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Ich trinke Schlangenbrühe und finde – ein süßes Wort.

Den Vaudouxkult der Haitineger hat der Verfasser in seinem Buch » Mit meinen Augen« geschildert; eindringlicher noch in der Geschichte » Die Mamaloi« in seinem Buche » Das Grauen«.

Der Verlag.

Ramson Road (New-Jersey), 4. VIII. 19..

 

 

Sie wissen ja, Verehrtester, daß ich stets hinter allem möglichen dummen Kram her bin, der andern Menschen höchst gleichgiltig ist. Ich sage Ihnen, lieber Baron, es wird noch mein Verhängnis werden, daß ich nicht herausbringen kann, was eigentlich ein ›Baphomet‹ ist. Baphomet, dies verrückte Symbol der Tempelritter! Ich habe so ein Ding einmal aufgetrieben, bei einem Trödler in Avignon; aus Stein ist es, doppeltgeschlechtlich und zweigesichtig. Mond, Sonne, Sterne drum herum, dann Schlangen und arabische Lettern. Professor Duchesne in Paris, dem ich's zeigte, hielt es für eine Fälschung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Das ist schon möglich – doch wer, beim Himmel, sollte zur Zeit Voltaires und des großen Friedrich ein Baphomet fälschen – und warum? Dann auch: Duchesnes Kennerschaft in allen Ehren, aber liegt die Geschichte des Tempelordens nicht ein wenig außerhalb seines Gebietes? Und endlich: ob mein Baphomet falsch ist oder echt, ist doch ganz gleichgiltig! Finden möchte ich jemand, der wirklich etwas weiß von den Templern, und der mir sagen kann, was ein Baphomet eigentlich ist.

Manch phantastisches Zeug hab ich mir schon ausgedacht für dies Teufelsding. Alles aus der Tiefe des Gemüts, alles aus grauen Nebelwolken zurechtgeballt: nicht ein kleines Löchlein find ich in den Steinmauern, in denen die Legende des Baphomet begraben liegt! Nur das eine fühl ich ganz gewiß: an den großen Gegengott wandte sich der Geheimkult der Tempelherrn. Auf dem Boden glühendsten Christenglaubens erwuchs aus Hochmut und Verzweiflung die schwarze Weisheit, die dem Antichrist blutige Opfer brachte und dann auf Schafott und Scheiterhaufen selbst zu Tausenden verblutete und verbrannte für das große Symbol – Baphomet!

Wie jämmerlich klein ist doch die Zeit, in der wir leben; diese Zeit, die das verlogene Sklavenwort ›Fortschritt‹ im Munde führt! Immer zurück und noch mehr zurück, immer mehr festgeklebt an die Oberfläche dieser verfaulten Erde, von der sich keiner frei machen kann! Nicht einmal mehr sündigen können wir.

Wie immer sie war, die wilde Lehre des Baphomet – stolz war sie und groß. Groß und gewaltig wie ihre Gegnerin, die Kirche von Rom, diese Herrscherin, die alle Kunst und alle Natur und Tod und Leben in ihren mächtigen Bann zog.

Heute? Armselige Hungerpfäffchen, die sich hochdienen, dieweil sie alten Jungfern und kropfigen Stallschweizern die labbrigen Seelen salben. Sekten überall, die nur Geschäfte machen wollen: tamtamschlagende Heilsarmeejulen, innere und äußere Missionare mit Regenwurmhirnen –

Aber viel schlimmer noch ging es bergab mit der Kirche des Antichrist. Wo sind die Katharer, wo die Manichäer, wo die stolzen Teufelskinder der Provence? Nicht einmal ihre Namen kennt heute der Gebildetste! Schwarze Messen? Satans Sabbat? Nichts, nichts ist mehr da in diesen Tagen des Pöbels als nur alberne Farcen weggejagter Priester, entlaufener Freimaurer, versnobter Komödianten, die für ein paar lumpige Groschen den Eingeweihten, die noch dümmer sind als sie selbst, fratzige Schmierenkomödien aufführen!

O heiliger Ulrich, bitt du für mich!

Fortschritt?!! Zu den Alfanzereien der Mary Baker Eddy ist der Heilige Stuhl St. Peters entwürdigt; tief herab ging der Fall von der großen Christlichen Kirche zu der – ›First Church of Christ‹, der sogenannten ›Christlichen Wissenschaft‹! Von der Teufelskirche aber, die auf christlichem Boden wuchs, ist nichts mehr übrig als die Affenreligion halbvertierter Nigger auf Haiti: das Vaudoux!

* * *

Was ich vom Vaudoux weiß, schrieb ich auf, als ich, vor Jahren, mich in Haiti umhertrieb. Kein Mensch kann sagen, wie der Teufelskult dorthin kam, keiner kennt die Überlieferung – dennoch ist er da. Die große Schlange wird verehrt, Hougon-Badagri heißt sie. Ihr opfert die Priesterin, die Mamaloi, die Mutter und Königin – opfert ihr ›cabrits sans cornes‹, Böckchen ohne Hörner – das sind: kleine Kinder. Und Cimbi Kita, dem Herrn der Hölle, zu Ehren tanzen die Gläubigen den ›Dom Pedre‹, den Teufelstanz; ihm singen sie den wilden Sang:

»Fragt doch den Friedhof!
Der wird euch sagen,
Wer mehr Gäste ihm bringt:
Wir, wir – oder der Tod!«

Sie mögen, wenn Sie wollen, all das in meinen Büchern nachlesen, lieber Baron. Der Vaudouxkult Haitis ist grausig und grauenvoll und ganz sicher gewaltig in seiner rohen Naturkraft. Wie immer baut er sich auf den verwandten Elementen: Religion, Erotik und Grausamkeit – mischt seine Brühe mit viel Rum und Tafia. Widerlich ist dies alles und ekelhaft, roh und lächerlich primitiv – nicht ein kleinster metaphysischer Gedanke, nicht ein leiser Hauch der stolzen Satanskinder, die einst wähnten, den Nazarener entthronen zu können.

Dennoch, wie damals, gewachsen auf dem Boden katholischen Christentums. Die großen Trommeln, Houn, Hountor und Hountorgri, die bei den Vaudouxmessen die Orgel vertreten, sind den drei Aposteln Petrus, Paulus und Johannes geweiht. Die Schlange ist für die Vaudouxleute nichts andres als Johannes der Täufer – ihr opfert man das ›Böckchen‹. Dies Böckchen ist natürlich das Lamm des Christentums – überall wo man Schafe nicht kennt, tritt ja das Zicklein an die Stelle des Lämmchens. Jesus aber ist das Lamm Gottes, das für der Menschheit Wohl geopfert wird – also opfert der Vaudouxpriester lebende Menschen, Kinder meist, oft genug auch Erwachsene. Man ißt sie und trinkt Tafia dazu, mit dem frischen Blute des Opfers gemischt – Abendmahl in beiderlei Gestalt: Blut und Leib des Menschensohnes! Und die Schlange ist, wie immer, das Symbol der Göttlichkeit – trägt nicht auch mein Baphomet dies Zeichen?

Nur, wie das Opfer des Sohnes der Maria in der Messe zum leuchtenden Symbol wurde, wie die Wandlung der Hostie höchste Kultur kristallreinsten Glaubens darstellte und zugleich ein Gleichnis tiefsten, metaphysischen Denkens war, so war auch der Kult aller Lehren des Antichrist voll reinster Kultur: Geist herrlichster Gotik hier wie dort.

Nichts mehr davon im Vaudoux. Degeneration feinster, strahlendster Geheimnisse, raffiniertester Kultformen zu tierischem Gebrüll und Getobe, zum Schlachten, Fressen und Saufen von Menschenfleisch und Menschenblut, zur viehischen Vermischung schmutziger Niggerleiber! Eines nur geblieben: wildeste, brutalste, brennende Kraft der Ekstase!

* * *

So in Haiti. Aber hier nun, in den U. S. A., auch das verkümmert! Auch das denkbar Degenerierteste noch weiter rückentwickelt: aus dem › Vaudoux‹ ist › Voodoo‹ geworden!

Jeder Mensch in den Staaten weiß, was Voodoo ist; kein bißchen Geheimnistuerei damit, wie in Haiti, wo jedermann zunächst so tut, als habe er noch nie etwas davon gehört. Immer wieder bringen die Zeitungen Berichte; ich habe Dutzende solcher Ausschnitte gesammelt. Aber wenn man dann der Sache auf den Grund geht, so ist nie etwas dahinter. Aufgebauschte Narreteien alberner Negersekten, die mit dem christkatholischen Schlangenkult gar nichts zu tun haben; oft genug auch reine Aufschneidereien und aufgewärmte alte Geschichten von Reportern, die schon gar nicht mehr wußten, wie sie ihre Spalten füllen konnten. Seeschlangenhistorien der Sauregurkenzeit!

Manche Jahre war ich hinter dem Voodoo her und immer vergebens. Noch schlimmer: keinen einzigen Menschen traf ich im Stern- und Streifenlande, der mir je aus eigner Erfahrung etwas erzählen konnte – immer nur dummes Gefasel und Geschwätz. Nun aber bin ich weise: endlich habe ich auch in diesem Lande etwas vom Voodoo gesehn. Das habe ich Hans Hanke zu verdanken.

Hans Hanke ist Klavierspieler. Durch ganz Europa schlug er sich durch, dann durch Rußland und Sibirien. Kam von Wladiwostock nach Japan und von dort nach den Staaten; da spielt er nun so herum seit vielen Jahren.

