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IV

»Der Dichter selbst
Bedarf zu seinem Wert der Freudigkeit,
Und wenn sie fehlt, so ist's zuviel verlangt.
Daß trüber Sinn Begeisterung erweckt,«

so sagt Euripides in »Der Mütter Bittgang«.

So war auch in den Jahren der Krankheit und Sorge meine Seele dichterischen Stimmungen weniger zugänglich; meine Arbeit hatte auch wohl einmal ganz gestockt; aber immer brach doch die Lust am Gestalten mit Gewalt wieder hervor.

Die Kritik fuhr fort, meinen Büchern eine freundliche Aufmerksamkeit zu schenken, und überschlug ich die Summe des Erreichten, so hatte ich mit Dank einzugestehen, daß alles Leid und alle Sorgen nur die Begleiterinnen eines aufsteigenden Weges waren, der mich aus engen Niederungen zu immer freieren und lichteren Höhen hinaufgeführt hatte. Aus dem stundenlaufenden Klavierlehrer war ein Poet geworden, den die besten der Mitlebenden gern in ihren Kreis aufgenommen hatten. Das galt mir natürlich mehr, als alles Lob der zünftigen Kritik. Liliencron hatte mich in den Sattel gesetzt und folgte nun lobend und tadelnd, ja auch wohl scheltend meinen Reitkünsten. Mit der Einseitigkeit des Genies und mit einem Temperament, das ihn leicht über das Ziel hinausgreifen ließ, war er auch wohl manchmal ungerecht, und manche Vorwürfe hätten mich heftiger geschmerzt, da ich sie als ungerecht empfand, wenn nicht Richard Dehmels kluge und tiefer gründende Kritik manches wieder ins Gleichgewicht gebracht hätte.

Als mein zweites Gedichtbuch »Tanz und Andacht« erschien, war die Kritik der Meinung, daß ich, der in seinem ersten Buch noch ganz abhängig von Liliencron sich gezeigt, sehr schnell meinen eigenen Weg gefunden hätte. Auch Liliencron selbst erkannte das an, und schrieb mir einen herrlichen Brief, der mit allen Widersprüchen und Überschwenglichkeiten ein schönes Dokument seines Künstlerernstes war.

»– Daß Sie über Dehmels Worte erfreut waren, konnte ich mir denken. Und hier gleich einiges noch: Die »heiße, tod- und lebentriefende Sonne« sind Sie doch! Nur lag und liegt alles noch wie ein Bann auf Ihnen. Ihr bisheriges Leben – durch Ihr Stundengebenmüssen in der ekelhaften Bourgeoisie – drückte Sie! Nein, mein Falke, ein Feuergeist sind Sie, der noch oft schüchtern, zu schüchtern ist: durch Ihr Milieu. Sie leben nur ein Innenleben, wie jeder große Künstler (wie Sie einer sind) ein Innenleben leben muß, wenn er in solchen Verhältnissen sich herumhauen muß. Ich habe Ihnen mit Willen nichts vordeklamiert, ehe Sie jetzt Ihr wundervolles Buch Aus Tanz und Andacht vollendet haben. Darin freilich sind Sie der milde, große, schöne Morgen- und Abendstern; aber schon Ihre »Welle« zeigt die »leben- und todtriefende Sonne.« Bleiben Sie so keusch, wie Sie sind und denken, Falke. Das aber sagt nichts dazu: daß man eine »Sonne« werden kann. Und diese »Sonne« werden Sie! Sie wissen, wie ich »Keuschheit« verstehe, auch bei Ihnen verstehe: Unschuldige Weibergeschichten – ob mit oder ohne den Geschlechtsgenuß«; ich muß dieses widerlichste Wort hier brauchen – sagt natürlich nichts zu dem Begriffe »Keuschheit«. Sondern in »Keuschheit« liegt jener Begriff der vornehmen Denkungsart!!! Und diese vornehme Denkungsart die haben Sie. Bewahr's Ihnen für alle Zeiten der heilige Christ!

