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Die verrückte Wally.

Im Chinesischen Meer.
An Bord D. S. ›Prinz Waldemar‹.
14. III. 19..

 

 

Sie hieß garnicht ›Wally‹. War vielmehr, mit Deinhardt-Cabinet, auf den ehrlichen Namen ›Prinz Waldemar‹ getauft, einer der Dampfer der Prinzenklasse des Bremer Lloyd. Aber kein Deutscher in der Südsee, von Sydney hinauf bis Yokohama, nannte sie anders als die ›Verrückte Wally‹. ›Loose Screw Wally‹ hieß sie bei den Engländern, und alles, was Pidgin sprach, Chinesen, Malaien, Papuas, kannten sie nur als ›Wally belong mad‹! Der Agent oben in Brisbane, der mir die Fahrkarte ausschrieb, meinte: »Schon recht – Sie haben grade noch gefehlt an Bord!«

»Was ist's mit ihr?« fragte ich.

Der Mann zuckte die Achseln. »Das Schiff hat noch keine Fahrt gemacht, ohne daß was Besondres vorgefallen wäre. Was andre Schiffe in zehn Jahren nicht erleben – das macht die Wally auf jeder Reise. Sie ist eben übergeschnappt – die Wally – und alles, was auf ihr fährt, nicht weniger.«

Ich ging abends an Bord. Der Erste Offizier zählte grade seine Chinesen durch; er brüllte und fluchte dabei. Ich wartete geduldig, bis er fertig war, fragte ihn dann, wo er mich unterbringen wolle. Er rief einen der bezopften Stewards heran.

»Der Kerl soll Sie führen,« sagte er. »Haun Sie ihm nur gleich eine runter, wenn Sie gut bedient sein wollen. Übrigens können Sie sich die Kabine aussuchen, die Ihnen am besten gefällt; meinetwegen können Sie auch alle belegen! Es wird sonst doch niemand mitfahren auf diesem verdammten Schiff!«

»Sind Sie auch verrückt?« fragte ich höflich.

»Noch nicht!« lachte er grimmig. »Aber ich werde es sicher werden. Wenn ich noch zwei, drei Reisen lang mich mit den Zitronenniggern rumärgern muß – bin ich genau so verdreht wie alles andre an Bord!«

Er stellte sich vor, Venediger hieß er. Er war ein breitschultriger, sehr kräftiger Mann, blond, bartlos, blauäugig. Sicher ein gutmutiger Geselle, wenn er auch seine Chinesen am liebsten höchst eigenhändig zu Mus zerhackt hätte. Na, das kann man ihm weiter nicht übelnehmen: sie kosteten ihm jährlich nicht nur sein ganzes Gehalt, sondern darüber hinaus noch eine schwere Stange Goldes.

»Wenn's so weitergeht,« seufzte er, »kann ich ein eisgrauer Kapitän werden, ehe ich dem Lloyd meine Schuld abgezahlt habe.«

So kam das. Die ›Wally‹, wie alle Schiffe, die in der Südsee kreuzen, hatte Malaien für die Schiffsmannschaft, aber Chinesen für die Maschine, auch als Köche und Stewards – und diese Chinesen waren alle verdammte Durchbrenner. Nun hat die australische Regierung ein sehr scharfes Gesetz gegen die gelbe Einwanderung. Jeder Dampfer muß bei Ankunft und bei Abfahrt die Schiffsliste vorlegen: wieviel Chinesen an Bord? Sie werden sorgsam gezählt, fehlt einer, so wird die Schiffahrtslinie haftbar gemacht und in Strafe genommen: hundert Pfund für jeden Ausreißer. Die Linie aber hält sich wieder an den Ersten Offizier – der ist verantwortlich! Und er kann aufpassen, wie er will: kaum eine Fahrt vergeht, ohne daß ihm einer durchgeht.

