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II

Liliencron wollte kommen. Wir hatten uns nach seinen Gedichten und vor allem nach seinem »Mäzen« ein Bild von ihm gemacht: Besitzer von neunundneunzig Gütern, unermeßlich reich, Aristokrat, Offizier, groß und breitschultrig, und wir sahen nach dem Wagen aus, in dem er vorfahren würde, vielleicht vierspännig.

»Wenn er sich nur vorher anmelden würde,« meinte meine Frau, der ein so hoher Besuch doch einige Beklemmungen machte. Auch ich war nicht ohne Bedenken. Wie würde er sich geben? Würde er sein wie seine Briefe, seine Bücher? Wir hatten schriftlich manches vertrauliche Wort gewechselt; würde ich nun dem reichen Freiherrn gegenüber mündlich denselben Ton finden?

Eines Tages, als wir von einem Spaziergang zurückkehrten, fanden wir auf dem Fußboden seine Visitenkarte; er hatte sie unter die Tür geschoben.

Detlev Freiherr von Liliencron; darüber die Freiherrnkrone.

Auf der Rückseite aber stand mit Blei in seiner großen energischen Handschrift: »Komme morgen wieder.«

»Weißt du – eigentlich bin ich ganz froh,« sagte meine Frau. »Nun können wir uns doch wenigstens etwas vorbereiten. Aber hoffentlich kommt er nicht nachmittags, wenn du nicht zu Hause bist. Das wäre schrecklich! Auf keinen Fall empfange ich ihn allein. Dann mußt du zu Hause bleiben.«

»Das geht doch nicht, Schatz.«

»Dann gehe ich auch aus oder schließe einfach ab.«

Es half mir nichts, ich mußte ihr versprechen, daheim zu bleiben.

Am anderen Tag warteten wir von Stunde zu Stunde, aber er kam nicht. Als wir uns jedoch gerade vor unsere Mittagsuppe setzten, klingelte es.

»Das ist er!« rief meine Frau, und ein komisches Entsetzen malte sich in ihrem Gesicht.

Es klingelte zum zweitenmal.

»Soll ich die Suppe wieder hinausbringen?«

Aber da hatte das kleine Morgenmädchen schon geöffnet; eine schnarrende Stimme wurde auf dem Korridor laut, kurz, offiziersmäßig, ein Scharren und Schnüffeln – die Tür wurde geöffnet, und herein schoß ein kleiner, gelber Teckel, an einer Leine festgehalten.

Ich ging dem Besuch ein paar Schritte entgegen. Er streckte uns beide Hände entgegen.

»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, wenn ich Ihnen in die Suppe falle. – Männe, willst du! Aber lassen Sie sich nicht stören. Bitte, ruhig Ihre Suppe zu essen. – Männe!«

Der Teckel schoß unter alle Stühle und rumorte entsetzlich umher, während sein Herr vergeblich an der Leine zerrte. Das war also der Freiherr von Liliencron! Ein kleiner, hagerer Mann in langem Lodenrock, der ihm bis auf die Füße fiel, mit einem kleinen, grünen Hute, den er unter den linken Arm geklemmt hatte, und mit einer hellen, krähenden Stimme.

Ich lud ihn ein, abzulegen, aber er wehrte ab.

»Nein, nein, ich will gleich wieder gehen. Sie sollen Ihre Suppe essen. Kartoffelsuppe? Herrlich! Herrlich!

Kantüffelsupp', Kantüffelsupp',
Den ganzen Tag Kantüffelsupp'!«

Er legte nicht ab, nahm keinen Stuhl an, drückte uns nur wiederholt die Hände und nannte mich: »Mein Poet.«

»Wann treffe ich Sie morgen zu Hause?« fragte er.

»Zu jeder Stunde bin ich für Sie da,« antwortete ich.

»Vortrefflich! Dann hole ich Sie ab zu einem Spaziergang. Gnädige Frau erlauben, daß ich Ihren Herrn Gemahl entführe. Um vier Uhr? Ist Ihnen das recht?«

Ich bejahte.

»Aber nun die Suppe, die Suppe! Männe! Willst du her!«

Ein Handkuß, ein Händedruck, und draußen war er. Und die Kartoffelsuppe war noch heiß.

