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Berlins erster Boxkampf.

Berlin, 15. II. 1913.

 

 

Heute, sehr Verehrter, will ich mir's leicht machen: ich sende Ihnen Abschrift eines Zeitungsartikels, den ich soeben schrieb.

Möge Ihrem Herzen Kissingen die gehoffte Erleichterung bringen! Und vergessen Sie nicht, daß es neben dem Wasser des alten Madjaren-Edelmannes da auch den besten Steinwein gibt!

Sie klingelten mich an, Herr Redakteur, und Sie fragten: »Interessieren Sie sich für Boxen?« Ich sagte ›Ja,‹ und Sie baten mich, doch zu den Boxkämpfen hinzugehn und Ihnen ein Stimmungsbild zu schreiben. »Kennen Sie Madame d'Ora?« sagten Sie. »So etwas möchte ich haben.«

Sie sind recht gescheit, Herr Redakteur. Das glaube ich Ihnen gern, daß Sie so etwas haben möchten. Wenn Sie so etwas nur alle Woche einmal hätten, so würde Ihr Blatt das beste von allen deutschen Blättern werden, würde die höchste literarische Linie halten und doch nicht langweilig werden. Denn J. V. Jensens Boxkampfschilderung in Madame d'Ora ist die beste Darstellung, die je ein moderner Dichter von einem Kampfe zwischen zwei Männern gegeben hat.

So etwas kann ich Ihnen natürlich nicht geben, wenigstens nicht, wenn ich festgelegt bin auf diesen oder jenen Kampf und so meiner Phantasie Scheuklappen vorlegen muß. Aber ich dachte mir: es wird schon gehn! Ich fuhr also zum Tiergartenhof. Der Saal war sehr voll, doch geschah nichts. Nur Herr Joe Edwards – man sagt mir, daß er eigentlich ein Herr Maschke aus Rixdorf sei, und es ist gewiß, daß er sich sehr große Mühe geben muß, gebrochen Deutsch zu sprechen – betrat das Podium und erklärte, daß der Polizeipräsident Herr v. Jagow die Kämpfe verboten habe. Das war sehr unangenehm: man weiß nie, was man an solch angebrochenem Abend tun soll.

Herr Joe Edwards bestellte uns dann für einen andern Abend in das Marinehaus; wieder fuhr ich hinaus – schrecklich weit, bis zur Jannowitzbrücke. Auch von dort schickte er uns nach Hause, weil der Herr v. Jagow noch immer nicht lieb war. Ich denke aber, das war nur ein Trick; wahrscheinlich sind der Herr Polizeipräsident und der Herr Boxingmanager dicke Busenfreunde. Und der Herr v. Jagow hat deshalb dem Herrn Edwards aus echter Freundesliebe eine recht wirksame Reklame umsonst gemacht, um ihm ein sicheres Stammpublikum für den ganzen Winter zu sichern, und um den Boxsport in Deutschland einzuführen.

Nur sehe ich nicht ein, warum ich darunter leiden sollte und nun schon einen zweiten Abend mich ärgern mußte. Denn ich muß mich jedesmal ärgern, wenn die Autotaxe über fünf Mark zeigt; besonders aber, wenn ich wieder zurückfahren muß und gar nichts gesehn habe. Und daran sind nur die beiden Busenfreunde schuld.

* * *

Inzwischen freute ich mich; denn einmal mußte es ja doch losgehn. Ich dachte an einen eiskalten Sommerabend in Melbourne, wo ich im dicken Pelz, von zwei Lloydoffizieren begleitet, zum Cyclorama fuhr, zum großen Boxmatch der australischen Staaten. Costa trug den Handschuh für Neusüdwales, und er hatte bereits Neuseeland, Westaustralien und Queensland geschlagen; Billy Walsh aber, der Victorier, war Meister geblieben über Tasmanien und Südaustralien. Tausend Männer saßen in der runden Halle, nicht eine einzige Frau. Keine Frau der Welt ist so frei wie die Australierin; sie ist frei im Hause wie in der Öffentlichkeit, frei im Berufe wie in der Liebe. Nur die Boxhalle gehört ganz dem Manne; selbst die letzte Dirne würde es tief unter ihrer Würde halten, einem Boxmatch zuzuschauen.

Darauf aber will ich lange Odds wetten: wenn erst das Boxen populär wird bei uns, werden die Frauen sich reißen um die Plätze!

Die Menge schreit und johlt. »Teddy Lindall!« brüllen die Leute. »Teddy Lindall!« Teddy will nicht, aber sie geben nicht nach; sie holen ihn her von seinem Sitze, tragen ihn hinauf auf das Podium. Da steht er, schimpfend und lachend, wütend und doch geschmeichelt über das Volksurteil, ein dicker, rotköpfiger Kerl mit niederer Stirn und kleinen, unruhigen Augen. Er, Teddy Lindall, der beste ›Referee‹ Victorias, dessen scharfem Blick kein Stoß und kein Schwinger entgehn. Die Riesenhalle jauchzt ihm zu: in ihm ist die Menge ja selber die Unparteiische in dem Kampfe.

Und die beiden kommen. Costa von Sydney, schwarz, groß, ein Prachtexemplar! Blutmischung lateinisch und angelsächsisch. Jede kleinste Muskel ausgebildet, jede Sehne leicht spielend. Vornehm vom Scheitel zum Zeh: ›der edle Costa‹, würde der begeisterte Peter Altenberg schreiben. Ihm gegenüber Billy Walsh, Melbournes Liebling. Angelsachse – ein wenig gälischer Einschlag vielleicht. Strohblond, riesenlang, die Brust eingedrückt und den Kopf vornübergebeugt, überragt er doch den schönen, großen Gegner noch um Haupteslänge. Und wer diese mächtigen Arme sieht, der weiß, was seine tiefen Linkshänder bedeuten.