»Sieben in fünfzehn Monaten!« fluchte Venediger, »Siebenhundert Pfund – wie soll ich das je bezahlen können?«

So ist der Haß groß und sehr gegenseitig auf allen Schiffen: die Chinesen hassen ihre scharfen Aufpasser, und die hassen sie ebenso gründlich.

* * *

Es war doch ein Passagier an Bord, ein Pflanzer aus Petershafen. Er gab mir gleich beim Nachtmahl die Quintessenz seiner Lebensweisheit: wenn man sich vor Fieber bewahren wolle, müsse man stets wenigstens vier Zoll hoch Whisky im Magen haben. Er handelte danach – nur war sein Zollmaß meist beträchtlich höher.

Dann war der rothaarige Kapitän da – von dem habe ich nie ein andres Wort gehört als: »Een, twee, dree – hei lucht!« Und dabei goß er einen großen Schnaps herunter, der den schönen Namen ›Magerfleisch‹ führte, und von dem er behauptete, daß sich aller Whisky der Welt dahinter verstecken müsse. Er hatte auch einen großen Haß – gegen den Ersten Ingenieur; aber das ist nun mal alte Tradition auf allen guten Schiffen überall in der Welt, daß Brücke und Maschine einander nicht riechen können. Übrigens war der Erste Ingenieur nicht weniger durchgedreht; in seinen Freistunden beschäftigte er sich ausschließlich mit Laubsägearbeiten. Dazu sang er mit heller Tenorstimme Choräle. Immer dieselben. Zuerst: ›In dulci jubilo‹. Dann: ›Die Himmel rühmen!‹ Und endlich: ›Befiehl du deine Wege‹. Diesen letzten Choral brüllte Venediger regelmäßig mit, so dröhnend, daß es vom Bug bis zum Heck schallte;

»Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt!«

Nur machte Venediger stets eine kleine Variante: statt ›Himmel lenkt‹ sang er ›Kasten lenkt‹ oder ›Dampfer lenkt‹ oder ›Wally lenkt‹ oder was ihm grade einfiel. Dann grinste der Kapitän; aber der Erste Ingenieur sah ihn giftig an.

Ferner waren an weißen Menschen vorhanden: der Zweite und der Dritte Offizier, noch zwei Ingenieure, der Schiffsarzt, der Zahlmeister und die Stewardess. Der Zweite Offizier war ein harmloser Bursche, der sich im Daumendrehn übte und die fixe Idee hatte, daß er wieder ein durchaus vernünftiger Mensch werden würde, sowie er nur erstmal nach Bremen zurückkehrte. Der Dritte besaß ein Dutzend schwerer Hanteln, mit denen er in der glühendsten Tropenhitze herumarbeitete; er wurde von allen als völlig hoffnungslos tief bemitleidet. Der Zahlmeister, ein uckermärkischer Baron, nach manchen Fehlschlägen beim Lloyd angekommen, saß in seiner Kabine und addierte drauf los – immer falsch und immer falsch. Verzweifelt wandte er sich an jeden, ihm doch zu helfen – aber solche Hilfe wurde stets grinsend abgelehnt.

Der Zweite Ingenieur schnitzte Holzfiguren; er war äußerst unbeliebt an Bord, weil er die reizende Angewohnheit hatte, abgebrannte Streichhölzer wieder sorgsam in die Schachtel zurückzutun. Er hielt das für einen ganz ausgezeichneten Witz und freute sich, wenn jemand eines seiner abgebrannten erwischte und wütend damit die Reibfläche bearbeitete. Der Dritte Ingenieur hieß Christian Fürchtegott Tittenfroh – schon der Name allein berechtigte ihn zu einem Ehrenplatz auf der ›Wally‹ und machte ihn äußerst begehrt. Er übte sich im Tischrücken, zu dem auch zuweilen der Zahlmeister und die Stewardess hinzugezogen wurden; außerdem besaß er das schöne Planetentabellenbuch ›Ephemeriden‹ und stellte danach mit Leidenschaft Horoskope. Dem Kapitän allein hatte er schon sechsmal das Horoskop gestellt, und diese sechs Horoskope waren in jedem Punkte völlig voneinander verschieden und stimmten nur darin überein, daß sie mit dem Verlaufe des wirklichen Lebens des Kapitäns auch nicht die allergeringste Ähnlichkeit hatten. Sein Chef, der Erste Ingenieur, mochte ihn nicht leiden, weil er fortwährend was versaute in der Maschine; aber der Kapitän schätzte ihn um so mehr, eben weil er Christian Fürchtegott Tittenfroh hieß. Deshalb – und aus dem Grunde, weil Christian überzeugter Temperenzler war, lud er ihn sogar manchmal zu ein paar ›Magerfleisch‹ ein, die der Arme mit zugekniffenen Augen pflichtschuldigst herunterschlucken mußte.

