren Angriff auf der nicht empfindenden Fläche des Sackes genommen, und so liegt die empfindende Fläche des Tieres in den inneren Einstülpungen begraben, die der Pflanze auf den äußeren Ausstülpungen blos. (Freilich ist der Gegensatz empfindender und nicht empfindender Teile des Organismus selbst nur cum grano salis zu nehmen.)

Der geschlossene Sack des Tieres stülpt sich zuvörderst in sich selbst hinein, so daß eine Doppelung entsteht, wie bei einer Schlafmütze, die auf dem Kopfe sitzt; beim Sacke der Pflanze ist dagegen die innere Doppellung lang herausgezogen. Die Einstülpung beim Tiere bildet den Darmkanal, die Ausstülpung bei der Pflanze die Wurzel. Die einstülpende Bewegung beim Tiere geschieht mit solcher Kraft, daß oben die Mütze platzt, und der Mund entsteht, indes sich unten die Mütze zum After zusammenzieht. Der Darmkanal des Tieres wird dann weiter in die Speicheldrüsen, die Leber, das Pankreas hineingestülpt; Neben - Einstülpungen des Sacks sind Lungen und genital feminina. Es besteht aber der Sack des Tieres eigentlich aus einem doppelten Blatt, und das innere Blatt folgt dem äußern nicht. Sondern es hat sich vom äußern gelöst, ist aufgerissen und hat sich auf die kleinstmögliche Stelle, zu dem in sich selbst zusammengefalteten Gehirn und Rückenmark, zusammengeschoben; dagegen hat sich das äußere Blatt als Haut um seine Einstülpung den Darmkanal so weit aufgebauscht als möglich. So entsteht eine große Höhlung zwischen Haut und Darmkanal, in welcher das Nervenblatt zusammengefaltet liegt, daher den Zwischenraum bei weitem nicht ausfüllt. Um nicht eine zu große Leere zu lassen, ist nun die Haut tüchtig mit einem Polster von Fleisch und Zellgewebe gefüttert, und um dem Ganzen Halt zu geben, mit festen Streben, d. i. Knochen, ausgespannt gehalten, auch die Watte mit Adernetzen gut durchnäht, und hierdurch zugleich das Nervenblatt an das Haut- und Darmblatt angenäht. Außerdem sind beim Losreißen des Nervenblatts vom Haut- und Darmblatt die Nerven noch als Verbindungsfasern mit dem Hautblatt und die Ganglien als zerfaserte Flocken auf dem Darmblatt sitzen geblieben.

In der Pflanze ist gar keine solche Trennung des Sacks in zwei unterscheidbare Blätter sichtbar, und der ausgestülpte Pflanzenbalg einfach mit Fasern und Zellgewebe ausgestopft. Das vegetative und empfindende Blatt fallen hier in eins. Und dies ist ein Unterschied, der zu dem Unterschiede in der Richtung der Ein- und Ausstülpung noch bedeutungsvoll hinzutritt, unstreitig aber in Kausal- wie teleologischer Beziehung dazu steht.

Im Grunde freilich ist es überall nicht eine wirkliche Hand, sondern die schematisierende Vorstellung, welche alle angezeigten Stülpbewegungen vornimmt. Es faltet sich, streng genommen, überhaupt keine Haut aus oder ein, sondern es bilden sich Zellen nach und nach in solchen Lagen, wachsen so und werden so resorbiert, daß allmählich der Anblick Faltenlosen sich in den Anblick von etwas ein- oder auswärts Gefaltetem verwandelt. Der Erfolg ist zuletzt derselbe, aber der Prozeß ein anderer, als wodurch wir selber realiter Ein- und Ausfaltungen, Ein- und Ausstülpungen vollbringen.

