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Die Festnacht des persischen Märtyrers.

Konstantinopel, Hotel Pera-Palace, 14. II. 19..

 

 

– – –, das mag dahingestellt bleiben. Gewiß ist, daß diese Frau zum Schluß der Vorstellung verschwand. Und zwar mit ihrem Geliebten, der niemand anders war als ihr eigner Mann – dennoch in diesen Stunden viel weniger ihr Gatte war als einzig und allein ihr Liebhaber.

Sie kennen, lieber Baron, den Botschaftsrat von Stockholm her, kennen ihn ziemlich genau aus der Zeit, als er noch nicht verheiratet war. Sie werden besser als ich beurteilen können, ob er auch mit von der Partie war, ein eingeweihter Genießer, wie seine Frau es war. Oder ob er vielmehr – und das möchte ich fast annehmen – nichts darstellte als ein Werkzeug, das grade zur Hand war, und das, eben als Gatte, am bequemsten benutzt werden konnte.

Ich kenne Dr. Harold Sj – vom Bridgetisch her. Und da auch nur oberflächlich, weil ich mich vor diesem albernen Spiele drücke, wo ich nur kann. Er wirkt wie ein Vierziger, mag älter sein; er macht den Eindruck des typischen Schweden aus bester Familie, groß, blond, blauäugig, sehr ebenmäßig gewachsen – durchaus Rasse. Sicher intelligent und ebenso sicher gebildet, mit starker Liebhaberei für alles Geschichtliche, Kulturgeschichtliche, Kunstgeschichtliche. Kaum aus sich herausgehend – vielleicht wenig Temperament. Aber Sie kennen ja diese Schweden, die sehr stark mit Alkohol anheizen müssen, bis ihr Blut zu wallen anfängt. Ein tüchtiger Trinker – doch sah ich ihn nie betrunken, nicht einmal angeschwipst. Und an dem Abend trank er ganz gewiß garnichts.

Seine Frau, Sigrid P – (von den Grafen P – auf – holm, Ihrer genealogischen Neugier zu dienen!), ist seine entfernte Base. Sie ist so schwedisch blond wie er, doch hat sie braune Augen – ist trotz dieses kleinen Fehlers eine ausgemachte Schönheit. Sie mag wohl ein Dutzend Jahre jünger sein als ihr Gatte, mit dem sie nun seit drei oder vier Jahren ruhig und glücklich verheiratet ist. Immer Dame – ohne grade etwas Königinhaftes zu haben: doch hat sie auch nie etwas Gouvernantenhaftes. Und wenn ich zuweilen das vage Empfinden hatte, als ob in dieser schlanken Dame irgendwo eine Dirne lauerte, so kann ich doch nicht das Allerkleinste anführen, das dies Gefühl unterstreichen könnte.

Die Gräfin zeigt ein gewisses Interesse an mir: sie hatte die Güte, das offen herauszusagen. Sie kennt alles, was ich so schrieb; aber sie denkt nicht daran, mich mit albernen Fragen zu belästigen. Als ich nach Weihnachten abreisen wollte, war sie es, die mich bewog, noch ein wenig zu bleiben: ich dürfe nicht wegfahren, ohne das Fest des Märtyrers Hassan gesehn zu haben.

» Sie werden da aufgeführt«, sagte sie.

Das war auf dem Ball der englischen Botschaft. Wir wurden unterbrochen, so daß ich nicht Zeit fand, zu fragen, was sie damit meine. Auch über das Fest selber erhielt ich bisher nur recht ungenügende und widersprechende Auskunft: es ist erstaunlich, wie wenig die Leute hier von dem wissen, was jahraus, jahrein in ihrer Stadt vorgeht – das gilt gleichmäßig für Europäer und Türken, für Griechen, Levantiner, Juden und Armenier: jeder kümmert sich nur um seinen kleinen Kreis. Der Dragoman der deutschen Botschaft, ein Hamburger, weiß ganz sicher Bescheid, aber er ist leider verreist; ich muß versuchen, mit Persern in Verbindung zu kommen, um etwas mehr herauszufinden.

Denn dies nächtliche Fest ist ein Perserfest, das von den Persern Konstantinopels gefeiert wird. Dieser Hassan oder Hussein war, scheint es, ein hochberühmter Märtyrer, der sich vor tausend oder mehr Jahren den Eintritt in Allahs Eden verdiente; er gilt, hier wenigstens, als der persische Nationalheilige.