Immerhin: all diese Menschen hatten wenigstens zwölf Stunden am Tage tüchtige Arbeit – der Arzt aber und die Stewardess hatten gar nichts zu tun.

Der Arzt war ein großer, bildhübscher Mann, mit weichem, blondem Schnurrbart. Ein Münchener, der fünfzehn Jahre in Erlangen studiert, dann doch sein Examen gemacht hatte – seither schwamm er als Schiffsdoktor zwischen Melbourne und Yokohama. Was er gelernt, hatte er längst wieder vergessen; er kannte nur zwei Mittel: Chinin gegen Fieber und Rizinusöl gegen alles andre. Er saß den ganzen Tag und die halbe Nacht über im Rauchzimmer, trank Bier und rauchte lange Pfeifen dazu. Er machte es wie die Nigger in Alabama: »When it's nice an' cool, I sets an' thinks, an' when it's hot, I jest sets.«

Aber es war halt immer heiß da, wo die ›Wally‹ herumschwamm!

Und die Stewardess: eine verarmte Gräfin und alte Jungfer dazu. Aus Scham, ihre Armut in der Heimat zur Schau zu tragen, hatte sie sich beim Lloyd gemeldet und war aus Gnade angenommen worden. Seit Jahren kreuzte sie nun in der Südsee. Wenn einmal ein weiblicher Passagier an Bord war – aber welcher Pflanzer ließ seine Frau auf der ›Wally‹ fahren? –, wurde sie dennoch kaum in Anspruch genommen: man konnte sich doch nicht gut von einer Dame bedienen lassen und von einer Gräfin dazu! So hatte sie überhaupt nichts zu tun – aus reiner Gutmütigkeit ließen sich die Offiziere von ihr die Wäsche waschen und die Socken flicken, obwohl das die chinesischen Stewards weit besser machten. Abends hockte sie mit dem Zahlmeister zusammen – dann lasen die beiden im ›Gotha‹, die Stewardess wußte ganze Bogen davon auswendig. Manchmal ließ sie der Kapitän ins Rauchzimmer kommen, dann mußte sie ihm aufsagen. Er hörte tiefernst eine halbe Stunde lang zu, dann meinte er: »Een, twee, dree – hei lucht!« knallte die Männerfaust auf den Tisch und trank einen ›Magerfleisch‹.

* * *

Die erste Freude hatten wir schon im Korallenmeer. Nichts Besondres, nur so ein kleiner ›Brandenburger‹, ein netter Brand in der Maschine. Der Kapitän grinste vor Vergnügen – na, natürlich, mit solchem Ingenieur! Er war ordentlich betrübt, als nach ein paar Stunden alles wieder in Ordnung war. Tags drauf, so bei der Dianabank, liefen wir plötzlich rückwärts – auf ein Haar wären wir aufgelaufen. Der Kapitän behauptete, daß da nie ein Riff gewesen wäre; der Erste Ingenieur meinte, daß es immer da gewesen sei – aber natürlich, mit solchen Leuten auf der Brücke! In der Göschenstraße setzte ein braves Wetter auf, und die ›Wally‹ rollte und schlingerte nach Herzenslust. Der Doktor fragte höflich, ob ich vielleicht Anzeichen von Seekrankheit verspüre. Er bot mir dafür Chinin oder Rizinusöl an – ganz nach meinem Belieben.