Ich gestehe zwar, daß die Auffassung der Art, wie sich das Nervenblatt benimmt, etwas romanhaft ist, sofern sie mehr aus einer kühnen Rückdeutung der fertigen Lagerungsverhältnisse als einer genauen Betrachtung der wirklichen Entwickelungsverhältnisse geschöpft ist; was dann hindern muß, ihr ein großes wissenschaftliches Interesse beizulegen Dagegen scheint mir der allgemeine Gegensatz von Aus- und Einstülpung zwischen Pflanze und Tier sehr entschieden.

Die fortgesetzte Ausstülpung schreitet bei der Pflanze nur bis zum Gipfel ihres Lebens fort. Da tritt ein Moment ein, der Moment, in dem der Staubfaden oder sein Pollen die Narbe des Pistills berührt, wo sich die Pflanze, sozusagen, gegen sich selbst zurückschlägt, und nun beginnt mit dem Durchwachsen des Pollenschlauchs in die Höhle des Fruchtknotens ein vorher nur angedeuteter Einstülpungsprozeß, der durch die ganze Fruchtbildung fortgeht.

Die zweite Oszillation des Lebens erfolgt also bei der Pflanze in ganz entgegengesetzter Richtung als die erste. Beim Tiere ist dies nicht so der Fall, da gleich anfangs hier der Lebensprozeß die Richtung mehr nach innen nimmt; doch relativ zeigt sich ein Äquivalent auch beim Tiere noch darin, daß bis zur Mannbarkeit das Tier doch äußerlich noch an Größe wächst, später aber sich bloß mehr innerlich fortentwickelt

Überhaupt muß man die Gültigkeit des Schemas nicht über triftige Grenzen ausdehnen wollen. Im Bereiche niederster Organismen, die sich dem Zwischenreiche nähern, kommen Ausstülpungen bei Tieren vielfach vor; der Gegensatz wird aber um so deutlicher, je höher wir aufwärts in beiden Reichen steigen. Auch bei den höheren Tieren sind die Gliedmaßen, die Nase, die genital masc., die mammae, die Haare Ausstülpungen, dem sonstigen Charakter des Tierreichs entgegen.

Werfen wir einen Blick auf die Bedeutung, welche der vorige Gegensatz für das Psychische haben muß.

Sofern die Seele etwas Bestimmtes ist und nach ihrer Bestimmtheit auch einen bestimmten Ausdruck im leiblichen Träger findet und fordert, so wird man nicht anzunehmen haben, daß der besonderen Bestimmtheit der Seele, die sich im Tierleibe ausspricht, nichts, sondern vielmehr nun auch eine Seelenbestimmtheit entgegengesetzter Art gegenüberstehe. Die Pflanzenseele wird etwas nur nach anderer, in gewisser Hinsicht entgegengesetzter Richtung Entwickeltes sein; etwas gegen die Außenwelt Ausgefaltetes, während jene etwas in sich Eingefaltetes. Daß die nach innen gehende Wendung die Seele, sozusagen, mehr zu sich selbst führt, auf sich selbst zurückkommen läßt, liegt im Schema darin ausgesprochen, daß die empfindende Fläche vermöge ihrer Einfaltung sich gegen sich selbst zurückschlägt, wodurch innere Berührungen, ja endlich Durchkreuzungen zwischen ihr eintreten, so daß das darin sinnlich Angeregte in neue Wirkungsbezüge treten kann. Bei den Pflanzen, wo die empfindende Fläche sich auswärts stülpt, ist dies nicht so der Fall; denn wenn sich auch Zweige und Blätter in ihrer allseitigen Divergenz endlich ebenfalls verschränken, so bleiben sie dadurch doch größtenteils außer Berührung, und wenn sie sich endlich in einzelnen Blättern und allerwegs in den Blattrippen berühren, so legt sich das alles nur aneinander, oder anastomosiert, ohne von der Berührung an nochmals sich zu durchkreuzen; wie wir es im Gehirn der Tiere sehen. So behält das Tierleben eine Dimension der Innerlichkeit vor der Pflanze vorweg; und eben deshalb bleibt es bei der Pflanze mehr bei der einfachen Sinnlichkeit; bis mit der absteigenden Richtung des Lebens auch die Richtung der Einfaltung in der Pflanze bestimmter Platz greift, die nun auch unstreitig höhere Bedeutung für die Pflanze gewinnt. Aber sie beherrscht nicht so von Vornherein das ganze Leben der Pflanze wie das des Tieres, ist, sozusagen, nur die sich umbiegende Spitze, worin jenes ausläuft und ins Tierische einigermaßen umschlägt. Die Pflanze trägt, sozusagen, ein kleines Tier nur als Krone, Schmuck und obersten Gipfel auf der Pyramide ihres Baues und Lebens, und noch dazu eine Sphinx, die das Wesen des Tieres bloß im Rätsel darstellt, während das Tier von unten an ist, was es ist, gleich der Memnonssäule neben der Pyramide.

