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VI. Saphire

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»Lucrezia Borgia, d'ora in ora
La beltà, la virtù, la fama onesta
E la fortuna crescerà non meno,
Che gioven pianta in morbido terreno.«

Ariost.

Yâkut al acfar, d. i. der Saphir, läßt die Keusche
keusch wandeln durch alle Begierden.

Mohammed ibn al Khabib.

 

Das war des obersten Generals Namensfest, des Heiligen Franz von Carracioli Tag. Und an diesem Montage war das Heer sein Gast und die ganze Stadt dazu. Wer wollte, mochte hinauskommen zum Stierkampfplatz; es gab ein großes Volksspiel heute. Nicht das nationale Jaripeo nur, erweitert war es, aufgeputzt durch die Regiekünste der Spanierin, der Goyita.

Die große Arena hatte wenig gelitten in all den Kämpfen, nur die Sonnenseite war zusammengeschossen. Aber man hatte tüchtig gearbeitet in den letzten Wochen, hatte große Tribünen gebaut für neue Tausende. Unversehrt war die Schattenseite. Hier schmückten die Logen riesige Tücher in Grün, Weiß und Rot, Mexikos Farben.

Noch war des Diktators Loge leer; in der daneben saß Frank Braun mit ein paar Generalen, Und rings um den mächtigen kreisrunden Sand, aufsteigend in fünfzig Reihen und mehr, saß und stand die wartende Menge. Auf der ganzen Sonnenseite Soldaten, mit all ihren Waffen, wild und verwegen, zerfetzt und zerlumpt. Aber manche trugen auch, trotz der Glutsonne, ihren buntfarbigen Zarape, dieses große schwere Tuch mit dem Kopfschlitz genau in der Mitte, das nach allen Seiten lang herunterfällt. Fast nur reine Indianer, aus dreißig Stämmen, kaum einige Tröpfchen weißen Blutes dabei. Riesige Spitzhüte überall, braunrote Gesichter darunter mit den schwarzen Flecken der Augen und dem breiten Strich der blitzenden Zahnreihen. An beiden Seiten die Tausende der Buhlweiber, in grellen, schreienden Tüchern, losgelassen auf Stunden und mitten am Tag: Fleisch, Fleisch für die gierigen Augen der Soldateska. Dann, im Schatten, in den Logen und den Reihen darunter, die Offiziere; zwischen ihnen ein paar Bürgerfamilien mit ihren Frauen – was so als besser galt in Torreon. Die warfen ihre großen, langgefransten Seidentücher über die Brüstungen.

Kein Schreien, kein Toben und Johlen. Es war still, alles starrte, lauschte in gespannter Erwartung. Große Spiele in dem alten Zirkus, zum erstenmal wieder seit so vielen Jahren!

Die Leibwache zog auf, zwanzig sehnige Burschen. Yaquiindianer, bestes Holz zum Krieger. Flinten, Pistolen, Säbel und Macheten, Patronengürtel rings um den Leib und andere über die Brust in Kreuzform – Mordwaffen überall, wo man sie nur hinstecken konnte.

Dann blies einer ein Trompetensignal, scheußlich falsch, aber hinschmetternd durch das weite Amphitheater – da kam er, der Generalissimus, der Diktator, der Herrscher: Francisco Villa.

Er, den sie zärtlich Paco nannten und Pancho, Frasco und Curro. Auch Paquito, Frasquito, Panchito und Currito, schmeichelnde Kosenamen für das steifklingende Franz. Er, von dem sie alle wußten, daß er mit vier Jahren zu stehlen anfing, mit acht seinen ersten Brand anlegte und mit zwölf als Räuber debutierte. Daß er mit vierzehn zum ersten Male wegen Notzucht ins Zuchthaus kam und, ausgebrochen, mit fünfzehn schon ein Mörder ward. Er, Villa, der weder schreiben konnte noch lesen und nur sehr schlecht den vorgezeichneten Namen nachmalen, und der dennoch der Große wurde und der sehr Mächtige. Mit einem Maisschober fing er an – heute legte er ganze Städte in Asche. Ein lahmer Schweinehirt, der wider ihn gezeugt, war sein erstes Opfer – heute aber schlachtete er oft Hunderte an einem Tage. Und man erzählte sich – mit Schauder und doch mit großer Bewunderung – daß er in Durango hundertunddreiundzwanzig gefangene Huertaoffiziere habe aufstellen lassen in einer langen Reihe, die Hände auf den Rücken gebunden. Daß er die Front abgeschritten sei, daß er einem nach dem andern den Revolver an die Schläfe gesetzt habe und ihn niedergeknallt. Einhundertunddreiundzwanzig – er allein – und kaum eine halbe Minute brauchte er für jeden.

Wer brachte das fertig im ganzen Lande – wer, wer in der ganzen Welt?

Er, er nur, Pancho Villa –

Sie klatschten ihm nicht zu. Erhoben sich nicht, schrien nicht. Sie sahen nur hin zu ihm, in festem Bann, starrten ihn an, still und schweigend, staunend, bewundernd, hingerissen und geblendet, in unverhohlener Anbetung solch wilder Größe. Frank Braun dachte: ›Sie haben recht. Er ist ein tausendfacher Mörder, grausam und roh, ein Menschenmetzger und Henker. Ist ein Räuber und Dieb und Notzüchtiger und Brandstifter und wilder Trunkenbold. O ja – das ist er und macht kein Hehl daraus. Aber groß ist er, in jedem, was er tut, weit hinausragend über alles rings umher. Er ist gewaltig, er ist groß – für dieses Landes Kinder.‹

Vorne an die Brüstung setzte sich der Diktator. Er gab keinem die Hand, grüßte keinen. Nicht verächtlich – aber sehr gleichgültig fiel sein Blick auf die bunten Massen.

Wieder ein zerbrochener Trompetenstoß – da öffnete sich das kleine Tor auf der Sonnenseite. Der Alguacil, in altspanischer Tracht, den schwarzen Velasquezhut auf dem Kopf und den Schmuckdegen an der Seite, ritt auf schwarzem Klepper über den Sand. Hielt vor des Generals Loge, zog den Hut, bat mit steifer Geste um die Erlaubnis, das Spiel zu beginnen.

Don Benjamino stand hinter dem Diktator, der reichte ihm den unförmigen, alten Schlüssel. Pancho Villa wandte sich um – da sah er, neben dem Obersten, einen Soldaten stehn, mit einem kleinen Körbchen. Er faßte sich an das struppige Kinn – dann gab er den Schlüssel zurück, winkte dem Mann, setzte sich breit zurück in seinen Sessel.

Der Soldat kam nach vorne, packte sein Körbchen aus. Nahm eine Serviette heraus, leidlich rein, die legte er dem General über die Schulter, nahm sein Messingbecken, mit dem halbrunden Einschnitt für den Hals, goß Wasser hinein aus einer kleinen Kanne, gab Seife dazu und begann Schaum zu schlagen.

Ah – der Herr Generalissimus ließ sich rasieren.

Oberst Perlstein kam an den Logenrand, reichte Frank Braun die Hand hinüber. »Gewöhnlich läßt er sich jeden Samstag rasieren,« sagte er halblaut, »aber gestern war er so schlecht gelaunt, daß er den Mann mit Fußtritten hinauswarf. Da hab ich ihn heute mitgenommen. – Sie sollen mal sehn, der General wird gleich menschlicher, wenn er frisch geschabt ist.«

Der Soldat legte seinen Helm des Mambrin an des Diktators Hals, begann ihn einzuseifen: ohne Übereilung, gründlich, mit gutem Schwung. Der hielt still – aber plötzlich richtete er sich auf – geschickt zog der Soldat sein Becken zurück.

»Durst,« sagte Pancho Villa.

Sie füllten ein sehr großes Glas mit schmutziggelbem Agavenschnaps, reichten es ihm. Er nahm einen starken Schluck, spülte sich den Mund aus, spie das Zeug achtlos über die Brüstung. Dann nahm er einen zweiten Schluck, lehnte sich zurück, schloß halb die Augen. Aber wie der Barbier herankam mit seinem Becher, sich über ihn beugte, richtete er sich schnell hoch, spitzte die dicken Lippen, spritzte ihm den Pulque mitten ins Gesicht. Lachte brüllend auf, klatschte in die Hände, freute sich wie ein kleiner Junge über den wohlgelungenen Scherz. Der Soldat wischte das Gesicht ab, grinste mit ihm – und alle lachten, ringsum. Aber nicht devot, nicht kriechend und unterwürfig – nein offen, fröhlich und herzlich: es war ein sehr guter Scherz, wirklich, das mußte man sagen.

Dann erst trank der General – drei große Gläser schmutzigen Pulque. Lehnte sich zurück in seinen Sessel, schloß die Augen. Und der Soldat schwang seinen Pinsel, seifte, seifte, seifte, als gälte es, ein ganzes Regiment abzukratzen. Nahm dann sein Messer.

Unten hielt auf seinem Gaul der schwarze Stadtschreiber, den Hut in der Hand. Hinten, unter den Sonnensitzen, warteten die Stiere und Pferde und Reiter und Kämpfer – ringsum in dem mächtigen Zirkus lauschten still die gewaltigen Massen. Kein Laut rings – nur Schauen und Schweigen und Warten.

Pancho Villa ließ sich rasieren.

* * *

Nun war er fertig. Noch ein wenig spritzen, abtrocknen, reiben – Puder, blauweißer Puder in großen Mengen. Und zwei Gläser Agavenschnaps. Dann warf er den Schlüssel in den Sand.

Mühsam kroch der schwarzsamtene, dürrbeinige Alguacil von seinem Tier, nahm den Schlüssel auf, kletterte wieder in den Sattel, rutschte herunter an der andern Seite. Die Masse lachte – das war ein uralter Witz, daß der Stadtschreiber so tun mußte, als ob er nicht reiten könne.

Der Adjutant winkte Frank Braun heran, stellte ihn dem General vor. Aber der erinnerte sich gleich: er war doch der Deutsche, der dabei war, als sie von Hermosillo flohen nach Ures!? Der, der ihm das schöne Zigarettenetui gegeben hatte!? Das sei nun weg, jemand habe es ihm gestohlen. Wenn er den Kerl nur kriegen könnte!

Frank Braun dachte: wie blöd, daß ich daran nicht dachte! Warum brachte ich nicht andere mit aus Neuyork? Es war ein silbernes, schauderhaft geschmackloses Etui, das ihm ein paar Nächte vorher ein Amerikaner gegeben hatte, um seine Pokerschuld zu zahlen. Aber allen Mexikanern stach es sehr in die Augen, weil – in schlechtem Email – zwei nackte Weiber drauf waren.

Wieder öffnete sich hinten das Tor – feierlich schritt die Prozession der Schausteller durch den Sand; zugleich setzte, hinter den Logen, eine kleine Musikkapelle ein, machte einen verwischten Lärm auf einer Anzahl von Instrumenten.

Oberst Perlstein sagte: »Sonst spielen sie nur die Marseillaise, des Generals Leiblied – das da ist Ihnen zu Ehren.«

Frank Braun gab sich gute Mühe, eine Melodie herauszuhören. »Das da?« erwiderte er. »Aber das ist doch der spanische Königsmarsch!«

Der Adjutant rief: »Freilich! Aber es ist das einzige deutsche Stück, das die Kapelle spielen kann.« Er sah ihn erwartend an, und Frank Braun fragte: »Wieso deutsch?«

Da lachte der Oberst vergnügt und recht zufrieden mit sich. »Wissen Sie nicht, wer das komponierte? Ich weiß es. Ein Preußenkönig wars: Friedrich der Große.«

Er sah ihn erstaunt an, aber Don Benjamino nickte bekräftigend. »Es ist wirklich so – erkundigen Sie sich nur, wenn Sie zurück sind in Europa. Und – glauben Sie mir – der König wird bald in Villas Kopfe den Platz einnehmen, den bisher die Marat und Robespierre hatten!«

Durch den kreisrunden Ring kam die bunte Schar. Voran ritt der schwarzsamtene Stadtschreiber, hinter ihm, plump und schwer, mit langen Lanzen und runden Filzhüten, die wie das Messingbecken des Barbiers aussahen, ein paar Picadores. Zu Fuß die übrigen, voran, ganz in Weiß, der, der den Don Tancredo spielte. Zwei Espadas und ein halbes Dutzend Banderilleros. Sie alle in spanischen Torerokostüm, blau, rosa, grün und violett, mit sehr viel Gold und Silber – das bunte Tuch über dem linken Arm. Nur einer dunkel dabei, der den Gnadenstoß gab, der Puntillero. Und nun, auf prächtigen Tieren, vier Reiter – mexikanisch. Riesenhut, lange lederne Fransenhosen und ungeheuer große Radsporen. Silberstücke und Silberplatten überall – auf dem Geschirr der Pferde, wie auf den Kleidern der Männer. Ihnen folgte ein fünfter, noch reicher, noch prunkender gekleidet, sein Hut war noch größer, die silbernen Räder seiner Sporen noch gewaltiger als bei den andern. Der ritt ein schneeweißes arabisches Vollblut aus Andalusien – o ein herrliches Tier.

»Das ist Vasquez Cabrera,« rief ihm der Adjutant zu. »Sie werden sehn, was er kann.«

Hinter ihm zogen die Chulos, eine Schar lausiger Kerle in roten Jacken und Mützen, die letzten mit der Quadriga der vier Maultiere, bunt, aufgeschirrt in Rotgrünweiß, bestimmt, die Äser der Pferde und Stiere aus der Arena zu schleppen.