Es ist nicht gut, wenn ein Künstler nach Amerika geht, ehe er seinen großen Namen hat – das soll man nie tun: hier wird man nie einen bekommen. Hans Hanke hatte gar keinen Namen als er kam. Er kroch unter in Neu-York bei Lüchows in der Vierzehnten Straße, spielte dort im Quartett; blieb nur kurze Zeit, dann wanderte er wieder. Keine Stadt gibt es und kein Städtchen in Amerika, in der er nicht spielte, zwanzig Minuten lang und dreimal jeden Abend im Vaudeville. Nur Bravournummern natürlich: Liszts Arrangement des ›Don Giovanni‹ zuerst; dann, aufgeputscht mit allem Feuerwerk, ›Die Blaue Donau‹. Endlich kommt seine große Nummer, das Sextett aus ›Lucia von Lammermore‹, für die linke Hand gesetzt. Das schlägt ein: wie besessen rast das Publikum. Und Hans Hanke verbeugt sich, hübsch aufgemacht im braunen Samtjackett mit wehendem weißen Seidenschlips. So schmiert er herum seit vielen Jahren, verdient reichlich Geld für sein Leben und doch nie genug, um aufhören zu können. Den Krempel hinzuschmeißen, heimzukehren nach Europa. Wieder einmal – endlich! – zu leben!

Denn man ›lebt‹ nicht in Amerika, wenn man ein Künstler ist; man vegetiert so dahin, immer krank an der Seele. Und dieser Tingltanglvirtuos Hans Hanke ist ein Künstler, einer von Gottes Gnaden.

Natürlich ist er gründlich verschmiert; gewiß hat er längst den Anschluß verpaßt, der ihn hinaufführen sollte auf den Platz, für den er bestimmt war. Auf das Podium des Konzertsaals, vor das Publikum, das die Kreisler anbetet, die Paderewski und Hubermann, die d'Albert und Busoni. Immer noch träumt er davon, träumt. Wird doch nie herauskommen aus seiner Tretmühle, wird einmal sterben – irgendwo zwischen Seattle und Miami – nun, wie halt ein Zigeuner stirbt in diesem trostlosen Lande.

Aber ein Künstler ist er, und ein Musikant bis in die Fingerspitzen. Viel mehr als so mancher der ganz Großen, denen die Welt zu Füßen liegt, und deren kluge Hände Tausenddollarnoten aus ihren Instrumenten hervorzaubern.

Gescheit ist er und gebildet dazu. Ein Dutzend Sprachen spricht er, liest alles, was er erwischen kann. In dem unglaublich schmutzigen ›Royal‹ saß ich mit ihm die Nächte durch, in dem kleinen jüdischen Kaffeehaus der Zweiten Avenue. Gott, es gibt ja kein andres mehr in Neu-York! Berufsmäßige Schachspieler, Ärzte, Chemiker, Schauspieler, Literaten auch und Musiker: alles Juden. Und ein paar Deutsche dazwischen, Schweden und Ungarn. Alle aber, hier im ›Royal‹, ein Volk, das zusammengehört: Menschen einer andern Kultur, einer höhern und doch hier verlorenen: jämmerliche Insel in dem Riesenozean Amerika.

Hier verzapfte Hans Hanke seine Weisheit. Einmal klagte ich ihm mein Leid, erzählte ihm von dem Teufelskult Haitis, sagte ihm, wie ich umhersuche, um nur einmal auch in diesem Land etwas vom Voodoo zu finden! Da meinte er, er wolle mitsuchen.

Manchmal sah ich ihn nicht auf Monate, ja auf Jahre. Doch war er groß im Schreiben von Ansichtskarten – es war ihm eine Wonne, das greulichste Zeug aufzutreiben und mir zuzuschicken. Er gab immer seine Anschrift an, wo er in einer der nächsten Wochen sein würde; sonst kaum eine Mitteilung. Wenn ich gelegentlich zurückschrieb, fragte ich wohl: ›Voodoo?‹ Und er antwortete: ›Voodoo? – Nix!‹

In Tampico war ich, im Staate Tamaulipas, fand dort, von Neu-York nachgesandt, einen Brief von ihm, den einzigen, den er mir je schrieb. Kurz genug übrigens; er teilte mir nur mit, daß er in Neu-Orleans jemand kennengelernt habe, der Bescheid wisse. Nun sei er im April für vierzehn Tage wieder in Neu-Orleans engagiert – wenn ich Lust habe, möge ich hinkommen. Das traf sich ausgezeichnet; was ich in Mexiko zu tun hatte, konnte bis dahin längst erledigt sein. Zurück nach Neu-York mußte ich sowieso; da konnte ich auch den Umweg über Louisiana machen. Und wenn es mit dem Voodoo nichts werden sollte, so würde ich doch meinen alten Freund Hans Hanke treffen. Das war mir's schon wert.

Ich kam abends in Neu-Orleans an, stellte im Hotel leicht fest, wo er gaukelte, und kam grade noch zur Zeit in das Keiths-Orpheum, um ihn mit der linken Hand das Lucia-Sextett herunterrasseln zu sehn. »Bis«, brüllte ich mit dem begeisterten Publikum. »Bis! Bis!«

Eine halbe Stunde später saßen wir beim Nachtmahl im St. Charles – nirgends in der Welt gibt's so köstlichen Gin-Fizz!

Aber die Sache war nicht so einfach, wie ich mir vorgestellt hatte. Der Mann, mit dem Hans Hanke gesprochen hatte, und der bei einer schweren Champagnerschlacht im ›Galatoire‹ sich als großen Voodookenner hingestellt und versprochen hatte, ihn mitzunehmen, hatte nüchtern die gemachten Hoffnungen arg zurückstellen müssen. Er selbst hatte nie eine Voodoohandlung gesehn – von der er doch so viel zu erzählen wußte. Aber er kannte jemand, der wieder einen kannte –

Immerhin hatte er sich zur Verfügung gestellt, als der Musiker durchaus darauf bestand, dieser recht zweifelhaften Möglichkeit nachzugehn. Sie hatten zusammen den ›Jemand‹ aufgesucht; der wieder hatte sie im Klub einem andern ›Jemand‹ vorgestellt, durch den sie dann am nächsten Tag einen Dritten kennenlernten. Dieser Dritte war freilich auch noch nicht selbst bei einem Teufelsdienst gewesen, behauptete aber, die nötigen Verbindungen zu haben. Er habe es bisher immer aufgeschoben – nun wolle er zusammen mit Hanke doch den ›Schlangenkult dieser gottsverdammten Nigger einmal beiwohnen.‹ Er versprach, alles zu ordnen und ihn am nächsten Tage im Hotel aufzusuchen.

Er kam auch ins Hotel; freilich ein paar Tage später. Er bedauerte, daß er leider nicht mit bei der Partie sein könne, da er notwendig noch in der Nacht nach Washington müsse. Aber er würde morgen früh eine Wäscherin schicken, die wisse Bescheid: mit ihr solle Hanke alles verabreden.

»Ein schöner Schwindel!« rief ich. »Der Kerl hat Sie nett angekohlt.«

»Das glaube ich nicht«, antwortete der Musiker. »Ich denke, er hat nur kalte Füße bekommen und hat sich deshalb gedrückt. Jedenfalls hat er das Negermädchen wirklich hergeschickt.«

»Und dem haben Sie dann Ihre Wäsche gegeben!« höhnte ich. »Hoffentlich hat sie Ihnen die zu voller Zufriedenheit gewaschen und auch die Löcher geflickt!«

Hans Hanke ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Das hat sie getan«, sagte er. »Ich habe sie gleich an meine Kollegen vom Vaudeville weiterempfohlen, von denen einige im Hotel wohnen. Ich hoffe, Sie haben auch schmutzige Wäsche mit, die Sie ihr morgen geben können.«

»Meinetwegen mag sie die reine noch dazu waschen,« rief ich, »obwohl mir Chinesen als Wäscher viel lieber sind! Sagen Sie mir doch, was Sie mit dem Frauenzimmer gesprochen haben? Ist sie im Nebenberuf vielleicht Voodoopriesterin?«

Hans Hanke sog an seinem Absynth – denken Sie nur, Baron, es gibt Absynth in Neu-Orleans und sogar ein Absynthhaus! Dann meinte er achselzuckend: »Gesprochen hab ich mit ihr, bin aber bisher nicht weit gekommen. Sie leugnete nicht, daß sie zu mir geschickt worden sei und weshalb, aber sie machte eine Menge Ausflüchte. Es sei gar nichts Besondres mit dem Voodoo – und dann wisse sie auch gar nicht mehr, wo es gewesen sei; sie müsse sich erst erkundigen. Na, und so ging es weiter, eine halbe Stunde lang – Sie wissen ja, daß kein Maultier so störrisch sein kann wie ein Nigger, wenn er nicht will. Ich gewann den Eindruck, daß sie argwöhnisch sei und deshalb nicht mit der Sprache heraus wolle. Ich drang also nicht weiter in sie, gab ihr meine Wäsche und empfahl sie weiter. Seither habe ich noch zweimal mit ihr geredet – es scheint mir, daß sie allmählich ein bißchen Vertrauen schöpft.«

– Ich lag noch im Bett am andern Morgen, als es heftig an meine Tür klopfte. Auf mein ›Herein‹ öffnete sich die Tür und gleich darauf stand die Negerin vor mir.

»I'm Lilly!« begrüßte sie mich mit strahlendem Lächeln und zeigte ihre Zahnreihen, die auf jedem Pebeco-Plakat dieser Zahnpaste Tausende neuer Anhänger gewonnen hätten.

Übrigens war sie selbst kaum dunkler als ihre blendend blanken Zähne, eine Oktronin, der man sicher nicht ansah, daß sie Negerblut hatte. Die Augen waren tiefschwarz, aber viel mehr Kreolenaugen als Niggeraugen; das aufgesteckte Haar war lang und gesträhnt, kaum bemerkte man ein natürliches Gekräusel.

Ich setzte mich auf: »Hallo Lilly!« erwiderte ich ihren Gruß. »Zeig deine Hände!« Sie streckte sie mir lachend hin. »Und nun die Beine!« rief ich. Sie gehorchte sofort, streifte ihren Rock bis übers Knie auf.

Keine Waden, keine Halbmonde auf den Fingernägeln – natürlich war dies hübsche weiße fünfzehnjährige Ding, das dem besten Bordell dieser bordellreichsten Stadt alle Ehre gemacht hätte, dennoch ein Niggermädel!

Ganz augenscheinlich hatte sie meine Neugier völlig mißverstanden; sie wartete sichtlich auf eine freundliche Aufforderung, ins Bett zu steigen.

»I'm Lilly!« wiederholte sie zögernd, immer noch lächelnd.