Nun lassen Sie, wo jetzt ein Abschluß hinter Ihnen liegt, in Ihrem Buche Tanz und Andacht, nun lassen Sie alles mehr ausreifen, und nun fangen Sie an aus Ihren Sachen, bei entstehenden und entstandenen: zu arbeiten.

Der Begriff der Arbeit, des Durch- (Nach-) Denkens, der Feile lag Ihnen bisher ganz fern. Erlauben Sie mir das krasse Wort ( Ihnen darf ich's sagen): Sie schludern und schleudern alles hin, und damit basta. Und wenn Ihre Freunde Ihnen nicht immer ihr: das ist noch nicht fertig, Falke! zugerufen hätten, so hätten wir fast nur flüchtig hingeworfene Skizzen bekommen. Genie aber – das alte richtige Wort:– ist Arbeit, harte, mitleidslose Arbeit; und die kannten Sie bisher noch nicht. Nun aber auch ein Entschuldigungswort für Sie:

Keiner der lebenden Dichter, und wohl keiner auch der je gelebt habenden, hat solchen sich wie von selbst gebenden Reichtum des Reimes, das Sichgeben- müssen der Phantasie! Da stehn wir alle weit hinter Ihnen zurück. Und ich versteh's nur zu gut wie dieser ewig sprudelnde Quell bei Ihnen – welch ein sieches kriechendes Wässerchen bin ich dagegen –, wie er so unaufhörlich quillt und quillt, sich nicht mit Eindämmung, Selbstkritik, Sorgfalt, Arbeit abgeben will und mag. Aber davon hängt Ihre Zukunft ab. Ihr jetziges Buch ist einfach wundervoll! Ich rechne Sie zu den ersten Künstlern Deutschlands. Am meisten Ähnlichkeit haben Sie mit dem keuschen Thoma; aber auch Böcklin sind Sie; bei Stuck fehlt diese Keuschheit der Seele, und deshalb haben Sie auch nichts mit ihm gemein. Von Klinger haben Sie manches, nachdem Sie ihn kennen gelernt haben; aber dennoch freue ich mich für Sie: er war Ihnen eine mächtige Anregung. Und nun: Sind Sie's schon in Ihrem Buch Tanz und Andacht:

Falke!

so werden Sie's von nun an noch mehr. Lassen Sie Ihrem unglaublichen Talent den kauf, kehren Sie sich an keine Vorbilder – ich hätte bald gesagt: auch unbewußt nicht – dann sind Sie in Ihrem nächsten Buch, mein feiner, feiner Künstler Falke. ... ... ... ... ... ... ... A men

Hatte meine Bescheidenheit mit beiden Händen und einem verstehenden Lächeln »die blut- und lebentriefende Sonne« und andere Worte liliencronschen Überschwanges abgewehrt, so durfte ich doch auch andererseits wohl zurückweisen, was mir ungerecht schien. Eine gewisse Leichtigkeit des Technischen war mir zwar eigen, doch nicht in dem Maße, daß mir ohne ernste Arbeit Produktionen gelungen wären, die so sehr seinen Beifall gefunden hatten.

Mit Nachdruck konnte ich den Vorwurf des Schluderns und Schleuderns zurückweisen, und den Vorwurf, es an Selbstkritik fehlen zu lassen. Der Wille, mein Bestes zu geben, war immer rege gewesen, und ließ ich Unzulängliches passieren, so war es nicht Sorglosigkeit, sondern Mangel an Einsicht; denn ich war keineswegs fertig und gefestet und reifte viel langsamer als es ihm schien.

Konnten mich solche Widersprüche, die mir in einem Atem sagten, daß mein Buch einfach wundervoll sei und daß ich zu sehr schleuderte und schluderte, auch auf die Dauer kein Unbehagen machen, da alles, Lob und Tadel, nur ein vulkanischer Ausbruch seiner großen Liebe und Freundschaft war, so waren mir Richard Dehmels Bemerkungen zu demselben Buch von um so höherem Wert, als sie auf den Kern meiner künstlerischen Persönlichkeit gingen und mir greifbare Urteile gaben und förderliche Ausblicke eröffneten.