Aber noch war der Aufmarsch nicht zu Ende. Hinter all den Männern schritt, ganz allein, eine schlanke Frau.

»Das ist die Goyita,« rief Don Benjamino, »Dolores Echevarria, la Pegona!«

Sie trug die Tracht eines texanischen Kuhjungen, echt genug, nur einen kurzen Lederrock statt der Schaffellhosen. Und, über das Gesicht, eng gebunden, einen sehr dichten, braunen Schleier.

»Warum die Maske?« fragte Frank Braun.

Oberst Perlstein lachte: »Sie ist weißer als der Schnee und will sich in der Sonne den Teint nicht verderben. Das ist das ganze Geheimnis – jeder hier findet das sehr begreiflich.«

Durch die Mitte zog der lange Zug, hielt vor des Diktators Loge. Steif zogen sie ihre Hüte, der General winkte ihnen mit der Hand. Aber als die Spanierin kam, da klatschte er mit starken Fäusten.

Sie bogen ab, schritten und ritten ringsum an den Tribünen vorbei, langsam und feierlich. Und die Weiber und Männer begrüßten klatschend und schreiend den Aufzug. Noch einmal zurück durch die Mitte, zur Sonne hin – ab durch ihr Tor.

Die Chulos rollten eine runde, weißgestrichene Waschbütte in den Sand, stellten sie genau in der Mitte auf, den Boden nach oben. Und, mit gravitätischen Schritten kam Don Tancredo heran, stieg hinauf. Altspanisch, wie des Alguacil, war seine Tracht, aber weiß, ganz weiß, vom Hut bis zu den Schuhen. Weiße Handschuhe trug er, und von weißem Mehlpuder klebte sein Gesicht. Er verschränkte die Arme über die Brust – eine unbewegliche Gipssäule.

Dann ließ man den ersten Stier auf den Platz. Der rannte heran, geradeaus, in einem wilden Ansturm, die Hörner tief gesenkt. Doch blieb er, wie stets, dicht stehn vor der weißen Bütte, berührte sie nicht. Hob den Kopf, schnüffelte herum – nein, das war nichts Lebendes. Er drehte sich um, blickte rings um sich, schlug mit dem Schwanz, scharrte mit den Vorderhufen im Sande.

So war es Vorschrift, so begann jeder Stierkampf in Mexiko. Nun aber geschah ein Besonderes zu des Diktators Ehre und zur großen Freude seines Volkes. Don Tancredo trat vor um einen Schritt – faßte das Tier am Schwanz, gab ihm einen guten Fußtritt. Der Stier sah sich um, sehr erstaunt – nein, so benahm sich keine Statue – da war Leben darin. Ein paar Schritte ging er zurück, senkte tief den mächtigen Kopf. Don Tancredo benutzte rasch den guten Augenblick – sprang herunter von seinem Postament – das eine Sekunde später des Stieres Hörner hoch in die Luft warfen. Wieder blieb er stehn – ah, da lief seine Statue! Und der Stier brach hinterher, in rasendem Lauf. Don Tancredo schlug einen Haken, wie ein rasches Häslein, gewann von neuem einen kleinen Vorsprung, kam an die Brüstung, faßte die Planken, schwang sich hoch. Oben saß er, als das starke Tier mit den scharfen Hörnern unter ihm gegen das krachende Holz prallte.

»Caramba!« lachte Pancho Villa. »Beinahe hätte er ihn erwischt.«

Und die Massen johlten.

Zwei Stierkämpfe folgten. Ein paar Picadores wurden von ihren Gäulen geworfen, einem halben Dutzend Pferde die Bäuche aufgeschlitzt und die Eingeweide herausgerissen. Dann das Spiel der Banderilleros, die, wieder zu Ehren des Generals, nur mit Feuerwerkstäben arbeiteten, kurzen Banderillas, die sich entzündeten, so wie die Haken das Fleisch faßten, die brannten und knatterten und die schwarzen Stiere noch wilder machten. Und die Espadas endlich, die ihre Sache gut und tapfer genug machten, streng im Stil und mit kaltem, sicherm Stoße.

»Alles Dilettanten!« erklärte ihm der Oberst.

»Soldaten?« fragte er. »Indianer?«

»Nein, kein einziger!« antwortete der Oberst. »Nicht ein reiner Indianer ist dabei – das liegt ihnen nicht – spanisches Blut gehört dazu. Aber warten Sie nur, gleich kommen unsere Indianer dran – Stil haben die freilich nicht, aber Sehnen und Nerven.«

Er schwenkte sein Taschentuch, da bellte die heisere Trompete.

Das Jaripeo begann.

Die Mexikaner ritten in den Sand. Vasquez hielt auf seinem Andalusier dicht am Tore, die andern vier sprengten herein. Einen braunen Mustang ließ man in den Kreis, den hetzten die Vaqueros rund herum. Nun setzte sich Vasquez zurecht im Sattel, galoppierte vor, warf sein Lasso auf fünfzig Meter dem wilden Gaul um die Vorderbeine, daß er zusammenbrach im Augenblick. Sie banden ihn, ließen ihn liegen im Sand. Noch ein paar Wildlinge trieb man auf den Platz, frisch von den Llanos, den weiten Steppen Durangos. Für jeden der fünf eines – die jagten herum, brachen dann zu Boden unter dem scharfen Riß des langen Lassos. Und die Reiter stiegen ab, gingen heran an die Mustangs, lösten vorsichtig die Schlingen. Griffen die Mähnen, schwangen sich auf den nackten Rücken, als die Tiere sich aufrichteten. Saßen oben und blieben oben, die Linke fest in der Mähne, in der Rechten auffliegend und schwer niederklatschend die kurze, silberknöpfige Peitsche. Das bäumte hoch, stand auf den Vorderbeinen, das krümmte den Rücken wie ein Kater, sprang mit allen vieren hoch in die Luft. Das warf sich zu Boden, rollte sich um, wie ein junger Hund – aber der Reiter saß fest auf dem Rücken, wenn es wieder aufsprang. Das jagte herum, biß nach hinten, prallte gegen die Planken, das trat aus, drehte sich um sich selbst, stand auf den Hinterbeinen, warf sich vornüber, wie der Schwimmer beim Kopfsprung. Aber die Reiter blieben oben, und unbarmherzig, in jeder Sekunde, sauste die schwere Peitsche herab über Schenkel und Leib und Hals und Nüstern. Die silberbeschlagenen Lederbeine preßten die runden Leiber wie Schraubstöcke, die großen Radsporen schlugen grausam gegen die weichen Flanken. Weißer Schaum brach den Mustangs aus dem Maule, Blut tropfte aus ihren Seiten, naß vor Schweiß glänzte die braune Haut in der Sonne. Da wurden die Portos still, ruhig und zahm – erkannten den Herrn. Gingen wie brave Lämmchen im Schritt, machten Trab und Galopp, wie er's befahl – artig und sanft – nach zehn Minuten schon.

»Das kann ich auch!« rief Don Benjamino.

Die Mexikaner trieben die todmüden Mustangs ab, saßen wieder auf ihren Rassepferden, jagten einen neuen Wildling im Kreise herum. Dann blieben die andern zurück – allein folgte die arabische Stute des Vasquez. Wie er sie ritt! Nie berührte diese Flanke sein Sporn, dicht drückte er die Fußspitze nach innen und die Hacken heraus. Die Zügel hingen lose am Sattelknopf, er schnalzte nur mit der Zunge, rief irgendein seltsames Wort. Und die weiße Stute streckte sich, flog an den Mustang heran, lag ihm zur Seite, eng genug. Da bog sich Vasquez hinüber, griff die braune Mähne, schwang sich auf, saß plötzlich auf dem Rücken des wilden Pferdes. Ritt es ohne Zügel, ohne Sattel, ohne Peitsche, nur mit den eisernen Schenkeln. Ließ es daher galoppieren, wie die Andalusierin führte. Ringsherum immer dicht an den rotgestrichenen Planken. Wechselte, kroch zurück in seinen Sattel und wieder hinüber auf den nassen Schweißrücken des Mustangs. Her – hin – und immer in rasendem Galopp. Und herum, ringsherum in wildem Jagen, wie die kleinen Bleipferdchen im Spielsaal. Dann pfiff er – da brach die Schimmelstute zur Seite ab. Nun ritt er zur Mitte auf dem Wildling – und der gehorchte. Tat alles, was er befahl, zitternd vor Angst, abgejagt, todmüde, sehr gehorsam unter dem Druck dieser eisernen Beinzangen.

Vasquez sprang ab; es johlte die Menge. Er zog seinen Hut, schritt plump durch den Sand mit den schweren, metallbeschlagenen Lederhosen, vornübergebeugt, in x-beinigem Schritt auf diesen mächtigen O-Beinen. Die Fußspitzen scharf nach innen, die Fersen nach außen gebogen, daß sich die Fransenhosen nicht verhedderten in den ungeschlachten Rittersporen.

»Zu Fuß ist er kein Genuß!« lachte der Oberst. »Auf den Gaul gehört er.«

Aber die Andalusierin trabte zu dem Mustang, der bebend dastand, schwer atmend, mit fliegenden Flanken. Wieherte, als ob sie ihm zureden wollte, führte ihn ab, ganz allein zum Tore hin. Trabte zurück zu ihrem Herrn, schmeichelte, schnupperte an seinen Taschen, bis sie den guten Lohn fand: dicke Stücke leckern Zuckerrohrs.

Dann kam des Vasquez großes Stück, das ihm heute niemand nachmachen konnte in ganz Mexiko. Man ließ einen Stier in die Arena, ein gewaltiges, starkes Tier, schmutzigweiß und mit gelben Flecken. Es stürmte gleich heran, wild auf die Reiter – die wichen ihm geschickt aus. Es war, als ob die Pferde selbst mitspielten, furchtlos vor dem todbringenden Gegner, sicher vertrauend auf ihre rasche Gewandtheit. Sie standen ruhig da, scharrten im Sande, ließen den Stier heran, sprangen fort im letzten Augenblick. Manchmal auch setzten die Reiter in hohem Bogen weg über das anstürmende Tier. Nicht einmal berührten die Hörner eines Pferdes Leib.

Dann, auf einen Wink des Vasquez, ritten die Reiter zusammen zur Mitte, rings im Kreise auf den Stier zu. Der griff rechts an und links, brüllte auf, nahm einen neuen Anlauf, stieß in die Luft, wühlte den Sand in ohnmächtiger Wut gegen diese Feinde, die er nie fassen konnte. Nun aber schrien die Reiter, und mit ihnen johlten die Tausende. Verwundert hob der Stier seinen Kopf, blickte umher. Jetzt ritt einer nahe heran, schlug ihm die lange Peitsche quer über den Leib. Das Tier stürzte vor, stieß, bohrte die scharfen Hörner in den Sand. Da sausten rings die Peitschen in der Luft: das schnitt und pfiff und kreischte und klatschte.

Nun brach – ganz plötzlich – des starken Tieres Mut – nun floh es, rannte durch den Sand. Und hinter ihm hetzte das Peitschengewitter, klirrend, sausend, die Luft zerreißend. Bald war es dieselbe Jagd, ringsherum an den Planken, wie vorher mit den Pferden – hoy! hoy! und corre! corre!

Und wieder blieben die vier zurück, und wieder jagte die arabische Stute allein heran. Von hinten her nahm sie ihren Lauf – auf ein paar hundert Meter weit flog sie heran, den Kopf lang vorgestreckt: eine gerade Linie von den Nüstern zur letzten Spitze des prachtvollen Schwanzes. Lang, lang streckten sich die Beine, es sah aus, als berührten die fliegenden Flanken den aufwirbelnden Sand. Und der Reiter oben – die Beine lang herunter, aber Kopf und Rumpf weit vorgebeugt.

Näher kam die Stute und näher. Schon schlug um ihre Nüstern des Stieres Schweif, nun lag ihr Hals an seinen Schenkeln – nun ihr Leib dicht an dem seinen. Da, mit einem Ruck hob sich der Vaquero hoch, wandte den Rumpf im Sattel herum, beugte sich nach hinten – griff zu mit beiden Händen.

Jetzt schoß die Stute vor – als ihr Herr zufaßte. Den Schwanz des Tieres – den griff er, den hielt er – nur einen Augenblick lang. Aber lang genug, um das mächtige Tier herumzureißen mitten im rasenden Lauf, hinzuwerfen, hinauszuschleudern weit in die Arena hinein.

Da fiel es, überschlug sich, rollte, dieses gewaltige Tier, über eintausend Kilogramm schwer. Niedergerissen, am Schwanze niedergerissen von zwei Menschenhänden.

Das war des Vasquez Cabrera großes Schaustück.

Aber noch war er nicht zu Ende. Der Stier stand wieder auf, wieder hetzten ihn die Reiter, lassierten ihn dann, warfen ihn zu Boden, festgeschnürt an allen vier Beinen. Stiegen ab, banden dem hilflosen Tier einen dünnen Strick quer um den Leib, am Nacken, dicht hinter den Vorderbeinen. Und Vasquez stieg von seiner Stute, tappte durch den Sand, ungefüg und plump. Bog sich herab, gab das rechte Bein über des Stieres Leib, faßte den Strick mit beiden Händen. Wartete, bis die andern die Schlingen der Lassos lösten.

Der Stier war frei, richtete sich auf im Augenblick. Aber auf seinem Rücken saß ein Reiter.