Ich wollte sie nicht verletzen durch eine schroffe Abweisung, die sie doch nicht verstanden hätte. Sie war jung und sehr hübsch – das wußte sie recht gut. Es war für sie das Natürlichste von der Welt, daß ich sie nehmen und dafür gut bezahlen würde.

»Ja, ich weiß schon, Lilly«, gähnte ich. »Aber ich bin noch sehr müde – bin erst vor einer Stunde ins Bett gekommen! Und dann – weißt du – ich bin sehr verliebt, unglücklich verliebt!«

Diesen Trick habe ich einmal in Panama gelernt; jedes Indianermädel fällt darauf herein und jedes Negermädel auch: selbst der letzten Hure gilt die Liebe als etwas Heiliges. Die weiße Kulturdirne würde lachen und höhnen, würde sich nun erst recht alle Mühe geben, den sentimentalen Kerl herumzukriegen, der ihr gesteht, eine andre Frau zu lieben. Aber diese Naturkinder denken anders: nichts achten sie mehr als die Treue dem geliebten Wesen gegenüber.

Sofort verschwand ihr Lächeln; ihr ganzes Wesen, das bisher nur eine einzige Aufforderung zum Tanz gewesen war, wurde ernst im Augenblick, erfüllt von mitleidiger Sympathie für den armen Liebenden.

»Neu-Orleans-Lady?« fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf. »Neu-York-Lady!«

»Unglücklich?« fragte sie.

»Sehr«, nickte ich. Und wir seufzten beide.

Dann, während ich aufstand und ins Badezimmer ging, suchte sie meine Wäsche zusammen. Sie bürstete auf dem Fenster die Kleider und hatte sich grade auf den Boden gesetzt, meine Stiefel zu reinigen, als Hans Hanke eintrat.

»Morgen, Lilly!« rief er laut. »Schon bei der Arbeit?«

Sie legte die Hand auf den Mund, bedeutete ihn, nicht so laut zu sein.

»Dein Freund unglücklich!« sagte sie.

»So?« machte der Musiker. »Wo steckt er denn?«

»Badezimmer«, zeigte sie. »Sehr unglücklich! Unglücklich verliebt! Neu-York-Lady!«

Hans Hanke lachte. »Ach, wirklich?« rief er. »Na, ich auch!«

»Du auch??« fragte die Oktronin zweifelhaft. »Du gesagt – verheiratet?!«

Der Musiker log drauflos: »Richtig! Verheiratet! Und eben in meine eigene Frau bin ich unglücklich verliebt!«

Die hübsche Wäscherin schwieg einen Augenblick, sann nach. Dann sah sie zu ihm auf, fragte: »Weggelaufen?«

Hans Hanke nickte.

»Weggelaufen!« rief sie. »Weggelaufen mit schlechte Kerl in Neu-York?«

Und sie bearbeitete meine Stiefel, als wollte sie diesen Lumpen das Fell lebendig herunterschruppen.

»Ja, ja mit schlechtem Kerl in Neu-York!« bestätigte er.

Ich kam aus dem Badezimmer. Unglaublich komisch sah die Kleine aus, wie sie ihren gerechten Zorn an meinen Schuhen ausließ. »Schlechte-Kerl! Schlechte-Kerl«! brummte sie und spuckte auf die Bürste.

»Schlechter Kerl!« nahm ich auf. »Und, Lilly, es ist derselbe schlechte Kerl, der mir auch mein Mädchen wegnahm!«

Sie ließ die Bürste fallen, starrte mich an.

»Selbe Schlechte-Kerl?« fragte sie.

»Genau derselbe schlechte Kerl!« nickte ich.

»Schlechte-Kerl, recht schlechte Kerl!« seufzte sie kopfschüttelnd und sehr entrüstet.

* * *

Wir lachten herzlich, als sie draußen war. Nichts ist lustiger, als wenn man im Leben ein bißchen Theater spielen kann und Mitspieler findet, die gar keine Ahnung davon haben. Und dann das ›Gumbo‹ dieses lieben weißen Negerkindes! Dies köstliche, verdorbene Französisch, mit Englisch untermischt!

Als wir uns endlich beruhigt hatten, fragte er mich, ob ich mit Lilly von der Voodoo-Angelegenheit gesprochen hätte.

Nein, das hatte ich völlig vergessen über dem schlechten Kerl!

Ich zog mich fertig an; dann gingen wir frühstücken. Mein Freund hatte einen Flügel in seinem Zimmer; ich bat ihn, für mich zu spielen. Wir gingen also hinauf zu ihm. Kaum aber griff er den ersten Akkord, als es klopfte und, ohne Antwort abzuwarten, unser Niggermädel ins Zimmer stürmte.

Sie war sehr außer Atem; man merkte ihr an, wie sie durch die Straßen gehetzt war. Sie setzte sich, zog ihr rotes Taschentuch heraus und wischte das Gesicht. Ihre enge Bluse drückte sie, ungeniert machte sie ein paar Knöpfe auf. Ein Hemd schien sie nicht zu tragen, jedenfalls schob sich, froh über die Freiheit, ihre linke Brust heraus, prall und voll und wie Schnee so weiß. Sehr appetitlich sah sie aus.

Doch Lilly wollte alles andre diesmal als unsern Appetit reizen. Sie lächelte wohl, zeigte ihr Prachtgebiß bis zum letzten Zahn – aber es war ein ganz andres Lächeln als das, das sie zur Schau trug, als sie vor einer Stunde vor meinem Bette stand. Nichts von naiver Koketterie, nichts von jener offenen Schamlosigkeit, die dennoch eine stille, unbewußte Scham verdeckte.

Nein, dies Lächeln sagte nur eins, und dies deutlich genug: freut euch, ihr zwei, wie ich mich freue, daß ich euch helfen kann! – Selbst ein Psychologieprofessor hätte dies Lächeln nicht mißverstehn können.

»Also was bringst du Gutes?« fragte Hans Hanke.

»Ich war bei Mammie Jemima!« japste sie.

»Wer ist Mammie Jemima?« fragte ich.

»Trottel!« fuhr mich der Musiker an. »Ein altes Niggerweib natürlich! Was, Lilly?«

Lilly nickte eifrig. »Ja, ja, alte Niggerweib! Mammie Jemima nicht gesehn – Ohm Rastus gesehn! Ohm Rastus alles gesagt von Schlechte-Kerl in Neu-York. Ohm Rastus geht hinein – spricht mit Mammie Jemima. Ich an der Tür – Mammie Jemima im Bett – ich alles gehört. Ohm Rastus alles sagen – von Schlechte-Kerl in Neu-York. Mammie Jemima fixen Schlechte-Kerl! Mammie Jemima fertig morgen nacht für weiße Herrn!«

Sie rang immer noch nach Luft; kurz und stoßweise war ihr Atem. Ganz sicher war sie ein wenig asthmatisch, das arme Ding. Sie riß die letzten Knöpfe der Bluse auf, preßte beide Hände unter die Brüste. Welch ein Modell! Wenn ich nur ein wenig hätte zeichnen können, Baron! Ich würde Ihnen ein paar Dutzend Skizzen von diesem Oktronenkind schicken, an denen Sie Ihre helle Freude hätten.

Nun etwas Merkwürdiges, lieber Baron! Lilly plauderte weiter, immer dasselbe nochmal, hastig und ruckweise. Neue kleine Einzelheiten dazu – was Mammie Jemima gesagt habe und was Onkel Rastus – ungeheuer wichtig war ihr das alles. Wie ein kleiner Springbrunn lief es, bei dem irgendwo etwas nicht ganz in Ordnung ist. Derweil fiel mein Blick auf den Flügel – da lag der Kodak meines Freundes. Ich sagte Ihnen schon, daß es mich in den Fingern juckte, sie zu zeichnen – wenn ich eben hätte zeichnen können! Da lag nun der Kodak, ich brauchte nur die Hand auszustrecken. Strahlende Morgensonne draußen, hellstes Licht in dem weiten Raum, mehr als genug für Momentaufnahmen. Nur einzustellen brauchte ich, nur zu knipsen – in fünf Minuten konnte ich ein Dutzend köstlicher Aufnahmen haben von diesem süßen, halbnackten Ding.

Doch ich ließ den Kodak liegen. Unbewußt, ohne zu begreifen, weshalb. Etwas hielt mir die Hand fest. Was war das nur? Jetzt, während ich dies schreibe, denke ich darüber nach. Und ich glaube, Baron, daß ich jetzt weiß, was ich fühlte in jenem Augenblick.

Schaun Sie, nie ist ein Akt unanständig; nichts ist an sich unanständig, was nackt ist – und so rein wie alles Nackte, so rein ist die Zeichnung. Gewiß kann ich sie unanständig machen, kann leicht eine Ferkelei daraus formen – aber dann ist das Unanständige bewußt und kommt nur aus mir, nie aber aus dem Nackten. Dieser einäugige Kasten aber, der Kodak, hat keine Seele und kein Bewußtsein; nur dumme Zufälligkeiten lassen seine Bilder rein oder schmutzig werden. Das Niggermädchen war rein und war unschuldig wie Kirschblüten – in diesen Minuten . Der Kodak hätte sie – vielleicht! – beschmutzt. Lachen Sie nur, lieber Baron, über solche Seiltänzersprünge: seltsame Käuze sind wir nun einmal, wir Narren der Kunst!

Also die kleine Dirne plapperte drauf los, schwieg dann plötzlich. Ihr strahlendes Lächeln bewölkte sich, ein heftiges Gewitter von Seufzern zog auf.

»Was stimmt nicht, Lilly?« drängte Hanke. »Sag's nur heraus!«

Ja, ja, jetzt kam das böse Ende. Stotternd beichtete sie, Ohm Rastus habe gesagt, daß es sehr viel Geld kosten würde.

»Also wieviel?« fragte der Musiker.

Sie zählte auf. Fünfzehn Dollar für Ohm Rastus und dreißig für die Mammie Jemima. Und dann noch die Kosten.

»Wofür Kosten?« verlangte er.

Ja, drei Dollar für die Bedienung, kam es heraus. Und dann Wein und Sandwiches für alle, habe Ohm Rastus gesagt.