So schrieb er mir über eine Reihe »Traumbilder«, die den Band eröffneten:

»Das Traumbild« hingegen erinnert mich in keiner Weise (wie Sie befürchteten) an Liliencron. Nicht verschweigen aber will ich, daß es mich in den Mitteln der Stimmungserzeugung lebhaft an einen anderen Dichter erinnert hat: das Gedicht »An Helene« von Edgar Allan Poe. Es ist freilich möglich, daß Sie auf einem Umweg über Liliencron zu dieser sonderbaren Ähnlichkeit gelangt sind. (Oder kennen Sie das Poesche Gedicht?) Offenbar hat nämlich Liliencron selbst entweder direkt oder gleichfalls auf Umwegen (über den Dänen Jacobsen und die jüngeren Franzosen, die alle unter Poes Einfluß dichten gelernt haben) dem Amerikaner manches zu verdanken; freilich hat er es in eine absolut neue Sphäre und eigene Form zu rücken verstanden, die Sphäre der sinnlichen Gesundheit und die Form der farbig klaren Heiterkeit (im Gegensatz zu Poes krankhafter Nebelschwelgerei oder Laterna magica-Grellheit). Und so könnte es sein, daß Sie – schon im Begriffe, sich technisch von Liliencron zu befreien – also immerhin noch teilweise mit seinen Mitteln arbeitend – nun auf dem Wege der andersartigen Empfindung, der nichtliliencronschen elegischen Versunkenheit, unbewußt zu dem ersten Urheber dieser ganzen naturalistisch-phantastischen Poesie, eben zu Poe, zurückgelangt wären. Wie dem auch sei. Sie brauchen diese Ähnlichkeit nicht zu scheuen; sie ist, glaube ich, nur dem durch eigene technische Erfahrung verfeinerten Leser fühlbar. Nach meinem subjektiven Geschmack ist dies Gedicht sogar das poetisch tiefste, an Stimmung gehaltvollste, unter den fünf Bildern.

»Die drei anderen Visionen sind in der Tat ganz und gar eigentümlich in der sprachlichen Behandlung. Ich glaube, hauptsächlich deshalb, weil Sie die technischen Reize ganz überwiegend mehr aus plastischen als aus koloristischen Vorstellungen geschöpft haben. Das würde sich damit decken, daß Sie mir schon aus Ihren gedruckten Gedichten weit mehr als realistischer Gemütsmensch, denn als phantastischer Lustmensch (wie Liliencron einer ist) entgegengetreten sind. Das spezifisch wahrnehmende Gefühl (das empfindsame Gemüt) geht seiner Natur nach, der realen Welt gegenüber, immer zunächst auf das dauerhaft Plastische; das genießende Gefühl (die sinnliche Lust) entschieden mehr auf die flüchtigeren koloristischen Eindrücke. Daher wirken alle diejenigen Vorstellungsbilder, bei denen Sie Ihre Phantasie mehr auf die räumliche Anschauung einstellen, entschieden eigentümlicher, Falkescher als die, bei denen Sie auf Farbeneindrücke ausgehen. Am deutlichsten kommt die bei dem poetischen Gleichnis zum Vorschein, das ja immer die sichersten Aufschlüsse über das individuelle Darstellungsvermögen des Lyrikers gibt. Wissen Sie, welches Gleichnis in Ihren Gedichten auf mich den nachhaltigsten, für Sie bezeichnendsten Eindruck gemacht hat? In dem Stimmungsbild »Unterwegs« (als Ganzes betrachtet, gefällt es mir weniger) der Vergleich zwischen dem aus der Brunnenfratze stürzenden Sprudel und dein Mädchenschwarm, der aus dem Schulgebäude stürmt. Also ein rein plastisches Gleichnis; denn die Beziehung zwischen den Regenbogenfarben der Wasserblasen und dem bunten Durcheinander der Kinder ist durchaus sekundäre Begleiterscheinung.