Unerträglich war das – wer in der Welt ritt je einen Stier? Das Tier stutzte, stand still minutenlang, schien zu überlegen. Ließ ein starkes Zucken durch die Haut laufen, das allein einen Mann abgeworfen hätte. Aber Vasquez rührte sich nicht.

Dann begann es. Das stolze Tier tat wie die Mustangs taten, sprang hoch auf allen vieren. Hob sich, ließ sich fallen, wälzte sich herum. Aber wenn es aufstand, saß sein Herr wieder oben. Es bäumte sich auf den Hinterbeinen, blieb stehn, drehte – aber dieser Reiter rutschte nicht herunter, seine Finger hielten fest den strammen Strick. Dann, rasch, sprang der Stier nach vorne, schlug die Hinterbeine in die Luft, bohrte die Hörner in den Sand – ah es sah aus, als ob er auf dem Kopf stehe. Aber Vasquez blieb oben, die Arme ausgestreckt, die Füße aufgestützt an des Tieres Ohren, lang liegend auf dem mächtigen Rücken.

Das war der letzte Versuch. Ruhig blieb der Stier stehn, scharrte, brüllte auf, stöhnend, melancholisch, schritt dann aus, folgte dem Schenkeldruck seines Meisters. Durch den weiten Sand, auf und ab, wie ein liebes Pony.

So ritt Vasquez Cabrera.

»Ist der ein Yaqui?« fragte Frank Braun durch das Beifallsgeschrei.

Der Adjutant antwortete: »Nein, die Yaquis können das nicht, die sind ein Bergvolk. Vasquez ist ein Maya aus Yukatan. Er gehört nicht zu uns, ist nur hergekommen vom Süden zu diesem Tag. Vor drei Wochen hat er mit seinen Leuten in Jalapa gearbeitet, vor Carranza. Er macht es selten genug, nur ein paarmal im Jahr – und zu sehr hohen Preisen. Aber er arbeitet überall – bei Freund und bei Feind – wer immer ihn zahlt: er ist der einzig Unverletzliche im Lande Mexiko.«

Wieder winkte sein Taschentuch, da setzte der Königsmarsch ein zum zweiten Male. Und mit diesen Klängen trat die Goyita in den Kreis.

Das, was sie machte, hatte er oft gesehn, auf Farmen und Ranchos in Texas und Coahila. Und dann wieder, raffinierter, ausgearbeiteter und doch farbloser und verkitschter auf allen möglichen Varietés: das Lassowerfen der Cowboys und Vaqueros. Aber hier wirkte es so gut in diesem farbenfrohen Riesenzirkus, obwohl ihr befranster Lederrock nach Vaudeville roch, und obgleich der häßliche, braune Schleier ihren Kopf wie ein großes Holzei erscheinen ließ. Sie machte die ganze Schule durch, warf Kreise, Ovale und Spiralen, zeichnete rasche Figuren in die Luft und den Sand. Ließ den Arm über den Kopf sausen, hüllte sich in das schwirrende Seil wie in einen weiten Mantel.

Ließ einen der Mexikaner reiten, warf ihr Lasso auf fünfzig Meter, riß ihn herunter. Stellte einen andern hin, warf ihm die Schlinge um die Beine, um das rechte Handgelenk, das linke dann, um Arme und Brust, um den Hals endlich. Band ihn, kunstgerecht, aus weiter Entfernung mit dem einen Seil.

Und sie nahm, endlich, die Bola – das war neu hier oben. Drei kleine Stricke, zusammengebunden an einem Ende, während die freien Enden schwere Bleikugeln trugen – dies Wurflasso der argentinischen Gauchos. Sie ließ Mustangs durch die Arena treiben und ein paar Stiere, warf die Bola – dreimal so weit wie die Vaqueros ihr Lasso. Und das Ding spritzte durch die Luft wie eine wilde Rakete, sauste nieder, schlug dem laufenden Tiere über Hals und Beine, riß es zu Boden. Die Vaqueros ritten heran, lösten die Bola, fühlten herum an dem entsetzten Tiere, ob nicht die Bleikugeln irgendeinen Knochen zerschlagen hatten. Nein, nein, da war alles heil – das war ja die Kunst. Aber sie schüttelten doch den Kopf: ihr Lasso schien ihnen sicherer. Weiter flog die Bola, o gewiß – aber wozu hatten sie ihre guten Pferde?

Noch eine Nummer zeigte sie. Ein grauer Wolf sprang über die Planken, gleich hin zu ihr in langen Sätzen – den ließ sie durch Reifen springen. Es war ein sehr großes und schönes Tier, schlank und gewandt, mit wohlgepflegten Fell. Wo hat sie ihn nur her? dachte Frank Braun, überall in Amerika sind sie viel kleiner. Dann ließ sie sich ein Pferd bringen, ungesattelt, rieb ihre Stiefelsohlen vorsichtig ein. Sprang hinauf, setzte den Gaul in leichten Galopp, ritt herum, gefolgt von ihrem Wolf. Erhob sich geschickt, stand auf dem Rücken des Pferdes, ließ sich offene und verklebte Reifen hinhalten, durch die sie sprang, während der Wolf dem Pferde in Serpentinen zwischen die Beine lief. Sprang auch Seilchen da oben.

Die gewöhnliche Arbeit einer Panneaureiterin. Aber dann nahm sie selbst einen Reifen, hielt ihn hoch, pfiff ihrem Tier. Und der Wolf setzte an, sprang in einem Satze über das Pferd, über die Tänzerin, mitten durch den Reifen. Ein schöner Sprung.

Noch einmal und wieder – endlich sprang er zu ihr auf das Pferd; so ritt sie hinaus, überschüttet mit Beifall wie alle andern.

»Tanzt sie nicht?« fragte Frank Braun.

»Hier im Sande?« gab Perlstein zurück. »Sie wird heute abend tanzen in des Generals Quartier. Aber jetzt kommt die Hauptnummer: Villas Geschenk an sein Heer.«

Alle ritten hinaus, der Sand war leer. Nur die Chulos gossen Wasser, walzten und harkten. Dann ein Trompetenstoß – da kam die Quadriga der Maultiere. Sie zogen einen schweren Käfig, der auf kleinen Holzrädern lief; rings war er umkleidet mit Segeltuch. Den stellten sie genau in die Mitte; einer der rotblusigen Kerle griff unter das Tuch – man sah, daß er einen Riegel zurückschob. Nun sprangen sie weg, liefen mit ihren Maultieren Hals über Kopf zur Sonnenseite.

Still das große Amphitheater, atemlos in glühender Spannung. Was stak in dem Käfig? Gefährlich mußte es schon sein – er sah, wie alle zehn Schritt ringsherum hinter den roten Planken ein Soldat sein Gewehr über die Brüstung schob.

Nichts, nichts, minutenlang nichts.

Dann, quälend langsam, bewegte sich das Segeltuch. Das war nicht der Wind – das schob sich, drängte sich vor. Eine gelbe Pratze kam heraus und ein runder, schnurrbärtiger Kopf – ah, ein Tiger, ein Tiger!

Langsam kroch er hervor, vorsichtig, sehr bedächtig, lauernd, Schritt um Schritt –

Welch ein Tier! Wer von all den Tausenden da hatte je so eins gesehn?

Aber sie schrien nicht; nicht einmal die Weiber kreischten. Sperrten nur Augen auf und Nasen und Mäuler, starrten geblendet, andächtig fast auf die wilde Bestie.

Ein Trompetenschrei – da brauste ein schwarzer Stier herein. Gradaus zur Mitte, gleich zu auf den schweren Käfig – den stieß er um, mit einem raschen Stoß seiner starken Waffen. Der Tiger sprang zur Seite – einen Satz nur, kauerte sich nieder, bereit zum Sprung.

Nun sah ihn der Stier, senkte von neuem die Hörner. Es sah aus, als ob er sich auf ihn stürzen wollte im Augenblick. Aber er zögerte, blieb stehn, hob langsam den Kopf, warf mit den Vorderhufen in hastigem Scharren den Sand nach hinten.

Und die Tiere starrten sich an.

Angriffstiere beide, im Sprunge das eine und das andere im Stoß. Aber der Stier war das Tier, das die Menge kannte, er war das Symbol der Stärke und wilden Tapferkeit – er mußte anfangen.

Es war, als ob ein jedes des andern Stärke messen wollte – still, kauernd und lauernd die Katze – ungeduldig, nervös fast der Stier. Jedes Aufstampfen des Stieres, jedes Heben und Senken des Kopfes beantwortete der Tiger mit einem verhaltenen, warnenden Knurren – tief und rollend.

So standen sie – Auge in Auge – ungewiß.

»Feiger Stier!« zischte der Diktator. Aber keiner schrie rings im Zirkus – überall diese atemlose Stille, drückend, beklemmend fast.

Dann, ganz allmählich, wandte der Schwarze den Kopf. Ging zur Seite, vorsichtig und langsam, einen Schritt um den andern – immer schielend auf die Bestie im Sand. Hob die Hörner hoch – schritt schneller hinweg, den Planken zu.

Ein Schrei war es, ein wilder Schrei der Zehntausende: »Feiger Stier!«

Da flog des Adjutanten Taschentuch auf. Des Zwingers Tor öffnete sich – zwei weißgelbe Kühe kamen heraus, helläutend mit großen Glocken. Die blickten kaum hin auf das Tigertier, schritten die Seiten entlang, ruhig und gemächlich zu dem Stiere hin. Nahmen ihn in die Mitte, leiteten ihn sehr friedlich, sehr sanft, führten ihn still zurück zum Stalle.

Vor Lachen schüttelten sich die Indianer. All ihr Zorn gegen den feigen Stier war verrauscht im Augenblick, sie sahen nur das seltsam komische Bild. »Las mujeres!« kreischten sie. »Er liebt die Weiber! Und die Unterröcke!« Und hinüber zu den Reihen, wo die Dirnen saßen, flogen saftige Scherze, plump, eindeutig, roh und brutal, alle begrüßt von dem kreischenden Jauchzen der Frauen. Die bogen sich, wanden sich vor Lachen, stolz und gebläht über die Rolle, die sie nun spielten: dicke Kühe, die den starken Stier zum Stalle brachten. Dort –

Längst lag der Schatten über der ganzen Arena, schnell und schneller sank nun die Sonne. Und in der Dämmerung, mitten im Sand, lag der mächtige Tiger, auf den keiner mehr achtete. Langsam stand er auf, drehte sich im Kreise, legte sich dann ruhig nieder.

Wieder zog Oberst Perlstein sein Taschentuch heraus. »Ich habs mir gedacht!« rief er lustig. »Den haben mir die Kuhhirten gut ausgesucht – es war der friedlichste Stier von allen; blind dazu auf dem linken Auge, träge und feig. Ausgezeichnet hat er seine Rolle gespielt – über Erwarten gut.« Er schwenkte sein Tuch hoch in der Luft – da bellte die Trompete.

»Aber nun geben Sie acht!« fuhr er fort. »Nun kommt ein anderer Stier.« Er beugte sich vor, schob seinen Kopf heran, flüsterte: »Wir haben Sekt bekommen gestern abend, hundert Kisten voll. Und mit dem ersten Glase der ersten Flasche hab ich ihn getauft.«

»Sie haben ihn getauft?« fragte Frank Braun erstaunt.

»Ja,« nickte der Jude. »Das hab ich! Man tauft doch Dampfer, Äroplane, Luftschiffe, nicht wahr, und auch mit Champagner – warum keine Stiere? Und für solche Taufen bin ich auch zu haben. Es hat mir Spaß gemacht – und für Sie ists ein kleines Kompliment.«

»Wie heißt er denn,« fragte er.

»Warten Sie,« rief Don Benjamino. »Erst müssen Sie ihn sehn – dann werden Sies schon raten.«

Er wandte sich ungeduldig nach hinten, befahl dem Soldaten: »Blas noch einmal – blas!«

Im selben Augenblick, als die Trompete schrie, flog das Tor auf. Und heraus trat ein ungeheurer Stier. Er kam mit ruhigem, festem Schritt – blieb stehn, hob den Kopf, atmete tief, gewöhnte das Auge an das helle Licht.

»Wie gefällt Ihnen der?« fragte Perlstein. »Nun raten Sie: wie heißt er?«

Frank Braun betrachtete ihn genau. Es war ein herrliches Tier mit wundervollen Waffen, die sich bogen und scharf nach vorne liefen, in die Höhe und nicht nach den Seiten. Den Kopf warf er auf, leicht und gelenk; sein Nacken war stark, stämmig die Beine, die Brust weit ausladend. Er war schwarz und weiß gefleckt, dazwischen glänzten kleine, rostrote Tupfen.

»Nun wie heißt er?« drängte der Oberst. »Finden Sie es nicht? Die Farben? Die Farben! ›Aleman‹ hab ich ihn getauft.«

Da fiel dort, wo die Weiber saßen, ein buntes Tuch über die Brüstung, hinunter in den Sand. Ein Soldat sprang hinüber, es aufzunehmen. Kaum sah es der Stier – so brüllte er auf – es war, als ob er sagen wollte: dieser Platz gehört mir! Und er sprang an, rannte zu auf den Eindringling, der rasch mit seinem Tuche zurückkletterte. Aber dieser Stier krachte nicht plump gegen die Bretter, er hob die Hörner, mitten im Laufe, setzte an, sprang mit einem gewaltigen Satze über die mannshohen Planken, lief herum in dem engen Laufgang, jagte sie alle vor sich her – Soldaten, Stierkämpfer, Kuhhirten, hetzte sie herum in dem Bretterschlauch, im Halbkreis an den Tribünen vorbei. Dann, unter der Präsidentenloge, schlug einer der Toreros die schräge Klapptüre hinter sich zu: da war der Gang versperrt und zugleich ein neues Tor zur Arena geschaffen. Da hinaus sauste der Stier, stand von neuem auf dem Sande, den er beanspruchte als sein Eigentum.