»Für alle?« fragte ich. »Wieviel Nigger sollen denn bei dem Zauber dabei sein?«

»O viele, zwanzig oder dreißig vielleicht!« rief sie. Und die Kosten seien wenigstens zwölf Dollar. Und dann noch je ein Dollar für vier Leute, die aufpassen müßten, daß kein Polizist komme – habe Ohm Rastus gesagt. Und für Beleuchtung zwei Dollar und für –

So wäre es fröhlich weitergegangen, wenn Hans Hanke sie nicht gestoppt hätte. Es war sicher, daß dieser brave Onkel Rastus nicht die Hälfte verlangt hatte – Lilly war jetzt wieder die kleine beutelschneidende Dirne, die nach Möglichkeit aus jedem Mann all das herausholt, was er sich herausholen läßt.

»Sag mal,« rief er, »was macht denn Mammie Jemima für das Geld?«

Im Augenblick war die Kleine wieder ein andres Wesen; jedes Interesse an Dollarscheinen war sofort verflogen. Was sie machen könne, die Mammie Jemima? Alles! Den schlechten Kerl in Neu-York würde sie umbringen! Die Ladies – Hankes Frau und mein Mädchen – würden reumütig zu uns zurückkehren und uns ewig lieben. Oh, die Mammie könne noch viel mehr! Wenn sie wolle, könne sie uns alles Geld der Erde verschaffen! Ja, zu Kaisern der ganzen Welt könne sie uns machen, wenn sie nur wolle, die Mammie!

Ihre Augen leuchteten – man fühlte, daß sie an jedes Wort, daß sie sprach, fest glaubte.

Hanke nahm einen Bleistift und begann zu rechnen. Fünfzehn Dollar und dreißig und zwölf und viermal einen und – –

Als er fertig war, starrte Lilly entsetzt auf den Zettel. So viel Geld, so ungeheuer viel Geld! Dann kam ihr ein rettender Gedanke: sie, Lilly, wolle nichts haben, gar nichts. Zwar: Onkel Rastus habe gesagt, daß Mammie Jemima gesagt habe, die weißen Herrn würden ihr auch zehn Dollar schenken – aber nein, sie wolle gar nichts haben, keinen verdammten Cent! Sie wüßte ja, wie unglücklich wir liebten, und darum verzichtete sie, ganz und gar.

»Hör mal, Lilly,« begann ich, »wenn's Mammie Jemima doch gesagt hat? Die Mammie Jemima kann alles, sagst du! Wenn sie's also gesagt hat, muß es doch auch so sein – was? Dann mußt du die zehn Dollar bekommen! Wenn du sie aber nicht bekommst – und du willst ja von uns nichts haben – dann hat die Mammie Unsinn geschwatzt!«

Nein, nein, meinte sie, Mammie Jemima könne alles und sage immer das Richtige! Sie, Lilly, habe gewiß verzichtet, wolle keinen Cent haben, aber – aber –

Sie kam nicht weiter – das war zu heikel für sie.

Ich gab ihr die Zehndollarnote. »Nimm, Lilly! Kauf dir eine neue Bluse dafür, aus der alten bist du längst herausgewachsen!«

Triumphierend streichelte sie den Geldschein. »Ah, Mammie Jemima recht gesagt! Ich verzichtet – ich doch zehn Dollar! Mammie Jemima immer recht!«

Wir gaben ihr noch einen Vorschuß für Ohm Rastus auf die ›Kosten‹ und verabredeten uns für die nächste Nacht.

* * *

Gegen elf Uhr war Hanke mit seiner Nummer fertig; am Bühnenausgang wartete unser Niggermädchen. Sie lief voraus, und wir folgten ihr. Am Jacksondenkmal und der Ludwigskathedrale vorbei, dann die Rampartstraße hinunter, weiter durch die St. Bernhard-Avenue bis zur London-Avenue. Hier bogen wir ab, kamen durch dunkle, schlecht beleuchtete Alleen, deren hohe Bäume das spärliche Licht des Neumondes nicht durchließen. Gärten rechts und links, dazwischen alte Häuser, die recht verfallen aussahn.

Plötzlich blieb Lilly stehn, wartete, bis wir sie erreichten; zu gleicher Zeit tauchte hinter einem Baum ein langer Nigger auf.

»Gib ihm einen Dollar«, sagte Lilly, »Sammy paßt auf.«

Wir gingen noch ein paar Häuserblocks weiter, blieben an einer Gartenmauer stehn; hier stieß Sam eine rostige Tür auf, die nur angelehnt war. Wir schritten zwischen dichten Büschen durch einen Garten auf einem sehr schmalen Weg; Lilly führte uns an der Hand, während der Nigger zurückblieb. Wir kamen an eine Hauswand, die dicht von einem Schlinggewächs berankt war; ich konnte nicht erkennen, was es war, doch blühte es und strömte einen süßen, stechenden Geruch aus. Die Wand zog sich sehr lang hin. Fenster bemerkte ich nicht; doch mag es sein, daß ich sie in der Dunkelheit übersah. Wir traten in einen halboffenen Hof, der mit zerbrochenen Steinplatten gepflastert war; das Gebäude wurde hier ansehnlicher und zeigte in der Höhe des ersten Stocks eine Art Galerie. Es machte, wenigstens jetzt in der Nacht, den Eindruck des seit langer Zeit Unbewohnten; nicht ein einziges Fenster war erleuchtet. Lilly führte uns an einem großen Tor vorbei, auch an mehreren Türen, die dicht verschlossen waren und fest zugenagelt schienen. Endlich kamen wir durch einen weitern Torbogen in eine Sackgasse, vielmehr eine Art Gang, der auf einer Seite eine Mauer, an der andern halbverfallene Gebäude hatte. Diese Gebäude sprangen plötzlich zurück – wieder kam ein kleiner Hof, auf den eine Veranda hinausging.

Menschen hatten wir während dieser letzten Wanderung überhaupt nicht gesehn; dagegen wurden wir ein paarmal halblaut angerufen, offenbar von bestellten Aufpassern, denen unsere Führerin stets antwortete: »Alright! Ich bin's, Lilly!«

Wir gingen drei Stufen hinauf auf die Veranda; die Holzplanken des Bodens waren so morsch und verfault, daß ich einmal durchtrat. Lilly klopfte an die Tür und nannte ihren Namen; sogleich schob sich ein Riegel zurück, und die Tür öffnete sich. Wir blickten in einen schmutzigen, leeren Flur; auf einer Kiste schwälte eine kleine Petroleumlampe. Ein Mulatte stand da und eine viel dunklere Frau.

»Wo ist Ohm Rastus?« fragte Lilly.

Der Mulatte sagte, daß er ihn gleich holen wolle. Mittlerweile zog Lilly die Frau heran. »Das ist meine Schwester Queenie«, erklärte sie.

Diese Schwester hatte mit Lilly so viel Ähnlichkeit wie eine Krähe mit einem Schneehuhn im Winterkleid. Wenn bei Lilly fast der reinweiße Typ herausgemendelt war, so zeigte Queenie fast eben so rein den schwarzen Typ ihrer Vorfahren vom Kongo. Sie war nicht viel älter als Lilly, groß und sehr üppig, zeigte in jeder Bewegung die wenig angenehmen Züge der Neu-Orleanser Negerdirne. Und ausgerechnet Queenie mußte sie heißen!

»Queenie sehr geholfen«, bettelte Lilly. »Queenie beste Freund von Ohm Rastus.«

Ich verstand sie und gab ihrer Schwester eine Dollarnote.

Endlich kam Ohm Rastus, eine Bierflasche in der Hand, in der eine Kerze steckte. Ein riesiger, uralter Nigger mit einem häßlichen, schüttern weißen Stoppelbart; sein Gesicht sah aus wie aus Holz geschnitzt. Die beiden Schwestern begrüßten ihn; aber er beachtete sie kaum, wandte sich gleich an uns mit gemachter Wichtigkeit.

»Mammie Jemima wartet«, sagte er.

Er ließ den Mulattenjüngling aus der Tür hinaustreten, um draußen Wache zu halten, verschloß sorgsam hinter ihm. Dann ging er leuchtend voraus, während wir mit den zwei Frauen folgten.

Der Flur war ziemlich lang; dann kamen wir durch drei oder vier völlig leere und unglaublich verschmutzte Zimmer, von dort wieder auf einen Gang und hinaus ins Freie. Wir durchschritten einen kleinen Binnenhof, in dessen Mitte ein Brunnen stand; ein paar Gestalten hockten da herum. Am andern Ende stieß Ohm Rastus eine Tür auf: wir befanden uns in einem alten Keller, der sicher einmal zur Aufbewahrung von Wein gedient hatte; einige verstaubte Fässer und sehr viele Flaschen lagen da umher. Wir durchschritten diesen Keller, stiegen sechs oder sieben Stufen hinauf und befanden uns nun endlich im Heiligtum.

Ein mittelgroßer Raum, der vor einem Jahrhundert einmal als Warenlager benutzt worden sein mochte. Steinfließen, sehr klebrig und beschmutzt – einige Fenster, die mit alten Säcken verhängt waren, so daß man in einem mächtigen Loche zu sein glaubte. In der Mitte, dicht aneinandergerückt, eine Anzahl Kisten, auf denen eine Reihe von Flaschen standen, die brennende Kerzen trugen. Dazu Körbe mit Früchten: Bananen, Mangos, Apfelsinen und in Scheiben geschnittene Ananas. Auch Platten mit unappetitlich aussehenden Butterbrötchen und eine gute Anzahl gefüllter Weinflaschen. Nur sehr wenige Gläser, Wassergläser natürlich. Ein paar Tassen dazwischen.

Der Raum war hell genug erleuchtet, um alles erkennen zu können. An den Mauern hingen Bilder aus illustrierten Zeitungen: ich erkannte die Präsidenten Roosevelt und Wilson, dann die Kinoheiligen Mary Pickford, Lillian Gish und Douglas Fairbanks. Ringsherum an den Wänden kauerten auf dem Boden Nigger und Niggerweiber, meist schokoladefarben, einige auch recht dunkel. Kaum hellere Schattierungen.