Wir sahen uns an und lachten. Ich hatte mit einer gewissen Enttäuschung zu kämpfen. Ich hatte mir ein Bild von ihm gemacht, so stolz, so edel, wie nur ein begeisterter Backfisch sich seinen Ritter träumt. Und dieser kleine, hagere, quecksilberne Mann mit der krähenden Stimme entsprach so gar nicht diesem Bilde.

Am anderen Tag trat er in derselben turbulenten Weise bei uns ein; nur seinen Teckel hatte er zu Hause gelassen.

Ein Handkuß, ein »gnädige Frau«, und eins zwei drei hatte er mich meinen vier Wänden entführt.

Er äußerte den Wunsch, nach der »blauen Brücke« zu gehen, die hinter Horn über die Bille führt. Hier liegt jenseits eine Reihe alter Patrizierhäuser, Sommerwohnungen, in dunklen, verträumten Gärten, die wollte er wiedersehen; er sei früher viel dort spazieren gegangen und liebe diese Gegend. Ich vernahm zum erstenmal, daß er schon früher in Hamburg gewohnt habe und hier durchaus nicht fremd sei; ja es zeigte sich bald, daß er besser Bescheid wußte als ich selbst.

Die Natur lag noch im Winterkleid. Die Bille war zwar frei von Eis, aber der Erdboden war hart gefroren, und auf den kahlen Feldern und auf den Wegen und an den Gräben lagen Reste schmutzigen Schnees. Es war aber eine stille, klare Luft, in der sich gut spazierte, und wir wurden bald warm vom Gehen und Sprechen. Was war er für ein prächtiger Erzähler! Er erzählte von Conrad und Bierbaum, den er seinen Otto Julius nannte, von Max Halbe, vom Liederkönig Hugo Wolff, von Karl Henkell und Conradi, »diesem ganz Genialen«, die ich alle aus »Der Gesellschaft« schon kannte, und führte mich in einer halben Stunde durch die ganze moderne Literatur.

Ich hatte Muße, sein Gesicht zu studieren, das mir, je länger ich es ansah, immer schöner erscheinen wollte: das feste, energische Kinn, die hübsche Nase, die wunderbarsten Augen, die einmal aufblitzten und ein andermal wie hinter trüben Schleiern versanken. Als wir an den winterlichen Gärten hingingen, wußte er mir von den dunkel und einsam daliegenden Häusern allerlei zu erzählen; von einem kannte er den Namen des einstigen Besitzers, an ein andres wußte er eine Anekdote anzuknüpfen, ein drittes begeisterte ihn zu einem Loblied auf das Empire, und ein viertes schien er bei einem persönlichen Besuch bis in alle Räume kennen gelernt zu haben.

»Sehen Sie!« rief er und faßte mich am Arm. »Dort das Zimmer rechts im Erdgeschoß! Sehen Sie's? Neben den schwarzen Zypressen? Da starb sie.«

»Wer?«

»So ein süßes Mädel, wie sie war,« fuhr er fort, ohne auf meine Frage zu achten. »Augen, wie der Abendstern, und so ganz kleine weiße Hände. Und küssen konnte sie!« Es schien mir indiskret, weiter nach diesem süßen Mädel zu fragen; ich starrte auf das stumme Fenster neben den schwarzen Zypressen, und Haus und Erzähler kamen mir rätselhaft, wunderlich vor. Was mochte er alles erlebt haben?

Bei einem anderen Landhaus, dessen Winterschlaf zwei Bronzelöwen zu bewachen schienen, rief er: »So müssen wir Dichter wohnen! Statt dessen lassen sie uns hungern! Zweimalhunderttausend Mark jährlich. Der Teutsche rauft sich ja wohl die Haare aus. Was? Tweemalhunertdusend Mark? Kartoffeln sollt Ihr fressen und uns unsere Geburtstagskarmen dichten!«

Ich lachte. Er aber fing ernsthaft an zu prophezeien: »Passen Sie auf, passen Sie auf! Es kommt! Konrad zeigt es ihnen, dieser Riese, dieses Genie!«

So ließ er seinem Temperament die Zügel; ich konnte ihm nur staunend zuhören, und mir war wunderlich zu Sinn.

War das der Dichter, dessen Verse mich so im Innersten gepackt hatten, wie nach Goethe noch keiner? War das Timme Boje Tetje aus dem »Mäzen«, der glückliche Erbe Wulff Gadendorps?