An diesem Abend saß ich mit dem Kapitän im Rauchzimmer, als der Zweite Ingenieur eintrat. Er schleppte eine fast dreimeterhohe Figur herein, die er in seiner Freizeit aus Affenbrotbaumholz geschnitzt hatte. Ein weibliches Wesen im Renaissancegewand, hohes Mieder und lange Zöpfe, alles bunt bemalt, augenscheinlich nach einer süßen Gretchenansichtspostkarte gearbeitet. In der einen Hand hielt sie eine Kunkel, in der andern eine Spindel.

Wir bewunderten seine Kunst; dann bat er mich, ihm behilflich zu sein. Ich kenne doch den Generaldirektor des Lloyd, meinte er: bei dem möge ich vorstellig werden, daß man sein Holzmädchen ankaufe und als Galleonsfigur am Bug unsres Schiffes anbringe.

»Das Schiff heißt doch ›Waldemar‹«, wandte ich ein, »oder meinetwegen ›Wally‹. Aber doch nicht Gretchen!«

»Es soll auch gar kein Gretchen sein«, erwiderte er ganz ernsthaft. »Wir malen drunter: ›Die schöne Spinnerin‹! Darum hat sie ja die Kunkel!«

Ich begriff ihn nicht. »Spinnerin?« fragte ich. »Wenn wir noch wenigstens Wolle als Fracht hätten! Aber wir haben doch nur Kopra und Trepang.«

Er schüttelte den Kopf über so viel Unverständnis. »Wally, die schöne Spinnerin!« wiederholte er melancholisch. »Sie spinnt doch! Alles spinnt an Bord!«

Der Kapitän hämmerte die Faust auf den Tisch. »Een – twee – dree – hei lucht!« rief er. Kippte seinen ›Magerfleisch‹ und schenkte sich einen neuen ein.

* * *

In Matupi war Erdbeben, als wir vor Anker lagen; da ist immer Erdbeben, wenn die ›Wally‹ ankommt. Wir bekamen einen alten Kasuar an Bord und einen jungen englischen Methodistenmissionar – der Herr Venediger sah beide sehr scheel an.

»Man weiß nicht, was mehr Unglück bringt,« brummte er, »Kasuare oder Missionare!«

»Vielleicht heben sie sich gegenseitig auf,« tröstete ich.

Aber der Erste wollte nichts davon wissen – es gibt Dinge in der christlichen Seefahrt, über die man nicht spotten soll.

Natürlich behielt er recht: schon am Abend brach der Kasuar in des Zahlmeisters Kabine ein. Der erwischte ihn, als er grade die mühsam aufaddierten Seiten aufgefressen hatte, versuchte ihn mit kräftigen Fußtritten zu vertreiben. Das nahm wieder der Kasuar sehr krumm; er zerriß die zahlmeisterliche Hose und hackte ihm ein paar Löcher, daß der arme Kerl sich bis Yokohama nicht mehr setzen konnte. Der Doktor bot ihm Chinin an – aber schließlich erbarmte sich die Stewardess seiner und verband das beschädigte Hinterteil.

Der Zahlmeister wollte sich rächen an dem Kasuar, aber der Erste Offizier legte sich ins Mittel. Das wäre ja noch schöner! donnerte er. Der alte Kasuar sei Fracht, und alle Fracht sei ihm heilig, und er trage dafür der Gesellschaft gegenüber die Verantwortung!

Das war gesprochen wie ein Mann, und alle waren auf seiner Seite – Brücke und Maschine hielten plötzlich zusammen gegen den armen Zahlmeister. Aber der englische Missionar, den der Kapitän mit ›Magerfleischen‹ aufgeputscht hatte, fand das so komisch, daß er draufloswieherte und aus seinem Lachanfall gar nicht mehr herauskommen konnte.

Und da geschah etwas Schreckliches.