An dem Kistentisch in der Mitte saß Mammie Jemima; zu ihr führte uns der alte Rastus, während die beiden Schwestern zurückblieben. Die Prophetin war alt genug, doch viel jünger als Ohm Rastus; nicht ein Fältchen war in ihrem rundlichen, etwas aufgedunsenen Gesicht. Die Augen waren entzündet, so daß die schwarze Iris nicht weiß, sondern hellrot umrandet war; ihr sonst gutmütiges Gesicht erhielt dadurch etwas Grausames. Sie trug eine blaugetupfte Flanellbluse, auf dem Kopf ein ›tiyon‹ (tignon), wie man in Neu-Orleans sagt, ein buntfarbiges Tuch, so daß man die Haare nicht sehn konnte.

Die Alte schenkte uns zunächst keine Aufmerksamkeit; sie starrte in ihre Handflächen, die sie auf der Kiste liegen hatte, als wolle sie daraus tiefste Weisheit lesen. Nach einer Weile erst sah sie auf; sofort rief Ohm Rastus sie an: »Die weißen Herrn, Mammie!«

Sie betrachtete uns genau, wohl eine Minute lang. Dann begann sie: »Seid ihr christlich?« Als wir nickten, fügte sie hinzu: »Katholisch?«

Auch das bejahten wir – alle Nigger hier waren katholisch, also mußten wir's auch sein.

Die Art, wie sie fragte, machte durchaus nicht den Eindruck des zu diesem Anlaß Eingelernten, sondern vielmehr den eines längst gewöhnten Rituals: so mochte sie gewiß schon hunderte gefragt haben, wenn auch vermutlich kaum je einen Weißen.

Sie wandte sich dann wieder zu Ohm Rastus, der wohl so etwas wie einen Küster zu spielen hatte, gab ihm den Befehl: »Nimm die Bibel, Rastus!«

Der alte Nigger nahm aus einer der Kisten, die an der Seite geöffnet war, das in ein schwarzes Tuch geschlagene Buch heraus. Er wickelte es sorgsam aus; ich erkannte eine Bibel der St. James-Ausgabe, die so vor Schmutz starrte, daß ich mich wunderte, wieso das hüllende Tuch nicht daran festklebte. Er reichte sie dem Musiker, der ihm am nächsten stand, mit der freundlichen Aufforderung, sie zu küssen. Ich war neugierig, wie sich Hans Hanke benehmen würde; aber er beugte sich und gab einen schmatzenden Kuß in die Luft, etwa ein Zoll von dem heiligen Buch entfernt. Beruhigt nahm ich meinerseits die Bibel und machte ihm den Luftkuß getreulich nach.

Dann nahm Ohm Rastus die Bibel zurück und sprach uns den Eid vor, während wir die Fingerspitzen auf die Bibel legten: daß wir nichts der Polizei anzeigen sollten, noch sonst jemand etwas sagen. Auch sollten wir uns nicht beklagen, wenn uns diese Nacht etwa schlecht bekommen würde.

Dieser letzte Satz klang nicht grade vertrauenerweckend; aber nun waren wir schon zuweit gegangen, um noch zurück zu können. Dazu – sicher waren in diesem Raum manche Nigger, denen die Sache nichts geschadet hatte, warum also uns?

Wir nahmen also Haltung und sprachen mit schönem Anstand ein gemeinsames, sonores: »Wir schwören!«

Diese Schwurszene war gewiß nicht katholisch – die Bibel steht auf dem Index und kein guter Katholik darf sie berühren. Mammie Jemima hatte das Bibelküssen augenscheinlich aus dem amerikanischen Gerichtssaal gelernt, dessen Verfahren sich ganz auf englisch-protestantischen Richtlinien aufbaut. Dafür verriet das, was nun folgte, deutlich katholischen Ursprung.

Sie nahm aus einer Büchse ein Keks heraus, brach es in drei Teile, aß selbst ein Stückchen und gab jedem von uns beiden auch ein Stück zum Essen. Dazu schenkte Ohm Rastus Wein in eine Tasse; sie trank schluckweise und futterte gemütlich noch ein paar Keks, während wir keinen Tropfen mitbekamen. Es war das primitivste und unfeierlichste Abendmahl, das ich je gesehn habe, ohne jede kleinste begleitende Formel. Dennoch zeigte die Tatsache, daß sie uns nur ›Brot‹ gab, während sie selbst ›Brot und Wein‹ nahm, deutlich genug, daß sie den Ritus der katholischen Kirche, die ja nur für den Priester beiderlei Gestalt kennt, entnommen hatte.

Das war alles recht lächerlich, dennoch hatten wir nicht einen Augenblick die Empfindung dieses Lächerlichen. Im ganzen Raume hing eine drückende, gewitterschwüle Stimmung, die psychisch und physisch gefangennahm. Der flackernde Kerzenschein verwirrte die Augen; der scharfe Geruch, den die halbnackten Neger dort an den Wänden ausströmten, lagerte sich wie eine schwere Dunstwelle in dem fensterlosen Raum. Und dieser fast schmerzende Schweißgeruch mischte sich mit einem andern, süßen und stechenden – demselben, den ich schon in den Gärten wahrgenommen. Mein Blick suchte – ich sah an den Wänden schmalblättrige Ranken mit ganz kleinen weißen Blüten. Die Feierlichkeit hatte kaum begonnen, und doch regte sich in mir der heiße Wunsch, schon wieder draußen zu sein, in frischer Luft.

Die Mammie schien endlich ihr Keks-Abendmahl beendet zu haben; sie richtete plötzlich an uns die etwas verblüffende Frage, was wir hier machten, und was wir von ihr wollten. Hans Hanke wollte antworten, aber Ohm Rastus bedeutete ihn, zu schweigen, und winkte dann Lilly heran. Die kam und kniete nieder; Mammie Jemima steckte ihr ein Stück Keks in den Mund. Lilly aß es und begann, ohne zu zögern: »Weiße Herr Musikant liebt sein Neu-York-Frau. Weiße andre Herr liebt ein Neu-York-Lady. Beide Ladies weggelaufen mit Schlechte-Kerl in Neu-York. Weiße Herrn sehr unglücklich, bitten Mammie Jemima, Schlechte-Kerl in Neu-York fixen. Zurückbringen Ladies zu weiße Herrn.«

Die Mammie hörte kaum zu; sie stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte das Gesicht in beide Hände. So schwieg sie minutenlang.

Schließlich schüttelte sie den Kopf und sagte: »Geist nicht kommt – etwas falsch – falsch!«

Ohm Rastus und Lilly schienen zu wissen, was falsch sei, und weshalb der Geist nicht kommen wollte. Sie öffneten unsere Schlipse, dann zogen sie uns die Schuhe aus; übrigens legte Rastus ein dickes Wolltuch hin, daß wir nicht auf den kalten Steinplatten stehn sollten.

Die Mammie brütete wieder vor sich hin, schüttelte dann von neuem den Kopf. Sie winkte uns, dicht vor sie hinzutreten. Sie griff mit beiden Händen an meinen Kopf, befühlte darauf von oben bis unten meinen Leib, übrigens ziemlich oberflächlich.

»Diese Mann ganz recht!« flüsterte sie.

Dann untersuchte sie Hans Hanke auf dieselbe Weise. »Alles verwirrt!« erklärte sie.

Sofort begannen Lilly und Ohm Rastus ihn zu entkleiden. Der alte Nigger zog ihm Rock und Weste aus, während Lilly ihm den Gürtel löste und die Hose abstreifte. Im Hemd, kurzen Unterhosen und Socken stand er nun da – sehr komisch sah er aus in dieser Umgebung.

Aber das alte Niggerweib, das wieder ihre Denkerpose aufgenommen hatte, war noch nicht zufrieden. »Geist nicht kommt«, murmelte sie. »Alles falsch! Alles verwirrt! Alles in Knoten!«

Ohm Rastus schüttelte den Kopf, diesmal schien er den Fehler nicht finden zu können. Aber Lilly stieß plötzlich einen kleinen Schrei aus; mit raschem Griffe knöpfte sie dem Musiker die Unterhose auf und zog sie herunter. Fast triumphierend hielt sie das Wäschestück der alten Zauberin hin.

»Mammie Jemima recht!« rief sie. »Alles in Knoten!«

Und sie zeigte auf die weiße Schnur, die im oberen Rande der kleinen Unterhose herumlief und hinten, um sie enger zu machen, zusammengeknotet war. Sorgsam faltete sie die Kleidungsstücke zusammen, nahm die Schuhe auf und trug alles hinaus. Gleich darauf kam sie zurück, während die Mammie von neuem nach dem ›Geist‹ suchte. Das dauerte sehr lange; ich hatte Zeit genug, über diesen seltsamen Zwischenfall nachzudenken.

Der Knotenzauber ist ja uralt; Hexen und Zauberer benutzten ihn in der Zeit der Gotik, und schon Jahrtausende früher kannten solche Kunst die Phönizier und Babylonier. Wie aber kam dieser längst völlig vergessene Gedanke in die Hirne dieser Nigger und Halbnigger von Neu-Orleans?

Und wie seltsam verkehrt faßte man ihn hier auf! Assyrische Priester benutzten die Nestelkunst, wie es die merowingischen Weiber taten, schlangen für ihre Gläubigen kunstvolle Knoten in heilige Schnüre, um den Geliebten an die sehnsüchtig Liebende zu fesseln. Oder auch: sie verknoteten dem verhaßten Feinde das Leben, drosselten ihm jeden Ausweg ab, daß er nicht mehr entrinnen konnte – wohin er entfliehn wollte, versperrte ihm ein starker Knoten den Weg.

Hier aber, in Mammie Jemimas Hirn, waren es harmlose Knoten der Schuhriemen, Halsbinden und Wäschebänder, die ihrem ›Geist‹ den Weg in die Welt der Erscheinungen verlegten!

Ach, immer wieder dasselbe: subtilste Gedankengänge uralter geheimer Kulte völlig mißverstanden und herabgezogen zur banalsten Plattheit! Und dennoch – dennoch ein Zusammenhang – unerklärlich und unbegreifbar!