»Sehen Sie, dort, das einsame Bäumchen auf dem Deich? Ist es nicht rührend?«

Ich hatte kaum Zeit hinzusehen, als er schon wieder rief: »Falke, Falke!« Er stieß mich mit den Ellbogen in die Seite. »Haben Sie gesehen, was die lütje Deern für Augen machte? Die liebt Sie jetzt.« ›Verrückter Kerl!‹ dachte ich denn doch respektlos und lachte. Die Kleine, ein flachsblondes Arbeiterkind, die uns im Vorübergehen angeschielt hatte, kicherte hinter unserem Rücken. Er drehte mich um: »Ist sie nicht entzückend?«

Ich fand es keineswegs, widersprach aber nicht.

»Ihre herrliche Frau! Was hat sie für gütige Augen!« sagte er unvermittelt.

So sprang er von einem aufs andere, und als wir uns nach drei Stunden in der Nähe meiner Wohnung trennten, hatte ich einen wirren Haufen von Eindrücken und Stimmungen empfangen, ohne daß ich eigentlich etwas Rechtes in der Hand hielt; nur die Empfindung hatte ich, daß wir uns näher gekommen waren, und daß ich ihm gefallen hatte. Eine Einladung, den Tee bei uns zu trinken, hatte er abgeschlagen; er wolle diesen Abend eine Wohnung in Altona mieten und erst noch ein paar Minuten bei seinem alten Vater vorsprechen, der hier ganz in der Nähe in einem alten Patrizierhause wohne.

»Nun?« fragte meine Frau, als ich etwas ermüdet wieder bei ihr eintrat.

»Ein wunderlicher Mensch,« sagte ich. »Aber höchst interessant. Und wir sind schon gute Freunde.«

Sie wollte mehr wissen, und ob er denn nichts von sich selbst erzählt habe. Aber ich konnte ihr nichts mitteilen, als daß er ganz in unserer Nähe in einem alten Patrizierhause einen Vater wohnen habe und daß er sich in Altona eine Wohnung mieten wolle.

»Dann ist es doch wohl nichts mit seinen Gütern?« meinte sie.

»Die liegen wohl im Monde,« sagte ich.

*

Es entspann sich jetzt ein lebhafter Verkehr zwischen Liliencron und mir. Er lebte in einer Einsamkeit und Verlassenheit, die im schneidendsten Gegensatz zu dem Bilde stand, das ich mir von dem Millionenerben Wulff Gadendorps gemacht hatte, und der mich tief erschütterte und es mir erklärlich machte, daß er sich an mich als eine verstehende Seele anklammerte.

Er hatte sich in Ottensen bei Altona, in der Nähe der Kirche und der Nachbarschaft von Klopstocks Grab bei einfachen Leuten ein kleines Parterrezimmer gemietet; er wollte möglichst draußen in der Nähe der Elbe und seiner geliebten holsteinischen Wiesen und Felder sein.

»Wohn' ich nicht entzückend?« empfing er mich das erstemal, zog die Gardine zurück, und zeigte auf eine kleine Laube, die vor seinem Fenster stand.

»Hier sitze ich nun jeden Abend mit meiner guten prächtigen Frau Möllern und klön en beeten.«

Und dann zeigte er mir mit ironischer Handbewegung sein bescheidenes Zimmer: » L'appartement de Monsieur le Baron! Herr B'ron, wie meine alte gute Möllern sagt.«

Ich lachte und sah mich um. Der kleine Raum war nur mit dem Notdürftigsten möbliert; ein Sofa, ein Tisch, eine Kommode und zwei Stühle. Das Bett war hinter einer geblümten Kattungardine verborgen, die er ein wenig lüftete, damit ich sehe, daß er auch ein »anständiges Lager« habe. Ich sah Hut, Stock und gelbe Handschuhe auf dem Bett liegen. Ich sah, daß er nicht verwöhnt war und vielleicht mit noch bescheideneren Verhältnissen hatte manchmal vorliebnehmen müssen.

Leuchtend in all der Ärmlichkeit stand eine blaßrote La France in einem Wasserglas auf dem runden Tisch.

»Ist die nicht herrlich?« rief er, und stand mit ausgebreiteten Armen davor, als gälte es ein junges Mädchen zu umarmen.