Und nun – mitten in dem riesigen Kreise – sah er das Tigertier. Er lief nicht, rannte nicht, flog nicht heran, wie ein wilder Sturmwind. Er ging ruhig vor, Schritt um Schritt, mit halbgesenktem Kopfe, den Blick nach vorne, die scharfen Hörner voraus. Zehn Schritte vor der großen Katze blieb er stehn.

Wieder kauerte sich der gelbe Tiger zum Sprung – wieder beobachteten sich die beiden Tiere, mißtrauisch genug. Nun faßte der Stier sein Ziel, ging erst ein paar Schritte zurück, sprang dann an, rannte los. Es war, als ob der Tiger das vorausgesehn habe – einen Schritt sprang er zur Seite, kauerte nieder – schnellte ab. Und er saß – im nächsten Moment – auf des Stieres Rücken; man sah, wie die gewaltigen Pranken die Haut faßten. Aber nur einen Augenblick – der nächste schon trennte die Tiere. Zu stark war die Kraft von beiden Seiten, um ein wenig zu weit auch hatte die Katze die Entfernung geschätzt. So konnten selbst ihre mächtigen Krallen sich nicht halten auf des Stieres Rücken, dem sie doch das Fleisch zu Fetzen rissen, daß das rote Blut in Strömen herunterlief. Und jetzt – jetzt, als das Blut ihn taufte, besser als der Champagner – jetzt leuchtete er wirklich in der Abendsonne in Deutschlands Dreifarben.

Frank Braun warf einen raschen Blick auf den Oberst Perlstein. ›Die Farben Lewis!‹ dachte er.

Der Stier stand, drehte sich gleich, wandte sich von neuem dem Gegner zu. Hob den Kopf, schwenkte ihn hin und her, brüllte laut auf vor Schmerzen. Dann, mit raschem Entschluß, stürzte er sich wieder auf den Tiger, der kaum diesen neuen blitzschnellen Angriff erwartete. Er sprang fort, entwischte mit knapper Mühe dem Stoß der Hörner, deren linkes ihn noch streifte am Hinterschenkel. Nicht mit der Spitze – mit der Seite nur – aber doch kräftig genug, um das starke Tier in den Sand zu rollen. Der Stier stand fest mit einem Ruck, wandte sich im Zehntel der Sekunde, griff von neuem an. Aber nun faßte auch der Tiger den Augenblick, setzte kurz an, sprang – hing an dem Kopf des Stieres – schlug die mächtigen Pranken tief in den Nacken ein. Der Stier schwenkte den Kopf, schleuderte die Katze ab, mit zwei, drei schnellen Bewegungen. Sprang vor, ohne Besinnen, traf mit den Hörnern den Tiger, wie er kaum den Boden berührte, faßte ihn, warf ihn hoch, wie einen leichten Ball. Hob die Hörner, blickte auf, brach wieder vor, griff ihn, ehe er noch in den Sand fiel, jagte ihm die spitzen Waffen tief in die Flanke, schleuderte ihn noch einmal in die Luft.

Und nun war es, als ob er Tennis spielte mit der riesigen Katze. Wohin sie fiel, da faßten sie von neuem die entsetzlichen Hörner, warfen sie hoch, weiter und weiter durch den Sand. Ein paarmal versuchte der Tiger, sich aufzurichten, fortzukriechen – und oft genug traf er mit einem Tatzenhiebe den blutbefleckten Stier. Aber es war, als ob all dies Blut den stolzen Bullen noch stärker, noch wilder machte, immer tiefer rannte er seine Dolche in der Katze Leib, rollte sie, hob sie, warf und trieb sie zu den roten Planken hin. Und da – seitlich, wo die Weiber saßen – machte der Stier seinen letzten Angriff: spießte mit beiden Hörnern den verendenden Tiger an das Holz.

Riß sich dann los, trabte langsam genug, zur Mitte hin.

Dort in den letzten Strahlen der Abendsonne, stand das gewaltige Tier, ausschnaufend, triumphierend brüllend, gehüllt in den roten Mantel von Blut.

Da klatschten sie, da schrieen und jauchzten sie, halb närrisch in wilder Begeisterung. Warfen dem Stier zu Ehren, ihre Hüte in den Sand, Jacken und Tücher und Schleier. Standen auf den Bänken, schwenkten die Arme in der Luft: »Bravo toro!« heulten sie, »Bravo toro!«

Einer, mit durchdringend heller Kastratenstimme, kreischte:

»Viva el toro!«

Das nahmen sie auf, das schmetterten sie aus zehntausend Kehlen: »Viva el toro! Viva el toro!«

Pancho Villa war aufgesprungen, schrie mit allen andern. Dann plötzlich stockte er, rief dazwischen in heller Begeisterung: »Viva la Goyita!«

Frank Braun fragte: »Warum läßt er die Tänzerin hochleben?«

Der Adjutant begann: »Weil die es ist, die –« Er brach ab. Der General winkte ihn heran, nahm eine mächtige Ledertasche, die er links am Gürtel trug, neben dem Säbelknauf, öffnete sie, griff hinein, nahm eine starke Handvoll großer Goldstücke heraus. Frank Braun sah, daß es lauter neue blitzblanke amerikanische Zwanzigdollarstücke waren.

»Nehmen Sie, Oberst,« rief der Diktator, »zählen Sie hundert ab. Schicken Sie die der Goyita.«

Der Oberst zählte, band das Gold in sein Taschentuch – schickte drei der Soldaten damit ab.

– Noch ein letztes Mal öffnete sich das Zwingertor der Sonnenseite. Kühe kamen, rote, weiße und falbe, buntgefleckte, alle mit helläutenden Glocken am Halse, geschmückt mit Bändern und Blumenkränzen; hinter ihnen jagte die Quadriga der Maultiere in den Sand. Einen raschen Blick nur warf der Stier auf die vier buntgeschirrten, schellenläutenden Maultiere und ihre rotblusigen Treiber, wandte sich dann verächtlich ab, blieb ruhig stehn – nein, das war keine Arbeit für ihn. Die Chulos banden des Tigers Schwanz an die Zugstricke, trieben ihre Tiere an, springend und schreiend. Die Maultiere schleiften in raschem Galopp die tote Bestie rings herum durch die Arena.

Inzwischen umringten den blutigen Sieger die Kühe, kamen nahe heran, drängten sich, schoben sich an ihn. Und eine, eine strahlend weiße, legte ihre rosa Schnauze an seinen Hals, begann, zärtlich fast, das rote Blut zu lecken. Da hob er seinen Kopf, bog ihn über den der weißen Kuh, leckte sie, einmal nur, scheu und rasch, zwischen den Augen über die Stirn. Ließ sich führen, schritt ruhig ab mit den Kühen, langsam genug. Und zum dritten Male spielte die Musik – zu Ehren des stolzen Siegers jetzt – den Marsch des alten Preußenkönigs.

Diesmal machte die Menge keine frechen Witze über Weiber und Kühe und Unterröcke. Diesmal sah sie ruhig zu, still, stumm und bewundernd.

Das war das letzte Bild in den großen Spielen zu Ehren des Generals Villa zu Torreon. Nur ein wilder, gewaltiger Schrei noch, als der Stier mit seinen Frauen verschwunden war, ein rasender Schrei:

»Viva Villa!«

* * *

Gegen zehn Uhr an diesem Abend schlug Oberst Perlstein mit dem Silberknopf seiner Reitgerte an Frank Brauns Tür.

»Kommen Sie, Doktor,« drängte er, »jetzt ists Zeit.«

Die Pferde standen gesattelt vor der Fonda; sie stiegen in die Sättel. »Das Fest lacht in den Gärten Villas!« rief der Jude. »Gegessen haben sie, Pulque getrunken, daß ihre Wänste zum Platzen voll sind. Nun krachen die Champagnerkorken, im Patio sauft Villa mit seinen Generälen: sie warten auf die Goyita.«

Sie ritten durch die Gassen der Vorstadt. Lichter überall, Soldatenlärmen und Weiberjohlen aus jedem Hause. »Die Leute bekamen heute ihr Geld – Sold für drei Monate. Das Geld ist eben fertig geworden, gestern frisch angekommen – mit dem Champagner.«

»Amerikanisches Geld?« fragte er.

»Nein, diesmal nicht!« lachte der Oberst. »Unser eigenes. Hier nehmen Sie.«

Er zog ein Paket von Bankscheinen aus der Tasche, reichte es ihm: es waren fünfhundert Noten, zu hundert Dollar eine jede. Frank Braun betrachtete es – denkbar einfachstes Papier, jämmerlicher Druck – darunter der kindliche Namenzug: Francisco Villa. Er reichte das Päckchen zurück, aber der Oberst lehnte es ab.

»Nein, nein, behalten Sie nur!« rief er. »Von morgen ab hat es Zwangskurs – da können Sie nichts anders mehr ausgeben hier. Und sonst ists vollkommen wertlos – Papierfetzen, die wir halt drucken – soviel wir wollen: Villa-Geld!«

»Und die Leute nehmens?« fragte Frank Braun.

»Sie müssens nehmen, was bleibt ihnen anders übrig?« erwiderte der Adjutant. »Hat man die Assignaten nicht genommen? Daher hat Villa das Rezept – aus seinem Buch über die Französische Revolution. Die kopieren wir in allem Drum und Dran – das hat Madero angefangen – und nach ihm Carranza und alle andern – Villa am meisten. Nur der Zapata, glaube ich, kümmert sich nicht darum, der wirtschaftet nach eigenem Gusto, weiß wohl kaum, daß es je sowas gab wie eine französische Revolution.«

In den Gärten lagen die Soldaten herum, viele Dirnen zwischen ihnen. Das trank und spielte, rauchte und sang, zotete laut, kroch in die Büsche, umarmte sich kreischend, schamlos und brutal. Da und dort krächzte eine sehr verstimmte Arpa, dazu sprangen sie in täppischem Schaukeln den nationalen Jarape oder auch – die Weiber allein – den Kriegertanz, den Mitote. Hier spielten sie eine Metze aus – die lachend dabeistand – warfen die schmutzigen Karten: Siete y media. Daneben würfelten sie um ein Weib auf einer alten Trommel, dort wieder losten sie eine andre in der Lotterie aus. Ah – es war ein Fest – Villas großes Fest!

Sie stiegen von den Gäulen, traten in das Haus, gingen durch zum Patio, dem großen, offenen, viereckigen Hof in der Mitte, den ein naiver Geschmack zum Festsaal umgeschaffen hatte. In den Säulengängen ringsum lagen überall Matratzen, eingenäht in buntfarbige Tücher, dazwischen standen einige Rohrsessel und Schaukelstühle. Zwischen den Säulen hingen Laubgirlanden mit roten, gelben und blauen Papierblumen. Azetylenlampen, die man hoch an die Mauern geschlagen hatte, warfen sehr helles Licht, unter den Galerien baumelten ein paar armselige Lampions.

Hier becherte Villa mit seinen Generälen und Obersten – und mit geschminkten, halbentkleideten Weibern. Es war genau dasselbe Bild wie draußen im Garten – auch hier standen und saßen und hockten und lagen die Männer herum, rauchten, tranken, sangen, zoteten, griffen den Frauen nach Schenkeln und Brüsten. Die Uniformen waren weniger zerfetzt, das war wahr, dazu trugen sie alle nagelneue Ledergamaschen amerikanischer Mache. Auch waren sie noch nicht trunken genug, sich einfach auf den Boden zu werfen mit den Dirnen – nur zuweilen klatschte einer oder der andere einer Dirne auf den Leib, dann folgte sie ihm lachend ins Haus. Vielleicht waren auch die Mädchen um ein weniges jüngere und bessere Ware als das Fleisch, das man den Soldaten hinwarf. Aber die Hauptsache: hier trank man Champagner – Goulet, Roederer, Montebello – auf Eis gekühlt, wie es sich gehörte. Daran erkannte man die bessern Menschen.

»Haben Sie nicht irgend etwas, das Sie dem General zum Geburtstag schenken können?« fragte der Oberst halblaut. »Es würde ihm schmeicheln.«

Frank Braun griff an seine Taschen – nichts war da. Im Hemd das kleine Messerchen – aber was in aller Welt sollte Villa damit, dem jedes Messer die gute Länge einer Machete haben mußte! Verdammt, warum hatte er daran nicht gedacht?

Dann fielen ihm die Revolver ein, die ihm sein Sekretär eingepackt hatte. »Ich will zurückreiten,« sagte er.

»Lassen Sie nur,« sprach der Oberst, »ich werde einen meiner Yaquis schicken. Keine Angst, auf den können Sie sich verlassen – nicht eine Stecknadel würde er anrühren. Geben Sie Ihren Zimmerschlüssel – was soll er holen?«

Frank Braun überlegte – es war schon besser, wenn er die ganze Tasche herschaffen ließ. Er beschrieb dem Adjutanten, wo die stand – auf einem zerbrochenen Stuhl, am Fußende des Bettes.

Der Oberst nickte, winkte einem der Soldaten, gab ihm den Schlüssel.