Am Morgen des Tages schickte mir die Gräfin eine Karte, daß ich mich bereithalten möge, am Abend holten ihr Gatte und sie mich in ihrem Wagen ab. Sie hatten auf dem Bock neben dem Kutscher noch einen türkischen Polizeiwachtmeister. Meine Bitte, mich auf die Herrlichkeiten, die ich genießen sollte, ein wenig vorzubereiten, wies man lachend ab. »Sie werden ja sehn!« sagte der Botschaftsrat.

Und seine Gattin wiederholte: »Man wird Sie aufführen!«

Wir stiegen in der Tschakmakdschilar Jokuscha aus. Sie erinnern sich, Baron, dieser schmalen Gasse, die zu dem alten Seraskierterturm hinaufführt. Ein paar alte, mächtige Karawansereien liegen da, mehr unten der Kürdschi-Han und hinauf der Valide-Han. Kopf an Kopf drängte sich die Menge in der Gasse; aber unser Wachtmeister führte uns gut – es ist eine Wonne zu sehn, welche Disziplin und Ordnung heute in der vor wenigen Jahren noch so backschischfrohen Schutzmannschaft dieser Stadt herrscht. Gendarmen und zum Ordnungsdienst befohlene Soldaten bildeten eine Kette, schafften ohne viel Geschrei und ohne jede Gewalt einen Durchgang, wobei sich die geduldige Menge in musterhafter Weise auf einen Augenblick noch mehr zusammendrängte. Ehe wir uns versahen, hatte man uns durchgeschoben, die Gasse hinauf, rechts hinein in den gewaltigen Hof des Valide-Han.

Nicht eine Minute später hätten wir kommen dürfen; eben setzte sich der Zug im Hofe in Bewegung. Man hatte uns eine Bank dicht an die Wand geschoben; wir stiegen hinauf, blickten bequem über die vor uns gestauten Menschen. Die Gräfin Sigrid stand in der Mitte, ihr Mann rechts, ich links von ihr.

»Es geht schon an!« sagte sie. Aber ganz ruhig und harmlos; nicht ein Funke besondrer Teilnahme klang aus ihrer Stimme.

Fahnenträger mit mächtigen, schwarzen Fahnen, Fackelträger dazu, die rings an den Seiten standen. Dann Priester, Muezzin und Tempeldiener, die laute Trauerlitaneien plärrten; Heulen und Kreischen von Trommeln, Pfeifen und Becken.

Nun führten zwei Männer einen Rappen daher, der mit langen, schwarzen Decken behangen war. Auf seinem Rücken hatte man zwei Säbel so befestigt, daß sie aufrecht standen und sich kreuzten. Augenscheinlich eine Erinnerung an die Waffen, mit denen einst der Märtyrer erschlagen wurde.

»Geschichte Nummer eins!« lachte die Gräfin.

»Wieso?« fragte ich.

Sie wies mit der Hand. Da führten zwei Männer ein zweites Pferd, einen blendendweißen Araber, mit langem Schweif. Auf der weißen Decke, die von oben bis unten mit Blut bespritzt war, hatte man an den Füßen eine lebende weiße Taube angebunden, die ängstlich mit den Flügeln flatterte. Nicht weniger verängstigt aber saß auf einem andern Schimmel, in weiße Tücher gewunden, ein blutjunges Mädchen. Auch hier waren die Schabracken des Pferdes weiß, doch waren sie blendend rein und ohne Blutspritzer.

»Das weiße Mädchen«, sagte Gräfin Sigrid.

Ich muß gestehn, ich kam mir einigermaßen blöd vor. Sie wissen ja, Baron, daß eine meiner kleinen Geschichten sich benennt: »Das weiße Mädchen.« Hier brachte man auf zwei weißen Arabern die Requisiten dazu: das weiße Mädchen und die weiße Taube. Wollte man wirklich das aufführen – diese Geschichte, die eigentlich nur eine Farbensymphonie in Rot und Weiß ist? Würde das Kind aufspringen, tanzen auf dem weißen Pferde, die Taube nehmen, küssen, streicheln und dann zerreißen, daß das Blut ihren und des Pferdes Schnee höllenrot färbt in der leuchtenden Purpurglut der schwälenden Fackeln?

Doch war es Zufall nur – irgend etwas Symbolisches, das mit der Leidensgeschichte des Märtyrers Hussein zu tun hatte. Der Zug zog vorbei, verschwand im Vorhof.