Mammie Jemima wiegte ihren Kopf hin und her, dann im Kreise herum; dabei stöhnte sie laut auf.

»Geist kommt, Geist kommt!« zischte Ohm Rastus. Er begann ein abgerissenes Brummen, das sofort von allen Niggern an den Wänden aufgenommen wurde. Zu gleicher Zeit hörte ich ein schwaches Trommelrühren. Ich wandte mich um und sah vier Nigger mit sehr kleinen Trommeln; sie saßen bei einem schwachen Feuer, das ich vorher nicht bemerkt hatte, und das sie wohl inzwischen angezündet hatten. Über dem Feuer hing an eisernen Stäben ein großer Topf.

Die Mammie drehte ihren Kopf immer schneller herum; derweil kam Queenie, Lillys Schwester heran, stellte sich hinter sie und fächelte sie unaufhörlich mit einem Handtuch. Das Gestöhn der alten Hexe wurde lauter; schließlich rief sie mit sehr hoher, kreischender Stimme: »Ich seh ihn! Ich seh ihn!«

Aber im selben Augenblick unterbrach sie ihr Stöhnen und ihr Kopfrollen und sprach zu uns mit ihrer gewöhnlichen, etwas tiefen und verrosteten Stimme: »Was weiße Herrn geben, wenn Mammie Jemima fixen Schlechte-Kerl in Neu-York?«

Wieder ergriff Lilly für uns das Wort, zählte getreulich alles auf, was wir zugesagt hatten, berichtete auch, was wir ihr und Ohm Rastus schon zuvor gegeben hatten. Der alte Nigger bestätigte das, fügte hinzu, daß noch weitere Auslagen da seien für Keks und für Wachs und für die Trommler. Es hatte keinen Zweck, jetzt um eine Handvoll Dollar zu streiten; ich zog also meine Brieftasche und gab dem alten Nigger das Geld. Er zählte es genau durch, überreichte es dann der Mammie, die es sofort in einen schmutzigen Leinenbeutel gab, der um ihren Hals hing, und so in ihren Busen verschwinden ließ.

Doch die Alte verstand sich mindestens so gut aufs Geschäft wie Ohm Rastus. Sie griff in die Kiste vor ihr und holte eine billige buntbemalte Gipsfigur des heiligen Antonius heraus. Stellte sie vor sich hin und fragte:

»Was weiße Herrn geben für Gentlemen und Ladies, die hier mithelfen? Was weiße Herrn geben für heilige Mann?«

»Garnichts!« brüllte Hans Hanke. »Das ist das gottverdammteste Nepplokal, in das ich jemals reingerutscht bin! Außerdem friert's mich erbärmlich in dem Hemd da – also leg schon endlich los mit deinem Zauberkram, alte Vogelscheuche!«

Aber gottseidank hatte er das auf deutsch gesagt. »Was will weiße Herr?« fragte die Mammie Jemima.

Ich hatte keine Lust die ganze Sache noch zuguterletzt scheitern zu sehn. Jetzt kam's auch nicht mehr drauf an, nachdem wir schon so viel Geld losgeworden waren.

»Mein Freund sagt,« erklärte ich, »daß wir noch zehn Dollar für die Ladies und Gentlemen geben und fünf als Opfer für den Heiligen.«

Die Alte belohnte meinen Entschluß mit energischem Kopfnicken und griff nach den Scheinen. Im Augenblick nahm sie das Kopfdrehn und Stöhnen wieder auf. Auch das Brummen und Summen der Nigger begann wieder, dazu die schwachen Trommelwirbel – das alles ging nach einem gewissen Rhythmus, der erst stieg und dann wieder fiel. Dazwischen waren kleine Pausen, die so still waren, daß man den Suppentopf, der über dem Feuer hing, kochen hören konnte.

Und von diesem Topf her kam nun ein neuer Geruch, der sich mit dem der weißen Blüten und der schwarzen Menschen seltsam mischte, der durchdringende Okrageruch grüner Gumbofrüchte. Gumbo – das durfte nicht fehlen, wo ein Nigger war! Sie kochten es in ihren Suppen wie in ihrem Tee und Kaffee, gaben es in jede Mahlzeit und jeden Trank. Nigger und Gumbo – das war unzertrennlich, so sehr, daß man in dieser Stadt selbst ihre Sprache Gumbo nannte!

Jetzt endlich schien die alte Mammie ernst zu machen; es war ganz augenscheinlich, daß sie sich die größte Mühe gab, sich in einen Trance hineinzuarbeiten. Ihre Kopfbewegungen wurden immer schneller, von ihren Lippen säberte Speichel herab, ihre Hände preßten sich ineinander. Zuweilen ließ sie den Kopf hängen; sofort flößte ihr Ohm Rastus einen Schluck Wein ein, während Queenie nicht aufhörte, sie zu fächeln. Aus den Kopfbewegungen wurde ein Rollen des Oberkörpers, aus dem Stöhnen ein immer lauteres Schnalzen und Schreien – zugleich verstärkte sich auch das Summen und Trommeln.

Allmählich wurden dann die ekstatischen Bewegungen der Alten wieder schwächer; sie stützte sich mit beiden Händen auf die Kiste, um nicht umzusinken. Sie schien auf den heiligen Antonius zu starren; aber bei näherm Hinschauen erkannte ich, daß das nicht der Fall war. Der Schein einer Kerze fiel ihr mitten ins Gesicht; ich sah, daß sie die Augäpfel ganz nach oben gedreht hatte, so daß man nur das scheußlich entzündete Rot sehen konnte.

Ohm Rastus, der das zugleich mit mir bemerkte, schrie auf: »Geist kommen! Geist kommen!« Dann wandte er sich an die Versammelten.

»Macht die Lämmer!« schrie er.

Drei Nigger verließen sofort ihre Plätze an der Wand und liefen auf allen Vieren durch den Raum; einer, den dabei die Hose behinderte, zog sie aus, so daß er als völlig nacktes Lämmchen herumsprang – oder vielmehr als schwarzer Bock. Dazu sang die Gemeinde:

»Listen to the Lambs,
All a crying!
Listen to the Lambs,
All a crying!
I want to go to Heaven, when I die!«

Die drei Kerle versuchten, so gut es ging, weidende Schäflein nachzuahmen, was einem von ihnen wenigstens halbwegs gelang. Zu meinem Erstaunen sah ich sehr bald eine Abwechselung in diesem Tiertanz: ein Mulattenmädchen kam als Katze zur Mitte gekrochen: überraschend gut gelang ihr das Schnurren, sie leckte ihre Pfötchen und machte Katzenwäsche. Zwei andre Weiber versuchten sich als Kaninchen; das Mummeln der Schnauzen war so natürlich, daß man es unwillkürlich mitmachte. Mehrere Nigger traten als Hunde auf, während ein ganz langer, tiefschwarzer Kerl ein störrisches, beißendes und ausschlagendes Maultier darstellte. Das kroch durcheinander, das blökte und bellte und wieherte und miaute, während die Trommeln den Rhythmus angaben und die Gemeinde stets von neuem sang:

»Listen to the La–ambs,
All a crying!«

Plötzlich begann Lilly zu gackern, sie hob ihre Röcke hoch und sprang unter die Tanzenden. Sie plusterte sich auf, scharrte mit den Füßen, pickte nach Körnern, flatterte mit den Flügeln und machte das alles so ausgezeichnet, daß sie auf jedem Varieté hätte auftreten können: sie hätte Lachstürme entfesselt.

Hier aber, und das war das Seltsame, wirkte das alles gar nicht komisch. Es bekam vielmehr etwas Grausiges, als ob all diese Menschen in Tiere verwandelt worden seien oder, plötzlich irre geworden, sich wie weiland König Nebukadnezar einbildeten, Ochsen und Katzen und Kaninchen zu sein.

All die Tiere liefen hinten um das Feuer herum, beschnüffelten und beschnupperten den gumboduftenden Suppentopf, in dem ein halbwüchsiger Quadronenbengel nun mit einem großen Löffel herumrührte.

Ein heller Schrei von Mammie Jemima ließ diesen bunten Tiertanz im Augenblick abbrechen.

»Ich seh ihn!« kreischte sie. »Ich seh ihn!« Jeder kauerte da nieder, wo er grade stand; nur Lilly sprang rasch zu uns zurück.

»Was die Mammie sieht?« fragte Ohm Rastus.

»Mann von Neu-York!« kreischte die Alte. »Große Kerl, schwarze Haare!« Und nun erzählte sie, stets mit dieser hohen, überschlagenden Stimme, wie dieser Schlechte-Kerl von Neu-York aussähe. Wir konnten ihr nicht widersprechen, da wir uns von diesem Scheusal bisher noch nicht die geringste Vorstellung gemacht hatten.

»Ich ihn fixen! Ich ihn fixen!« brüllte die Alte.

Lillys Schwester reichte ihr ein großes Stück Wachs, nahm sofort das Fächeln wieder auf. Sogleich begann die Mammie das Wachs zu kneten, arbeitete schwitzend mit beiden Händen. Ohm Rastus füllte ihr die Tasse; immer wieder unterbrach sie die Arbeit, um diese zu leeren. Währenddessen kamen die Tiertänzer heran; jeder einzelne brachte etwas und gab es auf ein Stück Papier, das auf der Kiste lag. Lilly brachte eine Hühnerfeder und einen Hühnerfuß; dazu kamen ein paar Katzenkrallen, ein Stück Huf und lange Schwanzhaare von einem Maultier, drei abgeschnittene Lämmerschwänzchen und ein paar Schnurrhaare von Kaninchen. Queenie reichte der Alten eine Schachtel, daraus kam alles mögliche zum Vorschein: Kräuter, alte Nägel, roter Sand und kleine Steinchen. Bei jedem Stücke gab sie ihre Belehrung: das sollten wir dem Schlechten-Kerl auf den Weg werfen, jenes ihm in die Speise tun. Die Katzenkrallen mußten ihm unters Kopfkissen gelegt werden, die Hühnerfeder ihm innen in den Hut gesteckt werden. Ohm Rastus packte die ganze Herrlichkeit zusammen und gab sie mir in die Tasche.