»Kommen Sie!« sagte er dann. »Wir wollen derweil ein Glas Wein in meinem Zimmer trinken.«

Sie wandten sich zum Gehn, Frank Braun warf noch einen raschen Blick zurück, ob der General sie noch nicht bemerkt hätte. Aber der saß auf seinem Sessel, ein Glas in der Hand. Vor ihm hockte ein Händler, der ihm aus einem großen Holzkasten Schmuckstücke verkaufte – Halsketten, Ohrringe, Armbänder – aber auch dicke, goldene Ringe für Männerfäuste, mit protzenden bunten Steinen.

* * *

Es klopfte, der Yaquisoldat trat ein mit der großen Ledertasche. Frank Braun suchte nach dem Schlüssel, öffnete dann. Ganz unten lagen die Waffen, er mußte abräumen, was darüber lag. Da sah er einen großen, schwarzen Lederkasten, mit Silber beschlagen – was war es nur? Er nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn.

Dann erinnerte er sich: es war ein sehr schöner Toilettenkasten. Aus getriebenem Silber alles, ein Geschenk, das ihm nach einem Vortrage in Cleveland ein paar Herren überreicht hatten. Er hatte damals kaum einen Blick hineingeworfen – ihm genügte sein kleiner Rasierapparat.

Das Ding also hatte sein Sekretär eingepackt? Nun, das war gut, ein besseres Geschenk konnte er nicht finden für den General. Da ließ er die Revolver liegen – steckte noch alle Taschen voll mit seinen albernen Scherzartikeln aus dem Fünfcentladen.

Er ging zum Hof hinab mit dem Oberst, seinen Kasten im Arm. Der Händler hatte sein Geschäft mit Villa abgeschlossen, saß nun in der Ecke, ordnete seinen Kram. Aber der Diktator spielte mit den Goldkettchen, betrachtete wohlgefällig seine dicken Finger, an denen drei breite Ringe glänzten, alle mit schlechten Brillanten.

Frank Braun ging auf ihn zu, gab ihm die Hand, gratulierte zum Festtage, überreichte sein Geschenk. Villa dankte nicht, antwortete nicht, viel zu neugierig auf den Inhalt des schwarzen Kastens. Er öffnete ihn behutsam genug, nahm einen Gegenstand um den anderen heraus. Drei Rasiermesser, Solinger Stahl und Elfenbeingriffe, Seifenbecken, ein paar Pinsel – alles zum Auseinandernehmen und Zusammensetzen – das gefiel ihm. Zwei Spiegel – einer für die Hand, einer zum Aufstellen – da blickte er lange hinein. Aber die Hauptsache: alle die Dingerchen zur Nagelpflege; Feilen und Messerchen, Scheren, kleine Stäbchen, geschweift und gebogen – Puderbüchschen, Löffelchen – immer was Neues, als ob es kein Ende nehmen wollte. Die Offiziere umdrängten ihn, staunten wie er die seltsamen Sachen an.

»Weiber!« rief der General. Da drängten sich die Mädchen herzu. »Wer weiß Bescheid von euch?«

Mit den Augen verschlangen sie all die Herrlichkeiten, zitterten vor Begier, sie anfassen zu dürfen. Aber eine drängte sich heran, stolz und gebläht: »Ich weiß alles!«

»Du, Concha?« fragte der General. »Woher weißt du es?«

Die Dirne sagte: »Ich war oben in Washington. Mich hat Oberst Benitez mitgenommen, den General Madero sandte.« Da ließ er sie neben sich knien.

O ja, sie war Kennerin, hatte gute Studien gemacht im Yankeelande. Jedes Stückchen nahm sie heraus, erklärte es ihm genau. Er legte alles vorsichtig wieder an seinen Platz, versuchte nichts. Nur einmal konnte er der Versuchung nicht widerstehen – als sie ihm das Ohrlöffelchen erklärte. Das nahm er vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, benutzte es gleich, rechts und dann links. Lachte, war sehr zufrieden mit dem Erfolg. Reinigte es gründlich an Conchas Haar, legte es zurück in den Kasten.

»Kannst du alles anwenden?« fragte er die Dirne, die eifrig nickte. »Gut, dann sollst du morgen kommen, mir die Hände schön zu machen.« Er lachte laut, streckte ihr die schmierigen Hände ins Gesicht, zeigte ihr die tiefschwarzen Nägel.

Die Dirne stand auf, strahlend, lächelnd. Welch ein Glück – des Generals Maniküre!

Der Adjutant beugte sich über ihn. »Die Goyita ist da, General.«

»Laß sie kommen,« rief Pancho Villa. Dann wandte er sich zu Frank Braun, gab ihm eine Zigarette. »Danke, Cabarello,« sprach er, »danke Ihnen! Gebt Wein, ich will mit ihm trinken!« Er reichte ihm das volle Glas. »Trink, Deutscher, trink! Wenn du Frauen willst, such dir aus. Wenn du ein Pferd willst, sag es, Don Benjamino soll dir das beste geben.«

Er winkte einem Soldaten, ließ ein Körbchen bringen und braunes Papier. Er zeigte noch einmal sein Geschenk den Offizieren, erklärte nun alles selbst, großartig und stolz, als tiefer Kenner. Wickelte den Kasten ein, legte ihn in das Körbchen, gab das dem Soldaten. Er schwankte, ob er es in sein Zimmer bringen lassen solle, befahl dann dem Indianer, neben ihm niederzuhocken, das Körbchen zwischen den Beinen. Vielleicht bekam er Lust, sich noch einmal alles anzusehen.

Man machte den Innenraum frei, reinigte die Marmorfliesen. Alles drängte sich unter die Säulengänge, vorn die Offiziere – die lagen, hockten und saßen. Ganz hinten, an die Wand gedrängt, standen die Weiber.

Ein Orgeldreher schob sein Instrument auf kreischenden Rädern durch den Patio, stellte sich in einer Ecke auf, zwischen zwei Säulen, begann sofort zu spielen. Ihm folgte dicht die Goyita.

Die schritt zur Mitte. Grüßte nicht, verbeugte sich nicht. Ein spanisches Kostüm trug sie, hohe Frisur mit dem mächtigen Schildpattkamm, von dem die Mantilla herunterhing, schwarze Spitzen, die ihr über die Schultern fielen. Einen großen Busch von roten Hibiskusblüten trug sie im tiefschwarzen Haar über dem linken Ohr, einen gleichen mitten auf der Brust.

Aber sehr blau leuchteten die großen Augen.

»Nun, wie gefällt sie Ihnen?« fragte Oberst Perlstein.

Frank Braun blickte hinüber. Die kannte er doch – o sicher! Wo hatte er sie nur gesehn?

Dann fiel es ihm ein – das war – ja, das war die Tänzerin von der »Thuringia«, die die kleine Louison gepflegt hatte! Nun wußte er auch, woher Francisco Villa den Tiger hatte – dafür also hatte ihn der Kapitän durchgefüttert auf dem Fieberschiff!

Er nickte leicht hinüber, fing ihren Blick. Sie erkannte ihn gleich, aber sie antwortete nicht. Grüßte ihn so wenig wie einen der andern. Sie wartete auf den Takt der Drehorgel, dann begann sie.

Eine Madrileña tanzte sie, mit ihrem kleinen Fächer spielend. Würdevoll, vornehm, ein wenig steif und langweilig. Es wirkte lächerlich – hier eine Madrileña!

Aber diesem Publikum gefiel es grade; sie überschütteten die Goyita mit Beifallsklatschen.

Dann nahm sie die Kastagnetten, tanzte eine reiche Petenera; aber wieder zahm genug, graziös und zierlich, wie die artigen Fräulein in Toledo und Saragossa.

Sie legte die Mantilla ab, zog den Kamm heraus. Gab beides auf einen Stuhl neben ihrem Begleiter, dem Orgeldreher. Da lagen Tücher, Schuhe – all ihr Handwerkszeug. Er sah, daß auch eine Reitpeitsche dabei war.

›La Pegona,‹ dachte er.

Sie setzte einen Hut auf, einen grauen Filzhut mit steifem Rand, einen kecken Cordobahut, wie ihn die Männer in Andalusien tragen. Und sie wählte einen großen Manton, ein langfransiges Seidentuch in Grün und Gelb mit riesigen, roten Blumen. Ging zur Mitte zurück.

Einen Tango tanzte sie jetzt. Aber nicht wild aufreizend und gemein, wie die frechen Weiber vor ihren Lehmhütten, in den Vorstädten von Buenos-Aires. Auch keinen Zigeunertango, wie ihn, auf dem rollenden Hintern das lange Schleppkleid raffend, die andalusischen Dirnen in ihren Cuadros tanzen. Nein, sehr gemäßigt, stolz und zurückhaltend, sittsam fast – ad usum Delphini!

Sie warf den Hut weg, nahm einen weißen Manton. Tanzte die Seguidilla, dann den Soleares. Endlich mit einem sehr schönen alten Tuche in tiefstem Violett eine Malagueña. Und immer die klappernden Kastagnetten.

»Familientänze,« dachte er. Genau so tanzten die höheren Töchter in Granada, in Jaen und Sevilla. Die, die im Kloster erzogen sind, die französisch parlieren können und scheußlich Klavier spielen, die nie allein auf die Straße dürfen und abends ihren Liebsten an der »Reja« empfangen – an dem gräßlichen, engmaschigen Fenstergitter, das durch lange Jahre alle Liebenden trennt, bis der Priester in der Kirche den nötigen Segen spricht. Artig tanzte sie, sehr tugendhaft und wohlerzogen.

Sie trat zurück, setzte sich auf ihren Stuhl. Sofort umringten sie die Offiziere, hielten ihr die Gläser hin. Aber sie schüttelte den Kopf, nahm nicht einen Tropfen.

»Die Rumba!« rief Pancho Villa. »Tanz die Rumba!« Und die andern nahmen es auf, alle schrien, daß sie die Rumba tanzen solle.

»Nein,« sprach die Goyita. Und kein Wort mehr.

Sie zog die hohen Stöckelschuhe aus, legte Spargatten an, Bauernschuhe aus Segeltuch mit geflochtenen Hanfsohlen. Spargatten nahm sie und nichts sonst. Keinen Hut und keine Mantilla, weder Kamm noch Tuch noch Kastagnetten.

So tanzte sie die rasche aragonesische Jota. O ja, nun war Blut darin – nun zeigte sie in raschem Ländler die schlanken Beine.

Aber die Offiziere konnten nicht genug bekommen, wollten mehr und immer mehr. Und immer wieder verlangten sie nach der Rumba.

Doch diese Frau blieb fest. Sie zog ihre Hackenschuhe wieder an, tanzte die Faruca, geschmeidig wie eine Zigeunerin, die Hüften weit herausdrehend – ah, nun war es nicht mehr gute Gesellschaft. Den Garrotin mit den Füßen trommelnd und stampfend, die Bewegungen der Toreros nachahmend. Und, die Röcke hebend und fallen lassend, die kecke Buleria.

»Die Rumba!« schrien die Offiziere, aufgereizt und erregt. »Die Rumba!«

»Nein!« sagte sie wieder.

Sie tanzte im langen Schlepprock die Flamencos der gaditanischen Dirnen, den Lapateao und Por Alegrias. Wirbelnd und frech. Sie gab ihnen auch die gemeine Mariana, die den Steiß rollte und warf, die den Bauch schob und drehte, deren Handbewegungen einluden und aufforderten, mit schamlosester Deutlichkeit.

Da rief Villa hinüber: »Tanz sie für mich, die Rumba!« Er konnte es nicht ertragen, daß alle Offiziere sie rings umstanden, während er allein da saß. Er kämpfte mit sich, am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte sich zu ihnen gesellt. Aber er wollte zeigen, daß er ein andrer war – nicht seinen Generalen, o ein – nur der Tänzerin.

»Tanz für mich die Rumba,« rief er, »für mich allein!«

Mit einem Ruck stand die Goyta auf, ging vor ein paar Schritte – da machten die Offiziere Platz, drängten sich an den Seiten. Sie tat noch einen Zug aus ihrer Zigarette, schleuderte sie dann weg. Faßte mit beiden Händen den Manton, warf den Kopf hoch in den Nacken. »Nein!« rief sie ihm zu. »Für Sie nicht und keinen! Ihr seid betrunken heute nacht – alle!«

Sie schritt quer durch den Patio, wie eine Fürstin, und keiner wagte es, sie zurückzuhalten.

Pancho Villa fauchte vor Zorn – und doch lachte er, freute sich, daß er wenigstens zurückgeblieben war, nicht sich an sie geworfen hatte, wie die andern.

»Wie ein Haufen geiler Straßenköter seid ihr,« brüllte er, »die sich um eine heiße Hündin drängen!«

Sie lachten alle, herzhaft genug. Und nur ein Alter antwortete ihm, der krumme, häßliche Alvaro Gomucio, der auf dem linken Beine lahmte. Der rief: »Hast nur halb recht, Pancho Villa! – Heiß ist die Goyita nicht!«

Da gröhlten sie wieder, schenkten die Gläser voll, spülten die heisern Kehlen mit Champagnerwein.

* * *

Ein Offizier kam in den Hof, stand vor Villa, legte die Hand an den Hut.

»Gonzalez ist draußen,« meldete er. »Er bringt die Gefangenen von Bonanza.«

»Führ sie herein!« befahl der General.

Don Benjamino brummte: »O je! Denen wirds schlecht ergehen.«

Ein paar Offiziere kamen, auch Soldaten, von Staub und Schmutz gelbbraun von oben bis unten; man sah ihnen an, daß sie von einem scharfen Ritt kamen. Sie stießen ihre Gefangenen vor sich her, die sich kaum halten konnten auf den zitternden Beinen, nachdrücklich geschoben mit Flintenkolben und Säbelscheiden.