Der junge Missionar hatte nämlich keine Zähne mehr. Kein Mensch wußte, wie er sie verloren hatte; man munkelte, daß sie ihm ein alter Kanake auf Buka herausgeschlagen habe, dem das Methodistenchristentum ein Greuel war, weil er bei der amerikanischen Konkurrenz die Herrlichkeiten des Baptistenchristentums kennengelernt hatte. Wie dem immer war, der Missionar hatte keinen eignen Zahn mehr im Munde; dafür aber hatte ihm auf Kosten seiner Religionsgemeinschaft der beste Zahnarzt in Sydney ein wundervolles Gebiß gefertigt.

Und dies Gebiß, dies herrliche, blendend weiße Prachtgebiß verschluckte bei seinem Lachanfall der unglückselige Methodistenjüngling!

Es war ein Jammer zu schaun!

Nun aber nahte des Schiffdoktors große Stunde! Keinen Augenblick war dieser Mann der Wissenschaft im Zweifel, was hier zu tun sei: ohne mit der Wimper zu zucken, verwarf er das Chinin und griff zum Rizinusöl. Einen Löffel – noch einen Löffel – fünf Löffel – es war unglaublich, wieviel er in den zahnlosen Missionarsrachen hineingoß. Alle schauten der Kur mit großem Interesse zu; lieblich lächelnd stimmte der Erste Ingenieur dazu seinen Choral an:

»Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der – –«

Der dumpfe Baß Venedigers unterbrach ihn:

»Der allertreusten Pflege
Des, der Rizinus schenkt!«

Der arme Missionar hatte eine entsetzliche Nacht. Laufen – laufen – laufen – ich glaube, er hat einen Rekord aufgestellt!

Aber die Kur des Doktors war ein voller, großartiger Erfolg. Am andern Morgen saß der Missionar wieder beim Frühstückstisch, bleich, aber gefaßt. Der Ausreißer war wiedereingefangen, saß wieder da, wohin er gehörte, und tat seine Pflicht – mit hörbarem Eifer zerkaute das englische Prachtgebiß Toast und Ham and Eggs und Kippered Herrings und Mutton-Chops! Ja, man hat schon seinen Hunger in der Südsee, wenn man fünf Jahre lang bei Konservennahrung den Menschenfressern Christentum gepredigt hat! Da sieht man leicht weg über kleine ästhetische Bedenken – wo in aller Welt hätte der Ärmste auch ein ander Gebiß hernehmen sollen mitten im Bismarckarchipel?

* * *

Dann hörten wir, daß Herr Vahlen vermißt würde, seit ein paar Monaten schon; auf seinem Schoner war er losgefahren, um Kopra von seinen Inseln zu holen, und war seither nicht zurückgekehrt. Der Herr Vahlen war ein Fürst in der Südsee und der größte Verschiffer des Lloyd – so beschloß der Kapitän, ihn zu suchen. Wir fuhren zu den Admiralitätsinseln und klapperten sie ab, eine nach der andern; das nahm uns eine gute Woche. Aber wir fanden ihn nicht, bis wir zu der Insel kamen, auf der er wohnte – da begrüßte uns der Pflanzer, der grade zurückgekommen war. Es wurde ein Fest gefeiert – ein sehr feuchtes Fest.

In dieser Nacht versuchte die ›Wally‹ sich selbständig zu machen. Wir waren alle an Land und tranken in Herrn Vahlens Inselburg auf das Wohl der christlichen Seefahrt, als aus klarstem Sternenhimmel plötzlich ein wüster Sturm aufsetzte. In wenigen Minuten war es stockfinster – und weißgott, es kann blasen in der Südsee! Die Ankerkette riß wie ein Bindfaden, und die ›Wally‹ machte sich sofort auf die Reise. Wir schossen Leuchtraketen ab, konnten sehn, wie sie sich schleunigst entfernte; der Dritte Offizier behauptete, daß sie höhnisch dabei gegrinst habe.