Ein ähnlicher fundamentaler Gegensatz, wie innerhalb des Organischen zwischen Tier- und Pflanzengestaltung, läßt sich auch im weitem Gebiete der Natur zwischen organischer und unorganischer Gestaltung selbst auffinden, nur daß er hier bis zum elementaren Bau zurückreicht, indes er dort auf den Plan des Ganzen geht.

Die organischen Geschöpfe, gleichviel ob Tiere oder Pflanzen, entstehen aus Elementarteilen, die nach innen wachsen und sich nach innen einfalten und zerlegen; die unorganischen, die Kristalle, aus solchen, die nach außen wachsen, sich nach außen ausfalten und konsolidieren. Als Elementarteile des Organischen nämlich zu betrachten sind die Zellen, hohle, mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen, deren Wände sich von außen nach innen verdicken, so daß das Lumen vieler mit der Zeit ganz schwindet. Wie es scheint durch Einfaltung nach innen entstehen Vorragungen, endlich Scheidewände, wodurch sich die Zellen in mehrere teilen. Der Kristall dagegen entsteht aus einem soliden Urkristall innerhalb einer Lauge, verdickt sich durch Ansatz von außen, faltet sich, sozusagen, nach außen in Ecken, Spitzen, Kanten aus, ohne doch dabei seine Solidität aufzugeben; indem er, statt immer neue Zellen in sich hineinzuerzeugen, in diese zu zerfallen, dadurch immer blasiger zu werden, sich vielmehr in immer neue, um die früheren anschließende Kristallhüllen einschachtelt, und so ein immer größeres kompaktes Ganze wird.

Merkwürdig, wie so einfache Gegensätze im Bildungsplane, als wir zwischen Tier und Pflanze, Organismus und Kristall bemerken, doch in Resultate ausschlagen können, die so ganz über den Charakter einfacher Gegensätze hinausgreifen, ganz verschiedene Grade der Ent- und Verwickelung mitführen. Man vergleiche die ungeheuer verwickelten Organismen mit den stets so einfach bleibenden Kristallen, und im Organischen wieder die verhältnismäßig so verwickelten Tiere mit den verhältnismäßig so einfachen Pflanzen. Die Entwicklungsrichtung nach innen hat offenbar einen ganz anderen, prägnanteren und zugleich für das Seelenleben bedeutungsvolleren Charakter als die nach außen.

Ein freilich sehr oberflächliches Schema, bezüglich bloß auf das Allgemeinste und Äußerlichste der morphologischen Verhältnisse, doch des Interesses nicht ganz bar und der Vertiefung nach mancher Richtung fähig, bietet sich wie folgt dar.