Währenddessen knetete sie weiter an ihrem Wachs, das sie zuweilen, um es weicher zu machen, über die Kerzenflamme hielt. Die Gemeinde drängte sich jetzt nahe an uns heran; jeder schenkte sich Wein ein, jeder trank und aß dazu – hastig und gierig, als ob sie die kurze Pause schnell benutzen müßten.

Das stand fest, daß sich Mammie Jemima trotz ihrer Anstrengungen keineswegs in einem Trance befand. Freilich hatte sie sich in eine gewisse seelische Erregung hineingearbeitet, doch konnte von einer eigentlichen Ekstase keine Rede sein. Sie formte sehr bewußt an dem Wachs herum, machte eine kleine Puppe, Beine, Arme, Kopf – mit ein bißchen gutem Willen konnte man sogar erkennen, daß es ein Mann sein sollte.

Sie streckte mir das Wachspüppchen entgegen: »Schlechte-Kerl von Neu-York!« grinste sie.

»Sehr ähnlich!« nickte ich.

Plötzlich zog Ohm Rastus ein langes, spitzes Messer aus der Tasche, reichte es Lillys Schwester. »Blut!« rief er. »Weiße Herrn Blut!«

Das gefiel mir gar nicht. Nicht daß ich ein Mordattentat befürchtete; aber dieses rostige schmutzige Messer mochte leicht eine Blutvergiftung verursachen.

Diesmal zeigte der Musikus mehr Mut als ich. »Komm nur her, schwarze Wonnemaid!« lachte er und hielt ihr seinen Arm hin. Sie ritzte ihn mit dem Messer, beugte sich sogleich nieder, um das Blut aufzusaugen. Dann kam sie zu mir, behielt aber sein Blut im Munde, während sie meinen Arm nahm. Ich merkte den leichten Stich kaum; doch spritzte im Augenblick ein hübscher roter Quell heraus. Es fiel mir auf, daß sie viel länger saugte, als nötig war, um ein paar Blutstropfen aufzusaugen. Lilly nahm mein Taschentuch und wand es um die Wunde – das war bei Hanke, dessen Blut sofort gestillt war, nicht nötig. Währenddessen spie Queenie unser aufgesaugtes Blut über das Wachspüppchen; die Mammie schmierte es ringsherum und knetete es nach Möglichkeit hinein. Dann faßte sie das Messer und durchstach – mitten durchs Herz – den Schlechten-Kerl.

Ohm Rastus nahm das Wachsbild, trug es an dem Messer zu der Feuerstelle, in die der Qadronenjunge ein paar neue Scheite hineinwarf. Mitten ins Feuer warf er das Wachsbild – sofort schlugen die Flammen mächtig auf und umzüngelten den singenden Gumbosuppentopf. Derweil intonierte Mammie Jemima ein Gebet, in das alle sofort einfielen, während sie niederknieten:

»Jesus, Maria, Joseph! Euch schenke ich mein Herz und meine Seele!

Jesus, Maria, Joseph! Steht ihm bei im letzten Todeskampfe!

Jesus, Maria, Joseph! Möge seine Seele mit euch in Frieden scheiden!«

Das wiederholte sie wieder und wieder. Leise Trommelwirbel erklangen dazu.

Und das Feuer fraß den Schlechten-Kerl von Neu-York.

Ich war überzeugt, daß die Vorstellung nun zu Ende sei; Hans Hanke schien derselben Ansicht zu sein. »Haben Sie endlich genug von dieser albernen Farce?« fragte er mich. »Ich muß gestehn, daß ich mich langsam nach meinen Kleidern sehne.«

Aber wir täuschten uns: das eigentliche Spiel begann erst. Das alles war nur schwarze Zauberei, nur Menschenkunst – die Gottheit selber mußte ihren Segen dazu geben!

Die Mammie unterbrach das Gebet – sofort schwieg die Gemeinde. Die Alte griff wieder zum Wein, trank zwei, drei Tassen rasch herunter. Dann wandte sie sich zu der Antoniusfigur, rückte sie dicht vor sich hin, zog eine Kerze nahe heran, sie hell zu beleuchten. Der heilige Mann aus Padua war in seiner Franziskanerkutte dargestellt und trug ein durchgeschnittenes Brot in der Hand. Er ist gewiß ein sehr braver Heiliger, beliebt in der ganzen rechtgläubigen Christenheit um seiner Detektivfähigkeiten willen – alles, was man verloren hat, kann er gleich wieder zurückbringen, wenn er nur will.

Ich war begierig, was die Mammie von ihm verlangen würde: vielleicht würde sie ihn bitten, unsere verlornen Liebsten zurückzuschaffen?

Sie tat nichts dergleichen. Sie rief ihn nur an, laut und noch lauter, forderte ihn auf, zu helfen, gleich, unverzüglich! Dabei nannte sie ihn stets – St. Patrick.

»Hilf, St. Patrick, hilf rasch, hilf schnell!« kreischte sie. Und alle die Nigger und Niggerweiber stimmten in diesem Ruf ein; es schien allen sehr ernst damit zu sein, die Hilfe des Heiligen zu erlangen.

Aber der heilige Antonius aus Padua schien es übelzunehmen, daß ihn seine schwarzen Gläubigen stets mit dem irländischen Oberbonzen verwechselten. Wenigstens rührte er sich nicht, wenngleich ihm das heiße Wachs der Kerze über den Leib lief; nicht eine Miene verzog sich in seinem Schafsgesicht.

Ohm Rastus begann die herabgebrannten Kerzen in den Flaschen durch neue zu ersetzen. Der Junge hinten bei dem heruntergebrannten Feuer rührte in seinem Suppentopf und warf Salz hinein. Queenie fächelte und fächelte –

Unentwegt brüllte die Priesterin, unterstützt von der Gemeinde:

»Hilf, St. Patrick, hilf rasch, hilf schnell!«

Dann, plötzlich faßte sie eine Wut. Sie mußte die Halsstarrigkeit dieses störrischen Heiligen brechen, mußte mit ihm ringen, wie Jakob mit dem Engel.

Mitten ins Gesicht spie sie ihm.

Und eine Flut unflätiger Schimpfworte ergoß sich über den armen Heiligen.

»Du Bankert«, schrie sie ihn an. »Du Lude! Du stinkender, lausiger schmutziger Hurensohn!«

So ging es weiter – es war unglaublich, wie sie schimpfen und fluchen konnte; jeder Seemann hätte von ihr lernen können. Aber dazwischen immer von neuem: »Hilf, St. Patrick, hilf rasch, hilf schnell!«

Wieder und wieder spie sie auf den Gipsheiligen. Dann griff sie danach – hätte ihn sicher in Stücke zerschlagen, wenn nicht Ohm Rastus und Queenie, die jede ihrer Bewegungen belauerten, fest ihre Arme gefaßt hätten. Sie sprang auf, schlug mit den Fäusten um sich, trampelte mit den Füßen auf dem Boden.

Es gelang ihr, einen Arm frei zu machen; sie erwischte die Tasse, zertrümmerte sie auf dem Boden. Schaum trat aus ihren Lippen, ihre Augen verzerrten sich zu einem entsetzlichen Schielen. Noch zwei Nigger sprangen hinzu; im Kampf zerrissen ihre Kleider, halbnackt fiel sie schließlich zu Boden. Schlug mit Armen und Beinen um sich, biß nach allem, was ihre Zähne erreichen konnten. Wand sich in Krämpfen – ein regelrechter epileptischer Anfall!

Aber das war ganz augenscheinlich das, was die Gemeinde von ihr erwartete, war das, worum sie den heiligen Antonius bat! Die Gottheit offenbarte sich in ihr, die Gottheit gab ihrem Zauber den Segen – Heiligkeit der Epilepsie, wie zur Zeit des St. Veits-Tanzes, ein heiliger Rausch, wie zur Zeit der Saturnalien und der Baalsfeste!

Sie lag am Boden, zuckend in allen Gliedern. Blut sickerte aus den fest übereinandergebissenen Zähnen. Eine heiße Aufregung faßte die Nigger.

»St. Patrick in ihr!« schrie Ohm Rastus.

»Geist in Mammie!« jauchzte Lilly. »Geist stark in Mammie!«

Und die andern nahmen es auf: »St. Patrick in ihr! Geist stark in Mammie Jemima!«

Ohm Rastus nahm das Salzfaß, streute es über die Alte, die in Krämpfen zitterte: alle kamen heran, leckten ihre Finger, nahmen etwas Salz auf und steckten es in den Mund.

Keiner dachte daran, der Mammie zu helfen. Sie erbrach nun, lag inmitten ihres Unrats; ein pestilenzialischer Gestank ging von ihr aus. Alle traten fort von ihr; Lillys Schwester allein stand bei ihr, sie zu fächeln. Dann warf auch Queenie das Tuch weg, kam rasch auf uns zu. Ihr Leib straffte sich, ihre Augen leuchteten; aus der dienenden Sklavin schien im Augenblick eine Herrin zu wachsen.

»Weiße Mann kommen!« sprach sie. Fast wie ein Befehl klang es.

Sie führte uns zu dem Suppentopf. Ohm Rastus fühlte mit dem Finger hinein, zog ihn gleich heraus. Die Suppe war noch zu heiß, so goß er schnell etwas Wein hinein.

Dann fischte Queenie mit der Hand in der Suppe, erwischte etwas, legte es auf einen Teller, den Ohm Rastus hielt. Ich glaubte erst, daß es ein Aal sei; wunderte mich, statt der erwarteten Hühnergumbobrühe eine Hamburger Aalsuppe hier zu sehn.

Aber gleich erkannte ich meinen Irrtum – das war kein Aal! Dies dünne, lange, verbrühte Ding war eine Schlange!

Ah – der Gott des Voodoo wurde hier zur Suppe zerkocht!

Queenie zerschnitt die Schlange in ganz dünne Scheiben. Nahm einen kleinen Löffel, füllte ihn mit Brühe und gab ein Stückchen Schlange hinein. Schweigend hielt sie mir den Löffel an den Mund, drohend leuchteten ihre Augen.