»Was ich im großen und ganzen bemängeln möchte, ist die wenig eigentümliche Art der poetischen Phantasie im »Berg« und in der »Regeninsel«. Sie trägt zu sehr Klinger-Böcklinsches Gepräge. Ich verehre diese beiden, den Zeichner wie den Maler sehr, verehre und liebe sie. Aber der Poet hat, scheint mir, andere Aufgaben, als nur Bilder zu geben. Es ist gut und wünschenswert, daß wir unsere technischen Hilfsmittel wie auch unser Vorstellungsvermögen aus den Schwesterkünsten bereichern, aber durch zweckentsprechende Umbildung, nicht durch einfache Übertragung; eben wiederum nur als Mittel zu den höchsten spezifisch poetischen Zwecken, nicht als zeichnerischen oder malerischen Selbstzweck. Wir werden das Nebeneinander der malerischen Wirkungen durch unser sprachliches Nacheinander der Darstellung doch nie im selben Deutlichkeitsgrad erreichen. Daher muß m. E. der Poet seine Phantasiebilder nach einer andern, ihm ausschließlich gangbaren Richtung hin vertiefen, als bloß nach Anschaulichkeit und Stimmung hin. Das ist entweder Handlung oder Deutung; ganz besonders die fortschreitende, im Lauf des Phantasievorganges sich entwickelnde Deutung. Also auch eine Handlung, nur von idealerer Substanz als die Handlungen der Affekte. Er muß eben in viel höherem Grade sinnbildlich wirken als alle anderen Künstler, muß einerseits aus persönlicher Erfahrung Aufschlüsse geben über reale Zusammenhänge der lebendigen Natur, andererseits eine überpersönliche, ideale, in sich selbst sinnvoll zusammenhängende Gefühlswelt gestalten. Dies Postulat ist durchaus kein schulmeisterhaftes, sondern folgt einfach aus der Beschaffenheit seines Arbeitsmaterials, der Sprache; denn diese ist in ihren Begriffen und Beziehungen nicht bloß konkret individualisierend, sondern mehr noch typisch abstrahierend. Beides muß also der Poet gleicherweise berücksichtigen, will er zu höchsten, spezifisch poetischen Leistungen gelangen. Entwickelt er seine Phantasie in dieser Beziehung nicht, so bleibt er – bei aller künstlerischen Meisterschaft – entweder in der bedeutungslosen Naturbeschreibung oder in phantastischen Spielereien stecken; er wird zum feineren Unterhaltungsdichter, bleibt ein Modetechniker, anstatt ein Zukunftsförderer, ein Seelenschöpfer, ein Menschheitsbildner, ein Dichter der Vertiefung und Erhebung zu werden. Sehen Sie sich doch die naturalistischen Idylliker des vorigen Jahrhunderts, die romantischen Phantastiker im ersten Drittel dieses Jahrhunderts an! Wir zucken heute die Achsel über sie; zu ihrer Zeit waren sie bewunderte Künstler. Heute steuern dem Wesen nach die meisten jungen Künstlerdichter zu derselben Scylla oder Charybdis hin; nur ihre technische Mode ist seiner geworden, sie haben ein paar dekorative und sensitive Finessen der Sprache hinzugelernt, sonst toute la même chose. Sehen Sie, darum ist Liliencron anders: trotz seiner Lust am flüchtigen, prickelnden Augenblick tiefer, ewiger: weil er überall, wo er sein Bestes gibt, in seine sinnliche Augenblickserregung, in seinen phantastischen Impressionismus zugleich eine herzliche Erfahrungsweisheit oder eine ironische Humanitätsidee hineinzuweben versteht. Denn dies Ideelle – so hängen eben dichterische Wesenskraft und künstlerische Wirkungsmacht eng zusammen – dies Ideelle übt zugleich wieder seine Rückwirkung auf die sensuelle Form. Alles wird konzentrierter, gesammelter, von innen heraus bewegter, individuell organischer, unnachahmlicher: die eigentümlich einheitliche Welt erzeugt eben auch ihre eigentümlichen Gestalten, das ewig Reizvolle. Das bloß stimmungsvoll Oberflächliche vertieft sich ins geistvoll Gründliche; das prosaische Nacheinander wird zum poetischen Miteinander und Ineinander, die metrische Gliederung zum rhythmischen Wachstum, das bloß bezeichnende Eigenschaftswort zum bedeutsamen Beziehungswort. Kurz: das Zwingende, Schlagende, Notwendige, das »unmöglich anders« Seiende fließt, glaube ich, nur aus dieser Quelle.