Neun waren es, sechs Männer und drei Weiber.

»Geistlichkeit!« raunte der Oberst Frank Braun zu. »Sehn Sie – die Tracht der Frauen war einmal ein Nonnenkleid, ehe sie so zerfetzt und. zerrissen und verdreckt war von Schmutz und Blut. Und die Kerls – erkennen Sie die Tonsuren? Nun geben Sie acht: Jetzt spielen wir französische Revolution.«

»Wieso?« fragte der Deutsche.

»In Unserem Buche –« fuhr der Adjutant fort, »in dem Buche über die große Revolution, das sich der General wohl ein dutzendmal hat vorlesen lassen, steht drin, daß die Jakobiner die Pfaffen haßten. Daß sie die Klöster stürmten und die Nonnen schändeten. Und daß sie alles, was männlich war von der Geistlichkeit, an die Laternen knüpften. Laternen haben wir nicht – aber aufknüpfen können wir so gut wie die Franzosen.«

Er erzählte ihm, daß der General vor einigen Tagen den Befehl gegeben hätte, das Kloster der Schwestern zum Guten Hirten bei Bonanza aufzuheben; man hatte Wind bekommen, daß sich dorthin ein paar Geistliche gerettet hätten, die die Nonnen versteckten.

»Die Priester sehe ich,« sagte Frank Braun. »Aber wo sind die Nonnen?«

Wieder lachte Oberst Perlstein: »Ach, es war eine nur kleine Niederlassung – kaum ein Dutzend Schwestern werden dort gewesen sein. Wieviel sind hier? Drei? Nun, dann sind die anderen neun heute Soldatendirnen! Das geht schnell bei uns. Sehn Sie, jede Truppe bekommt Befehl, alles aufzuheben und mitzuschleppen, was nicht bewaffneten Widerstand leistet. Nur dann, wenn man zu fliehn versucht – wird geschossen. Aber es ist eigentümlich: immer die Schwestern, die noch einigermaßen appetitlich sind, immer die versuchen zu fliehn, immer die leisten ›bewaffneten Widerstand‹. Wir kriegen immer nur die steinalten ins Hauptquartier – zur Probe gewissermaßen.«

»Und der General ist nicht eifersüchtig?« fragte Frank Braun. »Nicht wütend, daß ihm seine Kerle nur das alte Fleisch bringen und das zarte selber fressen?«

»Nein,« sagte der Oberst, »durchaus nicht. Denn er weiß, daß die jungen Nonnen alle längst durch zwanzig Hände gegangen wären, ehe sie ihm abgeliefert würden – da ists kein Unterschied mehr mit unsern Weibern. Und dann, sehn Sie, es ist ein eigen Ding mit den Nonnen. Früher hat der General manche Klöster selber aufgehoben – und weiß gut Bescheid. Er hat längst den Geschmack daran verloren – das paßt nicht fürs Bett. Ich glaube, er gäbe alle Schwestern der Welt für einen einzigen Kuß der Goyita.«

Der Hauptmann Gonzalez machte seinen Bericht. Da seien die Priester; der siebente, ein alter, achtzigjähriger, sei halbtot auf dem Wege zusammengebrochen: man habe ihn liegen lassen. Von den Nonnen hätten vier Widerstand geleistet, fünf hätten zu fliehen versucht: man habe sie niedergeschossen.

»Hoffentlich habt ihr ins Zentrum getroffen!« gröhlte Villa. Er lachte laut, wie alle andern, über seinen gloriosen Witz.

Er fuhr die Geistlichen an. »Ihr habt spioniert, ihr Hunde, für General Carranza!«

Einer versuchte zu sprechen, ein paar abgerissene Worte rangen sich stammelnd aus den zitternden Lippen.

Aber Pancho Villa unterbrach ihn: »Fusilar a esos carajos!«

Er winkte mit der Hand, griff dann sein Glas, ließ es füllen.

Schrie die Nonnen an, rief: »Könnt ihr Rumba tanzen?« Die alten Schwestern starrten ihn an – was fragt er da? Aber er blickte sie kaum an, zischte ein verächtliches: »Ab!«

›So also hält man hier Kriegsgericht!‹ dachte Frank Braun. ›Ein einziges: Füsiliert die Hunde! Das genügt – da stellt man sie an die Wand. Fixer konnten die Jakobiner auch nicht arbeiten! Wozu Verhör, wozu Richter und Zeugen und Verteidiger? Sie haben Tonsuren, sind Priester – schlagt sie tot!‹

Er ging zu dem Adjutanten. »Haltet die Leute zurück, nur einen Augenblick!« bat er.

»Was wollen Sie?« fragte der Oberst.

Er wiederholte: »Nur einen Augenblick!«

›Wie die Yankeepresse,‹ dachte er, ›genau so! – Das schreit: Deutsche! Darum Barbaren, Hunnen, Verräter, Bombenwerfer, Räuber und Kindermörder! Schlagt sie tot! Wie die Zarenbande, genau so! Juden, kreischt sie, Juden, die den Herrn kreuzigten, die Christenkindern Blut abzapfen – schlagt sie tot! – Fusilar a esos carajos!‹

Aussätzig war er, der Deutsche, wie die andern – wie die Juden, wie die katholischen Priester: so schmiedet sie das Schicksal zusammen.

Er überlegte, blickte hinüber auf den General. Über die Maßen häßlich war er, mit herausstehenden Backenknochen und mächtigen Ohren. Behaart vom Hals herunter und auf den langen Armen, mit wilden, flackernden Augen, die sich selbst mißtrauten. Eingedrückt die kurze Nase, das riesige Maul darunter voll großer schneeweißer Zähne, die hell leuchteten aus den viel zu kurzen Lippen. Und er fletschte sie, rieb sie knirschend übereinander. Wie ein Tiger war er –

Aber nun schlug der General dem Soldaten, der neben ihm hockte, leicht über den Kopf. Ließ sich den Lederkasten geben, öffnete ihn, spielte plump mit den Spiegeln und Löffelchen –

Er dachte: ›Nein – der ist kein Tiger! Ist ein Gorilla, der den Tiger spielt.‹

Er trat dicht zu ihm hin. »Mein General,« sagte er, »Sie haben mir ein Pferd versprochen. Ich hab ein gutes – kann ein zweites jetzt nicht gebrauchen. Wollen Sie mir eine andere Gunst erweisen?«

»Was wollen Sie?« fragte der Diktator.

»Geben Sie mir die Priester frei,« forderte er. Der General runzelte die Stirn; da fuhr er fort: »Nicht umsonst, mein General! Ich gebe Ihnen für jeden einen Revolver!« Er wandte sich um, bat den Adjutanten, seine Tasche herbringen zu lassen.

Pancho Villa lachte. »Einen Revolver für einen Pfaffen?« überlegte er.

»Und ich gebe fünf Schachteln Patronen mit jeder Waffe – zweihundertfünfzig Schuß!«

»Sie machen ein sehr schlechtes Geschäft,« rief der General. »Nicht einen Schuß sind sie alle zusammen wert.«

Man brachte ihm die Handtasche, und er öffnete sie, griff eine Schachtel mit Streichhölzern heraus, die nicht angingen, gab sie dem General. Dann eine Zigarrentasche mit Feuerwerkszigarren, ein paar Stehaufmännchen, hübsche Springteufelchen. Leerte alle seine Taschen, gab ihm, was er nur hatte von dem billigen Spielzeug.

Eine ganze Weihnachtsbescherung für artige Kinder!

Pancho Villa vergaß im Augenblick alles ringsum. Er ließ sich die Kinderscherze zeigen, schickte derweil die Offiziere hinüber zur andern Seite, damit sie nicht zuschauen sollten. Dann probierte er das Spielzeug selbst, eins um das andere, rief die Generale zurück, winkte die Weiber heran, gab ihnen die Herrlichkeiten – schlug sich auf die Knie vor Vergnügen, wenn sie darauf hineinfielen.

Und wieder forderte Frank Braun: »Bekomme ich die Priester, mein General?«

»Wo sind die Waffen?« gab Pancho Villa zurück.

Er nahm sie heraus, Stück für Stück, legte sie auf den Boden, dazu die Patronenschachteln. Der General nahm einen Revolver, betrachtete ihn sehr sachverständig, füllte ihn. »Ruft die hohe Geistlichkeit!« befahl er.

Man brachte die Priester zurück und mit ihnen die Nonnen; der General ließ sie aufstellen. »Ich hätte große Lust, die Revolver zu versuchen,« lachte er. Er hob den Revolver, zielte einen Augenblick nach dem Kopfe des ersten, riß plötzlich die Waffe hoch, schoß in die Luft.

Die alten Nonnen schrien auf, fielen auf die Knie, beteten laut. Ihrem Beispiel folgten die Priester.

»Halts Maul, Pack,« fuhr sie der General an. »Ihr seid nicht wert, daß man euch niederknallt! Steht auf, Pfaffen – der Mann da hat euch losgekauft! Ihr seid frei!«

Er wandte sich zu seinem Adjutanten. »Don Benjamino, seht zu, daß ihnen nichts passiert. Schreibt ihnen Pässe zur Reise nach den Staaten.«

Aber noch hatte er nicht genug. Er rief einen der Priester heran, gab ihm eine Zigarre. Der nahm sie, drehte sie in zitternden Fingern.

»Rauch!« befahl der Diktator. Einer reichte ihm Feuer, da brannte der Priester seine Zigarre an, tat ein paar vorsichtige Züge.

»Rauch kräftig 1« rief Pancho Villa. »Zieh ein und paff aus!« Der Priester gehorchte – sog, so stark er konnte, mit eingezogenen Backen.

Fünf, sechs Züge – da knatterte und knallte das Feuerwerk. Entsetzt ließ er die Zigarre fallen, zitterte am ganzen Körper, drohte zusammenzusinken auf den schlotternden Beinen.

Pancho Villa krümmte sich vor Lachen. »Geh, geh, Schwarzrock! Und wenn du nach Spanien kommst, erzähl deinen Brüdern: solche Zigarren raucht man bei General Villa.«

Oberst Perlstein ließ sie abführen. Aber noch waren sie nicht zur Türe hinaus, als der Diktator von neuem auffuhr. »Die Nonnen nicht,« brüllte er, »die nicht! Er hat die Pfaffen gekauft, einen Revolver für jeden. Die alten Weiber hat er nicht gekauft – die hängt auf!«

Frank Braun rief: »Ich kaufe sie auch, mein General.«

»Haben Sie noch mehr Revolver?« schrie Villa. »Und genug Patronen?«

Er suchte in seiner Handtasche – die war leer. Nur sechs Waffen waren eingepackt – auch alle die Scherzartikel hatte er nun weggeschenkt. Nur unten lagen noch ein paar Bücher.

»Hier meine Ledertasche –« versuchte er.

»Nein!« rief der General. »Die gib dem Hauptmann Gonzalez, der dir deine Pfaffen sicher besorgt nach Yankeeland. Für die Nonnen will ich Revolver wie für die Priester! Und wenn Du keine mehr hast – müssen sie baumeln.«

Da drängte sich die Goyita heran. Er hatte sie nicht bemerkt die ganze Zeit über – nun war sie plötzlich da.

Sie schob ein paar Offiziere zur Seite, stand dicht vor dem Diktator, hoch aufgerichtet.

Sprach: »Ich kaufe sie frei.«

Pancho Villa schrie sie an: »Du? Und wenn du mir die gemästeten Schweine mit Gold aufwiegst, sollst du sie doch nicht bekommen.«

Die Goyita sagte: »Ich tanze die Rumba.«

Der General sprang auf. »Die Rumba?! – Die Nonnen sind frei! Hauptmann Gonzalez – Ihr bürgt mir, daß sie sicher durchkommen und ungefährdet.«

Die Tänzerin trat zu den Nonnen, küßte sie, gab jeder ein paar Goldstücke – kam rasch zurück zu dem Diktator.

»Gebt mir ein Glas Wein, General,« sagte sie.

Pancho Villa ließ ihr Champagner reichen – sie leerte das Glas in drei raschen Zügen.

»Noch eins!« bat sie.

Frank Braun gab ihr sein volles Glas – sie dankte mit einem kleinen Blick, trank den Wein.

»Laßt Platz schaffen,« sagte sie. »Ich will mich anziehn.«

Sie nahm ihre Tücher, Schuhe, Kastagnetten, all ihre Sachen über den Arm, ging in eines der Zimmer, die auf den Patio liefen.

Die Offiziere räumten von neuem den Plate in der Mitte, ließen ihn auskehren von Flaschen, Schmutz und Papier. Alle füllten ihre Gläser zum Rande, warteten.

Einer, ein Schlanker, Schnauzbärtiger, stand neben Frank Braun, sah ihn an, als ob er etwas wolle, das er doch nicht zu sagen wage.

»Was wünschen Sie?« fragte der Deutsche.

Der Mexikaner zeigte auf die Ledertasche mit gierigen Augen. »Darf ich sie haben?« bat er. »Der General –«

»Sind Sie der Hauptmann Gonzalez?« unterbrach ihn Frank Braun.

Der andere nickte. Der Deutsche griff hinein, nahm die Bücher hinaus, gab ihm die Tasche, ging mit ihm zur Tür.

»Versprechen Sie mir –« begann er.

Der Hauptmann ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Ich laß ihnen zu essen und zu trinken geben, so viel sie wollen – heute abend noch! Ich bring sie sicher zur Grenze – verlassen Sie sich drauf!«

Er streichelte zärtlich die schöne Ledertasche.