»Aber nun kommen Sie, wir wollen einen Gang durch die Felder machen. Nachher essen Sie Erbsensuppe mit mir; Frau Möller kocht eine köstliche Erbsensuppe.«

*

Wöchentlich einmal mußte ich zu ihm kommen. Gewöhnlich aß ich dann bei ihm, ein bescheidenes Mahl, ganz kleinbürgerlich: eine Suppe, eine Karbonade, ein paar Frikandeaus, alles reichlich in Fett schwimmend, wodurch er sich auch bald ein vorübergehendes Magenleiden zuzog. Zwei Flaschen Lagerbier bildeten den Trunk, eine Rose oder ein Syringenzweig den Tischschmuck. Und während wir aßen, lagen auf dem Bett oder auf der Kommode schon Hut und Handschuhe zum Spaziergang bereit. Nie ging er ohne Handschuhe.

Manchmal vergingen keine acht Tage, daß er mich rief: »Kommen Sie, kommen Sie, ich habe so eine Sehnsucht nach Ihnen.« Oder: »Es kümmert sich kein Mensch um mich!« Oder: »Heute Nacht ein wundervolles Gedicht! Sie müssen sofort kommen!«

Und immer mußte ich auch von meinen eigenen Versen mitbringen. Da gab er sich denn die liebevollste Mühe mit ihnen, lobte überschwenglich, tadelte drastisch und wußte mir mit ein paar Worten die Augen zu öffnen. Las er dann seine eigenen Verse, so konnte man sich nichts lebendigeres denken. Er unterstrich mit Ton und Gebärde, malte mit Tempo und Mimik und gab immer ein plastisch anschaulich Bild, so daß man sich stets mitten in seinem Gedicht befand, war es nur eine Ballade mit Schlacht und Mord, oder ein Landschaftsidyll, oder eine seiner entzückenden Liebesszenen.

Einzelne Verse, die ihm besonders gefielen, wiederholte er wohl, ebenso einzelne Ausdrücke und gelungene Bilder. »Falke! Hören Sie! Ein Wasser schwatzt sich selig durchs Gelände! Ist das nicht reizend?«

Seine Manuskripte sahen bunt aus. Er änderte und feilte unermüdlich, und schalt mich, wenn ich nicht trachtete, einen guten Ausdruck durch einen besseren zu ersten.

»Immer Leben, immer Anschauung! Was ist ein Vogel? Ein Vogel ist nichts. Ein Sperling ist schon etwas.«

Er hatte die feinsten Ohren für Anklänge und Reminiszenzen.

»Das ist Goethe, das ist Lenau, das ist Geibel! Sehr schön, aber Schillehr, Schille–h–r!«

So arbeiteten wir zusammen, und es kam auch wohl vor, daß er mich um einen Rat fragte und meinen Vorschlag guthieß und annahm.

Lange ästhetische und kritische Gespräche, öde Fachsimpelei waren ihm zuwider, und auf unsern Spaziergängen hatten wir es ein für allemal verpönt, »literarisch« zu werden.

Es fehlte uns auch nicht an anderer Unterhaltung. Ein Baum, eine Wolke, ein einsames Haus, ein Knick, eine Krähe, ein Mädchen, ein Teckel, ein Viergespann, alles wurde sprunghaft, mit ein paar kurzen Worten wie mit dem Blitzlicht aufgefangen, wobei denn oft die drolligsten Bilder und Wortverbindungen zum Vorschein kamen. Dabei sammelte er unermüdlich für seine Arbeiten. Wie er jenes Landhaus an der Bille mit den Gestalten seiner Novelle »Das Richtschwert von Damaskus« belebt hatte, wie ich jetzt erfuhr, so mußte ihm beständig alles dienen, und manches, was uns auf unseren Spaziergängen aufgefallen war, ein merkwürdiger Baum, eine alte Katenfrau, ein blühendes Topfgewächs vor einem Villenfenster und was immer es sein mochte, fand ich hernach in irgendeinem Kapitel seines Romans »Mit dem linken Ellbogen«, an dem er gerade arbeitete, wieder.

Gern führte er mich in kleine und versteckte ländliche Wirtshäuser, je kleiner und versteckter je lieber ihm, wo er mich zu einem Glas Grog oder Bier einlud. Hier hieß es denn meistens: »Falke, hebbt Se 'n beeten Geld?« Und der Gast mußte dem Wirt borgen, was nicht so genau genommen wurde. Da hockten wir denn in irgendeiner kleinen Laube zusammen, schütteten unsere Herzen aus und machten uns heiße Köpfe.