Unwillkürlich fuhr ich zurück – diese Mahlzeit war nicht in unsrer Abmachung. Aber die trunkenen Neger drängten um mich her, hinten begannen wieder die Trommeln zu rasseln: ich hatte die Empfindung, als ob eine Weigerung recht unangenehme Folgen haben könnte. Dann plötzlich fiel mir ein, daß ich ja schon einmal Schlangen gegessen hatte – als wir Schuljungen im Aaper Wald Indianer spielten! Um uns unsern Mut zu beweisen und unsre Überlegenheit gegenüber den Bleichgesichtern, die nur Butterbrote aßen, beschlossen wir, echte Indianerkost zu genießen. Es waren zwar keine ganz richtigen Schlangen – nicht die kleinste Ringelnatter ließ sich an diesem Samstagnachmittag erblicken! Doch erwischten wir ein paar Blindschleichen; die wurden in Stücke geschnitten, angeröstet und heruntergeschluckt – das dünkte uns genau so heldenhaft!

Dicht an meinem Ohr hörte ich Lillys Stimme – ihr Flüstern klang sehr dringend und erregt: »Weiße Herr nehmen Gumbo! Besser nehmen!«

Also nahm ich das Zeug in den Mund, spülte es mit Wein herunter; nicht sehr heldenhaft kam ich mir dabei vor. Hans Hanke tat dasselbe, prustend und grimassenschneidend.

Ich hatte zum erstenmal in dieser Nacht das Empfinden, als ob der schlummernde Argwohn dieser Schwarzen gegen uns gewichen sei – in dem Augenblick, als wir vor ihren Augen die Schlangenbrühe herunterwürgten. Wir hatten uns gemein gemacht mit ihnen, hatten an ihrem heiligsten und geheimsten Akte teilgenommen, waren ihre Brüder geworden.

Ohm Rastus strahlte über das ganze Gesicht; es schien, als ob eine große Sorge von ihm genommen sei. Er war der einzige, der vielleicht ein Gefühl der Verantwortung für unsere Sicherheit hatte – und jetzt, jetzt erst waren wir sicher.

»Gumbo gut«, grinste er; »Gumbo sehr gut!«

Alle kamen heran – allen schob Queenie den Löffel in den Mund – etwas Brühe mit einem kleinen Scheibchen Schlange.

Und das, schien mir, war ihr zweites ›Abendmahl‹ und war das wahre für diese Leute. Keiner von ihnen mag sich dessen bewußt gewesen sein, auch Queenie nicht, auch Ohm Rastus nicht, noch Mammie Jemima, vielleicht war ihnen nicht einmal das mehr bewußt, daß die Schlange allein ihre Gottheit war – die Schlange allein, wie bei dem grausigen Vaudouxkult ihrer Verwandten auf Haiti. Dennoch mußte in ihnen eine solche Erinnerung schlummern – wie sonst kam die Natter in ihren Suppentopf? Die Schlange war die Gottheit, und die Gottheit brachte sich selbst als Opfer ihren Gläubigen: so wurde aus der Hostie des heiligen Meßwunders ein Mundvoll Schlangenbouillon!

Wer davon getrunken hatte, machte sich sofort an den Wein, goß herunter, so viel er nur bekommen konnte. Die Trommeln schlugen lauter und in einem andern, aufreizenden Rhythmus. Zwischen das begleitende Brummen und Summen mischten sich einige helle Schreie. Die Männer stellten sich auf der einen Seite auf, die Weiber an der andern; beide Gruppen bildeten dann einen Kreis, in der Mitte, nach außen, die Weiber, drum herum, nach innen, die Männer. Und sie tanzten einander an, hin und zurück, mit ganz langsamen, kaum merklichen Bewegungen.

Die schwarze Queenie hatte dem letzten seinen Löffel Brühe gereicht, dem hellen Qadronenbengel, der im Suppentopf gerührt hatte. Sie nahm dann selbst ihr Teil und füllte schließlich mit dem Rest eine große Tasse. Ich sah genau, wie sie den Schlangenkopf hineingab.

Sie ging zu der alten Mammie, zog sie hoch an den Schultern. Setzte die Tasse an ihre Lippen, flößte ihr die Suppe in den Mund. Und dieser Trank schien die Alte zu beleben; sie griff mit zitternden Händen die Tasse, leerte sie. Richtete sich auf, machte ein paar schwankende Schritte. Überwand sehr schnell ihren Schwindel, mischte sich in die Reihen der Tanzenden.

Hans Hanke war zu den Trommeln hingetreten, markierte den Takt mit dem Finger. Augenscheinlich interessierte ihn diese seltsame Musik.

Mehr Bewegung kam in den Tanz. Sie lachten sich an, nahmen auch einen Schluck aus einer der Flaschen und spien den roten Wein dem Nächsten über den Leib. Kleidungsstücke wurden lästig; sie rissen sie ab, warfen sie achtlos in die Ecke. Immer nackter wurde die schwarze Gesellschaft.

Einen wilderen Rhythmus schlugen die Trommeln, lauter und heller kreischten die Kerle und Weiber. Brüste flogen auf, Hüften drehten sich, Arme und Beine durchschnitten die Luft. Ich sah Queenie, selbst noch voll bekleidet, den halbwüchsigen Suppenjungen ergreifen; er wehrte sich, aber sie riß ihm das Hemd herunter, zerkratzte ihm das Gesicht und biß ihm in die Schulter. Zog den Widerstrebenden in die Ecke.

Lilly, die noch immer neben mir stand, sprang von einem Fuß auf den andern: kurz ging ihr Atem. Sie schien zu warten, ließ kein Auge von meinem Freunde, der nun selbst eine Trommel nahm und sie bearbeitete. Er lächelte vergnügt, völlig zufrieden, diese bizarren Klänge zu meistern.

Ohm Rastus sprang herum wie ein ganz Junger. Er faßte die kleine Mulattendirne, die die Katze gespielt hatte; beide fielen und wälzten sich auf dem Boden. Zwei Weiber, dicht daneben, warfen sich heiß aufeinander –

Ich wußte, was nun folgen würde, hatte es gut genug in der Erinnerung von Haiti her. Tanzen und Springen und Schreien und Johlen – und immer die Trommeln dazu, die Trommeln. Ein rohes Nehmen und Umarmen, ein tierisches Vermischen, das keine Geschlechter mehr kennt, das, völlig besessen von Wein und Gier, seinen wüsten Rausch in jeder nur denkbaren Form austobt.

Und die Trommeln! Die Trommeln!

Ich trat zu Hans Hanke hin. »Es ist Zeit, daß wir gehn!« rief ich ihm zu.

»Nein, nein«, gab er hastig zurück. »Ich muß diese Rhythmen haben! Das ist nichts von dem albernen Jazz, nichts vom Ragtime, diesem aufgemachten, parfümierten Zeug! Dies ist echt, sage ich Ihnen, echt! Schnell, geben Sie mir einen Bleistift und etwas Papier!«

Ich sah, daß ich ihn jetzt nicht losreißen konnte. Nichts kümmerte ihn, nichts sah und hörte er – nur seine Rhythmen. Ich gab ihm, was er verlangte; sogleich machte er sich an die Arbeit. Dann wandte ich mich an Lilly: »Wo sind meine Schuhe?« fragte ich.

Sie ging vor mir her, wir stiegen die Stufen hinab in den Kellerraum; dort lag alles auf einem alten Faß. Ich zog mir die Schuhe an; Lilly kniete nieder und band mir die Schnürriemen zu. »Du bürgst mir dafür, daß ihm nichts geschieht!« rief ich ihr zu. »Daß er richtig heimkommt!«

Sie nickte eifrig. »Nichts fürchten,« beruhigte sie mich, »Lilly sorgt für ihn!«

Sie führte mich zu der Veranda, öffnete dort die Tür, übergab mich dem Mulatten, der immer noch draußen Wache hielt. Der geleitete mich denselben Weg zurück, den wir vor Stunden gekommen waren, stellte dabei ein paar Fragen, die ich kaum hörte und nicht beantwortete. Taumelnd schritt ich daher, tief atmete ich die frische Nachtluft ein. Über Höfe und Gärten – endlich öffnete er das Tor in der Mauer.

Ich wankte durch die baumbestandenen Straßen in der ersten Dämmerung, fand einen Schutzmann und fragte mich zurecht. Bald war ich wieder im ›Vieux Carré‹, dem alten Teil der Stadt, dem französischen, der vermutlich darum so heißt, weil nicht ein Haus in ihm französisch ist. Spanisch ist in Neu-Orleans alles, was sehenswert ist. Ich verlief mich wieder, fand endlich die Ludwigskathedrale, ging die St. Peter-Straße hinauf, kam zum Beauregardplatz: jetzt endlich wußte ich den Weg zum Hotel.

Ich mußte an dem alten Ludwigskirchhof vorbei, bekam plötzlich Lust, hineinzugehn. Mächtige, hochgebaute Gräber überall; der Boden ist zu feucht hier, um die Särge in die Erde zu senken. Viereckige Steintruhen, breit ausladende Kasten, phantastisch durcheinandergeworfene Basaltwürfel und Granitkuben. Und an den Mauern, enggedrängt, grünumrankt und umwachsen, viele Tafeln längst Verstorbener.

Einen Namen entzifferte ich nach dem andern, spanische und französische. Buchstabierte mit wirrem Hirne mühsälig Wort um Wort, vergaß es wieder, sowie ich's gelesen. Und dann, seltsam genug, war doch ein Name da, der mir haften blieb, einer, den ich nimmermehr vergessen werde. Auf einer kleinen Tafel stand er, kein Spruch und kein Datum dabei. Nur dieser eine Name:

›Cydalise Coeur-de-Roi. ‹

Oh – und ich wußte nun, daß ich deshalb hierhergekommen war, um diesen süßen Namen zu finden – Cydalise Coeur-de-Roi.

Ich vergaß diese Nacht bei den schwarzen Tieren. Lächelnd ging ich nach Hause in der Morgensonne, entkleidete mich, wusch mich, ging zu Bett. In den Schlummer sang mich ein Klingen silberner Schellen: Cydalise Coeur-de-Roi!


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