»Kommt mit!« rief er den Priestern und Nonnen zu.

Frank Braun trat zu ihnen, gab ihnen Villa-Geld und amerikanische Dollarnoten. Dann fielen ihm die Bücher ein, die er in der Hand hielt.

Vielleicht – Reiselektüre –

Er öffnete sie – nein, das war es nicht! – Jacopone da Todi – war das eine. Und das andere, ganz dünne, hielt die Lieder des heiligen Franciscus und solche seiner Schüler.

»Wer kann Lateinisch lesen?« fragte er. Einer konnte es, der, der die Zigarre rauchen mußte. Dem gab er die Verse des Heiligen von Assisi. »Ist einer von euch ein Italiener?«

Nein, sie waren alle Spanier. Aber die alte Oberin war lange in Rom gewesen, verstand Lateinisch und Italienisch dazu. Ihr gab er des Todaners süße Lieder.

»Vergessen Sie nicht, Mutter,« sagte er, »vergessen Sie nicht: das ist der fromme Dichter, der die Mater Dolorosa schuf und die Mater Speciosa auch. Dolorosa – war die Mutter Gottes – um euch alle heute nacht – sehr schmerzreich! Und dann war sie doch – die Speciosa! Und denken sie daran: Dolores hieß die Frau, die euch freimachte, Dolores Echevarria.«

Von drinnen riefen die Leierkastenklänge. »Reist mit Gott!« rief er. »Betet für die katholischen Priester in diesem Lande. Und – für die Juden in Rußland – denen gehts dort wie euch hier! – Und, und – für die Deutschen – überall in der Welt!«

Er eilte fort – nahm wieder seinen Platz ein, nahe bei Villa. Aber noch war die Tänzerin nicht zurück – nur die Drehorgel sang die wilden Rhythmen der Rumba.

»Ich gratuliere!« raunte ihm der Oberst zu. »Das haben Sie gut gemacht! Aber ich sage Ihnen, Doktor – noch vor einem halben Jahre hätte Villa die Priester und Nonnen nicht freigegeben. Nicht für den Toilettenkasten und nicht für die Revolver, weder für Ihre Feuerwerkzigarren noch für den andern Tineff aus dem Neuyorker Fünfcentladen. Nicht einmal für die Rumba der Goyita.«

Er reichte ihm ein volles Glas. »Trinken Sie noch nicht – warten Sie, bis die Tänzerin kommt,« fuhr er fort. »Die Französische Revolution kommt außer Mode bei uns – das ist es. Der General zweifelt manchmal, ob es wirklich so durchaus nötig sei, alles totzuschlagen, was ein geistliches Kleid trägt. Haben Sie eine saftige Gotteslästerung von ihm gehört, einen wilden Fluch? Nichts – keine Silbe! Aber vor einem halben Jahr spuckte er es bei jedem Satze heraus: ›Me cago en Dios!‹ – ›Jodo en la Virgen!‹ – Unflätiger Schmutz, wie ihn keine andere Sprache der Welt kennt! Das ist anders geworden, seit wir den Preußenkönig studieren. Ich habe, leider Gottes, wenig genug gelernt und weiß nicht, ob das alles so stimmt, was unser spanisches Buch über Friedrich den Großen erzählt. Danach war er ein wilder Atheist – der an gar nichts glaubte – und das imponierte Villa. Aber dann steht da, daß er trotzdem alle Religionen ruhig gewähren ließ, daß er sagte, ein jeder möge nach seiner Art selig werden. Das hat der General gar nicht begriffen im Anfang – aber es scheint, daß es ihm einleuchtet allmählich. Denn, wissen Sie, wenn wir ein Buch haben, lesen wirs gleich ein dutzendmal hintereinander! Nachmachen muß er, der General – und ich glaube, daß der Tag nicht mehr fern ist, wo auch in seinen Gebieten jeder selig werden kann, wie er will.«

Er unterbrach sich – die Goyita trat in den Hof.

Sie kam in einem halblangen, weißen Musselinrock und einer ebensolchen, vorne etwas ausgeschnittenen Hemdbluse. Um die Hüften trug sie, glatt anliegend, ein blaues Seidentuch, ein gleiches um den Hals. Ein drittes blaues Tüchlein wand sich über die Stirn, deckte die Haare, schlang sich zum Knoten und fiel hinten über den Nacken. Das Kostüm war das eines Bauernmädchens, eines von der Varietérampe natürlich. Die Tänzerin hielt ein Körbchen in der Hand; sie machte ein paar eingelernte Bewegungen, die andeuten mochten, daß sie von der Arbeit auf dem Felde komme und daß es sehr heiß sei. Wieso sie gerade darum nun so große Lust zum Tanzen bekommen sollte, war wenig ersichtlich – ohne plausiblen Übergang entschloß sie sich eben dazu. Sie warf ihr Körbchen weg, zog das Halstuch aus, fächelte sich ein paarmal damit, tat, als ob sie den Schweiß abwischen wolle, schleuderte es dann dem Körbchen nach. Ohne Interesse und steif genug machte die Goyita dieses kleine Vorspiel, aber immerhin verstand man den Sinn: es ist heiß – darum ist sie sehr leicht angezogen, nur mit Rock und Hemdbluse. Und: sie will tanzen.

Nun trat sie in die Mitte, warf einen Blick auf ihren Orgelmann, wartete auf den Takt.

Aber plötzlich, auf einen Wink des Generals, erhoben sich mit ihm alle Offiziere.

»Viva la Goyita!« riefen sie. Leerten ihre Gläser, hielten sie hoch in der Hand.

Oberst Perlstein ging zu ihr hin, reichte ihr ein volles Glas. Sie nahm es, trank es aus zur Neige. »Viva Villa!« antwortet sie.

Sie gab das Glas zurück, warf einen schnellen Blick ringsumher. Stampfte auf mit dem Fuß, rief laut: »Schickt die Weiber hinaus, General!«

Das verstand er gut. Nein, vor denen tanzte sie die Rumba nicht, vor den Dirnen!

So mußten die Frauen abtreten, hinaus in den Garten – mußten draußen warten.

Dann erst begann sie.

Langsam, Schritt um Schritt. Sich reckend und räkelnd, aber geschmeidig und schmiegsam. Schneller allmählich in allen Bewegungen, wischend und windend. Wellenlinien durch beide Arme und herunter den ganzen Leib, vom Hals bis zu den Fußspitzen, als ob Schlangen rasch hinunterglitten. Und – in hellem Gegensatz dazu, die Bewegungen der Schultern, kurz, rasch, seltsam eckig. Das war kein Tanz der Hüften oder des Bauchs. Keiner, der die Beine warf, der die Arme schwenkte oder mit Kopf und Händen kecke Gesten machte. Obwohl auch das alles mitspielte, obwohl sie den Bauch herauswand und zurücknahm, die Hüften drehte – die Arme und Beine hob in den Gesten der ermüdenden Hitze, die Kühlung sucht. Aber nur auf die Schultern zog sie den Blick. Auf die Schultern und auf die Brust.

Schneller tanzte sie nun, wilder, wirbelnder, die Hände fest in die Hüften gestemmt! Ihre Schultern zuckten, flogen hin und zurück, sprangen heraus, bogen sich zurück – eine – die andere – und wieder beide. Dann öffnete sich – auf einen schnellen Augenblick nur – die ungeschlossene Bluse, zeigte einen schmalen Streifen weißleuchtenden Fleisches, tief hinab.

Nun arbeitete nicht die Schulter nur, nun war es die ganze Brust. Aus dem Recken wurde ein Schnellen, aus dem Räkeln ein Heben und Senken – es war, als ob sie mit den Lungen tanzte. Immer zuckender, immer wilder und rasender –

Da sprang – heraus aus dem Hemde bei einer raschen Drehung der linken Schulter nach hinten – die eine ihrer jungen Brüste. War da, lugte hervor, auf eine Sekunde – weißer, strahlender als das weiße Hemd – verschwand wieder, schnell, wie sie gekommen –

»Ah!« machten die Offiziere. »Ah! Oh!«

Sie tanzte weiter. Immer wieder dieses Zucken der Schultern, dieses Zittern der Brust – und hinunter den Leib. Immer wieder dieses Recken, das zum raschen Reißen ward – dies wilde Schnellen – das in ein sanftes, wollüstiges Räkeln sich auflöste.

Keinen Blick ließen sie von ihr, warteten, gierig und hungrig, auf den raschen Augenblick, wo sie eine der weißen Brüste erspähen mochten.

»Die andere,« riefen sie heiser. »Sácalá!«

Das war das Spiel, daß es stets so aussah, als ob eine der Brüste herausspringen wollte aus dem schützenden Hemd – das sie doch deckte, wieder und wieder.

»Sácalá!« schrien sie.

Und fast zu gleicher Zeit, wie auf das Kommando – flog die rechte Brust aus dem Hemde heraus. Lachte, strahlte – wie Marmor kühl – barg sich hinter das dünne Tuch.

Pancho Villa sprang auf von seinem Stuhle, beugte sich weit vor. Seine dicken Augen quollen aus den Höhlen, der Speichel troff ihm aus dem offenen Maul.

»Las dos!« brüllte er. »Alle beide!«

Und seine Leute schrien ihm nach: »Las dos! Las dos!«

Alle brünstige Geilheit zog nebeldick durch den weiten Raum. Kroch in ihre Nasen und Mäuler, krallte sich fest in ihre armen Hirne. Diese rohen Krieger, deren lachendem Wort Tausende von frechen Dirnen bereit lagen, diese Räuber und Banditen, die der Mutter das halbwüchsige Kind wegrissen und Nonnen aus ihren Betstühlen schleppten, denen Weiberfleisch so billig und gemein war wie ihr schmutziger Pulqueschnaps – sie zitterten in anbetender Erregung vor diesen zwei Brüsten. Ihre plumpen, heißen Hände zuckten nach diesen Schneeballen, ihre dunkeln Augen lechzten nach dem weißen Wild, das heraussprang und rasch sich verbarg, ihre Zungen, heraushängend, wie die von Stieren, dürsteten nach dem süßen Trank dieser weißen Knospen. Ihre Nüstern schlürften den Duft der Kirschenblüten, ihre häßlichen Ohren tranken die tanzende Musik der versteckspielenden weißen Kätzchen –

Eines – schnell, schnell – und noch eines – schnell, schnell–

Frank Braun sah, wie der lahme General Alvaro Gumucio eine Säule umschlang mit beiden Armen, sich fest anklammerte, als fürchtete er umzusinken. Er sah, wie Pancho Villa sein Knie auf die Schulter des Soldaten stemmte, der neben ihm hockte, ihn niederdrückte mit der ganzen Schwere seines Gewichtes, als wollte er ihn zerquetschen.

»Las dos!« flüsterte der Diktator. »Las dos!«

Oberst Perlstein, der neben ihm stand, wahrte sein Gesicht. Da hing noch sein Lächeln, kritisch und ein wenig spöttisch, aber es schien eingefroren, zu festem Stein geworden. Und seine Fäuste krampften sich um der Reitpeitsche Knauf, bogen sie, preßten – als ob er sie zerbrechen wollte.

Und es riß auch ihn hinein in den roten Nebel. Es war, als ob er heiße Lavaluft einatme, als ob er ersticken müsse in dieser Glut aller Sinne. Und fern nur – fern – in den Wolken irgendwo hinter der ewigen Wüste lockte die weiße Kühle –

Weiß, weiß – irgendwo weiß in unendlicher Ferne – Schatten und Schnee – Unschuld und alle Reinheit. Und – hinter Marmor und Schwänen und todkalten Grabtüchern – war Labung von all der glühenden Qual. Da war – irgendwie in den blanken Mondwolken – eingehüllt in das strahlende Geheimnis weißglühenden Leuchtens – das große Gesunden –

Dann sah er – vorüberfliegend wie eine Sternschnuppe in der Novembernacht – einen kleinen roten Streif mitten auf ihrer Brust. Eine kleine Wunde, kaum einen halben Zoll lang – und ein einziger Bluttropfen quoll daraus –

Etwas peitschte ihn auf – etwas riß ihn nach vorn –

Aber er zwang es, klammerte sich mit beiden Händen an des Sessels Lehne. Hielt sich fest.

Eine – husch – husch – und noch eine – husch –

Pancho Villa verkrampfte die Finger. »Las dos!« betete er. »Las dos!«

Sie stand plötzlich, auf einen Ruck, als die Musik schwieg. Hoch aufgerichtet – das stolze Haupt weit im Nacken – den tiefblauen, triumphierenden Blick über ihre Sklaven. Sie stand, warf die Arme zurück, schleuderte mit einem wilden Zucken die Schultern zurück: da sprangen sie heraus, beide zugleich – ihre jungen Brüste.

– – Keiner lachte, keiner sagte ein Wort. Tiefe, atemlose Stille.

Weinten sie nicht? Lagen sie nicht auf den Knien? – Alle?

* * *

Die Goyita trat ab, warf ein Tuch über den Hals, setzte sich auf ihren Stuhl neben den Leierkastenmann.

Keiner klatschte, kaum wagte einer eine Bewegung zu machen. Es schien, als ob sie erstarrt seien, wie sie da saßen und standen, gebannt, hypnotisiert auf Minuten hinaus.