Die rundlich in sich abgeschlossene, gewöhnlich längliche Gestalt des Tierleibes ähnelt, gegen die Pflanze angesehen, im ganzen mehr der Ellipse, wo Herz und Hirn die Brennpunkte vorstellen mögen, um die sich alles Leben des Tieres dreht, die Gestalt der Pflanze dagegen, vermöge ihrer doppelten und entgegengesetzten Divergenz nach oben in Zweige, Blätter und Blüten, nach unten in die Wurzelausstrahlungen, mehr der Hyperbel; und setzen wir den einfachsten Fall eines oben unverzweigten, nur eine Blüte tragenden Stengels, so wird die Blüte bis zum Gipfelpunkt des Lebens selber die obere Hyperbelhälfte darstellen, und die Endpunkte der Pflanzenachse, die Narbe des Griffels und die Spitze der Pfahlwurzel werden die Stelle der Brennpunkte vertreten, zwischen denen alles Leben der Pflanze oszilliert; die beiden Knotenpunkte, von denen aus sich die Blüte nach oben und die Wurzel nach unten streckt, die Scheitel beider Hyperbelhälften; die Blätter endlich, auf ihre mittlere horizontale Richtung reduziert, die Richtung der ins Leere gehenden Nebensachse.

Das Zwischenreich zwischen Tier und Pflanze, zwischen Kugelformen und Linearformen schwankend, repräsentiert dann die Fälle, wo Ellipse und Hyperbel durch möglichste Vereinfachung ihrer Gleichungen (ohne daß etwas unendlich würde) in Kugel- und Linearformen übergehen, was auf mehrfache Weise geschehen kann, womit das proteusartige Wesen des Zwischenreichs zusammenhängt.

Bekanntlich entsteht die Hyperbel aus der Ellipse dadurch, daß man eine Hauptgröße darin in der Richtung verkehrt genommen denkt; was damit zusammenstimmt, daß die Pflanze sich in gewisser Weise als verwendetes Tier fassen läßt. Auch kann man die absteigende Seite des Pflanzenlebens, wo man die Blüte in die mehr ellipsoidische Frucht sich wandeln sieht, mit einer solchen Vorkehrung in Beziehung fassen.

Dieses Schema gewinnt an Interesse, wenn man es ins Symbolische überschlagen läßt. Die Reihe möglicher Ellipsen hat zur Grenze die Parabel, welche zwar von einer Seite noch ganz der Endlichkeit anheimfällt, von der anderen aber sich gegen die Unendlichkeit öffnet. Bekanntlich nämlich geht die Ellipse in eine Parabel über, wenn man den einen Brennpunkt der Ellipse in die Unendlichkeit hinausrückt, oder, was dasselbe sagt, die große Achse derselben unendlich nimmt. Sofern nun durch das Reich der verschiedenen Ellipsen das Reich der noch ganz in der Endlichkeit befangenen Tiere repräsentiert wird, bedeutet die Parabel, als obere Grenze der Ellipsen, die obere Grenze des Tierreichs, den Menschen, welcher zwar mit einer Seite noch ganz ebenso wie das Tier im Irdischen wurzelt, von der andern Seite aber sich gegen das Himmlische öffnet. Freilich liegt sein Hirn, der eine Brennpunkt, nicht wirklich in der Unendlichkeit, aber es kann solche denken, schließt sie subjektiv ein. Hierdurch schlägt eben das Schema ins Symbolische um.

Die Parabel könnte, statt als Grenze der Ellipsen, auch als Grenze der Hyperbeln angesehen werden; aber in anderem Sinne. Beim Übergange der Ellipse in Parabel wird nämlich aus einem ganz endlichen Wesen ein nach einer Seite unendliches, das Tier geht über in halb Tier, halb Engel; beim Übergange der Hyperbel in Parabel wird umgekehrt, unter Verlust der einen unendlichen Hälfte, aus einem zweiseitig unendlichen Wesen ein nur einseitig unendliches Wesen. Hiernach mag sich der Mensch ebensogut als ein sich von der Erde nach dem Himmel aufrichtendes Tier, als wie eine aus dem Himmel in das Irdische, aber mit Verlust der einen himmlischen Hälfte, gepflanzte Pflanze betrachten lassen.