Den Hof füllten nun ein paar hundert Kerle mit mächtigem Getöse; zwischen die Fackelträger schoben sie sich ein. Im Kreise rings Männer, die sich im steten Rhythmus mit den Handflächen auf die nackte Brust schlugen, und zu dieser Begleitung und dem Lärm der Trommeln und Becken die Klageschreie: »Hussein! Hassan!« ausstießen. Durch sie hindurch zogen andre, mehr und mehr. Mönche, Derwische, Gosaim, asketische Büßer, die mit schwarzen kurzen Ketten sich über Schultern und Rücken schlugen. Auch diese Geißelbrüder, deren Körper sich bald mit blutunterlaufenen Schwielen bedeckten, brüllten das eintönige: »Hussein! Hassan!«

Dann eine Pause in dem wilden Geschrei der Flagellanten. Ein alter Priester trat vor, rollte ein Pergament auseinander und las etwas vor, von dem ich kein Wort verstand – augenscheinlich die Passionsgeschichte des frommen Märtyrers. Denn ringsum begannen die Leute zu weinen, auch die Geißler schluchzten und heulten. Sehr übel muß es ihm damals ergangen sein, dem armen Hassan!

Der alte Priester schob seine Rolle zusammen, zog langsam den Geißelbrüdern nach aus dem Hofe hinaus.

»Flagellanten – wie Ihre ›Teufelsjäger‹!« sagte die Gräfin. »Geschichte Nummer zwei!«

»Meinetwegen,« antwortete ich, »nur meine ich, daß die christlichen Geißler von Val di Scodra ein wenig mehr bei der Sache waren.«

»O gewiß, gewiß!« lachte sie. »Aber Sie dürfen nicht vergessen: dies ist eine – Aufführung! Ist Theater. Und die Spieler werden dafür bezahlt – dafür machen sie doch ihre Sache ganz gut, nicht wahr? Aber warten Sie nur, gleich gelangt Ihre dritte Geschichte zur Aufführung: – das ist die ›Tomatensauce‹! Sie werden sehn, daß die Akteure da der Wirklichkeit, der Wahrheit – Ihrer Wahrheit – doch recht nahe kommen.«

Wieder zogen schwarze Fahnen quer durch den Hof, neben ihnen statt der Fackelträger Knaben mit Lampen. Die schwangen sie auf und nieder in der Luft; dabei läuteten die hellen Schellen, die an ihnen baumelten. Dann setzte wieder die Musik ein; Fackelträger, Priester und Muezzin stellten sich in der Mitte auf, um sie herum reihten sich die Tänzer. Männer in langen, weißen Hemden, die um die Lenden mit einem Riemen gegürtet waren; ihre Schädel waren glattrasiert, kurze Schwerter trugen sie in der rechten Hand. Manche sprangen einzeln, die meisten aber in einer Kette, indem sie sich mit der Linken am Gürtel des Nächsten festgriffen. Die Priester sangen und schrien ihnen anfeuernde Rufe zu, die Musik steigerte sich allgemach, ging in immer schnelleres Tempo über; der Tanz, erst in Schritten einsetzend, wurde immer wilder. Die Gosaim rissen ihre Schwerter hoch, die ganz augenscheinlich scharf wie Rasiermesser geschliffen waren, zerschnitten damit in hastigen, runden Bewegungen die Luft. Dann sauste die Schwertschneide einer der vordersten Tänzer auf seinen eigenen Kopf nieder: aus einer spannelangen Wunde sprang das Blut, färbte im Augenblick das Gesicht und das lange, weiße Hemd.

Leicht strichen die Finger der Gräfin über meinen Arm. Sie suchte eine Berührung – unbewußt hob ich die Hand. Wie Spinnen krochen die Spitzen ihrer behandschuhten Finger über den Rücken meiner Hand. Mehr nicht – aber ich sah, wie ihre Rechte den Arm ihres Mannes fest griff, sich einpreßte in das Fleisch.

Glühender wurde der Tanz, eins nach dem andern sausten die Schwerter der Tänzer in die nackten Schädel. Blut floß in Strömen; jedes einzelne Gesicht war rot gefärbt, die weißen Hemden nicht weniger. Da und dort taumelte einer, stürzte nieder; Diener oder Fackelträger rissen ihn auf – er sprang wieder in den Kreis, ließ von neuem sein Schwert sausen, aus einer weitern Wunde sein Blut spritzen.

Ich blickte über die Menge, die außer den neugierigen Europäern fast nur aus Persern bestand. Eine heiße Erregung hatte sich aller bemächtigt; der fanatische Glaube der Perser, ihre wilde Trauer über das Geschick des großen Märtyrers Hussein faßte suggestiv auch die Ungläubigen. Dicht vor uns stürzten zwei Tänzer nieder; ihre Köpfe, völlig in Blut getaucht, wirkten in dem Scheine der unruhig schwankenden Pechfackeln wie abgeschlagen.