Nur hin und wieder wurde ein neues Buch, ein neuer Autor, mit ein paar Worten abgetan. Dagegen liebte er es, immer wieder mit kräftigen Ausdrücken auf die »guten Teutschen« zu schelten, die ihre »Tichter« hungern ließen, und auf die neidischen und hämischen Philister, die ihm nicht das kleinste Glück gönnten und in Liebessachen von einer ekelhaften, altjüngferlichen Prüderie und Heuchelei wären. Und allemal hatte er ein neues Liebesabenteuer zum besten zu geben, manchmal brutal, manchmal mit der naiven, entzückenden Anmut seiner Gedichte.

Auch in seinen Briefen vertraute er mir seine kleinen Erlebnisse meist mit großer Offenherzigkeit an; oft in ein paar hingeworfenen Zeilen. Nicht immer war es ein Brief oder eine Karte, sondern zuweilen nur ein abgerissener Fetzen, die Klappe eines alten Kuverts, was seinem Mitteilsdrang genügen mußte. Oft fehlte es ihm an Porto. Seine Armut war in dieser Zeit grenzenlos, und sein Zustand war geeignet, mich in seine Anklagen gegen eine Gesellschaft einstimmen zu lassen, die solche Dichter wie ihn darben ließ.

Hatte ich es nun zehnmal besser als er, weil ich mit Stundengeben das, was ich brauchte, leidlich verdiente, so hatte ich doch auch meine Sorgen und seufzte wohl auch einmal unter ihrem Druck. Er aber schloß mich zugleich in den Kreis der notleidenden Poeten mit ein, zu denen ich ja, wenn ich von meiner Poesie hätte leben sollen, freilich als ein allerärmster Schächer gehört haben würde, und er nannte es eine Schmach, daß ich genötigt sei, mein Brot als Klavierlehrer zu verdienen. So konnte es nicht ausbleiben, daß auch in meiner Seele manchmal Bitterkeit aufstieg und sich hin und wieder in einem Vers Luft machte. Ihm aber war ich dann immer nicht scharf genug. Er warf mir vor, daß ich noch viel zu viel Rücksicht auf diese »Philister«, diese »Bourgeois« nähme, während ich mir doch bewußt war, keine Rücksicht, nach keiner Seite hin, zu nehmen. Wie hätte ich aber eine Gesellschaft hassen sollen, aus deren Schoß ich hervorgegangen war, deren Wege ich jahrelang gewandert und der ich nichts vorzuwerfen hatte, als daß sie mich, wie Millionen andere, um mein Brot arbeiten ließ. Daß sie mich als Dichter ehre und pflege, konnte ich nicht verlangen, da sie mich als solchen unmöglich schon kennen konnte, und ich auch eine Verpflichtung der Nation, für ihre Dichter zu sorgen, nur den wirklich auserwählten und Werte schaffenden Geistern gegenüber anerkennen konnte. So war ich mehr aus seiner Seele heraus rebellisch, als aus eigenem unzufriedenen Gemüt. Ich war ja auch nicht jung genug mehr, um nicht einigen Einblick in die Welt zu haben und nicht zu wissen, daß mit Schelten und Schreien nichts getan sei, und daß nichts übrig blieb, als in stiller und treuer Arbeit auszuharren, um mit der Zeit zu einiger Bedeutung heranzuwachsen. Er aber hatte das Recht, sich schon zu fühlen, und er litt zehnfach unter der Last seiner Armut, da er ein besseres Leben als Offizier und Edelmann einst gewohnt gewesen war, und von einem armen Klavierlehrer und einem armen Baron immer der arme Baron der Bedauernswertere ist.

Da es ihm nun nicht an Tapferkeit fehlte, seine Nöte mit äußerer Würde zu tragen, und er aus allem seinem Elend heraus ein herrliches Gedicht nach dem anderen in die Welt hinausschleuderte, so mochte er zur Erleichterung gerne kräftiglich schelten und gelegentlich schimpfen. Aber was ihm wohl anstand, wäre mir nicht zugekommen.