Costa greift an. Beide Fäuste landet er zugleich dem andern ins Gesicht und gibt ihm im Clinch ein halbes Dutzend furchtbarer Bauchstöße. Aber die Bauchmuskeln des langen Victoriers sind hart wie Stahl; ebenso gut mag der andre den Boxball treffen. Stöße, die einen andern durch fünf Minuten kaum atmen ließen, bedeuten ihm nur ein sanftes Streicheln.

Costa greift an. Vier Runden, sechs Runden, sieben und acht Runden. Immer hat er den Gegner in den Seilen, landet ihm einen gewaltigen Schwinger nach dem andern. Aber der ist zäh.

Die Männer schreien. Sie begrüßen johlend jeden Treffer des Mannes von Neusüdwales. Sie lachen, wenn Billy daneben schlägt, und sie jubeln, wenn ihm immer wieder des Feindes starke Fäuste im Gesicht ruhn. Sie kennen ihren Mann, und sie wissen gut, wieviel Schläge nötig sind, um ihn ›wild zu machen‹. Wenn aber Billy Walsh einmal einen langen Schlag auf des Gegners Hals setzt, dann springen sie auf und brüllen: »Alright Billy! Go on! Go on!«

Costa greift an –

* * *

Aber ich soll ja nicht von Melbourne erzählen und nicht von dem edlen Costa und dem langen Billy Walsh. Ich soll von Berliner Boxkämpfen erzählen und ihrem Manager, Herrn Joe Edwards.

Er bestellte uns wieder, zu Montag und zu Dienstag, ins Marinehaus. Die beiden Busenfreunde waren einig geworden, die Reklame war groß genug, und der Saal war überfüllt. Alle waren schrecklich neugierig und ich auch.

An beiden Abenden kämpften erst ein paar schwarze und weiße Jünglinge. Sie trugen »A. u. N. Patent-Boxhandschuhe«, die, wie das Programm erklärt, jede Verletzung der Hand verhindern; wahrscheinlich war das der Grund, weshalb sich mehrere von ihnen Hand und Daumen verstauchten. Zwei Niggerknaben hupften wie Affen umeinander herum und taten so, als täten sie was; ein halbes Dutzend weißer Jünglinge hupften etwas weniger behend. Es war nicht sehr spaßhaft.

Dann, am Montag, der große Kampf! Bobby Dobbs gegen Lassartesse: ein Kampf, der die Überlegenheit des Boxers vor dem Ringer dartun sollte. Du meine Güte, eine plumpere Farce habe ich nie gesehn! Und nirgend in der Welt – es sei denn in Berlin – läßt sich ein Publikum derartiges gefallen. Es war freilich, um Berlins Ehre zu retten, ein einziger Mann im Saal, der laut protestierte – er wurde natürlich hinausgeworfen. Denn wenn man zehn, fünf oder drei Mark für seinen Platz zahlt, dann will man das, was geboten wird, unter allen Umständen großartig finden! Ich kenne den Ringer Lassartesse vom Zirkus Sarrasani her; er ist ein mittelguter Ringer mit sehr viel Energie und Temperament, so einer, der Leben in die Sache bringt. Der einäugige Mann aber, der hier als Lassartesse auftrat, war ein sehr, sehr schlechter Ringer, dazu noch durch die Boxhandschuhe in der jämmerlichsten Weise gehandikapt. Was Herrn Edwards nicht hinderte, kühn das Gegenteil zu behaupten: sein Niggerboxer sei im Nachteil, da er im Clinch nicht weiterschlagen dürfe. Was das biedere Publikum natürlich bereitwilligst glaubte. Der ganze Kampf war so albern, so dumm, daß ich es nicht für möglich hielt, daß sich das Publikum das gefallen lassen würde. Ich irrte mich gründlich.

Einen gewissen Stil zeigte der Boxkampf am Dienstag, bei dem, in der vorletzten Runde der Neger Bobby Dobbs den Dänen Holger Hansen schlug – vorausgesetzt, daß es sich nicht auch hier um eine abgekartete Sache handelte. Ich will das nicht behaupten; merkwürdig und ganz unsportmäßig aber ist es auf alle Fälle, daß Herr Joe Edwards, der Manager des Negers, selbst als Unparteiischer fungierte. Welches Publikum – außerhalb Berlin – würde sich das bieten lassen? Überhaupt hat Herr Edwards seine besondern Eigenarten. So erklärt er stets: »Die Boxer sind übereingekommen, im Clinch nicht weiterzuboxen.« Ja, in aller Welt, warum denn nicht? Oder ist das eine Bedingung des Busenfreundes, um die Berliner Boxkämpfe, die ohnehin schon zahm genug sind, noch zahmer zu machen?

* * *

Sie wollten, Herr Redakteur, so etwas, wie es Jensen gab in seiner Madame d'Ora? Nun werden Sie enttäuscht sein. Aber zeigen Sie mir den Künstler, der eine Venus formen kann, wenn Sie ihm die Harfenjule als Aktmodell geben!

Um Sie ein wenig zu entschädigen, will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

Wissen Sie, warum Johnson in Reno Jeffries besiegte? Das kam so: Johnson und sein Manager gingen zum Kampfe. Da fand auf der Straße der Neger ein Hufeisen.

» Steck dir's in den Handschuh!« sagte der kluge Trainer; » es bringt Glück

Und so kam es.


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