Ich fühlte die Fingerspitzen der Gräfin schneller, nervöser auf meiner Hand, als ob sie durch das Sämischleder der Handschuhe sich einkrallen wollte. Dann plötzlich hob sie die Hand, ließ ihren Schleier herunter. Und ich hörte, wie sie flüsterte: »Komm!«

Aber nicht mir galt dieses ›Komm‹; ihren Gatten zog sie mit sich von der Bank. Der Gendarm führte die beiden; ohne sich vor mir zu verabschieden, verschwanden sie durch die Menge.

Ich achtete nicht weiter darauf; schaute auf die Tänzer, die immer wilder ihre Schwerter schwangen. Einzelne neue kamen von der Seite hinzu; andre, zusammengebrochen, wurden hinausgetragen. Ich weiß nicht, woher ich plötzlich das Empfinden hatte: das alles ist gar nicht wahr, ist nur ein frecher Bluff und Schwindel. Und unwillkürlich schärfte sich mein Auge, wandte sich von dem ganzen gewaltigen Bilde fort und suchte nach Einzelheiten.

Da sah ich einen jungen Kerl in der Ecke stehn. Vorsichtig prüfte er die Schneide seines Schwertes, fuhr dann über den Schädel, drückte ein wenig.

»Schlag doch!« dachte ich, »sonst kriegst du die dicke Kopfhaut nie durch!«

Aber ich irrte mich – sein Messer war prachtvoll geschliffen – es gelang ihm, die Haut hübsch zu ritzen. Er half noch ein wenig nach – wirklich rann nun das Blut über Gesicht und Hemd. Nicht viel freilich; genug doch, um gefährlich auszusehn. Und jetzt erst mischte er sich unter die Tanzenden. Er sprang wie nur einer, fuchtelte großartig mit seiner Waffe herum; aber hütete sich wohl, sich zu treffen. Zweimal stürzte er – ließ sich mühsam von einem Diener wieder aufrichten, um begeistert weiterzuspringen.

»Elender Fudler«! dachte ich.

Einer nach dem andern wurden die Tänzer weggebracht, in einen Vorhof, schwarz ausgeschlagen, voller Lampen, Kronleuchter, Teppiche. Hier wurden die Büßer notdürftig verbunden; lange Fetzen riß man aus ihren Hemden und wickelte sie ihnen um die blutigen Köpfe. Dann erst wurden sie zum Bade geführt, um gewaschen und regelrecht verbunden zu werden.

Und nun erkannte ich, daß mein Schwindler gar kein Schwindler war – nur ein Stümper, ein armseliger Anfänger. Denn dieser Büßertanz der kopfschlagenden, lange Wunden reißenden Schwerter ist vor allem andern eine große – Kunst. Die wildesten Tänzer, die wieder und wieder ihren Schädel trafen, die ihren Kopf in einen Rotkohl und ihr weißes Hemd in einen Kardinalsmantel verwandelten – die hatten gar keine gefährlichen Wunden. Nur lange Schnitte, so kunstgerecht und geschickt geschlagen, daß nur die Haut verletzt war, nur kleine Adern angeschlagen, die sich ausbluteten, ohne weiterzulaufen – nicht eine Arterie brauchte man bei ihnen zu unterbinden. Andre waren da, die ehrlicher und ungeschickter waren, die sich brav ihre Hiebe beigebracht hatten, so gut wie ein Student auf der Mensur: der hatte die Frontalis, ein andrer die Temporalis glatt durchschlagen – das spritzte ganz bierehrlich. Bis hinab zu den jungen Stümpern, wie der Mogelbruder, die erst lernen mußten, und noch die rechte Schneid nicht hatten, die gern zu des großen Hassan Ehren tanzen und bluten wollten, um sich einen Platz in Mohammeds Paradies zu sichern und zugleich die gute Bezahlung dafür einzustecken – aber noch nicht recht wußten, wie sie das anfangen sollten!

Gewiß war es so: in die wilde Überlieferung war allgemach, in tausend Jahren und mehr – Kunst hineingekommen. Dies war gar nicht; eine ›Aufführung meiner Geschichten‹, wie die Gräfin meinte, war vielmehr das glatte Gegenteil. Bei mir: Kunst, die Blutrausch gebar – hier aber: Blutrausch, der zur Kunst wurde!

Das konnte freilich die blonde Gräfin nicht verstehn. Sie fühlte: da war etwas hier wie dort, das ihr Innerstes aufriß. Das alles Menschliche wegwischte – alle kosmopolitische Hochkultur dieses zwanzigsten Säkulums. Etwas, das ein wildes Tier in ihr frei machte – ein sehr wildes und glückliches Tier.

Das ließ sie toben und rasen – mit ihrem Mann.

Und dann, lieber Baron, dann war alles in bester Ordnung und, nicht wahr, höchst anständig?!


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