Eine so kraftvolle Persönlichkeit, ein so feuriges Temperament mußte eine ruhigere, gelassenere Natur, oft unwillig als Gegensatz empfinden. Und wenn ich mir nun mein Eigenstes in diesem Feuerbad täglicher Einwirkungen bewahrte, so gehörte oft nicht wenig zähe Widerstandskraft dazu, und in jüngeren Jahren wäre ich ihm gewiß rettungslos erlegen. Immerhin war ich wenigstens als Dichter jung genug, um zu ihm aufzuschauen, ihm nachzueifern und ihm bewußt abzugucken, was ich für mich für förderlich hielt.

Seinen vielen Liebesabenteuern stand ich als junger Ehemann gebunden gegenüber, oft ihm seine Freiheit beneidend, oft sein Flattern von Blume zu Blume mit seinem künstlerischen Temperament vor meiner anerzogenen bürgerlichen Moral unwillig rechtfertigend.

Las er mir, noch ganz beseelt von dem Erlebten, die Frucht einer solchen Liebesnacht oder eines Ausfluges in die Verschwiegenheit bäuerlicher Gasthauslauben vor, glaubte ich, ihm für solche Köstlichkeiten alle »Sünde« verzeihen zu sollen. Solcher lyrischer Perlen auch teilhaftig zu werden, bildete ich mir wohl ein, auch ähnliche Abenteuer nötig zu haben, und es bedurfte der ganzen Liebe zu meiner Frau, um bei meiner bürgerlichen Tugendhaftigkeit zu verharren.

Doch waren die kleinen Mädchen nicht allein seine einzige Schatzgrube. Wenn er aus dem rauchenden Schlot des Hornhardtschen Konzert-Etablissements auf St. Pauli ein so groß gesehenes phantastisches Gebilde holte, wie das wunderbare Gedicht »Der schwermütige König«, wo das Gebäude zur Burg, der Schornsteinqualm zum Opferrauch und das dumpfe Geräusch der Dynamos verbunden mit den abgerissenen Klängen der im Saal konzertierenden Kapelle zu einem wilden Getöse, zu einer dem Götzen dargebrachten Musik wurde, so glaubte auch ich die rechten Wege zu wandeln, wenn ich die einfachen Erlebnisse und Vorgänge der Straße umzubilden suchte, Realismus und Phantastik verbände, was mir jedoch meistens mißlang. So etwas mußte bei mir aus einem gewissen Traumzustand geboren werden, der mich selten vor den Dingen selbst überfiel, wie es ihm wohl blitzartig geschehen konnte, wie denn alles an ihm genial war und er zu jeder Zeit ein rechtes Kind des Augenblickes erschien.

Mehr als auf diesem Wege lernte ich technisch von ihm, wenn er mich immer wieder darauf hinwies, Wortwiederholungen zu vermeiden, mich auf Inversionen aufmerksam machte und das Dichter-»e«, das er grimmig haßte, mit Spott und Zorn verfolgte. Mit der Wortwiederholung nahm er es so genau, daß er selbst in einem langen vielstrophigen Gedicht noch im letzten Vers ein Wort rügen konnte, das schon im ersten Vers vorgekommen war, und er konnte alsdann unermüdlich auf der Suche nach einem anderen Wort sein, wobei er Grimms Wörterbuch und andere Hilfsmittel nicht verschmähte. Artete das auch manchmal zur Pedanterie aus, so hat er doch dadurch seiner Sprache unendlichen Dienst geleistet und sie reich gemacht.

Nachdem er jedes Gedicht gutgeheißen hatte, war er mir beim Zusammenstellen meines ersten Buches behilflich. Weil eine Reihe von Gedichten sich mit dem Knochenmann beschäftigte, und diese, zu einer Art Totentanz zusammengestellt, den Anfang der Sammlung bildeten, fand er für sie den Titel »Mynheer der Tod«.

Es war natürlich, daß ich ihm, dem ich soviel verdankte, diesen Erstling widmete. Er ließ es sich gefallen und lachte vielleicht im stillen, daß ich dieser Widmung das Motto hinzufügte:

»Laßt uns singen wie wir wollen,
Schelten, scherzen, tanzen, tollen,
Sind wir uns nicht selbst genug?
Frei von allen engen Banden,
Unbekümmert, wo wir landen,
Wagen wir den kecksten Flug.«

Mit diesem »wir« stellte ich mich ihm doch eigentlich keck genug an die Seite; aber er wußte, daß Freundschaft und nicht Selbstüberhebung diese Verse diktiert hatte.


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