Der Vergleich des Tieres und der Pflanze mit Ellipse und Hyperbel kann ein wissenschaftlicheres Interesse, als ihm nach der vorigen Darstellung zukommt, durch folgende Bezugsetzung zu den Prinzipien einer allgemeinen mathematischen Morphologie gewinnen, worüber ich mich hier mit einigen Andeutungen begnüge.

Der allgemeine Form-Unterschied zwischen organischen Wesen (Tieren und Pflanzen) und unorganischen Wesen (Kristallen) beruht, kurz gefaßt, darauf, daß erstere durch krumme, letztere durch ebene Flächen begrenzt werden. Die krummen Gestalten der Organismen durchlaufen alle Grade von der Kugelform (annäherungsweis in manchen Samen, Früchten, Eiern und niederen Tieren) bis zu den kompliziertesten Gestalten, die der genauen mathematischen Berechnung oder Repräsentation in Formeln nicht mehr fähig sind, was freilich im Grunde von aller Naturformen überhaupt gilt, denn selbst die Kristallflächen sind, genau genommen, nur ebene Flächen. Sofern man von kleinen Unregelmäßigkeiten abstrahiert; solche Kleinigkeiten vernachlässigt man. Aber auch für die Betrachtung der verwickeltsten Naturformen kann man einen exakten mathematischen Gesichtspunkt gewinnen, indem man fragt, welcher unter gegebenen einfacheren Formen sie am ähnlichsten sind, was immer nach Messungen und Berechnungen eine genaue Bestimmung zuläßt, z. B. fragt, welcher Kugel ein gegebener Menschenkopf am ähnlichsten ist, oder, wenn man weiter gehen will, welchem Ellipsoid, oder, wenn man sich noch höher versteigen will, welchem Körper mit Flächen dritter oder vierter Ordnung. Auch kann man beliebig einzelne Teile und Flächen davon besonders solcher Betrachtung unterwerfen. Nun sind nach den ebenen Flächen, oder Flächen erster Ordnung, die Flächen zweiter Ordnung, d. h. solche, welche zu Durchschnitten oder Projektionen Kegelschnitte haben, die einfachsten. Und so würde sich, wenn man fragte, welcher Art Kegelschnitt die Gestalt der Pflanzen, und welcher Art Kegelschnitt die Gestalt der Tiere (für einen Durchschnitt durch die große Achse oder Projektion auf eine ihr parallele Ebene) am ähnlichsten ist, ganz exakt für erstere die Hyperbel, für letztere die Ellipse finden; ja es würde sich für jede besondere Pflanze und jedes besondere Tier, mathematisch gesprochen, die besondere Hyperbel und die besondere Ellipse angeben lassen, der sie respektiv am ähnlichsten sind.

Zwar ließe sich von solcher, der wahren Gestalt doch so fern bleibenden Bestimmung, abgesehen von ihrer Mühseligkeit, kaum ein der Wissenschaft auch praktisch nützliches Resultat erwarten. Dagegen scheint mir der hier aufgestellte Gesichtspunkt mathematischer Morphologie für Klassifikation und wohl noch andere allgemeine Bezüge nützliche, jedenfalls interessante Resultate zu versprechen, wenn er auf die an sich einfacheren Formen von Tieren und Pflanzen, oder die Teile wo die Approximation sich nicht mehr sehr von der Wirklichkeit entfernt, angewandt würde; auch ist dies wenigstens schon in betreff der Schneckengehäuse (namentlich durch Naumann) mit Erfolg geschehen. Aber unstreitig verdient der Gegenstand eine erweiterte Bearbeitung. Namentlich Samen-, Frucht- und Eiformen möchten, teils wegen ihrer Einfachheit, teils weil sie die ganze Pflanze oder das ganze Tier schon in nuce enthalten, Beachtung verdienen.


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