»Der gehetzte Friede« endlich ist sehr, sehr schön; Ihnen ganz eigentümlich, sowohl dem Ausdruck nach, wie auch in Stimmung und humoristischer Idee. Alles entwickelt sich auf den Schluß hin! Sehen Sie, hier ist ein Kunstwerk, das nur der spezifisch poetische Künstler schaffen konnte. Ich für meine Person hätte allerdings noch etwas weltweise Ironie hineingemischt; aber chacun a son goût! Zumal die Einführungsakkorde mit den ein wenig à la Shakespeare stilisierten Bildern sind prachtvoll. Dann plötzlich der wundersame Kontrast in die Gartenstimmung hinein; entzückend! Um so störender wirkt in dieser Schönheit die ungeschickte Inversion von »seinem Flimmergischt dem hellen«. Das müssen Sie entschieden ändern. Überhaupt scheinen mir die Ausdrücke »Gischt« und »Spritzer« für die weichen Tupfen, die das zitternde, durch die Gebüsche sickernde Licht auf den Marmor streut, viel zu hart und greifbar. – »Die Nachtigall, die abseits seufzt«; sprechen Sie das mal laut aus, und dann fragen Sie sich, ob man das süße Schluchzen und Kichern und Schelten der Nachtigall durch eine so schauderhafte konsonantische Zungenbrecherei wiedergeben darf! – In den beiden unterstrichenen Zeilen »Der letzte Wagen usw.« wirkt die Auseinanderreißung und Inversion des Verbums furchtbar schwerfällig (offenbar durch metrische Schwierigkeiten verursacht); das muß ebenfalls auf jeden Fall in natürlichere Form gebracht werden, da ja gerade das Wegrollen der eleganten Equipagen einen durchaus leichten, geradezu »geschmierten« Eindruck machen muß. – (Der Lampenschein) »ruft leise Lichter usw.« das ist wieder nur prosaische Andeutung, nicht poetischer Ausdruck, d.h. Erschöpfung des Eindrucks. Dieser stumme Lampenschein im stillen Schlafgemach kann doch unmöglich etwas hervor rufen.« –

Über ein längeres Gedicht in einem späteren Buche, das ich ihm dann dankbarst zueignete, schrieb er mir in gleicher Offenheit:

»Vor der »Insel« stehe ich mit zwiespältigem Gefühl. Dem ganzen Wurf nach ist es vielleicht Ihr bedeutendstes Gedicht. Aber in der Ausführung sind wieder lange Stellen voll der verdammten Wielandschen Geiltuerei (echte Geilheit ist es nämlich nicht), die ich durchaus nicht verknusen kann. Bemühen Sie sich nicht, das herauszubringen! Das würde Ihnen nicht gelingen. Es liegt nicht in Ihrer Natur, diese brutale hellenische Sinnlichkeit, nach der zuweilen Ihr Sehnen steht, wirklich darzustellen. Man muß sich eben an der Sehnsucht schadlos halten, und die haben Sie in ganz einziger Weise zum Ausdruck gebracht. Je mehr nach dem Schluß zu, um so reiner und seelenvoller wird alles. Wundervoll ist die »Knaben«-Episode, der große Pan, der Abschied; psychologisch sehr gut, wenn auch etwas zu zahm in der Ausführung, »Die Flöte«. Alles in allem: Hut ab!«

Sehr hart empfand ich den Vorwurf der Geiltuerei und ich nahm das Gedicht noch einmal vor und suchte auszumerzen, was mir meiner Meinung nach diesen Vorwurf zugezogen haben könnte. Aber Dehmel war damit nicht zufrieden.