Frank Braun dachte: ›Die hat gelernt von dem Tierbändiger! Und sie hat ihren Meister übertroffen. Die versteht es, die Bestie zahm zu kriegen.‹

Die Tänzerin stand auf, schritt langsam durch den Hof. Oberst Perlstein schob ihr einen Schaukelstuhl hin, und sie setzte sich. Sie sagte ruhig: »Gebt mir zu trinken. Ich bin durstig.« Der Oberst füllte ein Glas, und sie trank. »Es ist Euer Festtag heute, General – auf Euer Wohl!«

Da wachte Pancho Villa auf. Er griff in das Körbchen, das der Soldat zwischen seinen Knien hielt, nahm den schwarzen Lederkasten heraus, reichte ihn ihr, ohne ein Wort. Sie nahm ihn, öffnete ihn, sagte dann lächelnd: »Soll ich mich rasieren?«

Er war verwirrt, wie ein Schulbub. Er nahm den Kasten zurück, griff die Uhren, Reifen, Ohrgehänge, die er dem Händler abgekauft hatte, schleuderte sie ihr in den Schoß. Zog auch die dicken Brillantringe von seinen Fingern und warf sie dazu. Perlstein nahm seine Ketten und Broschen aus der Tasche, reichte ihr noch ein paar dicke Päckchen neuer Villa-Scheine. Und alle kamen heran, füllten ihr den Schoß mit Schmuck und Gold. Aber der General griff wieder in seine Gürteltasche, nahm beide Hände hoch voll von Goldstücken, ließ sie klirrend hineinfallen. Er lachte, freute sich, wie das Gold so hübsch klang auf dem Gold.

Sie rief den Orgelmann, der brachte ihre Tasche. Sie gab alles hinein, achtlos, ohne hinzublicken.

»Danke euch!« Einmal nur und für alle.

Aber es schien, als ob die Offiziere dankbar sein müßten dafür, daß die Tänzerin ihre Geschenke nahm. Sie drängten sich heran, saßen, standen herum, artig, wie liebe Kinder im Kreise.

›Das sind Räuber?‹ dachte Frank Braun. ›Mörder und Brandstifter? – Süße Lämmchen sind es!‹

Und die schöne Schäferin hielt sie alle an ihrer Augen veilchenblauem Seidenband.

»Trinkt« lachte sie. »Trinkt! Seid lustig, es ist des Generals Namensfest!«

Da tranken sie. Niemand dachte daran, die Weiber zurückzurufen – o nein – die Goyita war ja da, die ihnen die Rumba tanzte. Sie saß bei ihnen, sie trank mit ihnen, rauchte mit ihnen, sie, die Goyita –

Frank Braun stieß an mit ihr. »Wer ist übriggeblieben vom Zirkus?« fragte er.

Sie erwiderte seinen Blick. »Der da!« antwortete sie, zeigte auf den Orgelmann. »Der da – und sonst keiner. Er war einer der Pferdeknechte. Er ist fast blind nun.«

»Blind?« fragte er. »Vom Fieber?«

Sie sagte: »Ich weiß nicht. Er lag noch lange im Hospital in San Francisco – als er herauskam, war es so. Nun zieht er herum mit mir.« Sie sah ihn lange an mit diesem Saphirblick – es schien ihm, als ob ein kühles, blaues Wasser ihn bade, allen heißen Schmutz von ihm abwasche. »Sie haben meinen Priestern geholfen,« fuhr sie fort, »Sie sind gut, wie der Kapitän war. Wie alle andern Deutschen auf dem schrecklichen Schiff.«

»Was wurde aus den Tieren?« unterbrach er sie.

Sie erzählte: »Der Kapitän half mir, sie zu verkaufen in San Francisco. Auch die Zelte, auch die Käfige – alles. Ich bekam viel Geld – mehr als wir glaubten. Ich habe Messen dafür lesen lassen für die Seele der Direktorin. Und die Louisons – und für die aller andern. Nur den Tiger wollten sie nicht und den Wolf nicht; die waren krank beide. Ich habe sie gesund gepflegt – da hatte ich mehr Glück als bei der armen kleinen Louison.« Sie sprach ruhig und still, ganz gleichmäßig und gleichmütig, als ob sie von längst vergangenen Zeiten erzählte. »Der Tiger war böse und häßlich, schlug nach mir, war hinterlistig und schlecht. Darum habe ich ihn dem General verkauft – es ist gut, daß der Stier ihn besiegte. Aber der Wolf ist dankbar und gut – er ist mein treues Tier.« Sie erzählte ihm von dem Kapitän der »Thuringia«, von den Offizieren und der Mannschaft. Berichtete von ihrem Auftreten in Kalifornien und Texas, Sonora und Chihuahua. Und wie sie endlich zu General Villa kam –

Keiner unterbrach sie, alle hörten schweigend zu. Frank Braun ließ keinen Blick von ihr, aber es war nicht ihr blaues Auge, das er suchte. Wie ein Zwang war es: er mußte auf ihren Hals starren, lauern, warten, ob sich ihr Tuch nicht verschieben möchte. Denn darunter war die kleine Wunde mit dem Blutstropfen: die mußte er sehn –

Endlich stand sie auf. »Ihr habt Festtag heute, General Villa, ich will noch einmal für Euch tanzen.«

Sie rief ihren Orgelmann – aber der war eingeschlafen auf seinem Stuhl.

»Laßt ihn,« sagte sie, »weckt ihn nicht! Wer will den Leierkasten drehen?«

Alle sprangen hinüber, aber der lange Dominguez faßte zuerst den Schwengel.

Sie zog die leichte Bluse aus, ganz ruhig, vor all den Männern. So gewiß, so gebieterisch sicher war sie ihrer Herrschaft.

Frank Braun schärfte den Blick – wo war nur die kleine Wunde?

Aber dieser Hals und dieser Busen waren weiß, blendend weiß. Nirgend ein kleinster roter Riß.

Geträumt hatte er –

Sie band einen gelben Manton fest um den Leib, über Hüfte, Brust und Schulter. Sie trat an, tanzte einen kurzen, einfachen Ole.

Sie nahm ihre Blumen aus dem Haar, verteilte sie, gab allen. Aber die größten und schönsten bekam Pancho Villa. Sie trat wieder zur Mitte, sagte: »Eine Sevillana noch – und dann ist es aus. Die, die sie in Chipiona tanzen – vor ihrer Madonna.«

Sie tanzte, leichtfüßig und heiter, leise sich beugend und wiegend. Und sie sang dazu, einfach und naiv, die kleine Copla:

»Morena, Morena eres,
Bendita tu, Morenura!
Que me tienes en la cama
Sin frio ni calentura!«

»Wer ist die Morena,« fragte der General, »die Braune, von der du da singst?«

»Wer?« rief sie. »Die Mutter Gottes ist es, die braune Mutter Gottes von Chipiona!«

Noch einmal hoben sie die Gläser, tranken noch einmal auf der Tänzerin Wohl.

General Villa rief: »Ich mag den Wein nicht mehr. Bringt Mescalschnaps!«

Frank Braun faßte des Obersten Arm. »Habt ihr Mescal?« fragte er. »Ich frage jeden Menschen danach in der ganzen Stadt. Und keiner kann mir auch nur einen einzigen Knopf verschaffen.«

Der Oberst lachte: »Wir noch weniger. Der General ist verrückt nach Mescal – wie jeder bei uns. Es ist strenger Befehl, daß alles abgeliefert werden soll, was nur gefunden wird – aber niemand findet etwas, und nichts wird abgeliefert. Was wir Mescalschnaps nennen, hat von Mescal nicht viel mehr als den Namen – eine Frucht auf hundert Liter starken Alkohols.«

Die Tänzerin berührte leicht seinen Arm. »Was wollen Sie haben?« fragte sie.

»Mescalknöpfe!« erwiderte er. »Kleine Früchte sind es, von einer Kaktusart. Die Indianer nennen es Peyote –«

Sie sagte: »Ich werde sie Ihnen besorgen.«

Er sah sie erstaunt an. »Sie? Woher?«

»Ich weiß nicht,« antwortete sie. »Aber ich werde es finden.«

Dann ging sie. Sie nickte leicht, grüßte lächelnd ringsherum. Die Hand gab sie keinem.

Hinter ihr schob sich der Orgelmann.

* * *

Langsam stahlen sich die Weiber in den Hof, eine um die andere. Lauter wurde es wieder, wilder und lärmender.

Dann Würfel, Kartenspielen, Schreien und Singen –

Fort war die Heilige – da wurde wieder zum Hurenhause die stille Kirche.

Große Flaschen brachten sie, dickbauchig und schwer, gossen eine scharfriechende Flüssigkeit in die Gläser, mischten sie mit Wein. Nicht Stöpsel staken in den Flaschenhälsen – braune vertrocknete Dinger, wie kleine Wurzeln.

Oberst Perlstein reichte ihm eins. »Was ist das?« fragte er.

Aber er riet es nicht.

»Finger!« lachte der Adjutant. »Vertrocknete Finger von Yankees, die wir niederknallten bei Naco.«

Er fragte: »Ist das des Generals Witz?«

»Nein,« rief Perlstein, »Oberst Gumucio hat es erfunden; er behauptet, der Schnaps schmecke besser so.« Er schob den Arm unter den seinen. »Kommen Sie, Doktor, wir wollen gehn. Was jetzt hier folgt – ist nicht sehr erfreulich.«

Sie ritten langsam zur Stadt. »Was wollten Sie eigentlich mit dem Mescal?« fragte der Jude. Er antwortete: »Es flog mir neulich durch den Kopf. Ich habe lange keinen gehabt – wohl zehn Jahre und mehr. Und ich dachte, vielleicht wirds helfen, wenn ich diese verdammten Schwindelanfälle bekomme.«

Oberst Perlstein zuckte die Achseln: »Ich glaube nicht an das Zeug. Aber es ist wahr: alle Indianer schwören darauf.«

Er zeigte mit der Reitpeitsche auf ein paar elende, völlig zerstörte und herabgebrannte Mauern. »Da stand einmal ein großes Haus,« sagte er. »Das war das amerikanische Konsulat. Sie haben es heruntergerissen bis auf den Boden.«

»Und der Konsul?« fragte er.

»Der hatte Glück. Jemand versteckte ihn, half ihm zur Flucht – sie hätten ihn totgeschlagen, wenn sie ihn erwischt hätten – so ließen sie ihre Wut an den Steinen aus. Ich denke, die Yankees lassen sich mächtig viel gefallen von uns.«

»Alles!« nickte Frank Braun. »Und wenn ihr jeden einzelnen Amerikaner im Lande totschlagt und die Konsuln zuerst – so steckt Präsident Wilson es dennoch ein.«

»Warum nur?« fragte der Oberst.

Frank Braun sagte: »Pah, Ihr wißt es ja selbst! Weil die Mexikaner sich selbst auffressen sollen. Mehr noch, weil England es so will – und, sehn Sie, Oberst, der Präsident und die gesamte Regierung – und die ganze herrschende und reiche Klasse in den Staaten – sie machen viel, viel Geld, wenn sie tun, was London befiehlt. Was ihr bekommt an Waffen und Munition, ist grade genug, um euch einer dem andern gefährlich zu machen. An der Lieferung verdient der Yankee nichts – im Gegenteil – aber er verdient eine blutige Million nach der andern an den Kriegslieferungen, die er nach Europa sendet – gegen Deutschland und Österreich und für Rußland und seine Freunde. Längst wäre drüben der Krieg zu Ende, wenn nicht täglich Amerika soviel den Alliierten schicken würde, wie ihr in Jahren erhaltet. Das ist des Yankeelandes großes Geschäft – und solange das blüht, muß Frieden sein mit euch. Denn, verstehn Sie, Oberst, wenn Amerika kämpfen würde gegen euch, brauchte es selbst seine Waffen und seine Munition: mit einem Schlage würden dann die Lieferungen ins Ausland verboten werden. Das aber hieße: Deutschland siegt. Später erst, wenn ihr ganz schwach seid, wird der Amerikaner euch von hinten den Gnadenstoß geben – das nennt er dann: Ordnung schaffen. Aber solange der Krieg in Europa tobt – solange habt ihr schönste Ruhe, könnt Konsulate plündern und Amerikaner totschlagen nach Herzenslust. Den Krieg, den ihr braucht, um euer Land zu einigen, den Krieg nach außen – den Krieg kann euch nur eines schaffen!«

»Was?« fragte der Adjutant

»Nur eines –« wiederholte Frank Braun. »Wenn mexikanische Truppen in Texas einfallen oder Kalifornien.«

Oberst Perlstein antwortete nicht, schwieg lange, wurde sehr still und nachdenklich. Ohne ein Wort ritten sie durch die Gassen. Sie kamen an die Fonda, Frank Braun stieg ab, ließ sein Pferd in den Stall bringen, reichte dem Adjutanten die Rechte.

»Gute Nacht,« sagte er.

Der Oberst hielt seine Hand, drückte sie. Pfiff vor sich hin, streichelte mit der Reitpeitsche seiner Stute Hals.

Langsam sprach er: »Ich bin Amerikaner, bin in Neuyork geboren. Ich wäre mit ihnen, ritte heute hinter dem Sternenbanner, wenn sie mich genommen hätten. Sie haben mich nicht gewollt – haben mich ausgestoßen wie einen Leprakranken –«

Er gab seinem Tier einen raschen Hieb, daß es erschreckt hoch sprang zur Seite hin. Er parierte es schnell, wandte es, ritt fort im Schritt.

Hielt dann plötzlich, wandte sich im Sattel, rief hell durch die Nacht:

»Ich werde Pancho Villa über die Grenze bringen!«


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