Doch am nächsten Morgen war sie wieder da, Venediger und der Erste Ingenieur, die an Bord geblieben waren, hatten die Hände nicht in den Schoß gelegt und hatten die verrückte Bestie wieder zahm bekommen. Nur der Anker mit der Kette war verloren. Und natürlich die Vahlensche Kopraladung, die eben an Deck gebracht worden war. Aber die war, gottseidank, versichert.

»Wie haben Sie das bloß gemacht, Mann?« fragte ich den Ersten Offizier.

»Wir haben Choräle gesungen!« erwiderte er. »Das ist das einzige, was auf die ›Wally‹ Eindruck macht.«

* * *

Wir mußten Zeit nachholen und setzten Dampf auf. Alles ging gut – bis zu dem Tage, an dem wir Manila anlaufen sollten. Früh vier Uhr war's, als der Erste in meine Kabine brach.

»Aufstehn!« brüllte er. »Aufstehn!«

»Was gibt's!« rief ich schlaftrunken.

»Kommen Sie!« schäumte er. »Ich will Ihnen was Feines zeigen! Sie können eine Geschichte draus machen und Geld damit verdienen – ich hab die Schererei davon!«

Er zog mich an Deck – da hingen, dicht nebeneinander, sechzehn Chinesen an der Raa.

»Ein netter Christbaum!« fauchte Venediger. »Sechzehn mausetote Kwantungbengels!«

»Ist mein Steward auch dabei?« erkundigte ich mich teilnahmsvoll. »Man kann sie so schwer unterscheiden.«

»Sicher nicht,« entschied der Erste. »Der lauert auf sein Trinkgeld! Sonst hinge er auch da in Reih und Glied.«

»Aber was ist denn geschehn?« fragte ich. »Welche Ursache hatten die Leute zu dem scheußlichen Massenselbstmord?«

Der Erste lachte grimmig auf: »Das begreifen Sie nicht? Der Tod ist doch nichts für die gelben Halunken! Im Augenblick ihres Todes, glauben sie, fährt ihre Seele in den Leib eines in eben dem Augenblick geborenen Kindes. Jetzt sind sie jämmerliche Kulis, die ein Hundeleben haben – im nächsten Moment aber leben sie vielleicht in dem Leib eines reichen Mandarinenkindes. Schlechter werden sie's im nächsten Leben kaum treffen, möglicherweise aber viel besser. Und obendrein haben sie die unerhörte Genugtuung, mich mächtig zu ärgern – das ist doch Grund genug!«

»Sie zu ärgern?« rief ich. »Wieso denn?«

»Mensch, sind Sie schwerfällig!« fuhr der Erste fort. »Jeder einzelne von ihnen heuert doch nur an, um vielleicht in Australien auskneifen und dort viel Geld verdienen zu können. Daran habe ich sie verhindert, einige schon seit Jahren. Die Hiebe und Fußtritte nehmen sie mir nicht weiter übel – aber sie hassen mich, weil ich so verdammt scharf aufpasse. Oh, sie wissen ganz genau Bescheid! Warum haben sie sich nicht vor acht Tagen aufgehängt? Dann hätte kein Hahn danach gekräht; wir hätten sie hübsch ins Meer versenkt. Aber sie wollen nicht ins Meer versenkt werden, wollen in China begraben sein. Sie werden sehn, daß sie all ihr Geld den Kameraden gegeben haben – die sorgen dafür, daß sie, sanft in Honig gebettet, von Manila aus mit einer Dschunke nach Kanton geschifft werden. Und dann wissen die Zitronennigger: Manila ist amerikanisch – da hab ich endlose Scherereien wegen dieser dummen Geschichte! Ich sag Ihnen, nur der Missionar ist schuld an dieser lausigen Schweinerei!«

»Oder vielleicht der Kasuar?« wandte ich ein.

»Oder beide zusammen!« spuckte er. »Und noch viel mehr dieser gottsverdammte Kasten – die ›Verrückte Wally‹!«


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