»Zu Ihren Ausmerzungen aus der »Insel« kann ich Ihnen schwer was Ordentliches sagen, schrieb er. Das »Wielandsche« liegt nicht im einzelnen, sondern in dem ganzen sinnlichen Ton. Der Anlage nach ist es ja fast nötig, auch etwas Vielweiberei zu treiben. Nur eben Sie bringen es nicht heraus, dies mit natürlicher Selbstverständlichkeit von sich zu geben; es ist Ihnen nicht natürlich. Es ist Ihnen überhaupt nicht natürlich (wie es fast stets unserm Detlev und zuweilen auch mir ist), im bloß sinnlichen Rausch aufzugehen; dazu sind Sie eine viel zu christlich edle Natur. Und das ist eben das wundervolle in dieser Dichtung, wie sich schließlich die Liebe aus Mit gefühl, nicht aus bloßer Mit erregung in dem Heidentums-Sehnsüchtling einstellt, trotz aller Verstandeseinsicht, wie großartig es ist, die Welt mit Pan-Augen anzulachen. Seien wir doch ehrlich! Pan ist und bleibt das vergöttlichte Tier; wir aber wollen den Menschen göttlicher machen! Deshalb braucht uns unsere Tierheit noch kein Schmerz zu sein; aber wir wollen uns hüten, es als großgeistig, als übermenschlich usw. auszuschreien, wenn wir andern mit unserer Tierheit Schmerz bereiten. Finden sich zwei Menschen in tierischem Glück zusammen: á la bonne heure! Aber schändlich ist es, da als Tier zu genießen, wo ein anderes Wesen den Gott in uns genießen möchte. Und Sie, lieber Falke, haben überhaupt nicht die Fähigkeit, dieses höchste Sittengesetz jemals ganz zu vergessen, selbst dann nicht, wenn Ihnen mal durch Zufall ein Geschöpf in den Weg läuft, das nur das Tier in Ihnen sucht; dann werden Sie viel eher die Neigung haben, es zum Gott zu bekehren. Und unterdrücken Sie diese Neigung in sich und suchen »naiv« (o dies verdammte Fremdwort, es ist doppelzüngiger als alle Schlangen der Welt) den aufgeregten Sinnen nachzugeben, dann eben werden Sie unnaiv, d.h. naturwidrig, Ihrer Natur zuwider, und Ihre aufgereizte Sinnlichkeit wirkt »lüstern«, halb geil, halb impotent. Aber wie gesagt: wenn man die »Insel« als Ganzes anschaut, schadet das nichts. Man wird eben versöhnt mit dem unselbsteigenen Anfang, der übrigens stückweise bis über die Mitte hinausreicht, durch den echt selbstvollen Schluß und die echt selbstlose Verherrlichung Pans. In diesem Pan ist es Ihnen gelungen, die hellenische Sehnsucht rein darzustellen, während sie in den nicht geistigen, sondern fleischlichen Vorstellungen unrein wirkt. Erst der tragische Abschied (Goethe sagt einmal: »das Grundmotiv jeder Tragödie ist ein Abschiednehmen« oder so ähnlich) löst diese unbeabsichtigte Dissonanz ebenso unbeabsichtigt auf; das ist das künstlerisch Schwache, aber menschlich Schöne an der Dichtung. Und ich rate Ihnen, sich in dieser Hinsicht nicht den Kopf mit Besserungsversuchen zu zerbrechen; da ist einfach eine Grenze Ihrer Natur! Wir sind allzumal Sünder usw.«

Daß ich den Besitz zweier solcher Freunde wie Liliencron und Dehmel und die Gelegenheit zu solchen Aussprachen als ein höchstes Glück zu schätzen hatte, war mir wohl bewußt. Gar mancher, der einsam schafft und bildet, sehnt sich nach einer gleichgestimmten, verstehenden Seele und verzehrt sich in dieser Sehnsucht, und Scheu und Keuschheit hindern ihn sich zu offenbaren, während selbstbewußte Jugend von siebzehn und achtzehn Jahren sich nicht scheut, mit ihren unfertigen Versuchen anerkannte Meister wieder und wieder zu belästigen, oft mit so rührender Einfalt, daß es schwer wird ihnen zu zürnen. Ich hatte nun lange genug meine dilettantischen Versuche nur im Verborgenen blühen lassen, bis ich mich entschloß, den einzigen Weg zu beschreiten, der mir erlaubt war, nämlich den, sich an eine Redaktion mit der bescheidenen Bitte um Prüfung zu wenden. Dieses war mir geglückt. Und mir war alsbald der Lohn für mein Wohlverhalten geworden, indem nun der Meister an meine Tür klopfte und mir freiwillig bot, um was zu bitten ich mich nie erkühnt hätte. Wenn ich bedachte, wie alles mir so ohne mein Zutun in den Schoß gefallen, fühlte ich mich immer wieder und wieder in meiner besonderen Art Frömmigkeit bestärkt, die in einem lebhaften, innigen Dankgefühl gegen die unsichtbare, schenkende und führende Macht bestand und in einem kindlich gläubigen Vertrauen auf ihre weitere Führung.

Stolz und selbstrühmend zu sein, lag nicht in meiner Natur, und wie hätte ich es auch ohne gleichzeitige tiefe Beschämung sein können, wo der herrliche Freund mit allen seinen Vorzügen auch die adelige Eigenschaft vornehmster Bescheidenheit verband. Karl Busse hatte seine Anthologie moderner Lyrik herausgegeben, die alles vereinte, was ein Recht hatte, sich in dem deutschen Dichterwalde mit seiner Stimme hervorzutun.

»Ich las viel in Busses Buch,« schrieb Liliencron mir. »Und wieviel unendlich Schönes fand ich darin. Eine tiefe Schamröte bedeckt mich, wenn ich an die bodenlose Arroganz denke, etwas Besonderes bei all diesen Dichtern zu sein. Welcher Unsinn. Wie fallen meine Lieder ab, bei dem nächsten Besten, den ich in Busse aufschlage. – Daß Deutschland nicht ahnt, was es an seiner Lyrik hat, wieviel herrliche Lyrik es hat –«

Daß er von allen lebenden Mitdichtern neidlos als Erster anerkannt wurde, war ihm sicher bewußt, und stärkte ihn in seinem jahrelangen Kampf gegen Unverständnis, Übelwollen und Stumpfsinn.

Ich aber, an seiner Hand heraufgekommen, genoß früher des süßen Ruhmes, als er mir ohne ihn zuteil geworden wäre, und war sein Weg steinig gewesen, so war meiner durch die Gunst der Umstände fast ein müheloser Aufstieg zu nennen. Oder, um in einem anderen Bilde zu sprechen: Er stritt gegen Wind und Wellen, ich schwamm in einem beruhigten, sich immer mehr ausbreitenden Strome ohne Widerstand dahin; freilich: schwimmen mußte auch ich können.

*

Manchmal überkam es mich, als hätte ich eine verlorene Jugend nachzuholen, ein Sehnen nach Flügelbreiten, Kampf und Leidenschaft, nach allen Festen des Jünglings. War ich denn nicht jung gewesen, hatte gespielt, geschwärmt, geküßt? Ach, es wollte mir dann scheinen, als wäre das alles nur ein dumpfes Träumen gewesen, ohne Licht, ohne Klang, nur ein zaghaftes prüfendes Fingern auf den Saiten des Lebens. Und ich war töricht genug zu glauben, ich könnte das Lied der Jugend noch einmal singen. Da klang's denn wohl gekünstelt, der Dompfaff im Bauer. Und Liliencron lachte mich aus. Das verstand er prächtig, ohne weh zu tun. Und Dehmel verwies es mir in seiner Weise. Und hatte mein Herz nicht seinen Heimgarten, wo es sich jung fühlen durfte, wie am ersten Tag in immer gleicher Liebe? Und mit Recht durfte ich zu anderen Zeiten singen:

Herz, mein altes Herz, ich muß dich lieben,
Immer findest du dein Lachen wieder,
Singst die lieben Kindheitsmorgenlieder
Mit dem alten hellen tapfern Ton,
Wie vor Jahren schon,
Und so preis' ich dich und deine Tugend:
Deine immer unverdrossene Jugend.

*

Vom hohen Felsen stürzt der Gießbach mit Donnern und Schäumen. In allen Regenbogenfarben schimmern die Wasser. Bewundernd, halb betäubt stehst du, die Gewalt des tosenden Falles bezwingt dich, und dir kommen Gedanken und Wünsche des brausenden, ungebändigten Lebens. Aber an jenem Halm hängt ein Tropfen Tau, nur ein Tropfen Tau, in heiliger Morgenfrühe, blitzend im ersten Licht. Sieh ihn ruhen, glänzen, selig in sich. Was ist es, das deine Seele bewegt, so viel reiner, himmlischer bewegt, als der Tumult des stürzenden Baches? So fragte ich mich und lernte mich finden und mein Reich.

Und so wurden neben Liliencron andere meine Lehrmeister. Conrad Ferdinand Meyers strenge, edle Kunst kam dem Zug zum Bildnerischen, Plastischen in mir entgegen, und bot gewiß ein heilsames Gegengewicht gegen die Unarten, die Liliencrons Stil anhafteten, oder wenigstens bei anderen zu Unarten geworden wären, indessen sie ihm als zu seiner Persönlichkeit gehörig erlaubt waren. Auch bleibt vieles bei ihm nur impressionistisch, rundet sich nicht zu einem fertigen Kunstwerk, zu einem vollen Gedicht; dieses aber war mir ein Bedürfnis, das auch durch meine musikalischen Studien und mein musikalisches Empfinden genährt und ausgebildet worden war. Hierin aber war Conrad Ferdinand Meyer, der Künstler, vorbildlich.

Ein reiner silberheller Quell floß mir aus Mörikes Lyrik, den ich um seinen einzigen Platz unter den deutschen Dichtern beneidete. Wollte mir Liliencrons Poesie, wie die Vegetation der Heide und des Waldes erscheinen, lieblich und herbe, aber urwüchsig, wie Erika, Ginster und Wacholder, so lachten mir Mörikes Lieder gleich goldenen Kätzchen aus einer heiteren, sonnigen Wipfelregion entgegen, von einer lichteren und leichteren Luft umflossen, und dieses lichte und leichte Schweben wollte mir wohl manchmal seliger dünken als das Liliencronsche Daherbrausen. Doch die Eiche ist schön und die Rose ist schön, und ich getraue mich nicht zu sagen, wer größer ist.

Auch Kellers männliche Lyrik liebte ich, und das Waldhorn Eichendorffscher Poesie hallte bis in meine Träume.

Mit allen diesen Einflüssen hatte ich mich auseinanderzusetzen, und tat es nicht kämpfend, sondern in liebevollster Hingabe, wie es meiner Natur gemäß war. Mein Eigenstes blieb mir dabei doch unverloren, wenn auch manchmal ein Tröpfchen von dem Bade, dem ich gerade entstiegen war, an mir hängen blieb. Das schließt Lob und Tadel in sich. Ich meine aber, jedes Bad erquickte und stärkte mich. Die ungebadeten Originale aber sollen in ihrer größeren Pracht des höheren Ruhmes gerne genießen.


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